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Aichtamt liches.
Preußen. Berlin, 14. Dezember. Im weit Verlaufe der gestrigen (15.) . deere der Abgeordneten wurde die zweite Berathung des Staatshaushalts⸗Etats für das Jahr 188485 mit wan der Justizverwaltung (Kap. 74 Tit. 3) fort—⸗
Der Regierungskommissar Geheime Ober-Justiz-Ra Starke erklarte, wenn der Abg. Strosser Zahlen *r. 83 die eventuelle Ab- oder Zunahme der Verbrechen aus der Vagabondage, so könne er demselben damit dienen, bemerke aber, daß soiche Zahlen nicht entschieden, daß man sie wägen müsse. Es habe sich herausgestellt, daß von 1854 bis heute das prozentuale Verhaltniß der Verurtheilungen zu den Frei⸗ sprechungen im Wesentlichen dasselbe geblieben sei. Auch im Reich sei es so gewesen. Wenn bis zur Einführung der neuen Gerichtsorganisation wohl nicht mit Unrecht darüber geklagt sei daß es überhaupt an ausreichen vem statistischen Material sehie, so sei jetzt diesem Uebelstande abgeholsen. Für 1881 sei einẽ derartige, weit über die Grenzen der Geschäftstabellen hinaus⸗ gehende Statistik für Preußen bearbeitet worden, in anderen deutschen Staaten auch. Die neue Statistik seit der Einführung der neuen Gerichtsorganisation weiche von der Statistik in Preußen bis 1881 darin ab, daß sie mit Recht von der Kopf⸗ zahl der Verurtheilten ausgehe, nicht der neu eingeleiteten Untersuchungen. Wer freigesprochen sei, könne nicht mehr Gegenstand einer kriminellen Betrachtung sein. Für die Jahre 1879 und 1880 seien statistische Erhebungen in Preußen nicht vorgenommen worden, weil es bei dem gewaltigen Drange der Organisation an Zeit dazu gefehlt habe. Für die folgenden Jahre habe sich Folgendes er— geben: Die gesammte Kopfzahl der Gefangenen habe 1881/80 620 494 (darunter 433 841 männliche, 1882/83 583 161 (darunter 452 732 männliche) betragen. Wegen Vagabondage seien inhaftirt 1881/82 97 606, 1882,63 89 359. Dieser unzweiselhafte Rückgang sei für 1885 noch erheblicher. Die Gesammtzahlen würden erst nach Ablauf des Geschäfts— jahres sich feststellen lassen. Aber trotzdem nehme er keinen Anstand, jetzt schon zu behaupten, daß ein viel erheblicherer Rückgang da sei, als im vorigen Jahre. Der Rückgang werde in großen Stadten vielleicht nicht viel geringer sein, als in kleinen Orten, oder auf dem platten Lande. Im Untersuchungs— gefangniß Mioabit habe im vergangenen Jahre in einem bestimm—
ten Monat die Zahl sämmtlicher Untersuchungsgefangenen für die Stadt Berlin und für das Landgericht I 1260 betragen, diese Zahl sei in demselben Monat des Jahres 1883 auf S0) her⸗ untergegangen. Alehnliche Erscheinungen seien auch in anderen Bezirken der Monarchie und anderen deutschen Staaten zu Tage getreten, sogar in Oesterreich. Die Armuthsverhältnisse seien für die Zunahme und Abnahme der strasbaren Hand⸗ lungen ganz wesentliche Faktoren. Seit dem Nothjahre 1847 habe eine eminente Steigerung begonnen, welche 1855/66 geendet habe. Was 8 Jahre der Noth sagen wollten, habe er in den 50er Jahren in Schlesien gesehen, und er hahe sich fragen müssen: lasse sich das menschliche Gefühl noch verein
nach Vorstrafen gestellt, führe häufig zum Meineide.
daß derselbe die Unwahrheit sage. Der Richter
einem solchen verdächtigen Menschen aus. Bisweilen trüg
liche Bestimmung habe, daß die Vereidigung ei 3 unterbleiben könne. a
die Vereidigung ausgesetzt werden können. komme dabei nicht zu kurz;
urtheilen hätten,
Kollegium, da würde es immer genügen, wenn
wenn auch der Vertheidiger der
und das seien die meisten oder vielleicht alle, würde die S r ᷣ ö chuld auch nicht auf sic leden, wenn derselbe die ö habe, daß ein Meineid geschworen werden solle, dem zuzu⸗ stimmen und es zu verlangen. Doch es gebe Mittel genug die man habe, weil der Meineid ohne Richter nicht geleistet werde, daß die Justizbehörde das, was sie in der Hand habe, thue, um zu vermeiden, daß Meineide geschworen würden und . wolle er den Justiz-Minister bitten. ⸗ Oe 7 n *
mr rauf nahm der Justiz-Minister Dr. Friedberg das Meine Herren! Ich befinde mich in der nicht häufi kom⸗ menden Lage, daß ich, die Worte, die der Herr . gesprochen hat, buchstäblich unterschreiben kann. Ich bin, wie er, der Meinung, daß die vielleicht mißlichste Aenderung, welche die neue Gesetzgebung uns gebracht hat, darin besteht, daß wir statt ves asser— torischen Gides den promissorischen Eid bekommen haben. Jedesmal wenn ich in die Lage gekommen bin, einer mündlichen Verhandlung der Gerichte beizuwohnen, habe ich geradezu das Gefühl des Aerger⸗ gisses empfunden, wenn ich ehen mußte, wie durch diese Art der Vereidigung eigentlich das Wesen des Eides erschüttert worden ist. Aber, meine Herren, die Meinung, daß die Auffassung eines einzelnen Ministers, auch wenn dieses der Minister des Sroßhstaates Preußen ist, dazu ausreichen möchte, um eine Lenzetung in der Reichs⸗-Gesetzgebung alsbald herbeizuführen, — die Meinung kann ich leider nicht theilen. Die Reich geset gebung selbst ist, und gewiß mit Recht, sehr vorsichtig, die Hand an die Re⸗ sormen don Gesetzen zu legen, die, schwer zu Stande gebracht, erst wenige Jahre in Wirksamkeit sind, und die, weng man einn al an ihnen zu bröckeln anfängt, sehr leicht große Theile der ganzen Gesetz⸗ gebung mit sich niederreißen möchten. Darum hin ich, als der ¶nister eines Staates, selbst da, wo ich große Mißstände in der Reicbsgesetzgebung erkenne, doch sehr vorsichtig, mit Anträgen auf Jendernng des Bestehenden an die Reichsregierung zu kommen Wiederholen aber will ich, wenn ich irgend eine Bestimmung er neuen Gesetzgebung aus der Welt geschafft sehen möchte, es diese über den Voreid wäre; sie ist unserer deutschen Auffassung absolut fremd und ist aus einer fremden Gesetgebung eingeimpft worden, ich möhte ö ich . 9 geglleben wäre! ö gun gebe ich auch darin dem Herrn Vorredner recht, daß vo dem 5§. 60 der Strafprozeßordnung, der da sagt: ö h J. . . ö namentlich wenn Be⸗ en egen die Zulässigkeit obwalten, bi Abschluß der Ver⸗ 1e n n ., . J zu wünschen wäre, daß die Richter — verzeihen Sie diesen A e — von demselben einen vernünftigeren Gebrauch k . dies bisher geschieht; die Richter, könnten und sollten ihn haufiger aswenden, sie thun es nicht, und ich habe kein Recht, sie darauf mit Wirkung hinzuweisen. Wo ich auf die Eidesleistung hinwir!en konnte habe ich es gethan; so bin ich beispielsweise in der Lage gewesen neulich den Gerichten gegenüber als eine nicht nur geschmack⸗ lofe, sondern als eine geradezu thörichte Art es zu be— zeichnen, wenn unter Umständen Zeugen Fragen vorgelegt würden, wie die, ob der Zeug: verwandt, verschwägert sft ob er Geld bekommen habe, und sich der Richter vorher sogen kann, daß diese Frage unnütz, ja verletzend sei; so ist es neulich vorge⸗ kommen, daß ein Amtsvorsteher, der als Zeuge wider einen Vaga— bonden auftrat, den er selbst verhaftet hatte, höchst feierlich gefragt wurde, ob er verwandt oder verschwägert mit dem Angeklagten wäre,
baren mit der amtlichen Pflicht der Verfolgung? 57 di Verhältnisse wieder besser geworden , ö der billigeren Preise ein Rückgang eingetreten. Die Zahl der Untersuchungen sei in einem Jahre um 24 000 gesallen. Die Zahl der Verbrechen im Verhaltniß zur Bevölkerungszahl sei zumal 1870 unter der Einwirkung des nationalen Krieges ge⸗
fallen. Seit dem Beginn der wirthschaftlichen Krisig di Zahl der Verbrechen wieder ö . ö . in Preußen durchgehend bis in die letzten Jahre schlechte Ernten gehabt. Erst in diesem und in dem vergangenen Jahre habe man wieder bessere gehabt. Mit der Besserung der wirthschaftlichen Verhältnisse seien auch seit 2 Jahren die Verbrechen zurück⸗ gegangen. Daraus gehe hervor, daß die Zahl der Verbrecher allein kein Maßstab jür die allgemeine Sittlichkeit sei. Der Abg. Strosser bemerkie, aus den Erklä ungen des Negierungelommissars. gehe zur Evidenz hervor, daß im Jahre 1882/83 ein Rückgang von Verbrechen und Bagabon— dage gegen das Vorjahr eingetreten sei. Der Regierungs⸗ kommissar habe zugegeben, was er (Redner) immer behauptet hade daß von 1873 an eine sehr erhehliche Vermehrung her Verbrechen staitgeunden habe, erheblich größer, als sie die Zunahme der , bedingt habe. Alle Parteien seien darin einig, aß. man eine solche Frage nicht aus einzelnen Momenten erklaren könn Auch er sehe in den Nahrungs⸗ und Er— n d, . einen höchst bedeutenden Faktor. Derselbe sei aber nie —̃ ¶ einzige. Er würde sich unendlich freuen, wenn Fer Rückgang der Verbrechen fernerhin andauerte. Es wäre sehr wanschenswerth, wenn dem Hause der Minister Die von seinem Kommissar vorgetragenen Zahlen gedruckt zu⸗
stellen würde. Der Abg. Munk ; oder ob er gar vielleicht für sein iß Gel 9 el konstatirte, daß nach den letzten Er— Da habe ich kJ ᷓ. . solche
klärungen des Vorredner Parteien i in F ,, . ö ,. im Hause in der Fragen geradezu gegen den gesunden Menschenverstand verstößen und . 3. nig seien. Ihm läme es daß ein Richter, der nach dem gesunden Menschenverstand und nicht . . entgegenzutreten, daß in Folge sittlicher J blos nach dem geschriebenen Worte handelt, in einem F .de g die erbrechen und Vergehen in letzter Zeit sehr liegenden Art die Frage unterlassen sollte. zugenomenen hätten, und eine Aeußerung in biesem Sinsie Herrn Vorredner einverstanden. . irgend einer Seite des Hauses unmöglich zu machen. , , as sei gelungen, nicht eine Vermehrung habe siatt⸗ 6. gefunden, sondern eine Abnahme finde statt, und nicht allgemeine Verrohung der Sitten, sondern die Nahrungsver⸗ hälinisse seien durch den sehr überzeugenden Vortrag des Kom— missars bei den Eigenthumsverbrechen als bewegende Ursache ,, wobei dem sittlichen Impuls des nationalen rieges von 1870 ein günstiger Einfluß, nicht ein ungunstiger beizumessen sei. Jedenfalls sei seit zwei Jahren eine Abnahme eingetreten, ohne daß seines Wissens der Vorredner aus 1 Kraft irgend etwas dazu gethan hätte. Für heute ö. e man ihm nur einige Worte bezüglich der Meineide ge⸗ statten, welche die Spezialität für oder gegen sich hätten 861 juxristische Verbrechen zu sein, während das Thema 1. esentlichen beim Etat des Ministeriums des Innern zur , , kommen werde und müsse. Der Meineid habe die Eigenthümlichkeit, daß derselbe inimer nur unter nahme des Richters, ge Richters geschworen 15 regelmäßig, ni D er. sond Deffenilichkeit. so sei es aller tung habe, hi wenn ein T
in einem Falle der vor⸗ Soweit bin ich mit dem
m = i, an dem Vor
wie derselbe vorhin geklagt habe, gehört werde. Eines habe derse
wirklich in der Hand. Mißbräuchlich werde . die ö und die Beantwortung dieser Frage Allerdings könnte der Gefragte nur antworten: „wegen Meineides noch nicht“, das würde genügen; ohne Frage keine Antwort und ohne Antwort kein Meineid. Das Schlimmste aber sei die Vereidigung vor der Aussage. Häufig müsse nach dem Gesetz ein Zeuge vereidigt werden, von dem das ganze Richterkollegium überzeugt sei, also wissentlich einen Meineid abnehmen. Beim Voreide fe man nicht wissen, ob der Mensch lügen werde oder nicht, aber man ahne es doch vorher, und setze dann den Eid bei
die Ahnung auch. Jedenfalls sei aber die Gefahr nicht so gro wenn man beim Voreide den Lügner vereidige; diese kegses t indeß auch beim Nacheide noch da, so lange man nicht eine gesetz⸗
nterbl Wenn es sich um Fälle handle, wo die Vereidigung unterbleiben könne, wo ber k keinen Vertheidiger zu haben brauche, und auch keinen habe, so müsse, wenn ⸗ Staatsanwaltschaft und Gerichtshof übereinstimmend der Meinung seien, daß der Zeuge keinen Glauben verdiene, h . 3 Angeklagte ł enn wenn das Kollegium dem Zeugen nicht glaube, dann wisse es nicht, ob es 66 Ange⸗ klagten glauben solle oder nicht; und wo die Geschworenen zu die sehr oft anders urtheilten als das . man wenigstens den Zeugen dann nicht zu vereidigen brauchte, ; der Vereidigung wider⸗ spräche. Damit sei das Interesse des Angeklagten gewahrt, und glaube man ihm (dem Redner): ein verständiger Vertheidiger,
Der Regierungskommissar Geheime Ober⸗Justiz-R Starke entgegnete, er habe seinerseits nicht ein 3 . gesagt, daß die Nothlage das allein Entscheidende sei. Wenn der Abg. Strosser den nicht aus Noth begangenen Diebstählen ein solches Gewicht beilege, so bitte er denselben, doch die
Delikte stattgefunden habe, zu vergleichen. Diebstahl und Unter— schlagung hatten beinahe 40 Proz. aller . J Handlungen betragen, demnächst seien Körperverletzun 13 Proz. vorgekommen, Beleidigung 12,14, Verbrechen 21 Vergehen wider die öffentliche Ordnung 10, Sachbeschädi— gung 40s, Widerstand gegen die Staatsgewalt 3,94. Be⸗ günstigung und Hehlerei 3,91, strafbarer Eigennutz 3,55, Betrug e und Untreue 319, Verbrechen und Vergehen wider die Sittlich— leit 1.52, und Verbrechen und Vergehen wider die persönliche Freiheit 16 Proz. Alle andern Delikte seien der Zahl nach geringer, als 1 Proz. der Gesammtzahl, wenn also bei so 1 geringen Zahlen eine Steigerung nachgewiesen werde, dann werde man daraus große allgemeine Schlüsse auf die Zu⸗ nahme der Entsittlichung nicht zu ziehen haben. Was die Zunahme der Meineide betreffe, so müsse man doch im Auge behalten, daß einen Diebstohl z. B. jeder in Freiheit lebende Mensch begehen könne, einen Meineid schwören aber könne nur, wer vor Gericht einen Eid ableisten solle, und das hänge nicht von demselben, sondern von der Zahl der gerichtlichen Geschäfte und Vernehmungen ab, welche Eidesabnahmen noth⸗ wendig machten. Von 1854 bis 1878 sei die Be— völkerung um 27 Proz, die Zahl aller Civilprozesse, wo Eide nothwendig gewesen seien, aher um ga Prozent gestiegen, d. h. um mehr als das Dreifache; ebenso also auch die Zahl der Gele⸗ genheiten, Meineide zu schwören. Ein richtiges Urtheil könne man nur aus einer Statistik gewinnen, welche feststelle, wie viele Eide in einem Jahre geschworen seien, und wie viele davon sich später als Meineide erwiesen hätten. Diese Unter— lage fehle zur Zeit, man könne sich nur an die Wahrschein— lichkeit srechnung halten, daß die Vermehrung der Meineide der Vermehrung der Eidesabnahmen entspreche. Bei der ge— stiegenen Zahl der Delikte müsse ferner die kolossale Masse von Uebertretungen erwogen werden; von der Gesammtzahl aller Untersuchungen wegen kriminellet Handlungen feien 5i Prozent auf Holzdiebstähle, 27 bis 28 Prozent auf Uebertretungen und nur 16, bis 16 Prozent auf Verbrechen und Vergehen gekom— men. Man denke ferner an gewisse allgemeine Ürfachen der stattgehabten Vermehrung. Im Jahre 1838 seien die ersten brei Meilen Eisenbahn zwischen Berlin und Potsdam eröffnet; heute habe man 20 009 km. Wieviel Straßenüberga: ge kämen nun auf jeden Kilometer, wie viele Schlagbäume seien neu errichtet worden, wie viele Kontraventionen, wie viele BVeamtenbele digungen rührten davon her. So ergebe sich eine Quelle der Vermehrung der Strasthaten aus der Konzentra— tion des Verkehrs, und der Entwickelung der Verhältnisse, die mit der Moralität als Ausgangspunkt der Beurtheilung gar nichts zu thun habe. Für die Zunahme der Sittlichkeits⸗ verbrechen habe der Abg. Strosser ein Jahr zum Vergleiche gewählt, das sich dazu durchaus nicht eigne. 1871 sei allerdings ein derartiger Fall erst auf 18 752 Köpfe gekommen, 1878 bereits cuf circa 8000. Das sei freilich eine starke Steigerung; aber sehe man genauer nach, so zeige sich dasselbe Verhältniz von 1: 8000 fast konstant in jedem Jahre von 857— 1878. Das Jahr 1871 allein habe einen so niedrigen Stand gehabt, wie kein anderes vorher oder nachher, und Cerade für dieses Jahr lägen die Ursachen des niedrigen Standes der Zahl der Delikte überaus klar. Vom Einfluß des Krieges abgesehen, hätten gerade damals die Reichsgesetze eine große Anzahl von Vergehen unter die Antragsvergehen gebracht. Erst 1876 seien diese Verfolgungen auf Antrag beseitigt: wenn nun trotzdem die Zahl der Sittlichkeitsdelikte 187 und 1878 nicht größer gewesen sei wie 1870, so sei erwiesen, daß die Unsittlichkeit nicht zugenommen habe. Titel 3 und 4 wurden bewilligt. Zu Titel 5 „Gerichtsschreiber“ bemerkte der Abg. Büchte⸗ mann, die Frage der Kriminalstatistik gehöre doch ex protesso zur Verhandlung des Justizetats, und nicht zur Verwaltung des Ressorts des Innern. Sei denn auf der Rechten die Vorliebe für die Polizei so groß, daß auch diese Materie ganz unter volizeiliche Gesichtspunkte gestellt werden müsse? Er wünsche, daß die allgemeine Debatte bei diesem Titel ihren Fortgang finde, Der Abg. Westerburg habe mit Recht die Einführung größerer Zeiträume für die Aufstellung der Kri— minalstatistik verlangt. (Lebhafte Unterbrechung rechts. J 3 ö. J ?. . Frhr.
. man erinnerte den Redner da Titel „Gerichtsschreiber“ zur Debatte stehe. . Der Abg. Büchtemann; Er könne dann nur die un— gerechtfertigte Herbeiführung des Schlusses der Debatte bedauern. . . e
ei dem Titel „Hülfsarbeiter und Lohnschreiber bei Amtsgerichtskanzleien“ machte der Abg. ö. Strombeck e die Nothlage der Lohnschreiber aufmerksam, und bat den Mi— . . 9. . a di nicht, wie früher, ein F ent. feste Anstellung und Pensions hti ö , 1 g Pensionsberechtigung der Regierungskommissar Geheime Ober-Justiz-Rat Schmidt sagte die Berücksichtigung dieser . , lich der Umgestaltung des Kassenwesens der Gerichte zu. Der Nest des Kapitels wurde ohne Debatte genehmigt. Hu Kap. 75 (Gefängnißverwaltung) bemerkte der Abg. Dr. Langerhans, bis jetzt sei die Unterbringung wahnsinniger Verhrecher den kommunalen Vertretungen überwiesen worden, welche sie dann in die Irrenhäuser schaffen ließen. Noch vor wenigen Jahrzehnten seien fast alle diese Irrenhäuser der schlimmsten Art gewesen, aus denen das Geheul und Geschrei der Kranken weithin gedrungen sei, wenn nicht besondere Vor⸗ richtungen dagegen getroffen gewesen seien. Die Vorrichtun— gen zur Bändigung der Tobenden und zur Aufrechterhaltung der Ordnung seien außerordentlich grausam gewesen. Er könnte dem Hause aus der Zeit, wo er noch junger Arzt ge— wesen sei, ein schauderhaftes Bild von der Behandlung der Irren entwerfen. Man habe die Tobsüchtigen angebunden, und ihnen eiserne Ringe um den Hals gelegt. Jetzt lasse man die Kranken einfach austoben, und die Anfalle seien in kurzer Heit vorüber. Auch gestatte man ihnen jetzt möglichst viel Freiheit, beschäftige sie sogar und habe dabei die interessante Beobachtung gemacht, daß diese Unglücklichen, wenn sie wirk— lich noch lohnende Arbeit verrichten könnten, sich dabei ver⸗ hältnißmäßig glücklich fühlten. Wenn noch nicht alle Irren anstalten in dieser Weise vervollkommnet seien, so liege das nur am Geldmangel. Dadurch aber, daß diese Krankenanstalten
irre Verbrecher bei sich aufnehmen follten, würden sie in ihrer humanen Entwickelung vollständig gehemmt. Die irren
Statistik für das Jahr 1s, wo die stärkste Zunahme der
Verbrecher seien nicht etwa wilde Männer, welche Wahnsinn nur simulirten, und nachher durch Gewalt und List das Irrenhaus wieder verlassen wollten, sondern Verbrecher, deren Wahnsinn eben ber Hang zum Verbrechen sei. In den Gemeinde- Irrenanstalten müßten diese nun wie im Gefängniß gehalten werden. Besondere Abtheilungen in den Irrenhäusern für diese Verbrecher einzu⸗ richten, sei nicht thunlich; auch seien die Wärter in den Irren⸗ häusern Krankenpfleger, und die Hüter von Verbrechern müßten ganz anders geschulte Leute sein. Er wisse nicht, ob die Gemeinden alle damit einverstanden sein würden, wenn er es autspreche, daß die Kosten für die anderweitige Unter⸗ bringung der irren Verbrecher denselhen auferlegt werden sollten. Die Irrenhäuser verursachten ja allerdings den Ge— meinden schon ohnehin sehr schwere Ausgaben; werde ihnen die Last der irren Verbrecher nicht abgenommen, so steigere sich die Schwierigkeit immer mehr, für die armen Irren in der menschlicher Würde entsprechenderen Form zu sorgen.
Der Abg. Dr. Wehr führte aus, die Frage sei allerdings für die Kommunen und Provinzialverwaltungen von großer Wichtigkeit; die Aerzte und Anstalts-Direktoren hätten sich in demfelben Sinne wie der Vorredner ausgesprochen, und die Konferenz der Landes⸗-Direktoren habe zu einer entsprechenden Kollektivvorstellung sämmtlicher Provinzialverwaltungen an den Minister geführt. Allerdings werde es für die Regierung sehr schwer sein, die geeigneten Mittel und Wege zu finden. Wenn nicht bei jedem Gefängniß Stationen für Irre ein⸗ gerichtet werden könnten, dann müßte entweder eine Central⸗ anstalt oder eine derartige Anstalt für jede Provinz errichtet werden; beide Vorschläge aber hätten ihr Bedenkliches. Ein Vorwurf treffe also die Regierung nicht, wenn sie noch keinen Wandel geschaffen habe, aber die Zustände erforderten drin⸗ gend Abhülfe, das Geld dazu würde nicht fehlen.
Hierauf nahm der Vize⸗-Präsident des Staats⸗Ministeriums, Staats-Minister von Puttkamer das Wort:
Meine Herren! Da die von dem Abg. Langerhans angeregte Frage nicht blos, oder viel mehr nicht in vollem und ausschließlichem limfange zum Ressort des Justiz Ministers, sondern auch wesentlich mit zu dem des Ministers des Innern gehört, so erlaube ich mir im Einverständniß mit meinem verehrten Herrn Kollegen, auf diese Frage mit einigen Worten zurückzukommen. Fern sei es von der Staats⸗ regierung, irgendwie den Grundsatz anfechten zu wollen, der in der mödernen Irrenpflege, wie der Hr. Abg. Dr. Langerhans sehr richtig und beredt hervorgehoben hat, fich immer mehr Bahn bricht, die Irrenpflege auf. humane und, wie er gewiß mit Recht sagte, der Würde des Menschen entsprechende Basis zu stellen. Die Staatsregierung, würde jedes Moment bedauern, welches für sie die Nothwendigkeit involvirt, irgendwie in einer hin— dernden Weise in diese von Ler Wissenschaft geforderten Art der Irrenpflege einzugreifen. Soweit mein geringes Verständniß von der Irrenpflege überhaupt reicht, muß ich sagen, daß vielleicht keine Seite unferer öffentlichen Zustände sich in einer so schönen und humanen Weise in den letzten Dezennien entwickelt hat, wie gerade die Irren⸗ pflege, und daß das no constraint-System, wie es der Abg. Langer— hans geschildert hat, auf diesem Gebiete einen außerordentlich großen Fortschritt bedeutet, das, glaube ich, wird in diesem Hause wohl außer
allem Zweifel stehen. ; Nun aber, glaube ich, hat der Hr. Abg. Langerhans dieser Frage — ich verkenne
goch mn, , ne ite n ihre Wichtigkeit in keiner Weise — betont, der Abg. Wehr
kam schon' mehr auf die Bedenken, welche sich demjenigen Gesichts⸗ punkte entgegenstellen, den der Abg. Langerhans für den ausschließlich maßgebenden zu halten schien. Es ist ja leider wahr, daß der Justiz⸗ und der Verwaltung des Innern in diesem Augenblick keine andere Möglichkeit zur Seite steht, solche Leute unschädlich zu machen welche, in der Unterfuchungshaft, befindlich auf ihren geistigen Zustand unter⸗ sucht werden müssen, oder auch solche — und das ist die überwiegend größere Kategorie — welche bei dem gegen sie angestrengten Kriminal- prozeß für unzurechnungsfähig gehalten werden, oder welche während der Strafvollftreckung in Geisteskrankheit verfallen, und welche wegen ihrer Gemeingefährlichkeit einer strengen Bewachung unter⸗ worfen werden! müssen. Also es ist. zu bedauern, daß der Staatsregierung in diesem Augenblick gar kein anderes Mittel zur Verfügung steht als die Mitwirkung und Hülfe der be⸗ flehenden öffentlichen Irrenanstalten. In Privatanstalten solche Leute unterzubringen, ist ja selbstverständlich ausgeschlossen, schon wegen der mangelnden Kontrole, und es bleiben nur zie öffentlichen Irren⸗ anstalten übrig, in Betreff deren aus dem Dotationsgesetz für die betreffenden Provinzial⸗ und Kommunalverbände, insbesondere auch fuͤr die Stadt Berlin gewisse Verpflichtungen folgen.
Run ist anzuerkennen, daß, so lange dieser Zustand fortdauert, und ich glaube, er mird auch rechtlich kaum angefochten werden können — ich komme auf die staatsmännische Seite der Sache später noch — daß so lange dieser Zustand dauert, allerdings von Seiten der Staats⸗ regierung der lebhafte Wunsch gehegt werden muß, daß die öffent— lichen Irrenanstalten, soweit sie können und soweit es in der Mög⸗ lichkeit liegt, sich mit denjenigen Institutionen und Mitteln versehen, wesche den Gewahrsam sicher machen und verhüten, daß folche unliebsamen Zustände, wie sie allerdings in Dalldorf in letzter Zeit vorgekommen sind, eintreten können, denn das werden die Perren anerkennen, daß es in der That. für die öffentliche Sicherheit der Umgegend in hohem Grade bedrohlich und unangenehm ist, wenn man täglich und stündlich unter dem Damollesschwert des Ent⸗ weichenz solcher Leute steht, und ich glaube, die Dalldorfer Fälle haben in der That den Beweis dafür geführt, daß es sich hier um einen recht erheblichen Mißstand für die Nachbarschaft handelt. Denn diese Leule, die ja zum Theil Simulanten, zum Theil aber wirklich irrsinnig find, haben in diesem kurzen Zeitraum, der ihnen in Folge des Ensweichens vergönnt war, nicht ermangelt, eine Menge von Unfug leichterer und schwererer Art anzurichten. Ich glaube, wenn man“ diefe Seite der Sache in eingehendere Erwägung zieht von Seiten der betreffenden Kommunalverwaltungen und der größeren und kleineren Verbände, dann werden sich diese Ver⸗ waltungen der moralischen Pflicht, will ich es einmal nennen, kaum entziehen können, soweit es ihre Mittel gestatten, wirksame Fürsorge zu treffen, daß eine sichere Verwahrung dieser Leute dauernd statt⸗· findet. Ich möchte fast glauben, daß die bestehenden Einrichtungen doch noch zum Theil wirksamer gemacht werden können; ich will das nicht näher ausführen, aber soweit meine Wahrnehmungen reichen, würde es in der That möglich sein, in denjenigen Räumen, die für die un⸗ ruhigen Irren beflehen, welche also schon für die Isolirung berechnet sind, stärkere Isolirzellen einzurichten, das Wärterpersonal für diesen Gyklus von Irren sorgfältiger oder vielmehr spezieller darauf auszu- suchen, da es sich hier weniger um Irrenpflege, sondern mehr um Gefangenenaufsicht handelt — kurz, es wird eine ganze Anzahl von Elementen geben, die den bisberigen Zustand zu verbessern im Stande sind.
Aber, meine Herren, aus diesem allen will ich — und das ist der Hauptgrund, warum ich um das Wort gebeten habe — keines wegs den Schluß ziehen, daß die Staatsregierung sich der Verpflich⸗ tung entziehen wollte, in ernste Erwägung zu nehmen, auf welchem Wege hier Wandel ju schaffen. Wir erkennen ja vollkommen an, es ist für die richtige und humane Irrenpflege ein großer Nachtheil, mit irren Elementen und irren Ver⸗ brechern belastet zu werden, und die Staatsregierung — und da kann ich auf meinen Kollegen, den Herrn Justiz⸗Minister pro⸗ pociren — ist innezhalb ihres Gremiums sehr sorgfältig damit be⸗ schäftigt, wie fie die sen Wandel schaffen kann. Das kann natürlich nur geschehen — und es thut mir leid, daß mein Herr Kollege, der
nischen Einrichtungen. Hr. Dr. Wehr bat bereits darauf bingewiesen, eins ist nur möglich; wenn der Staat die Fürsorge für diefe theils unglücklichen, theils doppelt verbrecherischen Leute, soweit sie Simulanten sind, übernehmen soll. muß er ent⸗ weder bei jeder der bestehenden Strafanstalten oder jedem Untersuchungsgefängniß eine kesondere Irrenstation einrichten. Was das besagen will an geschäftlichen und finanziellen Schwierigkeiten, das wird der Hr. Abg. Dr. Langerhans sich selbst nicht verhehlen koͤnnen. Es ist in der That, soweit mein Urtheil reicht und soweit ich es mir bis jetzt babe bilden können, fast unmöglich, zu so etwas überzugehen. Bedenken Sie, wir müssen bei jedem großen Unter⸗ suchungsgefängniß und bei jedem großen Strafgefängniß einen eigenen Irrenarzt halten. Dieser muß natürlich nicht nur auf der Höhe der Wissenschaft stehen, sondern gerade zu den ausgezeichnetsten gebören, weil ihm schwierigere Aufgaben obliegen, als gewöhnlichen Irren⸗ ärzten. Er soll individuell eine bestimmte Person darauf beobachten, ob sie in dem Zustande ist, in welchem sie zu fein rorgiebt — ich meine natürlich die Elemente, welche Geisteskrankheit simuliren. Also das würde schon, glaube ich, zu ganz immensen Schwierigkeiten führen. Die andere Mönlichkeit, Gründung einer großen Centralanstalt in irgend einem Theil der Monarchie oder von Centralanstalten innerhalb der einzelnen Provinzen, j, meine Herren, daß ist eine Finanzfrage von der allerschwersten Bedeutung. Ich möchte doch glauben, wenn die Regierung sich entschließt — ich kann in diesem Augenblick es nicht als unfere feststebende Ansicht hinstellen — mit einer derartigen Vorlage vor die Landesvertretung zu treten, wird sie Li— Vervflich⸗ lung haben, eine unwiderlegliche Begründung ihres Antrages auch gleichzeitig zu bringen, da das Haus sich sehr schwer entschließen würde, eine jährliche Ausgabe von vielen Hunderttausenden Mark blos zu diesem einen Zweck eintreten zu lassen; das werde ich ja wohl als wahr⸗ scheinlich von vornherein annehmen dürfen. Sie sehen, meine Herren, daß die Regierung dem Grundgedanken, welchen die verehrten beiden Vorredner entwickelt haben, keineswegs in dem Maße unsympathisch gegenübersteht, daß sie unter keinen Umständen sich auf eine Ueber⸗ nahme einer derartigen Verpflichtung wird einlassen. Aber, meine Herren, Sie müssen uns ausgiebige Zeit lassen, die Sache nach allen Richtungen zu erwägen, Sie müssen uns ausgiebige Zeit lassen, un— sere Informationen auf diesem Gebiet, die bis jetzt keineswegs voll⸗ ständig sind, noch zum Abschluß zu bringen; und Sie müssen dann auch gütigst womöglich gleich von vornherein versprechen, daß Sie alle die Finanzfragen mit uns erledigen wollen, die sich an diesen Gegenstand ganz unfehlbar knüpfen werden, wenn wir dazu übergehen, einen solchen Beschluf auszuführen.
Der AÄbg. Büchtemann erklärte, er könne den vom Minister vorgeschlagenen Weg nicht betreten. Die Kommunal⸗Irren⸗ anstalten feien nichl geeignet, geisteskranke Verbrecher zu be⸗ herbergen, und dieselben für diesen Zweck umzubilden, hieße nichts Anderes, als sie ihrer wahren Aufgabe entfremden. Sie bedürften Licht und Lust, aber nicht der Klausur. Daß es ein gerechter Anspruch vom kriminellen Standpunkt sei, für die Unterbringung geisteskranker Verbrecher passende Dertlichkeiten zu haben, gebe er zu, nur müsse die Regierung sorgen, demselben in anderer Weise denn bisher gerecht zu werden. Dem Gedanken stehe er fern, als ob in jedem Gesängniß eine Irrenabtheilung ein— gerichtet werden könne. Die bisherige Erfahrung habe gereigt, daß dies unmöglich sei. Es müsse eine Centralstelle für geisteskranke Verbrecher entweder für jede Provinz oder für ben ganzen Staat geschaffen werden. Denn der jetzige Zustand könne nicht aufrecht erhalten werden, wenn nicht die Irrer durch die Verbrecher belästigt und die Zwecke der Anstalt be⸗ hindert werden sollten. Er wolle nun noch mit einigen Worten auf die vom Geheimrath Starke mitgetheilten Zahlen eingehen. Die Zahl der Gefangenen habe 1861 ca. 620 000, 1882 Ca. 580 G50 betragen. Wegen Vagabondage seien verhaftet 186861 97 000, 183 go 900. G8 ist hicht ohne Interesse, daß die gleiche Erfahrung im Königreich Sachsen gemacht fei. Dort seien 1880 wegen Vagabondage bestraft 14 606, 1881 12435, 1882 5727, und der Vertreter Sachsens auf dem Kongreß für Armenpflege, Rittergutsbesitzer Seyler, habe konstatiri, daß diese Zahlen die Ersahrung bestätigten, die er selbst auf dem Lande gemacht habe. Also nicht nur in Preußen allein, sondern auch in anderen Ländern zeigten sich die Spuren der Besserung, und zwar gerade auf einem Gebiete, auf dem die Rechte noch kürzlich erst gesetzgeberische Maßregeln sür ubthig erachtet hätte. Er mache übrigens auch noch darauf aufmerksam, daß in dem Buche des Geh. Raths Starke hervorgehoben werde, wie auch die Einrichtung der Amtsborsteher sich geeigneter erwiesen habe, zur Verfolgung von Vergehen, als die frühere Gutspolizei. Es sei dann von dem Abg. Strosser bemerkt worden, daß zwar die * der Diebstähle sich nicht vermehrt habe, wohl aber die Zahl der Betrugssälle, und von demselben Abgeordneten sei dem Abg. Munckel vorgeworfen, daß Letzterer das Starke'sche Buch nicht gelesen haben müsse. Dieser Vorwurf sei hinfällig; denn auf Seite 113 jenes Buches stehe, daß die Annahme, die Ahnahme der Diebstähle erhalte eine Art Kompensation in der steigenden Zahl der Vetrugsfälle, haltlos sei. InBerlin sei früher einBetrugs⸗ fal. auf 1000, jetzt auf 3600 und 2060 Individuen gekommen. Er sei sehr begierig, wie der Abg. Strosser sich dieses Material zurecht legen werde. Auch er sei der Meinung, daß nicht eine Re⸗ nision des Strafprozesses geboten sei, denn eben so viel als eine Revision werde eine vernünftige Handhabung der gesetz— geberischen Vorschriften Seitens des Richters wirken.
Der Abg. von Uechtritz-Steinkirch bemerkte, der vom Abg. Langerhans angedeutete Uebelstand sei nicht so groß, als der⸗ selbe erscheinen könne, wenn man unterscheide zwischen wirklichen Irren und Simulanten. Der ersten Kategorie könne man die Aufnahme in die Irrenanstalten nicht verweigern. Auch die zweite Kategorie werde nicht störend in denselben wirken, wenn man zuverlässige Wärter für sie anstelle.
Der Abg. Strosser wies auf die Verhandlungen der Strafanstaltsbeamten hin, die sich seit längerer Zeit mit der Frage der Unterbringung geisteskranker Verbrecher beschäftigt
ätten. Das Gutachten der bedeutendsten Irrenärzte gehe da⸗ hin, besondere Abtheilungen für dieselben in den Gefängnissen einzurichten.
Der Abg. von Krosigk führte aus, Behandlung und Pflege der Irren habe in den letzten Jahren einen kolossalen Umschwung erfahren. Durch das System der freien Behand⸗ lung dieser Kranken seien großartige Wirkungen erzielt wor⸗ den, die alle in Frage gestellt werden würden, wenn man die Irrenanstalten zwingen wollte, auch geisteskranke Verbrecher aufzunehmen.
Der Abg. Dr. Langerhans bemerkte, der Vorschlag des Ministers, besondere Pavillons für geisteskranke Verbrecher zu errichten, könne nur die Idee der heutigen Einrichtung von Irrenhäusern vernichten. Man könne doch die geistes⸗ kranken Verbrecher nicht immer eingesperrt halten. Bringe man sie aber mit den übrigen Kranken zusammen, so müßten hohe Mauern um die Irrenhäuser aufgeführt werden, um ein Entweichen der Verbrecher zu ver⸗
wenn auch von den anderen Irren sich der eine oder der andere einmal aus der Anstalt entferne. Weit einfacher als der Vorschlag des Ministers sei die Einrichtung von Central⸗ anstalten für geisteskranke Verbrecher. Eine im Westen und eine andere im Osten der Monarchie würde genügen, da die Zahl jener Geisteskranken nicht groß sei.
Hierauf entgegnete der Staats⸗-Minister von Puttkamer: Meine Herren! Ich muß mich entweder sehr unklar ausgedrückt haben oder der Hr. Abg. Langerhans hat mich in ganz auffallender Weise mißverstanden: es ist mir gar nicht in den Sinn gekommen, hier die Forderung aufzustellen, daß die bestehenden kommunalen Irrenanstalten ihre ganzen baulichen und äußeren Einrichtungen dar⸗ nach treffen sollten, daß auch irre Verbrecher bei ihnen untergebracht werden müssen. Er sprach davon, daß dann die Anstalten von großen Mauern umgeben sein müßten, während sie jetzt von grünen Hecken einge⸗ schloffen sind u. dgl. Ich habe nur für die Fortdauer des jetzigen Noth ftandes es als wünschenswerth bezeichnet, daß für die Uebelthäãter, die entweder wegen Verdachts simulirten Irrsinns unter Observation ge⸗ stellt sind, oder dauernd, wenn bei ihnen Geisteskrankheit konstatirt ist, in Irrenheilanstalten untergebracht werden müssen, daß für sie in eigenen Theilen jener Anstalten, welche für die unruhigen und tobsüͤchtigen Irren hergestellt sind, und deren giebt es ja doch, wie dem Hrn. Abg. Langerhans bekannt sein wird, in jeder derselben, besondere Höfe reservirt werden, so daß innerhalb dieser schon an sich einen eigenen Charakter tragenden Abtheilungen dieser. Anstalten besondere, den übrigen Betrieb der Anstalt in keiner Weise störende Vorserge für die Aufnahme und Verpflegung solcher irren Verbrecher getroffen werden möchte. Das ist allein Gegenstand meiner letzten Ausführungen gewesen.
Uebrigens will ich dann doch noch in Ergänzung dessen, was ich zuerst mir die Ehre gab auszuführen, das eine nachholen: Sie werden es begreiflich und notbwendig finden, daß in dieser überaus wichtigen Frage dasjenige Ressort, welches mit der Gesundheitspflege speüiell befaßt ist, also das Kultus ⸗Ministerium, eine gewichtige Stimme mitzusprechen hat. Wir haben uns daher natürlich an den Herrn Kultus-Minister mit der Bitte gewandt, alle diese Fragen, die doch nicht so ganz leicht und ausschließlich in einem bestimmten Sinne und Richtung zu entscheiden sind, wie der Hr. Abg. Langerhans anzunehmen scheint, einer gründlichen Enquete durch diejenigen Organe zu unterwerfen, welche ihm zur Verfügung stehen und erst nach Ab⸗ schluß dieser Enquete werden die beiden zunächst betheiligten Ressorts in der Lage sein, sich ein Bild davon zu machen, wie es möglich sein wird, den hier ausgesprochenen Wünschen nach Befreiung der kom⸗ munalen Irrenheilanstalten von der Verpflichtung zur Aufnahme geistes kranker Verbrecher entgegenzukommen.
Das Kapitel wurde genehmigt.
Der ganze Rest des Ordinariums wurde nach kurzer Diskussion' bewilligt, ebenso wurde das Extrgordingrium, welches zu Neu- und Erweiterungsbauten für Gefängnisse und Gerichtsgebäude 3 855 680 „6 fordert, nach dem Antrage der Budgetkommission genehmigt. Damit war die zweite Justizverwaltung beendet, Hierauf vertagte sich das Haus um 4 Uhr auf Freitag 11 Uhr.
Berathung des Etats der
— Die in der vorgestrigen (14) Sitzung des Hauses der Abgeordneten als Beantwortung der Interpellation des Abg. Stengel von dem Staats⸗Minister von Puttkamer, gehaltene Rede hatte folgenden Wortlaut: Meine Herren! Die Staatsregierung ist von der hohen Wich tigkeit des Gegenstandes, welchen der Herr Abgeordnete zum Vorwurf der Interpellation gemacht hat, vollständig durchdrungen und glaubt auch durch ihr bisheriges Verhalten in dieser Angelegenheit nament— lich durch die wiederholten Anläufe, die Frage der Kommunal⸗ besteuerung in umfassender Weise gesetz lich zu regeln, ihr Interesse für die Sache bethätigt zu haben. Inzwischen liegt ja nun die Sache in Folge der veränderten Verhältnisse auch etwas anders wie bisher. Die Herren haben die Güte, sich zu erinnern, daß in der Rede, mit welcher die bisherige Session des Landtages eröffnet ist, einer Gruppe von größeren organischen Gesetzen Erwähnung geschah, welche die Regierung in der Vorbereitung habe und welche sie beabsichtige noch in dieser Session dem hohen Hause vorzulegen, Gesetzentwürfe, welche sich auch namentlich beziehen außer anderen Gegenständen auf die Erleichterung der Kommunen in Bezug auf die von ihnen zu tragenden Lasten im Zusammenbang mit einer organischen Ordnung des gefammten Kommunalsteuerwesens, namentlich auch eingeschlossen alle diejenigen Punkte und Theile des Gesetzentwurfs, deren der Herr Interpellant Erwähnnng gethan hat, also die Beseitigung der Doppel⸗ Festeuerung, vollständige organische Regelung der ganzen Kommunal besteuerung der juristischen Personen, einschließlich der Eisenbahngesell⸗ schaften und der vom Staate betriebenen Eisenbahnen, sowie die Forensen, und endlich auch noch eines nur für einzelne Kommunen wichtigen Gegenstandes, nämlich die Regelung des sogenannten Kom⸗ munalfteuer⸗Bomizils derjenigen Beamten, welche nicht am Sitz der Bebörde wohnen, der sie angehören. Alle di se Fragen, meine Herren, sind mit Gegenstand der Bera — ng, welche in diesem Augenblicke schwebt über diese rößere Vorlage, die Ihnen angekündigt ist. Es hat sich bei d zerathungen nicht erwa herausgeftellt, daß es für die Staatsregier ug besondere Schwie⸗ rigkeiten haben würde, mit ihnen zu Ende zu kommen und noch recht⸗ zeitig dem hohen Haufe eine Vorlage zu machen, die alle Gesichts⸗ punkte in sich umfaßte und befriedigend regelte; sondern die Regie⸗ rung hat eine andere Erwägung vornehmen müssen, welche, wie ich glaube, wenn ich sie hier vorfuͤhre, den Intentionen und Wünschen kes Herrn Interpellanten Genüge leisten wird. Die Regierung hat sich nämlich sagen müssen, daß (s leichter sein würde, diesen Theil be? Kommunalsteuergesetzgebung, der sich beschäftigt mit der Beseiti⸗ gung allseitig anerkannter dringender Mißstände auf diesem Gebiet, diesen Theil abgesondert zu einer Erledigung gelan⸗ gen zu lassen, als wenn er bearbeitet wird in einem sehr großen und umfassenden Gesetze, üher dessen Ziele und Zwecke, über dessen ganzen Inhalt ju wohl die weitgehendsten Meinungs— verschiedenheiten auf anderen Gebieten noch im Lande und im Hause werden vorhanden sein. Die Regierung ist demnach zu dem Entschluß gekommen, diejenigen Theile des Kom munalbesteuerungsgebietes, welche den Gegenstand der Interpellation bilden, in ein besonderes tranfitorisches Nothgesetz zu vereinigen und dies so rasch wie möglich dem hohen Hause vorzulegen. . Ich glaube, meine Herren, sagen zu dürfen, daß über die meisten Punste dieser an sich ja nicht sehr umfangreichen Vorlage bereits ein prinzipielles Einverständniß unter den verschiedenen berheiligten Ressorts der Staatsverwaltung erzielt ist. Es sind nur noch einige Klagen, die der Beseitigung hervorgehobener Meinungẽverschiedenheiten in der Vereinbarung bedürfen. Aber ich glaube, sagen zu dürfen, daß die noch bestehenden Differenzen nicht der Art ind, daß sie irgendwie eine längere Verzögerung dieser Vorlage noch mit sich führen können. Ich darf daher erklären, daß die Regizrung bereit ist, die Vorlage so zu beschleunigen, daß sie jedenfalls noch so rechtzeitig dem Haufe vorgelegt werden kann, um die Möglichkeit der. Ver⸗ abschiedung in beiden Häusern des Landtages in dieser Session zu gewähren, vorautgesetzt, daß man sich mit der Regierung und dem andern Haufe über den Inhalt einigt. Das ist ein Vorbehalt, den ich natürlich machen muß. Aber mir scheint, daß weder der Umfang noch die Tragweste der in diesem Gesetz zur Behandlung kommenden Fragen so erheblich ist und so zu Zweifein Veranlassung bieten kann, daß man die Befürchtung hegen müßte, das Gesetz würde an sich, vom technischen Standpunkt aus betrachtet, nicht mehr zur Verab⸗ schiedung gelangen können. Ich kann zwar nicht den Tag angeben, an welchem die Vorlage eingebracht werden wird, aber ich nehme mit Sicherheit an, daß sie unmittelbar nach Neujahr wird dem Hause
55 Finanz-Minister nicht an meiner Seite ist — mit er— eblichem Kostenaufwande und erheblichen Veränderungen der orga—
hindern. Denn nur die geisteskranken Verbrecher seien gefähr⸗ lich, wenn sie ausbrächen, während es wenig verschlage,
zugehen können.