1883 / 101 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 01 May 1883 18:00:01 GMT) scan diff

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lichen Windrichtungen gingen bald nach West und Südwest. Am 18., in München und Cöln schon am 17, in Karlsruhe erst am 19. ig der Wind allgemein nach Ost (an den Oststationen und in arlsruhe nach Nordost, in Bremen und Cöln nach Südost, in den letzten Tagen der Woche an den meisten Stationen nach Nordost und sief zu Ende der Woche an den Mittel⸗, Ost⸗ und Nordstationen bis nach Nord. Die Temperatur der Luft lag, obwohl sie um die Mitte der Woche die normale überstieg, im Durchschnitt meist unter der normalen, nur in Cöln, Karlsruhe und Heiligenstadt überstieg sie dieselbe. Nachtfröste kamen noch an vielen Stationen vor. Nieder schläge erfolgten wenig und spärlich. Der beim Wochenbeginn mäßig hohe Luftdruck stieg bis um die Mitte der Woche langsam, nahm dann etwas ab, doch stieg der Barometer bald von Neuem und be⸗ hauptete sich bis zum Schluß der Woche auf seinem Standpunkte.

Die Sterblichkeit hat in dieser Berichtswoche wiederum in den meisten Großstädten Europas zugenommen und wurde namentlich in verschiedenen deutschen Städten eine ansehnliche. Die allgemeine Sterblichkeitsverhältnißzahl für die deut ichen Städte stieg auf 28,9 von 277 der Vorwoche (spro Mille und Jahr berechnet). Gesteigert war die Theilnahme des Saäuglingsalters an der Sterblichkeit, während die höhere Altereklasse (über 60 Jahre) eine Abnahme zeigte. Von 10 000 Lebenden starben vro Jahr 36 Säuglinge gegen 83 der Vorwoche, in Berlin 88, in München 121.

Unter den Todesursachen riefen die Infektionskrankheiten meist mehr, nur Keuchhusten und typhöse Fieber etwas weniger Todesfälle hervor. Auch akute entzündliche Prozesse der Athmungsorgane führten eiwas weniger, Lungenphthisen etwas häufiger zum Tode. Masern gewannen in Bromberg, München. Weir ar, Berlin, Brandenburg, Prag, Paris, Glasgow, Madrid, St. Peters burg, Moskau, New⸗ Jork größere Ausdehnung; in Würzburg, Zeitz und Greiz läßt die Heftig⸗ keit der Epidemie nach. Scharlachfieber wurden in Dresden, Plauen, Hamburg, Hannover häufiger, in Berlin und St. Petersburg seltener Todes veranlassung. Diphtherie und Croup forderten nament— lich in Berlin, Schwerin i M., Dreeden, Gießen, Leipzig, Magdeburg, Görlitz, Paris, Warschau viel Opfer, in Bres— lau, München, Königsberg. Wien hat die Zahl derselben abgenommen. Typhöse Fieber waren in Paris wieder häufiger, in Alexandrien war die Zahl der Todesfälle eine etwas kleinere als in der Vorwoche. Sterbefälle an Flecktyyhus kamen aus Krakau, St. Petersburg, Warschau, Valencia, Saragossa vereinzelt, aus Murcia, Granada, Budapest, Malaga, Madrid in mehreren, gus Moskau in vielen Fällen, zur Mittheilung. Der Keuchhusten führte in Nürnberg, Berlin, Hamburg, Remscheid, Hagen, Wien, London, Glasgow mehr, in Würzburg weniger Todesfälle herbei. Sterbefälle an Kindbettfieber kamen 17 zur Anzeige. Darmkatarrhe der Kinder wurden in München, Erfurt, Berlin häufiger, in Königsberg, Breslau etwas seltener Todesveranlassung. Pocken · sterbefälle kamen aus deutschen Städten 7 zur Berichterstat⸗ tung. Davon entfielen auf Worms 2, auf Elbing, Memel, Breslau, . a. M., Wiesbaden je 1. Erkrankungen kamen aus den

egierungsbezirken Trier und Wieebaden einige wenige zur Meldung. Aus Wien, AÄmsterdam, Brüssel, London, Warschau, Malaga, Sara gossa, Lissabon, Alexandrien werden vereinzelte oder nur wenige Pocken⸗ todesfälle gemeldet, in größerer Zahl aus Prag, Rotterdam, Paris, St. Petersburg, Madrid, Valencia, Philadelphia, New⸗Orleans und Bombay. Bie an der persisch'türkischen Grenze ausgebrochene, noch nicht naher bekannte Seuche scheint neueren Nachrichten zu Folge mit der Beulenpest identisch zu sein.

Kunst, Wissenschaft und Literatur.

Rostock, 29. April. In diesen Tagen hat die theologische akultät der ÜUniversitat dem bisherigen Pfarrer C. F. gen, zu lein Furra, welcher an Stelle des perstorbenen Professors Philippi

als Ordinarius zu Ostern d. J. bierher berufen wurde und sich litergrisch durch einen Kommentar zur Apostelgeschichte bekannt gemach, hat, die Würde eines Doktors der Theologie hongris causa verlichen. Für den nach Erlangen abgegangenen Professor Dr. jur. Kahl ist der Pr. jur. Lön ing aus Dorpat zum Ordinarius für Kirchenrecht und Stantsrecht hierher berufen. Am 1. k. M. begeht der erste Geist⸗ ssche unferes Landes, der Ober⸗Kirchenrath Dr., thegl. et phil. Th. Kliefoth zu Schwerin, sein 50 jähriges Dienstjubiläum.

Gewerbe und Handel.

Im Verlage der Liebelschen Buchhandlung, Berlin W., ist erschienen: Deutscher Multiplikator umfangreichster und zuberläfsiger Rechenhelfer für die Behörden der Civil- und Militär— verwaltung des Deutschen Reichs, sowie für den gesammten Kauf⸗ manng⸗, Handels- und Gewerbestand Deutschlands, verwendbar zu allen auf Multiplikation benannter Zahlen beruhenden Berechnungen, bei dem Ein und Verkauf von Waaren, Zinsrechnungen u. . umfasfend die Einheitssätze von 1 3 bis 1909 M6. und zwar bis I6 νι von Pfennig zu Pfennig steigend. bearbeitet von J. Mangels⸗ dorf, Militär ⸗Intendantursekretär (188 Seiten Groß -Quart-Format. Preis gebunden 4 4). Das vorliegende Werk hat den Zweck, die Aus führung von solchen Rechnungsarbeiten, welche auf Multiplikation ein⸗ facher und zusammengesetzter Größen beruhen, zu erleichtern und hier⸗ durch eine Ersparniß an Zeit und Arbeitskräften herbeizuführen; auch wird pekuniären Nachthellen vorgebeugt, wie solche bei schnellem Rechnen und im Brange der Geschäfte leicht entstehen können. In den bereits vorhandenen ähnlichen Tabellen sind die Einheitspreise nur von J bis 3 M durchgeführt. Ferner genügen dieselben nur, den Kostenbetrag für das Mehrfache derjenigen Größe zu berechnen, von welcher der Einheitepreis angegeben ist, z. B. für 25 J. oder für 32 Exg oder für 18 Scheffel oder für 45 1 u. . w., nicht aber auch zur Berechnung der Kosten für 25 Z. 32 kg 37 Lth. oder für 18 Scheffel (51 u. s. w.. Anders ist es mit dem vorliegenden Werke, welches die Einheitspreise zwischen 1 8 bis 10 16, von Pfennig zu Pfennig steigend, dann 11 M bis 100 M, von Mark zu Mark steigend, umfaßt und unter Zugrundelegung dieser Einheits⸗ preise nicht nur die Kesten für jede Mehrheit von J., kg. Lth, Kubikmeter, Scheffel, Liter, Meter, Centimeter, Schock, Mandel, Dutzend, Stück, Ballen, Rieß, Buch ꝛc. enthält, sondern auch die Kostenbeträge für die aus Z., Eg und Lih. oder Scheffel und Liter zufammengefetzten Mengen, z. B. für 25 Z. 32 Kg 37 Lth., oder für 18 Scheffel 45 1 c.

Mainz, 30. April. (W. T. B.) In der Versammlung der Hessischen Ludwigs-Eisenbahngesellschaft wurde eine Dividende von 35/10 oo und die Zuweisung von 700 9000 zum Er⸗ neuerungsfonds, von 14 228 S zum Reservefonds und von 89 000 4 zur Penfionskasse beschlossen. Auf neue Rechnung sollen 133 695 „6 vorgetragen werden. Als Mitglieder des Verwaltungsraths wurden Scherbius, Varrentrapp und Geheimrath Duelberg wiedergewählt. 3 Kündigung bezüglich zur verstärkten Amortijation der älteren

uldenanleihen wurde dem Verwaltungsrath die fakultative Ermäch⸗ tigung ertheilt, auch wurde demselben die Feststellung der Modalitä— ten für die Geldbeschaffung überlassen.

Ludwigshafen, 30. April. (W. T. B.). In der heutigen ordentlichen Generalversammlung der Pfälzischen Eisenbahn⸗ gesellschaften wurde der Antrag der Verwaltung auf Aufnahme eines weiteren Prioritätsanlehens im Gesammtbetrage von 25000004. für Ausführung verschiedener dringlicher Bauerweiterungen an den älteren Strecken der Ludwigsbahn u. s. w. einstimmig angenommen.

Glasgow, 30. April. (W. T. B.) Die Verschiffungen von Roheisen betrugen in der vorigen Woche 1100) gegen 18000 Tons in derselben Woche des vorigen Jahres.

Paris, 1. Mai. (W. T. B.). Das „Journal effigiel“ publizirt ein Dekret des Präsidenten, welchem zufolge die Inskrip⸗ tionen der neuen 40 Rente auf 8 annähernd gleiche Serien vertheilt werden sollen.

Verkehrõ⸗Anstalten.

Ein interessantes Ergebniß liefert die Zusammenstellung der nach den statistischen Ermittelungen des internationalen Bureaus der Telegraphenrerwaltungen im Jahre 1881 in den einzelnen europäischen Ländern und dem russischen Reiche vorhandenen Telegraphenanlagen. Es bestanden Telegraphenanstalten in: Deutschland 10308,

rankreich 5885, Großbritannien 5600, Rußland 2731. Oesterreich 2664, Italien 2470, Schweiz 1139, Ungarn 1069, Belgien 827, Schweden 788, Niederland 418, Spanien 385. Dänemark 287, Nor⸗ wegen 260, Rumänien 206, Portugal 202, Griechenland 199. Bos⸗ nien 69, Luxemburg 64, Serbien 69, Bulgarien 37. Die Länge der Leitungen betrug in: Deutschland 260636 kRm, Rußland 23 838 km, Frankreich 1 607 km, Großbritannien 197 715 3m, Desterreich 92 572 km, Italien 89 150 km, Ungarn 34 852 Km, Spanien 40742 Em, Schweden 29 879 km, Belgien 27 922 km, Schweiz 16155 kim, Norwegen 15 601 Em, Niederland 14133 Em, Portugal 10 964 kin, Rumänien S662 km, Dänemark S559 km, Griechenland 5654 km, Bulgarien 3400 kim, Bosnien 3180 km, Serbien 3135 km, Luxemburg 536 km.

Die Länge der unterirdischen Leitungen beträgt in Deutfchland 37 604 Km, Großbritannien 17 700 km, Frankreich JI 65ß km, Niederlande 591 km, Oesterreich 511 km, Schweiz

327 Em. Rußland 250 Km, Belgien 232 km, Dänemark 79 km,

Rumänien 56 km. Im Verhältniß zur Größe und Einwohnerzahl stellen sich für die größeren Staaten folgende Zahlen heraus:

Es kommt eine Tele⸗ Auf 100 km kommen in graphenanstalt auf Telegraphenleitungen Einwohner m

1 4388 11 O 6 342 Großbritannien... 6 294 1 27 01 1 8 504 K,, 43 458 1 10 580 Schweden .. . 5794 2 7411

Triest, 39. April. (W. T. B.) Der Lloydd amp fer „Helena“ ist heute Vormittag mit der ostindischen Ueberlandpost aus Alexandrien hier eingetroffen.

New⸗ Jork, 30. April. (W. T. B.). . Der Dampfer Egypt‘ von der National-Dampfschiffs⸗Compagnie (C. Messingsche Linie) und der Dampfer des Norddeutschen Lloyd „Rhein“ sind hier eingetroffen.

Berlin, 1. Mai 1883.

Die neunte Mastvieh-Ausstellung in Berlin und die mit derselben verbundene Ausstellung von Maschinen, Geräthen und Produkten für die Landwirthschaft und das Schlächtergewerbe, ver⸗ anstaltet auf dem Neuen Central⸗Viehhof, der Stadt Berlin vom Landwirthschaftlichen Provinzialverein für die Mark Brandenburg und die Nieder -Lausitz und dem Klub der Landwirthe zu Berlin, wird in diesem Jahre am 2. und 3. Mai stattfinden. .

Das Ärrangement ist wieder dasselbe, wie in früheren Jahren. Links vom Restaurationsgebäude, wenn man von der Station des Nordrings der Stadtbahn eintritt, sind das Rindvieh und die Ma— r f rechts von der Restauration die Schafe und Schweine aus— gestellt.

Rach dem uns vorliegenden Kataloge stellen 183 Aussteller zu⸗ sammen 1260 Thiere aus, und zwar an Rindvieh 451 Stück, an Schafen 310 Stück, an Schweinen 459 Stück; 24 Landwirthe haben siber 19 Thiere ausgestellt, darunter die Herren E. Preuß⸗-Friedrichs aue 57, Rehfeld Golzow 45, Graf zu Eulenburg⸗-Liebenberg 44, Beilke⸗ Güdenhagen 40, Brauer ⸗Hobenbhausen 28, Meinshausen⸗Lüderitz 2“, don Rogalinski⸗Krotikowo 21, Kleinschmidt-Mitterwitz 19, Graf Tschirschky⸗ Renard. Mengel ⸗Trienke, Heydemann⸗Thalberg je 18 Thiere, Bieler ⸗Salesche, Frankenstein⸗Niederhof, von Hansemann ⸗Antonsho⸗ je 16 Thiere ze. .

Es betheiligten sich aus der Provinz Brandenburg 42 Aussteller mit 137 Stück Rindvieh, 89 Schafen und 64 Schweinen, au der Provinz Hannover 2 Aussteller mit 1 Stück Rindvieh und 24 Scha— sen, aus der Provinz Prommmern 42 Aussteller mit 75 Stück Rind⸗ vieh, J Schaf und 117 Schweinen, aus der Provinz Posen 15 Aus- steller mit 95 Stück Rindviech und 33 Schafen, aus der Provinz Ostpreußen 5 Ausstellee mit. 18 Stück Rindvieh und 16 Schweinen, aus der Provinz Westyreußen 15 Ausstel. er mit 15 Stück Rindvieh, 46 Schafen und 26 Schweinen, aus der Provinz Sachsen 3 Aussteller mit 2 Stück Rindvieh, 6 Schafen und 77 Schwelnen; aus der Provinz Schlesien 18 Aussteller mit 73 Stück Rindvieh, 67 Schafen und 1 Schwein; aus der Propinz Schleswig— Holstein 1 Aussteller mit 2 Schweinen; aus dem Großherzeogthum Mecklenburg Schwerin 23 Aussteller mit 7 Stück Rindvieh, 6 Schafen und 135 Schweinen; aus dem Großherzogthum Mecklenburg-Strelitz 7 Aussteller mit 1 Stück Rindvieh,. 17 Schafen und 388 Schweinen; aus dem Großherzogthum Oldenburg 1 Aussteller mit 2 Stück Rindrieh, aus dem Herzogthum Braunschweig A Autsteller mit 2 Stück Rindvieh, aus dem Fürstent hum Lippe 1 Aussteller mit 8 Schafen, aus dem Fürstenthum Reuß 1 Aus— steller mit 2 Stück Rindvieh, aus dem Großherzogthum Sächsen⸗ Weimar 23 Aussteller mit 1 Stück Rindvieh und 8 Schafen, aus dem Königreich Sachsen 2 Aussteller mit 13 Schweinen, aus dem König— reich Holland 1 Aussteller mit 5 Schafen on der diesjährigen Mast⸗ riehausstellung, .

Die meisften Rinder und Schafe wird die Provinz Branden— burg, die meisten Schweine das Iroßherzogthum Mecklen— burg-Schwerin senden. Bei den Schafen sind die deutschen und französischen Merinos sehr stark vertreten, und bei den Schweinen ist die neue in Deutschland noch wenig gekannte, aus Amerika impor⸗ tirte Poland Ehina⸗Rasse durch einige Exemplare vertreten. In diesem Jahre werden 76M den jungen, und nur 250;!0 den alten Thieren angehören, während in den früheren Jahren die alten Thiere vorherrschten.

Die Maschinenausstellung ist sehr reich beschickt, und es haben sich f8 Äussteller auzs den verschiedenen Gegenden Deutschlands daran betheiligt. .

Die Zahl der Prämien ist eine sehr große. Von Sr. Majestät dem Kalsfer und König ist die goldene Staats-Medaille und vom Minister für Landwirthschaft, Domänen und Forften, Dr. Lucius ist dem Comité 10 000 6 aus Staatsmitteln für Geldpreise, sowie 5 Bronze⸗Statuetten für J Shborthorn⸗Stier, 1 Shorthorn,Kuh, 1 Rambousllet Bock, 1 Merino⸗Schaf sowie sür einen englischen Eber zu Züchterpreisen überwiesen worden. Die Stadt Berlin gewährt für sechs Ehrenpreise 3000 „S½ Ferner sind ausgesetzt; der vom Aus— stellungẽs⸗-Comité zur Erinnerung an den früheren Vorsitzenden des Fomitès und Begründer der deutschen Mastoiehausstellungen, Her— mann von Nathusius-Hundisburg gestiftete Nathusius-⸗Preis, eine goldene Medaille, vom Klub der Landwirthe-Berlin eine silberne Zuckerschale und vom Hof⸗Schlächtermeister Bergmann in Berlin eine Bronze⸗Statuette (ein Mastschwein). Endlich sind für die Abtheilung Rindvieh 12 920 Geldprämien, für die Abtheilung Schafe 3550 46, fuͤr die Abtheilung Schweine 4320 1M bestimmt, und außerdem gelangen noch 45 silberne und 75 Bronzemedaillen zur Vertheilung.

Von Jahr zu Jahr waren auf den Mast vieh. Rus stellungen

steigende Fortschritte in der Viehzucht zu konstatiren, und voraus⸗ sichtlich wird es in diesem Jahre ebenso sein. Der Eintrittsprejs ist folgendermaßen festgesetzt: am 2. Mai

von Vormittags 9 bis Nachmittags 1 Ubr 3 S, am 2. Mai von Nachmittags L bis 7 Ubr 1 MÆ, am 3. Mai 50 .

Der Central Viebhof ist vom Innern der Stadt mittels der Pferdebahn, der Stadtbahn und der Omnibusse leicht zu erreichen. Jedem Thierzüchter und Thierliebhaber ift der Besuch dieser interessanten Ausstellung zu empfehlen.

Die Deutsche Exangelische Buch⸗ und Traktat⸗Ge⸗ sellschaft, an deren Spitze zur Zeit Baron von Ungern⸗ Sternberg steht, feierte am Sonntag in der Lucaskirche ihr diesjähriges Jahres fest. Am Himmelfahrtstage 1871 entstand hier ein „Verein für un—⸗ entgeltliche Verbreitung von Bibeln und christlichen Schriften‘, der es sich speziell zur Aufgabe gestellt hatte, sich der Verwundeten und Gefangenen anzunehmen. Die Unterstützung, die er in den Kreisen der Bevölkerung fand, war eine sehr reichliche. Schon im ersten Jahre seines Bestehens konnte er ca. 196 000 religiöse Schriften ver⸗ breiten. In den ersten 7 Jahren, während der er beinahe 14 Millio— nen christliche Schriften dem Volke dargereicht hat, war der Verein von der Niedersächsischen Gesellschaft zur Verbreitung christlicher Erbauung schriften in Hamburg“ abhängig und erhielt von dorther den größten Theil seines jährlichen Bedarfs an Schriften. Erst im Jahre 1878 erlangte er eine größere Selbständigkeit, indem sich im Anschluß an seine Arbeit die „Deutsche Evangelische Buch— und Traktatgesellschaft“ bildete, die, unabhängig von Hamburg, hier einen Verlag eröffnete. Die Buch und Traktatgesellschaft zählte bereits im ersten Jahre ihres Bestehens 527 Mitglieder, im zweiten über 1000, im vorigen Jahre 3500 und in diesem endlich nahezu 6000. Es ist in Folge dessen möglich geworden, die Traktatverbreitung auf immer weitere Kreise auszudehnen. Mit gegen 50 Städten steht die Gesellschaft z. Z. in fortgesetzter Verbindung. Im letzten Jahre hat sie insgesammt 220900 Schriften verbreiten können. In allerneuester Zeit hat die Gesellschaft ihr Augenmerk vor Allem auch auf die Auswanderer gerichtet und im vorigen Jahre u. A. auch 43 000 polnische Schriften vertheilt. Einige Mitglieder sind in die Ferne gezogen und haben auch dort, in Amerika, in Indien u. s. w. für die Traktatverbreitung gewirkt. Das Jahresfest selbst verlief in feierlicher Weise; die Liturgie hatte Konsistorial⸗Rath Mathis, die Festpredigt Prediger Prochnow aus Moabit übernommen.

Der Verein der Künstlerinnen und Kunstfreundinnen hielt am Sonntag in dem Lokal seiner Zeichenschule, Königgrätzer⸗ straße 120, seine 16. Generalversammlung ab. Der Verein zählt 324 Mitglieder, unter ihnen in Berlin 86 ausübende Künstlerinnen. Die von ihm unterhaltene Schule, die z. Z. von 389 Schülerinnen befucht wird, befindet sich in stetem Wachsen, so daß man sich ge— nöthigt gesehen hat, die Schulräumlichkeiten zu erweitern. Die Anstalt umfaßt außer zwei Elementarklassen eine Landschaftsklasse, eine Blumenklasse, eine Klasse für Portraitmalerei in Oel, eine Klasse für Zeichnen nach der Antike und nach modernen Skulpturen und 9 Abendkurse in Perspektive, Anatomie, Aktzeichnen und Aquarelliren nach lebenden Gewandmodellen. Das akademische Lehrerinnenexamen ist auch in diesem Jahre ron 6 Schülerinnen der Zeichenschule gemacht worden. Von den Studien der Schülerinnen gaben Hefte und Blätter, welche zur Ansicht ausgelegt waren, Zeugniß. Bei der in diesem Jahre ausgeschriebenen Konkurrenz, diesmal in der Genremalerei, haben Gemälde von Sophie Meyer⸗Düsseldorf und von Martha von Stuckrad⸗Ludwigslust Preise davongetragen. Die flatutenmäßig alle zwei Jahre stattfindende Ausstellung von Werken der Künstlerinnen des Vereins fällt auf das Frühjahr 1884. Der Eintritt namhafter Künstlerinnen, welcher auch in diesem Jahr wieder stattgefunden, läßt einen erfreulichen Ausfall dieser Ausstellung hoffen. Die Betheiligung des Vereins an der kunstgewerblichen Weihnachts messe hat im Ilhgemeinen erfreuliche Resultate gehabt, wenn auch der Erlös geringer war. Verkauft wurde für 3811 gegen 4680 4 im Vorjahre.

In der Arbeitssitzung, die der Verein für die Geschichte Berlins am Sonnabend abhielt, machte Hr. Stadtrath Friedel, nach Erledigung der geschäftlichen Angelegenheiten durch den Vor sitzenden Geheim ⸗Rath Sachße, Mittheilungen über die Erwerbungen des Märkischen Provinzial⸗Museums. Der zweite Vortrag von Hrn. Ferdinand Meyer: Gedanken bei einein angenehmen Spazier ang vom Königlichen Schlosse bis in den Thiergarten, 1769“ schließt sich an den . Berlinischen Zuschauer: an und gewährt einen nicht uninteressanten Einblick in das öffentliche Leben und Treiben des da— maligen Berlin. Ebenso verdienen die Andeutungen über längst Ent⸗ schwundenes in das Gedächtniß zurückgerufen zu werden. Der Verfasser bezieht fich besonders auf das Opernhaus, das Brandenburger Thor, die beiden Statuen des Herkules Musagetes und des Pythischen Apollo, die Gezelte und die Kaffeegärten in der Thiergartenstraße. Ueber das alte Brandenburger Thor, welches mit der, vom König Friedrich Wilhelm J. im Jahre 1734, vom Potsdamer Thor aus nach Ssten fortgeführten Stadtmauer erbaut. wurde, erzählt der Berlinische Zuschauer“, daß auf einem einfachen Pfeilerpaar ein schmaler Architrav, ein hoher Fries und ein weit gusladender Kranz ruhte; darüber auf starker Plinthe trug ein aufsteigendes Postament mit Deckplatte, auf verschnörkeltem Ornament, einen ovalen von der Königskrone gedeckten Schild. Mit dem Thorbau wurden die Baum⸗ reihen der bis zur heutigen Schadowstraße reichenden Lindenpromenade bis zu dem angelegten viereckigen Thorplatz verlängert, der von seiner Geftalt die Benennung „Das PNiereck' oder „Quarrs“ führte. Gleichzeitig gingen das Vogelhaus und das von dem Seildreher der Jagdnetze benutzte Gebäude, welche an dem Charlottenburger Wege auf diesem jur Stadt gezogeneu Theile lagen, ein. Zur Linken des Thores, innerhalb der Stadt, lag das niedrige Haus der Thorwache, zur Rechten das Accisegebäude, beide unschön und nur für das äußerste Bedürfniß ihrer Zwecke ein⸗ gerichtet.

So eben erschien im Selbst- und Kommissions verlage von G. Harnecker in n a. O.: Seid sparsam! Mahnungen eines Jugend⸗ und Volkesfreundes nebst Belehrungen und Nachrichten über Fugend⸗ und Pfennigsparkassen, Sparmarken c.“, herausgegeben vom Verein für Jugendsparkassen in Dentschland, Aus⸗ gabe X. 5 , Ausgabe B. mit farbigem Umschlag (0. 3. (Dritte gluflage.) Bie erste Auflage diefer Broschüre erschien Anfangs Oktober 1386, die zweite um Weihnachten 1880. Inzwischen hat sich das Interesse für die Vervollkommnung der Sparkassen Einrichtungen sehr Jesteigert. Aus den 300 im Oktober 1880 vorhandenen Jugendsparkassen sind in hiefem Jahre circa 1090 geworden, und zu diesen sind außer sonstigen speziellen Sparvereins⸗Bildungen noch viele Pfennigspar⸗ kasfen' und der Vertrieb von Sparmarken und Sparkarten hinzuge⸗ kommen. Von der Presse aller Parteien, auch von hohen Behörden empfohlen, ist die kleine Schrift zur Gratisvertheilung in Schulen, namentlich in solchen mit Sparkassen, in Fortbildungsschulen, aber auch unter Arbeitern in Stadt und Land vorzüglich geeignet.

Redacteur: Riedel. Verlag der Expedition (Kessel). Druck: W. Elsner. Sechs Beilagen (einschließlich Börsen Beilage).

Berlin:

M 1G.

Erste Beilage zum Deutschen Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preußischen Staats⸗Anzeiger.

Berlin, Dienstag den 1. Mai

1883.

NAichtamtliches.

Preußen. Berlin, 1. Mai. Im weiteren Ver⸗ laufe der gestrigen (56.) Sitzung des Reichstags wurde die zweite Berathung des Entwurfs eings Gesetzes, be⸗ treffend die Krankenversicherung der Arbeiter, mit 3. 69 fortgesetzt. ! . .

Der Abg. Dr. Günther (Berlin) erklärte, da der Abg. Lohren seinen Antrag zurückgezogen habe, und somit selbst von ber Bedeutung desselben nicht überzeugt sei, so habe er (Redner) nur einige Bemerkungen zu dem Prinzip jenes An⸗ trages zu machen. Es frage sich, ob die angeführten That⸗ fachen auch faktisch richtig seien, und er habe zu be⸗ merken, daß in der öffentlichen Meinung ein gewisser Umschwung zu Gunsten der. Gewerkvereine eingetreten sei. Die Zurücknahme dieses Antrages sei wohl in der Erkenntniß geschehen, daß der Abg. Lohren bei seinen eigenen Freunden keine Anerkennung zu seinem Sturm gegen die freien Hüllskassen gefunden habe, Habe den Abg. Lohren doch auch die Regierung im Stich gelassen. Die freien Hülfekassen erfreuten sich jetzt, nach mancherlei Anfein⸗ dungen, allgemeiner Anerkennung. Dies gelte besonders von den bayerischen landesrechtlichen freien Hülfskassen. Er hitte die verbündeten Regierungen um eine beruhigende Versiche⸗ rung darüber, daß diese Kassen unter dem neuen Gesetz nicht leiden würden.

Hierauf ergriff der Bevollmächtigte zum Bundesrath, Königlich bayerische Ministerial⸗Rath Herrmann das Wort:

Ich kann dem Herrn Vorredner die beruhigende Versicherung

eben, daß dieses Gesetz nichts enthält, was die betheiligten Organe

der freien Huülfskassen in Nürnberg einerseits, andererseits die dortige Gemeindevcrtretung hindern könnte, das Hisherige Verhältniß fortzusetzen. Die Pointe dieses Verhältnisses hat der Herr Vorredner ganz richtig dahin präzsirt, daß die Mit- glieder der Nürnberger freien Hülfsktassen gleichzeitig auch der dortigen Gemeindekrankenversicherung angehören. Es ist dieses Verhältniß natürlich für die Kassenmitglieder äußerst vortheilhaft; denn die Hauptsache der Krankenpflege, das Heilverfahren kann doch gewiß von den freien Hülfe kasen weder so billig noch so vortrefflich shren Mitgliedern gewährt werden, wie in den öffentlichen Kranken⸗ anstalten der Stadt Nürnberg. . . .

Wenn ich nun aber erklärt habe, daß keine Bestim mung dieses Gesetzentwurfs die betheiligten Organe der Gemeinde⸗ Krankenverficherung und der freien Hülfskassen in Nürnberg hindern wird, das bisherige Verhältniß fortzusetzen, so muß ich denn doch bemerken, daß dies nur geschehen kann in dem beiderseitigen Einver⸗ ständniß der Betheiligten. In dieser Beziehung ändert sich unser bisheriges Recht durch die Bestimmungen dieses Gesetzentwurfs Nach unserem bisherigen bayerischen Rechte konnten die Mitglieder der freien Hülfskassen, gleichgültig, welche Leistungen diese Hülf⸗ kaffen gewährten, sich gegen den Willen. der Gemeinde⸗ behörden, der Gemeindekrankenversicherung nicht entziehen; sie waren verpflichtet, die Gemeindekrankenkassen-Beiträge zu leisten, gleichviel welche Leistungen sie außerdem übernahmen für ihre. Hülfs kassen. Das wird sich in Zukunft ändern, Wenn nämlich eine der⸗ artige Hülfekasse die Minimglleistungen der Gemeindekrankenversicherung übernimmt, so können ihre Mitelieder durch die Gemeindebehörden nicht gezwungen werden, bei der Gemeindekrankenversicherung zu bleiben. An⸗ hererseits kann aber auch die Gemeindebehörde nicht gezwungen werden, für den Fall, daß eine freie Hülfskasse die Minimalleistung der Ge⸗ meindekrankenverficherung ihren Mitgliedern gewährt, diese Mitglie— der fernerhin in der Gemeindekrankenversicherung zu behalten. Sie sehen also, auf diesem Gebiete gewährt der Gesetzentwurf eine größere Freiheit der Bewegung; aber indem er diese größere Freiheit gewährt, geht natürlich der Gesetzgeber von der Voraussetzung aus, unter der er ja alle gefetzlichen Freiheiten gewährt, daß von derselben die Betheiligten einen verständigen Gebrauch machen. Nachdem nun allerfeits anerkannt ist, daß das bisher in Nürnberg bestandene Ver⸗ hältniß zwischen der Gemeindekrankenversicherung und diesen freien l nf für die Betheiligten ein wohlthätiges war, so kann doch wohl zu der Intelligen; der Mitglieder und Vorstände dieser freien Hälfskassen einerseits und andererseits zu dem so sehr und so oft schon bewährten Wohlwollen der Gemeindebehörden in Nürnberg gegenüber den Arbeiterinteressen das Vertrauen gehegt werden, daß sie, obwohl ihnen dieser Gesetzentwurf die Freiheit gestatten wurde, unter gewissen Voraussetzungen dieses Verhältniß zu lösen, gleichwohl dasselbe zum Segen der Arbeiter auch fernerhin fortsetzen werden.

Der Abg. Hr. Hammacher bat den Abg. Hirsch, die Zwangs⸗ kassen nicht gar zu heftig anzugreifen. Die Minimalleistungen der freien Kassen feien zu gering, als daß sie die kranken Arbeiter erhalten könnten, und dann möge man für die dritte Lesung eine Aenderung beantragen, die diese Minimalleistungen erhöhe.

Der Abg. Dr. Greve erklärte, die meisten deutschen Aerzte erblickten in den We eg, keinen Vorzug, sondern einen Nachtheil für die Aerzte, besonders darum, weil ihre Stellung in diesen Kassen der Würde des ärztlichen Standes nicht ent⸗ spreche, für die Kranken, weil der Zwang das Vertrauen zu

den betreffenden Aerzten erschüttern müsse.

Der Abg. Eberty betonte, die Sicherheit, durch die Krankenkassen das Nöthige gezahlt zu sehen, werde erst er⸗ reicht werben können, wenn man erstens die Gewerbefreiheit tödte, und wenn man zweitens Minimallöhne einführe; das erste sei eine Erschütterung der Grundlagen des Deutschen Reiches, das zweite eine sozialistische Einrichtung. Den Vor⸗ theil der Zwangskassen könne man also nicht erreichen, man möge darum einfach bei den freien Kassen bleiben.

Der Abg. Dr. girsch erwiderte dem Abg. Hammacher, daß er die Zwangskassen nicht übermäßig angegriffen, sondern nur sachlich gesprochen habe. Mit Bezug auf die Worte des Abg. Lohren vom Sonnabend weise er den Vorwurf, daß den Juden der Gemeinsinn fehle, als aller Geschichte widersprechend zurück, er bitte, die Hetzen nicht in das Haus zu übertragen. Die freien Kassen leisteten weit mehr, als die Zwangskassen, besonders durch de länger gewährte Hülfe.

Der Abg. Kayser konstatirte, daß die freien Kassen nicht

anz so schlimm seien, wie der Abg, Lohren sie dargestellt

abe; die denselben vorgeworfenen Fehler fänden sich auch bei den Zwangekassen. Es sei begreiflich, daß Abg. Eberty, ein Magistratsmitglied, sich für freie Kassen ausgesprochen habe, da diese der Bevormundung der fortschrittlichen und secessio⸗ nistischen Magistrate, wie etwa in Berlin und Breslau, wo beispielsweise ein Kassenarzt nicht angestellt werde, weil sein Bruder Sozialdemokrat sei, in höherem Grade unterlägen. Der Abg. Greve könne auch nicht als Vertreter aller Aerzte

gesprochen haben; es käme vor, daß ein Kassenarzt seine Hülfe verweigert habe, wenn derselbe das Honorar nicht sicher ge⸗ habt habe. Uebrigens sehe nicht Alles so schön in den Ge⸗ , aus, wie der Abg Hirsch es darzustellen versucht abe.

Der Abg. Dr. Buhl betonte, die Kommission habe mit diesem Paragraphen nicht die freien Hülfstassen entfernen wollen, und wolle auch diejenigen bestehen lassen, die wirklich Gutes geleistet hätten. Die Hauptschwäche des Gesetzes bestehe darin, daß sich die Krankenversicherung nach dem ortsüblichen Tagelohn richte. Damit würden die Zwangskassen geschädigt, denn dem Arbeiter lomme es nicht darauf an, ein Kranken— geld in der Höhe des durchschnittlichen Tagelohnes zu er— halten, sondern ein Krankengeld in der Höhe seines bisherigen Verdienstes.

Demnächst nahm der Bevollmächtigte zum Bundesrath, Geh. Ober⸗Regierungs-Rath Lohmann das Wort:

Meine Herren! Den verbündeten Regierungen könnte es nur an— genehm sein, wenn in der dritten Lesung dieser Paragraph noch eine Verbesserung erhielte, wodurch der Zweck des Gesetzes noch vollkom⸗ mener erfüllt würde, als durch die jetzigen Bestimmungen. Ich glaube indessen schon jetzt darauf aufmerksam machen zu sollen, daß das mit einer Ausnabme, die ich nachher erwähnen werde, nicht so ganz leicht ist. Mit dem Herrn Vorredner muß ich mich dahin einverstanden er— klären, daß es nicht wohl thunlich sein wird, die freien Hülfskassen nach denjenigen Grundsätzen zu beurtheilen, welche für die Orts— krankenkassen in das Gesetz aufgenommen sind. Abgesehen von dem prinzipiellen Grunde, welchen der Herr Vorrehner anführte, sprechen dagegen auch noch technische Schwierigkeiten. Denn, meine Herren, wenn man für die freien Hülfskassen statt des ortsüblichen Tagelohns den durchschnittlichen Tagelohn zur Grundlage der Be⸗ rechnung der Höhe der Unterstützung machen will, so entsteht die

rage, welcher durchschnittliche Tagelohn denn maßgebend sein soll.

er durchschnittliche Tagelohn ist für denselben Ort nicht immer der— selbe, sondern er ist verschieden je nach der Kategorie der Arbeiter, für welche die bestimmte Ortskrankenkasse gegründer wird. Es ist aber unmöglich, in dem Gesetze hierüber eine Bestim— mung zu treffen, welche für jeden einzelnen Fall zutreffend sein würde; denn die freien Hülfskassen kestehen sehr häufig nicht aus Arbeitern einer bestimmten Kategorie, sondern sie fetzen sich aus Arbeitern verschiedener Klassen zusam men. Das ist einer von den technischen Gründen, welche die verbündeten Regierungen bewogen haben, die Verhältnisse der freien Hülfskassen nach den Grundsätzen der Gemeindekrankenversicherung und nicht der Orts— krankenkassen zu regeln.

Was dann die Höhe des Krankengeldes anbetrifft, die da ein⸗ treten soll, wo freier Arzt und freie Arznei nicht gewährt wird, so will ich noch einmal wiederholen, was ich schon neulich gegenüber dem Hrn. Abg. Lohren bemerkt habe, daß die verbündeten Regierungen feinesweges von der Auffassung ausgegangen sind, daß dieses 1½, um welches das Krankengeld erhöht werden soll, wirklich unter allen Um— staͤnden die freien Kuren und freie Armnei decken würde. Nein, meine Herren, das mußten sich die verbündeten Regierungen von vornherein fagen, daß man eine Bestimmung, die einen vollen Ersatz für alle Fälle sichern würde, in das Gesetz nicht aufnehmen konnte; es werden vielmehr der Fälle sehr viele sein, wo die freie Kur und die freie Arznei mehr betragen als das ganze Krankengeld. Es kam also nur darauf an, ein bestimmtes Maß der Erhöhung in dem Gesetze festzu— setzen, welches den Zweck erfüllt, der auch ganz richtig von dem Herrn Vorredner hervorgehoben ist, daß nämlich die freien Kassen nicht zu blos illusorischen Versicherungen werden. In dieser Beziehung waren die verbündeten Regierungen geneigt, so weit zu gehen, wie es mit den sonstigen Grundsätzen für die Bemessung des Krankengeldes vereinbar ist. Das Krankengeld soll aber doch niemals die volle Höhe des Lohnes erreichen, und da unter Umständen der Lohn eines Mitgliedes einer freien Hülfskasse auch wohl der ortsübliche Tage⸗ sohn sein kann, so darf das Krankengeld auch unter keinen Umstän— den, selbst wenn die Arzt⸗ und Arzneikosten mit darin ent— halten sind, den vollen Betrag des ortsüblichen Tagelohnes erreichen. Ich gebe aber ju, daß man in dieser Beitiehung noch etwas weiter gehen kann, als in dem zur Berathung stehenden Paragrarhen geschehen ist. Man kann so weit gehen, wie nach 5. 17 mit der Erhöhung des Krankengeldes durch Beschluß der Betheiligten 5 werden kann, nämlich bis zu R des ortsüblichen Tage— ohnes.

Dann aber möchte ich bemerken, daß die Gefahr, welche von dem . Abg. Dr. Buhl hervorgehoben ist, daß nämlich durch Frrichtung von freien Hülfskassen, die blos eine illusorische Versicherung geben, der Zweck des ganzen Gesetzes in Frage geftellt weiden könnte daß diese Gefahr nicht so groß ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Ich gehe auf das Beispiel ein, welches von dem Herrn Vorredner angeführt ist, er sagt, Arbeiter in dem Bezirk Dortmund haben einen sehr hohen Lohn, sie können der gefetzlichen Anforderung der Krankenversicherung dadurch ausweichen, daß sie sich bei einer andern Krankenkasse versichern, die . B. in Thüringen in einem Ort mit schr niedrigen Löhnen er richtet wird. Nun, meine Herren, muß man doch fragen: wie wird fich das praktisch machen? Entweder wird diese Kasse von, den Leuten errichtet werden, welche in Dortmund wohnen, die können aber doch recht gut an irgend einem kleinen Ort von Thüringen eine Kaffe gründen oder man nimmt an, daß die Kasse von Leuten errichtet wird, welche in Thüringen wohnen. Diese haben aber nicht das geringste Interesse daran, fur die Leute in Dortmund eine Kasse zu gründen, welche nur dazu dienen soll, den Ver⸗ sicherungszwang zu. umgehen. Oder man könnte auf den Gedanken kommen, daß dritte Personen ein Gewerbe daraus machen könnten, solche Kassen zu gründen. Ich bezweifle aber, daß das ge⸗ schehen wird. Diese Leute würden bei diesem Gewerbe ihre Rechnung nicht finden, waz sie doch allein dazu führen könnte, sich auf eine solche Manipulation einzulaͤssen. Diese Gefahr kann ich also so hoch nicht anschlagen. ;

Nun kommt noch die eine Frage in Betracht, ob es nicht richtig wäre, den ortsüblichen Tagelohn des Ortes zu Grunde zu legen, an' welchem der Arbeiter zur Zeit wohnt. Ich glaube, daß dies zu großen Schwierigkeiten führen würde, denn es würde dann die freie Hülfskasse, welche ja bei der ersten Einrichtung nicht wissen kann, wo bemnächst ihre Mitglieder überall zerstreut sein werden, über⸗ haupt keinen Maßstab, zur Bemessung der Krankenunterstüůtzung finden können. Sie muß aber einen solchen Maßstab haben, ebenso muß die Behörde, welche sie anerkennen soll, einen Maßstab haben und dazu kann nicht der ortsübliche Tagelohn irgend eines beliebigen Ortes im Reiche genommen werden, sondern nur derjenige des Orteß, wo die Kasse ihren Sitz hat.

Deshalb glaube ich, welche Anstrengungen man auch machen möge, diesen Paragraphen zu verbessern, daß es nur in so weit ge⸗ singen wird, daß man die Quote, welche für freien Arit und Arinei hinzukommt, etwas über das angegebene Maß erhöht.

Der Abg. Dr. Meyer (Breslau) wies den Vorwurf des Abg. Kayser zurück, den derselbe gegen den Magiftrat von Breslau erhoben, daß derselbe einen Armenarzt nicht bestätigt

habe, weil der Bruder desselben Sozialdemokrat sei. Ein Ma⸗ gistrat sei weder konservativ noch liberal.

Der Abg. Eberty schloß sich diesen Ausführungen für den Magistrat von Berlin an. Diese Behörden verwalteten nach den Grundsätzen der Städte⸗Ordnung von 1848. Das Gesetz sei ihre Vollmacht.

Der Abg. Pr. Hammacher wandte sich gegen einzelne Be⸗ merkungen des Abg. Kayser, demselben widersprechend, daß dieses Gesetz die Verstaatlichung der Sicherheit der Arbeiter gegen Krankheit sei.

Der Abg. von Köller erklärte, der Abg. Meyer habe sich vorhin beschwert, daß der Abg. Kayser den Ausdruck gebraucht hätte: fortschrittliche Magistrate von Breslau. Er gebe dem Abg. Kayser vollkommen Recht, daß dies nicht gut klinge, möchte aber bei dieser Gelegenheit wünschen, daß alle Parteien dieses Hauses vermeiden möchten, sowohl kommunale wie Staatsbeamte in ein schlechtes Licht zu stellen durch derartige Attribute der Gegenpartei. Die Anregung des Abg. Meyer begrüße er daher mit Freuden, namentlich freue es ihn, daß die Anregung von der linken Seite des Hauses aus—⸗ gegangen sei.

Der Abg. Dr. Hirsch bemerkte, was das letztere betreffe, so sei doch ein kleiner Unterschied zwischen Staats- und Kom⸗ munalbeamten. Ohne begründete Ursache sei niemals den Staatsbeamten vorgehalten worden, daß sie für eine bestimmte Partei eingetreten seien. Was die Sache betreffe, so sei es ein allgemeiner Grundsatz, daß dasjenige, was dem Arbeiter gewährt werde, aufgebracht werden müsse durch die Produktion. Der Abg. Kayser habe hehauptet, die Gewerkvereine seien nur dazu da, um der Sozialdemokratie den Boden vorzubereiten. Er konstatire demgegenüber das Gegentheil: gerade in den Gegenden, wo die Gewerkvereine sich ausgebreitet, wie in Danzig, Neu Vorpommern, einem großen Theil von Thüringen, habe die Sozialdemokratie nie aufkommen können.

Der Abg. Kayser machte auf die Städtetage aufmerksam, auf denen die betheiligten Magistrate ganz bestimmte Partei⸗ ansichten vertreten hätten.

§. 69 wurde darauf mit sehr großer Mehrheit angenom⸗ men; ebenso ohne Debatte unverändert nach dem Kommissions⸗ beschlusse die 55. 69 a., b., C., d., e., 70, 71 und 72.

Es folgte 5. 72 a.,, welcher nach der Kommissionsvorlage autet:

Die in diesem Gesetze für Gemeinden getroffenen Bestimmun— gen gelten auch für die einem Gemeindeverbande nicht einverleib⸗ fen selbständigen Gutsbezirke und Gemarkungen. Soweit aus den selben der Gemeinde Rechte und Pflichten erwachsen, tritt an ihre Stelle der Gutsherr oder der Gemarkungsberechtigte.

Hierzu beantragte der Abg. von Kleist-Retzow am Schlusse des ersten Satzes hinzuzufügen: „mit Ausnahme des §. 5 Äbsatz 3*.

Der Abg. von Kleist-Retzow befürwortete seinen Antrag, über die Frage sei schon bei 8. 5 gesprochen worden. Ge⸗ eigneter scheine ihm die Erledigung an dieser Stelle, und er hoffe, daß der Referent nunmehr seinem Antrage keine Be— denken entgegenstellen werde. Der 8. 72a. entspreche dem ge—⸗ meinen preußischen Rechte, und, wie es scheine, auch dem Rechte in südlichen Ländern, weil von „Gemarkungen“ die Rede sei, die man hier nicht kenne. Die Abgaben in den Ge— meinden, welche die Gemeinde zu geben habe, habe ein der⸗ artiger felbständiger Gutsbezirk auch zu leisten. Für solche sei 5. 5 also gegenstandslos. Im 5. 5 sei bestimmt, daß, wenn die Gemeinde auf die Beiträge der zu Versichernden verzichte, sie die Beiträge aus Gemeindemitteln hergeben müsse. Das falle nun nicht auf die landwirthschaftlichen Arbeiter, weil diese nicht die Kommunallasten zu tragen hätten, son⸗ dern auf die Besitzer. Es hindere nun die gesetzliche Bestim—⸗ mung, daß land- und forstwirthschaftliche Arbeiter von der Versicherung ausgeschlossen werden könnten. In Konsequenz der Annahme des 5. 5 müsse man auch seinem Antrage jetzt zustimmen.

Der Referent Abg. Frhr. von Maltzahn-Gültz erklärte, er habe damals in den Kommissionsberathungen Bedenken gegen hen jetzt vorliegenden Antrag gehabt, die er aber bei naherer Erwägung als nicht stichhaltig befunden habe. Er bitte des— halb, jetzt dem Antrage zuzustimmen.

Der Abg. Dr. Gutfleisch war der Meinung, daß die Vor⸗ aussetzungen, auf welche hin der §. 5 angenommen worden 1. hier nicht zutzäfen; er empfehle indeß den Antrag zur An⸗ nahme.

Der Bundeshevollmächtigte, Geheime Ober⸗-Regierungs⸗ Rath Lohmann entgegnete, mit der Annahme des vorliegenden Antrages werde einem dringenden Bedürfniß abgeholfen. Es ses gesagt, man habe in der Kommission an diesen Fall nicht gedacht, er sei überzeugt, daß es noch eine ganze Reihe von Fällen auf dem Gebiet der Landwirthschaft gebe, an die jetzt nicht gedacht worden, und die erst beim Inkrafttreten des Ge⸗ setzes fich fühlbar machen würden. Er wolle darauf hinweisen, daß bei der dritten Lesung mehrere derartige Aenderungen in Vorschlag gebracht würden.

Bei der hierauf folgenden Abstimmung wurde §. 724. mit dem Antrag von Kleist-Retzoaw angenommen. Die §85. 73 und 74 wurden ohne Debatte unverändert nach dem Kom⸗ missionsvorschlage genehmigt.

§. 75 lautet nach dem Kommissionsbeschlusse:

Für Kassen der in 5. I4 bezeichneten Art, welche neben den nach den Vorschriften dieses Gesetzes zulässigen Leistungen Inva—⸗ liden . Wittwen⸗ oder Waisenpensionen gewähren, treten folgende Bestimmungen in Kraft.

1) Die bisherige Kasse bleibt als Krankenkasse bestehen. Auf dieselbe 6. die Vorschriften des 5. 74 Anwendung.

3) Der statutenmäßigen Vertretung der bisherigen Kasse, bei K,, (8. 53) jedoch nur unter Zustim⸗ mung des Betriebsunternehmers, ist gestattet, eine besondere Pensions fasse mit Beitrittszwang für diejenigen Klassen von Personen, welche der bisherigen Kasse beizutreten verpflichtet waren, zu errichten.

3) Für die neue Pensionskasse ist durch Beschluß der Ver= tretung der bisherigen Kaässe, bei Betriebs ⸗(Fabrik ⸗) Krankenkassen durch den Betriebsunternehmer, nach Anhörung der Vertreter der bisherigen Kasse ein Kassenstatut zu errichten.

I Findet die Errichtung einer besonderen Pensionskasse statt, so erfolgt die Verwendung des Vermögens der bisherigen Kasse nach Anpchnung der höheren Verwaltungsbehörde in der Weise.