1884 / 23 p. 9 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 26 Jan 1884 18:00:01 GMT) scan diff

wirksamer entgegentreten, wenn sie sich finanziell bei der Sache betheiligt ansehen müßten. Eine besondere Befürchtung vor der Betheiligung des Arbeiterstandes an der Verwaltung solle man nicht hegen, denn in Deutschland sei dieser Stand trotz aller Hetzereien im Grunde doch noch unverdorben und jedenfalls besser wie in anderen Ländern. Die für den Fall eines Unfalls in Aussicht gestellte Rente sei hoch genug, weil sonst der Verletzte in Müßiggang ver⸗ fallen möchte, auch nicht mehr eine so kräftige Nah⸗ ung brauche, als zu der Zeit, in welcher er seine vollen Kräfte zu schwerer Arbeit habe einsetzen müssen. Redner erwähnt dann noch, daß thatsächlich einige Industrien schlechter gestellt seien als andere, und deshalb von der Last der Unfallversicherung härter würden getroffen werden. Besonders bevorzugt aber sei die chemische Industrie, welcher der Staat durch technische Schulen und Universitäten zu Hülfe komme, und es sei zu wünschen, daß der Staat auch für die Textilindustrie und das Handwerk Beihülfen übernähme, ins— besondere durch Gründung und Unterstützung von Webeschulen.

Hr. Meyer macht darauf aufmerksam, daß die stärksten Gegner der Unfallversicherung von jeher in den nicht industriellen Kreisen zu finden gewesen seien, und daß man daraus folgern könnte, diese Vorlage würde der Industrie materielle Vortheile, anderen Gewerben Nachtheile bringen. Umgekehrt aber würden der Industrie erhebliche Lasten auf— erlegt, und dennoch seien die Industriellen Freunde der Vor⸗ lage, da sie wissen, daß der große Gedanke der Unfall⸗ versicherung nur mit Opfern verwirklicht werden könne, und da sie im Interesse des Zustandekommens eines derartigen Ver— sicherungsgesetzes bereit seien, große Opfer zu bringen. Prinzipieller Gegner der Vorlage könne wohl nur derjenige sein, welcher die Segnungen derselben nicht eintreten lassen wolle, und einen solchen verwerflichen Standpunkt glaube er bei keinem Mitglied des Volkswirthschaftsraths annehmen zu können; sei man aber nicht prinzipieller Gegner, so müsse man das Zustandekommen des Gesetzes auch unter dem Aufgeben eigener abweichender Meinungen zu fördern suchen, und dürfe die Vorlage nicht wie von Einigen geschehe, um deswillen ablehnen, weil man gegen Einzelheiten derselben Bedenken habe.

Die Industrie trete einmüthig und warm für die Vor— lage ein trotz der ihr angesonnenen Opfer, sei auch bereit, trotz pekuniärer Schädigung einzelne Ansichten preiszu⸗ geben und insbesondere den Anspruch auf den Reichs— zuschuß fallen zu lassen. Man möge doch von keiner Seite mehr auf denselben zurückkommen, denn eine Annahme des Reichszuschusses sei ja doch ausgeschlossen. Ein Beitrag der Arbeiter aber sei, nicht zur Entlastung der Industrie, denn dieselbe werde eventuell auch mit dieser Last sich ab— finden können, wohl aber aus ethischen Gründen erforderlich, könne auch den Arbeiter unmöglich schwer belasten, da nach einer Berechnung die Last aus der Unfallversicherung 10 6 pro Jahr und Kopf der Arbeiter ausmache, und 15 Prozent hiervon keine nennenswerthe Belastung darstelle. Entrichte der Arbeiter dann einen wenn auch nur nominellen Beitrag, der thatsächlich doch von dem Arbeitgeber werde aufgebracht wer— den, so lönne man ihm gern auch einen umfangreichen An— theil an der Verwaltung einräumen. Materiell habe diese Frage keine Bedeutung für die Industrie; er glaube nicht, daß irgend ein Zweig derselben, auch nicht die aller— dings bedrängte und besonderen Verhältnissen unter— worfene Kohlen⸗ und Eisenindustrie, der er ja auch angehöre, von der ihr zugemutheten Last zu Boden werde gedrückt, oder durch einen Beitrag des Reichs oder der Arbeiter werde gestützt werden können; ebensowenig verspreche er sich allerdings auch von dem Rezept des Hrn. Leuschner, welcher der Industrie durch Erhöhung der Preise aufhelfen wolle, da dies auf eine Verschlechterung des Geldes hinauskomme.

Das Umlagesystem hält Redner für zweckmäßig; der Be— harrungszustand werde, wie er auf Grund von Mittheilungen des Königlichen Ober⸗Bergamts in Clausthal annehmen müsse, nicht erst in 15, sondern schon nach 6 Jahren eintreten, und bis dahin könne man ja einen höheren Betrag als den der Jahresrente aufbringen, um einer zu plötzlichen Steigerung der Last vorzubeugen.

Redner bittet schließlich, ebenso wie die Regierung einer weisen Beschränkung sich zu befleißigen und unter allen Um— ständen eine allgemeine Verständigung zu suchen, damit die Majorität, mit der die Vorlage angenommen werde, eine überwältigende sei. Dann werde die Stellungnahme des Volkswirthschaftsraths ihre Wirkung auf den Reichstag nicht verfehlen. j

Hr. Björnson theilt die Bedenken der Herren Kahle und Leyendecker, wenn auch nicht in vollem Maße. Die Bildung eines Reservefonds erscheint ihm von vornherein un⸗ umgänglich; der Vorschlag des Hrn. Meyer wegen Aufbrin⸗ gung etwa des doppelten Beitrags in den ersten Jahren sei beachtenswerth, vielleicht jedoch durch den noch einfacheren Weg zu ersetzen, daß in den ersten Jahren außer dem ein— fachen Jahresbeitrag noch die Beträge eingezogen werden, welche gegenwärtig an die Unfallversicherungs-Gesellschaften zu entrichten seien.

Hr. Graf Frankenberg bedauert, daß er, obwohl er stets und als einer der Ersten für soziale Reformen einge⸗ treten sei und den Erlaß von Versicherungsgesetzen verlangt habe, und obwohl er wegen dieses seines prinzipiellen Stand— punktes geneigt sei, jeder entsprechenden Vorlage der Regie⸗ rung mit lebhafter Sympathie zuzustimmen, doch nicht umhin könne, gegen die gegenwärtige Vorlage schwerwiegende Be— denken zu erheben.

Zweckmäßig und weise sei es allerdings, daß die Vorlage sich auf festem Boden beschränke; bei der Unvollständigkeit alles bisherigen Materials sei ein Unfallversicherungsgesetz immer ein Sprung ins Dunkle, den man nur mit größester Vorsicht und in kleinen Absätzen thun dürfe. Ein falscher Schritt, eine Hineinziehung von Betrieben, für welche das Be⸗ dürfniß und die Zweckmäßigkeit der Versicherung nicht zweifellos seststehe, würde sich schwer rächen; müsse man demnächst einen Schritt zurück machen und Betriebe, die man einmal hinein gezogen, etwa wieder fallen lassen, so würde das der Agitation ungleich mehr zu gut kommen, als die einstweilige Beschrän⸗ kung, von der er nicht fürchte, daß man sie mik Erfolg zu agitatorischen Zwecken werde ausbeuten können. So müsse er insbesondere für eine weise Beschränkung erachten, daß die Arbeiter der Land⸗ und Forstwirthschaft zunaͤchst nicht unter das Gesetz gestellt werden sollen, da für diese Kategorie die Sache noch nicht reif sei.

Was dagegen die Bildung der Genossenschaften über das ganze Reich anbelange, so bezweifle er die Möglichkeit, dieselbe nach den vorgeschlagenen Gesichtspunkten überhaupt zu Stande

zu bringen und sie über das ganze Reich zu erstrecken; man solle erst engere Verbände bilden und diese sich dann zu größeren Genossenschaften zusammenschließen lassen; er empfehle dazu einen Anschluß an die Provinzialverwaltungen, welche auf dem analogen Gebiet der Landarmenverwaltung bisher Tüchtiges ge⸗ leistet hätten. Dann fehle in dem Entwurf eine Bestimmung darüber, daß bei grobem Verschulden des Arbeiters die Rente zu vermindern sei, obwohl der Reichstag sich schon einmal für eine solche Bestimmung ausgesprochen habe; in der Besorgniß vor Prozessen solle man doch nicht so weit gehen, der Ge⸗ rechtigkeit geradezu ins Gesicht zu schlagen. Das aber würde geschehen und entschieden auch die Unzufriedenheit der Ar⸗ beiter herausfordern, wenn man denjenigen, der aus grobem Verschulden sich selbst und vielleicht auch anderen Mitarbeitern eine Veletzung zugezogen habe, ebenso günstig stellen würde, wie andere Personen, die die erforderliche Aufmerksamkeit nicht außer Acht gelassen hätten, und ebenso günstig, wie diejenigen Mitarbeiter, die ohne ihre Schuld unter seiner strafbaren Nachlässigkeit zu leiden hätten. Man möge sich doch die schweren, aber zutreffenden Bestimmungen vergegenwärtigen, welche im Militärverhältniß für analoge Fälle gelten.

Was den Fortsall des Reichszuschusses anbelange, so glaube er, daß der Eintritt des Reichs auch in denjenigen Fällen, für welche er nach der Vorlage noch in Aussicht ge⸗ nommen sei, doch nur auf dem Papier stehen werde, da der Bundesrath wohl stets von der Befugniß Gebrauch machen werde, einen bankerotten Industriezweig einer anderen potenten Genossenschaft zuzuweisen, anstatt ihn auf das Reich zu übernehmen. Das Umlageverfahren habe der Reichstag schon einmal und mit Recht abgelehnt, dasselbe sei schon mit Rück⸗ sicht auf den Eintritt neuer Betriebe mit starker Unfallsgefahr in bestehende Genossenschaften und die dadurch bedingten Schwierigkeiten zu verwerfen.

Bezüglich der Arbeiterausschüsse steht Redner auf dem Standpunkt des Vorredners Baare; auch er befürchtet, daß in dieselben Agitatoren werden gewählt werden. Hierbei leite ihn nicht Mißtrauen gegen die Arbeitnehmer, dagegen könne er der Vorlage den Vorwurf nicht ersparen, daß sich ein unbe⸗ rechtigtes Mißtrauen gegen die Arbeitgeber wie ein rother Faden durch dieselbe hindurchziehe. Gegen das Schiedsgericht erhebe auch eine ihm vorliegende Petition des Vereins zur Wahrung der wirthschastlichen Interessen der Saarindustrie Bedenken, und verlange mit Recht, daß dessen Funktionen dem ordentlichen Richter belassen werden sollten. Das Reichs— Versicherungsamt könne in der geplanten Zusammensetzung die ihm zugedachte Arbeitsmasse unmöglich bewältigen; dasselbe müsse viel größer angelegt, in jeder Provinz und in jedem kleinen Staat müsse ein ständiger Kommissar dieser Behörde mit bestimmten Befugnissen eingesetzt werden. Die Betheiligung der Arbeiter an dem Reichs⸗Versicherungsamt würde übrigens illusorisch sein, denn dieselben würden genöthigt sein, ihren ständigen Wohnsitz an dem Sitz dieser Behörde aufzuschlagen und ihre ganze Thätigkeit auf dieselbe zu beschränken, dann aber würden sie von selbst aufhören, Arbeiter zu sein.

Hr. Freiherr von Landsberg steht im Gegensatz zu Hrn. von Below, welcher die Ausschließung der Landwirth— schaft bekämpft hatte, ganz und entschieden auf dem Boden der Vorlage; seine Bedenken gegen die früheren Entwürfe seien fortgefallen, die ihm anstößigen Punkte' derselben aus der jetzigen Vorlage entfernt, und was andere Redner für Mängel gehalten hätten, die Einschrän kung der Unfallversiche⸗ rung auf bestimmte Kreise in Absatz 1Nr. 1, sowie der Fortfall des Reichszuschusses, halte er vielmehr für wesentliche Vorzüge der letzteren. Es sei übrigens unzutreffend, wenn ein Vorredner ausge⸗ führt habe, die Vorlage habe innerhalb des Volkswirthschaftsraths ihre Freunde vorzugsweise in den Kreisen der Industriellen, und ihre Gegner in den anderen Berufszweigen gefunden; die Vertreter der Landwirthschaft und jedenfalls er für seine Person seien vielmehr von jeher im Prinzip für die Un— fallversicherung gewesen, nur habe er gerade im Interesse des Zustandekommens des so wichtigen und ihm so sympathischen Gesetzentwurfes stets darauf bestanden, daß die Arbeiter der Land⸗ und Forstwirthschaft, wenn auch nicht für alle Zeiten, doch jedenfalls vorläufig nicht in die beabsichtigte Regelung inbegriffen würden. Denn das Bedürfniß für die Vorlage sei in der Industrie entstanden, und an deren Zustände müsse sich, das Gesetz daher zunächst anschließen; Gegenstand der Agitation werde wenigstens in den westlichen Provinzen nicht die Ausschließung, sondern umgekehrt die „Hinein— ziehung der Arbeiter der Land- und Forstwirthschaft bilden, welche dort noch wenig Freunde habe; eine solche Ausdehnung des Gesetzes würde für jetzt geradezu unausführbar sein, weil der Apparat, der dazu erforderlich, sein würde, zu kölossal werden müßte, und endlich könne ein Bedürfniß für die Aus— dehnung schon um deswillen nicht anerkannt werden, weil eine soziale Agitation, welcher das Gesetz die Spitze abzubrechen bestimmt sei, hauptsächlich in den industriellen Kreisen betrie— ben werde.

Wegen der Betheiligung des Reichs an den Lasten der Unfallversicherung treffe die Vorlage das Richtige: die Ueber— nahme der Last aus Unfällen sei eine Pflicht der Industrie, und es sei ungerecht und verlange gebieterisch baldige Ab⸗ hülfe, daß letztere diese ihre Pflicht bisher auf die Gemein— den abgewälzt habe; gerade im Westen, wo die Industrie so hoch entwickelt sei, mache sich dies besonders fühlbar. Die in der Vorlage geplante Organisation der Berufsgenossenschaften be⸗ grüße er mit Freude, weil sie geeignet fei, den Agitationen entgegenzuwirken, und weil sie den Krystallisationspunkt für weitere Organisationen auf sozialem Gebiet bilden könne. Vielleicht möchte es sich aber empfehlen, statt der fakultativen eine obligatorische Bildung von Sektionen für jede Provinz und jeden kleinen Staat in Aussicht zu nehmen, damit die Thätigkeit der Genossenschaft durch die weite Ausdehnung der letzteren nicht beeinträchtigt werde. Den Ausführungen“ ein— zelner Vorredner über die Bedenklichkeit der Arbeiterausschüsse könne er sich, obwohl er bisher geneigt gewesen sei, diese Or⸗ gane zu acceptiren, nicht ganz verschließen: man werde sich bemühen müssen, eine zweckmäßigere Verbindung zwischen den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern herzustellen.

Nachdem der Vorsitzende ein inzwischen eingegangenes Schreiben des Hrn. von Below zur Kenntniß der Versamm⸗ lung gebracht hatte, in welchem derselbe anzeigte, daß er in Folge eines schweren Krankheitsfalles in seiner Familie zur Abreise genöthigt sei, erklärt

Hr. Hertz, daß er auch von seinem Standpunkt als In⸗ dustrieller den Ausführungen des Hrn. Grafen Franken⸗ berg beipflichten müsse, und daß es namentlich auch ihm so scheine, als ziehe sich durch die Vorlage wie ein rother Faden ein ungerechtfertigtes Mißtrauen gegen die Arbeitgeber, während doch gerade die deutsche und namentlich die preu⸗

ßische Industrie ein solches Mißtrauen weniger verdiene, als die Industrie anderer Länder.

Die Möglichkeit der Durchführung dieses Gesetzes sei nur dadurch gegeben, daß man die Unfälle bis zu 13 Wochen Arbeitsunfahigkeit den Krankenkassen zugewiesen habe. Die Last der Industrie aber werde hierdurch nur wenig gemindert, da die übrig⸗ bleibenden 5 Proz. aller Unfälle ca. 85 Proz. der gesammten last darstellen. Nun könne man aber einer Industrie nicht mehr auferlegen, als sie tragen könne und bei der drückenden Ungewißheit über die Höhe des Risikos, über welche gar keine verläßliche Unterlage bestehe, könne man sich nicht wundern, wenn ein gewisses Zagen, eine derartige, in ihrem Umfange so unsichere Last zu übernehmen, hervortrete, und in Verbin— dung damit das Bestreben, sich thunlichst sicher zu stellen. Wie unsicher die Last sei, ergebe sich schon daraus, daß ein Eingehen eines großen Unternehmens, welchem viele Unfälle zufallen, bestehende kleinere Betriebe mit der Fürsorge für die bereits entstandenen Unfälle belaste, während das große Etablissement mit dem Augenblicke, in dem es aufhört, zu be⸗ stehen, zu allen den Unfällen, die aus seinem Betriebe er— wachsen sind, nichts mehr beitrage.

Im Einzelnen scheine es bedenklich, daß bei vorsätzlich herbeigeführten Unfällen doch den Familien eine Unterstützung zugebilligt werde, da ein Arbeiter, der an einer unheilbaren Krankheit leidet, oder der eines Verbrechens wegen einer Be— strafung entgegensieht und sich deshalb freiwillig den Tod geben will, nicht mehr den Tod durch Erhängen oder Erträn— ken wählen, sondern den Tod in der Fabrik suchen und da durch seiner Familie oder Ascendenz eine Rente sichern könnte. Die Zusammensetzung des Reichsamts gebe dem Arbeitgeber im Verhältniß zu der Höhe seiner Leistungen eine zu geringe Bedeutung. Wollen die Arbeiter mitwirken, so würden sie auch mitzahlen müssen (der pekuniäre Effekt dieser Arbeiter⸗ beiträge habe bei der Größe und Unsicherheit der Gesammtlast für die Industrie gar keine Bedeutung); dem Arbeiter werde auch die Unparteilichkeit gewahrt, wenn er ein pekuniäres Interesse habe. Auch bei der Zusammensetzung des Schieds⸗ gerichts sei große Vorsicht nöthig.

Die Leistungen, welche den zu bildenden Genossenschaften zufallen, werden voraussichtlich viel größer werden, als die der Knappschaftskassen, deren Leistungen man mit Unrecht anfeinde. Die Agitation, von der so viel die Rede gewesen, sei nicht so erheblich. In der Provinz Brandenburg bestehe im Allgemeinen ein gutes Verhältniß zwischen den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern. Auch in Berlin seien die Zustände nicht so schlimm als sie geschildert werden. Rur da sei die Agitation zu fürchten, wo an isolirtem Platz eine große Ansammlung von Arbeitern stattfinde.

Hr. Dr. Websky spricht sich im Allgemeinen für das Gesetz

aus, welches er als wünschenswerth und nothwendig, aber auch als verbesserungsfähig und verbesserungsbedürftig bezeichnet. Zu⸗ nächst sei der Umfang der Versicherungspflicht zu eng begrenzt; ins⸗ besondere seien die Eisenbahnarbeiter nicht mit berücksichtigt, so daß dieselben auch fernerhin lediglich auf das Haftpflichtgesetz an⸗ gewiesen und mithin schlechter gestellt sein wurden, als die Fabrikarbeiter. Der Arbeiterausschuß sei eine zweckmäßige Einrichtung und auch insofern nothwendig, daß die Arbeiter bei der ersten Untersuchung der Unfälle zugezogen werden. In den Grundzügen sei dem Ausschuß jedoch eine zu große Selbständigkeit beigelegt. Den Ausführungen des Hrn. Meyer müsse er darin beitreten, daß eine solide Geschäfts⸗ führung erfordere, in den ersten Jahren sich nicht lediglich auf die Deckung des unmittelbaren Bedarfs zu beschränken, sondern etwas höhere Beiträge zu erheben. Die im Entwurf vorgesehene Organisation der Berufsgenossenschaften durch das ganze Reich erscheine bedenklich; dieselben seien mehr lokal und in der lokalen Beschränkung auf möglichst breiter Basis zu organisiren. Daß der Reichszuschuß auf—⸗ gegeben, sei zu billigen. Zwar werde für die Industrie eine Mehrbelastung begründet. Allein diefe könne weder vom Reich noch von den Kommunen übernommen, müsse vielmehr durch die Berufsgenossenschaften getragen werden. Dagegen wolle er es als eine offene Frage betrachten, ob etwa bas Reich die Verwaltungskosten ganz oder theilweise übernehmen könne. Ebenso müsse er sich gegen einen Beitrag der Arbeiter aussprechen. Dem von anderer Seite dafür geltend gemachten ethischen Moment könne er keine Bedeutung beimessen; wenig⸗ stens habe bei den Krankenkassen die Erfahrung gezeigt, daß die Arbeiter sich durch die ihnen obliegende Beitragspflicht nicht beeinflussen lassen. Auch seien die Arbeiter bereits ge⸗ nügend herangezogen, da alle kleineren Unfälle mit einer Arbeitsunfähigkeit unter 13 Wochen unter die Krankenversiche⸗ rung fallen. Endlich würde durch die Beiträge der Arbeiter die Einfachheit der Organisation wesentlich beeinträchtigt wer⸗ den, da in diesem Falle die Begründung besonderer Unfall⸗ lassen unvermeidlich sein würde. Sr. von Velsen glaubt, daß der Apparat, welchen die Grundzüge für die Unfallversicherung vorsehen, sür diesen Zweck allein zu komplizirt sei, vielmehr auf ein weiteres Ziel hinweise, nämlich auf die Errichtung allgemeiner Invaliden⸗ und Wittwenkassen für alle Fabrikarbeiter. Für die weitere Behandlung des Entwurfs und für die Stellung der Einzel⸗ nen zu demselben werde diese Frage von großer (chern fen sein, uud er richte daher an die Vertreter der Regierung die Bitte, darüber Auskunft zu geben, ob die Absicht bestehe, der⸗ artige Kassen einzurichten. Die Einführung derselben sei als eine soziale Nothwendigkeit und als der eigentliche Zielpunkt der sozialen Aufgaben der Reichsgesetzgebung zu betrachten; die Unfallversicherung würde nur ein organisches Glied jener Kassen zu bilden haben.

Der Regierungskommissar, Direktor im Reichsamt des Innern Bosse erwidert hierauf, daß es allerdings in der Absicht der Regierung liege, demnächst dieser Frage näher zu treten. Allein die Regelung derselben sei so schwierig, daß mit der äußersten Sorgfalt und Vorsicht vorgegangen werden müsse. Deshalb habe sich der Entwurf zunächst auf die Rege⸗ lung der Unfallversicherung beschränkt. Die Schwierigkeiten würden erheblich vermehrt werden, wenn man bei der Rege⸗ lung der letzeren gleichzeitig auf die Alters- und Invaliden⸗ versorgung Rücksicht nehmen wolle. Im Laufe der Ver⸗ handlungen sei mehrfach hervorgehoben worden, daß sich durch den ganzen Entwurf wie ein rother Faden ein gewisses Mißtrauen gegen den Arbeitgeber hindurchziehe. Dies sei durchaus unbegründet; die Regierung sei von einem solchen Mißtrauen weit entfernt. Im Gegentheil beruhe der Ent— wurf auf dem denkbar größten Vertrauen zur Industrie. Wenn den Arheitern gewisse selbständige Befugnisse eingeräumt seien, so habe dies vornehmlich den Zweck, dieselben von ihrem Mißtrauen gegen die Arbeitgeber zu heilen. Was endlich die von verschiedenen Seiten hervorgehobenen Schwierigkeiten

der Organisation betreffe, so habe die Regierung dieselben keineswegs verkannt. Unüberwindlich seien diese Schwierig⸗ keiten nicht; dafür sprächen am deutlichsten die großen frei⸗ willigen Organisationen, welche bereits bestehen und welche voraussichtlich den Kern der zukünftigen Einrichtungen ab⸗ geben würden . , n. Ein Antrag auf Schluß der Generaldebatte, dem Hr. von Risselmann widerspricht, wird abgelehnt.

Hr. von Nathusius hebt hervor, daß in den Kreisen der Landwirthschaft eine grundsätzliche Dpposition gegen die Heranziebung der landwirthschaftlichen Arbeiter nicht bestehe; namentlich scheue man vor materiellen Opfern nicht zurück. Bisher sei man nur bestrebt gewesen, die Möglichkeit der Durchführung kennen zu lernen. Daß die Beseitigung des Haftpflichtgesetzes für die landwirthschaftlichen Arbeiter von größtem Werthe sei, werde allgemein anerkannt. Vor der von Hrn. Grafen Frankenberg vorgeschlagenen Uebertra⸗ gung der Verwaltung der Unfallversicherung an die Organe der Provinzialverwaltung glaube er dringend warnen zu müssen. Die Frage, inwiefern bei der Gestaltung der Vor⸗ lage auf die im Reichstage herrschenden Anschauungen Rück⸗ sicht zu nehmen sei, habe für die Regierung ohne Zweifel große Bedeutung. Die Aufgabe des Volkswirthschaftsraths aber sei, die Vorlage für sich allein sachlich zu prüfen ohne Rücksicht darauf, was im Parlament Aussicht auf An⸗ nahme habe.

Hr. Leyendecker glaubt nach dem bisherigen Gange der Verhandlungen annehmen zu dürfen, daß eine Verständigung auf dem Boden der Vorlage erzielt werden könne. Gegenüber den Aus⸗ führungen des Hrn. Meyer müsse er bemerken, daß er von diesem anscheinend mißverstanden sei. Welche Gefahren in dem Umlageverfahren des Entwurfes liegen, sei von ver— schiedenen Seiten bestätigt worden. Ob man zur Beseitigung derselben für jeden Unfall alsbald das gesammte Deckungs— kapital erheben wolle, oder ob die nöthige Sicherheit in einer anderen Form erreicht werden könne, werde weiter in Er— wägung zu nehmen sein. Früher sei er stets für einen mäßigen Beitrag der Arbeiter eingetreten; jetzt sei er davon zurückgekommen, weil die Arbeiter bei der Krankenversicherung bereits genügend zur Unfallentschädigung herangezogen seien.

Hr. von Rath bekennt sich im Allgemeinen zu dem Standpunkt des Hrn. Freiherrn von Landsberg. Die landwirthschaftlichen Arbeiter schon jetzt zur Unfallversicherung heranzuziehen, könne er nicht für zweckmäßig halten. Später werde sich der Beitritt der Land⸗ und Forstwirthschaft von selbst ergeben. Bezüglich der Betheiligung der Arbeiter sei außer den materiellen Fragen auch die ethische Seite zu be⸗ rücksichtigen. Dies thue der Entwurf insofern, als er dieselben zur Mitwirkung bei der Feststellung der Entschädigung berufe. Aus denselben Gründen sei es aber auch geboten, den Ar— beitern Beiträge zu den Kosten der Versicherung aufzulegen. Nach den von ihm bei der Arbeiterbevölkerung seiner Heimath gemachten Erfahrungen würde es dem Rechtsgefühl derselben widersprechen, wenn sie zur aktiven Betheiligung an den Ge— schäften der Genossenschaft, nicht aber zu den Lasten herange— zogen würden. Deshalb müsse er dringend empfehlen, in den Ausschüssen die Arbeitgeber und Arbeiter zu vereinigen, letzteren aber auch einen Beitrag aufzuerlegen; wie hoch derselbe zu bemessen, falle für ihn weniger ins Gewicht. Endlich müsse er noch dem Wunsche Ausdruck geben, daß der Versicherungs— zwang auch auf das Baugewerbe ausgedehnt werde.

Hr. Leuschner bemerkt gegenüber den Ausführungen des Hrn. Meyer, daß er an eine Verschlechterung des Geldes nicht gedacht habe. Im Gegentheil seien seine Bestrebungen darauf gerichtet, gutes Geld zu schaffen. Wenn Hr. Herz bestritten habe, daß die Knappschaftskassen angegriffen worden seien, so verweise er (Redner) auf die Veröffentlichungen des früheren Direktors des preußischen statistischen Bureaus Dr. Engel, welcher auszuführen versucht habe, daß die Knapp— schaftskassen mehr oder weniger bankerott seien.

Nach einer Reihe persönlicher Bemerkungen der Herren Baare, Heimendahl, Kosmack und Hagen beantragt Hr. Graf Frankenberg zur Geschäftsordnung, die Ab— schnitte Il, IV, V Ziffer 59 bis 41, Vi und Vll der Vorlage zunächst einer freien Kommission zu überweisen, damit die— selbe die in Aussicht stehenden Abänderungsvorschläge sichten und formuliren könne.

Hr. Heimendahl schließt sich diesem Antrage an, wünscht aber auch die Ziffer 22 der Vorlage mit an die Kom— mission überwiesen zu sehen, während Hr. Delius dies be— züglich der ganzen Vorlage beantragt.

Es knüpft sich hieran eine längere Debatte über die wei— tere geschäftliche Behandlung der Vorlage, wobei unter An— derem in Anregung gebracht wird, an Stelle einer freien Kommission den permanenten Ausschuß, eventuell mit Befug— niß, aus seiner Mitte eine Kommission zu ernennen, in Be— rathung treten zu lassen.

Bei der Abstimmung wird der Antrag auf Ueberweisung an den permanenten Ausschuß abgelehnt, ebenso der Vor— schlag des Hrn. Delius, die ganze Vorlage zur Vor— berathung in einer Kommission zu stellen.

Der Vorsätzende konstatirt darauf ohne Widerspruch als Beschluß der Versammlung, daß die Abschnitte I, III Ziffer 22, IV, V Ziffer 389 bis 41, VI und VII an eine freie Kommission, an der es jedem Mitglied freisteht, sich zu betheiligen, zur Vorberathung überwiesen, die übrigen Theile der Vorlage aber alsbald im Plenum berathen werden sollen. Die erste Sitzung der Kommission wird Donnerstag, den 24. Januar, Vormittags 9 Uhr, stattfinden.

Auf Vorschlag des Vorsitzenden wird darauf in die Spezialberathung der Vorlage, soweit sie nicht der Kommission überwiesen ist, eingetreten.

Zu Ziffer 1 liegen folgende Anträge vor:

LI von Hrn. Vorderbrügge:

Absatz 3 wie solgt zu fassen:

Als Fabriken im Sinne dieses Gesetzes gelten inshesondere diejenigen Betriebe, in welchen die Bearbeitung oder Ver— arbeitung von Gegenständen gewerbsmäßig ausgeführt wird und in welchen zu diesem Zwecke Dampfkessel oder durch elementare Kraft bewegte Triebwerke zur Verwendung kommen.

2) von Hrn. Kalle:

Ziffer 1 zu fassen wie folgt:

Alle in Bergwerken, Salinen, Aufbereitungsanstalten, Brüchen und Gruben, auf Werften, in Fabriken und Huͤtten— werken beschäftigten Arbeiter und Betriebsbeamten, letztere, sofern ihr Jahresarbeitsverdienst an Lohn oder Gehalt zwei⸗ tausend Mark nicht übersteigt, werden gegen die Folgen der

beim Betriebe sich ereignenden Unfälle nach Maßgabe der Be⸗ stimmungen dieses Gesetzes versichert.

Dasselbe gilt von Arbeitern und Betriebsbeamten, welche von einem Gewerbtreibenden, dessen Gewerbebetrieb sich auf die Ausführung von Bauarbeiten erstreckt, in diesem Betriebe beschäftigt werden, sowie von sonstigen bei der Ausführung von Bauten beschäftigten Arbeitern und Betriebsbeamten, so⸗ weit dieselben nicht, ohne im Dienste eines Gewerbtreibenden der bezeichneten Art zu stehen, lediglich einzelne Reparatur⸗ arbeiten ausführen. ö

Den vorstehend aufgeführten gelten im Sinne dieses Ge⸗ setzes diejenigen Betriebe gleich, in welchen Dampfkessel oder durch elementare Kraft (Wind, Wasser, Dampf, Gas, heiße Luft u. s. w. bewegte Triebwerke zur Verwendung kommen, mit Ausnahme derjenigen Betriebe, für welche nur vorüber⸗ gehend eine nicht zu der Betriebsanlage gehörende Kraft⸗ maschine benutzt wird. ;

Auf Eisenbahn⸗ und Schiffahrtsbetriebe finden die Be⸗ stimmungen dieses Gesetzes nur dann Anwendung, wenn sie als integrirende Bestandtheile eines der vorbezeichneten Be⸗ triebe lediglich für diesen bestimmt sind.

Welche Betriebe als Fabriken im Sinne dieses Gesetzes anzusehen sind, entscheidet das Reichs-Versicherungsamt (Giffer 44),

Betriebs beamte mit einem 2000 S übersteigenden Arheitsverdienst können auf Grund statutarischer Bestimmung (Ziffer 12) gegen Unfälle versichert werden.

3) von Hrn. Dr. Websky:

Unter diejenigen Betriebe, welche in den 8. 1 aufzunehmen sind, auch den „Eisenbahnbetrieb“ mit einzureihen.

4) von Hrn. Kochhann und Genossen:

im ersten Absatz hinter Fabriken und Hüttenwerken“ „Werften, gewerbsmäßigen Baubetrieb in Bauhäfen und an Bauten“ hinzuzufügen:

Hr. Kalle bemerkt zur Begründung seines Antrags, daß sich derselbe im Wesentlichen mit den bezüglichen Bestimmun— gen des im Jahre 1882 dem Reichstage vorgelegten Entwurfs decke, und bezieht sich im Einzelnen auf die Motive dieses Entwurfs, indem er hervorhebt, daß im Reichstag gegen den damals vorgesehenen Umfang der Versicherungspflicht keine Bedenken geltend gemacht worden seien. Jedenfalls seien die Schwierigkeiten nicht unüberwindlich. Die Heranziehung der landwirthschaftlichen Arbeiter und der Eisenbahn— arbeiter glaube er widerrathen zu müssen, da hier⸗ durch das Zustandekommen des Gesetzes in Frage ge— stellt werde. Dagegen empfehle er die Annahme einer Resolution, durch welche die Regierung aufgefordert werde, in Erwägung zu nehmen, ob und inwieweit die Ausdehnung der Unfallversicherung auf die Eisenbahnarbeiter ausführbar sei. Eine solche Resolution sei 1881 bereits auf seinen Antrag vom permanenten Ausschuß mit großer Majorität ange⸗ nommen und behalte er sich vor, jene Resolution wieder ein— zubringen. . ;

Hr. Kennemann wünscht zunächst zum Ausdruck zu bringen, daß nicht alle Landwirthe den von Hrn. von Below vertretenen Auffassungen bezüglich der Heranziehung der land— wirthschastlichen Arbeiter beipflichten. Die meisten Vertreter der Landwirthschaft im Volkswirthschaftsrath seien gleichzeitig Industrielle. Wesentlich anders aber seien die Verhältnisse bei denjenigen gestaltet, die ausschließlich Landwirth⸗ schaft betreiben, namentlich bei dem Bauernstand, der sich sehr wundern würde, wenn er neben allen übrigen Abgaben auch noch Beiträge für die Unfallversicherung ent⸗ richten solle. Für den Großgrundbesitz werde die Ausdehnung der Versicherungspflicht allerdings keine erhebliche Mehr— belastung mit sich bringen, da hier der Arbeitgeber zumeist auch Träger der gesammten Armenlast sei Auch die Auf⸗ nahme der Bauarbeiter in das Gesetz müsse einer späteren Zeit vorbehalten bleiben.

Hr. Kochhann begründet seinen Antrag damit, daß gerade in den in demselben bezeichneten Betrieben besonders zahlreiche Unfälle vorkommen. Im Uebrigen erblicke er in der Beschränkung der Vorlage einen großen Vorzug derselben.

Hr. Vorderbrügge macht gegen die Fassung des Absatz 3 geltend, daß darnach zahlreiche Handwerker unter das Gesetz fallen würden, da im Handwerksbetrieb vielfach Motoren Verwendung finden. Es sei erwünscht, solchen Gewerbetreibende ihren Charakter als Handwerker zu wahren und sie nicht zu Fabrikanten zu stempeln. Zu diesem Zwecke werde hervorzuheben sein, daß die fr. Betriebe nur im Sinne dieses Gesetzes als Fabriken gelten sollen. Die Unfall— versicherung dürfe nur Platz greifen, wo eine wirkliche Gefahr vorhanden sei; dies sei aber beim Handwerksbetrieb nicht der Fall, sofern keine Motoren verwendet werden. Daher bezwecke sein Antrag, die Definition der Fabrik entsprechend einzuschränken. .

Hr. Rosenbaum schließt sich dem Antrage des Hrn. Vorderbrügge an und wünscht, daß die Beschäsftigung von drei Personen als Merkmal für den Begriff der Fabrik gestrichen werde. Im Handwerkbetrieb habe sich in weitem Umfang die Verwendung von Motoren eingebürgert, die zum Theil sehr gefährlich seien. Die Zahl der beschäftigten Arbeiter sei häufig sehr gering, und ein großer Theil dieser Betriebe würde daher von der Unfallversicherung ausgeschlossen werden, wenn jenes Merkmal festgehalten würde.

Hr. Dr. Jansen spricht sich für die Ausdehnung der Versicherungspflicht auf die Baugewerbe aus, die keine un⸗ überwindlichen Schwierigkeiten bieten werde, zumal schon jttzt ein großer Theil der fr. Arbeiter versichert werde. Die Definition der Fabrik sei nicht glücklich gefaßt, insbesondere sei es bedenklich, die Zahl der Arbeiter als das unterscheidende Merkmal aufzustellen, da in vielen Betrieben diese Zahl oft innerhalb kurzer Zeit großen Schwankungen unterworfen sei.

Der Regierungskommissar, Geheime Regierungs⸗Rath Gamp bemerkt hiergegen, daß die Regierung sich der Schwie⸗ rigkeit einer zutreffenden Definition des Begriffs der Fabrik wohl bewußt gewesen sei; die Vorlage stehe auf dem Standpunkt, den Großbetrieb im Gegensatz zum eigentlichen Handwerk zu treffen. Werde eine bestimmte Grenzlinie im Gesetz hierfuͤr nicht gezogen, so werde in jedem einzelnen Fall die Verwaltungsstelle zu entscheiden haben. Den handwerks⸗ mäßigen Kleinbetrieb, soweit derselbe Kraftmaschinen verwende, der Versicherungspflicht zu unterwerfen, sei bedenklich, da zur Zeit keine ausreichenden Erfahrungen darüber vorliegen, in welchem Umfange derselbe eine Unfallgefahr erzeuge und da es sich um eine völlig neue Belastung des Handwerks handele, welches ohnehin sich momentan in einer ungünstigen Lage befinde. Dazu komme die Schwierigkeit der Unterscheidung zwischen Unternehmer und Arbeiter und die Unbilligkeit, welche darin liege, daß der Arbeitgeber, welcher häufig wirthschaftlich kaum

besser gestellt sei als seine Arbeiter, die Kosten für die Ver⸗ sicherung der letzteren tragen müsse, während er bei einem ihn selbst treffenden Unfall keine Entschädigung erhalte. Die glei⸗ chen Bedenken liegen auch bezüglich der Baugewerbe vor, für welche überhaupt der allgemein für die Nothwendigkeit einer gesetzlichen Regelung der Unfallversicherung angeführte Grund die Entwickelung des Industrielebens und die Verwendung der Maschinenkraft in demselben nicht vorliege. Die Gesetz⸗ gebung würde bestrebt sein, auch hier eine Abhülfe zu schaffen; im Rahmen des vorliegenden Entwurfes könne dies aber nicht geschehen. Im Einzelnen sei zu bemerken, daß Werften und Bauhöse unter die in den Grundzügen aufgestellte Definition der Fabrik fallen. Wollte man nach dem Antrag des Hrn. Vorderbrügge die Verwendung von Dampfkesseln und von Motoren als ausschließliches Merkmal für die Fabrik aufstellen, so würden zahlreiche Betriebe, in denen keine Mo⸗ toren Verwendung finden, nicht unter das Gesetz fallen, wiewohl dieselben zweifellos als Fabriken zu betrachten und mit zum Theil erheblicher Unfallgefahr verbunden seien. Daß solche Anlagen, bei denen jede Gefahr ausgeschlossen sei, von der Versicherungspflicht befreit werden können, sei in den Grundzügen in Abs. 5 vorgesehen. Endlich liege es im Sinne der Vorlage, daß alle Anlagen, wie Eisenbahnen und dergl., welche lediglich als integrirende Bestandtheile eines unter das Gesetz fallenden Betriebes zu betrachten seien, auch selbst den Bestimmungen des Gesetzes unterworfen seien.

Hr. Kiepert spricht sich für Ablehnung sämmtlicher Anträge und unveränderte Annahme des Entwurfs aus und richtet an die Vertreter der Regierung die Frage, ob es beab⸗ sichtigt sei, die mit dem landwirthschaftlichen Betriebe ver⸗ bundenen Brennereien und Zuckerfabriken, in denen vielfach Motoren Anwendung finden, sowie ferner die zeitweise Ver⸗ wendung einer vorhandenen elementaren Triebkraft zu land⸗ wirthschaftlichen Zwecken dem Gesetze zu unterwerfen.

Der Regierungskommissar, Geheime Regierungs-Rath Ga mp erwidert hierauf, es könne nicht zweifelhaft sein, daß Zuckerfabriken und Brennereien als Fabriken im Sinne der Grundzüge zu betrachten seien und mithin der Versicherungs⸗ pflicht unterworfen sein würden. Dagegen werde die vorüber⸗ gehende Benutzung von Motoren zu landwirthschaftlichen Zwecken schon um deswillen in der Regel ein eigentlicher Fa⸗ brikbetrieb nicht sein, weil eine gewerbsmäßige Verarbeitung dabei nicht stattfinde. Uebrigens sei es unmöglich, im Gesetze alle derartigen Fälle erschöpfend zu entscheiden; dies sei viel— mehr die Aufgabe der ausführenden Verwaltungsstellen.

Hr. Herz wendet sich gegen den Antrag des Hrn. Vor— derbrügge, welcher zur Folge haben würde, daß eine Fabrik auch dann anzunehmen sei, wenn ein einzelner Handwerker, wie beispielsweise eine Näherin, sich zum Betriebe einer Ma— schine einer elementaren Kraft bediene, wie es nicht selten vorkomme. Die Zahl von drei beschäftigten Personen als Merkmal für die Fabrik sei zu niedrig gegriffen. Es werde sich empfehlen, entweder die Definition mehr zu spezialisiren, oder in jedem Falle die Entscheidung dem Reichs⸗-Versicherungs— amt zu übertragen.

Hr. Kalle bekämpft den Antrag des Hrn. Vorder⸗ brügge, welcher von der Ansicht auszugehen scheine, daß die meisten Unfälle durch Maschinen verursacht würden. Dies sei jedoch keineswegs der Fall, vielmehr bildeten die Unfälle durch Maschinen nur einen verhältnißmäßig kleinen Bruch—⸗ theil sämmtlicher Unfälle.

Auf Antrag des Hrn. von Risselmann wird darauf die Verhandlung vertagt und die nächste Sitzung auf Don— nerstag, den 24. Januar, Nachmittags 1 Uhr, anberaumt.

Festgestellt in der Sitzung vom 24. Januar 1884.

von Boetticher. Woedtke. Ho pf.

Literarische Neuigkeiten und periodische

Preußisches Verwaltungs-⸗Blatt. Nr. 16. Inbalt: Kommunalbesteuerung der Eisenbahnen. Befugnisse des Landraths in der Leitung der Verhandlungen des Kreistags. Zum Verfahren bei Stadtverordnetenwahlen. Unzulässigkeit der Heranziehung einer sich nicht ununterbrochen im Gemeindebezirke aufhaltenden, auswärts wohnenden Person zur Kommunalsteuer. Kreisbesteuerung zwecks Begründung von Arbeiterkolonien und Verpflegungsstationen. Bei⸗ tragspflicht zu den Kreisabgaben. Heranziehung einer Stadtgemeinde als Eigenthümerin eines Wasserwerksgrundstückswegen des ihr aus dem Grund⸗ stücke zufließenden Einkommens und wegen des auf dem Grundstüͤcke be— triebenen Gewerbes nach einer fingirien Einkommensteuer und nach einer fingirten Gewerhesteuer zu den Kreis abgaben. Befreiung städtischer Wasser⸗ werke von der Gewerbesteuer resp. von den Kommunalsteuern. Be⸗ freiung von den Kreisabgaben auf Grund des § 17 Kreisordnung. Heranziehung zu den Kreisabgaben gemäß §§. 10,14, 15 Kreisordnung. Erwerb des Unterstützungswohnsitzes durch Aufenthalt. Entfernung als Unterbrechung des Aufenthalts? Erwerb und Verlust des Unterstützungswohnsitzes. Ruhen des Laufes der 2jährigen Frist während der Dauer der von einem Armenverbande gewährten öffent⸗ lichen Unterstützung. Zugehörigkeit zum ländlichen Gesinde. Ver⸗ pflichtung der Dienstherrschaft zur Kur ꝛc. des Gesindes. Hülfs⸗ bedürftigkeit im armenrechtlichen Sinne. Erstattungsanspruch bei widerrechtlicher Abschiebung Hülfsbedürftiger. Erstattungsanspruch der Armenverbände. Kosten für Fuhrwerk behufs Abholung des Arztes. Regreß gegen Privatverpflichtete. Tarifsätze; Vereinbarungen über den Betrag der zu erstattenden Unterstützungskosten. Bedeutung der Anerkenntnisse für das Streitverfahren. Krankenkassengelder in Bezug auf die Hülfsbedürftigkeit und den Erstattungsanspruch. Anmeldung des Erstattungsanspruchs der Armenverbände insbesondere bei dauernder Hülfsbedürftigkeit. Uebernahmepflicht und Ueber⸗ führungspflicht der Armenverbände. Uebernahme und Ueberführung aller im Bezirk des unterstützenden Armenverbandes befindlichen Fa⸗ milienangehörigen mit Einschluß des Familienhauptes. Vermag das Bestehen eines Gesindedienstverhältnisses das Unterbleiben der ÜUeber⸗ führung zu rechtfertigen? Keine Anschlußberufung in Armenstreit⸗ sachen. Inhalt und Wirkung einer Prozeßvoll macht insbesondere bezüglich der Befugniß zur Empfangnahme der Urtheile für das Ver— fahren in Armenstreitsachen.

Beiheft zum Militär⸗Wochenblatt. 1884. 1. und 2. Heft. Inhalt: Aus dem militärischen Briefwechsel Friedrichs des Großen, Die Entstehung des preußischen Planes für den Feldzug von 1757 und seine Ausführung bis zur Vereinigung des preußischen Heeres vor Prag. Eine archivalische Forschung von Adolf Zimmer- mann, Hauptmann und Compagniechef im Königlich Sächsischen 4. Infanterie⸗ Regiment Nr. 103.

Monatsschrift für christliche Volksbildung. 5. Heft. Inhalt: Singt und spielt dem Herrn. Gedicht von Lic. Dr. Loesche. Wider die neue Reformation von Bonn aus. Von Gott⸗ hold Ehrlich. Testament einer sterbenden Mutter an ihren Sohn. Die Wunder der Menschwerdung Gottes und der Dreieinigkeit. Von Lie. Weber. Geheime oder öffentliche Wahl. Von Direktor C. Alexi. Zum hundertjährigen Geburtstage Max von Schenken⸗ dorfs, des Sängers der deutschen Freiheitskriege. Von Carl Fulda. Ist Leo XIII. für uns Protestanten ein Friedenspapst?