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sind aber in Sympathie mit Terminen am Schluß wieder stetiger; von reinschmeckenden Sorten waren ostindische still und unverändert, west⸗ indische dagegen eher etwas williger. Für Rohzucker blieb die Nach⸗ frage schleypend. Der Theemarkt war lebhaft, bei steigender Tendenz. Provisionen haben einen weiteren, wenn auch nicht sehr bedeuten den Avanz erfahren, aber wieder nur beschränkte Exportfrage gehabt. Terpentinöl und die geringen Sorten Harz konnten bei schwacher Nachfrage vorwöchentliche Notirungen nicht behaupten. Raff. Pe⸗ troleum fest und steigend. United Pipe line Certificates schließen ebenfalls in fester, steigender Tendenz zu 1066 G. In fremden und einheimischen Manufakturwaaren ist das Geschäft etwas an⸗ geregter gewesen. Der Import fremder Webstoffe für die heute beendete Woche beträgt 2136768 Doll. gegen 3 815 448 Doll. in der Parallelwoche des Vorjahres.
Danzig, 7. Februar. (W. T. B.! Die Einnahmen der Marienburg ⸗Mlawkaer Eisenbabhn betrugen im Januar d. J. 107 840 M, mithin weniger als in demselben Zeitraum des vorigen Jahres: 133 721 A
Antwerpen, 6. Februar. (W. T. B.) Wollauktion. Angeboten 1893 B. Laplatawollen, davon 1229 B. verkauft. Aus- wahl mittelmäßig, Preise unverändert.
London, 7. Februar. (W. T. B.) Die Bank von Eng⸗ land hat heute den Diskont von 3 auf 340 erhöht.
Verkehrs⸗Anstalten.
New-⸗Jork, 6. Februar. (W. T. B.). Der Dampfer Holland? von der National⸗Dampfschiffs⸗ Compagnie (C. Messingsche Linie) ist hier eingetroffen.
Berlin, 7. Februar 1884.
Michael Munkacsy's, des berühmten ungarischen Meisters, großes Gemälde „Christus vor Pilatus“, das gegenwärtig in Berlin eingetroffen und im Saale des Künstlervereins zur Ausstel lung gelangt ist, tritt dem hiesigen Publikum keineswegs mehr als eine völlig neue, nach Form und Inhalt zum ersten Mal dem Auge sich darbietende Schöpfung entgegen. Längst schon haben uns die Photographien des im Jahre 1881 vollendeten Bildes und die sie ergänzenden großen Einzelaufnahmen einer Reihe von Gestalten und Köpfen desselben, zu denen neuerdings noch die stattliche Radirung von Charles Waltner hinzugekommen ist, mit der Auffassung und Komposition des Werkes bekannt gemacht und uns den ungewöhnlichen Eindruck begreifen lassen, den es gleichermaßen in Frankreich, England und Desterreich hervorrief. Die hohe Mei⸗ nung aber, die diese Reproduktionen erweckten, und die lebendige Vor⸗ stellung, die man nach ihnen sich zu bilden vermochte, wird doch noch weit überboten durch die geradezu unvergleichliche Wucht der male⸗ rischen Wirkung, die das Original selber ausübt, — und zwar nicht blos bei der für die Abendstunden angeordneten. die Farben wie von innen heraus durchglühenden und so den koloristischen Effekt wo mög⸗ lich noch steigernden, zugleich aber durch die spiegelnden Reflexe der oberen Partlen merklich störenden künstlichen Beleuchtung, sondern eben so auch in dem ruhigeren, geschlosseneren Tageslicht, das man nur noch voller und intensiver wünschen möchte, als der Saal des Künstlervereins es bei nicht unbedingt klarem Himmel gewährt.
Mit dem ersten Blick umfaßt das Auge des Beschauers die aus gedehnte Komposition als ein in großen Zügen sich klar und einfach gliederndes Ganzes. Eine stattliche, mächtig gewölbte Halle bildet die Scenerie des geschilderten Vorgangs. Durch einen weit sich auf— schwingenden Bogen wird von ihrer Tiefe nach rückwärts hin ein im Dunkel liegender Vorhof abgegrenzt, durch dessen säulengetragenen Eingang linker Hand die unter tiefblauem Himmel sich hindehnende Landschaft mit den in ihr aufragenden Gebäuden sichtbar wird Vorn an der Wand zur Rechten, vor einer giebelbekrönten, von Pilastern eingefaßten Halbrundnische, deren ornamentale Umrahmung sich in tiefem, grüngoldig schimmerndem Ton von dem Grau des Mauerwerks abhebt, ist der auf Stufen erhöhte Sessel angeordnet, auf welchem Pilatus in seiner weißen, rothumsäumten Toga thront, umgeben von den Vornehmsten des hohen Raths der Juden, die auf niedrigen Sche⸗ meln und auf der seitwärts als Schranke den Platz des Richters ab⸗ schließenden Bank zu seinen Füßen sitzen, während ihr Sprecher mit ausgebreiteten Händen hoch aufgerichtet dasteht und in pathetischer Rede mit der erhobenen Rechten auf den hinweist, dessen Tod man fordert. Weiter nach links, in gebührlicher Entfernung von dem Prätor und sofort als Mittelpunkt der Komposition hervortretend, steht der so Angeschuldigte in dem weißen Kleide, das Herodes ihm anlegen ließ, mit gebundenen Händen schlicht und würdig da, den aus⸗ drucksvollen Blick des im Profil gesehenen Kopfes auf Pilatus gerichtet, umdrängt von der tosend sich nachschiebenden, den ganzen Vorhof er— füllenden Volksmenge, der ein römischer Soldat, dem Beschauer den Rücken kehrend, mit quer vorgehaltener Lanze ein Halt gebietet. Klar und plastisch treten noch die vorderen Gestalten dieser Menge und mit ihnen eine hier und da über die Köpfe sich emporhebende Figur in vollerem Licht aus diesem Gewühl hervor, während der übrige Troß in dem Dunkel des mittleren Raumes verschwindet, um, eben nur noch als Masse wirkend, den Hauptgruppen des Bildes zur charakteristischen Folie zu dienen.
Der greifbaren Realität, in welcher der geschilderte Vorgang uns gegenübersteht., gesellt sich in dieser Komposition eine weit über alles gewohnte Maß hinausgehende Größe und Vornehmheit der gesammten Malerei und eine nicht minder erstaunliche Kraft lebendig charakteri⸗ sirender Erfassung. der ganzen Scene sowohl wie der handelnd an ihr betheiligten Individuen. Bis in die Landschaft hinein, auf die man zwischen den Säulen des Vorhofs hindurchblickt, dehnt sich der weit vertiefte Raum des Ssildes wie in meßbarer Wirklichkeit vor uns aus, der hereindrängenden vielköpfigen Menge that— sächlich den Plgtz bietend, dessen sie bedarf, mn jede der Figuren festen Boden unter sich finden zu lassen. So über— zeugend wahr wie das breit hingegossene Licht, das draußen auf der Siraße liegt, so wohl motivirt erscheint dabei das Dunkel, in welches der zwischen zwei hell beleuchteten Partien eingeschlossene mittlere Plan des Bildes getaucht ist, und meisterlich steigert diese Anordnung der Lokalität die Wirkung der Gestalten des Vordergrundes. Von jenem Fond frei losgelöst und in voller körperlicher Rundung sich darstellend, sind sie zugleich die Träger der ebenso reichen und glän⸗ zenden wie bei aller Pracht doch wieder zu großer und würdiger Ein fachheit gestimmten farbigen Erscheinung des Bildes. Sie wird beherrscht durch das in breiten Maffen dem Auge entgegen— tretende Weiß, das lichte und doch tief gesättigte Blau und das warme bräunliche Roth der Gewänder, während zwischen diesen Dominanten eine Fülle fein abgestuster goldiger Töne vermittelt und
das ruhige Grau des Gemäuers und der mächtigen Wölbung das Ganze einheitlich zu sammenschließt. Bewundernswerth ist diese blühende, gesunde Kraft und Energie des Kolorits und nicht weniger die breite und meisterhaft durchbildende Behandlung des kolossalen Gemäldes, in dem jedes schmückende Detail an der rechten Stelle mitspricht, sich ebenso unbedingt aber auch der großartigen Gesammtwirkung unterordnet. Fast noch imposanter jedoch erscheint die Kunst, mit welcher die einzelnen Gestalten herausgearbeitet, die ihr Inneres bewegenden Empfin⸗ dungen und aufgeregten Leidenschaften geschildert sind. Frei von aller konventionell abflachenden Manier und nirgends an den hergebrachten schablonenhaften Apparat historischer Darstellung erinnernd, treten uns diese Figuren als in der That lebendige, ron sich und ihrer Eigenart überzeugende Individuen entgegen. So sehr sie aber die volle Wahrheit des Lebens athmen, so wenig haben sie mit jenem niedrigen Naturalismus gemein, der sich in geistloser Abschrift dessen erschöpft, was eine zufällige Bildung der Natur dem an der Oberfläche haftenden Auge bietet. Im Gegensatz zu einer Auffassung. der Wahrheit und Wirklichkeit identisch sind, ergreift der Realismus, der in Mun kacsy'sz een e einen der größten Triumphe feiert, mit seinem scharfen Blick für die
und in höherem Sinne Bedeutende, und so erhebt er die Menschen. die er schildert, indem er sie im Innern ihres Wesens erfaßt, zu tvpischer Geltung, ohne sie deshalb ihrer reichen individuellen Züge zu entkleiden.
Mit der außerordentlichen künstlerischen Gestaltungskraft, die das Bild nach dieser Seite hin bewährt, verbindet sich ein hoch ausge—⸗ bildetes Gefühl für charaktervolle Größe der Form und des Ausdrucks. Schon in den untergeordneteren Figuren, in der Behandlung der Köpfe, die hier und da aus der Menge hervortauchen und die Erregung des aufge⸗ hetzten Volkes den entflammten Fanatismus, die lauernde Spannung und Neugier, die gehässige Wuth und blöde Widerspruchssucht des Pöbels in mannigfachster Nüancirung wiederspiegeln, ist nirgends die Meisterschaft des echten Historienmalers zu verkennen. Sie wirkt geradezu imponirend, wo sie die robeste Gemeinheit schildert und das frappante Bild derselben doch dadurch künstlerisch adelt. daß sie — an sittlichem Ernst weit hinausreichend über eine Auffassung, wie sie etwa in Rochegrosse's vielbesprochenem „Vitellius' jzu Tage tritt, das Widerwaäͤrtige der wild entfesselten menschlichen Bestialitat zum Schrecklichen und Erschütternden steigert. Nicht weniger bedeutend aber entfaltet sich die Kunst des Malers in den groß angelegten Gestalten der jüdischen Würdenträger, vor Allem in dem prächtig gekleideten weißbärtigen Redner, der sich mit stolzem Pathos in die Brust wirft und in Hal⸗ tung und Geberde die Gewohnheit des Herrschens, das Bewußtsein priesterlicher Autorität unübertrefflich ausprägt, in dem breit und bequem dasitzenden fetten Alten, der mit dem Audrud befriedigter Rach⸗ sucht verächtlich auf das dem Untergang geweihte Opfer pharisäischen Hasses hinblickt, und in der echt aristokratischen Gestalt des jüngeren schwarzbärtigen Schriftgelehrten, in blauem Sammetmantel, der, halb vom Rücken geseben, das Auge scharf und forschend auf den Angeklagten gerichtet hält. Würdig gesellt sich diesen Mitgliedern des hohen Raths das Paar der beiden hageren Eiferer, die mit sprechender Miene sich über die Stufen vor dem Sessel des Prätors einander entgegenbeugen, und würdig auch die weiter zurück über die Sitzenden emporragende Figur eines der vornehmeren Zuschauer, der auf die Bank getreten ist und, gegen die Mauer gelehnt, von seinem hohen Platz aus auf dag interessante Schauspiel herabsieht. Durchweg haben wir hier Gestalten vor uns, die in ihrer inneren Wahrheit und in der Geschlossenheit der Auffassung und Komposition dem höchsten Maßstab historischer Kunst entsprechen.
Wie es natürlich ist, hat die Kritik in erster Linie sich nicht auf sie, sondern auf die Hauptfigur des Bildes gerichtet, die denn auch nicht ohne Einwand geblieben ist. Wenig aber will es bedeuten, wenn man ihr einen Widerspruch gegen das in der religiösen Malexei überlieferte Christusideal vorwirft oder inmitten des jüdischen Volkes auch von ihr den Tyvus des Juden fordert. Ganz abgesehen davon, daß jenes anscheinend feststehende Ideal doch in der Kunst der ver schledenen Perioden und Nationen einer fortdauernden Umbildung unterworfen bleibt, kann es in einer Zeit, in der die verschiedensten Auffassungen miteinander streiten, dem Künstler am wenigsten benommen sein, den Ausdruck der eigenen Weltanschauung zum Bilde zu gestalten. Was aber den verlangten jüdischen Typus betrifft, so gilt er dem allgemeinen Bewußtsein sicher so wenig als ein irgend⸗ wie wesentlicher Zug der über zeitliche und lokale Beschränkung weit hinausgehobenen Erscheinung Christi, daß eine unbefangene Betrach- tung auch in dem streng historisch angelegten Bilde hier niemals eine Inkonsequenz finden kann. Rein künstlerisch angesehen, schadet der Figur dagegen wohl das lange weiße Gewand, in das sie gehüllt ist. Ungegürtet in gleichmäßiger Masse herabfallend, die Gliede⸗ rung des Körpers kaum markirend und nach oben hin bereits unterhalb des Halses abschneidend, läßt es die Ge— stalt im Verhältniß zu dem langlockigen, von lichtbraunem Bart umrahmten Haupt vielleicht etwas klein und gedrückt erscheinen. Auch des deutlich in den Zügen sich ausprägenden kränklichen Zuges hätte es kaum bedurft, um das die ganze Erscheinung beherrschende Uebergewicht geistiger Kraft über die Schwäche des hinfälligen Leibes nachdrücklich zu accentuiren. Aber selbst mit diesem Beisatz, der ihre Bedeutung leise herabmindern mag, bleibt sie doch ein Meisterwerk einer aus tiefer innerer Anschauung hervorquellenden Charakteristik, ein unwiderstehlich überzeugendes und ergreifendes Bild des von höchster Sinnesreinheit erfüllten, von hingebender, feuriger Begeiste⸗ rung getragenen, entsagungsvoll Duldenden und in seinem Untergang triumphirenden Märtyters der Idee, den Munkgesy in dem Christus, den er schildert, erblickt und künstlerisch verherrlicht.
Will man eine Schwäche des Blldes finden, so ist sie, von Details abgesehen, die es angesichts der Gesammtwirkung kaum zu be⸗ tonen lohnt, sicher an einer anderen Stelle zu suchen. Während die redende Kunst den Vocgang in seiner ganzen Entwickelung zu schildern vermag, scheinen sich für die bildlich darstellende nur zwei Höhepunkte der Situation zu ergeben, der Augenblick, in welchem Christus eben vor Pilatus hingetreten ist und der Wortführer seiner Gegner nun die Anklage ihm und dem Prätor entgegenschleudert, und der andere, in welchem es mit den Erwägungen ein Ende hat und gegen daß Zögern des Pilatus der Sturm der Volkswuth geschlossen losbricht. In beiden Momenten concentrirt sich der ganze Inhalt des Vorgangs, erreicht die dramatische Bewegung ihre höchste Energie und ist endeaich die Möglichkeit gegeben, die Volksmenge als den mitspielenden Ghor der Tragödie unbeschadet der Nöüancirung im Einzelnen von einem gemeinsamen Zuge ergriffen zu schildern. Die Gestalten der jüdischen Priester, deren Augen auf dem verhaßten Widersacher ruhen, der halbwüchsige Bursch, der sich rechter Hand mit dem Oberkörper über die Lehne der Bank vorschiebt und dem Angeklagten frech ins Gesicht acht, der junge Mensch im blauen Kittel, der sich am lirken Rande des Bildes neugierig hervordrängt. würden ebenso an jenen ersteren Moment zu denken gestatten wie die Gestalt Christi selber, in deren aufrechter Haltung doch noch die unruhige Hast des Weges, den man ihn hierhergeschleppt hat, nachzuzittern scheint. Von der gemeinsamen Bewegung des hinter ihm herdrängenden Volks ist indeß wenig mehr zu spüren. Schon tauschen Einzelne aus der Menge bald ruhiger, bald erhitzter ihre Meinung miteinander; aus den Dunkel des Hintergrundes hebt sich in weißem Burnus der Kopf und Oberkörper eines Fanatikers hervor, der, das Schuldig“ heischend, mit der gebieterisch ausgestreckten Hand einen laut werdenden Zweifel zum Schweigen zu verweisen scheint, und deutlich zeigt es überdies die halb in sich gekehrte, halb fragend dem Vorgang zuge⸗ wandte Haltung des von dem Redner bestürmten römischen Richters, daß der Künstler einen weiter vorgeschrittenen Moment der Ver— handlung ins Auge faßte. So ist es zwar motivirt, daß die Volks⸗ menge weniger in geschlossener Aktion als in einzelnen Gruppen gelöst sich darstellt; die Wirkung des Bildes aber erleidet damit doch rielleicht eine Einbuße an der denkbar größten unmittel baren Gewalt des Eindrucks, und mehr, als es wünschenswerth wäre, sondern sich nun einzelne der untergeordneteren Figuren, zum mindestens die Köpfe der beiden in der Bank hinter dem Anklaͤger sitzenden Juden, von denen der Eine mit scharf markirenden Gesten auf den anderen einredet, zu einer für die Einheit der Handlung fast störenden Selbständigkeit ab, während andererselts für die Gestalt des Pilatus nur das gleichmäßige Verharren in schwankender Un⸗ e nr it als einziges, künstlerisch wenig ausgiebiges Motiv sich ietet.
Die bedeutsame Stellung, die dem von dem Vorgang am wenig sten berührten Römer in dem Bilde zukommt, ist ohne Frage eine der größten Schwierigkeiten, mit denen der Künstler zu kämpfen hatte. Er bemüht sich sichtlich, den Beschauer für ihn nach Möglich keit zu interessiren; aber die schwankende Haltung, die es zu charakterisiren galt, hat in diese Charakteristik selber einen schwankenden, ungewissen Zug hineingetragen, so daß die Gestalt als die am wenigsten klar heraus gearbeitete, am wenigsten in der inneren Anschauung wirklich lebendig gewordene wirkt. Und auch der rein malerischen Komposition er⸗ wuchs gerade aus ihr eine in der vollendeten Arbeit nicht völlig unbemerkt bleibende Schwierigkeit Der Mittelfigur Christi gegen⸗ übergestellt, machte der römische Beamte in seiner weiß leuchtenden Toga sie für das Gleichgewicht der malerischen Haltung noch einmal
wirkliche Erscheinung des Lebens doch in ihr gerade das Bleibende
Licht entgegen, das dort breit und voll auf das weiße Hemd des mit aufgehobenen Armen und weit aufgerissem Munde schreiend dastehen⸗ den. Burschen fällt; aber das jetzt dreimal sich hervorhebende Weiß bewirkt doch wieder, daß das Auge des Beschauers unwillkürlich hin und hergezogen wird und sich wohlthuend berubigt fühlt, wenn man den linken Theil des Gemäldes abdeckt und den Blick auf die größere rechte Hälfte beschränkt, in der auch die Linienführung und Gruppenbildung sich ungleich geschlossener und meisterhafter entfaltet. Der Nachtheil indeß, der bei der ganzen Anlage der Komposition nicht zu umgehen war, hätte sich kaum wirkungsvoller durch einen Vorzug ausgleichen lassen, als es dadurch geschieht, daß der Künstler in jener Partie das Licht gerade auf diejenige Figur concentrirt, in der ihm einer der höchsten Effekte, eine an packender Kraft kaum noch zu überbietende Charakteristik sinnloser Pöbelwuth gelungen ist. Den entschiedensten Gegensatz inneren Wesens bildet zu ihr dann endlich die einzige Gestalt, die von einer seelischen Theilnahme erfüllt ist, die jugendliche Frau mit dem auf dem Arm getragenen Kinde, die, im Mittelgrunde des Bildes dicht an der Mauer ein wenig erhöht da⸗ stehend, mit rührender Innigkeit auf das unschuldige und hoheitsvolle Opfer der Volkswuth schaut. Gewiß ist es ein mild versohnender Zug, den sie in die Komposition einfügt, und die poetische Intention, die ihm zu Grunde liegt, wird denn auch schwerlich ihre Wirkung verfehlen. Im Hin⸗ blick auf die realistische Wahrheit, in der Munkacsy's Bild wurzelt, dürfte aber doch die Frage berechtigt sein, ob das edle, zart empfin⸗ dende Weib, das uns hier gegenübersteht, sich nicht, von Schmerz ergriffen und in tiefster Seele verletzt, von diesein wüsten Tumult vielmehr geängstigt abwenden, als sich von ihm mit in die Halle des Richters reißen lassen wird, wo ein längst besiegeltes Schicksal sich erfüllen soll.
Ein Werk, wie es uns hier geboten wird, fordert zu eingehendster Betrachtung auf. Es kann nicht befremden, wenn diese uns zeigt, daß es, wie jede künstlerische Schöpfung, Vorzüge und Schwächen in
das Bild, das wie wenige andere dazu angethan ist, auch späteren . noch sich als eins der hervorragendsten Denkmäler heutiger pt darzustellen, sicher nicht weniger bewundernswerth erscheinen assen.
— Der Besuch des Salons des Vereins Berliner Künstler in der Kommandantenstraße 77/79, in welchem das Gemälde ausgestellt ist, steigert sich von Tag zu Tage. — Um den Wünschen des Publikums nachzukommen und auch Denjenigen den Besuch zu ermöglichen, welche bei Tage verhindert sind, bleibt die Ausstellung von 10 Uhr Vor⸗ mittags bis Abends 8 Uhr ununterbrochen geöffnet. — Die effektvolle Beleuchtung des Gemäldes wird durch Reflektoren von Otto Schumann bewirkt.
Nach dem „Plauenschen Sonnt. Anz.“ gewinnt außer der Spar⸗ marken⸗Einrichtung auch die von dem Ober⸗Bürgermeister Kuntze besonders empfohlene und bearbeitete einfache und für die mannichfachen Sparzwecke zu verwerthende Einrichtung der gesyerrten Sparbücher nicht nur in Sachsen, sondern auch in anderen Ländern Deutschlands immer mehr Verbreitung, und auch in Dänemark, welches ein sehr entwickeltes Sparkassenwesen hat, scheint man das⸗ selbe einführen zu wollen, da der Inspektor der dänischen Sparkassen in Kopenhagen an genannter Stelle um Mittheilung der bezüglichen Unterlagen gebeten hat.
Bei der Plauenschen Sparkasse wurden im Monat Januar d. J. in 5400 Possen Hs 1851 M 46 3 ein- und in 1695 Posten zol 109078 3 zurückgezahlt. Neue Einlagebücher wurden 673 ausgestellt; 269 Konten sind erloschen. Sparmarken wurden 21 503 Stück ver⸗ kauft und hierzu 1575 Sparkarten abgegeben. Vollbeklebte Karten sind 1018 Stück bei der Kasse eingegangen. Gesperrte Spareinlage⸗ bücher wurden 20 Stück ausgestellt, sodaß sich die Zahl derselben bis auf 270 erhöht hat.
Dem unter dem Protektorat Sr. Königlichen Hoheit des Prinzen Friedrich Tarl stehenden Verein Cypria', welcher seine 12. große Geflügelausstellung in den Tagen vom 22. bis 25. Februar d. J. in den neuerbauten Räumen des Grand Hotel, am Alexanderplatz, veranstalten wird, sind von Sr. Majestät dem Kaisfer und König die goldene Medaille, und von dem Mi—⸗ nister für Landwirthschaft, Domänen und Forsten 8 silberne und
J bronzene Staatsmedaillen zur Prämiirung des Geflügels verliehen
worden.
Der deutsche Verein sür Vogelzucht und Akklimati— sation, ‚Aegyntha', hat nach mehrjähriger Pause wieder einmal eine Ausftellung lebender Schmuck und Singvögel veranstaltet, die morgen in den ausgedehnten Räumen der ersten Etage des Hauses Friedrichstraße 173 eröffnet werden wird. Die Ausstellung wird sich thren 5 Vorfängerinnen würdig anschließen. Die nach der Straße zu belegenen Räume sind den Gxoten eingeräumt, die diesmal ganz besonders reich und in trefflichen Exemplaren vertreten sein werden. Die zweite Abtheilung, nach dem Seitenflügel zu sich aus dehnend⸗ ift den einheimischen Vögeln gewidmet. Auch diese Abtheilung, die circa 305 Nummern umfaßt, ist eben so reich wie vielseitig beschickt worden.
Im Wallner-Theater gelangt am Sonnabend eine Reihe von (inattigen Stücken zur ersten Aufführung, nämlich eine Plauderei von Mar Bernstein: ‚Mein neuer Hut“, ein Lustspiel von C. L.: „Am Hochzeitsmorgen“ und ein Schwank mit Gesang von Ed. Jacob— son, mit Musik von G. Michaelis: Die kleine Schlange“. Die, Damen Carlsen, Schwarz, Meyer, Odilon sowie die Herren Kurz, l. Niedt, Alexander und Blencke sind in der Vorstellung be⸗ äftigt. Dm Run en Friedrich⸗Wilhelmstädtischen Theate erfreut sich die Operette „Die Afrikareise' von Tag zu Tage größerer Beliebtheit. Das reizende Blumenduett, der zündende Marsch des ersten Akts sowie das Tessalied „Sprechen Sie mit der Mama“ müssen allabendlich wiederholt werden, und Frl. E. Schmidt wie Hr. Wellhof werden stets durch stürmischen Beifall ausgezeichnet, der sich auch nach den Aktschlüssen regelmäßig kundgiebt. Der Be⸗ such ist ein ebenso reger wie seiner Zeit bei der Aufführung der Operette „Fatinitza“ von Supps. Walhalla Operetten⸗Theater, Hr. Richard Gense wird auf besondere Einladung des Kommissions⸗Raths Groftkopf heute aus Wien hier eintreffen, um die morgen, Freitag, stattfindende hundertste Vorstellung von „Nanon? persönlich zu dirigiren. Zu dieser Vor⸗ stellung, welche mit dem sechzigsten Geburtstage des Komponisten zu sammenfällt, wird es selbftverständlich an besonderen Ovationen für den mit einem eigenen Opperettenwerke zum ersten Male jubilirenden Meister nicht fehlen. — Wie wir übrigens erfahren, liegt es durch= aus nicht in der Absicht der Direktion, das durch den kontraktlich fällig gewordenen Aufführungstermin der Großmannschen Opperette „Der Geist des Wojewoden“ in der Blüthe seiner Zugkraft unter⸗ hrochene Opus gänzlich vom Repertoire verschwinden zu lassen. Im Gegentheil beabsichtigt Hr. Gene, noch einige launige Nova in den Text der Couplets und Lieder einzufügen, um dann sein Werk in . Gestalt auf den erfolgreich behaupteten Brettern erscheinen zu lassen.
Im Zoologischen Garten sind von der indischen Tigerin am Montag drei junge Tiger geworfen worden. Man hofft, die jungen kräftigen Thiere am Leben erhalten zu können.
Redacteur: Riedel.
Verlag der Expedition (Kessel)h. Druck: W. Elsner. Fünf Beilagen
Berlin:
auf der anderen Seite des Bildes eine aus den dunkleren Tonen hell hervorleuchtende Masse unbedingt erforderlich. Sie tritt uns in dem
(einschließlich Börsen · Beilage).
sich vereint, aber diese Erkenntniß wird uns den genialen Meister und
Erste Beilage
zum Deutschen Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preußischen Staats⸗Anzeiger.
Mn 33.
Berlin, Donnerstag, den 7. Februar
1884.
Aichtamtfliches.
Preußen. Berlin, 7. Februar. Im weiteren Verlaufe der gestrigen (425 Sitzung des Hauses der Abgeordneten wurde die zweite Berathung des Entwurss des Staatshaushaglts⸗Etats für 1884185 mit der Diskussion des Etats des Ministeriums der geist⸗ lichen 2c. Angelegenheiten (dauernde Ausgaben Kap. 121) fortgesetzt. —
Nach dem Abg. Frhrn. von Zedlitz und Neukirch ergriff der Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Dr. von Goßler das Wort: .
Die Frage, welche der letzte Herr Vorredner soeben wiederholte, kann ich bejahen. Es ist richtig, daß das Gesetz über den Schul zwang zurückgelegt worden ist angesichts der größeren Aufgabe, die uns beschäftigt, nämlich die Aufgabe, die Frage der Schulunter⸗ terhaltung gefetzlich zu lösen. Das führt mich unmittelbar über zu ren Ausführungen des Hrn. Abg. Knörcke. Ich nehme es ihm gar nicht übel und verstehe es sehr wohl, wenn er mit einer gewissen Resignation an diese Frage herantritt. Ich glauhe aber, der, welcher sich am meisten zu resigniren hat auf diesem Gebiete, ist der ver= antwortliche Unterrichts⸗Minister, der genöthigt ist, in einer Situation, die ich hier lieber nicht näher charakterisiren will, der Löfung so verschiedener und schwerer Aufgaben, wesche fich unter Umständen alle parallel bewegen, seine Kräfte zuzuwenden. Ich will in etwas — wie soll ich sagen — seine mifanthrope Stimmung zu beschwichtigen suchen, indem ich ihm wenigstens den Gesetzentwurf zeige, ich kann ihn noch nicht aus der Hand geben, er ist heute noch geheimes Meaterial, weil er dem Staats⸗Ministerium erst vorliegt, aber er ist immerhin schon eine gewisse Stufe über den guten Willen hinausgebracht. .
Die Fragen, welche der Hr. Abg. Mooren angeregt hat, führen mich wieder in die Tiefe aller derjenigen Erwägungen, welche eine Reihe von Jahren hintereinander uns hier beschaͤftitt haben. Es ist sehr schwer, daß ich, da ich niemals ahnen kann, welche Fragen im Ganzen und im Detail hier angeregt werden, fortwährend in jedem Augenblick über diese Prinzipien Alles in Bereitschaft haben und auch äußern soll. Ich kann aber versichern, daß ich die Stellung, welche ich im vorigen Jahre bei der Etats⸗ berathung und bei der dritten Berathung des Schulzwanggesetzes ein— genommen habe, auch heute noch für die richtige halte. Je mehr ich Überzeugt bin, daß zu den größten Aufgaben, die der preußische Unterrichts⸗Minister zu lösen hat, die sorgfältige Erhaltung und Weiterführung des preußischen Volksschulwesens gehört, und je häu⸗ figer ich darauf geführt worden bin, über die Mittel und Wege nach- zudenken, um jenen Aufgaben zu genügen, um so bestimmter muß ich es aussprechen, daß mit der Größe und Heftigkeit der Angriffe meine Ueberzeugung gewachsen ist, welche ich im vorigen Jahre hier aus⸗ gesprochen habe.
Finen großen Theil derjenigen Aeußerungen, welche der Hr. Abg. Mooren gemacht hat, kann man in aller Ruhe sachlich diskutiren, und ich möchte aus dieser Rücksicht bedauern, daß er einer ganzen Reihe seiner Erwägungen eine dialektische Schärfe gegeben hat, die es auch den nachfolgenden Rednern erschwert hat, in öffentliche Diskussion der angeregten Frage einzugehen.
Ich möchte aber zunächst seiner Auffassung entgegentreten, als ob in der That die preußische Volksschule ein ‚Experimentirmaterial für die wechselnden Minister‘ sei, und daß „die gegenwärtige Staats— volksschule ohne christliche Wahrheit aufwachse und vegetire?'. Meine Herren, des sind, wie ich mir schon anzudeuten erlauhte, Superlative, die für keinen Theile unseres Vaterlandes zutreffen. Ich habe persönlich einen großen Theil katholischer Volksschulen besucht, ich kenne alle Arten Schulen und ich kann versichern, aus keiner bin ich mit dem traurigen Eindruck herausgetreten, daß sie nicht mehr eine christliche Volksschule sei oder nicht mehr die christliche Wahrheit bort ihre Stätte gefunden habe. Es wird hier immer unter— stellt, als ob ein früherer Minister in feindlicher Weise dem Religionsunterricht entgegengestanden habe. Nun, meine Herren, ich glaube, man sollte doch, wenn man Christ ist, vor Allem sich der Pflicht bewußt bleiben, gegen Feinde und Gegner volle Gerechtigkeit zu üben. Jenen Unterstellungen gegenüber nehme ich hier Veranlasfung, aus dem Entwurfe eines nicht zum Abschluß ge— langten Unterrichtsgesetzes einige kleine Gesichtspuntte Ihnen mitzu— theilen. Von einem Herrn, der nicht der evangelischen Religion an— gehörte, ist zu demselben eine Erläuterung geschrieben über den Religionsunterricht in der niederen und besonders der Volksschule, — Erläuterungen, die in der That die Quintessenz dessen gaben, was die preußtsche Unterrichtsverwaltung zu allen Zeiten beim Religions⸗ unterricht gesucht und angestrebt hat. Die Erläuterungen sprechen sich dahin aus, daß der Religionsunterricht, besonders in der Volksschule, nicht ein Gegenstand neben vielen anderen Unterrichtsgegenständen sei, sondern wegen seiner Bedeu⸗ tung und feiner erziehlichen Kraft allen anderen Gegenständen voran steht. Dieser Gesichtspunkt ist in dem Gesetzentwurfe nach allen Richtungen durchgeführt und mit vollem Recht. Ich kann auch versichern, daß das Grundprinzip unseres Volksschulwesens, insofern als wir nicht Fach⸗ sondern Klassenlehrer haben, es mit Nothwendig= keit mit sich bringt, daß der Religionsunterricht im Mittelpunkte des Ganzen steht, und daß durch denselben ein volles und sicheres i n, gelegt wird. Wie wir die unterrichtlichen Aufgaben ver⸗ tehen, halten wir dafür, daß ein Volksschullehrer, wenn er überhaupt den Ramen eines Lehrers verdient, nicht anders kann, als seinen gesammien Unterricht mit seiner religiösen Ueberzeugung zu durch dringen, um der Aufgabe, seine Schuler sittlich religiös zu bilden, Genüge leisten zu können. Nicht, daß er etwa bei Allem fortwährend mit Bibelworten oder Gesangbuchversen oyxeriren foll —; aber die ganze Personlichkeit des Lehrers muß ge— tragen sein, durch die sittlich ernste religiöse Anschauung, die nach unserer Auffassung ihm allein ein Recht auf den Namen eines Lehrers giebt, und stets soll er sich der hohen Aufgabe bewußt sein, durch seine ganze Persönlichkeit sittlich fördernd zu wirken. Von diesem Standpunkt aus möchte ich noch eine Aeußerung einschränken, die, wo ich nicht irre, der Abg. Seyffarth (Liegniß) vorhin gemacht hat, daß, wenn die Kinder nicht Sittlichkeit in die Schule mitbringen, die Schule dieselbe auch nicht fördern und hineintragen kann — ja darin weichen, ich kann wohl sagen, wir alle doch etwas von dem ge⸗ nannten Herrn Vorredner ab. Wir halten dafür, daß die Vol ke⸗ schule rechnen muß mit den allertraurigsten Verhältnissen, wir haben Hunderttausende von Kindern, die kein Elternhaus haben, Hunderttaufende, denen das Elternhaus nicht nur nicht sittliche Förde⸗ rung gewährt, sondern sogar nachtheilig wirkt, und da müssen wir uns auf den Standpunkt stellen, daß wir hoffen — und es auch viel⸗ fach erreichen — daß durch das Kind ein sittlichreligiöses Element in das Haus hineingetragen werde. Aus dieser hohen idealen Auf⸗ gabe, die dem Volksschulunterricht vorschweben muß, folgere ich, daß jeder dehrer vor Allem sich selbst erziehen und eingedenk sein muß, daß seine ganze Persönlichkeit für die Kinder ein Vorbild ist. Wenn wir uns gegen⸗ wärtig halten, daß in solchen armen und zerstörten Familien Nie— mand ein Kind seinem Gott näher bringt oder ihm die Tugenden eines Christenmenschen zu üben lehrt, dann ist es in der That fast allein der Lehrer, der berufen ist, in seiner ganzen Haltung und Per-
sönlichkeit dem Kinde alles das nicht nur unterrichtlich, sondern auch vorbildlich vorzuführen, was einem solchen armen Wesen mitgegeben werden muß, um es in den Stand zu setzen, den Gefahren des Lebens zu widerstehen. Ich halte dafür — wie ich das auch bei einer anderen Gelegenheit Seminarlehrern gegenüber öffentlich ausgesprochen babe — ich halte dafür, daß wir selbst unter den ungünstigsten Umständen das Mögliche zu erreichen uns bemühen müssen. Es schien weiter die Auffassung aus den Ausfübrungen des Hrn. Abg. Mooren hervorzugeben, als ob die preußische Unterrichtsverwaltung in der Uniformirung übertreibe und absolut keinen Unterschied mache, wenn ich recht verstanden habe, zwischen Litthauen und Rheinland. Meine Herren, das absolute Gegentheil ist der Fall. Wir haben in offizielen Publikationen, die hier vorliegen — und mit denen ich glaube Ihnen einen Dienst erwiesen zu haben, indem ich Ihnen darin unser preußisches Volksschulwesen in seiner ganzen Gestaltung und Organisation vorgeführt habe — ich fage, wir haben in diesen Publikationen ganz entgegengesetzte Grundsätze aufgestellt. An gewissen oberen Zielen muß festgehalten werden, aber niemals ist an irgend einer Stelle dem Gedanken Aus—⸗ druck gegeben worden, als ob gleichviel, ob in bilinguistischen Gegen= den oder in Gegenden mit einem tüchtigen kräftigen Bauern⸗ und Fabrikarbeiterstande, dieselben Ziele unter allen Umständen erreicht werden müssen. Meine Herren, wenn man es auch wollte, man könnte es nicht, und ein solch unpädagogisches Ziel kann, wie ich glaube, die preußische Unterrichts verwaltung auch niemals verfolgen. Es ist überbaupt ein Irrthum, meine Herren, ich habe diesen Irr⸗ thum schon einmal zu widerlegen versucht, als ob die vielangegriffenen allgemeinen Bestimmungen des Jahres 1872 gleichsam wie vom Himmel gefallen wären und in einem schroffen Gegensatz zu den Regulativen von 1864 ständen. Das ist durchaus nicht der Fall, meine Herren. Das Regulativ von 1854 behandelte die ein⸗ klassige evangelische Volksschule und ließ die darüber gehenden Ziele offen. Diese Ziele sind in provinziellen, zum Theil in Regierungs⸗ bezirksverordnungen weiter organisirt worden, und man kann ohne jede Uebertreibung behaupten, daß die Vorschriften von 1872 im Wesentlichen die Quintessenz dieser einzelnen Verordnungen bilden. Das will ich zugeben, und darin begegne ich mich mit dem Hrn. Abg. Mooren, daß in der That nach der unmittelbaren Einführung der Vorschriften vom Jahre 1872 hier und da vielleicht der Gedanke ent⸗ steben konnte, als ob Dasjenige, was im Durchschnitt der ganzen Monarchie bis dahin vielleicht nicht ausreichend gepflegt war, die Kenntniß in den sogenannten Regalien, nun, weil es eben zurück gehalten worden sei, nun gewissermaßen einer verdoppelten Beachtung bedurfte, und daß in dieser Beziehung an einzelnen Stellen eine ge— wisse übermäßige Anspannung, wenn Sie wollen, Ueberspannung der Ziele eingetreten ist. Meine Herren! Das hat aber durchsus nichts Beunruhigendes. Wir dürfen wohl heute schon mit voller Zuversicht erklären, und zwar ganz unabhängig von politischen Parteiauffassungen, daß die Unterrichts verwaltung recht gethan hat, diese Uebertreibung über die normale Linie hinaus zurückzudrängen. Das baben wir gethan, zum Theil im Wege der Verffigung, aber auch durch Revisionen der Schulen, durch die Revisionen der Seminare, durch die Revisionsbescheide u. s. w. Wir sind jetzt, glaube ich, in diesem Hause der gemeinsamen Ueber⸗ zeugung, daß man der Volkeschule erst eine Grundlage geben muß, und daß erst die breite Masse der Kinder befriedigt, erzogen und gebildet werden muß, ehe man an die weitergehenden Bedürfnisse bevorzugterer Kinder herantreten kann. Der Durchschnitt unserer preußischen Volksschule muß dafür den Maßstab bilden, nicht das— jenige, was besonders glücklich organisirte Kinder bei einem geschickten Lebrer zu leisten im Stande sind. Ueber diese Punkte, meine Herren, werden wir, wie ich hoffe, uns sehr leicht vereinigen. Ich will aber von Neuem den Gedanken zurückweisen, als ob wir irgendwie auf eine unzulässige Uniformicung hinauswollten.
Daran anknüpfend ist dann der ganz schön kingende Ausspruch gethan worden, es sei ein zu kurzer Zwischenraum zwischen Schule und Kaserne, und damit weiter begründet worden der Wunsch, von den acht preußischen Schuliahren eins zu streichen. Meine Herren! Scweit ich unsere Aufgabe verstehe, komme ich aus denselben Voraussetzungen, von denen der Hr. Abg. Mooren ausgegangen ist, zu dem umgekehrten Resultat. Ich bin der Meinung, daß, wenn man — und das ist das Ziel, welches ich verfolge — daran festhält, daß das vollendete vierzehnte Jahr den Abschluß des Volks schul⸗ unterrichts bildet und unabhängig davon, ob das Kind gerade alle diejenigen Kenntnisse hat, welche man ihm gerne mitgeben möchte, — ich sage, wenn man daran festhält, daß pas abgeschlossene vierzehnte Lebensjahr den Schluß unseres Volksschulunterrichts bildet, man in der That anerkennen muß, wie gerade vom Standpunkte des Hrn. Abg. Mooren aus der Abschluß jedenfalls nicht eher eintreten důrfte. Wir haben nach der ganzen Geschichte unseres preußischen Volks— schulwesens ernstlich damit zu rechnen, daß ein Kind, wenn es. zu früh aus der Schule herauskommt, in der That nicht allein geistig für die shweren Anforderungen und Prülungen des Lebens nicht ge⸗ nügend widerstandsfähig ist, sondern auch körperlich zurückgeht. Wir haben sehr genaue Uebersichten aus der alten Zeit, wo der yreußische Schulzwang noch nicht so kräftig durchgeführt war wie jetzt, welche ergeben, daß eine ganz erstaunliche Anzahl von Kindern, die in ein— zeknen Bezirken nach Tausenden berechnet ist — in Crefeld allein gab es 3060 Kinder im schulpflichtigen Alter, die in der Textil⸗ industrie beschäftigt waren — daß, sage ich, eine erstaunliche Zabl von Kindern körperlich schwer geschädigt worden war. Es handelt sich wirklich nicht bloß darum, daß man einem falsch verstandenen öko⸗ nomischen Interesse der Eltern, vielleicht auch der Fabrikanten nachkommt, sondern es muß unter allen Umständen versucht werden, ein Kind so lange in einer geistigen und körperlichen Zucht zu erhalten, daß es, wenn es hinaustritt, nicht allzu früh umgestoßen wird von den Stürmen, denen es von allen Seiten ausgesetzt ist. Und, meine Herren, waz nun die besonders schwierigen und 6konomischen Verhältnisse der Eltern betrifft, so möchte ich nicht unterlassen, Ihnen darüber die beruhigende Mittheilung zu machen, daß Dispensationen eintreten in den Städten und auf dem platten Lande in der weitgehendsten Weise. Im Prinzip muß man aber daran festhalten, daß es gefährlich ist, Unftre heranwachsende Jugend zu früh der Zucht der Schule zu ent ziehen, namentlich diejenigen Kinder, die nicht mehr an dem elter— lichen Hause einen festen Halt besitzen.
Damit, meine Herren, habe ich die Brücke gefunden zu dem wei⸗ teren Wunsche des Herrn Abg. Mooren, die Allerhöchste Kabinets⸗ ordre von 1825 zur Ausführung zu bringen. Ich kann auch da freilich nichts Neues sagen. Es ist eine durchaus mißverständliche Auffassung, als ob die Allerhöchste Ordre von 1825 die Abficht gehabt hätte, einen übertriebenen Schulbesuch ein zuschränken und den Schulzwang herabzudrücken; im Gegentheil, die Verhältnisse in Rheinland waren derart, daß von einem regelmäßigen Schulbesuch im Anfang der zwanziger Jahre überhaupt nicht die Rede war, sondern, wie ich schon durch Anführung von Crefeld gezeigt habe, die Kinder allzu früh in das Leben hinausgestoßen wurden und nach der Auffassung der Unterrichtsbehörden körperlich und geistig, wenn auch nicht zu Grunde gingen, doch geschädigt wurden. Um diefem Mißstande abzuhelfen, hat der damalige König die Bestim= mungen des allgemeinen Landrechts in der Ordre auf die Rheinlande ausgedehnt und ausdrücklich festgesetzt, daß die Kinder regelmäßig, und zwar nach vollendetem fünften Lebensjahre, der Schule zugeführt werden sollen. Wenn es in der Nr.? heißt, ein Kind solle so lange
in der Schule bleiben, bis der geistliche Inspektor anerkannt hat, daß es die nöthigen Fähigkeiten babe, so ist damit, wie aus den Akten bervorgeht, keineswegs beabsichtigt, daß etwa vor dem vierzehnten Jahre die Kinder aus der Schule kommen sollen, sondern umgekehrt, daß ein schlecht entwickeltes Kind auch nach—⸗ her noch in der Schule zurückgehalten werden kann. Aber alle diese Fragen sind vorgesehen in dem Gesetzentwurf, der, wie ich hoffe, Ihnen demnächst vorgelegt werden wird, und werden dort ihre Be⸗ antwortung finden.
Ich bin nun noch genöthigt, auf einzelne Aeußerungen des Hrn. Abg. Zaruba einzugehen, und ich muß dabei von Neuem wiederholen: es ist mir, wenn man mir die beabsichtigten Fragen, deren Anregung beabsichtigt wird, nicht vorgängig mittheilt in der That nicht möglich, von Minute zu Minute, oder auch von einem Tage zum andern das große Material so durchzuarbeiten, daß eine erschöpfende Behandlung möglich wird; ich bin daher auch nicht im Stande, auf die gestrige Rede von ungefähr einer Stunde mit massenhaftem Detail in alle Einzelpunkte einzutreten.
Im Großen und Ganzen sind, was die Stellung der Unterrichts- rerwaltung den polnischen Wünschen gegenüber betrifft, in früheren Jahren schon in ausgiebigster Weise von, diesem Platz aus die maßgebenden Gesichtspunkte besprochen worden. Ich will anerkennen, daß Hr. Abg. Zaruba in einer mir außerordentlich sympathischen Weise seiner Ueberzeugung Ausdruck gegeben hat, daß die oberschlesischen Polen von den großpolnischen Agitationen sich mit Bewußtsein fern halten, daß sie glücklich sind, den preußischen Staats⸗ verbande anzugehören und daß ihre Wünsche auf einem ganz anderen Gebiete erwachsen sind. Ich nehme diese Aeußerung mit der größten Befriedigung, mit Dank entgegen und ich will nur wünschen, daß die Aufmerksamkeit des Hrn. Abg. Zaruba und seiner heimischen Freunde nicht erlahmt. Eine gewisse Beforgniß dieserhalb könnte ich vielleicht hegen, wenn ich die Agitationen verfolge, wie es ja meine Pflicht ist, die von anderer Seite auf die dem Hrn. Abg. Zaruba unerwünschten Ziele gerichtet werden.
Die ganze Frage nach dem oberschlesisch⸗polnischen Dialekt ist eine der schwierigsten, die es giebt. Darüber hat der Hr. Abg. Za⸗ ruba, wenn er sich auch sehr vorsichtig aussprach, keinen Zweifel ge—⸗ lassen, daß das oberschlesische Idiom eine, wenn ich so sagen darf., qualitativ beschränkte Ausdehnung hat. — qualitatir insofern, als in der That der oberschlesisch-polnische Dialekt nur für die Bedürfnisse des kleinen Mannes berechnet ist, wie sie das Leben der Arbeiter auf dem Lande, in Bergwerken und Fabriken mit sich bringt; daß aber überall da, wo es sich um höhere Begriffe handelt, man genöthigt ist, sich eines anderen Idioms zu bedienen. Es ist richtig, was Hr. Abg. Zaruba sagte, daß die oberschlesischen Polen, wenn neue Begriffe an sie heran⸗ treten, genöthigt sind, nicht aus sich heraus die Worte und Begriffe neu zu bilden, sondern sie aus einer anderen Sprache zu entnehmen; das ist, wie auch anerkannt worden, die deutsche. Das Deutsche ist es, wodurch allein die begriffliche Erweiterung des oberschlesischen Idioms gefördert wird, bekanntlich unter Anhängung von polnischen Endsilben.
Die Frage hat, so lange wir überhaupt die preußische Unterrichts⸗ verwaltung und ihre Geschichte verfolgen können, immer die Unter— tichtsbehörden und Interessenten beschäftigt. Wie soll. man den oberschlesischen Polen die Möglichkeit gewähren, aus ihren beschränkten Verhältnissen herauszutreten, wo soll die oberschlesische Sprache sich anlehnen, welches sollen die Ziele der Entwickelung sein? Hierüber haben im Laufe der Jahre die Ansichten gewechselt, leider gewechselt, und weil sie gewechselt haben, befinden wir uns heute in Zuständen, die uns nicht in allen Beziehungen befrie— digen. Bis in die vierziger Jahre hinein, bis zu dem großen Auf— schwung der polnischen Idee, die ihrem theoretischen Theil nach wesentlich den Deutschen zu verdanken ist, welche in ihrer großartigen Begeisterung keinen anderen Gedanken hatten, als die großpolnische Sprache zu fördern — ist das alte gesunde Prinzip der preußischen Unterrichtsverwaltung festgehalten worden, daß die Anlehnung sich nach deutscher Seite zu vollziehen habe. — Bis in die Mitte der vierziger Jahre, bis 1848, gab es in Oberschlesien nur ein einziges Seminar; in diesem einzigen katholischen Seminar wurde nicht ein Wort polnisch gelehrt; die unterrichtlichen Resultate der Volks⸗ schulen, obgleich damals nur ungefähr 50 ,ν aller Kinder in schuspflichtigem Alter die öffentlichen Schulen besuchten, waren dort derartige, wenn man die Akten perlustrirt, daß alle Betheiligten sehr zufrieden und glücklich waren, allmählich in den Besiz der deutschen Sprache zu kommen, weil sie sich darüber freuten, aus ihren engen Verhältnissen, aus ihrer isolirten Stellung im Staate berauszutreten. Wie gesagt, 18485 wurde das ganz anders. Zum Theil von idealen Standpunkten aus versuchte man die Sache um zudrehen, man richtete polnische Kurse in den Seminaren ein, man holte sich Lehrer aus Großvolen, und brachte es damit zu Wege, daß,
obwohl die geistlichen wie weltlichen Behörden anerkannten, daß die oberschlefische Sprache als solche zu einer weiteren Aus— bildung ungeeignet sei, sie nicht wie bisher den Anschluß nach der deufschen Seite suchten, sondern nach Großpolen hin. Es dauerte nur wenige Jahre, so traten aus den unmittelbar betheiligten Kreifen beraus die schwersten Anklagen hervor; nicht etwa Seitens der Regierungsbeamten; diese befanden sich unter dem Einfluß eines aus Großpolen importirten Regierungsschulraths; sondern unmittel- bar aus der Beoölkerung heraus erhoben sich die Klagen. Ich kann hier erinnern für die älteren Herren aus jenem Landestheile an den bezüglichen Beschluß der Land und Forstwirthe, und unsere Akten strotzen von Beschwerden der oberschlesischen Polen, welche unter allen. Umständen eine Aenderung der Verhältnisse verlangten. Ich habe hier unter andern eine solche von einem damals sehr bekannten Manne, der stolz darauf war, ein Pole und Katholik zu sein, r, welcher, obschon Katholik und slavischer Abkunft, die Förderung der Kenntniß der deutschen Sprache in jeder Hinsicht und auf das Allerentschiedenste verlangte und der Regierung den begründeten Vorwurf machte, daß die deutschen Katho⸗ liken gezwungen worden seien, ihren ganzen Religionsunterricht und ihre ganze unterrichtliche Versorgung in polnischer Sprache zu empfangen. Wir haben auch in Oberschlesien zu verzeichnen, daß, wo die Großeltern Deutsche waren, die Enkel kein Wort Deutsch mehr verstehen; wir haben große Kreise, wo auf dem platten Lande die Zahl der polnischredenden Oberschlesier erheblich zugenommen hat. Das verdanken wir den früheren irrigen Auffassungen, welche nicht allein in der Unterrichtsverwaltung, sondern in weitesten Kreisen sich gebildet hatten. Die Erfahrungen waren so traurig, daß, als die Sppelner Regierung im Jahre 1863 anfing, in der Organisation all⸗ mählich stufenweise wieder den früheren Zustand anzustreben und dem⸗ nächst im Jahre 1871572 die Revisionen stattfanden, es in der That klar wurde, daß alle Versuche, der deutschen Sprache wieder zu ihrem Rechte zu verhelfen, vergeblich geblieben waren. Wenn ich Ihnen die Protokolle, die ich darüber besitze, vorlegen wollte so würden Sie erstaunen, daß in Gegenden, wo es rl eine Menge deutscher Katholiken gegeben hatte, kaum noch ein Wort deutsch von den Schul- kindern verstanden wurde. Da ist es gewiß nichts Abenteuerliches, daß im Jahre 1873 nunmehr wieder lediglich von dem allgemeinen Gesichtspunkte aus, dem ich früher Ausdruck gegeben habe, die Re= gierung versuchte, schärfer der schwierigen Frage beizukommen und
jetzt, wo wieder allerdings in beichränkterer Weise Angriffe dagegen gemacht werden, ist es ja interessant wahrzunehmen, daß von Allen