Der Abg. Bebel legte dar, wie nach seiner Auffassung eine Wiederbelebung der alten Innungen mit Hülfe von derartigen Privileglen bei dem heutigen Zustande der kapitalistischen Entwicklung, unter den Bedingungen der modernen Technik, ein Ding der Unmöglichkeit fei. Redner führte aus, wie die ganze gegenwärtige Organi⸗ sation des Fabrik⸗ und Maschinenbetriebes den Zielen des Antrages aufs Aeußerste widerstrebe, und wie schon nach wenigen Jahren der Handwerkerstand zu der Einsicht kommen werde, daß auf dem von seinen jetzigen angeblichen Freunden angedeuteten Wege das Heil auch nicht zu finden sei. Aller⸗ dings habe sich ein großer Theil der kleinen Handwerks⸗ meistet im Vertrauen auf diese Versprechungen den Reaktionaren in die Arme geworfen, und um dieselben, die sich wie die meisten Menschen nicht durch schöne Theorien, sondern erst durch die nackte Wirklichkeit belehren ließen, gründlich zu kuriren, wäre die Annahme des Antrages vielleicht das passendste Mittel. Seien fie aber zur Erkenntniß gekommen, dann würden die Sozial— demokraten das Feld behalten. .
Der Abg. Br. Reichensperger (Crefeld) wandte sich gegen die Ausführungen der Abgg. Br. Bamberger, Dr. Blum und Bebel und empfahl dem Hause die Annahme des Antrages.
Bei Schluß des Blattes sprach der Abg. Walter.
— Beim Beginn der diesjährigen Reisezeit hat der Minister der öffentlichen Arbeiten unterm 16. d. M. Ver—⸗ anlaffung genommen, die hierunter abgedruckten Erlasse, betreffend das Verhalten des Dienstpersonals gegen das Publikum, sowie die dem letzteren bei Belsnutzung der Eisenbahnen zu gewährenden Erkeichter ungen, welche insbesondere auch für die neu verstaatlichten Bahnen gelten, in Erinnerung zu bringen.
Zugleich hat der Minister bezüglich der Auslegung und Anwendung des 8. 14 alinea 3 des Betriebsreglements auf die in dem Erlaß vom 27. Juli 1882 gutgeheißene Instruktion, betreffend das Verfahren, welches gegenüber den ohne gültige Billets im Zuge betroffenen Reisenden zu beob⸗ achten ist. Durch diese Instruktion ist insbesondere Folgendes angeordnet worden:
1). Von der Erhebung des doppelten Fahrpreises bezw. wenn dieser weniger als 6 „M beträgt, von der Erbebung des letzteren Betrages ist nicht nur dann abzufehen, wenn der Ressende gleich beim Ein- steigen, sondern auch dann, wenn derselbe beim ersten Erscheinen des Schaffners am oder im Coups sofort und unaufgefordert meldet, nicht im Besitz eines Billets zu sein. In solchem Fall ist nur der um 1 0 erhöhte Fahrpreis zu verlangen und es darf der Reisende, wenn er sich zur Jahlung desselben bereit erklärt, von der Mitfahrt nicht ausgeschlossen werden, insofern der Ausschluß nicht durch andere Gründe bedingt wird. 2 Der um 1 K erböhte Fahrpreis ist ferner zu erheben: a. wenn ein Reisender mit einem Billet einer niederen Klasse eigenmächtig in einer höheren Klasse Platz genommen hat; b. wenn ein Reisender über die seinem Billet entfprechende Ziel⸗ station hinausfährt, ohne auf der letzteren ein neues Billet für die Weiterreise gelöst zu haben, in beiden Fällen (ad a und b) voraus- gesetzt, daß der Reifende beim ersten Erscheinen des Schaffners demfelben unaufgefordert entsprechende Mittheilung gemacht hat. Ist dies nicht geschehen, so muß der Betrag eines Zusatzbillets mit 6 S0 resp. der defraudirte höhere Fahrgeldbetrag den Fällen ad 2 resp. 2d entsprechend durch Verabfolgung entsprechender Tourbillets er—⸗ hoben werden.“
Schließlich ist bestimmt, daß in Fällen, in welchen Reisende verspätet mit einer Nachbarbahn oder einem An⸗ schlußzuge ankommen und aus diesem Grunde keine Zeit zum Lösen von Billets für die Weiterfahrt mehr haben, vor Nach— erhebung des Strafgeldes von 1 M abgesehen werden soll.
Die angezogenen Bestimmungen lauten:
Berlin, den 19. November 1878.
Wiederholte Beschwerden des Publikums berechtigen zu der An— nahme, daß die bestehenden Vorschriften, nach welchen das bei den Eisenbahnen angestellte Dienstpersonal zu einem, wenn auch ent— schiedenen, so doch bescheidenen, zuvorkommenden und böflichen Be— nehmen gegen das Publikum verpflichtet ist, Seitens des ersteren nicht immer die gebührende Beachtung finden.
Ich veranlasse deshalb die Königlichen Eisenbahn ˖ Direktionen, den betreffenden Dienststellen die gedachten Bestimmungen in geeigneter Weise nachdrücklich in Erinnerung bringen und denselben bemerklich machen zu lassen, daß Verstöße gegen die bezeichneten Bestimmungen mit aller Strenge geahndet werden würden.
Berlin den 21. Dezember 1880.
Im Erlasse vom 30. Mai 1872 II. 4880 ist bestimmt, daß die Einrichtung und Benutzung von Diensteoupés in den Zügen, mit welchen Personenbeförderung stattfindet, nicht unbedingt bei allen Zügen dieser Art, sondern nur insoweit geschehen soll, als es die jeweilige Belastung der Züge gestattet, und im einzelnen Falle der Zug von mehreren Beamten gleichzeitig benutzt wird, daß ferner für die erste Wagenklasse Diensteourés nur ausnahmspweise einzurichten sind, während für die dritte Wagenklasse eventuell das Schaffner— coupé als solches zu benutzen ist.
Ich nehme Anlaß, die vorstehende Bestimmung mit der Maßgabe in Erinnerung zu bringen, daß der Regel nach einzeln reisende Beamte, insoweit nicht die Natur des Dienstgeschäfts eine Ausnahme bedingt oder den Mitreisenden eine Belästigung hieraus erwächst, ihren Platz in einem der für das Publikum bestimmten Coupés zu wählen haben, auch im Bedarfsfalle die Dienstcoupés dem reisenden Publikum bereitwillig geöffnet werden.
; Berlin, den 21. Dezember 1880.
Wiederholte Beschwerden über Belästigungen des reisenden Publikums durch ungebührliche Ueberfüllung der Eisenbahncoupés rechtfertigen die Annahme, daß bei der Placirung der Reisenden durch die Schaffner vielfach noch nicht mit der gebührenden Rücksicht verfahren wird. Zum Theil handelt es sich hierbei um verwaltungs— seitige Bestimmungen, wonach auf den Anfangsftatienen der Züge nicht sogleich sämmtliche, sondern nur erst die zunächst erforderlichen Coups geöffnet werden dürfen.
Kine derartige Bestimmung, welche überdies leicht zu einer un— zulässigen Bevorzugung einzelner Reisender Anlaß geben kann, ist, wo sie noch besteht, alsbald in Wegfall zu bringen und Anordnung zu treffen, daß schon auf der Abgangsstation stets sämmtliche Coupès, über welche nicht für besondere Zwecke schon anderweit verfügt ist, sofort geöffnet werden. Im Uebrigen ist bei der Zuweisung von
lätzen, unbeschadet nothwendiger SGinrichtungen im Interesse der
rdnung. Sicherbeit und Oekonomie des Betriebes, den Wünschen und der Bequemlichkeit des reisenden Publikums in entgegenkommend ster Weise Rechnung zu tragen, vor Allem auch die für die warme Jahreszeit angeordnete, mäßige Besetzung des Coupés — I. Klasse (in 6 Sitzen) 4 P., II. Klasse 5 P.;, III. Klasse 8 P. in Zukunft allgemein und ohne Beschränkung auf die warme Jahreszeit, so lange hinreichender Platz vorhanden, als Regel festzuhalten. mache die sorgsame und nachdrückliche Ueberwachung der Befolgung vorstehender Bestimmungen zur besonderen Pflicht.
. . Berlin. den 25. Juni 1883. Indem ich den Königlichen Eisenbahh Direktionen den Erlaß vom 21. September 1880 II. b. T. 8838 — G. V. Bl. S. 547 — be⸗ züglich der Oeffnung der Eisenbahncoupés auf den Abgangsstationen und der Anzahl der in den Coupés unterzubringenden Reisenden zur sorgfältigsten Beachtung in Erinnerung bringe, nehme ich Veran— laffung, nachstehende weitere Bestimmungen zu treffen:
1) Es kommt nicht selten vor, daß sowobl auf den Ausgangs staticnen der Zuüge, sowie auf den Zwischenstationen Personenwagen in die Züge eingeftellt werden, welche längere Zeit vorber nicht be⸗ nutzt worden und der andauernden Einwirkung der Sonnenbige aus. gesetzt gewesen sind. Die dadurch in den bisber verschlossenen Cour es entflandene beiße und dicke Luft ist für das diese Coupes demnächst benutzende Publikum nicht nur in bhobem Grade lästig, sondern ift auch geeignet, Erkrankungen der Reisenden zu veranlassen. Zur Ab— wendung dieses Uebelstandes ift daber Fürsorge zu treffen, daß die Wagendecken derartiger Personenwagen in angemessener Zeit vor ibrer Finstellung in die Züge mit kaltem Wasser begofsen und die Coupss durck Oeffnen der Thüren und Fenster gehörig gelüftet werden.
2 Die in einer großen Anzahl von Personenwagen befindlichen Waschvorrichtungen für die Reisenden befinden sich nicht immer in benutzharem und sauberem Zustande. Es ist Sorge zu tragen, daß die Waschbecken vor der Einstellung der Wagen in die Züge genügend gereinigt und die Wasserreservoirs mit frischem Wasser gefüllt werden, letzteres auch auf Zwischenstationen mit längerem Aufenthalt (3. B. bei Aufenthalten zur Einnahme einer Mittagsmahlzeit) erneuert wird.
3) Die Perrons sind bei anhaltend trockenem Wetter während des Sommers in angemessener Frist vor dem Abgang der Personen⸗ züge durch Besprengen in einen staubfreien Zustand zu versetzen.
— Der Bevollmächtigte zum Bundesrath, Fürstlich schwarzburg⸗rudolstädtische Staats⸗Minister Dr. von Bertrab ist hier angekommen.
— Der Chef der Admiralität, General-Lieutenant von Caprivi, hat sich behufs Vornahme von Inspizirungen nach Wilhelmshaven begeben.
Bayern. München, 24. Juni. (Allg. Ztg.) Die Prinzefsin Therese, Gemahlin des Prinzen Arnulj, ist heute Nachmittag 2 Uhr von einem Prinzen (dem Erst— geborenen) glücklich entbunden worden.
Hessen. Darmstadt, 23. Juni. (Köln. Ztg.) Die Zwerte Kammer ist auf den 26. ds. einberufen worden. Am 27. wird der Landtag geschlossen. Am 25. tritt der Finanzausschuß der Zweiten Kammer noch einmal zusammen.
Sachsen⸗Coburg⸗ Gotha. Gotha, 24. Juni. (Cob. Zig.) An se nem diesjährigen Geburtstage feierte der Herzog zu— gleich das funfzigjährige Jubiläum seines Eintritts in die deutsche Armee. Zur Feier dieses Tages ist Se. Hoheit durch das nachfolgende Schreiben Sr. Majestät des Kaisers beglückt worden:
„Durchlauchtigster Fürst, freundlich lieber Vetter! Ew. Hoheit kann Ich Mir nicht versagen auszusprechen, das Ich und Meine Armee des 21. dieses Monats als desjenigen Tages in lebhafter Theilnahme gedenken, an welchem vor fünfzig Jahren Ew. Hoheit Eintritt in die Armee stattgefunden hat. Der Rückblick auf diese Zeit führt so viel Beweise von Ew. Hoheit hingebendem Interesse für die militärische Entwickelung unseres Deutschen Vaterlandes und von Ihrem persönlichen Antheil an den kriegerischen Ereignissen der letztverflossenen Zeit in Meine Erinnerung zurück, daß Ich ebenso wohl Meinen dankenden und lebhaft anerkennenden Empfindungen heute gern Ausdruck verleihe, als auch Meinem warmen Wunsche, daß Mir Ew. Hoheit fre. Yschaftliche Gesinnung und Meiner Armee Ihr theilnehmendes Intereß noch recht lange erhalten bleiben möge. Empfangen Ew. Hoheit bei diesem Anlasse zugleich die Versicherung der aufrichtigen Freundschaft, womit Ich verbleibe Ew. Hoheit freund—⸗
williger Vetter Wilhelm. Ems, 19. Juni 1884.“
Oesterreich⸗ Ungarn. Wien, 22. Juni. (Prag. Abdbl.) Die österreichisch-ungarische Zollkonferenz hat ihre Berathungen zum Abschluß gebracht. Neben den Pourparlers über die binnen Kurzem bevorstehenden handels— politischen Verhandlungen mit mehreren Regierungen ge— langten auch interne Angelegenheiten, darunter die Zollbehand— lung von mittelst Briefpost einlangenden Waarenproben zur Diskussion. Der in letzter Zeit besonders häufig vorkommende Usus des Bezuges von Waarenproben aus dem Auslande mittelst der sogenannten Fünfkilo-Postpackete dürfte den Anstoß zur Ventilirung dieser Angelegenheit geboten haben. Auf Grund der Beschlüsse der Konferenz werden nun entsprechende Normen für die Zollabfertigung von derlei Sendungen er— lassen werden.
Agram, 24. Juni. (W. T. B.) Der Landtag hat heute das Budget in namentlicher Abstimmung mit 57 gegen 23 Stimmen angenommen. In der Spezialdebatte wurde der Dispositionsfonds für den Banus, dessen Bewilligung von den Mitgliedern der Opposition bekämpft und von dem Sektions— chef Stankovie befürwortet worden war, genehmigt.
Großbritannien und Irland. London, 23. Juni. (Allg. Corr. Das Kabinet hat, wie der „Observer“ er— fährk, die Hoffnung, die Vorlage zur Reform der Lon— doner Stadtverwaltung in dieser Session durchzu— bringen, thatsächlich aufgegeben. Selbst unter den günstigsten Umständen könnte die Bill nicht vor Ende Juli oder Anfang August an das Oberhaus gelangen, und dies wäre zu spät, um den Entwurf durch alle Stadien zu fördern.
Die Herren Vanderhoeven und Vanderwyk, Mitglieder der niederländischen Regierung, sind hier angekommen. Am Sonnabend pflogen dieselben eine lange Unterredung mit dem Vertreter der Niederlande am Hofe von St. James, Grafen Bylandt, über die Zustände in Atschin und die 6 zur Befreiung der englischen Mannschaft des Schiffes „Nise ro“.
Der Herzog von Cambridge erließ in seiner Eigen— schaft als Höchstkommandirender der britischen Armee einen Tagesbefehl, demzufolge die Königin geruht hat, den Offizieren und Mannschaften, welche die jüngsten Operationen in der Nähe von Suakim gegen Osman Digma mit— gemacht haben, die egyptische Medaille zu verleihen.
Die auf heute angesetzte Urtheilsfällung in dem von der Krone gegen Mr. Bradlaugh angestrengten Prozeß mußte der Erkrankung des Lord-Oberrichters wegen auf wei— tere 8 Tage verschoben werden.
— 24. Juni. (W. T. B.) Das Oberhaus hat heute die Bill zum Schutze von Mädchen gegen Verleitung zu einem unsittlichen Lebenswandel mit 101 gegen 45 Stimmen angenommen.
Im Unterhause theilte der Unterstaatssekretär, Lord Fitzmaurice, mit, daß die Regierung telegraphisch Aus—
unft über die angeblichen Cholerafälle in Toulon verlangt habe. Der Präsident des Local Government Board, Dilke, erklärte, daß die im vorigen Jahre angeordneten
Vorsichtsmaßregeln gegen die Einschleopung der Cholera noch fortbeständen. — Der Staatssekretär des Krieges, Marquis of Hartington, theilte mit, daß das Gerücht von der Niedermetzelung der Garnison von Berber noch keine Bestätigung erhalten habe. Von gestern in Suakim eingetroffenen Pilgern, welche Khartum vor 40 Tagen und Berber vor 24 Tagen verlassen hätten, werde berichtet, daß Khartum noch in den Händen der Regierung sei. Dampfer träfen daselbst ein und gingen von dort ab. Zwischen Berber und Khartum bejänden sich nur wenige Araber. — Der Premier Gladstone erwiderte auf verschiedene bezügliche Anfragen: die englische Regierung habe die Mächte über das englisch-französische Arrangement konsultirt. Die vollständigen Antworten ständen noch aus. Die Konferenz werde aber deshalb nicht verschoben werden, da sie nicht auf dieses Arrangement Bezug habe, sondern auf die egyptischen Finanzen, welche eine sofortige Behandlung erheischten. Der Premier versicherte von Neuem, daß dem Parlament in ö des Beschlusses der Konferenz volle Aktionsfreiheit eibe.
Wie verlautet, ist in der von den Führern der konser⸗ vativen Partei abgehaltenen Versammlung wegen der beabsichtigten Einbringung eines Tadelsvotums gegen die Re— gierung noch keine Entscheidung getroffen worden. Voraus— sicht lich wird noch eine andere Versammlung abgehalten werden.
Frankreich. Paris, 24. Juni. (W. T. B.). Die Deputirtenkammer beendete heute die Generaldiskussion über den Gesetzentwurf, betreffend die Revision der Ver⸗ fassung. Ein von dem Deputirten Barodet beantragtes Amendement, nach welchem die Revision eine unbeschränkte sein sollte, wurde nach einigen Bemerkungen des Minister— Präsidenten Ferry mit 3175 gegen 220 Stimmen abge— lehnt. Die weitere Berathung findet am nächsten Donnerstag statt. — Der Deputirte für Marseille, Rouvier, hatte heute die Absicht, den Handels-Minister wegen der in Toulon vorgekommenen angeblichen Cholerafälle zu befragen; der Minister wünschte jedoch, daß die Anfrage auf nächsten Donnerstag verschoben werde, weil er hoffe, bis dahin in den Besitz des Berichts des nach Toulon gesandten Dr. Brouardel gelangt zu sein.
Der Senat wählte heute Eugene Pelletan und den Admiral Peyron zu lebenslänglichen Senatoren. — Das Ehescheidungsgesetz wurde in zweiter Berathung mit 158 gegen 116 Stimmen angenommen. — Die Berathung der Interpellation des Senators Gavardie, betreffend die egyptische Angelegenheit, warde auf nächsten Freitag vertagt.
Der „Temps“ hält den von Marseille aus ver— breiteten beunruhigenden Gerüchten gegenüber die Thatsache auf⸗— recht, daß in Toulon gestern nur 5 Choleratodesfaälle vorgekommen seien; indeß seien 14 neue Erkrankungen ge— melbet. Alle hier vorliegenden Informationen berechtigen zu der Hoffnung, daß die Emwdemie lokalisirt bleiben werde. Ein Bericht des Dr. Fauvel sagt ebenfalls, daß die in Toulon aufgetretene Cholera, ähnlich den in den Londoner Docks im vorigen Jahre vorgekommenen Cholerafällen, nur eine sporadische und nur durch die ungünstigen hygienischen Verhältnisse in Toulon erzeugt sei. Es sind strenge Sicherheitsmaßregeln in Toulon ge— troffen worden. Sämmtliche dortige Landtruppen und Marine-Mannschaften sind in Feldlager vertheilt worden. Auch in Marseille und anderen Orten sind Maßregeln ergriffen worden, um eine Einschleppung der Epidemie zu verhindern. Alle Reisenden, welche aus der Gegend von Toulon kommen, werden bei ihrer Ankunft in Paris in Bezug auf ihren Ge— sundheitszustand einer Untersuchung unterworfen. — Die Gesundheitsverhältnisse in Marseille sind bis jetzt sehr gut. k erregender Fall ist von dort bisher nicht ge— meldet.
Eine dem Marine-Ministerium zugegangene De⸗ pesche aus Toulon meldet, daß seit Sonntag Abend in den Marine-Hospitälern kein weiterer Todesfall an der Cholera vorgekommen ist. — Nach weiter hier ein— gegangener amtlicher Meldung aus Toulon von heute, Nach⸗ mittags 5. Uhr, ist daselbst heute bei der Civilbevölkerung ein einziger Choleratodesfall eingetreten. Die neuen cholera— verdächtigen Erkrankungen scheinen nicht schwer zu sein.
Toulon, 24. Juni. (W. T. B.) Der als Delegirter des Handel s-Ministers hier eingetroffene Dr. Brouaxr— del ist der Ansicht, daß die hiesige Cholera nur einen sporadischen Charakter zeige. Heute sind 8 Cholera— falle im Militärhospital und 2 im Civilhospital, jedoch kein Todesfall vorgekommen. Die Bevölkerung beruhigt sich wieder.
Italien. Rom, 24. Juni. (W. T. B.) In der Depütirtenkammer wurden heute bei Schluß der General⸗ diskussion über das Budget des Innern von den Depu— tirten Nordini und Minghetti gleichlautende Tages⸗ ordnungen beantragt, in welchen gesagt wird, daß die Kammer angesichts der von dem Conseilspräsidenten in Be— antworlung der in den letzten Tagen gegen ihn gerichteten Angriffe abgegebenen Erklärungen die innere Politik der Regierung billige und zur Berathung der einzelnen Artikel des Budgets üͤbergehe. Zanardelli erklärte, daß er und feine politischen Freunde sich der Abstimmung über diese Tages⸗ ordnung enthalten würden. Die Mitglieder der Pentarchie und der äußersten Linken, namentlich Cairoli, Zanar— delli, Nicotera und Baccarini, verließen hierauf den Saal. Crispi wohnte der Sitzung nicht bei. Bei der namentlichen Abstimmung über die von Mordini beantragte Tagesordnung, mit welcher sich der Minister-Präsident Depretis ein: verstanden erklärt hatte, ergab sich, daß das Haus nicht beschluß fähig war. Morgen soll die Abstimmung wieder⸗ holt werden. — Im weiteren Verlauf der Sitzung verlangte der Deputirte Baccelli Maßregeln gegen die Cho— lera, worauf der Minister-Präsident Depretis erwiderte, daß er bereit sei, die schon bestehenden Vorsichte= maßregeln noch zu verschärfen und die hierauf bezüg lichen Besehle bereits am 23. d. M. erlassen habe. — Der Minister Genala legte einen Gesetzentwurf über eine sechs monatliche Verlängerung des am 30. d. M. ablaufenden proviso⸗ rischen Staatsbudgets für die oberitalienischen und römischen Eisenbahnen vor. —
Bei dem Strike der Schnitter in der Provinz Rovigo mußte das Militär einschreiten. Einige Personen sind hierbei verwundet worden. .
— 25. Juni. (W. T. B. Auch in den Provinzen Padua und Mantua sind Strikes von Schnittern eingetreten. Die Zahl der Strikenden beträgt gegen 10 000.
Es sind 27 Verhaftungen vorgenommen worden.
Amerika. Washington, 22. Juni. (Allg. Corr Der zur Begutachtung der Schifjahrts-Bill wer eren, Konferenz⸗Ausschuß beider Häuser des Kongresses ist . die Klausel bezuglich der „freien Schiffe“ zu streichen.
Newm⸗NMork, 21. Juni. (A. C) Der Ausschuß der republikanischen Konvention notifizirte Hrn. Blaine in Augusta, Maine, sormell seine von Seiten der Chicagoer Kon⸗ vention erfolgte Aufstellung zum Kandidaten für die Präsident— schaft. In seiner Antwort darauf sagte Blaine, daß die von der Konvention zum Ausdruck gebrachten Prinzipien seine vollkommene Billigung fänden.
— 22. Juni. (A. C) Etwa 200 der hervorragend⸗ sten Republikaner in New-Haven beriefen für heute ein Meeting ein, um ihrer Unzufriedenheit über die Nominirung Mr. Blaine's Ausdruck zu geben und sich gegen das entworfene Programm zu erklären. New-Haven ist die größte Stadt in Connecticut und eine der konservativ⸗ sten im Lande. Die se Manifestation binnen 14 Tagen nach der Nominirung läßt erkennen, wie tiefgehend die Verstim— mung in den republikanischen Kreisen is. Die Sympathien für den demokratischen Kandidaten Mr. Cleveland werden immer allgemeiner.
Afrika. Sgypten. Kairo, 21. Juni. Allg. Corr.) Das gegenwärtig in Mangabat, wenige Meilen oberhalb Assiut, stationirte 1. Bataillon des Sussex⸗Regiments erhielt den Befehl, am nächsten Dienstag nach Assugn abzu— gehen. — Depeschen aus Korosko melden, daß Major Kitchener bei dem Brunnen ron Elimah, vier Tagemärsche östlich von Korosko angelangt sei, wo er die Rebellen zu Gesicht bekam. Er sagt, daß die Khidaghi⸗-Rebellen auf Don— gola marschiren.
— 22. Juni. (A. C.) Ein weiterer gepanzerter und mit englischen Matrosen bemannter Schlepp dampf er er— hielt Befehl, auf dem Nil zwischen Assuan und Wady Halfa zu patrouilliren. — Hier eingegangene amtliche Tele—⸗ gramme erwähnen eines Gerüchts, wonach die Rebellen auf dem Marsche nach Korosko wären. — Ein Telegramm aus S uakim meldet, daß während der letzten zwei Nächte häufig Schüsse zwischen den Rebellen und den egyptischen Truppen gewechselt wurden.
Zeitungsstimmen.
Die „National-Zeitung“ äußert sich über Kolonial— politik und die Dampfer subventionen, wie folgt:
Der Reichskanzler hat in der Budgetkommission die Gesichts— punkte, von denen aus die Regierung die Fragen der Kolonialpolitik behandeln will, derart dargelegt, daß man unseres Erachtens, gleich viel, wie man sonst zu der gegenwärtigen Regierungspolitik stehen mag, nur einfach und rückhaltlos zustimmen kann. Ja, es scheint uns, daß dazu besonderer Anlaß für diejenigen vorbanden ist, welche in wirtbschaftlichen Dingen vor allen die freie Entwickelung wollen walten lafsen, in den Ergebnissen derselben die Probe auf die Richtigkeit oder Verkehrtheit eines Unternehmens erblicken. Wenn Fürst Bismarck als Grundsatz der deutschen Kolonialpolitik verkündet, daß der Besitzergreifung herrenlosen Gebietes durch Deutsche der Schutz des Reiches zu Theil werden soll, während dieses nicht direkt auf solchen Erwerb ausgehe, so können sich darüber vielleicht diejenigen Kolonialpoli⸗ tiker beklagen, welche an die auf einmal durch die Reichs gewalt erfolgende Besitznahme, an die offizielle Organisation, Verwaltung und Besiede⸗ lung großer Landstrecken in Afrika oder anderwärts denken; die un⸗ gleich zurückhaltendere Kolonialpolitik aber, welche Fürst Bismarck angedeutet hat, enthält nur eine Aufmunterung des privaten Unter nehmungsgeistes, deren Versagung jedoch, nachdem sie durch thatsäch— liche Vorgänge provozirt worden, geradezu unvereinbar mit der nationalen Ehre wäre.
Wenn in Angra Pequenna oder anderwärts ein Deutscher ein koloniales Unternehmen, sei es eine Handelsfaktorei oder eine Acker⸗ bau -⸗-Niederlassung, versucht, so handelt er wirthschaftlich auf seine eigene Rechnung und Gefahr; und es ist deshalb, beiläufig bemerkt, für Deutschland gleichgiltig, ob Angra Pequenna ein steriles Sandloch“ ift oder nicht. Aber so lange Deutsche an einem solchen Orte als Privatunternehmer Autsicht auf wirthschaft⸗ lichen Erfolg zu haben glauben, ist es die Pflicht des Reiches, sie gegen jede unberechtigte Störung durch eine fremde Macht zu schützen. Wir würden gar nicht begreifen, wie man das bezweifeln könnte. Wenn Deutschland seine Kriegeschiffe erforderlichen falls aussendet, um einem Deutschen zu seinem Rechte selbst gegen die anerkannte staatliche Autorität des Landes, in welchem er lebt, zu verhelfen, so verfteht ich der Schutz des Reiches erst recht von selbst für deutsche Interessen, welche von einem dritten Lande aus, das gar keinen Anspruch auf das Gebiet der deutschen Niederlassung besitt, bedroht werden. . . . Die geschichtliche Erfahrung wie die grundsätz liche Betrachtung lassen eine Kolonialpolitik als richtig erscheinen, deren Programm lautet: Nationaler Schutz für die private Unter nehmung.
Doch auch nationale Förderung der Privatunternehmung wird mindestens soweit angemessen sein, als sie zugleich Förderung auch des heimischen Erwerbslebens mit denjenigen Mitteln ist, deren Anwen— dung ohnebin Seitens des Staates als zulässig zu betrachten ist. Wir baben schon früher dargelegt, daß die Unterstützung überseeischer Verbindungen ebenfo gerechtfertigt ist, wie die von Eisenbahn— bauten im eigenen Lande; und hier ergiebt sich der Zu⸗ sammenhang, in welchem, wie wir anerkennen, Kolonial politik und Dampferfubvention stehen. Es kommt dabei, um aus der Proklamirung einer der Unterstützung werthen Kolonial, politik der Regierung auch einen Grund für die Zustimmung veʒiell zu der jetzt vorliegenden Forderung einer Dampfer ⸗Suhventign zu entnehmen, wenig darauf an, ob gerade die jetzt projektirten beiden Linien Gebiete berühren, in denen deutsche Ansiedelungsversuche augenblicklich in Frage stehen; diese beiden Linien sollen zunächst eine beffere deutsche Verbindung mit Ländern schaffen, in denen bereits er= hebliche deutsche Handelsinteressen vorhanden sind und die Vermehrung derselben zu hoffen ist; darin liegt die srezielle Begründung für diese beiden Linien. Wenn der Reichstag aber hier den Versuch, welcher einige Millionen Mark jährlich erheischt, nicht genehmigt, so wäre allerdings nicht abzufeben, wie er eine ähnliche Förderung kolonialen Verfuchen follte angedeihen lassen, die naturgemäß noch weniger als die Dampferverbindung mit Ostasien und Australten von vornherein eine genaue Abschaͤtzung der finanziellen Aussichten gestatten würden. Insofern scheint Uns die Auffassung des Reichskanzlers, daß in der Verweigerung der Subvention eine Entmuthigung selbst für eine sehr rorfichtige Koloniaspolitik erblickt werden müßte, ungleich begrün- deter, als es eine ähnliche Schlußfolgerung aus der Ablehnung der Samoavorlage war. ... . .
Man bat die augenblickliche Finanzlage, den ungünstigen Abschluß des vorigen Etatsjahres und dessen voraus sichtliche Wirkung auf das nächste als einen Grund fuͤr die Ablebnung der Subyentions— vorlage angeführt. Auch dies vermögen wir nicht als berechtigt an. jzuerkennen. Selbst wenn die Ursachen des Einnahme Ausfalls dauernde wären, könnte er nicht als Cinwand gegen eine Aufwendung von jährlich 4 Mill. Mark zu einem als nüßlich für die Erwerb thätigkeit des deutfchen Volkes erachteten Zwecke dienen, dann müßte auf eine dauernde Steigerung der Einnahmen. .. um 9 lebhafter gedrungen werden. Die Gründe des Einnahme-Ausfalls sind aber vorübergehende. . . .
Wir können es nicht für nüßlich halten — weder nüßlich für Reich und Volk, noch für den Liberalismus als Partei — wenn mit derartigen verzögerlichen Einwänden“, wie der von der augenblicklichen Finanzlage bergenommene, in einer Frage operirt wird, welche in den weitesten Kreisen das poli⸗ tische und das wirtbschafiliche Interesse der Berölkerung erregt. Noch weniger zulässig wäre allerdings die Verhinderung einer direkten Ent⸗ scheidung durch ein Hinzögern der Angelegenheit in der Kommission bis zum Schluß des Reichstags. Wer das Nein für nothwendig und gerechtfertigt hält, mag es aussprechen, wie dies Seitens einzelner Abgeordneter bei der ersten Lesung geschehen ist, und auch Anders denkende werden den Muth der Meinung achten; das Ausweichen vor der Entscheidung aber bringt den Eindruck bervor, als ob man das ablehnende Votum nicht zu rechtfertigen vermöchte, oder dessen Wirkung auf die Wäbler fürchtete — jedenfalls die un⸗ günstigste Position, in welche ein Abgeordneter sich versetzen kann. Gegen eine reifliche Prüfung — die sich nur nicht auf Dinge erstrecken muß, welche für die Entscheidung nicht in Betracht kommen — hat Niemand etwas einzuwenden; aber es ist nicht nothwendig, daß der Reichstag in dieser Woche geschlossen wird, so daß die reifliche Prü⸗ fung ein Hinderniß der Entscheidung wäre. Der Reichstag ist erst drei Monate versammelt, und während eines beträchtlichen Theils dieses Zeitraums hatte das Plenum Ferien.
= Der „Schwäbische Merkur enthält einen aus— sührlichen Bericht über den am 22. d. M in Ulm stattgehabten Oberschwäbischen Parteitag. Der Schluß dieses Berichts lautet: 4 R.-A. Schesold verliest die von der Delegirtenversammlung ge— faßte Reselution, die folgendermaßen lautet: ‚Die beute in Uim versammelten Bavern und Württemberger sprechen im Einverständniß mit dem Heidelberger Programm ihre freudige Zustimmung aus zu den großen Zielen der Politik unseres Kanzlers und sind entschlossen, allen Bestrebungen, welche denselben hinderlich sind, thatkräftigst entgegenzutreten.“ Die Resolution wurde einstimmig ge⸗ nehmigt. Darauf schließt Rechtsanwalt Schefold die Ver— sammlung mit dem Wunsch, daß der heutige Parteitag dazu beitragen möge, die Treue zu Kaiser und Reich zu befestigen und die Liebe zum Vaterlande zu erwärmen. — Bei der nun folgenden ge— müthlichen Vereinigung auf dem Brenner bringt Rektor Maper von Bieberach ein mit Begeisterung aufgenommenes Hoch auf den Fürsten Bismarck aus, den Mann, der in unserem Kreise immer an der Spitze genannt sein sollte, da wir ibm eine nicht zu tilgende Schuld der Dankbarkeit abzutragen haben. Prof. Metzger aus Augsburg hat sich gefreut, aus dem Heidelberger Programm ju erseben, daß endlich der Kanjler rückhaltlose Unterstützung finden solle. Nach der heutigen Versammlung könne man rufen: Kanzler zittre nicht, auch die Schwaben stehen hinter dir! Redner schließt mit der Mahnung, daß wir uns unserer rpolitischen Pflicht künftig mehr bewußt werden und trinkt auf das Wohl von Kaiser und Reich. An den Reichskanzler schickte man folgendes Te⸗ legramm ab, das der Versammlung unter derem lebbaften Beifa mitgetheilt wurde: Die heute in Um zum oberschwäbischen Tag der deutschen Partei versammelten Schwaben aus Bayern und Württem berg rufen begeistert dem Kanzler des Reichs ein einstimmiges. Mutig vorwärts auf der betretenen Bahn“ zu. Rechtsanwalt Schefold, Ulm. Bürgermeister Fischer, Augsburg. . .
— Der „Elberfelder Zeitung“ wird aus Düssel— dorf, 21. Jumi, geschrieben:
In der gestern hierselbst abgehaltenen außerordentlichen General— versammlung des Vereins zur Wahrung der gemeinsamen wirth— schafilichen Interessen in Rheinland und Westfalen wurde der unter jeichnete Vorstand durch einstimmigen Beschluß beauftragt,
dem hohen Reichstag das lebhafteste Bedauern des Vereins darüber auszusprechen, daß der Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Ver⸗ wendung von Geldmitteln aus Reichsfonds zur Errichtung und Unterhaltung von Postdampfschiffs Verbindungen mit überseeischen Ländern durch die von dem hohen Hause beschlossene Verweisung an die Budgetkommission in dieser Session möglicherweise nicht mehr zur endgültigen Verhandlung kommen dürfte, und hieran die dringende Bitte an den hohen Reichstag zu knüpfen, den in Rede stebenden Entwurf, trotz der vorerwähnten Verzögerung, noch in dieser Session und zwar durch Annahme zu erledigen. ..
RNeichstags⸗Angelegenheiten.
Die Begründung zu dem dem Reichstage vorgelegten Ent— wurf eines Gesetzes, betreffend Abänderung des Ge— setzes wegen Erhebung von Reichs ⸗Stempelabgaben, vom 1. Juli 1881, hat folgenden Wortlaut:
Die in dem Reichs-⸗Stempelabgabengesetz vom 1. Juli 1881 (R. G. Bl. S. 185) und der Nr. 4 des dazu gehörigen Tarifs ent⸗ haltenen Bestimmungen über die Besteuerung der Schlußnoten und Rechnungen haben in der Anwendung zu vielen Zweifeln Anlaß ge— geben. Die Unsicherheit ist noch dadurch vermehrt worden, daß der Erste Civilsenat des Reichsgerichts in einem Erkenntniß vom 2. Fe— bruar d. J labgedruckt in der besonderen Beilage Nr. 3 zum „Reichs- und Staats-Anzeiger vom 10. April d. J. Seite 11) der Befreiungsvorschrift 3 zur genannten Tarifnummer eine Ausle— gung gegeben hat, welche nicht allein mit Beschlüssen des Bundes raths, sondern auch mit Entscheidungen des Dritten Strafsenats des selben Gerichts vom 2. Mai und 17. Dezember v. J. (Rechtsprechung des Reichsgerichts in Strafsachen Bd. V. S. 304 u. S. 789) im Widerspruch stebt. Eine anderweite gesetzliche Regelung dieses Gegen⸗ standes erscheint daher dringend geboten. Dabei wird zugleich darauf Bedacht zu nehmen sein, aus dieser Abgabe eine höhere Einnahme als bisher zu erzielen. Der Ertrag der Steuer für Schlußnoten und Rechnungen hat in dem Reichshaushalts-Etat für 1884 85 nur auf 2784005 „ veranschlagt werden können. Eine solche Einnahme er⸗ scheint durchaus unbefriedigend und entspricht nicht den Absichten, welche der Einführung dieser Steuer zu Grunde lagen.
Nach dem vorliegenden Entwurf sind Gegenstand der Besteue⸗ rung nicht mehr, wie bisher, die etwa ausgestellten Schriftstücke (Schlußnoten und Rechnungen), sondern die Geschäfte selbst. Die Abgabe soll auch dann entrichtet werden, wenn eine Urkunde nicht ausgestellt wird, andererseits aber immer nur im einfachen Betrage zur Erbebung gelangen, auch wenn über das Geschäft mehrere Ur— kunden errichtet werden.
Der Grundsatz der Besteuerung der Urkunden hat aufgegeben verden müssen, weil nach Art. 317 des Handelsgesetzbuchs bei Han—⸗ delsgeschäften die Gültigkeit der Verträge nicht bedingt ist durch schriftliche Abfassung. Es muß Bedenken getragen werden, diese Be—⸗ stimmung, lediglich im steuerlichen Interesse, etwa dahin abzuändern, daß gewisse Handelsgeschäfte und zwar Geschäfte gerade der in Tarif⸗ nummer 4 bezeichneten Art, nur im Fall des Austausches von Schlußnoten rechtliche Gültigkeit haben sollen. Eine solche Be stimmung würde überdies unwirksam sein, weil ein Jeder, schon seines Kredits wegen, sich scheuen würde, auf die mangelnde Rechtsgültigkeit eines lediglich mündlich geschlossenen Vertrages sich zu berufen. Auch die Einführung eines Schlußnotenzwanges, unter Androhung von Strafen für Zuwiderhandlungsfälle, wurde wegen der alsdann unentbehrlichen Konkrolemaßregeln bedenklich sein. Steht es aber in dem Belieben der Betheiligten, ob Schriftstücke errichtet werden sollen oder nicht, so werden sie, falls die Errichtung von Schriststücken mit Kosten verbunden ist, um so mehr geneigt sein, es Fei der mündlichen Abrede zu belassen, wenn der Zweck der Beur— kundung in anderer Weife erreickt werden kann. .
Es wiederholt sich auch hier die bei einem Urkundenstempel so natürliche und deshalb allgemeine Erscheinung, daß in Stelle der mit einer Steuer belegten Urkunden deren andere nicht steuerpflichtige gewählt oder daß solche, wo es obne Gefährdung des Geschäfts angeht, überhaupt nicht mehr errichtet werden.
Die Erfahrung bat denn auch gezeigt, daß die Vertragschließen⸗ den, ungeachtet der Niedrigkeit der in Tarifnummer 4 des Reichẽ Stempelaesetzes vorgeschriebenen Abgaben, nach Formen suchen, bei deren Anwendung eine Steuer nicht zu erlegen ist, indem sie 3. B. anstatt des Austausches ron Schlußnoten eine gegenseitige
Vergleichung der Geschäftsbücher eintreten lassen. Im Fall einer Erhöhung der Steuer würde man voraussichtlich in noch höherem Maße kestrebt sein, die Ausstellung stemxpelxflichtiger Schlußneten und Rechnungen zu vermeiden. Ein weiterer Grund, die Steuer dem Geschäft selbst aufzuerlegen, entspringt der bekannten Thatsache, daß die Stempelsteuer von Urkunden häufig nicht sowohl von den Kontrahenten getragen, als auf Dritte abgewäljt wird, wäb— rend zu koffen stebt, daß eine Steuer vom Geschäft, wenn auch nicht immer, so doch vielfach von den Kontrahenten selbst wird getragen werden. An die Stelle der bisherigen festen Abgabensätze von 20 und 1M setzt der Entwurf eine nach dem Werth des Gegenstandes be⸗ messene Abgabe. Es widerspricht den Grundsäßen einer gerechten Be⸗ steuerung, daß Geschäfte über Gegenstände von unerheblichem Werth der nämlichen Abgabe unterliegen sollen, wie Geschafte über hohe Be⸗ träge. Muß auch anerkannt werden, daß der aus einem Geschäfte zu erwartende Gewinn nicht immer nach dem Werthe des Gegenstandes beurtheilt werden kann, so wird man doch bei einer auf den Umsatz gelegten Steuer der Gerechtigkeit am nächsten kommen, wenn man die Höhe der Steuer mit dem Werth der umzesetzten Waaren steigen läßt. Schon bei Berathung des Gesetzes vom 1. Juli 1881 war im Reickftag der Antrag gestellt worden, einen rrozentualen Stempel einzuführen; dieser Antrag wurde bei der dritten Berathung des Gesetzentwurfes in der Sitzung vom 13. Juni 1881 nur mit Stimmengleichheit abgelehnt (Stenogr. Berichte für 1381, Seite 1691). Die in dem Entwurf in Aussicht genommene on 2 10 vom Tausend oder 20 für je 1000 6 ist als eine
wie auch viele Stimmen aus dem Handelestande e ist um Vieles geringer, als diejenige Steuer, welche nach Landesgeseßen — . B. mit 3 für Hundert in Preußen — von sonstigen Kaufverträgen über bewegliche Gegenstände, oder von Pacht- und Miethverträgen erhoben wird, oder als der Wechsel⸗ stempel, der z vom Tausend beträgt, oder als die mancherlei Sxesen an Prorisionen und Courtagen ꝛ3c., welche im Handel und Wandel bei dergleichen Geschäften gezahlt zu werden rflegen. Auch für Arbitragegeschäfte kann die Abgabe nicht für zu boch erachtet werden, zumal da dieselben meistens als im Auslande mit einem Ausländer abgeschlossen nach 8. 6 des Entwurfs nur der halben Abgabe unter— liegen.
Der in dem jetzigen Gesetz enthaltene Unterschied zwischen Kassen⸗ und Zeitgeschäften ift in dem Entwurf beseitigt worden. Nach den bisherigen Erfahrungen ist es sehr schwierig, den Begriff der Zeit geschärte zutreffend festzustellen, und man kommt leicht in Gefahr, mit dem für Zeitgeschäfte festgesetzten höheren Abgabensatze nicht blos die sogenannten Differenzgeschäfte, sondern auch reelle Lieferunge— geschäfte zu treffen. Durch die vorgeschlagene prozentuale Abgabe werden die sogenannten Spielgeschäfte in der beabsichtigten Weise ohnehin und zwar schon insofern höher betroffen werden, weil es bei denselben (nominell) immer um Geschäfte über höhere Werthe sich handeln wird. —
Zu den einzelnen Paragraphen des Entwurfs wird Folgendes bemerkt:
Im §. 1 ist der Grundsatz ausgesprochen, daß die in Tarif—
nummer 4 vorgeschriebene Abgabe keine Urkunden«“, sondern eine Ge⸗ schäftssteuer ist. Die Unmöglichkeit, das Börsengeschäft als solches greifbar zu bestimmen, mußte dahin drängen, auch die außerhalb der Börse geschlossenen Geschäfte über aleichartige Gegenstände für ab gabepflichtig zu erklären. Bei Geschäften Über Effekten unterliegt diese Ausdehnung keinem Bedenken. Um indessen jeder Klage über Härten im Handel mit Waaren von vornherein vorzubeugen, sind die weiterbin zu besprechenden, sehr umfassenden Befreiungen in Aussicht genommen worden. Im S§. 6 wird zunächst, in Uebereinstimmung mit allgemeinen Grundsätzen, bestimmt, daß der in Tarifnummer 4 angeordneten Ab⸗ gabe alle im Inlande abgeschlossenen Geschäfte unterliegen. Es hat indessen für erforderlich erachtet werden müssen, auch solche im Aus lande abgeschlossene Geschäfte, bei welchen im Inlande wohnhafte Personen betheiligt sind, zu der Abgabe heranzuzieben. Es mußte das geschehen, weil zu befürchten ist, daß andernfalls im Inlande abgeschlossene Geschafte für im Auslande abgeschlossene aus⸗ gegeben und dadurch der Steuer würden entzogen werden. Eine Entdeckung derartiger Kontraventionen würde in vielen Fällen unmöglich sein. Der Entwurf bestimmt, daß für ein im Auslande geschlossenes Geschäft zwiscken zwei im Inlande wohnhaften Personen die volle Steuer, dagegen für ein im Auslande geschlossenes Geschäft zwischen einer im Inlande und einer im Auslande wohnhaften Person die halbe Steuer zu erlegen sei. Im Auslande wohnbafte Personen werden also für im Auslande geschlossene Geschäfte der diesseitigen Steuer nicht unterworfen.
Die näheren Bestimmungen wegen Kontrolitung der Steuer finden sich in den §§. 7, 8, 10, 11, 11b und 116 des Entwurfs. Diese Bestimmunzen lassen überall erkennen, daß das Geschäfts⸗ geheimniß der Gewerbetreibenden gewahrt werden soll, soweit dies mit der steuerlichen Kontrole irgend vereinbar ist. Die nach 88S. 7, 10 und 11 an die Steuerbehörde einzureichenden monatlichen Auszüge haben daher nichts weiter zu enthalten, als die laufenden Nummern, das Datum der einzelnen Geschäfte und die dafür zu ent— richtenden Steuerbeträge. Der Steuerbehörde mußte freilich im §. 11a das Recht vorbehalten werden, die Steuerbücher, Ver zeichnisse und Tagebücher zur Prüfung einzufordern. Es liegt indessen in der Natur der Verhältnisse, daß von diesem Vorbehalt keines wegs allgemein, sondern nur insoweit als nothwendig wird Gebrauch ge— macht werden.
Den obersten Landes Finanzbehörden ist es zu überlassen, Anord— nung dahin zu treffen, daß die Steuerbücher, Verzeichnisse und Tagebücher in solchen Fällen nur in die Hände höherer Beamten ge— langen, bei welchen eine um so sicherere Bewahrung des Amtsgeheim⸗ nisses zu erwarten ist. Die Geheimhaltung sich längere Zeit hin— ziehender Transaktionen sichert der 8. 11 c.
Die etwaigen Befürchtungen bejüglich des Geheimhaltens dürften auch an Gewicht verlieren bei der Erwägung, daß in den Steuer— büchern, welche ohnehin allermeist erst nach Verlauf langer Zeit kön— nen eingefordert werden, doch nur abgeschlossene Geschäfte werden eingetragen stehen, bei denen die Geheimhaltung kaum noch wird in Betracht kommen. Dazu kemmt, daß die Steuerbücker nur am Sitze der Provinzialbehörden eingesehen werden, so daß die große Zahl der in entfernten kleineren Städten wohnenden Interessenten jenen weiteren Grund baben werden, dieserhalb unbesorgt zu sein. Daß bei direkter Einreichung des Steuerbuchs 2c. es der Herstellung und Einreichung eines Auszuges aus demselben nicht bedarf, wird für selbstverständlich erachtet.
Die Verpflichtung, die mehrgenannten Kontrolemittel zu führen, hat nicht dem eigentlichen Handelsstand allein auferlegt werden können. Es giebt bekanntlich an den Börsen zahlreiche Personen, welche jeder Börfenbesucher kennt und welche, ohne in das Handelsregister eingetragen zu sein, doch häufige und oft große Geschäfte abschließen. Diesen Per fonen mußten, schon im Interesse der Herstellung gleicher Konkurrenz— bedingungen, die gleichen Verpflichtungen auferlegt werden. Um auch solche Personen mit zu umfassen, ist der allgemeine Ausdruck gewerbe⸗= mäßiger Abschluß, gewerbemäßige Vermittelung von Geschaͤften ge—⸗ wählt worden. Der Ausdruck ist freilich kein ganz präziser und es kann vorkommen, daß Jemand im Zweifel darüber sein mag, ob er zu denjenigen Personen zu rechnen sei, welche. gewerbs— mäßig handeln oder vermitteln. Das Thatsächliche wird indeß jedesmal solche Zweifel beseitigen; jeder Besucher der Börfe wird bezüglich der Mitbesucher derselben Auskunft geben können. Im Zwelfel mag der Betreffende sich an die Steuerbehörde wenden, welche nach Lage der Umstände Entscheidung treffen wird; eventuell mag er die von ihm abgeschlossenen Geschäfte nach 8. 11d bei der Steuerbehörde schriftlich anzeigen. Derselbe Ausdruck findet
sich auch in anderen Gesetzen, wie z. B. im Handelsgesetz buch, auch
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