Was nun die Einnahmen betrifft, so möchte ich zunächst die Ein⸗ nahmen berühren, die der Reichskasse nicht verbleiben, aus den Zöllen, der Taback⸗ und Stempelsteuer.
Bei den Zöllen ist für das nächste Jahr auf eine Einnabme⸗ steigerung von 3 379000 M zu hoffen, und zwar auf Grund der an⸗ scheinend günstigen Einnabmen, die namentlich in den letzten Monaten sich zu erkennen gegeben baben. Bei der Tabacksteuer wird ein Aus⸗ jall eintreten von 3 267 000 S aus dem bereits bezeichneten Grunde; bei den Stempeleinnahmen ist ein verhältnißmäßig geringes Mehr in Höhe von 320 00 „* vorauszusehen, sodaß die an die Einzelstaaten abzuliefernde Summe sich für das Jahr höher stellen wird um 412 000
Was die dem Reiche verbleibenden Einnahmen betrifft, so ist das Bild hier ziemlich ebenso wie das der von mir bezeichneten Er— gebnisse des laufenden Jahres. Wir werden in dem nächsten Jahre hoffen dürfen auf eine Steigerung fast aller Einnahmezweige, bei der Salzsteuer, Branntweinstener, bei der Brausteuer, auch bei der Post⸗ und Telegraphenverwaltung; dagegen werden wir wieder zu beklagen haben einen erbeblichen Einnahmeausfall bei der Rübenzuckersteuer, und zwar in Höhe von 8 602 000 M1
Meine Herren, ich glaube, diese Schätzung der Rübenzuckersteuer⸗ einnahme ist ja hoch gegriffen, und vielleicht zu hoch Sie beruht auf der dreijährigen Fraktionsrechnung. Es ist der dreijährige Durch— schnitt der Bruttoeinnahme angenommen, davon abgezogen der drei— jährige Durchschnitt der Ausfuhrvergütung, und der Rest ist als Netto⸗ ertrag eingestellt worden. Eine andere Grundlage für die Veranschla⸗ gung schien den verbündeten Regierungen sich nicht zu empfehlen. Es ist allerdings bei der andauernden Produktionssteigerung der Rübenzuckerindustrie fast anzunehmen, daß die Einnahmen sich nicht in dieser Höhe verhalten werden, aber es fehlt an jeder Grundlage, um zu einer ziffermäßigen anderen Veranschlagung zu gelangen. Wir können allenfalls wissen, wie hoch sich die Brutto-Einnahmen an Rübensteuer für das nächste Jahr stellen werden, weil wir nach den Zeitschriften ungefähr überschlagen können, wie groß die Ernte ist; noch viel unsicherer ist die Veranschlagung des Zuckerertrags; aber vollkommen unmöglich ist es, sich ein Bild darüber zu machen, wie hoch sich die Ausfuhr an Zucker belaufen wird für die Zeit vom 1. Oktober dieses bis zum 1. Ottober des nächsten Jahres, und das ist ein Hauptfaktor bei der Veranschlagung. Es ist also ganz unmöglich, auch nur an— nähernd sich ein Bild zu machen, wie in Wirklichkeit sich die Rüben— zuckersteuer ⸗ Einnahmen stellen werden, wenn man von der dreijährigen Fraktionsrechnung absieht. Aus diesen Gründen haben die verbün— deten Regierungen geglaubt, an dieser Veranschlagung festhalten zu e,. allerdings in der Befürchtung, daß der Anschlag zu hoch ge— griffen sei.
Meine Herren! Die Rübenzucker⸗Industrie leidet unter einer Krisis, die mit großer Heftigkeit und Schleunigkeit hereingebrochen ist und die Lebensfähigkeit dieses wichtigen Faktors unseres gewerblichen Lebens gefährdet und auch die Landwirthschaft in schwere Mitleidenschaft zieht. Es hatte fast den Anschein, als ob, nachdem die Krisis ausge— brochen war, die Zustände sich wieder beruhigen würden, als ob wieder etwas bessere Preise zu verzeichnen sein würden; indessen hat sich diese Hoffnung als trügerisch erwiesen, die Preise sind wieder ge— sunken, und wir können nicht absehen, wann und in welcher Weise die Beruhigung wieder eintreten wird.
Meine Herren! Die verbündeten Regierungen und die ganze Nation hat sich über das Aufblühen der Industrie gefreut. Aus den kleinsten Anfängen hat sie sich zu einer Industrie entwickelt, die nicht nur den Konsum des Inlandes vollständig befriedigt, sondern auch er— hebliche Werthe ins Ausland schafft und dadurch die mannigfachsten Kanäle unseres Eirwerbslebens befruchtet hat.
Als Anzeichen vorlagen eines erheblichen und andauernden Miß—
verhältnisses zwischen Steuersatz und Ausfuhrsatz, haben die ver— bündeten Regierungen eine Verminderung der Ausfuhrvergütung in Vorschlag gebracht, allerdings nur in einem Maße, wie es zulässig schien ohne Gefährdung der Industrie und ohne daß vorher eine eingehende Prüfung der Verhältnisse stattgefunden hatte. Es ist aber gleichzeitig von den verbündeten Regierungen und mit voller Zustimmung des Reichstages eine eingehende Untersuchung über die Lage der Zuckerindustrie eingeleitet worden. Die Untersuchung ist vorgenommen worden mit Gründlichkeit und Sachkunde. Die Ergeb— nisse liegen Ihnen vor und auf Grund dieser Ergebnisse hatten'die verbündeten Regierungen im Frühjahr dieses Jahres Ihnen einen Vorschlag einer Reform der Steuer unterbreitet, in welcher ein erheblich höherer Steuersatz und zu gleicher Zeit eine relative Abminderung der Ausfuhrvergütung in Vorschlag gebracht war. Dieses Gesetz ist nicht mehr zur Verabschiedung und zur Berathung im Reichstage gelangt, und ich weiß nicht, ob man dies beklagen foll. Finanziell wäre es ja natürlich ein großer Vortheil gewefen, wenn dieser höhere Steuersatz und diese Abminderung der Ausfuhrver— gütung eingetreten wäre. Aber wenn die Ueberprozuktion der Haupt⸗ grund für die jetzige Krisis der Zuckerindustrie ist, so würde das Gesetz vollständig einflußlos gewesen sein auf die Gründe der Krisis, da es erst mit dem 1. August d. J. ins Leben treten sollte, also mit einem Zeitpunkte, wo die Krisis schon eingetreten war. Andererseits aber würde es die Lage unserer Zuckerindustrie mit dem höheren Steuersatz und der Verminderung der Ausfuhrvergütung wesentlich erschwert haben, und es würde dem Vorwurf Nahrung gegeben sein, daß durch diese Veränderung der Gesetzgebung die Waffen, der die Zuckerindustrie bedarf, um den Kampf gegen die Rohrzuckerindustrie und die Zuckerindustrien anderer Länder siegreich durchzuführen, stumpf gemacht worden wären. Meine Derren, wir werden aber alle wünschen, daß unsere Industrie diesen Kampf siegreich zu Ende führen und aus demselben lebensfähig und thunlichst ungeschwächt hervorgehe. Ich kann nicht sagen, ob die ver⸗ bündeten Regierungen es für angezeigt und thunlich erachten werden, alsbald und noch in diesem Jahre zu einer wesentlichen Beränderung unserer geltenden Rübenzuckersteuer⸗Gesetzgebung überzugehen. Neben den finanziellen Erwägungen wird dabei auch die Rüͤckficht auf die Lage dieser Industrie vorwiegend ausschlaggebend sein.
Meine Herren, das Bild des Etats für 1885.86 ist ja ein höchst ungünstiges. Ich glaube aber, man muß der Sache offen ins Gesicht sehen und sich darauf gefaßt machen, daß noch wesentlich höhere Anforderungen an die Reichskasse herantreten werden. In dieser Beziehung möchte ich zunächst hervorheben, daß zur Deckung des Fehlbetrages des laufenden Jahres in Höhe von 147 Msllionen im Jahre 1886/87 die Mittel disponibel gemacht werden müssen. Es werden ferner fortfallen die Zinsen aus den belegten Reichs⸗ geldern, die für das Jahr 1885/86 veranschlagt sind in Höhe von 1809 000 ½Æ. und die allmählich sich vermindern, und in' nicht zu ferner Zeit vollständig fortfallen werden. Unbedingt wird auch eine Steigerung der Ausgaben für die Verzinfung der' Reichs— schuld eintreten. Nach Realisirung der noch offenen und der im Än⸗ leihegesetzentwurf für 1885/86 vorgesehenen neuen Kredite, wobei der jür den Zollanschluß Hamburgs für 1886/87 flüffig zu machende Anleihebetrag nicht mitgerechnet ist, wird sich eine Steigerung der Ausgaben für die Reichsschuld in Höhe von 4 Millionen Mark ergeben. Es steht ferner in Aussicht eine Vermehrung der fort— dauernden Ausgaben bei der Marineverwaltung, und zwar aus Anlaß von Personalverstärkungen, wie solche schon gesetzlich festgesetzt sind, und zwar wird für 1886/87 eine Srchöhung um 302 009 6 nothwendig sein. Es ist dann nicht zu übersehen, daß auch die Reliktenversorgung der Civilbeamten höhere Anforderungen an den Reichshaushalt stellen wird; die Ausgaben aus diesem Anlaß sind für 1885/86 nur in Höhe von 6581 009 veranschlagt, während sie sich im Beharrtungszustande auf mehr als 6 Millionen Mark be— laufen werden. Diese Ausgabesteigerungen, beziehentlich diese Ein⸗ nahmeverminderung stehen schen fest.
Es treten aber noch hinzu Bedürfnisse, die nicht abgelehnt wer— den können, ohne daß Deutschlands Interessen wesentlich geschädigt werden. Es ist das vor allen Dingen die schon projektirte Subven⸗ tionirung von Postdampfschiffsverbindungen, die eine Anforderung an den Etat ron 1886/87 in Höhe von 5 460 066 M stellen wird.
erfährt, und es wird diese Neuordnung verbunden sein für den Beharrungszustand mit ciner Mehrausgabe von ca. 63. Millionen. Endlich ist auch zu hoffen, daß das Pensione gesetz zu Stande kommt, und auch dieses wird mit einer Steigerung der Bedürfnisse um 3 Millionen Mark verbunden sein. Ich sehe ganz ab ron weiteren Anforderungen, die im Laufe der Zeit an den Reichshaus— halt herantreten werden, aber schon die hier bezifferten Posten ergeben eine wesentliche Steigerung der Ausgaben. Und, meine Herren, ich glaube nicht, daß die Befriedigung dieser Be— dürfnisse etwa abgelehnt werden darf aus Rücksicht auf die wirthschaftliche und finanzielle Lage, denn diese Lage ift in allen Be⸗ ziehungen eine bessere als die irgend eines anderen Landes. Was zu— nächst die wirthschaftliche Lage anbetrifft, so ist ja nicht zu verkennen, daß nicht alle Zweige unseres Erwerbslebens sich in Blüthe befinden, es leidet namentlich die Landwirthschaft zur Zeit stark unter dem Preisdruck für Zucker, für Spiritus und für Korn, also gerade für die wichtigsten Produkte der Landwirthschaft, aber im Allgemei⸗ nen erfreut sich unser wirthschaftliches Leben einer zufrieden stellenden Lage und namentlich einer besseren Lage als in irgend einem anderen Lande. Was dann unsere finanzielle Lage an— betrifft, so sind die Schulden des Reichs vollständig und mehr wie gedeckt durch den Cisenbahnbesitz des Reichs und durch den Besitz an merbenden Kapitalien. Aehnlich liegen die Verhältnisse in Preußen, und auch in den übrigen deutschen Bundesstaaten, namentlich in den größeren ist im Allgemeinen die Schuldenlast keine übermäßige und jedenfalls im Durchschnitt eine erheblich geringere als in irgend einem anderen Land. Was dann die Steuerkraft des Landes anbetrifft, so sind die Steuern sowvohl im Reiche, wie auch in den Bundesstaaten im Allgemeinen — ich sehe von einzelnen Ausnahmen, namentlich bei den kleineren Staaten ab — geringere, wie bei allen anderen Staaten. Was die Steuern bei uns so empfindlich macht, das ist, daß bei uns die Vertheilung zwischen direkten und indirekten Steuern eine vollständig zweckwidrige ist, eine andere, wie in allen anderen Staaten. Während bei uns die indirekten Steuern nur einen geringen Beitrag zur Bestreitung der Bedürfnisse im Reiche und in den Staaten liefern, sind die direkten Steuern in ganz unverhältnißmäßiger Weise in Anspruch genommen, viel mehr als in irgend einem anderen, Staate. Hier muß AÄbhülfe geschaffen werden, und nach dieser Richtung haben sich auch die Re— formvorschläge der verbündeten Regierungen immer bewegt. Ich bin nicht in der Lage, zu sagen, ob die verbündeten Regierungen ihrerseits bereit sein werden, neue Vorschläge zur Durchführung der Steuer- reform dem Reichstage vorzulegen. Sie haben dies bereits in ver— schiedener Weise und zu wiederholten Malen gethan, mit welchem Erfolge, das wissen Sie, die Vorschläge sind stets einer ablehnenden Haltung begegnet. Ich kann deshalb nicht sagen, ob und in welcher Weise neue Vorschläge Seitens der verbündeten Regierungen in dieser Beziehung an den Reichstag gelangen werden.
Wenn ich nun noch einen Blick auf den außerordentlichen Etat werfen darf, so ist bei der Vertheilung der Ausgaben auf den ordentlichen Etat und zu Lasten der Anleihe wesentlich nach den— selben Prinzipien verfahren worden wie in früheren Jahren. Es sind Ausgaben zu Lasten der Anleihe nicht in Anspruch genommen worden für Postbauten; die Beträge sind sämmtlich auf den ordentlichen Etat verwiesen worden. Bei der Marine ist nur ein Betrag von 2 Millionen in den ordentlichen Etat eingestellt worden, wahrend der Rest in der Anleihe erscheint. Die Anleihe beziffert sich auf 38 616 06 „C für das Jahr 1885/8565. Es ist das ein um 2 365000 Y. niedrigerer Betrag als der Anleihebetrag für 1884.85. Außer der Forderung für das künftige Etatsjahr enthält aber der §. J des Anleihegesetzes noch eine Forderung von 10955 0900 ½ für Ausgaben, die bereits im Jahre 1884 85 entweder geleistet sind oder geleistet werden sollen.
Wie Sie aus den Moliven erseben werden, ist es im Jahre 1883 / 81 nothwendig geworden, verschiedene Maßregeln, insbesondere umfangreiche Dislokationen, Erhöhung des Kriegsetats und Vervoll— ständigung der Kriegsausrüstung vorzunehmen. Es war dicz noth— wendig aus allgemeinen und militärtechnischen Gründen und (es erschien nicht möglich, die vorherige Zustimmung des Reichstages zu diesen Ausgaben einzuholen. Der Gesammtbedarf, der durch diese Maß⸗ regel erfordert wird, beziffert sich auf 205 Millionen Mark. Bavon sind bereits 1883,84 außeretatmäßig oder überetatmäßig verausgabt 2 243 000 ½, Dieselben erscheinen in der Haus haltsübersicht und werden Ihrer nachträglichen Genehmigung unterbreitet. Für das Jahr 1884/85 sind in Anspruch genommen 10 9055 0609 In dem Etatentwurf pro 1885/86 ist ein Gesammtbetrag von 7 455 G60 ein— gestellt und künftig vorbehalten ist der Betrag von 830 0h00 „M, das giebt zusammen eine Bedarfssumme von 209 Millionen Mark. Meine Herren! Ich möchte damit meine einleitenden Worte sckließen. Das Bild des zukünftigen Etats ist ein trübes. Prüfen Sie strenge, ob es möglich ist, Ausgaben, die angemeldet sind, zurück⸗ zustellen, ohne Deutschlands Interessen wesentlich zu schädigen. Wenn Sie zur Verneinung dieser Frage kommen, so werden Sie sich auch der Ueberzeugung nicht verschließen können, daß es dringend noth— wendig ist, auf der Bahn der Steuerreform einen energischen Schritt unverweilt vorwärts zu thun, um dem Reiche erheblich höhere Ein⸗ nahmen aus den indirekten Steuern zuzuführen.
Der Abg. Richter (Hagen) bemerkte, der vorliegende Etat hedeute einen vollständigen Zusammenbruch, das Fiasko der Finanzpolitik des Reichskanzlers, welche seit 1878 maßgebend gewesen sei. Der Reichskanzler erscheine nicht mehr als großer Staatsmann, sondern als kleiner Landedelmann von 1847, und in Deutschland herrsche jetzt größere Uneinigkeit, als vor der Herstellung des Reiches. Das, was der Staatssekretär als Steuerreform bezeichnet habe, sei nur ein schön klingender Vame für das Verlangen nach Erhöhung der Steuerlast. Der Staatssekretär meine, daß alle Vorschläge neuer Steuern im Reichstage stets abgelehnt worden seien. Das Gedächtniß des Staatssekretärs sei sehr kurz. Wie sich aus einer Vergleichung der Einnahmen an Zöllen, Tabacksteuer und Stempelsteuer in diesem Etat mit dem Etat von 1879 ergebe, kämen jetzt 129 Millionen mehr ein; das sei die Wirkung der neuen Steuern und Zölle, die 1879 und 1881 bewilligt worden seien. Der Staatssekretär habe nicht sehr glücklich feine Rede mit einem Wortstreit begonnen, was Defizit bedeute. Auf den kalkulatorischen Begriff von Defizit komme es nicht an. Ein Defizit sei immer vorhanden, wenn die bisherige Be⸗ lastung des Volkes nicht mehr ausreiche, den Etat bilan⸗ ziren zu machen. In diesem Sinne habe das Reich jetzt ein Defizit von 41 Millionen Mark. Ob die höhere Be⸗ lastung in diesem Betrage zunächst auf die Einzelstaaten ge— legt werde oder auf die einzelnen Steuerzahler direkt, ver⸗ schlage wirthschaftlich und finanzpolitisch nichts. Uebrigens habe man in Deutschland nicht blos ein Defizit, sondern Defizits aller Art vor sich. Es handele sich um nicht weniger als vier Defizits, während ein fünftes größeres für das Jahr 1886,87 bevorstehe. Nach dem Vortrage des Staats sekreiärs werde das laufende Jahr ein Defizit von 141 / Millionen Mark haben. Da nun schon das Defizit des abgelaufenen Jahres 1883.84 2 Millionen betrage, so werde der nächste Etat 1886/87 noch ein um 12 Millionen höheres Defizit zu decken haben und sich in Folge dessen schon die Erhöhung der Matrikularbeiträge von den jetzt verlangten, 41 Millionen Mark noch auf 53 Millionen Mark steigern. Der Staats sekretär habe aber auch offen anerkannt, daß pro 1886/87 noch eine Reihe anderer höherer Beträge erscheinen würden, welche theils schon auf vorhandenen Bewilligungen beruhten, theils auf Bewilligungen, welche für die Zukunft unabweisbar sein soll⸗ ten. Diese Mehrausgaben würden weitere 25 Millionen betragen
Es ist dann ferner auch gewiß zu wünschen, daß das Re— liktenwesen für das Mllitär nun endlich eine Neuordnung!
nannten 53 Millionen schon auf 78 Millionen Mark steigern. Dazu kämen noch die kleinen Defizits, welche die Einzelstaaten für sich zu decken hätten. Mindererträge an den Zoͤllen und der Tabacksteuer fielen den Einzelstaaten direkt zur Last. Diese Mindererträge beliefen sich pro 188384 auf 53 Mil lionen, und für das laufende Jahr nach der Darstellung des Staatssekretärs auf 1! Millionen Mark. Diese beiden Minder⸗ erträge müßten die Einzelstaaten decken und gleichzeitig für eine Erhöhung der Matrikularbeiträge um 41 Millionen Mark aufkommen. Es sei in der That ein vollständiger Zusammenbruch der Finanzpolitik seit 1878, der zu Tage trete. Was erstrebe denn diese Finanzpolitik? In erster Reihe sollten die Einzelstaaten statt an das Reich zu zahlen, Ueberschüsse vom Reich erhalten. Am 26. November v. J. habe der preußische Finanz-Minister Scholz bei Einbringung des Etats auf die Verdienste des Reichskanzlers in dieser Richtung hingewiesen, das Reich bettele nicht mehr als lästiger Kostgänger an den Thüren der Einzelstaaten, sondern erhalte jetzt 41“ Millionen von dem Reiche heraus. Wie stehe es heute? Heute bettele wieder, um in der bilderreichen Sprache des Staats⸗ sekretärs zu reden, das Reich als lästiger Kostgänger bei den Einzelstaaten um 28 Millionen Mark. Denn um 28 Millionen überstiegen nach diesem Etat die Matrikular— beiträge die Zuschüsse an die Einzelstaaten. Zweitens sollte die neue Finanzpolitik im Reiche nur neue indirekte Steuern einführen, um den Einzelstaaten es zu ermöglichen, besonders drückende Steuern abzuschäffen. Dies habe die Thronrede von 1879 ausdrücklich hervorgehoben, als sie die neuen Steuer— vorlagen angekündigt habe. Schon der berühmte Brief des Reichskanzlers von 1878 habe gesagt, daß nicht in der Ver— mehrung der für das Reich und den Staat nothwendigen Lasten, sondern in der Uebertragung eines größeren Theiles der unvermeidlichen Lasten auf die weniger drückenden in— direkten Steuern das Wesen der Finanzreform bestehe. Was sei nun heute aus den 129 Millionen neuer Steuern ge⸗ worden. Die Einzelstaaten hätten davon 97 Millionen erhalten, aber gleichzeitig sollten dieselben 35 Millionen mehr Matriku— larbeiträge bezahlen. Den Einzelstaaten blieben also nur 562 Millionen, während das Reich die übrigen 67 Mil⸗ lionen von den 129 Millionen behalte. Aber auch die 62 Millionen Mark, welche die Einzelstaaten noch erhielten, seien in denselben nur zum kleinsten Theile zu Steuererlassen verwandt worden. Man wisse aus Preußen nur zu erzählen von einem Steuererlasse von 201 Mil— lionen Mark an der Klassensteuer, der noch dazu eine Er— höhung der Gebäudesteuer nach einer Neuveranlagung gegen— überstehe. Heute schweige sich die Rechte vollständig darüber aus, daß damals die neuen Zölle und Steuern unter dem Titel der Steuerreform zur Verminderung bestehen⸗ der drückender Steuern geforbert seien. Heute ziehe man sich schon auf den Einwand zurück, daß man sage, wenn die neuen Steuern damals nicht bewilligt worden wären, so müßten jetzt noch vielmehr bewilligt werden. Er könne diesen Ein— wand als richtig nicht anerkennen. Hätte man damals erkannt, daß die neuen Zölle und Steuern in Wahrheit zu einer Mehrbelastung des Volks führen würden, würde der Reichstag die Aenderung der Steuergesetzgebung an einem ganz anderen Ende begonnen haben. Die preußische Regierung habe selbst zugeben müssen, daß die neuen Zölle und Steuern wesentlich auf die minder wohlhabenden Klassen gefallen seien. Er nehme zur Ehre der damaligen Majorität des Reichs tages an, daß sie diese Mehrbelastung nur in der Voraus— setzung habe eintreten lassen, daß die minder wohlhabenden Klassen andererseits auch wieder beträchtlich entlastet würden. Er habe damals im Jahre 1879 am 28. Februar hier aus geführt, daß wenn man eine wirkliche Steuerreform wolle, es keine fiskalische Plusmacherei sein dürfe, sondern man die bestehenden Steuern reformiren und vor dem Verfall bewah⸗— ren müsse. In diesem Sinne habe er schon damals vor 515, Jahren eine Reform der Rübensteuer durch Beseitigung der Exportprämien verlangt, welche in vielen Millionen schon da— mals an Grundbesitzer und Fabrikanten gezahlt seien. Schon damals habe er hervorgehoben, daß man überall nach Gegen— ständen für die Besteuerung suche, aber an dem Schnaps mit ehrfurchtsvollem Schweigen vorübergehe. Das Finanzergebniß habe seine Ansicht gerechtfertigt. Er habe bei dem Militär-Pensionsgesetz und bei der Dampfer⸗ subventions-Vorlage immer auf die Figanzlage hingewiesen, und damals habe er dabei noch auf ein Defizit von nur 20 Millionen gerechnet. Ebenso habe er auf die Finanzlage Rücksicht genommen, wenn er gegen Kolonialpolitik gewesen sei. In der jetzt noch vielfach angezogenen Kaiserlichen Bot— schaft heiße es ausdrücklich, daß diese Bestrebungen von fiska— lischen Hintergedanken frei seien, nicht finanzielle Ueberschüsse würden erstrebt, sondern die Umwandlung der bestehenden direkten Staatslasten in weniger drückende indirekte. Die Anträge auf Einführung des Tabackmonopols seien bestimmt gewesen zur Steuererleichterung in einzelnen Staaten, habe der Reichs⸗ kanzler gesagt. 187 Millionen Mark sollten zur Verr endung kommen und der Reichskanzler sei sehr ungehalten gewesen, daß das Abgeordnetenhaus über das Verwendungsgefetz nicht weiter habe berathen wollen, und habe mit Auflösung ge— droht. Wenn das Tabackmonopol damals wirklich bewilligt worden wäre, dann hätte man das Uebel des Tabackmonopols und die andern größern Uebel, die der Reichskanzler damit habe vertreiben wollen, wären auch noch eben so groß. 111 Millionen Mark sollte diese Steuer Reinertrag geben, eine Grundlage habe Niemand für die Rechnung aufzustellen gewußt. Glaube man wirklich, daß das Reich heute schon 40 Millionen Mark aus dem Tahackmonopol hätte? Alles, was heraus käme, würde aufgezehrt und zur Deckung von Mehrausgaben dienen. Diese ganze Finanzpolitik habe sich jetzt als undurchführbar erwiesen; sie gehe davon aus, daß man vorschußweise neue Steuern bewilligen müsse, und daß man sich damit tröste, daß diese verwendet werden würden, um andere mehr drückende zu beseitigen. Die Vertretung des allgemeinen Interesses der Steuerzahler sei viel zu schwach organisirt, um dasselbe wahr⸗ zunehmen. Von Steuerreform, von der Entlastung der Kommunen u. s. w. sei gar nicht mehr die Rede. Es heiße jetzt: Die Fortent⸗ wickelung des Reiches bedinge naturgemäß ein Wachsen seiner Ausgaben. Der Reichstag müsse sich statt aller Philosophie daran erinnern, daß die Hauptsache der Mehrausgaben von der fortgesetzten Steigerung des Militäretatös und des Marine— Etats herrühre. 1873 hätten die Militärausgaben 2652 Mil⸗— lionen Mark betragen, heute um 91 Millionen mehr, die für die Marine 12 Millionen Mark, heute 35 Millionen Mark, also 28 Millionen mehr. Dabei vergesse der Staats— sekretär noch, daß Deutschland einen glücklichen Krieg geführt habe. Wenn es so fortgehe im Schuldenmachen, werde im
und dadurch die Echöhung der Matrikularbeiträge von den eben ge⸗
Laufe der Zeit auch dieser Unterschied gegenüber anderen
Staaten verschwinden. Gewiß seien Neuerungen nöthig, aber Altes werde auch überflüssig; kostspielige Neuerungen würden eingeführt, bestehende, die sich überlebt hätten, würden nicht abgeschafft. Die Vakanzen im Heere fielen immer mehr und mehr fort, die Rekruten würden nicht mehr später einge⸗ stellt, die Frage der zweijährigen Dienstzeit werde immer ernster, nicht nur volkswirthschaftlich, sondern auch sinanzpolitisch. Eine erhebliche Mehrausgabe bestehe aller dings in großen einmaligen Aufwendungen von Kapital für Militärzwecke, aber von den 34 Millionen Mark seien 10
Millionen Mark Ausgaben schon im laufenden Jahre 1883/84 gemacht.
Es sei erfreulich, daß die Thronrede den Frieden verkündige. Um so überraschender seien die Truppendisloka— tianen nach Ost und West, für welche man jetzt nachträglich 10 Millionen verlange. Weshalb sei nicht rechtzeitig, vor diesen Dislokationen und Grenzbauten die Genehmigung des Reichstages nachgesucht worden, wie es für die Marine im Nachtragsetat geschehen sei? Er meine, eine Finanzlage, wie diese, sollte Veranlassung geben, von allen Neubauten, mili⸗ tärischen und Postbauten so lange abzusehen, bis die Finanz⸗ lage wieder eine günstigere werde. Eine Erhöhung von 27 auf 35 Millionen Mark trete hervor in dem Ordir arium der Marine. Sie gehe wesentlich hervor aus einem größeren Umfange der Indienststellung und der Naturalverpflegung. Die Marine schicke Schiffe mit unerfahrenen Rekruten ins Ausland, und wenn diesen ein Unglück passire, suche man den Grund dann in der ungenügenden Ausbildung. Je mehr die überseeischen Expeditionen ausgedehnt würden, desto weniger sei die Marine im Stande, im Falle eines Krieges der Schutz der Küste zu sein. Was hülfen Deutschland die Schiffe, wenn man im Ernstfalle nicht im Stande sei, sie zu benutzen? Was die Civilverwaltung betreffe, so seien noch überall neue Stellen ausgeworfen, Gehaltserhöhungen für einzelne Beamtenklassen, besondere Eile scheine es mit den Subalternbeamten der Centralverwaltung zu haben. Die Rübensteuer sei mit 15 Millionen an dem Defizit Schuld. Wenn die Sache mit den Aussichten für den Rübenzucker so liege, wie hier angeführt sei, auf wie schwachen Füßen stehe da der Anschlag für das nächste Jahr? Die dreijährige Durch— schnittsrechnung sei nicht anwendbar, wo ein ständiger Rückgang merkbar sei. Als er (Redner) im Jahre 1873 auf die nothwen⸗ dige Aenderung der Rübensteuer hingewiesen habe, habe der jeßige Minister Dr. Luclus (ine scharfe Stellung gegen ihn eingenommen: man dürfe nichts ändern, so lange leine Noth⸗ lage vorhanden sei. In der Thronrede heiße es: Man dürfe nichts ändern an der Rübensteuer wegen der jetzigen Noth— lage. Wann solle denn eigentlich die Zeit zu einer Aenderung gekommen sein, wenn weder bei glücklicher noch bei unglück— licher Lage geändert werden dürfe? Beim Taback habe man sich nicht gescheut, Experimente zu machen, seien es doch hier beson⸗ ders die kleinen Leute, die davon tangirt seien. Wenn man in Rücksicht auf die Landwirthschaft sich scheue, die Zucker— steuer zu ändern, so sei nur zu sagen, daß gerade die Land— wirthschaft schon jetzt daran genug zu leiden habe. Auf wen habe denn nun aber die nothleidende Industrie ihre Lasten abgewälzt? Auf die armen Rübenbauern, die man kontraktwidrig gedrückt habe, so daß sie sich in Zukunft hüten würden, Rüben zu bauen. Die Frage si jetzt nur eine Frage der Zuckerindustrie, derjenigen großen Landwirthe, die zugleich Jmeressenten an Zuckerfabriken seien. Nach seinem (des Nedners) Eindruck sei es auch nur das Großkapital in der Zuckerindustrie, welches sich jetzt einer Herabsetzung der Exportvergütung und einer Besteuerung der Melasse widersetze. Eine Versammlung von Zuckerindustriellen in Magdeburg habe am 10. November 8. J. selbst eine Herabsetzung der Exportvergütung auf Sie ( verlangt — das sei natürlich noch zu wenig und außerdem eine Besteuerung des Melassezuckers. Die Erfahrungen bei der Zuckerindustrie seien überaus lehrreich für die ganze Wirthschaftspolitik, und wo die nachtheiligen Folgen so rasch, und drastisch hervorträten, könne man am Schicksal der Zuckerindustrie erkennen, wie das System der Staats— subventionen zuletzt zum Ruin der betreffenden Industrie selbst führen müsse. Das sei insbesondere auch lehrreich für die ganze Landwirthschaft. Er wolle vor allem Er⸗ mäßigung der Ausgaben, und um eine Ermäßigung der Aus⸗ gaben handele es sich bei der Herabsetzung der Exportprämie. In der Thronrede werde die Mahnung aufgestellt, neue Ein⸗ nahmequellen für das Reich zu erschließen. Er halte es für durchaus nicht selbstverständlich, daß, wenn die Ausgaben höher würden, man dazu übergehen müsse, neue Einnahme⸗ quellen zu erschließen, unter normalen Verhältnissen müßten auch schon vorhandene Einnahmequellen reichlicher fließen. Früher habe man in jedem Jahre schon um 1 Proz. höheren Ertrag der Steuern als Folge des Wachsens der Bevöl⸗ kerung angenommen. Aber jetzt mache sich ein Wachsthum des steuerpflichtigen Verbrauchs als Folge steigernder Wohl habenheit kaum irgendwie bemerkbar. In früheren Thron⸗ reden sei das erfreuliche Wachsthum des Volkswohlstandes immer noch besonders hervorgehoben; dasselbe beweise die Richtigkeit der neuen Wirthschaftspolitik. Diesmal höre man das nicht. Seine Partei fühle gar nicht den Beruf, der Reichsregierung neue Steuern zu präsentiren. Er halte überhaupt die Steuerlast für groß genug insbesondere auch deshalb, weil sie nach den letzten Steuervermehrungen noch mehr als früher auf den minder wohlhabenden Klassen laste. Er würde vielleicht mit Vorschlägen hervortreten in der einen oder anderen Richtung, wenn er Sicherheit hätte, daß bei solchen Vorschlägen die Steuerlast der minder wohlhabenden Klassen insbesondere die Steuern auf nothwendige Lebensmittel verringert würden. Es handele sich aber jetzt um Vermehrung der Steuerlast überhaupt. Jetzt finde Keiner mehr Glauben, der neue Steuern in angeblichem Interesse der Entlastung der Kommunen und des Grundbesitzes empfehle. Er halte die Initiative des Parlaments betreffs neuer Steuern über⸗ haupt nicht für eine Aufgabe desselben, und wie der Reichs⸗ kanzler eine solche Initiative aufnehme, habe man gestern gesehen. Seine Partei wolle schlechte Steuergesetze ver⸗ hindern; aber neue Steuern vorschlagen, das heiße re⸗ gieren wollen. Uebrigens glaube er gar nicht, daß der Veichskanzler auf die eigene Initiative in Bezug auf neue Steuern verzichten wolle. In ganz sinniger Weise scheine der Reichskanzler, wie er (Redner) heute in den Zeitungen lese, eine Erhöhung des Petroleumzolles vorzubereiten. Die Petroleum⸗ sässer sollten künftig nicht mehr nach dem Satz des Petroleum, sondern als Böttcherwaaren mit einem höheren Satz besteuert werden. So weit er das im Augenblick schätzen könne, laufe das auf eine Erhöhung des Petroleumzolles um 40 Proz.
Wettlauf sich entwickeln sehen im Vorschlagen neuer Steuern. Vor einigen Tagen habe er gelesen, daß der Verein mit dem langen Namen demnächst dem Reichskanzler eine wunderschöne Börsensteuer präsentiren werde. Flugs sei die konservative Partei gekommen und habe sich beeilt, ein neues Börsensteuergesetz einzubringen. Der Antrag von Wedell sei sorgfältig darauf berechnet, alle Geschäfte, an denen der Groß⸗ grundbesitz Interesse habe wie Spiritus, Wolle, Getreide, steuerftei zu lassen. Im Uebrigen reflektire derselbe genau die Anschauungen gewisser Kreise des Großgrundbesitzes über den Kaufmannestand, über Handel und Verkehr. Den mora⸗ lischen Nebenzweck der Bekämpfung der Zeitgeschäfte hätten die Konservativen jetzt fallen gelassen. Sie wollten alle Ge⸗ schäfte ohne Unterschied besteuern mit den vorerwähnten Aus— nahmen. Besonders stark werde der Eifer für neue Steuern unter Denjenigen erwachsen, welche dieselben nicht blos zum Besten der Reichskasse, sondern auch für ihre eigene Tasche vor⸗ schlügen. Die Agitation für die Erhöhung der Getreidezölle bewege sich in dieser Richtung. Während der Stichwahlen sei es auf das Entschiedenste abgeleugnet, daß die Regierung sich mit dergleichen beschäftige. Jetzt aber lasse der Reichskanzler wieder Briefe veröffentlichen, in welchen die Sehnsucht nach Erhöhung der Getreidezölle hervortrete, ein deutliches Zeichen, was die Glocke geschlagen habe. Die landwirthschaftliche Be⸗ triebsstatistik zeige, daß nur ein Achtel der landwirthschast⸗ lichen Betriebe, diejenigen, welche mehr als 19 ba umfaßten, Interesse an der Erhöhung der Getreidezölle hätten. Aller— dings besitze dieses Achtel 72 Proz. der landwirthschaftlichen Fläche. Das beweise, wie stark der Großgrundbesitz an der Zollerhöhung interessirt sei. Die Erhöhung des Kornzolles wäre eine positive Schädigung des Arbeiterstandes. Man rühme das Krankenkassengesetz. Was wolle das besagen, wenn man den Arbeitern das verkümmere, was nöthig sei, um gesund zu bleiben? Man schlage Postsparkassen vor; die Vertheuerung des Brotes aber würde den kleinen Mann verhindern, überhaupt zu sparen. Die Thronrede bezeichne als Ziel der Regierungspolitik die möglichste Herstellung des inneren Friedens. Jetzt seien die Getreidepreise wegen der guten Ernte niedrig; werde aber der Kornzoll erhöht, so säe man damit eine Saat, die bei ungün⸗ stigen Ernten die helle Unzufriedenheit im Lande überall emporschießen lassen werde. Die ganze Regierungspolitik begünstige ja überhaupt nichts weniger als den inneren Frie⸗ den. Die Eigenart des Kanzlers in der Kirchenpolitik habe die kirchenpolitischen Gegensätze verschärft, seine Eigenart in der Sozialpolitik bringe immer schärsere Gegensätze auf die⸗ sem Gebiet hervor. Der Kanzler spreche von der Bedeutungslosigkeit der Mehrheit im Parlament. Dabei habe derselbe wohl noch nie so viel Sehnsucht gehabt, wie jetzt, den Reichstag für seine Pläne zu ge⸗ winnen, auf die er seine eigene Hexrrschaft für alle Wechselfälle stützen möchte. Eine gute Politik habe stets auch gute Finanzen im Gefolge. Die heutige, nach den eigenen Worten des Staatssekretärs beklagenswerthe Finanzlage Deutschlands sei, aber nichts als der Reflex der ganzen Wirthschafts- und Finanzpolitik. An der jetzigen Lage werde sich nichts bessern lassen ohne eine völlige Aenderung dieser Politik. Die Regierung habe bereits viel mehr Versprechungen gemacht, als sie mit den paar neuen Steuern, die sie etwa ersinne, erfüllen könnte. Man werde also demnächst wieder neue Steuern brauchen, das werde wieder neue Unzufriedenheit wachrufen, und diese wieder neue Versprechungen der Regierung, also zu deren Erfüllung auch wiederum neue Steuern. So lomme man schließlich zu dem Aufbau eines Steuersystems in Deutschland mitten im Frieden, nach einem glücklichen Kriege, wie es anderen Staaten nur aus früheren Jahrhunderten mit unglücklichen Kriegsperioden überkommen sei. Wem die Zukunft des Deutschen Reiches am Herzen liege, der helfe mit aller Krast, den Staatswagen auf dem abschüssigen Wege, wo derselbe jetzt sei, aufzuhalten. Der Abg. Frhr. zu Franckenstein erklärte im Namen der Centrumspartei, daß seine Partei den Ausgabeerhöhungen im Etat für 1885/86 überall da zustimmen werde, wo seiner Partei der Nachweis der absoluten Nothwendigkeit und Unaufschiebbarkeit der Ausgaben erbracht werden könne. Man müsse mit großer Sparsamkeit vorgehen, weil, wie man heut erst gehört habe, bieser Etat sehr ungünstig abschließe. Es sei eine Erhöhung der Matrikularbeiträge um mehr als 41 Millionen Mark be⸗ absichtigt. Das Centrum halte es für seine Pflicht, nach Kräften zu verhindern, daß die Finanzen der einzelnen Bundes⸗ staaten durch zu hohe Matrikularbeiträge in Unordnung ge⸗ bracht würden; zu verhindern, daß auf diese Art die Einzel⸗ staaten gezwungen würden, um ihre Landes-Etats zu balan⸗ ciren, um ihre durch die hohen Matrikularbeiträge bewirkten Deficits zu decken, neue Anleihen zu erheben. Inzwischen war von den Abgg. von Venda, Frhr. von Huene, Frhr. von Maltzahn-Gültz und Rickert folgender Antrag eingebracht worden: Der Reichstag wolle beschließen: . ; Folgende Theile des Reichshaushalts⸗Etats für das Etatsjahr 1885/86 der Kommission für den Reichshaushalts⸗ Etat zur Vor— berathung zu überweisen: ö A. Fortdauernde Ausgaben. Reichstag. Auswärtiges Amt. Reichsamt des Innern. Verwaltung des Reichsheeres. Kap. 19: Höhere Truppenbefehlshaber, Kap. 22: Generalstab und Landes⸗ Vermessungswesen. Kap. 24: Geldverpflegung der Truppen. Kap. 25: Naturalvervpflegung. Kap. 27: Kasernen⸗ und Garnison⸗ gebäude 2c. Kap. 37: Artillerie und Waffenwesen. Kap. 40: Wohnungsgeldzuschüsse, Marineverwaltung, Reichs-Schatzamt, Ueberweisungen an die Bundesstaaten, Reichsschuld, Allgemeiner Pensionsfonds. B. Einnahmen: Zölle und Verbrauchssteuern, Post und Telegraphen⸗Verwaltung, Eisenbahn⸗Verwaltung, Zinsen aus belegten Reichsgeldern, Außerordentliche Zuschüsse, Aus dem Reichs- Festungsbaufonds, Matrikularbeiträge. G. Sämmtliche Kapitel der einmaligen Ausgaben. D. Den Gesetzentwurf, bettef⸗ fend die Feststellung des Reichshaushalts-Etats für das Etatsjahr 1885ñ 86. E. Den Gesetzentwurf, betreffend die Aufnahme einer Anleihe für Zwecke der Verwaltungen des Reichsheeres, der Marine und der Reichs ⸗Eisenbahnen. Der Abg. Frhr. von Maltzahn⸗Gültz erklärte, wenn der Abg. Richter vom Fiasko der Politik des Reichskanzlers ge⸗ sprochen habe, wenn derselbe gesagt habe, der Reichskanzler erscheine nicht mehr als großer Staatsmann, sondern als der kleine Landedelmann von 1847, und in Deutschland herrsche jetzt größere Uneinigkeit, als vor der Herstellung des Reiches — so glaube er, mit solchen Hyperbeln schade der Abg. Richter seiner Sache selbst. Die geringe Zahl, in der seine Freunde hier wieder erschienen seien, sollte den Abg. Richter doch etwas zum Nachdenken darüber bringen, ob das Kämpfen mit sehr hohen Worten, wie es von jener Seite hei den Wahlen und im Hause geübt werde, seiner Sache wirklich diene. Die von ihm angeführten Aeußerungen des Abg. Richter stelle er ge⸗
Form sehr ungewöhnlich. Besonders habe ja die Militär⸗ verwaltung, ohne den Reichstag zu fragen, sehr kostspielige Bauten in Angriff genommen, für die sie nun nachträglich die Genehmigung verlange, so daß der Reichstag gewissermaßen schon dafür engagirt sei. Es hätten wohl politische Rücksichten diesem Verfahren der Verwaltung zu Grunde gelegen; jedenfalls erwarte er, daß die Regierung dasselbe ausreichend rechtfertige. Das werde ja am besten in der Budgetkommission geschehen können. Dem von dem Abg. von Benda vorbereiteten Antrage auf Ueberweisung gewisser Theile des Etats an die Budgetkommission werde seine Partei zustimmen. Besonders sei eine recht gründliche kommissarische Berathung des Marine-Etats, der ja völlig umgestaltet er⸗ scheine, dringend wünschenswerth. Daß die deutschen Kriegs⸗ schiffe jetzt bei den großen an sie gestellten Anforderungen nach höchstens zwanzigjährigem Gebrauch bereits ersetzt werden müßten, sei recht beklagenswerth, aber kaum zu ändern, und es würden daraus für künftige Budgets große Mehrbelastun⸗ gen erwachsen. Bei den Bauten würde man vielleicht noch hier und da Ersparnisse machen können. Wenn über den Luxus der Reichsbauten so vielfach geklagt werde, so glaube er doch, daß das Deutsche Reich wohl den Anspruch habe, daß seine Bauten künstlerisch richtig gedacht und schön ausgeführt würden; dazu gehöre namentlich, daß das Aeußere des Gebäudes dem In⸗ nern stets entspreche. Es könnte aber wohl namentlich bei den Postbauten noch dadurch gespart werden, daß man lieber kleinere Dienstwohnungen und größere Geschäftsräume darin einrichtete. Trotz des Defizits von 41 Millionen sei der heutige Etat indessen noch nicht so ungünstig, wie es der Abg. Richter darstelle. Die Ausgaben für die eigentlichen Reichs⸗ zwecke seien seit 1875 nur um circa 18 Millionen gestiegen, trotz der inzwischen stattgehabten Verstärkung des Heeres und der Flotte. Und wenn man berücksichtige, daß von den 125 Millionen vorgeschlagener Matrikularbeiträge 97 Millionen aus Reichseinnahmen an die Einzelstaaten zurückgezahlt würden, die Effektivsumme der Matrikularbeiträge also nur 27 bis 28 Millionen Mark betrage, so hätten doch jetzt immer noch die Kassen der Einzelstaaten erheblich weniger für das Reich zu leisten, wie vor dem Jahre 1879. Die fortlaufenden nothwendigen Ausgaben Deutschlands wüchsen allerdings dauernd, auch bei ganz normaler Ent⸗ wickelung der Zustände, und hierin widerspreche er den entgegengesetzten Aeußerungen des Abg. Richter entschieden. Möchte der Abg. Richter doch z. B. allein die Mehrausgaben in Rechnung ziehen, die man in den nächsten Jahren nothwendig für die Wittwen und Waisen der Reichs— beamten und der Militärpersonen in den Etat werde einstellen müssen. Ferner brauche man Geld, damit die so dringend nothwendige Steuerreform in den Einzelstaaten, die nur durch das ablehnende Verhalten der Liberalen, namentlich in Preußen ins Stocken gekommen sei, endlich weiter entwickelt werden könne. Die Entlastung der unteren Klassen⸗ steuerstufen von den direkten Steuern sei um so drin⸗ gender erforderlich, je mehr die ärmere Bevölkerung an den indirekten Steuern betheiligt werde. Auch die Reform des Kommunalsteuerwesens sei nothwendig; und in Preußen erheische besonders die Neuregelung des Schul⸗ dotationswesens weitere Mittel. Woher könne man nun alle diese Mittel nehmen? Man müsse — und in diesem Punkte sei seine Partei von jeher Gegner der deutschfreisinnigen Partei — die indirekten Steuern weiter ausbilden. Aber aus der Zuckersteuer könne man demnächst Mehr⸗ einnahmen nicht erwarten. Er dedauere außerordent⸗ lich, daß die Enquete über die Lage der Zuckerindustrie nicht schon vier Jahre früher angestellt worden, sei. Dann hätte man damals die richtigen Maßregeln ergriffen, um all das Unheil zu vermeiden, welches durch die Errichtung viel zu zahlreicher neuer Fabriken seitdem entstanden sei. Aber gegen⸗ wärtig sei die Krisis der Art, daß man es nicht verantworten könne, im jetzigen Moment mit einer Mehrbelastung auf diesem Gebiet vorzugehen. Wer das bestreite, der kenne eben nicht die Lage der Dinge aus eigener Anschauung. Ebenso vorsichtig müsse man bei der Branntweinsteuerfrage vorgehen; freilich seien wohl große Flächen Landes, die besser zum Ge— treidebau verwendet würden, mit Rücksicht auf die Brenne⸗ reien dem Kartoffelbau überwiesen; aber es lebten eben gegen⸗ wärtig so viel Menschen von diesem Kartoffelbau, daß man nicht ohne Weiteres hier einen tiefen Eingriff wagen dürfe. Neue Zölle einzuführen sei ja nun gewiß auch für die Kon⸗ servativen kein Vergnügen, und besonders der Kornzoll dürfe nie höher werden, als ihn die Landwirthschaft zu ihrem Schutze bedürfe. Aber der Kornzoll in seiner jetzigen Höhe habe bisher nur als Finanzzoll gewirlt und die Landwirth— schaft noch keineswegs geschützt. Nöthig habe die Landwirth⸗ schaft einen solchen Schutz aber wahrlich, und zugleich wäre eine mäßige Erhöhung des Kornzolls auch eine erhebliche Ein⸗ nahmevermehrung für das Reich. Die Korn- und Viehpreise seien zur Zeit unglaublich gering, so daß auch die gute Ernte dieses Jahres nicht annähernd die Unterbilanz wieder aus⸗ gleichen könne, welche die Landwirthschaft im vorigen Jahre gehabt habe. Man sage nun, der Kornzoll schütze nur den Großgrundbesitz und nicht den kleinen Mann. Das sei nicht wahr! Denke man nur an die vielen ländlichen Arbeiter, die ihren Lohn in natura, in Korn, erhielten und auf den Ver— kauf desselben zum jeweiligen Marktpreis angewiesen seien. Ferner, wenn der Landmann nichts zu lehen habe, so habe auch der Städter nichts zu leben, selbst der Groß⸗ städter. Auf der Leipziger Messe machten zahlreiche Bauern ihre Einkäufe, und die Kaufleute in Leipzig freuten sich dann, aber wenn der Bauer kein Geld habe, so könne er nichts kaufen. Gerade gegenwärtig seien fast alle Pächter und 9 große und kleine, gezwungen, so⸗ wohl Arbeiter zu entlassen, als auch die Anschaffung von Ma⸗ schinen einzustellen. Eine angemessene Erhöhung der Lorn⸗ zölle würde also, indem sie dem Landmann helfe, ein Segen für das ganze Land sein. Besonders aber würde durch einen höheren Kornzoll vielleicht ein wirksamer Riegel vorgeschoben vor dem infamen Börsenspiel in Korn, unter dem die Land⸗ wirthschaft in Deutschland schwerer leide, als unter irgend etwas Anderem. Wie werde es denn gemacht? Nicht der Ausfal der Ernte falle ins Gewicht, sondern an den großen Börsenplätzen komme der Kaufmann . zum Kaufmann Y. und wette mit ihm darüber, wie in vier Wochen der Preis für Weizen sein werde. Weder will X. den Weizen dann an⸗ nehmen, noch Y. ihn liefern; aber wenn der Termin herankomme, müsse der Versprechende doch in der Lage sein, den Weizen eventuell liesern zu können. Nun werde Weizen aufgekaunst, wo er zu bekommen sei; ausländisches Korn werde ohne Rücksicht
trost dem Urtheil des Landes anheim. Der Etat selbst sei ja
hinaus. Dahinter stecke mehr als der angebliche Schutz des Böttchergewerbes. — Man werde ja nun hier einen artigen
nun nicht nur sehr wenig erfreulich, sondern auch in seiner
auf den inländischen Bedarf über alle Grenzen herangezogen. Dann komme der Termin heran; die Herren beglichen sich lediglich