1883 / 47 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 23 Feb 1883 18:00:01 GMT) scan diff

dings schwerwiegend, aber an dem Fehler leide auch der Reichskanzler. Derselbe erkenne nicht die Bedeutung und Aufgabe der Kirche! Nun sage der Abg Wagner, die akademische Jugend werde in kräftigerer Weise als jetzt in ihren späteren Aemtern für die Staatsidee ein⸗ treten. Trete die Jugend mit dem Gedanken in ihren Beruf, daß der Staat Alles könne, dann werde sie verderben. Nach den Ausführungen des Abg. Wagner hänge Alles vom Staate ab, derselbe regulire Alles und das Einzelrecht ver⸗ schwinde. Diese seine Staatsidee sei ja nicht einmal neu, denn er meine, nirgends sei die Staatsidee in dieser entarte⸗ ten Weise so ausgedehnt, wie in Preußen. Er hoffe, daß sich bald eine heilsame Reaktion gegen diese excessive An⸗ schauung unter den Jünglingen selbst zeigen werde. Zum Glück hätten nicht alle Professoren dieselben Anschauun— gen, er glaube dies wenigstens von Schmoller, Roscher oder Rau nicht. Er komme auf die Reso⸗ lution zurück; er sei des altfränkischen Glaubens, daß eine Steuerreform aus der Initiative nicht skizzirt, noch viel weniger von vorneherein redigirt werden könne aus einer gesetzgebenden Körperschaft. Die Regierung müsse einen Ent— wurf vorlegen, und nachher könne man denselben redigiren; nur eine derartige Aufforderung dürfe man erlassen, und darin allerdings alle beachtenswerthen Punkte bezeichnen. Alles zu präzeptive Vorschreiben müsse man unterlassen. Keines⸗ wegs seien in der gegenwärtigen Resolution alle Punkte er— schöpft, die Quotisirung sei dadurch nicht beseitigt, im Gegen⸗ theil auch seine Partei wünsche sie. Durch eine Aenderung der Resolution aber würde man den nach den gestrigen Er⸗ klärungen vom Ministertische zu erwartenden Erfolg nur ab— schwächen. Der Abg. Wagner bemängele die Ablehnung des Hammersteinschen Antrages und lege demselben politische Tendenzen unter. Das habe er gestern nicht gewußt, aber nicht anders sei der Apell an die Massen aufzufassen. Ob dieser Apell richtig gewesen sei, besonders wenn man die Mittel zur Befriedigung der Bedürfnisse der Massen nicht erreicht habe, wisse er nicht. Der Abg. Wagner glaube sich mit dem Kaisermantel und dem Fürsten Bismarck decken zu können. Zu seinem Bedauern habe der Abg. Wagner dies mit Zustimmung der Konservativen gethan, oder wenn nicht, so wünsche er eine bestimmte Erklärung darüber. Solcher Apell finde einen lebhaften Wiederhall im Volke, denn die Noth sei ungeheuer. Man dürfe aber nicht fort und fort in die Wunde brennen, wenn man keinen Balsam habe. Der Abg. Wagner wolle diesen Balsam im Tabackmonopol finden die Tabacklauge sei doch sehr scharf. Vergesse denn der Abg. Wagner, daß durch das Monopol gerade eine blühende Industrie vernichtet worden wäre, daß bis in die kleinsten Hütten hinein die unf nn von Cigarren ge— trieben werde, um die nöthigen Mittel für die Steuern zu gewinnen? Tausende von Existenzen würden vernichtet werden, Alles solle in den Staatssäckel fließen. Gexade deshalb habe seine Partei das Monopol abgelehnt. Er wänsche, daß der Abg.

Wagner einmal das Katheder verlasse und mit ihm nach Han⸗ nover gehe, um sich den Umfang der Tabackindustrie anzu⸗ sehen. Auch die Händler vom größten bis zum kleinsten wür—⸗ den brodlos sein, und glaube denn der Abg. Wagner, daß der Tabackbau für die Grundbesitzer in demselben Umfange werde be⸗ stehen bleiben wie jetzt? Auf das Patrimonium ber Enterbten brauche der Abg. Wagner nicht hinzuweisen, wenn derselbe

kein Legat für sie in der Tasche habe. Der Abg. Wagner habe auf die Börse hingewiesen; auch er wolle ein Börsengesetz, um die Auswüchse an dem Institut zu beschneiden und dasselbe besteuern zu können. Eine höhere Besteuerung der Gewinne an der Börse sei ein Postulat, welches das deutsche Volk niemals aufgeben werde. Er sei auf die Ausführungen des Abg. Wagner nicht vorbereitet gewesen, bedaure daher, daß er nicht ausführlicher demselben habe antworten können, er thue dies vielleicht ein ander Mal, jetzt aber rufe er dem Abg. Wagner zu: „Für heute keine Feindschaft nicht!“

Der Abg. Dr. Wagner entgegnete, er danke dem Abg. Windthorst für seine freundlichen Schlußworte und mache dem⸗ selben das Kompliment, daß der Abg. Windthorst nicht nur an Jahren, sondern auch an Fähigkeiten ihn um 50 Proz. voraus sei, da derselbe auch unvorbereitet in solcher Weise seinen Mann stehe, wie derselbe ja auch am Montag seinen (des Redners) leicht wiegenden Gegnern seine gewichtige Unter⸗ stützung geliehen habe. Er habe dem Abg. Windthorsi auch seines Alters wegen nicht Mangel an Verständniß der Jüngeren vorwerfen wollen, sondern er wünsche nur, alle Andern möchten, wenn sie so betagt seien, wie der Abg. Windthorst, auch dessen Rüstigkeit besitzen. Man sage, er dürfe sich nicht auf die Kaiserliche Botschaft berufen; aber, ob kontrasignirt, oder nicht, diese Botschaft sei feierlich bekannt gemacht, in allen Theilen der Monarchie öffentlich angeschlagen, also dürfe er sie hier auch citiren. An diese Botschaft knüpfe sich eine neue Aera der wirthschaftlichen Ent⸗ wicklung, und, da doch einmal die studirende Jugend erwähnt sei, auch sie habe seit dem Erlaß der Botschaft eine neue Seite ihres Lebens zur Entwicklung gebracht, was sich an den deutschen Vereinen zeige, die, weit entfernt, nur antisemi⸗ tische Tendenzen zu verfolgen, ein nationales Leben der Stu⸗ direnden inaugurirten, und ihr Programm sei die Kaiser—⸗ liche Botschaft. Der Abg. Windthorst habe ihm vor— geworfen, er hätte die Bedeutung der Kirche für die Lösung der sozialen Frage unterschätzt; die Wahl der von ihm vorher verlesenen Stellen aber zeige, daß er (Redner) ein Zusammenwirken von Staat und Kirche zu diesem Zweck für nöthig halte; ohne den Staat aber vermöge die Kirche nichts, speziell auf dem Gebiet der Finanzpolitik, um das es sich jetzt handle. Daß die katholische Kirche viel für die Ausgleichung von Arm und Reich gelhan habe, er⸗ kenne er an, wie dies ja auch die geringe Ausbreitung der Sozialdemokratie in katholischen Ländern zeige; auf diesem Gebiet sei ihr die protestantische Kirche gefolgt, und von seinem Standpunkt aus müßte der Abg. Windthorst es um so mehr anerkennen, daß die deutsche Gesetzgebung sich ohne Scheidung zwischen Katholizismus und Protestantismus auf den chrisllichen Boden stelle. Das Tabackmonopol verletze freilich nach den thatsächlich unrichtigen Anklagen der Fort⸗ schrittspartei die Interessen der Arbeiter; aber nach den Er⸗ mittelungen der Regierungen würde es von den ca. 100 000 bestehenden Tabackgeschäften nicht 20 009, sondern 80 bis 90 O60 intakt lassen. Die Taback⸗Hausindustrie sei außer⸗ ordentlich schlecht bezahlt und müsse schon deshalb abgeschafft werden. Was aber die Benachtheiligung des Tabackbaues durch das Monopol angehe, so habe das Land, das glücklicher Weise wieder deutsch geworden sei, wenn es auch in Neu⸗ breisach keine Unteroffiziervorschule erhalte, und in welchem der bedeutendste Tabackbau bestehe, gerade die Anregung zum

Monopol gegeben, weil die dortigen Tabackbauer unter dem französischen Regiebetrieb besser situirt gewesen seien, als jetzt, wo sie vom Zwischenhandel ausgesogen, dem Schacher und Wucher in die Hände fielen. Das Elsaß sei ein klassischer Zeuge für das Monopol. Freilich, die Interessen der Händler würden dadurch verletzt, aber dies Interesse müsse dem des Staates nachstehen. (Sehr richtig! rechts) Er freue sich, daß der Abg. Windthorst nicht auch die Tabackpreise anführe . . . . (Wiederholte Rufe: Zur Sache! Präsident von Köller forderte den Redner auf, von dem ihm schon in hohem Grade gelassenen Spielraum zur Besprechung des Monopols keinen zu ausgedehnten Gebrauch zu machen. Nachdem der Abg. Windthorst diese Spezialität des Tabackmonopols in die Debatte geworfen habe, sei er bei der Sache, wenn er darauf erwidere. Alse die Preise der besseren Eigarren und Tabacksorten . . . (Wiederholte stür⸗ mische Rufe: Zur Sache! Steigender Lärm, der die laute Stimme des Redners schließlich übertönte. Zum Schluß noch die Bemer⸗ kung, daß er sich wohl in Einzelheiten von seiner Fraktion unter⸗ scheide, daß er aber im Wesentlichen auf dem Boden der Kaiserlichen Botschaft stehe Noth und Elend nicht aus der Welt schaffen könne, denn das sei unmöglich, aber nach Kräften lindern wolle, und darin habe er die konservative Partei hinter sich, denn sie bestehe aus dem Kern des preußischen Großgrundbesitzes, der immer gefolgt sei, wo die Hohenzollern⸗ herrscher mit der Fahne vorangegangen seien.

Der Abg. Büchtemann bemerkte, der Beruf des König⸗ thums sei in Preußen vor Allem gewesen, die unteren Klassen gegen die Uebermacht des Adels sicher zu stellen. Die heutige konservative Partei nehme es erfolglos für sich in Anspruch, sich an die Spitze der sozialen Bewegung zu stellen. Wer stimme nicht dem Ruf des Abg. Wagner bei, mitzuwirken, daß Noth und Elend gemildert werde, wozu die Kaiser⸗ liche Botschaft aufrufe? Welches Mittel aber wolle der Abg. Wagner anwenden. Derselbe nehme auf der einen Seite, um es auf der anderen zu geben. Das sei nicht die Art des preußischen Königthums. Der Abg. Wagner habe die erlaubte Grenze der Kritik der Reichstagsverhandlungen weit überschritten, als derselbe die Zeit bemängelt habe, die der Reichstag auf den Militäretat verwandt habe. Die Forde⸗ rung von Ersparnissen bei Kasernenbauten durch Wegfall der Offizierskasinos, bei militärischen Kirchen, die von der Fort⸗ schrittspartei erhoben seien, seien keine Angriffe auf das deutsche Heer, sondern seien Forderungen, die im Interesse der Armee und des Reiches lägen. Auch seine Partei wolle Noth und Elend mindern, aber so wie es der Abg. Wagner wolle, wolle es selbst die Kaiserliche Bot⸗ schaft nicht. Seine Partei wolle nicht nehmen, um zu geben. Eine Kritik des Reichstags müsse doch ihre Grenzen haben, die soeben gehörte sei eine Anmaßung gewesen. (Rufe rechts: Zur Ordnung; große Unruhe.) Mit der Kritik des Militär⸗ etats im Reichstage habe seine Partei geglaubt mehr soziale Erfolge zu erreichen, als der Abg. Wagner mit seinen unklaren Plänen. Was derselbe dem Hause vorgetragen habe, sei nicht Wissenschaft, sondern der Fanatismus eines gährenden sozialen Geistes, der sich erst hören lassen sollte, wenn derselbe zu wissenschaftlichen Resultaten gekommen sei. Die jungen Männer, die für die deutsche Einheit eingetreten seien, seien doch wohl aus der alten Schule gewesen. Zwischen der Kaiserlichen Botschaft und den Anschauungen Wagners lägen so große Unterschiede, daß ein Königthum von Gottes , sich wohl für erstere, nicht aber für letztere entscheiden önne.

Der Abg. Hobrecht bemerkte, der Antrag auf Quotisirung sei schon in der Kommission abgelehnt und er, als Vorsitzen⸗ der, habe sich dabei mit seinen Freunden in der Minorität befunden. Sachlich sei er auch heute noch mit dessen Inhalt einverstanden. Die Vertreter desselben in der Kommission seien überhaupt gegen eine Resolution gewesen, da eine solche nur Werth habe, wenn die Staatsregierung sich mit ihrem Inhalte einverstanden erkläre. Er theile diese Ansicht nicht, aber er nehme an, daß, nachdem gestern der Finanz-Minister den Resolutionen eine über das tolerari posse hinausgehende Zustimmung ertheilt habe, die Herren sich vielleicht freundlicher zu ihnen stellen würden. Denn nach Absicht der Kommission sollten die Resolutionen keines⸗ wegs feste Normen für eine neue Steuergesetzgebung hin⸗ stellen, sondern klar machen, daß das Abgeordnetenhaus eine weitere Abbröckelung und Zerstörung der direkten Steuern nicht wolle, aber an einer Reform zum Zwecke ihrer Erhaltung mitzuwirken bereit sei. Daher die absichtliche allgemeine Fassung ihrer Sätze, die den Grundsätzen der Liberalen entsprächen, aber ihre nicht genügende Klarheit sollte Niemand abhalten, für sie zu stimmen und damit für Erhaltung der direkten Personal⸗ steuern Zeugniß abzulegen. Nachdem die Staatsregierung sich jetzt ebenfalls unzweideutig für dieselbe erklärt habe, habe die Resolution zwar an Bedeutung verloren, aber abzulehnen sei sie deshalb nicht. Mit der Quotisirung an sich sei er einver⸗ standen, halte es aber nicht für richtig, diese Frage jetzt hier im Plenum nochmals zur Abstimmung zu stellen und durch ihre Ablehnung den falschen Schein zu erzeugen, als seien die Gegner der betreffenden Resolution auch sachliche Gegner der Quotisirung. Vielmehr werde er mit voler Energie Sorge tragen sür die Einführung eines beweglichen Faktors in dem Etat, sobald die Vorlage hier zur Berathung komme. Zur Zeit halte er es für richtiger, einen solchen Antrag in diesem Augenblick nicht aufzunehmen und das Zustandekommen der ganzen Resolution nicht zu gefährden, er bitte, gegen den An— trag auf Quotisirung zu stimmen. .

Der Abg. Rickert erklärte sich gegen jede Reolution. Die⸗ selbe sei ein Monolog des Parlaments, der um so bedenklicher sei, je mehr derselbe in Details zu gehen versuche, und doch dabei nichts anders leisten könne, als allgemeine Ausdrücke, die jeder anders verstehe. Die Resolution verspreche nach Außen hin, was sie nicht halten könne. Für die Deklaration im Prinzip seien viele, aber die Ausführung dabei sei die Hauptsache. Man sehe, zu welchen Erörterungen eine so un⸗ klare Resolution Anlaß gebe. Praktische Folgen haben selten eine Resolution gehabt. Was die Ausführungen Wagners betreffe, so müsse er erklären, daß er für sie keinerlei Interesse habe, wenn sie nur der Ausfluß der persönlichen Empfin⸗ dungen des Abg. Wagner seien. Nur die Annahme, von der er, bevor der Abg. von Rauchhaupt nicht etwas Anderes gesagt habe, noch ausgehen müsse, daß der Abg. Wagner als Führer der Konser⸗ vativen und Namens derselben gesprochen, zwinge ihn, nochmals den Standpunkt Wagners zu markiren. Die Aeußerungen desselben über den Reichstag habe der Abg. Büchtemann bereits ge⸗ zeichnet. Es sei doch eigenthümlich, daß ein Mann, der erst ein Paar Wochen hier. im Hause noch nicht warm geworden und in parlamentarischen Verhandlungen, wie man gesehen, wenig

Praxis habe, gegenüber der höchsten parlamentarischen Körper⸗ schaft eine derartige Kritik übe. Bis jetzt sei es demselben nicht gelungen, in den Reichstag zu kommen, er wünsche aller⸗ dings, der Abg. Wagner käme hinein, derselbe wäre dann bald bei Bebel angelangt, nur daß es der Abg. Bebel besser machen würde, als der Abg. Wagner. Was derselbe gesagt habe, sei doch Kommunismus. Glücklicherweise hätten seine Lehren keinen so großen Einfluß. Wenn die jungen Leute in die Praxis kommen, so werden sie bald ruhige Bureaukraten und haben die sozialen Lehren bald vergessen. Auf das Taback⸗ monopol wolle er nicht weiter eingehen, da die Lorbeeren des Abg. Wagner auf diesem Gebiete ihn nicht reizen können. Der Ausfall gegen die besitzenden Klassen, gegen die Kapi⸗ talisten sei doch nur Wahlrede gewesen. Die Rechte könnte sich als Anwalt der Massen wohl ausgeben, aber wie die Ar⸗ beiter mit ihren Rezepten, mehr Polizei und mehr Steuern, fahren würden, darüber sei er nicht im Zweifel. Und solle denn nicht die Grundsteuer aufgehoben werden, die doch nur für den reichen, für den Großgrundbesitz von Wichtigkeit sei? Protestiren müsse er noch gegen die Deckung, deren sich der Abg. Wagner bediene, wenn derselbe sich auf die Kaiserliche Botschaft beziehe für seine sozialistisch⸗Fkommunistische Tendenzen. Auch seine Partei stehe auf dem Boden der Kaiserlichen Bot⸗ schaft, es komme nur darauf an, wie man sie verstehe. Es zeige von wenig Bewußtsein der Verantwortlichkeit eines Volkevertreters, wenn man die schwierigsten Probleme des Staats und der Gesellschaft mit einer derartigen spielenden Leichtigkeit behandele. Der Abg. Wagner habe gesagt: mit Phrasen würden die großen Aufgaben der Sozialpolitik nicht gelöst. Die Rede des Abg. Wagner habe allerdings in treffen⸗ der Weise dem Hause zum Bewußtsein gebracht, daß mit der⸗ ,. inhaltslosen Phrasen solche Fragen nicht gelöst werden nnten.

Der Abg. von Rauchhaupt erklärte, gegenüber den An griffen, welche von der Linken gegen den Abg. Wagner er⸗ hoben seien, glaube er, die Gesammtanschauung seiner Partei aussprechen zu müssen. Der Abg. Wagner habe die großen Grundprinzipien vorgetragen, in denen derselbe glaube, mit den Konservativen gemeinsam zu stehen. Derselbe habe gesagt, daß die konservative Partei von dem Glauben geleitet werde, daß nur die preußische Krone die Macht habe, in der sozialen Frage das Pendel so zu halten, wie die Parteien es nicht könnten. Der⸗ selbe habe ferner im Gegensatz zu dem Abg. Windthorst aus⸗ gesprochen, daß sich nicht durch die Kirche allein, sondern durch den Staat mit Hülfe der Kirche die soziale Frage lösen lasse. Das sei doch ein Unterschied gegen die Auslassungen der Herren von der Linken. Die Abgg. Büchtemann und Rickert behaupteten auch auf dem Boden der Kaiserlichen Botschaft zu stehen, welche die Anregung zur sozial-politischen Gesetzgebung gegeben habe. Er glaube, daß die Kaiserliche Botschaft bereits einen Schritt vorwärts gethan habe in der Bahn zur Lösung der sozialen Frage. Wenn der Abg. Büchtemann hervor⸗ gehoben habe, daß das Königthum die Macht des Adels ge⸗ brochen habe, so stimme er demselben darin bei. Seine Partei danke der Krone dafür, daß sie dies gethan habe, er glaube aber auch, daß die Krone die Macht habe, den Druck zu brechen, welcher jetzt auf den unteren Volksschichten laste. Das sei der Unterschied zwischen dem Abg. Wagner und den Kon⸗ servativen. Er mache keine großen Redensarten... (Ge⸗ lächter links, Zuruf: neue Steuern) Man werde ja sehen, ob man im Lande nicht verstehen werde, daß seine Partei schon jetzt eine höhere Besteuerung der wohl⸗ habenden Klassen für möglich halte. Die Kaiserliche Bot⸗ schaft habe den Anstoß gegeben zur sozialpolitischen Gesetz⸗ gebung auf genossenschaftlicher und korporativer Basis. Dieses Prinzip habe seine Partei immer vertreten, während unter der manchesterlichen Theorie Alles zusammengebrochen sei. Vor fünf Jahren noch habe die Linke ähnliche Anschauungen gehabt, jetzt aber unter dem Schutz des Sozialistengesetzes glaube die Linke ihre Auffassung wieder ändern zu können. Seine Partei habe Alles gethan, um das christliche Bewußt— sein im Volke wieder zu heben, warum sollte also eine Partei,

die auf dem Boden des christlichen Gedankens stehe, die Kon⸗

servativen nicht dabei unterstützen? Seine Partei habe die ganze Mißgunst der antisemitischen Bewegung auf sich ge⸗ nommen, weil sie nur durch Weckung des christlichen Bewußt⸗ seins den ethischen Grund zur Lösung der sozialen . legen zu können glaube. Ohne die Kirche könne die Frage nicht gelöst werden. Das Volk wisse längst zwischen sozialer Politik und Sozialdemokratie zu unterscheiden, deshalb habe das Volk die Konservativen in so großer Menge hierhergeschickt. Die Aeußerung des Abg. Wagner, daß da, wo zu viel angehäuft sei, weggenommen werden solle, sei einfach mißverstanden worden; an Unklarheit litten die Reden des Prof. Wagner nicht; wohl aber bäume sich die Linke jedesmal auf, weil die Reden ebenso scharf und klar seien und so wehe thäten. Die Kritik der Reichstags⸗ verhandlungen könne hier Niemandem verschränkt werden. Die Angriffe gegen den Militäretat seien ja recht schwach gewesen, aber die Presse der Liberalen habe doch gezeigt, wohin man mit der „offenen Wunde“ des Militäretats beim Volke hinaus wolle. Die Rechte habe den festen Glauben, daß nur das Königthum der Hohenzollern unter dem schwarz-⸗weißen Banner . in, srus⸗ zu lösen im Stande sei und zwar mit Hülfe er Kirche!

Der Abg. Dr. Hänel bedauerte, daß die Frage des Ver⸗ hältnisses des Prof. Wagner zur konservativen Partei nicht beantwortet worden sei. Das a a Programm der Konser⸗ vativen, wie es in den letzten Sätzen des Vorredners liege, sei rein formal und schweige sich über das Wie vollständig aus. Heute handle es sich ubrigens gar nicht mehr um das preußische Königthum auf sozialem Gebiete; wie aber hänge denn in aller Welt dieser Satz mit den Doktrinen des Abg. Wagner zusammen? Wer leugne zweitens, daß die Kirche mit bei der Lösung der sozialen Frage zugegen sein müsse? Das solle die Konservativen von den anderen Parteien unter⸗ scheiden? Der Kernpunkt der Ausführungen des Prof. Wagner, die absolute Omnipotenz des Staates, sei vom Vor⸗ redner gar nicht n g So weit gehe selbst nicht der Kom⸗ munismus, daß derselbe da etwas nehme, wo er nichts finde, bis an diese Grenze wolle aber der Pro⸗ fessor Wagner gehen; derselbe wolle die Vermögens⸗ größen von Staatswegen normiren, einen Ausgleich an Vermögen schaffen. Das sei für Abg. von Rauchhaupt nur der Ausgleich der Steuerfähigkeit. Die Annäherung des Abg. von Rauchhaupt an das Centrum habe derselbe mit der Bemerkung begleitet, daß die konservative Partei das Odium des Antisemitismus auf sich genommen habe. Aber diese Bewegung sei doch eine durch und durch unchristliche gewesen, wie namentlich die höhere katholische

Geistlichkeit anerkannt habe, deren Haltung in dieser Frage ganz musterhaft gewesen sei. Das Austreten des Abg. Wagner zeuge von einer Leidenschaftlichkeit, die das Maß des Erlaubten überschreite, vor Parteiverblendung könne der Abg. Wagner die nächsten Dinge nicht mehr unterscheiden, wenn derselbe aus der Detailkritik des Militäretats schon französische In⸗ vasion hervorgehen sehe. Allerdings müsse das fortgesetzte Tragen der Kriegsrüstung die europäischen Völker zerreiben! Wenn der Abg. Wagner für den Luxus beim Militär, für die Absonderung des Offiziercorps eintrete, wenn derselbe das Staatsbewußtsein nenne, dann werde derselbe allerding zu einer gefährlichen Figur! Wenn der Abg. Wagner meine, dadurch das Staatsbewußt⸗ sein der Jugend wecken zu können, daß derselbe jene leider heutzutage die deutsch- Wissenschaft beschämende Methode, welche nicht verstehe, Politik und objektive Erörterungen zu scheiden, mehr und mehr verbreite, so halte er das allerdings für eine schwere Gefahr. Sowohl in der Geschichtsschreibung, als auch in der Staats- und Rechtslehre habe jene Methode, wissenschaftliche Expositionen mit Wahlreden zu vermischen, zum Verderb der deutschen Wissenschaft und der Politik nur zu sehr überhand genommen. Der wahre Staatageist, der Geist, der der deuischen Jugend eingepflanzt werden sollte, der solle sich stützen auf die Tradition und Geschichte des preußi⸗ schen und deutschen Volkes. Nur wenn der deutschen Jugend eine objektive Wissenschaft gelehrt werde, welche jene frische und herzliche Begeisterung wecke, die sich in jenem Alter noch ohne Parteiunterschiede Bahn brechen sollte, nur dann werde die Zukunft des deutschen Vaterlandes gesichert sein. Aber die künstliche Einrichtung eines gefälschten Staatsgeistes, das sei eine schwere Gefahr für den wahren Staatsgeist, für das deutsche Vaterland überhaupt.

Der Abg. Stöcker entgegnete, wenn der Abg. Hänel von dem, was der Führer der konservativen Partei gesagt habe, enttäuscht sei, so liege das nur darin, daß derselbe zu viel erwartet habe, mehr als derselbe zu erwarten berechtigt sei. Er verstehe nicht, wie die Linke fordern könne, die konservative Fraktion solle Rechenschaft sür alles geben, was ein einzelnes Fraktions— mitglied gesagt habe. In seiner (es Redners) Partei bestehe nicht die Tyrannei und Sklaverei, wie bei der Linken; wenn in seiner Partei einmal Jemand anderer Meinung sei, so führe das nicht gleich zu Konflikten, unter denen die Fraktion auszeinanderfalle; die Konservatiwven seien hier viel liberaler als die Liberalen, die Konservativen könnten viel mehr Verschiedenheit des Geistes, der Auffassung vertragen. Wider⸗ lege die Linke doch den Abg. Wagner sachlich; bespreche sie sich doch über die Fragen mit dem Abg. Wagner, deren Be⸗ handlung die Linke bei demselben bemängele. Die Linke drehe sich nur um Formalien und bekümmere sich gar nicht um Wesen und Nothwendigkeit der sozialen Reform. Der Abg. Hänel habe heute gesagt, die Kaiserliche Botschaft habe gute Zielpunkte, im Reichstag habe er aber kürzlich von dessen Parteigenossen Richter gehört, die Botschaft enthalte unklare Gedanken. (Abg. Richter (Hagen) ruft: „Das ist nicht wahr! Sie sprechen wieder einmal die Unwahrheit!“ Großer Lärm und Rufe „zur Ordnung!“ rechts) Wenn er den Abg. Richter nun auffordern würde, einmal diese Differenz in seinen Anschauungen hier vor dem Landtag auseinander zu setzen, würde derselbe das thun? Er glaube, der Abg. Richter würde sich hüten. Die Differenz zwischen seinem Freund Wagner und einzelnen Konser vativen habe lange die Tragweite nicht, als das, was die Linke von einander irenne. Der Abg. Hänel habe also der Kaiserbot⸗ schaft Zielpunkte zugestanden, aber gesagt, sie enthalte die Mittel nicht. Die Botschaft führe doch aber die Sicherung der Existenz der Arbeiter als Mittel zum Ziel an; sie wolle korporative Genossenschaften als Fundamente eines christlichen Volkslebens. Daß eine Kaiserliche Botschaft natürlich in monu⸗ mentalen Sätzen und nicht wie eine Parlamentsrede abgefaßt werde, verstehe sich von selbst. Der Abg. Hänel habe das „soziale Königthum“ bemängelt, dann möge der Abg. Hänel es doch soziales Kaiserthum nennen; nur im Reich und nicht

in Preußen allein könne und wolle seine Partei die soziale

Frage regeln; aber allerdings von den preußischen Königen gelte wie stets in der Geschichte, so auch besonders in der Sozialpolitik das Wort: „Tovjours en vedette!! Auf der Linken habe man auch gesagt, daß das Christenthum für die soziale Frage eine Macht sei. Habe man aber nicht aus der Fortschrittspartei gehört, das Christenthum habe keine er⸗ ziehende Kraft? (Ruf links: Wer hat das gesagt und wann ?) Der Abg. Virchow habe es in jener bekannten De— batte gesagt. Der Abg. Hänel habe auch bemängelt, daß der Abg. Wagner gesagt habe, man solle den Reichen durch erhöhte Steuern nehmen, was man den Armen geben wolle. Derselbe habe doch aber auch gesagt, daß die Konservativen zu Opfern bereit seien. Eine Gewaltthätigkeit des Staates sei das nicht, sondern eine gesunde Steuerpolitik, welche ver⸗ hindern solle, daß der Reichthum Einzelner ins Unermeßliche wachse, und dadurch soziale Gefahren vergrößert würden, deren Beseitigung für Deutschland für Gegenwart und Zukunft das größte Problem sei. Nicht zum Geringsten habe die antisemi⸗ tische Bewegung ihren Grund darin, daß auf Seite der Se⸗ miten das Ansammeln von Reichthümern als Geschäft und oft nicht mit den besten Mitteln und zur besten Verwendung betrieben werde. Dies und das jüdische Bestreben, sich die Presse zum Eigenthum zu machen, sowie das christliche Volks⸗ leben, welches auch der Abg. Hänel als nothwendig anerkenne, zu untergraben, seien die Gründe des . Man thue immer, als ob Staat und Kirche in unüberbrückbarem Gegensatz sänden. Die soziale Frage könne weder allein durch den Staat, noch, wie der Abg. Windthorst wolle, allein durch die Kirche gelöst werden. Kirchenomnspotenz sei kein . besser als Staatsomnipotenz. Staat und Kirche müßten sich vielmehr in freundliche Beziehung zu einander stellen, nicht in der Art, sie sich nur ihre Besitzstände garantirten, sondern die christlichen Ideen der Gerechtigkeit, Wahrheit, Liebe müßten das ganze Staatsleben durchdringen, damit bei den Reichen die Spferfreudigkeit, bei den Armen die Genügsamkeit wieder geweckt werde. Als Einer, der mitten unter der deutschen Jugend stehe, sage er; wenn bei den deutschen Jünglingen jene Seite des Staatsbewußtseins angeregt werde, jubeln sie; wenn man von der Tiefe der christlichen Weltanschauung rede, gehe ihnen das Herz auf; und es sei wohl zu merken, es gehe ein Zug durch die deütsche Jugend, welcher sich von der ien Epoche abwende, um eine neue, christliche Epoche im Leben der Nation zu af, ; k wurde die Diskussion geschlossen. . er Abg. Dr. Wagner (persönlich) wandte sich zunächst gegen verschledene Ausführungen des Abg. Hänel, wonach er von diesem mißverstanden sei und fuhr dann fort: Der

Bedrückung der katholischen Kirche

Abg. Hänel habe ihm ferner vorgeworfen, daß er nicht Wissen⸗ schaft, sondern Agitation als akademischer Lehrer treibe. Er weise diesen Vorwurf mit Entrüstung zurück. Wenn er Lehrer der Nationalökonomie sei, so müsse er natürlich die verschiedenen Ansichten über Tagesfragen, die in sein Fach fallen, erörtern. Mit Vorwürfen wie: Unklarheit, gährenden Geist, junger Parlamentarier und anderen solchen Liebens⸗ würdigkeiten habe man ihn überhäuft. Wenn er der Linken nicht in der That nur zu klar wäre, so würde sie nicht diese Wuth auf ihn haben, und wenn ihn die Linke „gährender Geist“ nenne, dann nenne er die Linke ausgegohrenen Most, der sauer geworden sei.

Der AÄntrag Büchtemann wurde abgelehnt, die Resolution mit großer Majorität angenommen.

Es folgte die zweite Berathung des Etats des Ministeriums der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalange⸗ legenheiten.

Die Einnahmen wurden mit 2850 042 M6 ohne Debatte unverändert genehmigt.

Zu den dauernden Ausgaben (Tit. 1 das Gehalt des Ministers 36 000 M16) erklärte der Abg. Frhr. von Schorlemer⸗ Alst, es sei eine ungünstige Lage für ihn, nach so erregten Debatten und vor einem erschöpften Hause so ernste Fragen zu erörtern, wie er es müsse. Seine Bemerkungen sollten sich nicht gegen die Person des Kultus-Ministers richten, er erkenne sogar dankbar an, daß der Minister, wenn auch in der letzten Zeit die Zügel straffer angezogen worden seien, sich in vielen Fragen wohlwollend gegen die Wünsche der Katholiken verhalten und namentlich die religiöse Erziehung in der Schule gefördert habe. Seine Angriffe richteten sich gegen das System der fortgesetzten Mißhandlungen und und der Katholiken in Preußen. Wem er die Schuld an diesem Zustande bei⸗ messe, das habe er erst vor Kurzem an anderer Stelle klar ausgesprochen und brauche es hier nicht zu wiederholen. Man werde ihm die Correspondenz vorhalten, die zwischen Sr. Majestät dem Kaiser und Sr. Heiligkeit dem Papst stattge⸗ funden habe, und werde sagen, er störe durch seine Rede den Frieden. Es widerspreche seinem Gefühl der Ehrfurcht, ein Schreiben von Souverän zu Souverän in die Verhandlungen zu ziehen und zu analysiren, aber aus demselben Gefühl der Ehrfurcht entspringe die tief schmerzliche Empfindung darüber, daß das Schreiben Sr. Majestät zuerst in einer Zeitung ver⸗ öffentlicht worden sei, die so der allgemeinen Verachtung ver⸗ fallen sei, wie die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“. Die Correspondenz, die stattgefunden habe, habe keinen Einfluß auf das, was er vortragen müsse. Wenn Verhandlungen stattfinden und zum Friedensschluß führen würden, so acceptire das Centrum diesen Frieden mit großer Freude, mit Herz und Mund. Sollten dabei einzelne Forde— rungen, die das Centrum gestellt habe, vom heiligen Stuhle nachgegeben werden, und die Linke dann sagen, der Friede sei über die Köpfe des Centrums geschlossen, so gönne das Centrum der Linken diesen Triumph gern. Man habe trotz aller Verlockungen nicht vermocht, das Centrum und die katholische Bevölkerung von Rom zu trennen, man habe es auch nicht dahin bringen können, daß das Centrum über den Kopf Roms weg sich mit dem Staat einige. Das Centrum und die katholische Bevölkerung werde sich nie von der Kirche trennen, die katholische Bevölkerung hoffe in der Kirche zu leben und zu sterben. Seine Partei habe nur die Interessen ihrer Wähler zu vertreten. Man thue so, als ob das Centrum jeden Brocken, den man dem Centrum hinwerfe, als eine Gnade annehmen müßte; die Katholiken seien noch keine Zeloten, die Katholiken seien die ältesten Brüper in diesem Staate, ihre Rechte seien feierlich verbrieft und be⸗ schworen. Man habe das Recht der Katholiken vernichtet, man habe das Eigenthum der Kirche geraubt, deshalb bleibe es aber doch Recht und Eigenthum. Man habe allge— mein gegen die Verstaatlichungsideen des Abg. Wagner pro— testirt, auch er schließe sich dem an nebenbei bemerkt, scheine es ihm ganz gut, daß nach dem Tode des alten Meistersängers Wagner ihm in seinem Adolf Wagner ein neuer Zukunfts— musiker erstanden sei. Seine Partei habe die Pflicht, den alten Status zurück zu verlangen, Alles Andere sei nicht maß— gebend fur das Centrum. Die Linke werde sagen, die Rechte der Katholiken seien verfassungsmäßig beseitigt; denke man aber doch an den Antrag im Reichstage, daß vor einem jüdischen Richter ein Christ keinen Eid zu leisten brauche, da werde die Linke nit ihrer verfassungsmäßigen Entrüstung wieder hervorkommen. Auch er werde gegen den Antrag stimmen, aber möge die Linke, die stets den Antisemitismus be⸗ kämpfe, nicht vergessen, daß die Katholikenhetze tausendmal schlim⸗ mer sei als die Judenhetze. Das Centrum fordere als das Mindeste freie Ausübung der Religion und Rückgabe des geraubten Kirchengutes. Er frage den Minister, warum sei das g vom 31. Mai 1882 unausgeführt geblieben, an dessen Zustandekommen das Centrum mit schwerem Herzen im Interesse des Friedens mitgewirkt habe. Damals seien Viele der Meinung gewesen, das Centrum sei zu weit ge— gangen in der Bewilligung diskretionärer Vollmachten, heute sei klar, daß das Centrum richtig gehandelt habe, denn nun falle vor aller Welt die ganze Schuld für die Fortdauer der heillosen Zustände auf die Regierung. Dem Centrum werde man nicht mehr zumuthen, neue Vollmachten zu bewilligen. Nach den Erklärungen, die die Regierung bei Berathung des 6 kirchenpolitischen Gesetzes abgegeben habe, sei sie ver⸗ pflichtet gewesen, ja in ihrer politischen Ehre engagirt, das Gesetz anzuwenden. Jetzt habe man den Eindruck, daß es doch nur wieder auf eine Politik des do ut des abgesehen, ge⸗ wesen sei. Es sei die alte Geschichte der Toga mit den beiden Falten, aus der Haut des Centrums sollten die Riemen ge⸗ schnitten werden, die die Regierung als Waffen benutze. Das Centrum fühle die Noth der geistlich Verwaisten, auch der Pabst in Rom empfinde sie schwer, aber die Anzeigepflicht an⸗ erkennen unter Fortbestand des kirchlichen Gerichtshofes und des Gesetzes über die Vorbildung der Geistlichen, das sei unmöglich.

Hierauf ergriff der Minister der geistlichen, Unterrichts⸗ und Medizinalangelegenheiten von Goßler das Wort:

Die Linien, welche der geehrte Herr Vorredner in seinem Vor⸗ trage gezogen hat, werde ich thunlichst inne zu halten mich bemühen und kann dabei diejenigen Punkte bei Seite lassen, welche er in der Einleitung seines Vortrages nur gestreift und nicht weiter erörtert hat. Der Kernpunkt seiner Ausführungen lag in der Frage an die Königliche Staatsregierung, weshalb die Regierung, obwohl ihre Ehre dabei engagirt sei (wie der Herr Vorredner sich etwas sehr kräftig auszudrücken beliebte), das Gesetz vom 31. Mai nicht ausgeführt habe. Auf diese Frage ihm eine deutliche Antwort zu geben, bin ich

in jedem Augenblicke gern bereit, ö. Vor allen Dingen muß diese Frage geprüft werden an der Hand

des Gesetzes, und diese Prüfung ergiebt, daß der allgemein gehaltene Vornurf, das Gesetz sei unausgefübrt geblieben, in keiner Weise zutrifft. Wir baben, wie das früber von den Organen der Partei, welcher der Hr. Abg. von Schorlemer⸗Alst angehört, auch rübmend anerkannt ist, in dem Gesetze den wichtigen Anfang einer organischen Rerision der Maigesesgedung gemacht. Heute kat man jene Aeußerungen, die mit Emphase Monate lang verkündet sind, rollig vergessen.

Prüfe ich nun an der Hand des Gesetzes, wie weit die einzelnen Artikel haben ausgeführt werden können, so kommt zunächst in Be⸗ tracht der Artikel z, welcher die Vorbildung der Geistlichkeit auf neuer Grundlage und mit weitgehender Abweichung von den früher gelten— den Vorschriften regulirt, also schwerwiegende organische Bestimmun⸗ gen enthält. Es ist absolut unrichtig, wenn angeführt wurde, dieser Artikel sei unausgeführt geblieben; und, meine Herren, als die Ver⸗— fügung vom 29. Juli erging, haben auch sämmlliche ultramontane Blätter anerkannt, daß der Kultus⸗Minifter in aller Lopalltät und im Rahmen der Gesetze den Artikel 3 zur Ausführung gebracht habe. Daß der Kultus⸗Minister das am Schlusse des Artikels ihm zuge⸗= standene allgemeine Dispensationsrecht verschiedentlich ausgeübt habe, ist eine fernere allbekannte Thatsache und speziell dem Hrn Vorredner wird es nicht unbekannt sein, daß zufällig der Erste, zu dessen Gunsten von dem Absatz 2 des Artikel 3 Gebrauch gemacht ist, eine ihm sehr nahe stehende Persönlichkeit gewesen ist.

Art. 4 hat naturgemäß nicht anders zur Ausführung gebracht werden können, als daß von der fernerweiten Ernennung von Staats pfarrern Abstand genommen wurde. Weder die Regierung noch ein Privatpatron hat daran gedacht, den Art. 4 zu verletzen. Er ist in seinem ganzen Umfange zur Ausfübrung gebracht. (

der Art. 2 entbält im Abs. 2 keine Fakultät, sondern nur eine wichtige organische Bestimmung insofern, als diejenigen allge⸗— meinen Grundsätze der ersten Novelle von 1886, welche die Folgen eines Absetzungsurtheils des kirchlichen Gerichtshofes bestimmten, auch pro Fraéterito anwendbar erklärt wurden.

Den Art. 2 Abs. 1 bat der Hr. Abg. Frhr. von Schorlemer⸗ Alst auch unter den Gesichtspunkt einer Fakultät gebracht. Unter diesen Gesichtspunkt ist er meines Erachtens nicht zu bringen; er hat vielmehr nur die organische Bestimmung getroffen, daß das Allerhöchste Begnadigungsrecht in seinen Folgen definirt und festgestellt worden ist. Eine Verpflich⸗ tung, Bischöfe zu begnadigen, ist damit nicht ertheilt, kann auch nach der Natur der Sache nicht ertheilt werden. Damit Sie aber nicht glauben, ich wollte in, staatsrechtlichen Deduktionen eine Deckung suchen, will ich auf diese Frage später näher eingehen. Eigentliche Fakulläten sind in dem Artikel J. dreierlei enthalten; sie sind über⸗ nommen aus der Novelle von 1880. Die erste bezieht sich darauf, den Bisthumsverwesern den Eid zu erlassen. Dazu ist es nicht ge kommen, weil die Regierung gar keine Gelegenheit gefunden hat, über den Artikel sich schlüssig zu machen. Allerdings ist noch später ein Bischof eingesetzt worden, aber ihm konnte auf Grund einer früheren Bestimmunz, welche auf einer Königlichen Verordnung beruht, der Eid erlassen werden, nicht auf Grund des Gesetzes ist dies geschehen.

Was ferner die kommissarische Vermögens verwaltung betrifft, so wäre es ja in der That an sich möglich gewesen, sie für die unbe⸗ setzten Dtözesen aufzuheben, aber welche Folgen daraus hätten er— stehen können, war völlig unübersehbar. Da es noch gegenwärtig an den wichtigsten Organen für die kirchliche Vermögensverwaltung fehlt, so hätte eine Aufhebung der kommissarischen Vermögensverwaltung die schwerwiegendsten Nachtheile jur Folge haben müssen, und unter diesen Unständen kann der Staat sich der Pflicht nicht entziehen,

auch ferner durch seine Organe die Verwaltung führen zu lassen und

dadurch der Kirche die nothwendige Hülfe zu leiften.

Was hiernach übrig bleibt aus dem Vortrage des Hrn. Abg. Freiherrn von Schorlemer⸗Alst, bezieht sich auf die Einstellung der Teistungen aus Staatsmitteln, genau gesagt um die Frage: „warum hat die Regierung die Einstellung der Leistungen aus Staatsmitteln in denjenigen Diszesen nicht aufgehoben, wo die bischöflichen Stühle noch besetzt waren, obwohl die Bischöfe (wie der Herr Vorredner annimmt) dort in keiner Weise anders gesonnen sind, als die Bischöfe, welche die Re⸗ gierung unter pflichtmäßiger Aufhebung der Sperre im Laufe der letzten Jahre eingesetzt hat. Nun, meine Herren, in dem Zusammen⸗ hange meiner Rede kann über den Sinn meiner Worte ein Miß— verständniß nicht obwalten, ich bitte doch nicht in dieser Weise ein Wort zu drücken, welches man nach dem Zusammenhange richtig ver⸗ stehen kann und muß. Wenn nun der geehrte Herr Vorredner sich in die politische Situation zu denken die Güte hat, in welcher wir im vorigen Jahre auseinandergingen, so wird er, wie er das selbst in einem anderen Zusam menhange ausgesprochen hat, anerkennen, daß die Regierung die sehr bescheidenen Fakultäten, von welchen überhaupt noch die Rede sein kann, bekommen hat im Interesse des Friedens. Und bei jeder Gelegenheit hat sich die Regierung die Frage vorgelegt: Ist es im Interesse des Friedens, daß von den Vollmachten, der Aufhebung der Sperre und ferner, wie ich jetzt im Zusammenhang sagen will, von der Möglichkeit eines Vorschlages an Se. Majestät, Bischöfe zu begnadigen, Gebrauch gemacht werde oder nicht? Da kann ich nun nicht leugnen, daß nach langen und ernsten Erwägungen im genauen Fort= schritt mit der politischen Entwicklung, welche die Angelegenheiten genommen haben, die Regierung immermehr zu der Entscheidung hat gelangen müssen: eine derartige Handhabung der diskretionären Gewalt sei in keiner Weise geeignet, den Frieden im Vaterlande zu fordern. Ich will auf diesen Punkt noch etwas näher eingehen.

Als im Mai das Gesetz erlassen wurhe. begannen von vornherein in der allerheftigsten und stürmischsten Weise Anforderungen an die Regierung laut zu werden in allen Organen der Presse der Partei, der der Abg. Frhr. von Schorlemer-Alst angehört. Es wurde in der Erzdiözese Cöln eine Adressenbewegung in Scene gesetzt, welche hier in einer bestimmten Weise durch konzentrische Angriffe eklatirte. Daß hierbei eine Krastprobe Seitens der Eingesessenen der Erzdiözese Cöln gegen die Regierung gemacht werden sollte, war nach dem ganzen (Gntwicklungsgang der Angelegenheit in keiner Weise zweifelhaft und es war in der That überraschend, daß, als nachher die Ablehnung dieses Gesuches erfolgt war, identische Noten in den Blättern des links⸗ rheinischen Theiles zu finden waren, in denen es hieß: die Katholiken hätten sich in keiner Weise in der Hoffnung gewiegt, die Begnadigung des Erzbischofs zu erwirken, sie hätten damit nur eine Ehrenpflicht erfüllt. Meine Herren, wenn Sie nur die Güte hätten, diese ganz kurz skizzirte Begebenheit auch einmal von dem Standpunlte dessen zu betrachten, hei dem die Verantwortung für die endliche Entschließung ruht, so würden Sie zu dem Schlusse kommen, daß nicht, wie man es jetzt darzustellen beliebt, die Angelegenheit als eine harmlose Demonstratton für die Person des vormaligen Erzbischofs von Cöln anzusehen sei. (Ruf: Petitionsrecht!)

Meine Herren! Das Petitionsrecht ist Niemandem beschränkt worden, aber es besteht keinerlei Pflicht, wenn eine Petition an das Oberhaupt des Staates gebracht wird, daß die Petition genehmigt wird, und auch die Regierung hat nicht die Pflicht, eine Petition, weil sie eine Petition ist, zu befürworten. ;

Ich gehe weiter, meine Herren, da ich im Zusammenhang mit der Anzeigepflicht, welche der Hr. Abg. Frhr. von Schorlemer⸗Alst als den zweiten Brennpunkt feiner Ausführungen hingestellt hatte, auf diefe Periode noch zurückkommen werde. Hier will ich zunächst, wag Sie interessiren wird, anführen, daß ungeachtet aller schweren Erfahrungen, die in Bezug auf die Intransigenz der Organe der Cen- trumspartei gemacht waren, die Regierung sehr nahe daran war, die Sperre aufzuheben, und zweitens einen vormaligen Bischof zu begnadigen. oder die Begnadigung Sr. Maiestät anzuempfehlen, für welchen sich eine der Regierung überaus sympathische Seite verwendet Hatte. Gerade in diesem Moment traten die Wirren ein, die in Breslau

ihren Anfang nahmen und die sich theils auf die Mischehenfrage und

auf die Behandlung der Staatspfarrer bezogen.

Meine Herren! Es scheint ja heute als ganz abgemachte Sache behandelt zu werden, daß diese beiden Punkte höchst harmloser Natur gewesen seien und daß die Regierung Schuld daran sei, daß die warm hingestreckte Hand des Bischofs Seitens der Staate pfarrer nicht augenommen worden sei. Meine Herren, in der That lag die