1883 / 152 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 02 Jul 1883 18:00:01 GMT) scan diff

haft nachgewiesen wird, daß das Federvieh aus seuchenfreien Gegenden des Auslandes stammt.

Ew. ꝛc. ersuche ich, hiernach gefälligft die erforderlichen Anordnungen schleunigst treffen zu wollen, falls im dortigen Bezirke die Einfuhr von Federvieh untersagt sein sollte.

Berlin, den 29. Juni 1883.

Der Minister für Landwirthschaft, Domänen und Forsten. Lucius. An die Königlichen Regierungs⸗Präsidenten zu Marienwerder, Bromberg, Posen, Oppeln, Königsberg und Gumbinnen.

Aichtamtsiches. Deuntsches Reich.

Preußen. Berlin, 2. Juli. Se. Majestät der Kaiser und König machten, wie „W. T. B.“ aus Ems meldet, gestern früh die gewohnte Kurpromenade.

Zum Diner bei Sr. Majestät war am Sonnabend das Dffiziercorps des Bonner Königs⸗-Husaren Regiments geladen.

Am Abend wohnten Se. Majestät der Theater— vorstellung bei.

Heute Vormittag hatten nach der Kurpromenade der Hofmarschall, Graf Perponcher, und der Chef des Civil⸗ kabinets, Wirkliche Geheime Rath von Wilmowski, Vortrag bei Sr. Majestät.

Zum gestrigen Diner hatten Einladungen erhalten: Prinz Alexander von Hessen, Prinz Ludwig von Battenberg, General von Thiele, der belgische General Gaffinet, Baron Rebecque, Kammerherr von Bibra, der russische Kammerherr Karski, Oberst von Winterfeld, Professor Camphausen und der Adju—⸗ tant des Großherzogs von Mecklenburg⸗Strelitz, Major Winsloe.

Abends besuchten Se. Majestät das Theater.

Se. Kaiserliche und Königliche Hoheit der Kronprinz suhr am Sonnabend Morgen 8 Uhr in Beglei— tung Sr. Königlichen Hoheit des Erbgroßherzogs von Baden zu einer Schießübung nach Spandau und kehrte nach Beendigung derselben um 10 Uhr nach Potsdam zurück.

Gestern Morgen begaben Sich die Kronprinzlichen Herr⸗ schaften in Begleitung der Prinzessinnen Töchter um 9 Uhr nach Bornstedt, um dem Gottesdienst beizuwohnen.

Die Schlußberichte über die vorgestrigen Sitzungen des Herrenhauses und des Hauses der Abgeordneten befinden sich in der Ersten Beilage.

In der heutigen (19. Sitzung des Herren— hauses, welche der Präsident Herzog von Ratibor um 3 Uhr 25 Minuten eröffnete, und welcher der Vize⸗Präsident des Staats⸗Ministeriums, Minister des Innern von Putt— kamer, die Staats⸗Minister Dr. Friedberg und von Gohßler und mehrere Regierungskommissare beiwohnten, machte der Präsident zunächst die Mittheilung, daß von dem Königlichen Staats Ministerium ein Schreiben eingegangen sei, nach welchem den beiden Häusern des Landtages heute Nachmittag 1 Uhr eine Allerhöchste Botschaft mitgetheilt werden solle. Zu diesem Behufe werden das Herrenhaus und das Abgeordnetenhaus zu einer gemeinsamen Sitzung in dem Sitzungssaale des Ab— geordnetenhauses eingeladen.

Dann trat das Haus in die Tagesordnung ein, deren einziger Gegenstand der mündliche Bericht der XIII. Kom— mission über den Gesetzent wurf, betreffend Abände⸗ rungen der kirchenpolitischen Gesetze war. Der Berichterstatter Herr Adams befürwortete zunächst in kurzen Worten den Antrag der Kommission: die Vorlage unverändert nach den Beschlüssen des Abgeordnetenhauses zu genehmigen. In der Generaldiskussion über diesen Antrag nahm zu— nächst das Wort der Graf von Brühl, welcher darum bat, der Vor⸗ lage dem Antrage der Kommission gemäß möglichst einstimmig bie Zustimmung zu ertheilen. Trotzdem er manche Wünsche in Bezug auf die kirchenpolitischen Gesetze hege, so wolle er dieselbe doch in dem gegenwärtigen Moment gern zurückhalten in dankbarer Anerkennung des Entgegenkommens der Regierung; denn er erblicke in diesem Gesetzentwurf ein erfreuliches Zeichen von dem Bestreben der Regierung, zu einer fried—⸗ lichen Verständigung zwischen Staat und Kirche zu gelan⸗ gen. Auch dem Kultus-Minister müsse er seinen Dank

In dem Gesetze mache der Staat ein—⸗ Rom dafür eine Es werde dadurch ein von niederer Klerus ge⸗ Kulius⸗Minister, hier klar und den möglichen und

dierkalare eine 34 des gemeinsamen Rechtes * dürfe r dur den Richter entschieden wer⸗

bed nicht durch den Bischof. Seien erst die Maigesetze

beseitigt, dann werde das Centrum weitere Forderungen stelen; sein Führer habe bereits mit einiger Unvorsichtigkeit diese Absichten angedeutet: zunächst Wiedereinführung der katho⸗ lischen Abtheilung des Kultus⸗Ministeriums; die Angriffe gegen den Schulzwang seien bereits deutlich hervorgetreten; die be⸗ thörten Alliüirten des Centrums würden sich diesen Forderungen anschließen müssen, und das sei dann der Dank für den Schutz, welchen die Hohenzollern Jahrhunderte lang den katholischen Unterthanen haben zu Theil werden lassen. Es sei zu bewun⸗ dern, daß von Seiten des Centrums nicht der Antrag einge⸗ bracht worden sei, einen Zusatzparagraphen zu beschließen, nach welchem dies Gesetz mit dem 10. November 1883 m Kraft treten solle. In dem Jahre der 400jährigen Feier des Ge⸗ burtstages Luthers sei diese Vorlage eine sehr traurige.

Herr Frhr. von Mirbach erklärte, er habe schon früher im Sinne dieser Vorlage sich ausgesprochen und begrüße deshalb das Gesetz mit Freuden. Nur durch ein Zusammengehen der Konservativen mit den gemäßigten Elementen des Centrums sei eine Förderung der gegenwärtigen sozialen und wirthschaft⸗ lichen Aufgaben möglich, da in dieser Beziehung sich der Liberalismus nicht leistungsfähig erwiesen habe. Redner hofft, daß das Gesetz mit einer möglichst großen Majorität ange⸗ nommen werde, und beantragte namentliche Abstimmung.

Herr Dr. Dove meinte, das Geheimniß, durch welches das Centrum seine politische Machtstellung erlangt habe, beruhe auf jenem eisernen Festhalten an seinen Prinzipien, welches das⸗ selbe auch gegenwärtig veranlaßt habe, die allgemeine Schul⸗ pflicht zurückzufordern. Wer wie Herr von Mirbach bei jeder Gelegenheit nur an die wirthschaftlichen Reformen und Ver— besserungen denke und diese zur Maßgabe seiner Handlungen mache, der tanze auch vor dem goldenen Kalbe, und wenn die organische Revision der Maigesetze in dieser Weise sortgesetzt werden sollte, dann dürfte aus der organischen Revision sehr leicht eine unorganische Konfusion werden. Die Vorlage sei nur die Schale der Maigesetze, aber in dem Kernhause sitze Hr. Dr. Windthorst, von dem er nur wünsche, daß er nicht in das Kernhaus der preußischen Souveränetät gelange. Die Vorlage bringe in dieser Form noch nicht den Frieden, das Heraus⸗ hrechen der Rechtskontrolen aus den Maigesetzen mache dieses Gesetz für ihn (Redner) unannehmbar. Tie Kirche zeige immer nur die Friedenstaube auf dem Dache, und die Freunde der Vorlage ließen immer mehr Sperlinge aus der Hand fliegen. Als Protestant und weil er die Rechte der Krone wahren wolle, werde er gegen die Vorlage stimmen.

Der Staats⸗Minister von Goßler erwiderte, er habe nicht ge— glaubt, daß er noch zu einer Darlegung das Wort würde ergreifen müssen, die Herren Dr. Beseler und Dr. Dove hätten ihn jedoch veranlaßt, hier das Wesen der Vorlage zu präzisiren. In dem Sinne, wie Dr. Beseler meine, schwebten überhaupt keine Verhandlungen mit der Kurie. Die Gesandtschaft bei der Kurie habe die Ansichten der Kurie über verschiedene Punkte zu sondiren und eventuelle Verhandlungen auch anzuknüpfen. Die Vorlage solle für Preußen anderen Staaten längst geltendes Recht sei und schon lange bestehe: eine gewisse Mitwirkung des Staats bei der Anstellung der höheren Geistlichen. Die Nothwendigkeit, den kirchlichen Gerichtshof für die hier in Aussicht genomme⸗ nen Fälle zu eliminiren, sei in der Kommission besonders— anerkannt und betont worden. Weiter bezwecke die Vor lage, diejenigen Sakramentenspendungen, welche den oberen Geistlichen vorbehalten seien, den kompetenten Geist⸗ lichen auch in fremden Diözesen zu gestatten. Es sei nicht angenehm, wenn man solche Vorwürfe hören müsse wie vorhin; dieselben Schritte, welche die preußische Regierung unternehme, hätten Oesterreich, Württemberg und Baden ebenfalls gethan und seien damit zu einem fried⸗ lichen Verhältniß mit der Kurie gelangt. Uebrigens stehe er (Redner) auf einem anderen Standpunkt bezüglich der Mischehen— frage und der Interkalare, als der Fürstbischof von Breslau, aber das könne ihn nicht veranlassen, gegen diesen nun auch auf kirchenpolitischem Gehiet zu Felde zu ziehen. Die Vorlage sei nur eine Etappe, nicht eine neue Basis, auf der der alte Streit fortgeführt, sondern auf der der neue Friede angebahnt werden solle, darum bitte er im Vertrauen zur Regierung derselben zuzustimmen.

Nach einigen faktischen Bemerkungen der Herren Graf Brühl, Dr. Dove und Dr. Beseler gegen die Darlegungen des Kultus-Ministers und des Freiherrn von Mirbach gegen Dr. Dove wurde die Generaldiskussion geschlossen. Der Referent Herr Adams resumirte die Debatte, worauf die Spezial— diskussion über §. J erfolgte.

Bei derselben nahm Fürst Ferdinand Radbziwill Veran— lassung, seine Befriedigung auszudrücken, daß in der Vorlage den dringenden Bedürfnissen der Kirche entsprochen werde. Wie erheblich vitale Interessen durch die Vorlage berührt würden, gehe schon daraus hervor, daß selbst so alte Kultur— kämpfer wie die Herren Beseler und Dove anertennen müßten, daß doch manche Mängel auf dem Gebiete bestehen.

Herr Struckmann hielt es für wünschenswerth, daß nicht blos von der Staatsregierung, sondern auch von der Kurie Konzessionen gemacht und Garantien gegeben würden, daß die Konseguenzen des Gesetzes namentlich in Bezug auf die An— zeigepflicht auch innegehalten würden.

Der Staats⸗-Minister von Goßler erwiderte, daß die An⸗ zeigepflicht zwar nicht werthlos, aber nicht von solchem Werth sei, wie der Vorredner ihr beizulegen scheine. Fliege die An⸗ zeigepflicht über Bord, hann werde ihr auch manches Andere folgen, was der Kurie jetzt in dem Gesetz zu Statten komme.

Nach einigen thatsaͤchlichen Bemerkungen der Herren Frei⸗ herr von Mirbach und Struckmann wurde die Debatte ge⸗— schlossen und Art. 1 angenommen. Ohne Debatte wurden so— dann die übrigen Artikel des Gesetzes angenommen und das ganze Gesetz schließlich in namentlicher Abstimmung mit 64 gegen 16 Stimmen.

Hiermit war die Tagesordnung erledigt.

Herr von Schuhmann sprach dem Präsidenten den Dank des Hauses für die umsichtige Leitung der Geschäfte aus, welchen der Präsident auf das Bureau und die Schriftführer übertrug, und ebenso dankte er dem Hause, welches ihn in der Leitung der Geschäfte unterstützt habe.

Dann gab der Präsident die Uebersicht über die Geschäfte des Hauses und schloß die Sitzung um 121½ Uhr mit einem Hoch auf Se. Majestät den Kaiser und König, in welches die Versammlung begeistert und mit erhobenen Rechten drei Mal einstimmte.

Heute um 1 Uhr fand eine vereinigte Sitzung beider Häuser des Zandtags statt, welcher der Vize⸗Präsident des Staats⸗Ministeriums und Minister des Innern von Puttkamer, die Staats-⸗Minister Dr. Lucius, Dr. Friedberg,

nur das schaffen, was in

von Boetticher, von Goßler, Graf von Hatzfeldt, Bronsart von Schellendorff und mehrere Regierungskommissare beiwohnten. Auf Grund einer Vereinbarung beider Präsidenten des Land⸗ tags eröffnete der Präsident des Herrenhauses, Herzog von Ratibor, die Sitzung; als Schriftführer fungirten die Herren von der Osten, Douglas, Seehusen und Dernburg.

Der Vize⸗Präsident des Staats ⸗Ministeriums, von Puttkamer erklärte, er habe der hohen Versammlung eine Allerhöchste Botschaft mitzutheilen. Derselbe verlas, während die An⸗ 6 sich von den Sitzen erhoben, folgende Allerhöchste Bot⸗

aft:

Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen c. haben auf Grund des Artikels 7 der Verfassung vom 31. Januar 1850 den Vize⸗Präsidenten Unseres Staats⸗Ministeriums von Putt⸗ kamer beauftragt, die gegenwärtige Session des Landtages am 2. Juli d. J. in Unserem Ramen zu schließen.

Gegeben Bad Ems, den N. Juni 18853.

Wilhelm. von Bismarck.

Nachdem der Staats⸗-Minister von Puttkamer im Namen Sr. Majestät des Königs die Session für geschlossen erklärt hatte, brachte der Herzog von Ratibor Sr. Majestät dem Kaiser und König ein dreimaliges Hoch aus, in welches die Versammlung begeistert einstimmte.

Schluß 1 Uhr 10 Minuten.

. Die Auswechselung der Ratifikationen des deutsch—⸗ italienischen Handels- und Schiffahrts-Vertrages vom 4. Mai d. J. hat am 30. Juni cr. hier stattgefunden.

Die Königliche Akademie der Wissenschaften hielt am 28. d. Mts. die statutenmäßige öffentliche Sitzung zur Feier des Leibnizischen Jahrestages, welcher der Staats⸗ Minister von Goßler beiwohnte.

Der an diesem Tage vorsitzende Sekretar, Dr. Mommsen, eröffnete die Sitzung mit einigen einleitenden Worten, worin er hinwies auf die Bedeutung dieses Tages als des Gedächtnißtags nicht bloß für Leibniz, sondern überhaupt für die großen Männer unserer wissenschaftlichen Vergangenheit. Er erinnerte an das bevorstehende Lutherfest, bei welchem auch die Akademie insofern betheiligt sei, als sie bei der dadurch veranlaßten Ge— sammtausgabe der Werke Luthers zur Mitwirkung berufen worden, und an das vor wenigen Monaten gefeierte Gedächt— nißfest der Brüder Humboldt, der rechten Vertreter der beiden akademischen Klassen.

Sodann trug Hr. Schrader die Gedächtnißrede auf das verstorbene Mitglied der Akademie Hrn. Olshausen vor.

Darauf verlas der Vorsitzende den Bericht über die Char— lotten⸗Stiflung für Philologie.

Nach dem Statut der von Frau Charlotte Stiepel, geb. Freiin von Hopfgarten errichteten Charlotten⸗Stiftung für Philologie hatte die Königliche Akademie am Leibniztage des vorigen Jahres folgende Preisaufgabe veröffentlicht:

„Die Einrichtung der stadtrömischen Columbarien ist auf Grund der gedruckt vorliegenden Inschriften und Stiche dar⸗ auf hin zu untersuchen, daß die Vertheilung der Nischen auf die einzelnen Wände, die Zählung der Grabplätze und die darc uf bezügliche Terminologie ihre Erläuterung finden. Es ist den Bewerbern überlassen, darüber hinaus die Entstehung der Tolumbarien und deren Chronologie überhaupt, ferner die Rechtsfrage zu erörtern, auf welchen Momenten die Erwerbung des Grabrechts theils für Genossenschaften, theils für Individuen beruht.“ Es ist der Akademie eine Bewerbungs— schrift mit dem Motto: est honor et tumulis rechtzeitig einge— reicht worden. Die Eröffnung des zu der Bewerbungsschrift gehörigen, versiegelten Umschlags ergab als Verfasser: Hrn. Dr. Christian Hülsen in Rom. Derselbe hat, da seine Qua— lifikation nachgewiesen ist, den Preis, bestehend in dem Ge— nusse der zur Zeit 41½ Proz. betragenden Zinsen des Stif— tun zskapitals von 30 600 S6 sür die vier Jahre 1883—1886, zuerkannt erhalten.

Endlich verlas der Vorsitzende einen Auszug aus dem Bericht, den Hr. Dr. Humann über die von ihm im Som— mer 1882 im Auftrage der Akademie und der Königlichen Museen zur Abformung des Augustusmonuments in Angora und der Felsskulpturen in Boghaskiöi in Kleinasien ausge— führte Reise an die Akademie erstattet hat.

Nach Mittheilungen aus dem Auslande ist folgende Subm ission ausgeschrieben worden:

von der Artillerie⸗Direktion der Waffenfabrik zu Terni für den 12. Juli d. J. bis Nachmittags 3 Uhr eine Sub— nission auf Lieferung von 40 000 Eisenstäben zur Ansertigung don Gewehrläufen im Taxwerth von 100 000 Lire.

Ueber die speziellen Bedingungen ist das Nähere an Ort und Stelle einzusehen.

Eine an einemöffentlichen Orte geschehene Beleidigung ist nach einem Urtheil des Reichsgerichts, II. Strassenats, vom 4. Mai d. J., nur dann als eine öffentliche anzusehen, wenn sie im gegebenen Falle dort von einer unbestimmten Anzahl von Personen gehört werden konnte.

Der Bevollmächtigte zum Bundesrath, Großherzoglich mecklenburg⸗schwerinsche Ober⸗-Zolldirektor Oldenburg, ist von Berlin abgereist.

Der Gesandte der schweizerischen Eidgenossenschaft am hie sigen Allerhöchsten Hofe, Oberst-Lieutenant Dr. Roth, hat Berlin mit Urlaub verlassen. Während seiner Abwesen⸗ heit fungirt als interimistischer Geschäftsträger der Legations— Rath Dr. von Claparéde.

Der Kaiserliche Minister-Resident bei den La⸗Plata⸗ staaten, r. von Holleben, ist vom Urlaube zurückgekehrt und hat die Geschäste der Mission wieder übernommen.

Als Aerzte haben sich niedergelassen die Herren Mühl in Usch, Guennemann in Lippstadt, Ruedell in Rhaunen, Dr. Jannes in Riegelsberg, r. Braudmann in Großenlüder, Frickhoeffer als Assistent der gynäcologischen Klinik in Bonn.

Bayern. München, 1. Juli. (W. T. B) Heute vollzog Prinz Luitpold im Auftrage des Königs und in Gegenwart der hier verweilenden Prinzen und Prinzessinnen, des diplomatischen Corps, der Staats⸗Minister, der Würden⸗ träger des Hofes, der Militär- und Civilbehörden und zahl— reicher geladenen Ehrengäste die feierliche Eröffnung der internationalen Kunstausstellung im Glas⸗— palast. Der Präsident des Ausstellungecomités, Professor von Miller, hielt eine Ansprache über die Entstehung und Bedeutung der Ausstellung, welche nach einem Hoch auf den König eröffnet wurde.

Baden. Karlsruhe, 30. Juni. (W. T. B.) Der Großherzog und die Großherzogin sind heute nach Schloß Mainau übergesiedelt.

Sachsen⸗Coburg Gotha. Coburg, 1. Juli. (W. T. B.) Der Herzog von Ed in burg ist nach Kissingen zum Kurgebrauch abgereist.

Elsaß⸗Lothringen. Straßburg, 30. Juni. (Els.⸗ Lothr. Jtg. Der Staatssekretär, Staats-Minister von Hof⸗ mann gebraucht eine ihm ärztlich verordnete Badekur in Baden-Baden. Er wird während des ihm zu diesem Zweck ertheilten, bis zum 15. Juli dauernden Urlaubs durch den Unter⸗-Staatssekretär von Puttkamer vertreten. Der Unter⸗ Staatssekretär Ledderhose hat ebenfalls einen Erholungsurlaub angetreten und sich in die Schweiz begeben.

Das heute ausgegebene „Central⸗ und Bezirksamtsblatt“ veröffentlicht die Verordnung des Statthalters, d. d. Karls⸗ bad, 22. Juni, betreffend die Abänderung der Prüfungs⸗ ordnung für Elementarlehrer und Elementar⸗ lehrerinnen, vom 4. Januar 1874.

Oesterreich⸗ Ungarn. Wien, 30. Juni. (W. T. B.) Der Statthalter Graf Potocki ist heute vom Kaiser in längerer Audienz empfangen worden. Wie die „Presse“ meldet, hat derselbe mit Rücksicht auf die ärztliche Versicherung, daß er wohl einer längeren Erholung dringend bedürfe, jedoch sein Gesundheitszustand im Allgemeinen befriedigend sei, sich dahin entschieden, seine ursprüngliche Absicht, sich von seinem Posten zurückzuziehen, aufzugeben.

1. Juli. (W. T. B.) Der Kaiser hat die Reise nach Steiermark und Krain heute angetreten.

Graz, 1. Juli. (W. T. B.) Der Kaiser ist mit Ge⸗ folge auf der Rundreise durch Steiermark und Krain anläßlich der Jubelfeier beider Kronländer Nachmittags hier eingetroffen. Alle Stationen, welche der Hofzug passirte, waren sestlich geschmückt, überall waren die Behörden, Ge— meindevertretungen, der Klerus, Vereine, die Schuljugend, große Volksmengen und Musikkapellen auf den Bahnhöfen. Beim Herannahen des Hofzuges wurde jedesmal die Volks— hymne intonirt. Besonders festlich war der Empfang in Mürzzuschlag, wo der Statthalter, Baron Kübeck, der Landes— kommandirende, Baron von Kuhn, und senstige Notabilitäten auf dem Bahnhof versammelt waren. Der Kaiser erwiderte die Ansprache des Bürgermeisters in huldvollster Weise und schritt sodann die Front der Ehrencompagnie sowie der Veteranen und Schützen ab. Auch in Brück erfolgte eine Ansprache des Bürgermeisters, welche der Kaiser ebenso huld⸗ voll erwiderte. Von der Station Gratwein fuhr der Kaiser mit Gefolge mittelst Wagen nach dem Cisterzienserstift Rein, wo derselbe den Pontifikalsegen empfing. Daran schloß sich die Besichtigung des Denkmals des Herzogs Ernst des Eisernen. Im Huldigunssaale des Stiftes hielt der Kaiser Cercle und trug seinen Namen in das Gedenkbuch des Stifts ein. Der Grazer Bahnhof war gleichfalls auf das Reichste geschmückt; die Spitzen der Civil- und Militärbehörden waren hier versammelt und außerdem der Infant Don Alsonso zur Begrüßung anwesend. Auf die Ansprache des Bürgermeisters sagte der Kaiser Folgendes: Ihre herzliche Begrüßung erwidere ich mit der Versicherung, daß ich mit Freude zur Feier des patriotischen Landesfestes gekommen bin und gern und mög— lichst lang ein meiner getreuen Landeshauptstadt Graz verweilen will. Mit regem Interesse werde ich mich von dem Aufblühen der Stadt und der Wohlfahrt ihrer Bewohner überzeugen und eine besondere Genugthuung in dem Gedanken finden, daß deren Treue und Anhänglichkeit sich ebenso unverändert erhalten werde wie meine warme Fürsorge und Kaiserliche Huld. Nachdem der Kaiser alsdann noch die Bischöfe ange— sprochen, die aufgestellte Ehrenkompagnie abgeschritten und von den Damen dargereichte Bouquets entgegengenommen hatte, erfolgte unter endlosem Jubel der vor dem Bahnhof versammelten zahlreichen Volksmenge die Einfahrt in die fest— lich geschmückte Stadt. Vor der Burg hatte die gesammte Generalität und das Offiziercorps mit einer Ehrencompagnie Aufstellung genommen. Hier redete der Kaiser, nachdem der Weg durch die Stadt zurückgelegt war, einzelne Generale und Stabsoffiziere an, worauf die Ehrencompagnie defilirte. Um 6 Uhr fand das Hofdiner statt, an welches sich ein Cerele anschloß. Um 8 Uhr begann der Zapfenstreich, wobei die ausführenden Militärkapellen durch Bürgercorps mit Laternen begleitet wurden. Der Enthusiasmus der zahllosen vor der Burg ver— sammelten Menschenmassen war unbeschreiblich groß, als der Kaiser auf dem Balkon erschien und auf das Huldvollste fur die stürmischen Jubelrufe der Bevölkerung nach allen Seiten dankend sich verneigte. Die Begeisterung erreichte ihren Höhe⸗ punkt, als die Musik „Mein Oesterreich“ intonirte. Die Opationen schlossen um 9 Uhr Abends durch eine Serenade des Männergesangvereins im Burggarten.

Trie st, 30. Juni. (W. T. B.) Die Königin von Griechenland hat heute von hier zu Schiff die Rückreise nach Athen angetreten.

Prag, 30. Juni. (W. T. B.) Nach den bis jetzt be⸗ kannten Resultaten der böhmischen Städtewahlen ist das bisherige Parteiverhältniß nicht verschoben. Nur in der Prager Josefstadt sind die ezechischen Kandidaten Zalud und Reitler mit resp. 104 und 103 Stimmen von 203 erschienenen Wählern gegen die bisherigen deutschen Abgeordneten Wiener und Tedesco, welche 100 resp. 98 Stimmen erhielten, gewählt worden. Auf der Prager Kleinseite wurden beide czechische Kandidaten mit großer Majorität gewählt.

Pest, 30. Juni. (W. T. B.). Heute begann vor dem hiesigen Schwurgericht die Verhandlung gegen den Abg. Istoczy wegen seiner in antisemitischen Hlättern veröffent⸗ lichten Artikel. Istoczy erklärte, die inkriminirten Artikel nicht verfaßt zu haben, übernahm jedoch die Verantwortung. Nach den Plaidoyers des Vertheidigers und des Angeklagten gaben die Geschworenen das Verdikt auf Nichtschuldig mit 10 gegen 2 Stimmen ab, worauf der Gerichtshof den Angeklagten freisprach.

Großbritannien und Irland. London, 1. Juli. (W. T. B.) Bei dem gestrigen Bankett des Cobden— kl u hs, wies der Vorsitzende Ehamberlain auf den jüng— sten Rücktritt einiger Mitglieder des Klubs hin und betonte, daß die Einigung der Parteien auf gegenseitigen Konzessionen basiren müsse. Er könne sich nicht verhehlen, daß die radikale Partei größere Opfer bringen und ihr Gefühl für das, was sie für recht halte, dem Gefühl der anderen aus Zweck— mäßigkeitsgründen unterordnen müsse; dagegen könne sie aber Duldung für den freien Meinungsausdruck

beanspruchen. Die Partei opfere die Aktionsfreiheit für die Gegenwart, fordere aber die Meinungsfreiheit für die Zukunft; werde ihr dieses Recht verweigert, so sei eine Union unmöglich und nicht länger wünschenswerth. Sir Charles Dilke toastete auf die fremden Gäste und hob hervor: der Handelevertrag mit Italien enthalte einen Artikel, wonach alle Differenzen einem Schiedsgericht zu überweisen seien. Mit Portugal habe man einen 8 ab⸗ geschlossen, der die Klausel der meistbegünstigten Nation ent⸗ halte. Mit Spanien würde in kurzer in ein billiges Arrangement zu Stande kommen. Der englische Gesandte in Mexiko sei angewiesen worden, besonders auf Handels⸗ beziehungen sein Augenmerk zu richten.

Frankreich. Paris, 30. Juni. (W. T. B.) Der Minister Challemel-Lacour wird heute Abend wieder hier eintreffen und morgen die Leitung der auswärtigen An⸗

gelegenheiten wieder übernehmen.

Der Handels-Minister theilte dem heutigen Ministerrath die gegen eine Einschleppung der Cholera in Frankreich getroffenen Maßregeln mit. In allen Häfen des Mittelmeers und des Ozeans sind danach Quarantäne ⸗-Einrichtungen sür die Provenienzen aus choleraverdächtigen Häfen getroffen; jedes Schiff mit klarem Gesundheitspasse wird behandelt und den Vor⸗ sichtsmaßregeln unterworfen, als hätte es nur unreinen Gesundheitspaß. Diese Maßregel ist nöthig geworden durch die Gewohnheit englischer Seebehörden, ihren Schiffen, selbst wenn sie aus Häfen kommen, die von der Cholera heimge— sucht sind, klare Gesundheitspässe zu verabfolgen; die Regie⸗ rung wird endlich die Einfuhr gewisser, die Einschleppung der Cholera begünstigenden Artikel, wie Lumpen ꝛc., untersagen. Analoge Maßregeln sind für Algier und Tunis angeordnet und Pilgerfahrten aus diesen Ländern nach Mekka untersagt.

Im Senat interpellirte heute Béranger (vom linken Centrum) die Regierung über die Abschaffung der Hospitalgeistlichen und bezeichnete diese Maßregel als eine verhängnißvolle Konzession an den Munizipalrath von Paris, weil dieselbe ben Kranken die letzten Tröstungen ent— ziehe. Er führte in dieser Beziehung verschiedene in den Hospitälern vorgekommene beklagenswerthe Vorgänge an, und machte es dem Minister zum Vorwurfe, daß er dergleichen jakobinische Akte zulasse. Der Minister des Innern Waldeck-Rousseau, erwiderte: die Verwaltung verfahre gesetzmäßig, indem sie den von dem Pariser Munizipalrath auf— gehobenen Subsistenzkredit nicht wiederherstelle; es seien übrigens Maßregeln getroffen, die genügten, um den Kranken den geistlichen Beistand zu gewähren. Wenn Verbesserungen nöthig würden, werde die Regierung dafür sorgen. Béranger er⸗ klärte darauf, er finde die Antwort des Ministers ungenügend und brachte eine Tagesordnung ein, in welcher erklärt wird, daß die Abschaffung der Hospitalsgeistlichen eine Verletzung der Gewissensfreiheit sei. Waldeck-Rousseau verlangte einfache Tagesordnung, die vom Senat mit 136 gegen 120 Stimmen angenommen wurde. Der Senat nahm weiterhin die Konvention mit Deutschland zum Schutze des geistigen Eigenthums an Werken der Kunst an.

Die Kammer der Deputirten verwarf mit 386 gegen 53 Stimmen den Gesetzentwurf Lamessan's, von der äußersten Linken, zu dem Munizipalgesetz, durch welchen jeder Kommune die völlige Unabhängigkeit von der Central— behörde gewährt werden sollte. Mehrere Deputirte der Linken und der Rechten wollten wegen der Tonkin-Angelegen⸗ heit interpelliren. Der Tag der Diskussion wird am Montag bestimmt werden.

1. Juli. (W. T. B.)! Eine Depesche der „Union“ aus Rom meldet der Conseilspräsident Ferry habe dem Papst mit der Antwort des Präsidenten Grävy auf das letzte päpstliche Schreiben eine vertrauliche Note über⸗ sandt. In derselben werde die gegenwärtige Lage der Parteien in Frankreich und die Haltung des Landes und der Kammern auseinandergesetzt und auf die Schwierigkeiten hingewiesen, welche der Regierung bei ihren Bemühungen, die anti⸗ klerikale Bewegung aufzuhalten, bereitet würden. In Frankreich seien die Katholiken der Regierung feindlich gesinnt und suchten nach Mitteln, um den Ministern Schwie⸗ rigkeiten zu bere ten. Der Schluß der Note soll versöhnlich gehalten sein. Die „Union“ fügt hinzu: der Vatikan habe das formelle Versprechen erhalten, daß die Gehälter für die Curés bei Gelegenheit der Amnestie am 14. d. wieder her— gestellt werden würden.

2. Juli. (W. T. B.) Graf Monti, der Privat⸗ sekretär des Grafen Chambord, hat sich auf die Nachricht von einer neuerlichen sehr ernsten Erkrankung desselben nach Frohsdorf begeben.

Italien. Rom, 30. Juni. (W. T. B.) Der Senat genehmigte heute mit großer Majorität den Handels- und Schiffahrtsvertrag mit Deutschland. Die Kam— mer der Deputirten nahm den Gesetzentwurf an, welcher Meliorationen zur Herbeiführung besserer Gesundheitsbedin— gungen in der römischen Campagna zum Gegenstande hat, und vertagte sich sodann.

1. Juli. (W. T. B.) Die „Gazzetta ufficiale“ veröffentlicht die Gesetze, durch welche die Handel s⸗ und Schiffahrtsverträge mit Deutschland und England mit dem heutigen Tage in Wirksamkeit gesetzt werden, sowie das Gesetz, welches die Ermächtigung zur Verlängerung der italienisch⸗französischen Schiff⸗ fahrtskonvention ertheilt.

Türkei. Konstantinopel, 30. Juni. (W. T. B.) Der Sanitätsrath hat eine Verschärfung der Maß—⸗ regeln gegen die Cholera dahin beschlossen, daß alle nicht cholerafreien Schiffe eine Quarantäne von 15 Tagen zu halten haben, wobei die Dauer der Ueberfahrt in die Quarantäne nicht miteingerechnet wird. Die zehntägige Qua⸗ rantäne in den Häfen von Beirut und Smyrna soll für die⸗ jenigen Schiffe gelten, welche während der Ueberfahrt cholera— frei geblieben sind.

Serbien. Belgrad, 1. Juli. (W. T. B.) Der p er⸗ sische Gesandte wurde heute vom König in Audienz empfangen und nahm später an der Hoftafel Theil. Der Gesandte von Hawaii ist heute wieder abgereist.

Nußland und Polen. St. Petersburg, 1. Juli. (W. T. B.) Durch Allerhöchst sanktionirten Beschluß des Kriegsraths wird angeordnet, daß die Festungs⸗ artillerie in Nikolajeff aufzulösen und gleichzeitig eine Verwaltungsstelle sür die Festungsartillerie in Otschakoff mit zwei Bataillonen Festungsartillerie zu bilden sei. Bis zu der

gehörigen Instandsetzung der Befestigungen in Otschakoff ver⸗ bleiben in Nikolajeff 26 Geschütze für eventuelle Neuarmirung

der dortigen Batterien. In Sewastopol und Odessa sollen Festungsartilleriedepots mit entsprechenden Artillerie kommandos errichte und zur Formirung der obenerwähnten neuen Artillerietruppentheile Mannschaften der aufzulösenden Nikolajeffschen Festungsartillerie verwendet werden. Der Rest der . soll in andere Artilleriekommandos versetzt werden.

Das neukreirte Amt eines Stadthauptmanns von St. Petersburg ist dem General⸗Lieutenant Gresser übertragen worden. Den Dorfgemeinde⸗Aeltesten, welche der Krönung beigewohnt haben darunter S3 polni⸗ schen sind goldene und silberne Verdienst⸗Medaillen verliehen worden. Der Gehülfe des Ministers des Innern, Orschewsky, erhielt den Wladimir-Orden zweiter Klasse.

Amerika. Washington, 1. Juli. (W. T. B.) Die Staatsschuld der Vereinigten Staaten hat im Monat Juni um 171 Millionen abgenommen; die Abnahme der Staatsschuld im Laufe des vergangenen Finanzjahres be⸗ trug 137 Millionen.

New⸗Hork, 30. Juni. (W. T. B.) Auf Befehl der Auswanderungskommission sind mehrere aus Irland ausgewanderte mittellose Familien heute nach Irland zurückgesandt worden.

Afrika. Egypten. Alexandrien, 30. Juni. (Reutersches Bureau. Es sinb hierselbst Sanitätskom⸗ missionen eingesetzt worden. In Mansurah sind heute 7 Personen an der Cholera gestorben. Die Prozeß⸗ verhandlung gegen Said Bey Khandil wurde heute wieder ausgenommen.

1. Juli. (Reutersches Bureau.) An der Cholera starben gestern in Damiette 109 Personen, in Port Said eine Person. In Samannud ist ebenfalls die Cholera aus⸗ gebrochen; es sind dort 4 Personen an derselben gestorben.

2. Juli. (R. B.) Gestern sind in Damiette 141 Personen und in Mansurah 14 Personen an der Cholera gestorben. Der Sanitätscordon ist verstärkt worden.

Zeitungsftimmen.

Die „Hallische Zeitung“ sagt über „die Erfolge der inneren Politik des Reichskanzlers“:

Mögen die Ansichten über das Unternehmen der Sozialreform noch so weit auseinandergehen, mögen an die mögliche Art der Aus⸗ führung noch so ungerechtfertigte politische Bedenken geknüpft werden man sollte meinen, ein Volk wie das deutsche, dessen ganzer Sinn von jeher den humanen Problemen mehr als bei irgend einem anderen Volke zugekehrt war, müsse eine tiefgehende Genugthuung darüber empfinden, daß der Zustand des Vaterlandes erlaubt, diese Probleme parlamentarisch mit der ganzen, der Bedeutung des Gegenstandes zukommenden Ruhe und Ausführlichkeit zu erörtern, und zwar mit einer Regierung, welche die Entschlossenheit und die moralische Kraft besitzt, auch auf schwierigen, ungewohnten Pfaden einsichtige Ausdauer zu bewähren. Seitdem die sozialen Probleme in ihrer jetzigen, der neueren Zeit eigenen Ge— stalt aufgetreten, ist keinem Volke eine solche Gelegenheit geboten worden. Einer der angesehensten deutschen Historiker und Publizisten sprach kürzlich vom Reichstag das unmuthige Wort, daß derselbe heute eine produktive Kraft nicht mehr sei. Sollte wirklich die Be⸗ fürchtung sich bewahrheiten können, daß die Vertretung des deutschen Volkes angesichts einer durch die seltensten Umstände herbeigeführten Möglichkeit, das große Problem der modernen Völker, das man als soziale Frage bezeichnet, mit humaner und heilender Hand zu behan⸗— deln, sich als unproduktiv erwiese in Folge unversöhnlichen Parteihaders ind dadurch herbeigeführten Mangels an geistiger und moralischer Er⸗ hebung? Es ist schwer, dies zu glauben, obwohl die „Unternehmer des allgemeinen Mißrergnügens“ alles aufbieten, die öffentliche Mei⸗ nung herunterzudrücken und den zu einer solchen Aufgabe erforderlichen Schwung ihr zu rauben. Die Hoffnung ist vielmehr gerechtfertigt, daß die allseitig ersehnte Pause der parlamentarischen Arbeiten, welche jetzt eintreten und in diesem Jahre durch keine Wahlarbeit verkürzt werden wird, zu einer Sammlung der Geister dienen kann, welche dieselben befähigt, den hochbedeutungsvollen Aufgaben bei Wieder⸗ eröffnung der parlamentarischen Arbeiten mit dem Ernst und der unbefangenen Hingebung entgegenzutreten, welche das Gelingen des Wertes oder der ersten wichtigen Schritte zu demselben allein ver— bürgen können. Erfüllt sich diese Hoffnung, so wird die Politik unseres Reichskanzlers auch auf dem Gebiet des inneren Staatslebens ganz wie in den europäischen Verhältnissen als fruchtbar sicher und erfolgreich bald die allgemeine Anerkennung und Bewunderung finden.“

Dem „Deutschen Handels-Archiv“ wird aus Münster, im April, berichtet:

Die Lage der Mühlenindustrie hat sich erfreulicher Weise im ab— gelaufenen Quartale etwas gebessert. Der Umstand, daß die Müh⸗ len seit langen Jahren wieder einmal in der Lage sind, ihren Bedarf zum größten Theile der hiesigen Gegend entnehmen zu können, machte das Geschäft etwas lohnender, und gab dieser Industrie nach so vie— len und schweren Verlusten Gelegenheit, sich zu erholen.

Die Situation der Baumwollenindustrie ist eine gleichmäßig be—⸗ friedigende geblieben. Die Spinnerei speziell ist bei andauernd bil ligen Baumwollenpreisen voll beschäftigt doch sind Garnpreise in⸗ zwischen unter dem Drucke niedriger englischer Offerten um 4 bis 50 o zurückgegangen. Namentlich die Warpsspinnerei hatte in gröberen Nummern vorübergehend unter dem nachweislich Verlust bringenden englischen Angebot zu leiden, während die Copsspinnerei, welche dieser Konkurrenz nicht ausgesetzt war, bei guten Preisen ausreichende Be⸗ n. fand, ja zeitweise nicht alle Ordres zu bewältigen ver⸗ mochte.

Auch der Weberei brachten die Wintermonate reichliche Arbeit. Es ist mit vollen Kräften gearbeitet worden, jedoch wird stellenweise über schlechte Preise geklagt. Größere Posten Stapelartikel sind nur zu sehr mäßigen Preisen anzubringen, da viele Zwischenhändler sich im vorigen Sommer, als selbst theuere Waare kaum zu haben war, durch Lieferungskontrakte sehr überladen haben. Bei dem schwachen Geschäftsgange in feineren baumwollenen Geweben, wie solche haupt— sächlich Süddeutschland und Elsaß fabriziren, warfen sich viele der sonst hiermit beschäftigten Webereien auf die Herstellung von ge⸗ wöhnlichen gröberen Geweben, Westfälischen Nessel genannt, wodurch deren Preise nachtheilig beeinflußt wurden. Der Export in baum⸗ wollenen Geweben trägt wesentlich dazu bei, der steigenden Produktion der Weberei leichteren Absatz zu verschaffen, besonders sind gefärbte und bedruckte Waaren für den Export stark gefragt. Aus hiesiger Gegend wird namentlich der Artikel Biber, der nebst ähnlichen Stoffen von der Handweberei hergestellt wird, in großen Posten exportirt. Die Handweberei war denn auch vollauf beschäftigt und konnte den Webern bis zu 40 ½ höhere Löhne als vor zwei Jahren gewähren. Arbeitermangel hat sich, wie gewöhnlich im Winter, nicht fühlbar gemacht. Der Zuzug des kleinen Mannes vom Lande nach den In— dustrieplätzen dauert bei den hohen Löhnen fort.

Auch die Arbeitseinstellungen englischer Kunstwollenspinnereien sind auf diese Branche von nachtheiligem Einfluß gewesen. Trotz reduzirtem Betriebe wurde viel auf Lager gearbeitet, und man war genöthigt, neue Absatzgebiete im Inlande aufzusuchen. Höhere Austral⸗ wollenpreise daben in letzter Zeit die Stimmung etwas gebessert, auch soll die Fabrikation selbst bei dem matten Geschäftsgange immer noch einigen Nutzen gewähren.