1884 / 29 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 02 Feb 1884 18:00:01 GMT) scan diff

interessant erscheint. Am Ende des Hefts finden wir den Schluß der altpreußischen Bibliographie des Jahres 1882, kleinere Nachrichten und das Autoren⸗ und Sachregister des Bandes.

Im Verlage der A. Haase'schen Buchhandlung (Max Babenzien) in Rathenow gelangt soeben das erste Heft der in zwang⸗ loser Folge erscheinenden Zeitschrift Deutfche Tehrer⸗Biblin— thek zur Ausgabe, die den Lehrern zur Weiterbildung, zur Prüfungs⸗ vorbereitung, zur Anleitung bei Bearbeitung von Konferenzvorträgen dienen soll. Das erste Heft enthält: Die drei Hauptepochen preu⸗ ßischer Schulgesetzgebung *, ein Konferenzvortrag. Eine denisch⸗ vwrachliche Lehrproben, auch einen Litterarischen Wegweiser“, der über die Neuerscheinungen auf dem Gebiete Ter Lehr? und Lernmittel literatur ausführlich orientirt. Das Heft kostet nur 60 , pro 5 l, 40 1, bei Abnahme von 25 Heften à 40 3, von 50 Heften 1 —.

Wie das Heft mittheilt, wird die Redaktion in Kürze ein Werk erscheinen lassen, welches den Titel führt: „Das Volks schul— wesen des Deutschen Reiches.“ In demselben wird jeder Ort genannt sein, in dem sich eine Schule befindet; es wird des Genauesten angeben, wie die Verhaͤltnisse in betreffendem Ort, d h. ob Land zur Stelle gehört, wie viel? Was für Boden? Schülerzahl? u. s. w. Sonach wird jeder Versetzlwerdende oder Versetzung Beantragende sehen können, wohin er zu gehen hat, oder wie die Stelle dotirt ist, um die er sich bewirbt. Mit der Provinz Brandenburg wird begonnen.

Die Buch- und Antiquariatshandlung von Joseph Jolo— wiez in Posen hat über ihr antiquarisches Bücherlager unter dem Titel Klassische Philologie, 2. Theil: Philologische Hülfswisfenschaften“ kürzlich einen Katalog (Nr. S!) reröffent⸗ licht. Derselbe enthält ein Verzeichniß von 1862 philologischen Schriften, die zum Theil aus dem Nachlasse des verstorbenen Gym⸗ nasigl⸗Professors Dr. Müller zu Posen herrühren und unter folgende 10 Abtheilungen vertheilt sind: i) Ercyklopädie der Philologie, so⸗ wie Schulreden, 2) Geschichte der Philologie und Gelehrtengeschichte, 3) Neulateiner, Opuseula, philologische Zeitschriften 3, 4) Biblio⸗ graphie, Bibliothekwissenschaft, Handschrifien kunde, 5 griechische und römische Literaturgeschichte, 6) allgemeine und vergleichende Sprach⸗ wissenschaft, 7) griechische Grammatik, s Grammat ca Latina, 9) alte Geographie und Geschichte, 10) Alterthümer, Archäologie, Numis⸗ matik. Mythologie 2c. Unter den aufgeführten Nummern befindet sich eine Menge werthvoller und für Philologen wichtiger und interessan⸗ ter Werke.

Gewerbe und Handel.

Der Einlösungscours für die hier zahlbaren österreichischen Sälber⸗Coupons ist auf 168 M 25 3 für 100 Fl. österreichisches Silber erhöht worden.

Nürnberg, 31. Januar.

. (Hopfenmarktbericht von Leopold Held) Vom Hopfenmarkt

ist keine Veränderung der Situation zu berichten. Verkauft wurden gestern etwa 160 und heute ca. 250 Säcke. Die Zufuhr beider Tage betrug zusammen ea. 200 Ballen. Die Preise der Mittelsorten gehen langsam aber stetig in die Höhe. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß da wirkliche Primahobpfen fehlen diejenige Qualität der verschiedenen Sorten, welche bei Beginn der Saison als bessere Mittelwaare betrachtet ward, heute am Markte als Primawaare gehandelt wird. In gleicher Weise nennt man die sonst als gering bezeichnete Waare der untenstehend notirten Sorten jetzt leichte Mitkelwaare. Aus diesen Verhältnissen geht herror, daß die Preiesteigerung der letzten Wochen eigentlich in Wirklichkeit noch eine weit bedeutendere war, als dies die erhöhten Ziffern der Notirungen aufweifen. Die Stimmung ist sehr fest. Die Notirungen lauten: Württemberger prima 191 = 195 S, do. mittel 175 185 M; Hallertauer prima 196 = 195 „SJ, do. mittel 175— 185 S; Polen prima 190— 195 „, do, mittel 175— 185 ½; El⸗ sässer prima 1835— 190 , do. mittel 15 1890 Gebirgshopfen 180 - 188 ½ ; Marktwaare 170-180 A6; Aischgründer 170 —= 185 .

Antwerpen, 1. Februar. (W. T. B.) Wollauktion. Angeboten 2337 B. Laplatawollen, davon 587 B. verkauft. Buenos⸗ Ayres fest, Montevideo vernachfäfsigt.

London, 2. Februar. (W. T. B.) Die North Stafford⸗ sbire Coal and Iron Company hat ihre Zahlungen eingestellt. Die Passiva sollen über 100 000 Pfd. Sterl. betragen.

St. Petersburg, 1. Februar. (W. T. B.) Die Gesetz⸗ Sammlung veröffentlicht eine vom Kaiser sanktionirte Verfügung des Reichsrath s, wonach von dem in' das Ausland zu exportirenden Spiritus von 95 Grad und darüber 6½, von weniger als 95 Grad 3 5 des zu exportirenden Quantums von den Accisegebühren befreit bleiben sollen.

Wa shington, 1. Februar. (W. T. B.) Die Schuld der ereinigten Staaten hat im Monat Januar um 1 9860 090) Doll abgenommen. Im Staatsschatze befanden fich Ende

Januar 393 420 000 Doll. (W. T. B.) Baum wollen⸗

New⸗Jork, 1. Februar. Wochenbericht. Zufuhren in allen Unionshäfen j09 569 B. Ausfuhr nach Großbritannien 128 069) B., Ausfuhr nach dem Konti—

nent 37 000 B., Vorrath 1067 000 B.

Verkehrs⸗Anstalten.

Von dem Reichs⸗Kursbuch (Verlag von Julius Springer, Berlin, Preis 2 ) ist die Ausgabe 1884 Nr. 1, lWinterfahr⸗ dien st 1383 84 erschienen.

Berlin, 2. Februar 1884.

Preußische Klassenlotterie. (Ohne Gewähr.)

Bei der heute beendigten Ziehung der 4. Klasse 169. Königlich preußischer Klafsenlotterie fielen:

49 Gewinne von 3000 M auf Nr. 969. 4372. 6430. 6720. 7748. 10 980. 13 075. 14093. 14594. 15 693. 17147. 18 687. 20010. 23 595. 25912. 26 821. 29 664. 32041. 34187. 34 857. 36 879. 41726. 42772. 43 292. 44760. 44898. 47 301. 48559. 49577. 53 606. 53 794. 54 364. 55 639. 56 394. 57759. 59 046. 60 284. 68 948. 76 679. 76975. 77 812. 81 310. 82 331. 82 S855. 83 412. 87 210. 90 130. 91 100. 91 769.

54 Gewinne von 1500 M auf Nr. 139. 2764. 4980. 6103. 6489. 6744. 9710. 9775. 16 213, 18 195. 18 732. 14344. 14489. 15 524. 15 528. 15 590. 15933. 16939. 17600. 19983. 20 297. 20 871. 28 287. 298 098. 24 107. 25 51. 30244. 31 404. 33 101. 33 439. 34 089. 37163. 37842. 38 584. 39 323. 44 398. 47499. 50 975. 51979. 53 464. 60 532. 60 892. 60931. 61 426. 66 798. 68 752. 1 718 5 sog, 77 131. 91 904. 87 436. 88 159.

2

728 Gewinne von 550 MS auf Nr. 1426. S861. 8914. 11 120. 12 007. 12541. 12 623. 13 276. 14154. 14618. 20279. 23 611. 23 902. 24 877. 286085. 26 641. 27 058. 29 213. 29 882. 31 183. 31 681. 31 81 5. 32433. 32459. 33 201. 36821. 37 208. 37 986. 38 154. 39 036. 39 525. 39 590. 40 307. 40591. 43 501. 43 829. 43 916. 46739. 46750. 46978. 47 836. 48 289. 50 376. 51 580. 52 668. 52 9822. 53 437. 55 969. 56 647. 56 667. 56 672. 60 450. 61 327. 62 527. 63 232. 64 785. 66 170. 69 572. 70 488. 74 352. 75 223. 77 096. 77 149. 79 812. 80 962. 81 279. 82 871. S4 633. 84790. 88 01. 89 264. 89 630. 90 425. 90668.

Der Wissenschaftliche Centralverein und die Hum⸗ boldt ⸗Akademie feiern am Mittwoch, den 6. Februar, Abends 8 Uhr, im großen Saale des Norddeutschen Hofes, Mohrenstraße 20, ikr 3 Stiftungsfest durch Abendtafel mit Mußsikvorträgen hervor · ragender Künster und Ball. Auch Freunde der Sache sind als Gäfte willkommen und die Eintrittékarken im Bureau, Central⸗Buch⸗ handlung im Centralhotel, zu haben.

(A. Woldt's Wiss. Corr). Eine Kollektion siamesischer Schattenbilder ist jetzt als Geschenk an das Königliche Museum in Berlin gelangt. Die alten Heldensagen von Rama— vana und Mahabharata, welche bei den Bewohnern von Ostindien etwa dieselbe Rolle spielen, wie ehemals bei den alten Grsechen die Ilias und die Odysse, erfreuen sich in ihren Haupteptsoden zahlreicher dramatischer Vorführungen in Siam. Während sich in jenem Lande nandernde Schauspielertiuppen gewöhnlich jener jypischen, zu diesen Vorführungen gehörenden Masken und Kostüme bedient, von denen die berübmte Sammlung des Hr. Riebeck eine schoöͤne Serie enthält, beschränken sich andere Kreise darauf, die Dramen durch bewegliche Marionetten unter gleichzeitigem Vortrag des Textes durch einige Personen vorzuführen. Die einfachste Form der Schau⸗— sriele ist jedoch die Anwendung der Schattenbilder, d. h. aus Pappe oder einem ährlichen Stoff verfertigter Silhouetten der Heldengestalten. Der Vorhang, hinter welchem gespiest wird, besteht aus einem weißen Tuche von wenig mehr als Serviettengröße. Da⸗ hinter steht eine besonders konftruirke Lampe, zwischen die und den Vorhang die ausgeschnittenen Figuren Postirt werden, während der Dirigent den Text dazu spricht. Die in Rede stehende Kollektion ist durch Orn. Kapt. Weber, Gouverneur des Königs von Siam in Junk Ceylon, dem das Museum schon Manches verdankt, auf Ver⸗ anlassung des in Berlin lebenden Bruders des Wohlthäters, geschenkt worden.

Bremen; 1. Februgr. (Wes. Ztg) Der hiesigen Geographi⸗ schen Gesellschaft ist durch einen mit mehreren Mitgliedern der Gesellschaft befreundeten Kapitän, welcher im Dienste der bekannten Alaska Commercial Company den sogenannten Kadiakdistrikt, näm⸗ lich einen Theil der Küsten von Nordakaska und der davor gelegenen Inseln befährt, die Nachricht über ein zu Anfang Oktober v. FJ. in Cooks Inlat sich ereignetes Erdbeben und Fluthwelle zugegangen. Daß die Nachricht so spät kommt, erklärt sich daraus, daß im Winter von San Franeikco aus nur ein sehr spärlicher Verkehr nach jenen abFelegenen Gegenden vorkommt. Der Eingang zu Cook Inlat, welcher sich vom Süd⸗ ufer der Halbinsel Alaska in nordöfllicher Richtung weit ins Land erstreckt, liegt etwa auf 600 R. B. und 1530 W. L. Gr. Das westliche Ufer des Eingangs buchtet sich in der Kamishak Bay aus und in dieser liegt eine etwa 7—– 8 Miles breite Insel, Tscherna⸗ bura, welche in ihrem nordöstlichen Theile sich zu einem hohen Pik, dem Mount Auguftin, aufthürmt. Am Morgen des 6. Oktober v. J., bei völlig heiterem, klarem Wetter, hörten Ansiedler an dem gegenüber auf dem östlichen Ufer gelegenen English Harbor plötzlich ein donnerähnliches Getöse von dem Mount Augustin her; dichte Rauchwolken stiegen aus dem Pik auf und wurden von dem Winde nordöstlich geführt; bald nachher fiel ein feiner Aschenregen, und der Himmel verfinsterte sich. Die Asche fiel in der Gegend des English Harbors so massenhaft, daß sie den Boden 4 bis 5 Zoll hoch bedeckte. Turz darauf rollten drei mächtige Wellen gegen die Ansiedelung bei English Harbor heran; die erste wurde zu 25 bis 30 Fuß, die beiden folgenden zu 15 bis 18 Fuß Höhe geschätzt; glücklicherweise war gerade niedrig Wasser. Im Laufe des Tages kamen noch mehrere hohe Wellen gegen das Land. In der folgenden Nacht sah man Flammen aus dem Pik auflodern. Am 10. November passirte der Schuner Kadiak , Kapt. Cullin, die Tschernaburainsel, und es fand sich, daß ein großer Riß den Mount Augustin vom Gipfel bis zum Wasser in zwei Theile gespalten hatte; fortwährend stieg Rauch auf. Weiter wurde entdeckt, daß in der 7— 3 Meilen breiten Straße zwischen der Tschernaburg“ insel und dem Festlande eine neue etwa 75 Fuß hohe und 13 Miles weite Insel sich gebildet hatte. Bei der vulkanischen Katastrophe auf der Tschernaburainsel haben wahrscheinlich 7— 8 Aleuten, die sich der Sceotternjagd wegen dorthin begeben hatten, ihr Leben verloren.

In den letzten Jahren hat man beim Menschen eine Krankheit, die Actinomheose, kennen gelernt, welche durch eigenthũmliche Pilze, Strahlenpilze (Actinomyces) verursacht wird. Diese Pilze veranlassen in dem befallenen Körper langwierige Eiterungen, vor—⸗ zugsweise des Knochengerüstes und der Brusthöhlen (Pleuren) und in den meisten Fällen den Tod des Erkrankten. Der städtijche Thierarzt Hr. H. C. J. Duncker in Berlin hat kürzlich das häufigere Vor⸗ kommen des Strahlenpilzes im Schweinefleisch, also ia einem der wichtigsten menschlichen Nahrungsmittel nachgewiesen und das Re⸗ sultat seiner Untersuchungen in der anfangs dieses Monats erschte⸗ nenen Nummer der „Zeitschrift für Mikrdfkopie und Fleischschau“ (Verlag von E. Hopf in Spandau), veröffentlicht.

Wir machten kürzlich auf die bei Hrn. M. Babenzien in Rathenow erschienene Zeitschrift Sonn tagsruhe“ aufmerksam und theilen heute mit, daß durch die Redaktion genannter Wochen⸗ schrift, welche sich mit mehreren hochangesehenen Männern in Verbindung gesetzt, ein „Verein zur Förderung des Volks— wohls und der Volksinteressen“ gegründet werden soll. Der⸗ selbe verfolgt den löblichen Zweck, für Gründung allgemeiner Biblio— theken in Stadt und Land zu sorgen und die schlechten Kolportage⸗ schriften zu verdrängen, auch die Interessen der Schule und ihrer Lehrer zu fördern, der Gründung von Schulsystemen, der Wittwen⸗ und Waisenpflege, den der Schule Entlassenen zc. seine besondere Sorgfalt und Aufmerksamkeit zu widmen. Der gute Zweck wird dem Verein zahlreiche Theilnehmer sichern. Meldungen werden in Ra⸗ thenow erbeten.

Im Königlichen Schauspielhause ging gestern ein neues vieraktiges Lustspiel von Hugo Lubliner (Hugo Bürger) Die Mit⸗ bürger“ zum ersten Maͤse in Scene und fand beim Publikum eine freundliche, wenn auch nicht widerspruchslos gute Aufnahme. Uns scheinen beide Theile, die Beifallsspender wie die Opponenten gleich⸗ mäßig Recht, also auch gleichmäßig Unrecht zu haben; d. h. das Stück hat viele beifallswürdige Vorzüge, aber auch nicht wenige den Widerspruch herausfordernde Mängel. In beiden Beziehungen finden wir den Verfasser noch ganz auf der Höhe früherer Leiftungen. Er will ein Lustspiel schreiben und das lustige Element tritt doch nur spärlich aus dem eiwas melancholischen Rahmen des Ganzen heraus; er will ‚unsere Mitbürgern charakterisiren und was er vorbringt, deckt sich nicht mit den Erscheinungen des wirklichen Lebens, ja er macht seine humorlosen Mitbürger in vielen Zügen schlechter als sie eigent⸗ lich sind; das gilt im Einzelnen und im Ganzen. Ein alter Baron und Junggeselle, von untadelhaft vornehmem Wesen, der Sinn für die Kunst und nichts als Verachtung und Spott für die Wissenschaft hat, ist doch ein üheraus seltsamer Herr; und nicht viel naturwahrer gezeichnet ist sein junger Neffe, ein Philosoph, der sich anfänglich der Wissenschaft ganz ergeben zu haben scheint, und dann sogenannten aristokratischen Nücken seines Oheims zu Liebe, ein leichtfertiges Leben beginnen will, wovon ihn schließlich eine plötzlich hervorbrechende wahre Herzens neigung zurückhält. Wenn man übrigens „Die Mitbürger“ genauer betrach⸗ tet, so hat man es nicht mit ein em Lustspiel, sondern mit zwei Stücken, nämlich einem bürgerlichen Schauspiel und einem Lust⸗ spiel zu thun. Die ganze Handlung nämlich dreht sich um die Vor⸗ bereitung einer Jubiläumsfeier, welche ein ehrsamer Fabrikbesitzer, der sich aus den kleinsten Anfängen durch eigene Kraft emporgearbei⸗ tet hat, feiert. Der Inhalt des Schauspiels nun, dessen leiten de Idee hübsch erfunden und in dem scenischen Aufbau glücklich zum Ausdruck

Georgenstraße 39 ein Concert,

Fabrikanten, dessen Frau der Gegenstand seiner einzigen und darum wahren Jugendliebe gewesen ist. Der Baron ist der Meinung, eg handle sich um eine leichtfertige Liaison und will das Verhältniß ge⸗ waltsam lösen. Der Neffe bestärkt den Oheim in seiner Meinung und macht ihn durch diese kleine Intrigue zu seinem, man weiß nicht recht, ob freundwilligen oder widerwilligen Brautwerber. Dag ist ein abgerundeter, in sich geschlossener Vorgang und wohl geeig· net, unter der Hand eines in der Bühnentechnik so gewandten Autors, wie es H. Lubliner ist, zu einem lebenevollen Stück aut⸗ gestaltet zu werden. Da dem Autor aber noch einige nicht uninter⸗ essante Figuren vorschwebten, finden wir in den Mitbürgern! neben dieser Hauptaktion noch ein kleines Nebendrama, welches allerdings der lustigere Theil des Ganzen ist und wohl allein berechtigt, das ganze Stück ein Lustspiel zu nennen. Die Personen des Lustspiels sind eine arme, aber in jeder Beziehung tugendsame Erzieherin, ein hinkender, edelmüthiger und reicher Privatgelehrter und ein nichts— nutziger, übrigens auch nur oberflächlich skizzirter Assessor. Der Privatgelehrte liebt die Erzieherin, will sie aber durchaus mit dem Assessor verheirathen, weil er glaubt, daß diese beiden bereits ein Verhältniß haben. Zum Schluß klärt sich natürlich auch hier die Sache so auf, daß die Erzieherin den hinkenden Gelehrten liebt, und daß aus diesen beiden ein glückliches Paar wird. Man sieht, daß es an interessanten Figuren nicht fehlt und die beiden sich durch⸗ setzenden Stücke ergeben manche gefällige und manche heitere Scene; dazu ist die Sprache gewählt wenn man von einem oder zwei vulgären Ausdrücken absehen will und zuweilen poetisch. Lubliner hat offenbar nach dem Leben zeichnen wollen; aber man merkt doch, we er sich zu den ihm vorschwebenden Personen die Scenen konstruirt und dann wieder wie er nach den schließlich sich abwickelnden scenischen Vorgängen an seinen Figuren gemodelt hat. Darum eben sind die Charaktere nicht wie aus einem Guß und daher rühren mancherlei Unwahrscheinlich- keiten in der Handlung. Der Dialog ist fließend und interessant und immerhin gewinnt der Zuschauer für die handelnden Hauptpersonen und ihre Schicksale ein tieferes Interesse. Die glückliche Beobach⸗ tungsgabe für mancherlei Aeußerlichkeiten des Tebens und Gebahrenz tvpischer Charaktere, die der Verfasser schon früber in hohem Grade bewiesen, bewährt derselbe auch in feinem neuen Stück, damit aber kann er die Gemüther nicht tief ergreifen; es bleibt zu hoffen, daß es, ihm auch noch gelingen wird, aus 'der Seele und des Herzens Tiefe heraus Menschen zu erkennen und zu reproduziren. Die Be— setzung der Rollen war eine gute und darum die Darstellung im Einzelnen und im Ensemblespiel eine wohl gelungene. In erster Linie haben wir Hrn. Berndal zu nennen, der den alten Baron Klee— witz mit jener vornehmen Bonhommie gab, welche nur ihm eigen ist; neben ihm steht gleich würdig, Hr. Vollmer, welcher den hinkenden Privatgelehrten Pr. Henning mit vollendeter Meisterschaft in Ton und Benehmen charakterisirte und seine Rolle mit einer Fülle feiner humorvoller Züge auestattete. Hr. Müller hatte als junger Dr. von Kleewitz mit den Schwierigkeiten seiner Rolle zu kämpfen und gefiel besser in den ersten als in den letzten Akten. Mehr Glück hatte Hr. Liedtke, der sich als widerwilliger Pantoffelheld recht hübsch aus der Affaire zog. Von den Damen hatte Frl. Meyer die am meisten sympathische Aufgabe, die tugendhafte und falsch beschuldigte Erzieherin darzustellen und entledigte sich derfelben mit der gewohnten Liebens⸗ würdigkeit und Sicherheit des Auftretens. Fr. Frieb⸗Blumauer zeigte ihre unübertreffliche Gestaltunge kraft auch als Frau Antonie Bau⸗ mann und Frl. Abich verstand. als naive Fabrlkantentochter Anna herzliche Töne zu finden und auf das Publikum erfrischend zu wirken. r. Kahle ⸗Keßler gab Frau. Sylvia von Walbeck mlt Geschick lebendig und nicht ohne Humor. Auch alle übrigen mitwirkenden Kräfte fügten sich angemessen dem Ensemble ein.

Das Repertoire des Deutschen Theaters für die nächste Woche bringt außer den Journalisten von Gustav Freytag, welche zuerst am Montag zur Aufführung kommen, Wiederholungen von „Richter von Zalamea“, Probepfeil! und Don Carlos). Gegen Ende der Woche wird mit Hrn. Barnay, welcher von seinem Urlaube zurückkehrt, auch „König Lear“ wieder in Scene gehen.

Der Berliner Dilettanten Orchesterverein, welcher sich im verflossenen Jahre in einem öffentlichen Wohlthätigkeits⸗ concert dem musikliebenden Publikum Berlins sehr vortheilhaft be— kannt gemacht hat, veranstaltet auch in diesem Jahre am 7. d. M, Abends präzise 8 Uhr, im Dorotheenstädtischen Real Gymnasium, . Lon. in welchem Professor Rudorff (Ouverture zu Otto der Schütz) und der durch die Tua⸗Concerte wohlrenommirte Pianist Hr. Lambert aus New · Jork (u. A. G. moss- Concert von Saint-Sasns) mitwirken werden. Der Verein, welcher aus mehr denn fünfzig für ibre Kunst begeisterten Virtuosen besteht und ron Hrn. H. Urban meisterhaft eingeübt ist, wird u. A. die B-dur-Sinfonie von Niels W. Gade vortragen. Die sich so selten darbietende Gelegenheit, dieses treffliche Dilettantenorchester zu hören, in Verbindung mit dem wohlthätigen Zweck (der Ertrag ist für den Oberlinverein für die Stadt Berkin bestimmt), läßt einen recht zahlreichen Besuch des Concerts erwarten. Billets zu 24 sind bei dem Vorsteher des Vereins, Hrn. Paul Griebel, Königgrätz er⸗ straße 126. und bei den Herren Bote u. Bock, Leipzigerstraße 37, zu haben. Die Plätze sind numerirt.

Das Ballfest des Vereins Berliner Presse“ findet am 16. Februar im Wintergarten des Central ⸗Hotels statt. Der Preis für die Eintrittskarte beträgt „zehn Mark“. Anmeldungen sind bis zum 12. Februar an die nachstehenden Comité Mitglieder zu richten; Dr. Oscar Blumenthal, Königgrätzerstraße 78 15, pPr' Hopfen, Brückenallee 1, Dr. Jakobson, Belleallianceplatz 16 w 3 Kastan, Victoriastraße 16. Hugo Lubliner, Pottzdamerstraße 111, R. Schmidt- Cabanis, Puttkamerftraße 16 Georg Schweitzer, Taubenstraße 531III., Julius Schweitzer, Schöneberger Ufer Ja, Julius Stettenheim, Lüßowstraße 71.

Läterarische Neuigkeiten und periodische Schriften.

Deutsches Adelsblatt. Wochenschrift für die Interessen des deutschen Adels beider Konfessionen. Nr. 4. Inhalt: Die Unfalls versicherung. Zur Erziehungsfrage. Rechtspflege in Tideikommißsachen. Der Adel im Sagenkreise des Königreichs Sachsen. Wiener Briefe. Aus dem Kunstleben. Von dem Verein „Nobilitas . Familiennachrichten. Briefkasten.

Inserate.

Centralblatt für allgemeine Gesundheitspflege. 1. Heft. Inhalt: Das neue städtische Hospital in Antwerpen. Von J. P. Müller. (Hierzu 4 Abbildungen) Moderne Venli⸗ lationseinrichtungen. Von A. von Fragstein. Zur Krankheits⸗ statistik der Eisenbahnbeamten. Von Lent. Nachweisung über Krankenaufnahme und Bestand in den Krankenhäusern aus 54 Städten der Provinzen Westfalen, Rheinland und Hessen-Nassau pro Monat November 1833. Sterblichkeitsstatistik von 57 Städten der Pro vinzen Westfalen, Rheinland und Hessen⸗Nassau pro Monat No⸗ vember 1883. Mittheilungen der Großherzoglich hessischen Cen— tralstelle für die Landes statist ik.‘ Januar!! Nr zoz“* 1. Inhalt: Gesundheitszustand und Todesfälle im Großherzogthum Hessen dom II. Quartal 1883. Post. und Telegraphen verkehr 1827 * Knappschafts Inxaliden⸗ und Knappschafts⸗Krankenkaffen⸗Vereine 1882 Schluß). Sterblichkeits verhaltniffe Dezember 1883. Meteoro⸗ logische Beobachtungen zu Darmstadt Dezember 1883.

Redacteur: Riedel.

Verlag der Expedition (Kessel). Druck: W. Elsner.

Berlin:

91 388. 93 578. 93 669. 94768.

gebracht ist, ist folgender. Ein alternder, unverheiratheter Edelmann entdeckt die Liebe seines jungen Neffen zur Tochter jenes ehrsamen

Vier Beilagen (einschließlich Börsen⸗ Beilage).

2.

83 .

Erste Beilage

zum Deutschen Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preußischen Staats⸗Anzeiger.

M 29.

Berlin, Sonnabend, den 2. Februar

1884.

Aichtamtliches

Preußen. Berlin, 2. Februar. Im weiteren Verlaufe der gestrigen (39) Sitzung des Hauses per Abgeordneten wurde die zweite Berathung des Entwurfs des Staatshaushalts⸗Etats für 1884/85 mit der Diskussion des Etats des Ministeriums der geist— lichen 2c. Angelegenheiten (dauernde Ausgaben Kap. 119 Universitäten) fortgesetzt. .

Der Abg. von Zitzewitz erklärte, auch er finde, daß der sogenannte Früh- und Abendschoppen bei der hiesigen Sktudentenschaft im Uebermaß genossen werde, wie es scheine, erblicke die Studentenschaft in diesem Hingeben an die leiblichen Genüsse eine gewisse Force. Indeß das nur nebenbei, seine Bemerkungen sollten sich gegen die Ausführungen der Abgg. Reichensperger und Windthorst über das Duellwesen richten. Da müsse er bekennen, daß er noch auf einem anderen Standpunkt stehe. Er wolle vorweg bemerken, daß er gegen alle Auswüchse des Duellwesens sei, als solche nenne er namentlich die Pistolen⸗ und Säbelmensuren ohne Binden und Bandagen. Er müsse aber darauf aufmerksam machen, daß im Jahre 1882 der Kösener Seniorenkonvent sich mit diesen Auswüchsen befaßt, und Bestimmungen getroffen habe, die zu der Hoffnung berechtigten, daß diese Auswüchse bald aus dem studentischen Duellwesen verschwinden würden. Nun möchte er aber einige Worte einlegen für die Corpsstudenten. Auf diesen Corps werde, wenn er so sagen dürfe, Jahr für Jahr mit einer gewissen Regelmäßigkeit Erbsen gedroschen. Er könne nun vorweg sagen, daß der Corpsstudent Tüchtigkeit und Ernst auch im späteren Leben nicht vermissen lasse. Er möchte in dieser Beziehung nur darauf hinweisen, daß von den Ministern fünf Corpsstudenten gewesen seien, und daß auch in der Fraktion des Centrums mehrere Geist⸗ liche säßen, von denen man wisse, daß sie recht tüchtige Corps⸗ studenten gewesen seien, und ihre Klinge ganz rechischaffen ge⸗ schwungen hätten. Es sei doch nicht zu verkennen, daß seit der Aufhebung der Universitätsgerichtsbarkeit und in Folge der alljährlich wiederkehrenden Behandlung der Sache hier im Plenum gegen die Corpsstudenten eine polizeiliche Hetzjagd eröffnet worden sei, sei man doch aus Anlaß des Würzburger Falles so weit gegangen, gegen sämmt— liche Corpsburschen die Anklage zu erheben, deren Namen aus den Paukbüchern bekannt geworden seien. Das sei doch allzusehr über das Ziel hinausgeschossen. Wenn in dieser Rigorosität gegen die Corpsstudenten fortgefahren, und ihnen die Möglichkeit genommen werde, ihre Konflikte ihren Neigungen gemäß zum Austrag zu bringen, so würden sie schließlich zum Knüppel greifen, und die ritterliche Art und Weise, die doch immer eine Art Waffenübung genannt wer⸗ den könne, werde verschwinden. Nun möchte er noch auf eins verweisen. Von den Gymnasien kämen zur Universität sehr häufig sehr nette junge Leute mit glatten Gesichtern, verzärtelte Muttersöhnchen, und träten in ein Corps ein. Für diese jungen Leute habe die einfache Mensur als Waffen⸗ Übung durchaus einen erziehlichen Charakter. Er habe außer⸗ dem niemals erlebt, daß wirklich an der Mensur direkt Jemand eingegangen gestorben sei. Es komme ja vor, daß, wenn ein Student seine gehörigen Schmisse habe, derselbe nicht regulär be⸗ handelt werde und zu früh sich dem „Frühschoppen“ hingäbe, nachher an der Kopfrose u. s. w. sterbe, daß aber ein Student direkt bei der Mensur gestorben, habe er niemals erlebt. Er bitte schließlich, nicht zu hart mit diesem Theile der Studentenschaft ins Gericht zu gehen, und die Schläger⸗ mensuren nicht zu verurtheilen, die wirklich eine erlaubte Waffenübung seien, in der Weise, wie es hier oft geschehen sei. Er glaube, das schieße etwas über das Ziel hinaus,

Hierauf ergriff der Minister der geistlichen 2c. Angelegen— heiten hr. von Goßler das Wort: .

Meine Herren! Seit einigen Jahren ist es Sitte, daß wir bei den Universitäten⸗ Etats unsere Wahrnehmungen und Urtheile aus—

tauschen über die verschiedenen Zweige des Universitätslebens von Studenten bis zum Professor, und ich will mich auch in diesem Jahre dem nicht entziehen, obgleich bisher in der Diskussion Angriffe, welche meinen Widerspruch hervorrufen könnten, nicht vorgekommen sind. Ich will von den Studirenden zu den Professoren allmählich auf⸗ steigen und mich streng an diejenigen Themata halten, die von den Herrn Vorrednern angeregt sind. .

Dem Hrn. Abg. Reichensperger muß ich darin beitreten, daß, was das sogenannte Duellwesen der Studirenden anbetrifft, das Reichsgericht durch sein Urtheil einen erheblichen Abschnitt in unserem Universitätsleben gemacht bat. Ich habe dieses Urtheil den Unirersitätskuratoren mitgetheilt. Die Folgen davon können ja als günstig oder ungünstig beurtheilt werden; ich kann aber bezeugen, daß Klagen über Ausschreitungen im Duellwesen mir nicht zu Ohren ge⸗ kommen sind. Was den Fall in Aachen anbetrifft, der allerdings in mein Ressort fällt, so ist derselbe vorgekommen zwischen zwei Aus—⸗ ländern, die nach ihrer ganzen Erziehung mit dem deutschen Studenten absolut nichts gemeinsam haben. Daß die Herren auf Pistolen losgegangen sind, hängt damit, daß sie als Schüler der technischen Hochschule zu betrachten sind, nicht im Mindesten zusammen, und ist der preußischen Unterrichtsverwaltung in keiner Weise anzurechnen. ;

Meine Stellung zu diesem Mensurwesen will ich nicht weiter deklariren, ich habe es schon früher gethan. Um der Wahrheit zum Recht zu verhelfen, muß ich aber den Hrn. Abg. Reichensperger auch daran erinnern, daß in dem Augenblick, wo das reichsgerichtliche Er— kenntniß publizirt wurde, im Reichstage unter den Genossen aller Fraktionen ein Gesetzentwurf zirkulirte, welcher beabsichtigte, die

Wirkungen jenes Erkenntnisses auf das studentische Leben einzu⸗ schränken und zwar, meine Herren, aus dem einfachen Grunde es ist das, glaube ich, schon angedeutet worden weil immer eine ge⸗ wisse Gefahr vorliegt, durch das Ausschütten des Kindes mit dem Bade neue Schwierigkeiten zu erzeugen. Was den Frühschoppen betrifft, so baben wir uns darüber auch schon ausgesprochen, und ich glaube wir haben im großen Ganzen eine Uchereinstimmung erzielt. Ich möchte mich der Ansicht des Hrn. Abg. Windshorst anschließen, daß wir vor allen Dingen an uns felbst zu reformiren gut thun werden, d. h. in denjenigen Schichten der Bevölkerung, die an Lebensalter, an Er fahrung und Vermögen höher stehen' wie unfere Studirenden. Ich habe selbst auf drei Univerfitäten studirt und habe keinen Fruͤh= choppen getrunken, obschon ich ein Corpsstudent war. Als ich ins Leben trat, habe ich gesehen, daß in alle Schichten der Bevölkerung der Frühschoppen sich bereits kief eingebürgert hatte. Soweit ich übersehe, ist derselbe nicht von den Universitäten in die übrigen Gesell— schaftekreise übergegangen, fondern umgekehrt als allgemeine öffentliche

der xichtige Weg ist.

Sitte nach, der Universität gelangt. Damit wisl ich den Früh— schoppen keineswegs entschuldigen, ich bin im Gegentheil der Meinung, daß er die unmittelbare Veranlassung ist für eine sich vielfach kund⸗ gebende Arbeitsuntüchtigkeit und Arbeitsunfreudigkeit.

Unmittelbar damit zusammen hängt eine andere Beobachtung, die ich gemacht habe, und das wird die einzige Bemerkung sein, die vielleicht außerhalb des Rahmens der bisherigen Dis kussion fällt; das ist die veränderte Zeiteintheilung der Studirenden an kleineren Universitäten. In den großen Städten sind wir vermöge unseres ganzen Geschäfts⸗ und öffentlichen Lebens, hervorgerufen durch Wohnungsentfernungen und andere Ursachen, dahin gebracht worden, unsere Mittagszeit anders einzurichten; aber für kleinere Verhältnisse, besonders für kleinere Universitäten, fehlt es an einer solchen Ver—⸗ anlassung. Gleichwohl findet sich dort die Sitte, meines Erachtens die Unsitte, daß zur Zeit, wo man schon an das Mittagessen denken könnte, die Frühschoppenstunde so lange sich ausdehnt und erst zu einer Zeit zu Mittag gegessen wird, wo dies auch in größeren Staͤdten unter ganz anderen Lebensverhältnissen geschieht. Häufig erst um 5 und 6 Uhr findet vielfach auch an kleineren Universitätsorten das Mittagessen statt, meines Erachtens zum Nachtheil der ganzen Lebenseinrichtung, und das führt mich unmittelbar darauf, was der Hr. Abg. Graff gesagt hat über die mangelnde Neigung der Studen⸗ ten zum Aufenthalt und zur Bewegung im Freien. Ich für meinen Theil, beklage aufs tiefste, wenn Studirende in der dazu günstigsten Zeit ihres Lebens nicht diejenige Fülle von Kraft gesammelt haben, die sie nachher im bürgerlichen Leben allermaßen gebrauchen. Das können sie nicht, wenn sie nicht die Zeit, die ihnen ihr Studium läßt, ausgiebig benutzen, nicht blos um sich geselligen Freuden hinzu⸗ geben, sondern auch ihre körperlichen Kräfte zu üben. Ich habe schon bei anderer Gelegenheit gesagt, wie ich auch vom Standpunkt der Einschränkung des Duellwesens mich eifrigst bemüht habe, das Tur⸗ nen und überhaupt die Ausübung aller körperlichen Fertigkeiten unter den Studirenden zu fördern, und alle von Ihnen, die beute so freund⸗ liche Worte gesagt haben, können dazu beitragen. Sie brauchen nur Umschau zu halten, um wahrzunehmen, wie gern die jungen Leute dieser Anregung folgen. Wie aber der Hr. Abg. von Zitzewitz gesagt hat, das Vermögen entspricht nicht immer dem Willen. Man wen⸗ det sich vieifach an die Unterrichts verwaltung und ich bin für das Vertrauen durchaus dankbar. Soweit meine bescheidenen Mittel reichen, helfe ich auch. Aber wir müssen uns daran gewöhnen, Ab— hülfe auf solchen Gebieten nicht immer vom Staate zu erwarten, sondern daß die Herren, welche es wohl meinen mit der Jugend, ein ganz besonderes gutes Werk thun würden, wenn sie ihren Beutel öffneten. Ich erinnere z. B. an den Ruder und Segelklub in Bonn. Wie dankbar würde derselbe sein, wenn Sie ihm ein gutes Ruder⸗ boot und Segelboot und die erforderliche Ausrüstung geben wollten. Ich quäle mich mit dem Kuratorium ab, um die paar hundert Mark zusammen zu bekommen. Wenn Lie Herren etwas Gutes thun wollen für unsere Jugend, dann zeigen Sie sich hier opferwillig und verschaffen Sie den jungen Leuten die Mittel.

Es ist eine schwere Sache, über den Fleiß der Studirenden ein sicheres Urtheil sich zu bilden; einige der Herren haben gesagt, die Studenten sind faul der Hr. Abg. Dr. Virchow hat sie in Schutz genommen. Eine Enquete darüber anzustellen ist sehr schwer. Ich kann ja natürlich eine Zählung veranstalten, wie viel der Studenten in die Hörsäle hineingehen, aber Sie werden nicht meinen, daß dies Ich habe es vielfach ausfshrechen hören, und im Großen und Ganzen geht auch das allgemeine Urtheil iUß neuester Zeit dahin, daß, wenn es anders geworden ist, es besser geworden ist, ünd zwar nicht allein bei den Medizinern, Philologen, fondern sogar bei den Juristen. In neuerer Zeit wird auch nanientlich aus Berlin versichert, daß die Zahl der jungen Leute, welche sich mit juristischen Vorlesungen, die nicht unmitelbar zu ihrer Nahrung, wenn ich so sagen darf, fürs Examen dienen, beschäftigen, im erheblichen Zu— nehmen ist, und nicht blos diejenigen jungen Leute, welche etwa in juristische Semingre eintreten, eine größere Fertigkeit und Frische und Leistungsfähigkeit zeigen, sondern auch die jungen Leute, welche sich vor diesen intensiveren Arbeiten scheuen und nur durch die Theilnahme an den Vorträgen ihren Eifer kethätigen. Wir wollen dasjenige, was gut ist, auch als gut anerkennen. Jeder weiß aus eigener Erfahrung: ein Lob spornt oft. viel mehr an, als ein unge—⸗ recht ausgesprochener Tadel. Darin stimme ich auch mit dem Hrn. Abg. Lr. Windthorst überein, daß die Einpaukereien ein Lrebeschaden sind. Ich unterscheide das bewußt von den eigentlichen Repetitorien. Ich selbst habe nie ein Repetitorium gehabt, aber man soll doch nicht vergessen, daß es nicht jedem Menschen gegeben ist sich so zu konzentriren, daß er im Stande ist, das Pensum von drei Jahren durch eigene Kraft und Energzie sich völlig anzueignen. Aber ich muß zugestehen, daß diese Repetitorien sich häufig in der That und das hat der Hr. Abg. Dr. Windthorst in seinen Worten auch wohl mehr gemeint zu eigentlichen Einpaukereien gestaltet haben, daß also junge Leute eintreten in solche Institute, vollkommen baar jedes Wissens, und nicht allein repetiren, sondern sich alles eintrichtern lassen wollen. Daß diese Studirenden in steigender Zahl im Examen durchfallen, gereicht mir zur Befriedigung. Denn meiner ganzen Ueberzeugung nach man mag so lustig und froh und frei leben, wie man will die Hauptsache der Studienzeit bleibt das Studiren und der Glanzpunkt und Schwer punkt des Studiums auf unseren Universitäten liegt nach meiner Meinung im mündlichen Vortrage. Wer nicht das Glück hat, mit einer gewissen Befriedigung und einem gewissen Genuß an seine Lehrer zurückdenken zu können, deren Vorträge er auf der Universität gehört hat in den wichtigen Disziplinen, der hat meines Erachtens eine Oede in seinem wissen⸗ schaftlichen Leben.

Von den Studirenden steige ich auf zu den Doktoren und komme Rier auf die Promotionen, worÜber Einzelnes angedeutet worden ist. Ich habe bereits bei anderer Gelegenheit mich darüber ausgesprochen und möchte hier nur noch anführen, daß das, was der Hr. Abg. Dr. Reichensperger hier mitgetheilt hat wie ich annehme, aus seiner Bonner Erfahrung nicht so schlimm ist, als es ihm vielleicht scheint. In. Bonn allein bestand, beim Doktoriren noch die Noth— wendigkeit einer Klausurarbeit. Die Folge davon war, daß überhaupt in Bonn so gut wie gar keiner doktorirte. Auf den übereinstimmenden Antrag der betreffenden Fakultäten ist diese Klausurarbeit, weil sie bei anderen Universitäten überhaupt nicht bestand und nicht her—⸗ gebracht war, aufgehoben worden. Aber was ich früher gesagt habe, kann ich hier wiederholen: in einer andern Beziehung bin ich immer strenger vorgegangen und gedenke noch strenger vorzugehen. Dies be⸗ trifft die juristischen Dissertationen, die zuristischen Doktorarbeiten. Es hat sich in neuerer Zeit und dies ist trotz aller meiner Mühe noch nicht ganz ausgerottet worden gezeigt, daß auf. Grund der Referendarsatsarbeiten, und zwar an bestimmten Universitäten über— wiegend, die Doktorwürde erlangt worden ist. Ich habe das bereits in gewissem Maße beschränkt; es ist mir noch nicht vollständig ge⸗ lungen, Ich werde aber in dieser Beziehung nicht nachlaffen, damit wirklich diese Ungehörigkeit und dieser Mangel ausgerottet werde.

Die Doktoren führen mich zu den Privatdozenten und extra⸗ ordinären Professoren. Mit dem Hrn. Abg. Dr. Virchow stimme ich in vieler Beziehung überein. In einer Hinsicht hat er mir freilich Vorwürfe gemacht, und nicht allein mir, sondern auch meinen Vor⸗ gängern. Diese Vorwürfe betreffen die Frage wegen Verleihung des Charakters eines Professor extraͤordinarius an Privatdozenten. Hr.

Virchow hat, und zwar mit einer gewissen Berechtigung, gesagt, man solle

Privatdozenten diesen Charakter nicht geben, es sei denn, daß eine etats⸗ mäßige Stelle damit verbunden sei. Meine Herren! Das ausnahmslos durchzuführen, ist für den Unterrichts-Minister sehr schwer und wenn Hr. Virchow in meiner Lage wäre, würde er wahrscheinlich auch fein Herz öfter erscküttert fühlen. Aber ich räume ein, daß es auch scine Schwierigkeit hat, eine richtige Grenze zu finden; aber ganz so schlimm, wie sich der Abg. Dr. Virchow vorstellt, ist es dennoch nicht. Wenn wir die einzelnen Fakultäten durchgehen, so finden Sie nicht alle auf demjenigen puritanischen Standpunkt, welchen im All— gemeinen die Berliner Fakultät einnimmt, womit ich aber in keiner Weise andeuten will, daß ich den Standpunkt der Ber⸗ liner Fakultät zum Gegenstand einer abfälligen Kritik machen will. Das sei ferne von mir. Aber im Allgemeinen haben sich in unserer Verwaltung gewisse Grundsätze herausgebildet, in welchen Fällen man Extraordinariate verleiht, auch in solchen Fällen, wo Fonds dafür

Noch in einer anderen Beziehung möchte ich ihm entgegentreten. Das war seine Besorgniß, als ob unsere politische Situation, nament⸗ lich unsere wirthschaftliche Politik, den Export deutscher Gelehrten nach dem Ausland verhindere. Jenen Zusammenhang will ich nicht berühren, ich will mich nur auf das Thatsächliche beschränken. Man könnte ja annehmen, wenn die thatsächliche Voxaussetzung des Hrn. Virchow wahr wäre, daß bereits im Auslande eine gewisse Sättigung eingetreten ist, oder auch daß die deutschen Gelehrten, die hingus⸗ gegangen sind, dort bereits Schule gemacht haben. Denn unsere Auf⸗ gabe kann doch nicht sein, daß wir fortgesetzt unsere jungen Gelehrten, einen nach dem andern, zur Abgabe in das Ausland heranbilden, wir können nur hoffen, wie das in den Wechselbeziehungen dis wissen · schaftlichen Lebens in den Kulturländern innerhalb und außerhalb Europas der Fall ist, daß wenn tüchtige Kräfte an das Ausland abgegeben sind, diese allmählich wieder Lebrer heranbilden, die dann die studirende Jugend des betreffenden Landes in ihren Wissen⸗ schaften zu fördern im Stande sind. Ich will hier beispielsweise nur an unsere Beziehungen zu Japan erinnern. Ich kann ja nicht verlangen, daß der Abg. Dr. Virchow die Bewegung auf dem Gebiete des Gelehrtenexports mit seinem Interesse so begleitet hat wie ich. Aber gerade in der letzten Zeit ist es in Rußland noch vorgekommen, daß im letzten Monat zwei ordentliche Pro⸗ fessoren auf sehr wichtigen Gebieten, ein Staatsrechtslehrer und ein Gynäkologe, nach Dorpat gegangen sind. Auch nach Brüssel ist in neuerer Zeit ein deutscher Gelehrter übergesiedelt. Ich muß für die preußische Unterrichts verwaltung die Anerkennung in Anspruch nehmen, es ist nicht mein Verdienst, fondern ich spreche nur von der preußischen Einrichtung daß, soweit überhaupt die deutsche Zunge klingt, jeder Professor sich mehr oder minder an die preußische Unterrichtsverwaltung anschließt, er mag in Dorpat sein oder Czernowitz, Genf oder Bern. Ueberall stehen die Herren mit der preußischen Unterrichtsverwaltung in Verbindung, und überallhin begleitet sie unser Interesse. Ich bin von meinem Standpunkt aus sehr glücklich, daß auch unter meiner Verwaltung nach wie vor die Wechselbeziehung der deutschen Gelehrtenwelt mit der ausländischen eine sehr rege ist. Es ist das einzige Mittel, daß junge Gelehrte in den blühendsten Jahren ihres Lebens in Ordinariate, in selbständige Stellen, kommen. Ich bin nach unseren Erfahrungen fast nie in der Lage, einen jungen Mann mit 29, 30, 31 Jahren beispielsweise auf einen ordentlichen Lehrstuhl der Philosophie zu setzen. Das ist nur anderwärts möglich. Einen solchen Professor bekomme ich nach weiteren 10 Jahren als gereiften Mann zurück. Noch viel interessanter verhält es sich mit den Institutsdirektoren. Wir sagen meist, der ist in gutem Professorenalter, der in der Mitte der vierziger Jahre an die Spitze eines Instituts kommt. Im All⸗ gemeinen ist das nun der Fall, aber meist werden doch nur solche Männer gewonnen, die bereits in gleicher Stellung sich außerhalb der preußischen Grenzen bewegt und bewährt haben. Ich will das nur anführen, um anzudeuten, daß wir uns in dieser Hinsicht in einem ganz erfreulichen und frischen Wechsel verkehr befinden. .

Ich gehe nun weiter auf die Professoren über, und ich kann nicht unterlassen, Hrn. Reichensperger zunächst zu danken für seine Erklärungen, die er über den Fall aus Breslau gegeben hat. Es wird ihm angenehm sein zu hören, daß von dem betreffenden Herrn selbst ein Schreiben nach Breslau gerichtet ist, in welchem er aufs Tiesste bedauert, daß seinet wegen ein Mißverständniß oder eine Verstimmung bei der Fakultät hervorgerufen werden könne; er sei absolut unschuldig an der Sache und freue sich, den Irrthum näher aufklären zu können, als ob er vielleicht selber sich beklagt habe; er versichere, daß er ohne Groll aus Breslau geschieden sei. ö

Die 466 h der Vivisektion, die bei den Professoren auch wieder berührt worden ist, möchte ich meinerseits aus schweigen und würde es ganz gethan haben, wenn nicht der Hr. Abg. Virchow meine Anfrage an die Fakultäten als überflůssig bezeichnet hätte. Er hat selbst durch seine späteren Ausführungen seinen Aus spruch etwas zurückgeschnitten, und er wird anerkennen müssen, daß es auch von meinem Standpunkt aus und meinen Standpunkt kennt er ja richtig ist, daß ich das faktische Material unter allen Umständen ermittele und klar vor Augen lege. Ich halte daran fest, daß es das einige Mittel ist um eine große Anzahl von Täuschungen, in denen sich Viele in der besten Absicht befinden, als irrig hinzustellen. Meine Deren! An diese Frage knüpft sich weiter die Anregung, welche der Abg. Huyssen ge⸗ geben hat in Beziehung auf die Einführung eines neuen Kollegs über allgemeine Rechtskunde. Es ist sehr schwer, meine Herren. solche allgemeine Anregungen sofort zu beantworten. Ich könnte darauf antworten, daß, wer sich im Allgemeinen über Rechts verhält⸗ nisse orientiren will, Eneyklopädie oder Rechtsphilosophie oder Natur⸗ recht zu hören Gelegenheit hat Das entspricht, wie ich an nehme. dem Wunsche des Herrn Huyssen nicht; ich nehme an, er wünsche ein Kolleg, in welchem die zur Zeit geltenden Gesetze gewissermaßen kursorisch vorgetragen werden. Ich bin aber wieder stutzig geworden. ob ich damit seine Absicht treffe, dadurch, daß er auf die Geistlichen und die Lehrer hinwies. Ich glaube, meine Herren, wenn Sie über⸗ haupt den sogenannten allgemein gebildeten Mann als denjenigen be⸗