Stellung gegenüberstebende Haltung eines Beamten nicht ignoriren kann. Davon ist ganz verschieden — und deshalb kommt der Abg. Rickert immer auf diesen falschen Satz zurück — ganz ver⸗ schieden die auch in meinen Augen unberechtigte Forderung, die etwa gestellt werden könnte, daß der Beamte sich aktiv zu Gunsten der Regierung bei den Wablen betheiligt Daron ist keine Rede; ich babe das nicht ausgesprochen, noch habe ich darnach verfahren, noch wird jemals, so lange ich an dieser Stelle bin, darnach verfahren werden. Der Versuch, diesen Standpunkt, den ich in meinen neu⸗ lichen Aeußerungen nur etwas skizzenbafter angedeutet babe, in einen Widerspruch zu bringen mit denjenigen Aeußerungen, welche von dem Herrn Reichskanzler gemacht sind, ist vollkommen verfehlt. Das thema probandum dessen, was der Herr Reichskanzler aus— geführt hat, liegt auf einem ganz anderen Gebiete. Der Reichs kanzler hat bei der Interpretation des Allerböchsten Erlasses vom 4. Januar sich mit der Frage keschäftigt: welche positixen Leistungen auf dem Wahlgebiet bat die Regierung von politischen und nicht politischen Beamten zu verlangen und welche nicht? und da ist die bekannte der Logik der Dinge ganz entsprechende Unterscheidung ge⸗ macht worden zwischen politischen und nichtpolitischen Beamten. Erstere sollen nach der Anschauung des Allerhöchsten Erlasses gehalten sein, vorbebaltlich der Freiheit ihrer Abstimmung, die Regierung und ibren Standpunkt gegen Verdrehungen und Verdächtigungen, die im Lande gegen sie aufzestellt werden können, zu vertheidigen; und die nichtpolitischen Beamten — ich denke, der Allerhöchste Erlaß spricht sich deutlich genug darüber aus — sind durch ihren Eid der Treue daran gemahnt, daß sie sich der Agitation gegen die Staats—⸗ regierung enthalten sollen; im Uebrigen wird nichts von ihnen ver— langt. Der Herr Reichskanzler hat ja, wenn ich so sagen soll, die disziplinarische Seite der Sache vollkommen klar gestellt, indem er einerseits an einem Beispiel — das bekannte Beispiel von Danzig, welches dem Hrn. Abg. Rickert wohl noch in Erinnerung sein wird — deduzirte, daß Beamte, welcbe agitatorisch gegen die Regierung auftreten, sich disziplinarisch verantwortlich machen, und das Reichs gericht selbst hat ja diefen Grundsatz als vollkommen korrekt an erkannt, indem es dem betreffenden Beamten der Werftverwaltung in Danzig für eine solche agitatorische Handlung einen Verweis ertheilte, ihm sogar, wenn ich nicht irre, eine rdnungestrafe auferlegte. Aher wie steht es nun mit denjenigen Beamten — politische oder nicht politische, hier ist kein Unterschled gemacht — welche nur. ihr Wahlrecht aus üben, bei denen also von einer feindseligen Agitation gegen die Re⸗ gierung an sich keine Rede ist? Von denen hat der Herr Reichskanzler nicht gesagt — und der Hr. Abg. Rickert hat diese Stelle sehr leise ver= lesen — daß sie sich eines besondern Vertrauensbeweises der Regierung in künftigen Fällen erfreuen würden, sondern er hat nur in negativer Fassung geäußert: das, d. h. die Ausübung des Wahlrechts, wird niemals ein Grund fein, gegen einen Beamten einzuschreiten, d. h. also einem Beamten Nachtheile zuzufügen, welche auf dem Gebiete der Dienstdiszivlin und Dienstpragmatif liegen. Meine . ich bin, ohne mit dem Herrn Reichskanzler hierüber Rücksprache genommen zu haben — Hr. Rickert, ich bitte, das betonen zu dürfen — fest über⸗ zeugt, daß, wenn Sie den Herin Reichskanzler heute vor die Frage stelken: soll die Staatsregierung einem Beamten, welcher der von dem König gewollten und der von der Regierung unter ihrer Ver—⸗ antwortung vertheidigten Gesammtpolitik der Regierung, einem Beamten, welcher diefer Politik bei den Wahlen, außerhalb der Wahlen, durch sein Gesammtverhalten agitatorisch, in manifesten Hand⸗ lungen und Thatsachen eine dauernde Opposition entgegensetzt, soll die Regierung einem solchen Beamten besondere Vextrauensbeweise — und das ist jede Auszeichnung — ertheilen lassen? die Antwort ein deutliches und kräftiges ‚Nein“ sein würde, davon bin ich voll— kommen überzeugt. Denn das ist ein Grundfatz, meine Herren, den ich für so selbstverständlich halte, daß ich glaube, ein korrekterer Aus— druck wie der, die entgegengesetzte Politik würde eine selbstmör⸗ derische sein, läßt sich dafür nicht finden. Und nun frage ich: von wem gehen denn die Angriffe auf den von mir in aller Loyalität und Offenheit gekennzeichneten Standpunkt der Regierung aus? Meine Herren, hörte ich so etwas von irgend einer anderen Fraktion des Hauses, etwa von der unmittelbar neben mir sitenden, dann wärde ich darüber diskutiren können, aber wie der Hr, Abg. Rickert es über sich bringen kann, zu erinnern an die Antece— denzien, ich will nicht sagen seiner Person, aber seiner Partei, der er sich persönlich angeschloffsen hat in der preußischen Verfassungẽ— geschichte, das ist mir vollkommen unbegreiflich. Was ist denn gerade das Schiboleth der liberalen Partei in Bezug auf. die Ausführung der Regierungsgewalt? Unnachsichtliches Durchsetzen des liberalen Gedankens, parlamentarisch und außerparlamentarisch, indem sie von den Beamten strenge Pflichterfüllung in Bezug hierauf fordert. Meine Herren? Das ist das Centrum der konstitutionellen Politik, und ich bin weit davon entfernt, den Satz zu unterschreiben, sondern eine Monarchie, wie ich sie mir denke, denkt über diese Frage sehr viel humaner und milder und behandelt sie auch milder, ich darf das, glaube ich, mit dem vollen Gewicht der historischen Wahr⸗ heit sagen. Was haben wir denn erlebt? Der Hr. Abg. Rickert hat damals noch nicht im öffentlichen Leben gestanden, ich allerdings als junger und unerfahrener Beamter, der viele Fehler damals gemacht hat — ich habe das im Reichstag öffentlich anerkannt — aber das muß ich sagen, die Eindrücke, die ich aus jener Zeit von liberalen An schauungen und der Freiheit der Beamten in Bezug auf ihr po— litisches Verhalten gewonnen habe, haben mich mit äußerstem Widerwillen erfüllt, weil sie eben den nackten Despotismus und voll— ständiges Aufgeben jedes eigenen politischen Gedankens verlangen. In der sogenannten konstitutionellen Monarchie ist die ganze Staats maschine ein bloßer Mechanismus, und es ist ganz konsequent, daß dieser Mechanismus die absolute, willenlose Unterordnung des Beamtenstandes unter den Willen des allmächtigen Ministers erfordert, — was der Hr. Abg. Rickert mir vorgeworfen hat, von dem aber das Gegentheil der Fall ist. Ich babe es erlebt; nicht an meinem eigenen Körper, da hat mich, Gott sei Dank, die edle Sinnesart meines Chefs geschützt, — aber die Partei, die hinter der Thür stand und sich einbildete, sie würde sich hindurch drängen können und auf den Sitz der Macht gelangen, die war es, die das damalige Ministerium bei jeder Ge— legenheit — nicht etwa dazu drängte, die Beamten anzuhalten, sie sollten für diesen stimmen, nein, sie wollte die Regierung dazu drängen, sie sollte Hekatomben opfern, und zwar nicht durch die Beamten, die sich in manifesten Handlungen der Regierung gegen— überstellten, nein, die Gesinnung wurde proskribirt. Wir können aus den Verhandlungen des damaligen Abgeordnetenhauses und den Kommentaren, die die Presse und die Redner gegeben haben, nach⸗ weisen, daß der eigentliche Kampf des quasi liberalen Ministeriums Schwerin mit einen Hintermännern, seinen angeblichen Freunden, die es demnächst stürzten, — daß der eigentliche Kampf Ffast aus— schließlich sich um diese Frage drehtc. Der Minister Graf Schwerin mit seiner edlen Ritterlichkeit verweigerte, die Hekatomben zu opfern, so sehr auch seine angeblichen Freunde ihn dazu drängten. Denken Sie an jene berühmte Adresse von 1861 — die Debatten darüber sind äußerst interessant, weil sie ein charakteristisches Licht auf die Gesinnungsart dieser Herren in dieser Beziehung, werfen. Ich will nur an den Wortlaut der Adresse selbst, die schließlich angenommen wurde, erinnern; da heißt es mit dürren Worten; Wir erwarten, daß die Regierung unnachsichtlich ihren Standpunkt im Beamten⸗ thum zur Geltung bringen wird. Das ist doch eine Prätension, die himmelweit über das hinausgeht, was die Regierung jetzt von den Beamten verlangt, und darin beruht, daß, wenn sie richt für die Regierung wählen können, sie doch lieber zurückhalten und sich nicht in Stellungen begeben, die es der Regierung unmög lic machen, mit Vertrauenszuwendungen ihnen entgegenzukommen. Ünd wie hat die damalige Presse die Sache aufgefaßt? Es ist intereffant, den Kommentar zu lesen, den die maßgebenden Zeitungen damals brachten. Damals war es die National ⸗Zeitung“, ein dem Drn. Abg. Rickert gewiß nicht fernstehendes Blatt, welche wesentlich die Aufgabe übernommen hatte, zu den im Abgeordnetenhause selbst vorsichtig anzubringenden Erklärungen in dieser Beziehung den eigent⸗ lichen Zündstoff und den eigentlichen polemischen Kommentar zu liefern.
Diese Zeitung bat sich damals nicht entblödet, die vorhergebende Adreßdebatte dadurch zu verschärfen — ich muß annehmen, daß sie im Namen und Sinn der damaligen maßgebenden liberalen Partei ge⸗ sprochen hat — daß sie den Wit erspruch des Grafen Schwerin — ich nenne diesen Namen niemals ohne ein Gefühl der Ehrfurcht und dankbaren Erinnerung — gegen diese unkeusche Zumuthung kritisirte. Was hat diese Zeitung damals gesagt, als es sich um die Abschlachtung der konservativen Beamten handelte? ;
Wie hat das Ministerium diese Frage bis jetzt beurtheilt, und was ist unter seiner Verantwortlichkeit zu verstehen? Die letztere ist ein Wort ohne Inhalt; das Urtheil des Ministers des Innern aber lautete dahin, daß er nicht nach Ansichten, sondern nach Hand⸗ lungen der Beamten frage; die hohlste Antithese, die sich in diesem Falle erdenken läßt. Wir —
das heißt die Liberalen —
wir zählen diese Angelegenheit zu denen, welche in dieser Session in der vordersten Reihe stehen; wenn sie nicht endlich erledigt wird, so giebt es noch immer kein gesichertes Fortschreiten auf der (libe⸗ talen) Bahn. Den Ministern werden die Abgeordneten zu beweisen und unwiderleglich zu verdeutlichen baben, daß Handlungen und Ge- sinnungen kein Gegensatz, sondern eins sind; in der Adresse wird wenigstens ein Zeugniß dafür abzulegen sein, daß die Gegenwart noch nicht überall die Organe hat, deren sie bedarf.
Also, meine Herren, ist dies nicht etwa ein Verlangen, daß die Beamten für die Regierung stimmen sollen oder sich nur zurück⸗ halten sollen? Nein, meine Herren, die nicht⸗liberale Gesinnung der Beamten wurde zum Fußschemel der Forderung gemacht, sie heka— tombenweise zu beseitigen. Meine Herren, ich spreche einer Partei, deren Geschichte sie an dieses Programm bindet — ich werde ab⸗ warten, ob die Herren sie jetzt verleugnen — absolut das Recht ab, hier abzuurtheilen über das Verhalten der Regierung in dieser Angelegenheit. Meine Herren, Gott sei Dank! steht die monarchische Regierung nicht auf diesem Standpunkt — ich habe das schon vor⸗ her erörtert — und sie wird niemals sich zu einer solchen mecha⸗ nischen Auffassung ihres Verhältnisses zu dem Beamtenthum drängen lassen, sondern ihrerseits unentwegt auf den Grundsätzen stehen bleiben, welche ich in voller Harmonie mit dem Erlaß vom 4. Januar und den diesbezüglichen Aeußerungen des Herrn Reichskanzlers hier vor Ihnen entwickelt habe.
Der Abg. Frhr. von Zedlitz und Neukirch konstatirte, daß durch die eben gehörten Erklärungen die vielfach verbreitete falsche Auffafsung der Rede des Ministers vom 6. Dezember widerlegt worden sei, als ob die Regierung einem Beamten, der nichts thue als seiner Wahlpflicht zu genügen, dafür Vortheile entziehen wolle. Das würde den Beamtensland wesentlich degradiren, und die freudige Hingebung auch der⸗ jenigen Beamten beeinträchtigen, welche die großen Gedanken des Reichskanzlers zu fördern bestrebt seien. Es sei heut kein Zweifel darüber geblieben, daß nicht die bloße Ausübung des Wahlrechts, sondern nur eine demonstrative Opposition dahin führen könnte, den Beamten Vortheile zu entziehen. Wenn die Regierung aber neulich mit dem unvermittelten Gedanken der Einführung öffentlicher Wahlen beim Reichstage hervorgetreten sei, so habe sie damit vielleicht nur den, durch die Presse noch nicht beeinflußten Stand der öffentlichen Meinung zu dieser Frage erfahren wollen Er (Redner) sei daher von seinen Freunden beauftragt, bestimmt zu erklären, daß seine Partei entschieden gegen eine Veränderung des bestehenden Reichstagswahlrechts sei. Seine Partei wünsche auch, daß die Regierung durch die Erwägungen über diese Frage, in die sie bald eintreten wolle, zu einer Abstandnahme von ihrer projektirten Anregung beim Bundesrath gelangen möge. So schwerwiegende Gründe auch gegen das geheime Stimmrecht angeführt seien, so genügten sie doch, nicht gegenüber der verfassungs mäßigen Gestaltung des Reichsrechts. Auch lege seine Partei gleichen Werth auf die innere Freiheit der Wahlen, wie auf ihre Freiheit von äußerer Beeinflussung. Im Gegensatz zu der neulichen, mit mittelalterlichen An⸗ schauungen verwandten Aeußerung des Abg. von Rauchhaupt meine seine Partei, daß der Arbeitnehmer bei der Wahl völlig frei sein solle gegenüber dem Arbeitgeber; daß irgend welche öffentliche oder moralische Verpflichtung des Arbeitnehmers, im Sinne des Arbeitgebers zu wählen, nicht bestehe. Auch gegenüber den neulichen Bemerkungen des Grafen von Posa⸗ dowsky erkläre seine Partei ausdrücklich, daß für sie die stän— dische Ordnung der Dinge eine längst abgestandene Sache sei, daß seine Partei voll und ganz auf dem Boden des konsti⸗ tutionellen, verfassungs mäßigen Staates stehe. Der Abg. Richter habe den Fürsten Bismarck den Nährvater der Sozial⸗ demokratie genannt; dabei sehe man jetzt, daß wenige Monate nach dem ersten Schritt, den der Reichskanzler mit dem Kranken⸗ kassengesetz auf dem Wege der sozialen Reform gethan habe, die sozialdemokratische Bewegung in die Bahnen der Reform einlenke. Die eigentliche Ursache der Sozialdemokratie sei nicht Fürst Bismarck gewesen, sondern die wirthschaftlichen, politischen und religißsen Auffassungen der Fortschrittspartei trügen die Schuld daran. Denke die Linke nur an die Zeit zurück, wo man auf wirthschastlichem und sozialem Gebiet die Aufgabe des Staates nur darin gesehen habe, die wirthschaft— lichen Kräfte völlig frei zu entfesseln; denke die Linke daran, wie diese Entfesselung nichts gewesen sei, als eine Freigebung aller Bestrebungen des Eigennutzes und des Erwerbstriebes; wie jener Kampf der ungestümen Konkurrenz entbrannt sei; und wie die besitzl᷑osen Klassen in der Erkenntniß der zunehmenden Schwächung ihrer wirthschaftlichen Stellung, und in der Furcht, der Arbeiter werde schließlich nicht mehr als Mensch, als Ebenbild Gottes, sondern nur als Glied der großen Pro⸗ duktionsmaschine erscheinen, vergebens sich nach Hülfe und Rettung beim Staate umgesehen hätten. Möge man die zuneh⸗ mende Erbitterung verfolgen, die sich dieser arbeitenden Klassen bemächtigt habe, als ihnen keine Hülfe geworden sei; die Leiden⸗ schaft, mit der sie die Schützer der bestehenden Staats- und Rechtsordnung fast wie Landesfeinde bekämpft hätte. Jetzt aber, wo der Staat jene Krankheit durch eine richtige Sozialpolitik zu heilen bestrebt sei, wo man eben die ersten günstigen Erfolge auf diesem Gebiete zu bemerken anfange, könne es gewiß nicht zweckmäßig sein, durch Aufwerfung von Verfassungsfragen, wie diejenige der Abschaffung des geheimen Wahlrechts, einen neuen Zwiespalt zu erregen. Man müsse vielmehr die bestehende Verfassung als die unerschütterliche Rechtsgrundlage betrachten, von der aus man die sozialdemo— kratische Krankheit des Volkes heilen wollen.
Der Abg. Dr. Enneccerus erklärte, wenn der Minister das Haus an die Zeiten des altliberalen Ministeriums er— innere, so gebe derselbe damit selbst zu, daß dasselbe nicht die Grundsätze vertreten habe, welche die Linke heute bekämpfe. Damals hätten sich viele Beamte, namentlich Landräthe, in einer Agitation gegen die Regierung befunden, welche geradezu auf deren Sturz hingearbeitet habe. Dieser entgegenzutreten, sei damals die Regierung aufgefordert, und wenn einzelne liberale Blätter und Personen weiter gegangen seien, wenn sie sich zu Grundsätzen bekannt haben sollten, welche der Er⸗ klärung des Ministers vom 6. d. M. entsprochen hätten, so wäre das wahrhaftig noch keine Rechtfertigung für diese
Erklärung, und seine Partei würde sie nichtsdestoweniger gänzlich desavouiren. Leider sei der Minister bei seinen da⸗ maligen Erklärungen stehen geblieben. Derselbe habe zwar bei seinen dialektischen Auseinandersetzungen das Wort „agi⸗ tatorisch' der von ihm bekämpften Opposition der Beamten hinzugefügt, aber dieses Wort nicht definirt. Der Minister 6 am 6. Dezember gesagt, keinen Beamten solle wegen einer Abstimmung eine Anfechtung treffen, aber kein Beamter solle sich der Illusion hingeben, daß, wenn derselbe in dauernder Opposition mit der Regierung sich befinde, sie ihm Vortheile zuwende, deren freie Verfügung gesetzlich in der Hand der Regierung liege. Der Minister habe also nicht blos von polinischen Beamten gesprochen. Kein Beamter solle befördert werden. Die Wirkung dieser Erklärung werde sein: die festen Charaktere und überzeugungstreuen Manner würden gleichwohl nicht auf die Geltendmachung ihrer politischen Ueber⸗ jeugungen verzichten. Dann würden sie stehen bleiben, wo sie seien, die besten Kräfte blieben für die Staatsverwaltung verloren, und ein großer Mißmuth werde Platz greifen. Diejenigen Beamten aber, welche die Wege der Regierung gingen, würden den Aus⸗ spruch des Ministers als eine Verwaltungsmaxime ansehen, und das für berechtigt halten, was jetzt als Vorwurf gelte. In Folge dessen werde sich die Achtung vor dem Beamten⸗ stande und die Selbstachtung der Beamten erheblich vermin—⸗ dern. Dies bisher so tüchtige und pflichtbewußte Element herabdrücken, hieße die sittliche Kraft der Nation herabdrücken. Dies habe allerdings nicht in der Absicht des Reichskanzlers bei der Interpretation des Kaiserlichen Erlasses vom 4. Januar gelegen, und darin sei der Reichskanzler entschieden vom Minister von Puttkamer abgewichen. Nur eine unanständige würdelose Agitation der Beamten habe der Kanzler nicht ge⸗ wollt. Und der Abg. von Bennigsen habe, ohne irgend welchen Widerspruch zu finden, ausgeführt, daß das Wort Agitation keineswegs so interpretirt werden dürfe, daß die Beamten weder bei einer Wahl, noch bei irgend einer Wahl⸗ agitation sich betheiligen dürften, welche den entgegengesetzten Standpunkt der Regierung einnehme. Daraus folge, daß alle Vortheile, auch Gratifikationen und Remunerationen diesen Beamten nicht versagt werden dürften, welche für pflicht⸗ treue Beamte bestimmt seien. Es handele sich jetzt darum, die Beamten vor einer capitis deminutio zu bewahren, die in dem Ausspruch vom 6. Dezember liege.
Der Abg. Frhr. von Minnigerode erklärte, man könne dem Vorredner für die sachliche Behandlung dieses Gegen⸗ standes nur dankbar sein, nachdem der erste Redner das Thema mit lebhaften Farben kolorirt, und sein Sensations⸗ bedürfniß wieder befriedigt habe, es hänge das zusammen mit der ungünstigen Lage der linken Seite ihren Wählern gegen⸗ über. Den Abg. Enneccerus möchte er auf die Verhältnisse der Marburger Universität hinweisen, wo ein großer Theil der akademischen Lehrer von ihrem politischen Recht Gebrauch gemacht habe nach solcher extremen Richtung, und wo es trotzdem an Orden, Titelvermehrungen und erwünschten Ver⸗ setzungen bisher nicht gemangelt habe. Warum aber denn die Sorge? Wenn dann der Vorredner die Interpretation Bennigsens im Reichstage in Bezug auf die Stellung des Reichskanzlers zum Kaiserlichen Erlaß als eine authentische vorgeführt habe, so müsse er dies doch ablehnen. Wenn er die Worte Bennigsens in dem Sinne, wie derselbe ihnen heute imputirt sei, aufgefaßt hätte, so würde er damals wider⸗ sprochen haben. Seine Freunde hätten damals die Auf⸗ fassung des Reichskanzlers getheilt, daß die Regierung von ihren politischen Beamten verlangen könne, daß diese den
ntentionen der Regierung Ausdruck gäben, und keinen Zweifel über die Absichten der Regierung gegenüber den Ängriffen auf die Regierung ließen, daß sie im Uebrigen aber die Stimmabgabe der Beamten vollständig frei ließen. Hinsichtlich der Stellung der Beamten zu den Wahlen han⸗ dele es sich nur darum: die Regierung erwarte die Unter⸗ stützung der Beamten, die Stimmabgabe aber halte sie voll⸗ ständig frei. Dies sage die Erklärung des Reichskanzlers und bes Ministers von Puttkamer. Der Ton und Nachdruck habe immer auf dem Wort „Agitation“ gelegen, um zu bezeichnen, daß ein derartiges Gebahren der Beamten die Folgen haben müsse, die der Minister bezeichnet habe: keine Nachtheile, keine Vortheile — das sei klipp und klar dessen Standpunkt, und diesen halte seine Partei für den korrekten und richtigen überhaupt für jedes Ministerium. Der Abg. Enneccerus habe ferner sich bemüht, an einzelnen Worten zu deuteln, und immer den Ausdruck „würdelose Agitation“ hervorgehoben. Darin liege seines Erachtens nach eigentlich ein Pleonasmus und die Worte des Ministers: notorische Stellungnahme gegen die Regierung sei nur eine Ausführung des Wortes Agitation. Der Minister habe ferner gesagt, das Interesse des Beamten ver⸗ lange eben, daß freie Beförderung stattfände, daß Talente aufkämen — seine Partei fasse das Interesse des Beamten viel weiter, es sei die ganze Erschei⸗ nung, die der Beamte überhaupt bilde und gar nicht blos sein technisches Geschick. Auch müsse er auf das Verhältniß des Beamten zum. Monarchen gus⸗ drücklich noch aufmerksam machen; das sei doch nicht blos das eines Gehaltempfängers. Wenn die Beamten das Ver⸗ halten, welches sie der Regierung gegenüber zu wahren hät⸗ ten, kennten, so sei das sehr gut; er wisse nicht, weshalb der Vorredner sich dagegen sträube. Der Abg. Rickert habe ein⸗ mal wieder gedroht in Betreff des Etats; es fehle ihm aber in feiner heutigen Rede jeder Beweis; der Abg. Rickert be—⸗ rufe sich nur bei allem duf die Anklagen anonymer Beamten. Nachdem die Linke heute den Ankläger gespielt habe, müsse die Rechte den Liberalen den Platz auf der Anklagebank an⸗ weisen. Von einem Widerspruch zwischen den Ausführungen des Ministers von vor einigen Tagen und heute, könne keine Rede sein. Wie man ferner einen Widerspruch zwischen den Ausführungen der Abgg. von Rauchhaupt und von Hammer⸗ stein erblicken könne, sei ihm ebenfalls unverständlich. Der Abg. von Zedlitz möge sich hüten, den Verdacht zu erwecken, als betrachte derselbe die eigentlich konservative Partei, die wirkliche Rechte dieses Hauses als den dunklen Hintergrund, auf welchem sich das . frische Wesen der freikonserva⸗ tiven Partei abspiegele. um Schluß wende er sich gegen den Abg. Rickert. Das Vorbringen seines (des Abg, Rickert) Patriotismus habe Heiterkeit erregt, daran sei derselbe allein schuld; die Nechte glaube dem Abg. Rickert aber nicht, und zönne ihm im Uebrigen seinen Patristismus. Wenn der Abg.
ickert ferner in Betreff des Antrags Stern sage, man werde. immer wieder mit demselben kommen, so entgegne er dem⸗ selben, daß das mit der Zeit langweilig werden würde, und erinnere er ihn gleichzeitig an das Schicksal der Vorlage wegen Diätenbewilligung im Reichstag. Daß der Abg. Ricker« den Minister von Puttkamer den Chef der konservativen Partei
genannt habe, sei eine Begriff sverwechselung, wie er sie kaum zu fassen vermöge. Was die unter Delbrück ergrauten Be⸗ amten betreffe, von denen der Abg. Rickert gesprochen habe — so sage er, die Konservativen kennten keine Beamten, die im Dienste eines Ministers ständen. Im Uebrigen bemerke er, daß der Rechten die Stellung der Dynastie nicht Sache des Geldsacks, sondern Sache des Herzens sei. Der Himmel aber, so schließe er, möge die preußische Monarchie bewahren, daß sie nach dem Ideale der Demokraten und katilinarischen Lite⸗ raten gestaltet werde.
Der Abg. Frhr. von Schorlemer⸗Alst bemerkte, nach den Ausführungen des Abg. Enneccerus dürfe er wohl annehmen, daß derselbe auch die Verfolgung und Bedrückung der katho— lischen Beamten während des Kulturkampfes, und theilweise noch jetzt verurtheile. Er werde denselben gelegentlich daran erinnern, bis dahin müsse der Abg. Enneccerus es ihm nicht übel nehmen, wenn er von ihm und seinen Freunden denke: quis tulerit Gracchos de seditione querentes? Er habe nicht den Eindruck, daß der Minister von Puttkamer der Chef der konservativen Partei sei, derselbe gehöre vielmehr zum rechten Flügel der Mittelpartei. Der Abg. Nickert möge sich beruhi— gen: wenn es sich darum handele, einen Nationalliberalen oder einen Centrumsmann anzustellen, werde der Minister von Puttkamer dem Nationalliberalen den Vorzug geben. Wenn ein Beamter für einen Nationalliberalen stimme, werde derselbe gewiß nicht verfolgt, schlimmer sei es allerdings, wenn derselbe gegen den Regierungskandidaten oder für den Fortschrittsmann oder Sezessionisten eintrete. Das sei um so erklärlicher, als nach den liebevollen Erklärungen des Ministers von Puttkamer gegen den Abg. Rickert die Regierung doch in den Sezessionisten den verlorenen Sohn erblicke, und die fung der Rückkehr nicht absolut für ausgeschlossen halte.
enn der Abg. Rickert von der gedrückten Lage der preußi— schen Beamten gesprochen habe, von dem Einfluß der Regie— rung in Betreff, der Wahlen, so möchte er wissen, weshalb der Abg. Rickert früher nicht für die Beamten eingetreten sei, die ebenfalls keine Remuneration erhalten hätten, weil sie einem Centrumsmanne ihre Stimmen bei der Wahl gegeben hätten. Damals sei aber unter allen Gipfeln Ruh gewesen, auch bei dem Abg. Rickert. Wenn derselbe jetzt einen Appell an das Centrum richte, so finde er das naiv. Der Abg. Rickert be⸗ klage sich über den herrschenden Ton und das Hineinziehen der Person des Kaisers in die Debatte. Wer habe denn da⸗ mit den Anfang gemacht? Doch nur die liberale Seite, die die Person des Kronprinzen der des Kaisers gegenüberzusetzen stets versucht habe. Er halte beides für gleich unberechtigt.
Der Abg. Rickert sei früher ein eifriger Kulturkämpfer ge⸗ wesen. Ferner sei gesagt, die Regierung müsse Festigkeit
zeigen, er glaube, daß sie vor Allem das Recht und die Pflicht habe sich aller Einflußnahme zu enthalten. Nach der Kon⸗ sequenz des Ministers müsse der Beamte wählen, wie sein Chef es wolle, und wechsele dieser, so müsse der Beamte entweder
seine Gesinnung wechseln wie seinen Rock oder seinen
Platz.
Ferner würden die Beamten von Gratifikationen, Beförderungen ausgeschlossen durch dauernde oppositionelle Stellungnahme gegen die Regierung. Dies gehe weit über den Sinn der Kaiferlichen Botschaft hinaus. Was sei heute
oppositionell? Heute sei es vielleicht der Abg. Rickert, später
vielleicht der Minister von Puttkamer selbst! Die Beamten dürften dann nur nach der Parole der Behörde wählen, und aller indirekte Zwang führe zur Korruption. Alle diejenigen, die gegen den Äntrag Stern gestimmt hätten, hätten die Re⸗ gierung verstärkt, in dieser Richtung vorzugehen, damit zerstöre die Linke mehr und mehr ihre Partei. Es habe ja schon eine Abbröckelung stattgefunden. Die Herren sollten doch bedenken, daß wer in der Heimath so große Macht gegen die Arbeiter als Arbeitgeber habe, hier kein freies Wahlrecht verlangen könne, wenn man es selber nicht ausübe. Das Centrum wolle ein vollkommen freies Wahlrecht. Wenn die Liberalen so aufrichtige Freunde der Verfassung seien, so werde das
Tentrum denselben Gelegenheit geben, nächstens für die Wieder⸗
herstellung der Artikel 15, 16 und 18 zu stimmen.
Der Staats-Minister von Puttkamer erklärte: Er müsse Verwahrung gegen die Deutung einlegen, welche der Abg. von Schorlemer seinen Ausführungen zu geben für nöthig gehalten habe. Er habe nicht einmal eine Andeutung ge— macht, daß einem Beamten wegen seiner Wahl, wegen der bloßen Stimmabgabe die Beförderung entzogen werden sollte. Er habe von dem gesammten politischen Verhalten, von der agitatorischen Stellungnahme gegen die Regierung gesprochen.
Der Abg. Frhr. von Zedlitz und Neukirch verwahrte sich dagegen, daß aus der Abstimmung über den Antrag Stern irgend ein gültiger Schluß auf die Stellung der Freikonser⸗ vativen zum Reichswahlrecht zu ziehen sei. Der Abg. von Minnigerode habe ihn (den Redner) mehrfach mißver⸗
standen, namentlich darin, daß derselbe in die Worte des
Ministers etwas Anderes hineingelegt habe, als der Minister heute ausgeführt; er habe selbst beweisen wollen, daß die Auf—
fassung Rickerts eine irrige gewesen.
Der Abg. Richter (Hagen) bemerkte, der Minister habe es als Eigenthümlichkeit des konstitutionellen Systems bezeich⸗ net, daß mit jedem Systemwechsel des Ministers auch alle Beamten wechseln müßten, und habe dem gegenüber das Ver⸗ fahren eines konservativen Ministeriums als human und mäßig bezeichnet. Eine Praxis solchen Beamtenwechsels be⸗ stehe aber nur in Nordamerika; alle Liberalen in Europa hätten bei jeder Gelegenheit ein solches System als verwerf⸗ lich bezeichnet. Selbst in England wechsele bei einem Minister⸗ und Systemwechsel nur ein kleiner Kreis absolut politischer Beamten. Die Träger mancher politischen Stellun⸗ gen müßten sich ja nothwendig dem System des Ministers anschließen; und ein Beamter, der z. B. den Austrag erhalte, seiner eigenen Richtung widersprechende Gesetze , würde schon um seiner Ehre und Stellung willen so che Arbeit ablehnen. In diesen Grenzen müsse allerdings vom; konstitu⸗ tionellen Standpunkte aus mit dem Ministerium ein kleiner Kreis politischer Beamten auch in Preußen wechseln. Gegen⸗ wärtig mache man das Landrathsamt zu einem politischen Amt, einer Partei⸗Agentur. Die Regierungs⸗ Prä⸗ sidenten seien Agenten der Wahlpolitik des Ministers. Das sei ja nicht nothwendig mit dem Amt verknüpft; jene Aemter müßten von allen Funktionen losgelöst werden, die mit der Richtung eines anderen Ministeriums unverträg⸗ lich sei. Der Mißbrauch des Amtes Seitens der Beamten, das sei es, was man dem Ministerium Schwerin vorgeworfen 66. Das „liberale“ Ministerium Schwerin habe die Fort⸗ chrittspartei nie als solches angesehen. Es hätten darin eine
überwiegende an, von konservativenl Ministern vom reinsten
Wasser gesessen. Die damaligen Wahlerlasse u. s. w. seien unter⸗ zeichnet von Regierungs⸗Präsidenten, Landräthen u. s. w. und
forderten auf, Beamte, Geistliche, Gensd' armen, Schänker ꝛc. für die konservativen Wahlen zu beeinflussen. Das damalige Ministerium sei ebenso wenig liberal wie Fürst Bismarck, der doch die Seele des jetzigen Ministerium sei und nicht liberal zu nennen sei. In der Sache sei das, was der Minister von Puttkamer neulich gesagt habe, dasselbe, was derselbe heute sage, nur habe derselbe die Spitzen etwas umwickelt. Offenheit sei ein großer Vorzug des Fürsten Bismarck stets gewesen; wenn aber Fürst Bismarck bei seinen damaligen Worten den Hintergedanken gehabt haben sollte: wenn der Beamte nicht so wähle, wie die Regierung wünsche, dann habe derselbe keinen Anspruch auf die Vortheile, die ihm die Re—⸗ gierung zuwenden könne“, dann sei Fürst Bismarck damals so hinterhaltig gewesen, wie nie in seinem Leben; dann sei in der That die Sprache nur dazu da, um die wirklichen Ge— danken zu verbergen, was man sonst allerdings den Diplo— maten, aber noch nie dem Fürsten Bismarck nachgesagt habe. Der Abg. von Minnigerode selbst habe nicht die Verant— wortung für die Auslegung der Rede des Ministers von Puttkamer vom 6. Dezember übernehmen wollen und gesagt, es handle sich blos um die Beurtheilung des agitatorischen Verhaltens der Beamten. Im Gegentheil, in der Rede des Ministers sei immer von dem Gesammtverhalten die Rede, und von der Abstimmung als solcher. Mindestens habe der Minister von Puttkamer nicht die klare Erklärung gegeben, die gerade in dieser Frage nothwendig gewesen wäre. Bei der Beurtheilung des Gesammtverhaltens der Beamten sollte die Wahl überhaupt nicht in Betracht kommen; das müsse man völlig ausscheiden, selbst wenn man zugeben wolle, daß die Agitation in Betracht gezogen werde. Der Minister von Puttkamer habe heute wieder gesagt, einem Be— amten, der die wichtigsten Grundsätze der Re—⸗ gierung nicht für richtig halte, dem könne er durch eine Besörderung kein Vertrauen beweisen, wenn er seine oppositionelle Gesinnung durch eine offenkundige That— sache — und eine solche sei die Abstimmung — bekunde. Er halte das für einen Mißbrauch der Befugnisse der Regierung. Der Minister habe heute nicht einmal erklärt, daß die Weih— nachtsgratifikationen, die Remunerationen nichts mit der Sache zu thun hätten. Sei es nicht ein offenbarer Mißbrauch, wenn diese Fonds zu Trinkgeldern benutzt würden für die politischen Abstimmungen? Und ferner, sollten nur diejenigen Beamten im Gehalt steigen, welche im Sinne des augenblick— lichen Ministers stimmten? Wolle ferner der Minister seine Versetzungsbefugnisse, die er gesetzlich „im Interesse des Dienstes“ ausüben solle, so ausüben, daß er für „Interesse des Dienstes“, „Interesse der Wahl“ setze? Was dann die Beförderung betreffe, so glaube er, es sei nicht reiner Zufall, daß seit der Amtsführung des Justiz-Ministers Friedberg kein Landgerichts-Rath, der irgend mit der Fortschrittspartei ver— wandte Gesinnungen habe, zum Landgerichts-Direktor beför— dert sei. Für die Beförderung zum Landgerichts-Direktor müßte ganz allein der Umstand maßgebend sein, wie ein Richter öffentliche Verhandlungen leite; wie derselbe sich durch sein Dienstalter qualifizire, nicht aber, wie derselbe sich po— litisch verhalte. Wie solle es ferner mit dem ganzen Heer der Eisenbahn⸗ und Postbeamten sein? Einmal habe der Minister Maybach gesagt, die Eisenbahn fahre sozialistisches Petroleum, nationalliberales Oel und fortschrittlichen Weizen; der Eisenbahnverwaltung könne die politische Stellung der Beamten ganz gleichgültig sein. Mit Recht! Sollte man zu einem sozialistischen, nationalliberalen, konservativen Bahn⸗ beamten wegen seines politischen Standpunktes weniger Vertrauen haben, daß derselbe deshalb seinen Eisen— bahndienst gut versehen werde? Ebenso seien die Post— briefträger ober Postunterbeamten, und wären sie selbst sozia—⸗ listisch, deshalb weniger vertrauenswerth in Bezug auf den Dienst? Sei ein Unterbeamter, wenn derselbe selbst Frei händler wäre, verdächtig, daß er deshalb weniger gegen die Schmuggler einschreiten werde? Wie viele Aeußerlichkeiten erinnerten ihn doch an die Zeiten von 1855 bis 1858! Der Minister sage: ceteris paribus werde er den Mann, der seine Gesinnung habe, befördern; den andern nicht. In Wirllich— keit werde man, wenn man von vier Stellen zwei mit liberalen Anwärtern besetzen müßte, damit das ceteris paribus zutreffe, bald von dem ceteris paribus absehen müssen und Konser— vative von geringerer Qualifikation in die Stellen einrücken lassen. Nach den Worten des Ministers komme nicht die wirkliche Tüchtigkeit im Amt, sondern die Gesinnung am meisten beim Beamten in Betracht. Wie solle da der Staat noch seine Aufgabe lösen, wenn die Beamten nach der poli— tischen Gesinnung, nicht nach der sachlichen Tüchtigkeit, aus⸗ gewählt würden? Die politische Gesinnung könne bekundet werden, es könne aber diese Bekundung auch nur Heuchelei sein; man ziehe also damit ein elendes und serviles Streber⸗ thum groß, Leute, die nichts mehr arbeiteten, sondern bei jeder Gelegenheit ihre Loyalität offenkundig bezeugten und damit vorwärts zu kommen dächten, während alle tüchtigen Männer und solche, die etwas auf sich hielten, zurückgeschreckt würden, ob sie die Beamtenlaufbahn ergreifen sollten, wenn sie nicht etwa der Meinung seien, daß die Geschichte nicht mehr lange dauern könne. Die ganze Wahl werde nicht mehr eine Beurkundung der Gesinnung im Volke, sondern eine Machtprobe, ob die Staatsgewalt stark genug sei, die wirkliche Gesinnung und Ueberzeugung im Volke zu unterdrücken. Was das geheime oder öffentliche Wah recht anbelange, so habe der Abg. von Minnigerode erklärt, daß man auf seiner Seite nicht auf Abschaffung des geheimen Wahlrechts drängen wolle, das stehe aber mit den heutigen Ausführungen des 2 von Zedlitz in vollständigem Widerspruch. Die konservative Partei scheine ihm heute in ihrer Auffassung des allgemeinen Wahl⸗ rechts einen vollständigen Rückzug angetreten zu haben. Die Einwände der Freikonservativen und die Erklärungen der Konservativen mächten auf den Minister gar keinen Eindruck. Derfelbe bleibe kühl und mit Recht; wenn die Sache Ernst werde, und der Reichetag danach zusammengesetzt sei,ů das ge⸗ heime Wahlrecht aufzuheben, dann werde die Unterstützung der Konservativen und Freikonservativen nicht fehlen, trotz der heutigen Reden. Im Lande werde man durch die heuti⸗ gen Erklärungen kaum vertrauensseliger geworden sein. Der Abg. von? Zedlitz habe, dann gemeint, die sozialistische Partei fei älter als die Sozialpolitik des Reichskanzlers. Die Sozialdemokratie sei nicht älter als das Ministerium Bis⸗ marck. 18653 habe die Bildung der sozialistischen Partei be⸗ gonnen und wenn Fürst Bismarck sich nicht mit Lassalle ein⸗ gelassen hätte, so daß derselbe überall im Lande darauf habe hinweisen können, so hätte die Bewegung damals bei Weitem nicht die Ausdehnung gewonnen. Damals habe die Taktik angefangen, die Sozialisten als willkommene Verbündete gegen den Forischritt zu gebrauchen, um ihn und das Bürgerthum
von links anzugreifen. Man habe die Sozialisten gerufen, ohne sich dabei klar zu werden, daß man die Geister nicht so leicht wieder loswerden könne. Das Spiel mit Polizeisozialisten habe damals in Berlin begonnen und sei nachher fortgesetzt. Die Art und Weise, wie die Sozialpolitik angegriffen sei, die uferlosen Versprechungen seien geeignet, sozialistische Propa⸗ ganda zu machen. Das Vertrauen auf den Staat und seine Hülfe sei ebenfalls gemeinsan. Der Abg. von Zedlitz meine, in Berlin seien die Sozialisten eine Reformpartei geworden, das sei die Frucht des Sozialisten⸗
esetzes. Kritik und Agitation gegen den Berliner Magistrat
cheine dem Abg. von Zedlitz Reform zu bedeuten; dieselbe Kritik gegen das Ministerium gewendet, wäre aber Revolution, staatsgefährlich, Gefährdung der öffentlichen Ordnung. Wenn die Anschauung des Abg. von Zedlitz richtig sei, dann seien alle Berichte des Ministers von Puttkamer an den Reichstag über die Berliner Sozialdemokratie falsch, denn man werde doch nicht glauben, daß innerhalb vier Wochen die sozialistische Partei ihren Charakter ändern werde. Wenn der Abg. von Zedlitz Recht habe, dann müßte der kleine Belagerungszustand in Berlin aufgehoben werden, den seine Partei (des Redners) niemals für gerechtfertigt gehalten habe. Sei die Sozial⸗ demokratie eine Reformpartei, dann verzichte man auf die Verlängerung des Sozialistengesetzes. Wenn die Rechte aber die Sozialisten als Reformer schildere und das Sozialisten— gesetz aufrecht erhalte, dann bringe sie sich in den Verdacht, daß sie das Gesetz in eine Reihe diskretionärer Befugnisse auflösen wolle, die man anwenden oder nicht anwenden könne, je nachdem es die Parteipolitik oder die Wahltaktik erfordere.
Hierauf nahm der Staats-Minister von Puttkamer das Wort:
Meine Herren, die Aeußerungen des Hrn. Abg. Frhrn. von Zedlitz über die Sozialdemokratie und das Verhältniß der Fortschritts- partei zu derselben scheinen dem Hrn. Abg. Richter doch sehr unan⸗ genehm gewesen zu sein, da er mit so ungemeinem Eifer am Schlusse seiner Ausführungen dagegen polemisirt. Ich für meine Person habe natürlich nicht den Beruf und das Recht, in die Meinungk verschie⸗ denheit zwischen den beiden Herren einzutreten, aber ich glaube, ich darf einige Aeußerungen des Herrn Abgeordneten, welche er an diese Frage knüpfte und die allgemeiner Natur waren, doch nicht unerörtert und unwidersprochen lassen.
Daß selbstverständlich die Behauptung heute hier wiederkehren würde, es sei mit ungleichem Maße gemessen in letzter Zeit in Bezug auf die Handhabung des Sozialistengesetzes, man habe der Arbeiter⸗ partei bei den letzten Berliner Kommunglwahlen aus tendenziösen Rücksichten die Zügel schießen lassen, während man andexerseits sie festgehalten habe, das hat mich nicht überrascht; denn ich bin es ge⸗ wöhnt, daß man mit überzeugenden Gründen auf jene Seite (links) einzuwirken sucht, und daß es doch nichts nützt. Aber ich will dennoch wieder einmal ausdrücklich konstatiren, daß, sobald Hr. Richter auf die allgemeine Seite der Wirksamkeit und Nothwendigkeit des Sozia⸗- listengesetzes kommt, er immer nur allgemeine Redewendungen und niemals die bestimmten konkreten Bestimmungen des Gesetzes vor Augen hat — der⸗ selbe Fehler, der neulich auch dem Hrn. Abg. Dr. Virchow passirte. Das ist ja für die Regierung absolut irrelevant, welche verschleierten Absichten oder Strömungen hier in Berlin oder in anderen Städten auf, dem Gebiete der sozialdemokratischen Bewegung spielen oder nicht spielen, die Regierung hat einfach die ihr durch Gesetz aufgelegte Pflicht zu erfüllen, an den äußeren Merkmalen, die die sozialdemokratische Bewegung zu Tage fördert, zu messen, ob diese sich in einer Form und Gestalt in die Oeffentlichkeit wagt, welche die Staats⸗ und Gesellschafts⸗ ordnung zu untergraben und umzustürzen geeignet sind. Und ich wiederhole ausdrücklich, Niemand und am wenigsten die Regierung, hat das Recht, derjenigen Bewegung, welche hier bei der letzten kommunalen Bewegung von Seiten der Arbeiter betrieben ist und welche lediglich darauf gerichtet war, einzelne konkrete Forderungen in Bezug auf ihre besonderen Interessen hinsichtlich des Kommunal wesens durchzusetzen — Niemand hat das Recht, sage ich, sie in deren Verfolgung irgendwie zu beschränken. Hätte die Regierung dies gethan, so hätte sie sich eines Rechtsbruchs schuldig gemacht, und ich fordere den Abg. Richter auf, sich darüber zu erklären, ob er gesonnen ist, der Regierung einen Vorwurf daraus zu machen, daß sie in dieser Weise objektiv und pflichtgemäß in der Handhabung des Sozialisten⸗ gesetzes verfahren ist. Nun sagt er noch in Bezug auf das Ver- hältniß des Fürsten Bismarck zur Sozialdemokratie: wenn er nicht in den sechsziger Jahren in eine so verdächtige Liaison mit Lassalle getreten wäre, so würde die sozial⸗ demokratische Bewegung gar nicht im Stande gewesen sein, so große Dimensionen anzunehmen. Meine Herren, wie klein denkt er über die Entwickelung dieser Verhältnisse! Nein, das Erscheinen der Sozialdemokratie auf der politischen Bühne ist ein Ereigniß von welthistorischer Bedeutung, und das wird der Abg. Richter mit seinem — gestatten Sie den Ausdruck — kümmerlichen Fortschrittswiderstand nicht aus der Welt schaffen, dazu gehört das Inbewegungsetzen anderer Kräfte. Was soll es demgegenüber bedeuten, wenn der Abg. Richter fagt, man wolle Alles im Staate absorbiren, die sozialpolitische Bewegung solle an die Staatsomnipotenz gebunden werden, während die freie Bewegung, wie sie die Fortschristspartei wolle, das einzige Heilmittel sei? In einem Augenblick, wo nicht nur Deutsch= land, sondern alle anderen europäischen Kontinentalstaaten — ich ver= weife nur auf Oesterreich und seine jüngste Vorlage eines Unfall ver⸗ sicherungsgesetzes — sich mit der Ueberzeugung durchdrungen haben, daß eine Verföhnung der in Frage kommenden Interessen, ich will wieder einmal sagen des vierten Standes, denn das ist die beste Kollektivbezeichnung hierfür, mit den staagtlichen Einrichtungen in keiner anderen Weise möglich sei, als durch organische Reformen — kommt der Abg. Richter mit seinen — verzeihen Sie mir den Ausdruck — mit seinen schon aus dem Reichstage her bekannten abgestandenen Redenzarten über das Gehenlassen auf dem wirthschaftspolitischen Ge⸗= biete, das allein im Stande sei, die sozialen Schäden zu heilen. Nein. . Abg. Richter ist auf diesen. Wege wie auf vielen anderen Ge⸗ ieten auf einem starken Irrwege. Er hat es unlängst selbst ausge⸗ sprochen — die Fortschrittsparzei sei der eigentliche Hemmschuh für bie Weiterverbreitung der Sozialdemokratie; an die Fortschritts⸗ partei müsse man sich anschließen, wenn man wolle, daß die Sozial demokratie nicht weiter um sich greife. Ja, meine Herren, daß Sie wirthschaftlich die Gegner der Sozialdemokratie sind, das ist uns längsft bekannt. Sie sind ꝛ8 nur in einer Form, in welcher neben vielem Richtigen sehr viel Falsches und Unwahres durcheinander ge— mengt ist. Ich werde mich wahrlich nicht auf den Standpunkt stellen. daß ich die wirthschaftlichen Forderungen der Sozialdemokratie im Allgemeinen mir zu eigen mache. Aber, daß die Fortschritts partei — lassen Sie es mich hier wohlbedacht aussprechen — den gesunden Kern, der in manchen Theilen der soꝛialdemokratischen Forderungen steckt, soweit sie nicht zugleich mit revolutionären Umsturz⸗ bestrebungen verquickt sind, nicht nur todtzuschweigen sucht, sondern mit allen Künsten der Polemik zu unterdrücken bestrebt ist, das ist mir langst bekannt. Aber damit kommen wir auf dem Wege der Be= mühungen, eine wirkliche Gesundung in unsere sozialen Verhält- niffe zu bringen, nicht einen Schritt vorwärts und die Fort- schrittspartei darf sich allerdings rühmen, an diesem Prozesse. ber soziaspolitischen Gesundung, den Regierung und Nation jetzt ge. meinschaftlich in die Hand genommen, nicht den allermindesten An⸗ theil zu haben. In volitischer Beziehung ferner — das ist Ihnen schon oft gesagt worden, ich will es aber wiederholen — sind Sie in der bedenklichften Weise die Vorarbeiter der Sozialdemokratie.
Meine Herren! Ich könnte das ja noch weiter ausführen, wenn ich in einer fehr polemischen Stimmung heute wäre, Ich könnte Ihnen vorbalten, daß Ihre Bestrebungen, Ihre wesentliche Cinwir=
fung auf unsere politischen Verhältnisse faktisch darauf hinauslaufen. . Staatsgefuüge das feste Fundament und die feste Basis allmählich