1909 / 36 p. 9 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 11 Feb 1909 18:00:01 GMT) scan diff

Zweite Beilage

zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlich Preußischen Staatsanzeiger.

M 36.

. (Schluß aus der Ersten Beilage.)

. Müller Meiningen (fi. Vgg): Ich habe den Auftrag, vasere Resolution wegen des Reichstheatergesetzes kurz zu begründen. Die Veranlaffung damn ift der Krieg jwischen den beiden Organi. Kationen. Ich will nicht untersuchen, wer die Schuld an diesem Triege trägt, ich glaube, keiner der beiden Teile, sondern die historische Satwicklung, die moderne sozlale Idee pocht nunmehr auch an die

orte des Feulschen Theaterz an. Der patriarchalische Mikrokosmos des

erg ist auf dem deutschen Arbeitsmarkte unter keinen Umstãnden aufrecht zu erhalten, sondern wird weggefegt von der großen Idee der modernen Organisatlon. Für die soniale , ist es die böchste Zeit, bier elnzugreifen und nach dem Rechten zu schen. Der von der Dũhnengenoffen schaft abgelehnte Entwurf war jweifellos ein kleiner rischrstt, aber das neue Hiecht hat doch anderseits wesentliche Nach. le fir r. Das bisherige Recht war schon teilweise ungültig zu reanes. Nach diefem bisherigen Vertragsrecht waren die drei Wochen Gäqagemenis cine reine Probenit; die Bühnenheitung behielt sich Recht vor, vor Ablauf der Spieleit den Kontrakt einseitig auf. luheder. Gin Bühnenleiter schloß einen Vertrag auf zwei Jahre ab, im erften Jahre bezahlte er nichts, und im jwelten Jahre KRndigte er feinen Schaufpielern ohne weiteres; ein ausgezeichneter mütsmensch, der feine Schauspieler einfach auf die Straße warf. Bei Krankheit konnte der schwer erkrankte arne Schauspieler einfach anf das Pflaster geworfen werden. Lelder ist ein Teil dieser Be⸗ mimmngen in den neuen Bübnenvertrag übergegangen, und das

t za dem Bühnenkrieg geführt. Ich habe den neuen . auf den Eisch des Hauscg gelegt. Die Bühnenleitung behält si danach n. a. das Recht vor, über die Tätigkeit der Mitglieder frei R verfügen, jedoch nur janerhalb der Kunstgattung, für die die Mickel bete btef unten ef Restinm mung gibi rn Bährzn, Jltera ein Willkärrecht über die Bühnenangestellten. Am Klimwsten sind aber die Bestimmungen über den Kontraktbruch, die esn wahrer Hohn auf jeden sozialen Gedanken sind. Auch n der Schausßieler eine Vertragestrafe gezahlt hat, kann er m Fallt des“ Kontraktbruches drei Jahre nicht wieder angestellt Den. Die Beflimmungen über die Vufhebung des Vertrages, die e ag trafen Ew. entsprechen nicht einmal dem gleichen Recht der

den Kontrahenten, geschweige der sozlal schwächeren Seite eines der Vienstsuchenden. Die Verhäktniffe sind immens e , m geben der Broschtre bes Kollegen Pfeiffer durchaus recht. Ein Bühnenleiter Agaglerle ine Bemme unter der Verpflichtung, daß sie ein Honorgr einen Gesangunterricht ju zahlen hätte, und zwar für acht Stunden 6 K praͤnumerando; Gage erhielt sie überhaupt nicht, außerdem mußte fie bei Racht in einem Kabarett auftreten und

ä, monatlich dem Agenten bejablen. Das ist eins Lehrlinge Kchlerei, wie sie schamloser nicht gedacht werden kann. Das Agententum bedeutet überhaupt einen engrmen Krebsschaden in

leren ganzen Bühnen. und Konzertwesen. 1902 hieß es bereits,

ł bührenwefen für das Agententum sollte geordnet werden; wie steht ez heute mit diefer Absicht? Ist durch die einzelnen Re. gerungen oder von Reicks wegen etwas geschehen? Sind überhaupt Vorarbeiten auf diesem Gebiete vorhanden, bezw. gedenkt der Staats⸗ sekretär diefe in die r zu nehmen? Der Antrag von Brockhausen auf Ansteslung von Erhebungen über etwaige Mißstände im Bühnen wesen kommt nach meiner Melnung zu spät; das Stadium der Er⸗ debungen ist bereils vorbei, das Material Liegt in Massen vor, seit S71 faramelten es beide Teile, und die Regierung braucht es sich loß geben zu laffin. Daß dabei auch Bähnenverein und Bühnen genoffenschafi, gehört werden müssen, scheint selbstverftändlich. Die Niffäände find so groß, daß die Regierung bloß die Fachzeltungen nachzuschlagen braucht, um ju sehen, wie dringend notwendig ein eferlicheg Einschreiten ist. Ich erwähne bloß eine charakteristische ö in der Genossenschafts⸗Zeitunge. Brillante Stimmmittel, iegante Garderobe und Erscheinung werden gesucht; die jugendliche dramatische Sängerin 80, Souhrette, bildschön, 40 46 monatlich die Raiden und Sentimentalen sind noch viel billiger. Hier liegt ein Hauptgrund der Unsttilichkeit; hier müßsen alle Par⸗ keien jusammenhalten und dafür sorgen, daß endlich auf dir sem

Hebie lz eiwas geschieht. In vielen Fällen stebt einer Gage von 2000 bis 2zb0 K ein Kostümaufwand von 3000 6 und mehr gegenüber; hinter dieser glänzenden Außenseite lauert das Elend der Prostitution. Hier wirt von dem Publikum, namentlich won dem Frauenpublikum, ebe viel gesündigt, wie auch die Schriftstellerin Marie von Bülow betätigt.! Ich möchte dringend bitten, daß, wenn einmal an eine Drdnung der ganzen Materie gegangen wird, auch diese Kostümfrage derückfichtigt wird. Die großen Gagen von z0 600, 10 000 4 und webr find nur Ausnahmen; do og aller Schauspieler haben unter 16665 6 Ginnahme im Jahre. Die großen Bühnensterne bedürfen unfere⸗ Schutzes nicht; sie schikanleren die Büähnenleiter weidlich, and kKäußig müssen die Klelnen entgelten und ausbaden, was diefe Sroßen anstiften. Die Löfung denke ich mir auf dem Boden dez Handelsgesetzhuches, sie muß aber in einem besonderen Reichs. Theatergesetz erfolgen. Möglichst bald muß in dem unheilvollen Kriege, der jetzt ausgebrochen ist, Frieden geschaffen werden. Wir wollen aber auch die öffentlich rechtliche Seite, die Konzessions und Zenfurfrage, noch gesetzlich regeln. In Desterreich mußte dasselbe

escheben, als man zu einem Theatergesetz gelangen woöhlte, Das

Danptgewicht lege ich allerdings für jetzt auf die ziwilrechtliche, die ozialpolitische Seite. Vom Zensor haben wir in den letzten Jahren off gefprochen; Strafe genug ist sein enlfetzlch Handwerk. Er muß alt der Prügeiknabe der öffentlichen Meinung sein und bleiben. In der Zenfur ist der Polizei eine Aufgabe übertragen, die sie niemals, auch deim beften Willen nicht, vernünftig lösen kann. Bereits 1880 hatten Miquel und Windtborft eine reichegesetzliche Regelung befürwortet. 1801 Baben wir einen Initiativantrag in dieser Richtung eingebracht, damals bat kein Abgeordneter mehr das bisherige Zensurrecht ver= teidigt, Das Komische an der poltzeilichen Theaterzenfur ist ihre PlalIe Unkerechenbarkeit; hier wird ein Stück verboten, das fuͤnf Kilometer davon unbeanstander bleibt. Ünzweiselhaft ist etz mit! der reußischen und der Berliner Theaterzenfur weit beffer ge als fräber; früher war es wirklich arg. Damals m . Zersor ebe bäbsche Sechen, indem er 3. B. in „Halbes 3 5 große Stiche eintreten ließ; nach den Peiden & fe gm gane Richtung paßt uns nicht⸗ und „für die 366 a es überhaupt kein Nobum“ verfuhr die Berliner Yo g

Maria von Magdala. von Paul Heyse schritt fie ein? In 2. . Jen bat der Zensot in dem Meißener Porzellan von Hang don et berg und . Del mar eine Reihe ganz urkomischer Striche en ch, äs kleine Schelmerei ist es, wenn bon, dem Passas, der sich auf Friedrich den Großen benehr;. Keen Ste ihn, er nf un mit offenem Munde wie ein Kuischer', jwar der fene

und, aber nicht der. Kutscher stehen gelaffen wurde 33 Datscher war eine Majestätsbeleidigung. Für schlüpfrige unsittliche Slüde will ich damit ebensowenig wie früher eine an le. ge recen haben. Der preußische Zensor ist neuerdings auch in Stutigart und Hamburg aufgetaucht. In Hamburg berbot * man Die Teufelsmühler, die in Preußen unbeanstandet geblieben war. 2. Töeaterzenfur steht auf gleicher Linle wie die Buchzenfur; sie ist 3 Meklame für schlechte Stücke und eine Krücke für schicchte ler iteftorn; Will man die Theateriensur nicht aufheben, so ollte man wenigftens einen känstlerisch,literarischen Beirat einfähren.

Berlin, Donnerstag, den 11. Februar

Das wirksamste Gegenmittel gegen schlechte Theater sind gute Volks⸗ theater, wie das Schiller-⸗Theater und der Verein jur erbreitung von Volksbildung. Man spricht heute von der großen Idee einer nationalen Bühne mit einer deutschen Schauspielschule. Auf eine Unterstützung von seiten des Reichs ist wohl nicht zu rechnen. Das deutsche rg, n, sollte eingreifen und die sozlale Gesetzgebung auf die Schaufpielkunst ausdebnen; es wird damit auch der deutschen Kunst einen Dlenst erwelsen. Möge die Regierung unsere Resolution möglichst bald zur Ausführung bringen. . ;

Abg. Frank-⸗Rattbor (JZentr.): Der Kreis Ratibor ist bejüglich des Sprachenparagraphen unter eine Ausnghme gestellt worden. Ich möchte wiffen, weshalb das geschehen ist, obwohl nur in drei Gemeinden die Deutschen, in den anderen aber die Polen und Mähren die Mehrheit haben. Trotzdem ist der Kreis Ratibor nicht unter diejenigen aufgenommen worden, bei denen nach dem Gesetz der Gebrauch der polnischen Sprache gestattet sein soll. Warum werden die Mähren schlechler behandelt als die Litauer? Sind es gesunde Verhältniffe, und entspricht es der Gerechtigkeit, wenn man die Polen und Mähren zwingt, über die Grenze zu gehen und dort polnischen Versammlungen belzuwohnen? Es ist auch ein Irrtum, anzunehmen, daß die Leute einem deutschen Vortrage folgen können und sich nur aus Opposition und bösem Willen dagegen sträuben, Deutsch zu sprechen. Die Maßregelung der mährischen Bebölkerung ist auf ein unberechtigteg Mißtrauen zurückzuführen. Ich möchte den Staatesekretär dringend bitten, die Ausnahmestellung des Kreises Ratibor zu beseitigen: justitia fundamentum regnorum.

Abg. von Dirksen (Ry): Der Abg. Sachse hat behauptet, daß auf der Zeche Borussta allen Steigern gekündigt sei. Die Zechen verwaltung hat mitgeteilt, daß diese Behauptung jeder Unterlage entbehre. Bie welleren vier Fälle von Arheiterentlassungen, die der Abg. Sachse angeführt hat, verhalten sich auch ganz anders; es handelte fich bel diesen Fällen um Entlaffungen, die durchaus berechtigt waren, well es sich Unterbrechung der Arbeit handelte. Ein Mann von den vielen, die wiederholt gefeiert hatten, ist von der Zeche wieder angestellt worden. Ne Frage der schwarzen Listen kann im Wege der Gesetz= gebung nicht gelöst werden. Das Institut der schwarzen Listen sst an fich ein odioses und den Zechenverwaltungen gewiß auch nicht sympathisch. Man kann es nur bedauern, daß die rbeit⸗ geber hier nicht stärker vertreten sind. Sie würden dann nicht nur ihre Interessen vertreten, sondern auch der Wahrheit ju ihrem Rechte verhelfen. Die Abgg. Naumann und Kulergki haben Licht und Sonne doch nicht gleich verteilt. Wenn der Abg. Kulerski ge⸗ ment hat, daß die Zechenbesizer einen öfteren Wechsel ihrer Belegschaft vornehmen, so ist dag doch eine fast n n,. Behauptung, ebenso wenn er von Lohnsklaverei sprach. er Abg. Naumann schob die Schuld an den schwarzen Listen dem Umstande zu, daß die Arbelter nicht gewußt. hätten, was sie unterschrieben. Der . von Gamp hatte vollkommen recht, als er sagte, die Arbeitgeber sind bedrängt, nicht die Arbeitnehmer; denn der Arbeltgeber hängt in seiner ganzen wirtschaftlichen Existen; von dem Arbeiter ab. Die Oeffentlichkeit der schwarzen Listen hat der Staatssekretär als möglich beieichnet. An sich würde . wisses Odium dadurch von den Listen genommen werden. er anderseits würden . die Mitglieder der Zechenderwaltungen und die Beamten der Zechen auch körperlich Gefahren aussetzen, und es würde vorkommen, daß ganze Verwaltungen von den Arbeitern boylottiert werden. Eine volle Oeffentlichkeit wäre also nicht zweckmäßig. In meiner letzten Rede hatte ich die Bestimmungen des

echenderhandes über die dreimonatige Aussperrung nach einem Aus⸗ and als . bezeichnet. Mir ift aber von den Beteiligten gesagt, e

daß ich die Verhältnisse nicht ganz richtig beobachtet zu haben schlene. Unmittelbar nach Beendigung einer größeren Aus stands bewegung setze regelmäßig eine enorme uktuation ein,

die ihren Grund nich wechseln, Iondern auch in dem , . Gewissen der Ausständigen, die sich Bedrohungen und Belästigungen von nicht organisierten Arbeitern und von Beamten hätten zu schulden kommen lafsen. Dem entspränge die Sorge, daß die Betriebsberwaltungen diese Leute nicht wieder anlege. Die Sorge sei aber unberechtigt, denn es bestände der Wunsch, möglichst bald das, was durch den wochenlangen Ausstand versäumt sei, wieder einzuholen. Ein weiterer Grund für die drei⸗ monatige Aussperrung liege in der sozialdemokratischen sogenannten Taltik der beständigen Beunruhigung. HBeigelegte Streilg setzten nach einem bis zwei Mongten wieder ein; durch die beständige Beunruhigung seien allerdings die Arbeitgeber käufig mürbe geworden. Dieser Zu⸗ stand habe den Vorteil für die soztaldemokratlschen Kassen, daß geringere Unterstützungen gejahlt zu werden brauchten. Auch andere Betriebe hätten ähnliche Erfahrungen mit dieser Taktik der Sonaldemokraten gemacht, und deshalb sei die dreimonatige Aussperrung nötsg und angebracht. Ich bin gespannt, wie die sozial—= demokratischen latter diese ihre Taktik verteidigen, werden. Durch die Verfälschung von landwirtschaftlichen Dünge, und Futter⸗ mitteln werden die Abnehmer insgesamt um etwa 16 Millionen ge⸗ schädigt. Die Fälschungen werden in ganz engrmem Umfange bor genommen, und die bestehende Gesetzgehung reicht zu einem Schutze dagegen nicht aus. Vielleicht ist das Reichsamt des Innern in der Tage, von sich aus die Sache in die Hand zu nehmen, jedenfalls wãre der deutschen Landwirtschaft damit ein großer Dienst geleistet.

Staatssekretãr des Innern Dr. von Bethmann Hollweg: Meine Herren! Dem Herrn Abg. Frank eiwldere ich, daß ich die Anwendung, die die preußische Regierung dem § 12 des Vereins gesetzes auf den Krels Ratibor gegeben bat, soweit ich über die tat⸗ sächlichen Verhältnisse gegenwärtig informiert bin, nicht ohne weiteres

für unzutreffend ansehen kann. Ich werde mich indessen über diese

Frage mit der preußischen Regierung in Verbindung setzen.

Zu der Rede des Herrn Abg. Müller (Meiningen) habe ich fol⸗ gendes zu bemerken: Der Erlaß von Vorschriften über den Umfang der Befugnisse und Verpflichtungen sowie über den Geschäftzbetrieb der Stellenbermitiler für Bühnenangehörige ist Landessache. In Preußen ist eine entsprechende Verordnung erlaffen worden unter dem 31. Januar 1902; sie ist in dem Ministerialblatt Selte 66 ver⸗ öffentlicht worden. ;

Im übrigen bin ich schon infolge der bei der Beratung der letzten Gewerbeordnunganovelle angenommenen Resolution mit den Bundes reglerungen darüber in Verbindung getreten, ob und nach welchen Richtungen hin ein gesetzgeberisches Gingreifen hinsichtlich der Verhãltnisse der Theaterangestellten erforderlich erscheint. Ich warte die Antworten der Bundezregierungen ab, um auf ihrer Grundlage und auf der Grundlage der mir vom Bühnenvereln und von der Bühnengenossenschaft in relchem Umfang iugegangenen Materialien weitere Entschließungen ju treffen. Die Frage der Reformbedürftig⸗ keit der 8§5 32, 33 a und 33 b der Gewerbeordnung unterliegt berelts gegenwärtig der Beratung jwischen den betelligten Ressorts.

Ich nehme an, meine Herren, daß durch diese Mitteilungen auch dem Wunsche der konservatlben Partei, wie er sich in dem Antrage

um Kontraktbrüche und um längere

t nur in der Sucht babe, die Arbeit zu

1909.

Nr. 1174 augdrückt, Rechnung getragen worden ist, und ich möchte die gleiche Hoffnung auch bezüglich der Auzführungen des Herrn Abg. Müller (Meiningen) aussprechen, indem ich annehme, daß die Mit⸗ tellungen, die ich gemacht habe, ein Entgegenkommen auch gegenüber seinen Wünschen in sich schließen.

Bel dieser formalen Lage, in der sich die Sache befindet, will ich heute materlell auf die Reform des Theaterweseng nicht näher eingehen.

Abg. Wieland (fr. Volle); Meine politischen Freunde werden der Resolutlon, die die Verhältnizwahl in der Krankenversicherung fordert, zustimmen. Ich will anerkennen, daß, soweit mir bekannt, die Verwaltung und Ordnung in den Ortskrankenkassen im allgemeinen gut ist. Immerhin erschwert die vielfach borhandene sozigl⸗ bemokratischẽ JZweldrittelmehrheit im Verwaltungskörper vieler Kassen der Minderheit ihre Mitwirkung. Die Bestrebungen nach Parttät in der Verwaltung der Krankenkassen würden verschwinden, wenn die Sozialdemokraten den Grundsaß beherzigten; Leben und leben laffen. Schon heute muͤssen viele Arbeitgeber im Handwerk die Kassenbesträge allein tragen. Aber auch schon mit Rücksicht auf die außerhalb der sozialdemokratischen Organisation stehenden Ärbeiter follte die paritätische Verwaltung unter allen Umständen eingeführt werden. Die praktische Ausführung des Unfallhersicherungt⸗ gefetzis hat der Abg. Hoch in ungünstlgem Sinne besprochen. Bie Organe der Berufsgenossenschaften mit ihrer frelwilligen Selbsiverwaltung verdienen Dank für ihre ehrenamtliche Tätigkeit, die fich gut bewährt hat. Dle Interessen der Arbeiter kommen genügend zur Geltung, es sind daneben aber auch andere Intereffen, vor allem das des Staates wahrzunehmen. Den Handwerkern sollte man ihren oft ausgesprochenen Wunsch erfüllen, sie der Wohltaten der Versicherungsgesetze mehr und mehr tellhaftig werden zu lafsen. Die Bestimmungen über die Ansammlung der Reservefonds bel den Berufggenossenschaften sollten wieder geändert werden. Hinter diesen Klagen stehen die gesamten Arbeitgeber. Mit Befriedigung habe ich die Bereltwilligkeit des Staatssekretärs vernommen, dem Deutschen Handwerksblatt einen Reichszuschuß zu bewilligen. Hoffentlich finden auch die weiteren Wäünsche des kaufmännischen und gewerblichen Mlttelstandes, wie die Beseitigung der unlauteren Konkurrenz, Regelung der Gefängnigarbeit und des Submisstongwesent, bald Gr= siktung. Bie gewerbliche Son ntaggruhe soilie, selßsterftändssh von Notarbeiten abgesehen, voll durchgeführt werden. Für das Handels- gewerbe aber wird dies kaum möglich sein. Es wird sich empfehlen, es bei der Bestimmung zu belassen, wonach die Verkaufszett ort. statutarisch für vier Stunden festgesetzt werden kann. Von einem wirklichen Interesse der Handlungsgehllfen an dieser Frage kann hier nicht gesprochen werden, da die überwiegende Mehrzahl der in Betracht kommenden Handelsgeschäfte ohne Gehilfen arbeitet. Möchte der Mittelftand die Förderung finden, der er so dringend bedarf.

Abg. Graf von Kanitz (okons.): Die Ausführungen des Abg. Kaempf von gestern und seine Kritik meiner neuerlichen Aeußerungen nötigen mich, zum zweiten Male das Wort zu ergreifen. Mit seinen Be⸗ merkungen über den portugiesischen Handelzvertrag bin ich ein verstanden. Der Abg. Kaempf hat sich aber auch gestern wieder als ein erbitterter Gegner unserer ganzen Zolltarifpolitik hingestellt. Er schob ihr die Verteuerung aller Lebensmittel und Bedarft. gegenstände zu. Ich bedauere auch, daß Schuhe und Stiefel soviel teurer geworden sind, aber das liegt nicht an der Verteuerung der Rohstoffe, der Häute, sondern daran, daß die ganze Fabrikation in ihren verschledenen Zwischenstadien viel kostspieliger geworden ist, nicht die Rohstoffe, die find billiger geworden. Für die Verteuerung kann der Abg. Kaempf also nicht, unseren Zolltarif ver⸗ antwortlich machen. Die Wolle ist so billig geworden, daß unsere Schafzucht ruintert ist; trotzdem sind die Klelder teuerer geworden. Die Verteuerung des Brotes, das habe ich bereits im Dezember nachgewiesen, ist nach einem Artikel des Vorwärts“ auf die Privat. bäckereien zurückzuführen, die es in Berlin um 50 oo teuerer ver= kaufen, als die stadtische Bäckerei es herstellt. Daran ist alfo doch auch der Zolltarif nicht schuld. Man spricht so viel von der Verteuerung der ganzen Lebenshaltung; waß am meiften verteuert worden ist, sind die Wohnungen, die Mietpreise. Jetzt, wo die Wohnungsgeldzuschüße erhöht werden sollen, erleben wir es, daß jetzt schon die Hausbesitzer diese Erhöhung für sich in Anspruch nehmen und welter steigern. Ber Abg. Kaempf hat gemeint: die Achillesferse unserer Zoll- polltik sei, daß wir wehrlos sind, wenn die anderen Länder

unsere 3 gegen uns anwenden. Die Sache liegt umgekehrt; 5

andere Länder haben die Initiative ergriffen, nicht wir. Der Abg. Kaempf hätte doch an den Macinley⸗ und den Dingley⸗Tarif der Union denken sollen, die scheint er aber gar nicht zu kennen. In Frankreich wurden zu derselben Zeit, wo wir unsere Getreidezölle er⸗ mäßigten, 189192, diese ganz erheblich heraufgesetzt; auch die Vieh- jölle sind in Frankreich viel höher als bei ung. Außerdem wissen wir, daß in Frankreich sehr beträchtliche weitere Zollerhöhungen in Aussicht flehen. Der Abg. Kaempf führt an, daß in der Begründung für diese auf Deutschland als den ersten Urheber dieser Maß— regeln hingewiesen wird; der Abg. Kaempf sollte doch wissen, daß dle Franzosen sich damit nur ein Mäntelchen umhängen, sie haben ein schlechtes Gewissen in dieser Beziehung. In der Schweiz wird das Getreide monopol ganz bestimmt eingeführt werden. England wird jedenfalls

mit der Jeit zum Schutzzollsystem übergehen, das hat der Abg. Kaempf

selbst zugegeben. Wenn wir nun in einer Zeit, wo alle anderen Länder die Zölle erhöhen, sie herabsetzen oder aufheben wollen, so würde das don geradezu verheerender Wirkung fein, namentlich auch i unsere Industrie. Der Abg. Kaempf hat auf manche traurigen Er= chrinungen der Syndikate hingewiesen, so auf die Verabredung, keine Schiffe im Inlande mehr ju reparieren, die im Auslande ebaut waren. Da hat der Abg. Taempf nur wiederholt, wa ich 9 früher ausgeführt hatte. Was aber die Resolution Becker⸗ Arnsberg betrifft, wonach Einfuhrscheine für Roheisen ein⸗ eführt werden sollen, so muß auch der Abg. Kaempf sich vor- en koͤnnen, daß, wenn ein so großes Quantum Rohessen, . Milllonen Tonnen, zollfrei eingeführt wird, dies auf, unsere anse Roheiseninduftrie von geradeju ruinöser Wirkung sein muß. . Abg. Stresemann hat mir nachgesagt, ich hätte die Resolution salsch verstanden, well eg sich um zollfreie Einfuhr des Roheiseng für die reinen Walzwerke handle. Ich habe aber leineswegg falsch verstanden; gestattet man einem Werke die zollfreie Einfuhr, so muß man allen Werken diefelbe Lizenz gewähren. Ich erkläre daher, die Ausführungen des Abg. Kaempf können mich nicht bewegen, in dieser Frage einen anderen Standpunkt einzunehmen. Der Abg Kaempf hat auch die Einfuhr⸗ scheine für Getreide erörtert; er meint, unsere Zolllasse werde daburch geschödigt. Allsährlich wird ein sehr viel größeres Quantum Getresde eingeführt als ausgeführt; so wiel im Often ausgeführt wird, muß im Westen mehr eingeführt werden. Von einer Schädigung der Reichskasse kann also nicht gesprochen werden. In den ö Jahren ist durchschnitt⸗ lich das zehnfache Quantum des ausgeführten Getreides eingeführt

worden. Wenn 1968 ein größeres Quantum als vorher ausgeführt.

ein geringeres eingeführt wurde, so liegt das daran, daß die letzte Ernte in Deutschland zi n al gut war; aber . hier . die Einfuhr 56, die Ausfuhr nur 14 Mill. Tonnen. Diese stärkere Ausfuhr ist auch zu erklären Lurch die Mißernte in Rußland. Daß auch andere Artikel als Getreide auf diese Ginfuhrschelne eingehen können, läßt sich doch nicht augnützen, um gegen die Regierung Vor.