1884 / 145 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 23 Jun 1884 18:00:01 GMT) scan diff

schieden wird, und da frage ich, bietet die Komposition der Schieds⸗ gerichte und die Kompositien des Versicherungsamtes nicht eine größere Gewähr für eine sachgemäße Entscheidung, als wie sie zu finden ist bei den ordentlichen Gerichten? Ist es nicht praktischer, die Entscheidung in die Hand von Männern zu legen, die aus dem rraktischen Leben hervorgegangen sind, die auf den Gebieten, um welche es sich dabei handelt, groß geworden sind? Verdient es nicht den Vorzug, diesen die Entscheidung zu überlassen, ihre Oöjektivität vorausgesetzt anstatt die Entscheidung an die Gerichte zu überweisen, die in sehr vielen Fällen bei ihrer Entscheidung erst angewiesen sein würden auf das sachverständige Gutachten von Männern aus der Praxis?

Meine Herren! Sie vergessen immer, daß es sich gar nicht um ein eigentlich privatrechtliches Gebiet, sondern um eine öffentlich recht⸗ liche Organisation handelt. Des civilistischen Charakters ist die Unfallversicherung nach diesem Gesetze vollständig entkleidet, und es ift darum inkonsequent, wenn Sie verlangen, daß die Streitigkeiten, die auf dicsem Gebiete bestehen, den ordentlichen Gerichten überwiesen werden sollen.

Und, meine Herren, was die Objektivität der ordentlichen Gerichte anlangt, ich dalteé Fe in allen Ebren, ich bin selber Richter gewesen, aber ich habe keinen Grund, die Objektivität einer der in der Vorlage vorgefehenen Instanzen anzuzweifeln, und sie auf eine tiefere Stufe zu stellen, als die der ordentlichen Gerichte. Ich meine, diejenigen Instanzen, die wir jetzt schaffen wollen, auch diese Instanzen werden zus folchen Elementen zusammengesetzt sein, die neben der gehörigen Portion von Sachkunde auch das nöthige Quantum von Objektivität besitzen.

Nun hat der Herr Vorredner gemeint, das Reichs Versicherungs⸗ amt sei gar nicht geeignet, die Gewähr dafür zu leisten, daß eine rafche Rächtsprechung erfolge, und es sei im höchsten Grade unprak— tisch, das Reichs-Versicherungsamt mit der zweiten Instanz zu be— faffen, weil es sich häufig dabei um lokale Recherchen, um lokale Untersuckungen handeln wird, deren Vornahme vom Centrum aus manche Inkonvenienzen habe. Außerdem werde das Reichs-Versiche⸗ rungsamt so belastet werden, daß eine rasche Judikatur nicht mög⸗ lich sei.

Dem gegenüber weise ich darauf hin, daß man das Reichs⸗Ver⸗ sicherunget amt gerade deshalb zur höchsten Instanz für diese Streitig keiten gemacht hat, weil man es für sachdienlich hält, eine Central— Instan; zu schaffen, in der alle prinzipiellen Fragen, die bei der Ent— scheidung der Streitigkeiten zwischen den Arbeitern und den Be— rufsgenossenschafts Vorständen entstehen können, concentrirt und ein— heitlich entschieden werden. Diesen Gesichtspunkt würden Sie ganz außer Acht lassen und Sie würden den Nutzen, der darin liegt, daß die prinzipiellen Fragen in einer Instanz entschieden werden, preisgeben, wenn Sie die Sache an die ordentlichen Gerichte verwiesen. Und weshalb es nicht möglich sein sollte, im Reichs ⸗Versicherungsamte alle die Streitigkeiten, die dort anhängig werden, zu erledigen, das fehe ich auch nicht ab. Es handelt sich dabei höchstens darum, daß man dem Reichs-Versicherungsamte die nöthige Anzahl, von Kräften giebt, und wenn wir auch in dieser Beziehung zunächst mit sehr bescheidenen Ansprüchen an Sie herantreten werden, so ist nicht ausgeschlossen. daß man, wenn sich unsere An— sprüche als nicht weit genug bemessen darstellen, sie erweitert und die nöthigen Kräfte erbittet, um eine schnelle und rasche Judikatur auf diesem Gebiete herbeizuführen.

Ich kann deshalb nur bitten, daß Sit bei diesem Paragraphen die Konstruktion der Vorlage aufrecht erhalten, daß Sie als Instanz über die schiedsrichterlichen Entscheidungen das Reichs ⸗Versicherungẽ⸗ amt hinstellen, daß Sie den ordentlichen Rechtsweg ausschließen. Ich zweifle gar nicht, meine Herren, daß Sie damit den Interessen der Arbeiter ebenso sehr dienen, wie Sie überhaupt die Interessen einer gedeihlichen Entwicklung des Unfallversicherungswesens fördern werden. Daß der Arbeiter von vornherein mehr Vertrauen zu den ordentlichen Gerichten haben würde als wie zu einem Gerichtshof, der zum Theil aus Leu⸗ ten seines Gleichen besteht, das, meine Herren, glaube ich Ihnen nicht, und werde ich erst die Stimmen aus den Arbeiterkreisen abwarten, ehe ich mich zu den Schlußfolgerungen bekennen kann, die Sie aus Ihrer Hvpothese ziehen. ( =

Der Abg. Dr. Frege führte aus, daß es sich hier um eine große prinzipielle Frage handle, von der seine Partei, die ja sonst wirkliche Verbesserungsanträge, welche von der linken Seite gestellt würden, annehme, nicht abgehen könne Man dürfe die Achtung vor den Schiedsgerichten nicht gefährden, denen man das höchste Maß von Verantwortung habe zu— erkennen wollen. Gerade diese Schiedsgerichte würden in der Lage sein, den Arbeitern günstigere Entscheidungen als die Gerichte herbeizuführen und der Arbeiter werde durch sie billiger und besser zu seinem Recht gelangen.

Der Abg. Eberty erklärte, er könne das Reichs⸗Versiche— rungsamt schon um deswillen nicht für eine geeignete Rekurs— instanz halten, weil die Kompetenz desselben eine allzuum⸗ fassende und ausgedehnte sei; es liege demselben die Ausfsicht über sämmtliche Berufsgenossenschaften, eine Unsumme von administrativen Entscheidungen und schließlich die Entscheidung über die Entschädigungsansprüche in letzter Instanz ob. Zu einer mit diesen Kompetenzen ausgestatteten, obenein buregu— kratisch und centralistisch organisirten Behörde könne der Ar— beiter unmöglich dasselbe Vertrauen haben, wie zu den unab— hängigen ordentlichen Gerichten.

Der Abg. Dr. Windthorst bemerkte, daß zu den Umstän⸗ den, welche die Ausschließung des Rechtsweges als angezeigt erscheinen ließen, auch der Kostenpunkt komme. Man dürfe dem Arbeiter den Rekurs nicht zu theuer machen. Uebrigens könne man jederzeit auf den Rechtsweg zurückkommen, falls mit den Schiedsgerichten und der Rekurginstanz böse Erfah— rungen gemacht würden.

Der Abg. Eysoldt erklärte, nach Maßgabe der mit den gewerblichen Schiedsgerichten, gegen deren Entscheidungen die Gewerbeordnung den Rechtsweg offen lasse, gemachten Erfah— rungen möchte er bitten, auch hier den Nechtsweg nicht abzu— schneiden Bestelle man das Reichs-Versicherungsamt zur Rekursinstanz, so werde sich daselbst auf dem Gebiete der Be— weiswürdigung alsbald eine gewisse generalisirende Richtung geltend machen, während die ordentlichen Gerichte eine indi⸗ viduelle Behandlung der einzelnen Fälle ungleich mehr ver— bürgten. Ob die Versicherung jetzt Sache des offentlichen oder des Privatrechts sei, das sei den Arbeitern, die nur ihre Ent— schädigung verlangten, ganz gleich.

S. 63 wurde nach Ablehnung des Antrag Barth unver— ändert nach dem Kommissionsvorschlag angenommen; desgl. S8. 64 - 68.

8. 59 lautet nach der Regierungsvorlage, welcher sich die Kommission angeschlossen hatte:

Die Auszahlung der auf Grund dieses Gesetzes zu leistenden Entschädigungen wird auf Anweisung des Genossenschaftsvorstandes vorschußweise durch die Postverwaltungen und zwar in der Regel durch dasjenige Postamt, in dessen Bezirk der Entschädigungs— berechtigte zur Zeit des Unfalls seinen Wohnsitz hatte, bewirkt.

Verlegt der Entschäxigungsberechtigte seinen Wohnsitz, so hat er die Ueberweisung der Auszahlung der ihm zustehenden Entschädi— gung an das Postamt seines neuen Wohnorts bei dem Vorstande, von welchem die Zahlungsanweisung arlassen worden ist, zu bean⸗— tragen.

Die Abgg. Dr. Barth und Gen. beantragten, den §. 69 zu streichen.

Der Abg. Schrader bemerkte, bei der Aussichtslosigkeit, die Majoritätskoalition zu überzeugen, beschränke er sich auf

den Hinweis, daß in diesem Zahlungsmodus ein sehr erheb— licher Zuschuß des Reichs an die Großindustriellen enthalten sei. Es sei ja jetzt Sitte geworden, mit Millionen zu spielen; aber durch diese Art der Auszahlung werde doch dem Reiche eine sehr erhebliche Kostenlast aufgebürdet. Die Mitiel der Post müßten zu diesem Zweck von Jahr zu Jahr verstärkt werden; daß eine Vermehrung der Arbeit und der Arbeits— kräfte an der Centralstelle erwachse, sei bereits regierungs⸗ seitig zugestanden. Komme zudem der gewählte Zahlungs— modus für die Unfallversicherung in Anwendung, so werde derselbe für die Alters- und Invalidenversorgung ebenfalls beliebt werden. Die Auszahlung von Renten passe in die sonstigen Geschäfte der Postverwaltung absolut nicht hinein. Prinzipiell sei noch zu bedenken, daß die Auszahlung durch die Post die Arbeiter glauben machen könnte, daß die Zah— lungen direkt vom Reiche erfolgten, und dies möchte er im Interesse der Arbeitgeber nicht wünschen.

Der Abg. Richter (Hagen) bemerkte, als Mitglied der Budgetkommission möchte er doch in der That darauf auf— merksam machen, wie hier ohne jede Noth den Großindustriellen ein Zuschuß gegeben werden solle. In der Kommission sei konstatirt worden, daß das eben abgeschlossene Jahr ein Defizit von 1,9 Millionen gebracht habe und daß, während dem laufenden Jahr noch ein Ueberschuß von 15 Millionen aus 1882/83 zu Gute komme, man im nächsten Jahre diese beiden Summen, also 16,9 Millionen, anderweit, sei es durch Erhöhung der Matrikularbeiträge, sei es durch neue Steuern, zu decken habe. Die Annahme des §. 69 bedeute eine weitere Verschlechterung der Finanzen um eine Million Mark. Das Centrum habe doch bisher einige Rücksicht auf die Steuer— zahler genommen; und da es möglich sei, auch ohne den 8. 69 das Gesetz anzunehmen, so möchte er dem Centrum ganz besonders den Antrag Barth empfehlen. Die Annahme des Paragraphen bedeuté die Aufnahme einer Anleihe bis zu 30 Millionen zum Besten der Großindustriellen auf Kosten der Steuerzahler im Reiche; und daß dieser Vorgang Nach— folge haben werde, habe schon der Vorredner richtig angeführt. Während bis jetzt das Bestreben dahin gegangen sei, alle Portobefreiungen und Portoermäßigungen aufzuheben, solle hier völlig umgekehrt die unentgeltliche Bestellung in ganz unverhältnißmäßig weitem Umfange eingeführt werden.

Hierauf entgegnete der Staats⸗Minister von Boetticher:

Ja, meine Herren, wenn man sich auf den Standpunkt des Hrn. Abg. Richter stellen will und einfach sagen, es wird hier eine Last dem Reiche aufgebürdet, die dem Reiche nicht zukommt, dann aller— dings kann man vielleicht bedenklich werden in der Annahme der Be— stimmung, die uns jetzt hier beschäftigt. Aber, meine Herren, erstens beruht diese uns beschäftigende Bestimmung doch auf sebr gesunden praktischen Erwägungen, und zweitens frage ich: weshalb soll das Reich, das eine große sozialpolitische Maßregel unternimmt, weshalb soll das Reich nicht auch aus eigener Tasche zu dieser sozialpolitischen Maßregel um der guten Witkungen willen, die sie haben wird, etwas beitragen? Meine Herren, man sagt ich lasse dahingestellt, für welchen Zeitpunkt diese Rechnung richtig ist, daß es ein Beitrag sei im Betrage von 1 Million, den das Reich leisten solle zu Gunsten der Großindustriellen. Ih bestreite, daß dieser Beitrag zu Gunsten der Großindustriellen geleistet wird, und ich bestreite, daß dieser Beitrag schon im ersten, ja auch in den folgenden Jahren 1 Million betragen wird; er wird vielmehr erst dann, wenn der Beharrungszustand ein— tritt, also nach Dezennien, so hoch beziffert werden können. Aber, meine Herren, handelt es sich denn hier um eine Maßregel, die blos die Großindustriellen angeht? Haben mir nicht auch eine ganze An— zahl von kleinen Betrieben, und werden wir nicht in weiterer Aus— dehnung der Unfallversicherung auch bis auf die kleinsten Betriebe kommen, die Nutzen von dieser Maßregel ziehen? Wie kann man da behaupten, daß das ein Geschenk sei an die Geoßindustriellen? Und, meine 6 . auf der andern Seite erwägen Sie doch, daß durch die gesetzgeberische Maßregel, die Sie jetzt beschließen wollen, sämmtliche Kommunen des Reichs in der Armenpflege erleichtert werden, daß die weiteren Armenverbände in ihrer Fürsorge für die Verunglückten ent— lastet werden; und dafür ein Opfer zu briagen von Seiten degs Reichs, und noch dazu ein Opfer, welches sich ledig⸗ lich in einem Zinsverluste und in einer untergeordneten Belastung einiger Beamtenkräfte darstellt, das sollte wirklich zu viel sein? Und selbst wenn die Konsequenzen, was ich nimmermehr zugebe, dahin führen sollten, daß im Fortgange unserer sozialpolitischen Gesetzgebung alle Leistungen, die eiwa auf Grund der späteren Gesetze zu machen wären, durch die Post vermittelt werden müßten, selbst wenn das der Fall wäre, wogegen wir uns ja doch immer noch wahren können, wenn wir es für irrationell finden, so sage ich auch da: macht man eine große sozialpolitische Gesetzgebung, die den Frieden und das Heil des Reichs fördern soll, dann soll man auch dem Reiche zumuthen dürfen, daß es einen klei— nen materiellen Beitrag zu dieser Gesetzgebung leistet. Und von diesem Gesichtspunkte aus, meine Herren, glaube ich, kann sich Jeder, der darüber mit zu votiren bat, beruhigen, wenn das Geseß jetzt in Aussicht nimmt, daß die Zahlung durch die Post vermittelt wird.

Der Abg. Richter (Hagen) betonte, daß das Reich keine eigene Tasche habe, sondern in die Taschen der Steuerzahler greifen müsse. An Steuern habe man aber gerade genuz. Die Rechte wolle Zufriedenheit stiften, aber stifte Unzufrieden: heit durch fortgesetzte Erhöhung der Steuern. Deutschland sei auf dem besten Wege zu einem finanziellen Krach. Dabei sei dieser Beitrag gar nicht nothwendig, derselbe hange mit der Organisation dieses Gesetzes gar nicht zusammen. Der Haupt— vortheil komme doch der Großindustrie zu Statten, denn sie würde sonst etwas mehr an Beiträgen für die Berufsgenossen— schaften zahlen müssen.

Der Referent Abg. Dr. Freiherr von Hertling sprach sich gegen den Antrag Barth aus. Mit der einfachen Streichung des 8. 69 sei es nicht gethan, und anderweite positive Anträge seien nicht gestellt, in deren Berathung das Haus eintreten könnte. Die vorgebrachten Bedenken seien nicht so schwer, und selbst das Bedenken, daß durch die Auszahlung Seitens der Post der Glaube erweckt werden könnte, als leiste das Reich selbst die Entschädigungen, könne bei der ganzen Organisation des Gesetzes nicht in Betracht kommen.

S. 69 wurde unverändert nach Ablehnung des Antrages Barth angenommen, ebenso wurden die 88. 70 865 ohne er— hebliche Debatte nach dem Kommissionsbeschlusse genehmigt.

F. 87 lautet nach der Fassung der Kommission:

Die Genossenschaften unterliegen in Bezug auf die Befolgung dieses Gesetzes der Beaufsi btigung des Reichs- Versicherungsamts.

Das Reichs-Versicherungsamt hat seinen Sitz in Berlin. Es besteht aus mindestens drei ständigen Mitgliedern, einschließlich des Vorsitzenden, und aus acht nichtstäͤndigen Mitgliedern.

Der Vorsitzende und die übrigen ständigen Mitglieder werden auf Vorschlag des Bundesraths vom Kaiser auf Lebenszeit ernannt. Von den nichtständigen Mitgliedern werden vier vom Bundesrathe aus seiner Mitte, und je zwei mittelst schriftlicher Abstimmung von den Genossenschaftsvorständen und von den Vertretern der ver sicherten Arbeiter (5. 41) aus ihrer Mitte in getrennter Wahl handlung unter Leitung des Reichs ⸗Versicherungsamts gewählt. Die Wahl erfolgt nach relativer Stimmenmehrheit; bei Stimmen gleichbeit entscheidet das Loos. Die Amtsdauer der nichtständigen Mitglieder währt vier Jahre. Das Stimmenverhältniß der ein— zelnen Wahlkörper bei der Wahl der nichtständigen Mitglieder be—

stimmt der Bundesrath unter Berücksichtijung der Zahl der ver sicherten Personen.

Für jedes durch die Genossenschaftsvorstände sowie durch die Vertreter der Arbeiter gewählte Mitglied sind ein erster und ein zweiter Stellvertreter zu wäblen, welche dasselbe in Behinderungs⸗ fällen zu vertreten haben. Scheidet ein solches Mitglied während der Wablperiode aus, so haben für den Rest derselben die Stell« vertreter in der Reihenfolge ihrer Wahl als Mitglied einzutreten.

Die übrigen Beamten des Reichs ⸗Versicherungsamts werden vom Reichskanzler ernannt. . n ö

Der Abg. Eberty machte darauf aufmerksam, daß die zahlreichen Befugnisse, welche das Reichs-Versicherungsamt in sich vereinige, den besten Beweis lieferten, daß die Genossen— schaften keine freie Selbstverwaltung hätten, wie hier mehrfach gesagt worden sei. Ueberall, in der Bildung und Veränderung der Genossenschaften, hätte das Reichs-Versicherungsamt mitzu— sprechen. Dies Gesetz sei nur der bescheidene Anfang der weiteren sozialpolitischen Gesetzgebung. Was nachher aus dem Reichs-Versicherungsamte werden solle, könne man noch gar nicht ermessen. Es lägen darin die Keime der Verstaat— lichung des gesammten Versicherungswesens. Man könne wohl sagen, daß die gesammten Interessen der Industrie ihm unterstellt sein würden. Es treffe in Bezug auf die Genossen— schasten alle endgültigen Entscheidungen und übe die allgemeine Aufsicht über dieselben aus. Außerdem habe es die letzte Judikatur in Bezug auf die Urtheile der Schiedsgerichte. Einen Antrag wolle er in dieser Beziehung nicht stellen und glaube er nur hier konstatiren zu müssen, welchen Charakter diese Behörde gegenüber der gesammten erwerbenden Thätigkeit des Landes habe.

Demnächst nahm der Staats-Minister von Boetticher das Wort:

Ich theile vollständig das Bedauern des Herrn Vorredners, daß er eine Rede gebalten hat, ohne damit einen Antrag zu verknüpf Hätte er einen Antrag vorgebracht, dann würde ich in der Lage wesen sein, mit ihm Über diesen Antrag zu diskutiren, jetzt muß i mich darauf beschränken, ein Paar seiner Bemerkungen zu beleu denen in der That eine etwas starke Farbe gegeben war.

Meine Herren! Ich habe neulich schon hervorgehoben, daß rück— sichtlich der Frage der Kompetenzen des Reichsversicherungsamts zu dem Zweck, um jedes Bedenken zu beseitigen, daß es mit der Selbstverwaltung, die wir den Berufsgenossenschaften beilegen, ernst gemeint sei, ich die Her⸗ ren aufgefordert habe, Anträge auf Einschränkung der Befugnisse zu stellen, und ich habe Ihnen erklärt, wir werden jede Einschränkung acceptiren, die uns zuläfsig erscheint mit Rücksicht darauf, daß der Zweck des Gesetzes durch eine ausreichende Kontrole sicher gestellt werden muß. Ich konstatire, daß bis heute nickt die Spur eines Versuchs unter— nommen ist, rücksibtlich der Kompetenzbestimmungen eine Einschrän— kung vorjunehmen, und daß man sich auf allgemeine Deklamationen darüber beschränkt hat, daß dieses Reichs -Versicherungsamt eine sehr gefährliche Behörde um deswillen sei, weil es eine Unsumme von Kompetenzen habe. Nun, meine Herren, wenn keine von diesen Kom— petenzen angegriffen wird, dann kann ich in der Thatsache, daß diese Kompetenzen in einer gewissen Fülle rorhanden sind, noch keine Gefahr erblicken, und ich erwarte den Beweis, daß irgendeine der dem Versicherungsamt beigelegten Komretenzen die Gefahr in sich birgt, die der Herr Vorredner damit verbunden hat.

Wenn aber der Herr Vorredner meint, daß durch das Gesetz die Gesammtinteressen nicht blos der Groß, sondern auch der Klein— industrie in die Hand des Versicherungsamts gelegt seien, dann hat er doch von den Gesammtinteressen der Industrie einen sehr minimen Begriff; jedenfalls gehen sie über den Kreis der Unfallversicherung und Unfallverhütung hinaus, und hier handelt es sich in der That nur um Unfallversicherung und Unfallverhütung.

Wenn der Herr Vorredner weiter gemeint hat, die Institution des Reichs ⸗Versicherungsamts sei gegen die Prioaterwerbsthätigkeit auf dem Gebiete des Versicherungswesens gerichtet und e? werde sich sehr bald herausstellen, daß es lediglich darauf abgesehen sei. dieser Privatthäthigkeit die Nahrung zu entziehen und das ganze Versiche— rungswesen zu verstaatlichen, so ist das, meine Herren, eine so hyper bolische Redensart, wie sie kaum erfunden werden kann, und ich zweifle nicht, daß sie auch außerhalb dieses Hauses als solche erkannt werden und ihren Zweck durchaus verfehlen wird. Wo sind denn in dieser Vorlage bei den Vorschriften über die Orga— nisation des Reichs Versicherungsamts auch nur di fernten Keime eines Versuchs zu finden, das rungswesen zu verstaatlichen? Man organisirt hier Behörde, die nothwendig ist, um das AUnfallversicherungs⸗— wesen in Kontrole zu nehmen und wenn die sozialpolitische Gesetz⸗ gebung fortschreitet, so will ich das zugeben, daß man wahrscheinlich in die Hand dieses Versicherungsamts auch diejenigen Funktionen legen wird, die zur Sicherstellung der weiteren sozialpolitischen Ziele, wenn diese einen gesetzgeberischen Ausdruck gefunden haben, noth— wendig sind, aber damit die Privaterwerbsthätigkeit auf dem Gebiete

es Privat ⸗Versicherungswesens unterbinden zu nollen, dafür auch nur

einen Anhalt finden zu können, das geht in der That über mein Verständniß hinaus. So lange, wie gesagt, die Herren nicht den Versuch unternehmen, die Kompetenzen des Reichs-Versicherungsamts einzuschränken und Anträge zu hringen, die auf eine solche Ein— schränkung abzielen, solange muß ich annehmen, daß diese Komxe— tenzen richtig gefunden und richtig abgegrenzt sind.

Der Abg. Schrader bemerkte, er habe schon bei der ersten Provokation, daß die Linke Anträge stellen möchte, erklärt, daß seine Partei solche zu stellen gar nicht im Stande sei, weil bei der ganzen Organisation eine so ungeheuer weit— gehende Kompetenz des Reichs⸗Versicherungsamtes nothwendig sei. Wenn die Genossenschaften so gemacht werden sollten, wie sie hier gemacht seien, dann könnten sie nicht als freie Genossenschaften bestehen, sondern müßten der Aufsicht des Reichs Versicherungsamtes unterstehen. Eine solche Vermischung der Funktionen der richterlichen, verwaltungsrichterlichen und rein administrativen Befugnisse, wie sie bei dieser Behörde vorliege, sei noch niemals vorgekommen. Er möchte deshalb bitten, daß dem Hause Aufklärung gegeben werde, wie weit die Aufsicht des Reichskanzlers resp. des Reichsamts des Innern über diese Behörde gehe.

Der Bundeskommissar, Direktor im Reichsamt des Innern, Bosse, entgegnete, auf die Polemik des Abg. Schraser wolle er nicht weiter eingehen, da von hier aus ja bereits festgestellt sei, daß von einer Verstaatlichung des gesammten Versiche⸗ rungswesens hier nicht die Rede sei. Es sei kein Grund, den Verdacht, den der Abg. Schrader hier ausge⸗ sprochen habe, zu widerlegen. Er habe es nur damit zu thun, dem Hause eine Antwort zu geben, auf die Frage, was unter Instanzentscheidungen zu verstehen sei und in welcher Weise die Aufsicht über das demnächstige Reichs-Versicherungs= amt geregelt werden solle. Es sei von dem Abg. Schrader das Reichs-Versicherungsamt ganz richtig als eine gemischte Behörde bezeichnet worden. Es sei eine Behörde, die theils administrative, theils aber auch Aufgaben der Rechtsprechung habe. Entsprechend dieser Vereinigung verschiedener Funktio⸗ nen, wie man sie auch bei anderen Selbstverwaltungs behörden finde, die ebenfalls verwaltungsgerichtliche Aufgaben neben administrativen hätten, werde sich auch demnächst die Aussicht verschieden gestalten, und werde die Aufsicht über das Reichs⸗ Versicherungsamt einen verschiedenen Inhalt haben, einen positiven nach der Seite der administrativen Aufgaben und

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einen negativen nach der Seite der Aufgaben der Recht⸗

srrechung. Diese negative Aufgabe der Aufsichtsinstanz des Reichskanzlers oder des Reichsamtes des Innern werde darauf gerichtet sein, daß in Bezug auf die Rechtsprechung und auf pie verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen des Reichs-Ver— sicherungsamts die Aussichtsinstanz dahin zu wirken habe, daß das Versicherungsamt seine Rechtsprechung in verfassungsmäfizer Unabhängkeit auszuüben in der Lage und im Stande sein werde. Eine materielle Einwirkung auf die Art, wie die Rechtsprechung und die ver— waltungsgerichtliche Thätigkeit des Reichs⸗Versicherungsamts geübt werde, werde Niemandem zustehen. Nun müsse er aber boch bemerken, daß die Rechtsprechung, die Judikatur des Reichs-Versicherungsamts keineswegs allein in der Entschei⸗ dung auf Rekurse gegen die Eatscheidungen der Schiedsgerichte bestehe, wie vorhin der Abg. Eberty anzuführen geschienen habe, sondern es sei eine ganze Reihe derartiger verwaltungs— gerichtlicher Funktionen, die in den einzelnen Paragraphen zerstreut, dem Reichs Versicherungsamte übertragen werden. So habe es zu entscheiden über die Beschwerden in Betreff der Zugehörigkeit eines Betriebes zu einer bestimmten Ge— nossenschaft und über die Streitigkeiten, die ich daran knüpfen könnten; so habe es zu entscheiden über Beschwerden wegen Einschiebung der Betriebe in die Gefahrentarise; ferner über Beschwerden der Arbeiter wegen der ihnen zugebilligten Ent— schädigöngen und der Betriebsunternehmer wegen der Höhe der ihnen von der Genossenschast auferlegten Jahresbeiträge; ferner über Beschwerden gegen Entscheidungen der unteren Verwaltungsbehörden, durch welche die Entschädigungen für Unfalle, welche sich in nicht katastrisirten Betrieben ereigneten, abgeschätzt würden, endlich über Beschwerden in Betreff der Person der Betriebsrevisoren, sowie über Beschwerden über die Auflegung von Kosten, im Falle selbstverschuldeter Revi— sionen. Kurz, es sei eine ganze Reihe von gerichtlichen Ent— scheidungen, die dem Reichs-Versicherungsamt obliegen würden, und in dieser Beziehung werde Niemand Recht haben, in die Thätigkeit und Befugnisse des Reichs-Versicherungsamtes ein— zugreifen.

Der Abg. Eberty wies nochmals darauf hin, daß es sich nach seiner Ueberzeugung hier um die Anfänge der Verstaat⸗ lichung aller Versicherungen handle. Aus den Ausführungen des Regierungsvertreters folge in der That, daß das Reichs— Versicherungsamt kein Analogon habe, überall sei bei ähnlichen Institutionen der Rechtsweg vorbehalten; in Preußen habe man das Ober-Verwaltungsgericht, vom Patentamt könne man schließlich an das Reichsgericht rekurriren.

Demnächst nahm wiederum der Staats-Minister von Boetticher das Wort:

Ich kann, da der Herr Vorredner immer wieder auf die Absicht der Verstaatlichung zurückgekommen ist nur bitten, mir einen Para— graphen in der Konstruktion dieses Gesetzes zu bezeichnen, aus dem sich die Absicht der Verstaatlichung ableiten ließe. Ich verstehe unter „‚Verstaatlichung“ die Hineinheziehung eines Betriebszweiges in die Leitung und Verwaltung des Staates.

Hier handelt es sich nicht darum, daß der Staat das Unfall— versicherungswesen übernimmt; sondern der Staat übeweist das Un— fallversicherungswesen an die ihrer eigenen Verwaltung überlassenen Berufsgenossenschaften; es kann also auf diese Organisation der Be— griff der ‚Verstaatlichung' unter keinen Umständen angewendet wer— den, und weil er hier nicht angewandt werden kann, so kann auch daraus nicht die Besorgniß abgeleitet werden, daß nun auf diesem Wege weitere Verstaatlichungen vorgenommen werdeg, wurden; denn der Weg, den das Unfallversicherungsgesetz nimmt, führt eben nicht zur Verstaalichung.

Der Abg. Dr. Barth bemerkte, noch den früheren Aus— führungen des Staatssekretärs über die Stellung, welche die Vorlage zu den Privat-Versicherungsgesellschaften einnehme, glaube er, daß die übrigen Gebiete des Versicherungswesens mit derselben Leichtigkeit, wie hier die Unfallversicherung, ver— staatlicht werden werde,

(Während dieser Rede trat der Reichskanzler Bismarck in den Saal. . .

§. 87 wurde in der Fassung der Kommission angenom— men, ebenso wurden die §§. s8 916 ohne Debatte unver— ändert angenommen. J J

Als 8. 91e hatten die Abgg. Leuschner (Eisleben) und Genossen beantragt, folgenden Paragraphen einzuschalten:

„Unternehmer von Betrieben, welche landesgesetzlich bestehen den Knappschaftsverbänden angehören, können auf Antrag der Vor⸗ stände der letzteren nach Maßgabe der §§. 12 ff. vom Bundesrathe u Knappschafts-Berufsgenossenschaften vereinigt werden.

. Die Knappschafts⸗Berufsgenossenschaften können durch Statut bestimmen: . ; .

a. daß die Entschädigungsbeträge auch über fünfzig Prozent hinaus (8. 29) von denjenigen nen zu tragen sind, in deren Bezirken die Unfälle eingetreten sind; . .

b. daß den Knappfchafts Aeltesten die Funktionen der im 8. 41 bezeichneten Vertreter der Arbeiter übertragen werden;

, daß Rnappschafts ⸗Aelteste stim berechtigte Mitglieder des Genossenschaftsvorstandes oder, sofern die Knappschafts⸗Berufte⸗ genossenschaft in Sektionen getheilt ist, der Sektionsvorstände sind; 4. daß die Äuszahlung der Entschädigungen durch die Knapp— schaftskassen bewirkt wird (8. 69).

Der Abg. Leuschner wies auf den großen Nutzen hin, welchen die Knappschaftskassen schon gestiftet hätten, nament⸗ lich in B' zug auf die Besestigung des sozialen Friedens und die Sicherung der Pensionen. Es sei jedenfalls keine staats— erhaltende Politik, derartige bestehende und erprobte Einrich⸗ tungen zu beseitigen. Es könne sich nur um die Frage han⸗ deln, ob es möglich sei, in den Rahmen des gegenwärtigen Gesetzes auch die Knappschiftseinrichtungen hineinzubringen, ohne daß die Zwecke des Gesetzes in irgend einer Weise alte⸗ rirt würden. Das sei nach seiner Auffassung der Fall. Er

sei der Meinung, daß es empfehlenswerth sei, auch in dem Hesetz von vornherein klar und bündig auszudrücken, in welcher Weise die Knappschaftsvereine denjenigen Veryflichtun⸗ gen genügen könnten, die das Gesetz für die Unfall oersicherung vorschreibe. Dies sei nicht blos billig, es sei aber auch gerecht. Die Knappschaftsvereine im ganzen Deutschen Reich umfaßten ungefähr 350 000 Arbeiter, eher mehr als weniger. Die Knappschaftskassen hätten den Arbeitern schon seit Jahrhun= derten nicht blos Unfallversicherungen gewährt, sie hätten ihnen auch Unterstützung für die Invaliden der Arbeit zugetheilt, . stützungen für die Wittwen und Waisen, abgesehen von der Krankenunterstützung. Was die Knapyschafts vereine an Unter⸗ stützungen bei Unfällen gewährt hätten, beziffere sich auf ttwa 2 Proz, desjenigen, was das gegenwärtige Geseth fordere. Es sei gar keinem Zweifel unterworfen, daß das Plus ohne jede Schwierigkeiten ebenso gut durch Vermittelung 2 schafts vereine aufgebracht werden könne, wie ohne diesel en. Es sei ebenso wenig mit großen Schwierigkeiten verbunden, daß diese Entschaͤdigung nicht à Conto der Knapphhastãlassen gewährt werde, sondern lediglich à Conte der Arbeitgeber, Unter diesen Umständen lägen auch nach dieser Richtung keine

Fürst von

Bedenken vor, hier im vorliegenden Fall die Knappschaftskassen zu benutzen. Es sei ein ganz besonderer Vorzug, daß sie den soz alen Frieden unter den Arbeitgebern und den Arbeit⸗ nehmern zu befördern beigetragen hätten. Die Bedeutung der Knappschaftskassen gehe aus den finanziellen Ergebnisser der in Preußen bestehenden Kassen hervor. In Preußen hätten im Jahre 1882 83 Knappschaftsvereine mit 294 029 Mitgliedern, 13 021 mehr als im Jahre 1851, bestanden. Unterstützt seien von denselben 23 722 Invaliden, 26 522 Wittwen und 48493 Waisen, zusammen 98737 Personen. Die Gesammteinnahme bei den Knappschaftsvereinen habe 14750 26 S betragen; an Invaliden seien Unterstützungen gezahlt 4 644448 s, an Wittwen 2663 064 S, an Waisen 1343 006 6, zufammen an Unterstützungen aller Art 8 650 518 (S; beiläufig bemerkt 358 945 S6 mehr als 1881 oder 4332 Proz. Es empfehle sich also, an der Organisation der Knappschaftskassen sestzuhalten und sie zu benutzen. Ferner gehe man über Kurz oder Lang einer weiteren Entwickelung der sozialen Gesetz⸗ gebung mit Sicherheit entgegen. Dann werde es sich nicht blos um das handeln, was für den Unfall gewährt, sondern auch um das, was die Invaliden der Arbeit, die Wittwen und Waisen bekommen sollten. Es würde also un— praktisch erscheinen, wenn man an diesem Verwaltungsorgan ohne Noth etwas ändern wollte. Die Knappschaftsvereine hätten segensreich in jeder Beziehung gewirkt. Es sei gegen die Grundsätze einer staatserhaltenden Politik, das, was sich bewährt habe, zu zerstören. Und wenn man aus den Knapp— schaftsvereinen diese Momente herausnehme, so sei der erste Stein aus diesem Zusammenhange gelöst, und nach und nach müsse die ganze Sache zerbröck'ln. Er bite daher, seinen An— trag anzunehmen.

Der Abg. Dr. Hirsch wies darauf hin, daß Lie Knapp schaftskassen allerdings nicht nöthig hätten, ihren Mitgliedern die Pensionen zu verkürzen, weil ja die Arbeitgeber nur den betreffenden Mann aus der Arbeit zu entlassen brauchten, um ihn aller durch langjährige Kassenmitgliedschaft erworbenen Vortheile in Bezug auf die Pensionirung verlustig zu machen. Dem sozialen Frieden dienten die Knappschaftskassen auch nicht. In einzelnen Bezirken sei allerdings der Einfluß der Arbeitgeber und die Furcht vor denselben so groß, daß z. B. der Abg. Leuschner auch von den Mitgliedern der Knapp— schaftskassen gewählt sei. In Sachsen dagegen seien es die Sozialdemokraten, welche die Knappschaftsmitglieder hauptsäch— fich verträten. Es würde beinahe eine Gewissenlosigkeit sein, wenn man diesen Antrag ohne jede nähere Information an— nehmen wollte. Wenn man gegen die Gewerkoereige in dieser Weise verdächtigend vorgehe, weil sie in ihrer Unerfahrenheit bei ihrer Gründung einen Fehler begangen hätten, dann sollte man auch die viel größeren Mißbräuche, die bei den Knapp⸗ schaftskassen vorgekommen seien, rügen. Der Abg. Slötzel habe ja leider erst heute auf diese Mißstände hingewiesen, namentlich darauf, daß die Vertreter der Arbeiter in den Vor— ständen der Knappschaftskassen nicht die Arbeiter seien, sondern die Beauftragten der Arbeitgeber.

Der Abg. Dr. Hammacher betonte, daß die Hauptschwierig— keiten dieses Gesetzes in den Organisationsarbeiten lägen. Wenn nun hier durch den Antrag Leuschner vorgeschlagen werde, die für die 350 000 deutschen Bergarbeiter schon be— stehenden Organisationen auch im Interesse dieses Gesetzes zu verbinden, so sollte ein solcher Vorschlag mit Freuden be— grüßt werden. Die Vorwürfe, welche der Abg. Hirsch in Bezug auf die Mißbräuche hei den Knappschaftskassen er— hoben hahe, seien zum allergrößten Theil unbegründet,.

Der Abg. Schrader erklärte, daß er in der That über die Verhältnisse der Knappschaften nicht insormirt gewesen sei und auch glaube, daß nur wenige Mitglieder des Hauses genügende Kenntniß davon hätten, um sofort über diesen Antrag mit Sicherheit entscheiden zu können. amentlich sie sich ien diese

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möchte er die Regierung um Auskunft bitten, wie e

dieser Frage gegenüberstelle. In der Kommission sei Anträge mit großer Mehrheit zurückgewiesen worden. (Während dieser Rede verließ der Reichs ka nzler den Saal.) s 91e wurde nach dem Antrage Leuschner angenommen. Die §8. 22 95 wurden unverändert ohne Debatte ge— nehmigt. . s. 97 erhielt nach dem vom Abg. Dr. Frege unterstütz en Antrage der Abgg. Dr. Barth und Genossen folgende Fassung: Versicherungsanträge, welche von Unternehmern der unter §z. 1 fallenden Betriebe oder von den in solchen beschäftigten Per⸗ fonen gegen die Folgen der in diesem Gesetze bezeichneten Unfälle über den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes hinaus mit Versicherungsanstalten abgescklossen sind, können sowohl von den BVersicherten als den Versicherungsgesellschaften mit der Maßzabe gekündigt werden, daß die Verträge mit dem Inkrafttreten des Ge— fetzes, oder wenn die Kündigung nicht einen vollen Monat vor diesem Zeitrunkt erfolgt ist, einen vollen Monat nach au— gesprochener Kündigung erlöschen. Ist für solche Versicherungen die Prämie über den Küͤndigungstermin hinaus vorausbezahlt, so ist die Ver sicherungsgesellschaft verpflichtet, dieselbe für die noch nicht abge laufene Zeit antheilig zurückzuerstatten. .

Die Rechte und Pflichten aus solchen im ersten Absatz ge⸗ nannten Versicherungsvrrträgen, welche von keiner Seite gekündigt worden, gehen nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes auf die Be— nufsgenoffenfchaft, welcher der Betrieb angebört, über, wenn die Versicherungsunternehmer dieses bei dem Vorstande der Genossen schaft beantragen. Die der Genessenschaft hieraus erwachsenden Zahlungsverbindlichkeiten werden durch Umlage auf die Mitglieder derfelben (68. 10, 28) gedeckt. Auch nach solchem Uebergang der Verträge auf die Berufegenossensckaft steht jowohl dieser, wie der Bersicherungsgesellschaft das im ersten Absatz festgesetzte Kündigungs recht zu.

Die weiteren Paragraphen des Gesetzes wurden ohne Debatte unverändert angenommen; damit war die zweite Lesung des Un fallversicherungs-Gesetzes beendet.

Der Präsident schlug vor, die nächste Sitzung Montag, 11 Uhr, abzuhalten, und auf die Tagesordnung die zweite Lesung des Aktiengesetzes zu setzen. .

Der Abg. Richter (Hagen) bemerkte zur Geschäftsordnung: Er bitte, den zweiten Gegenstand von der Tagesordnung ab— zusetzen und andere Vorschläge zu machen, weil er glaube, daß die kurze Zeit, seit welcher der Kommissionsbericht in den Händen des Hauses sei, nicht genügend sei, sich in die Materie einzuarbeiten. Wenn sich bei Annahme seines Vorschlages der Abschluß dieser Materie noch bis zum nächsten Jahre ver⸗ zögere, so sei doch durch die Zeit der Orientirung, welche jedem Einzelnen dadurch gegeben werde, dem vorgebeugt, daß gleich nach der Einführung des Gesetzes wieder Beschwerde einlaufe. . .

Der Abg. Frhr. von und zu Aufseß erklärte, nachdem das Gesetz dem Hause schon so lange vorgelegen habe, und nachdem

auch die Kommissionsberathungen zu Ende geführt seien, sei es

nach seiner Ansicht nicht rathsam, den Abschluß desselben noch weiter hinauszuschieben. Bedenke man doch auch nur, in welch kurzer Zeit das jetzt gültige Gesetz gemacht sei. Dasselbe sei am 12. Mai 1870 vorgelegt und am 24. Mai sei es an⸗ genommen.

Der Präsident bemerkte, daß der Kommissiensbericht seit Dienstag in den Händen der Abgeordneten sei.

Der Abg. Richter (Hagen) betonte, als das jetzt gültige Gesetz gemacht sei, habe eine ähnliche Stimmung wie jetzt geherrscht. Gerade die Erjahrungen von damals aber warnten ihn, eine Wiederholung jener Vorgänge gut zu heißen. Er möchte bezweifeln, daß außer den Kommissionsmitzgliedern und einem geringen Theile des hohen Hauses alle Mitglieder d artig mit der Materie vertraut seien, wie es nöthig sei, ein Urtheil in einer so wichtigen Sache abzugeben,

Der Abg. von Benda erklärte, wenn der Antrag des Abg. Richter den Zweck verfolge, daß das Gesetz überhaupt in dieser Session nicht mehr zu Stande kommen solle, so konstatire er, daß in der Konferenz des Seniorenkonvents die Vertreter aller Parteien mit Auznahme der des Aba. Richter mit Rücksicht auf die Arbeit der Kommission der Meinung gewesen seien, daß dies Gesetz nicht unerledigt bleiben dürfe.

Der Abg. Lipke bemerkte, er gehöre ebenfalls zur Kom— nission, habe aber gegen die meisten Beschlüsse derselben ge— stimmt und sei der Meinung, daß es kein Unglück wäre, wenn das Gesetz jetzt noch nicht zu Stande käme.

Der Abg. Richter (Hagen) erklärte, wenn der Prä—

sident nicht darum ersucht hätte, in den öffentlichen Verhand— lungen in keiner Weise auf die Konferen; des Senioren-Kon— vents Bezug zu nehmen, so würde er da auch noch manches sagen können. Die Erklärung, die er heute abgegeben habe, habe er sich vorbehalten. Der Vize-Präsident Frhr. von und zu Franckenstein kon⸗ statirte, daß der Präsident von Levetzow im Seniorenkonvent nicht gesagt habe, man solle Verhandlungen nicht im Plenum, sondern man solle sie nicht in der Presse veröffentlichen.

Der Abg. Dr. Windthorst erklärte, wenn er nicht wüßte, daß die große Majorität durchaus das Gesetz j tzt fertig machen wolle, so würde er meinen, daß diese wichtige Materie nicht noch in den letzten Tagen der Session berathen werden sollte, solche Gesetze dürften nicht übereilt werden, es handele sich um wichtige juristische Fragen, er meine in Bezug auf das Gesetz: nonum prematur in annum! Es sei ein großer Fehler, wenn der Präsident das Aktiengesetz zwischen die zweite und dritte Berathung des Unfallgesetzes schiebe. Er wolle nicht erzählen, wie viel Hüte er draußen heute gezählt habe. Glaube man denn, daß, wenn man das Haus in der nächsten Woche noch zwei bis drei Tage mit juristischen Spitzfindigkeiten über das Aktiengesetz unterhalten habe, man dann noch ein beschlußfähiges Haus für die dritte Berathung des Unkall— gesetzes haben werde?

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Er meine, daß diese Methode das Un— fallgesetz gefährde, und daß es besser wäre, das Aktiengesetz erst nach der dritten Berathung des Unfallgesetzes zu berathen.

Der Abg. Dr. Bamberger glaubte, daß die Annahme des Gesetzes nach der gründlichen Berathung in der Kommission wahrscheinlich eine solche en bloc sein werde. Für die so schnelle Erledigung der Angelegenheit wolle er aber schon jetzt die Verantwortlichkeit von sich abwälzen.

Das Haus beschloß dem Vorschlag des Präsidenten ge— mäß, die zweite Lesung des Aktiengesetzes auf die Tages ord⸗ nung für Montag zu setzen.

Hierauf vertaste sich das Montag 11 Uhr.

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