1884 / 286 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 04 Dec 1884 18:00:01 GMT) scan diff

wurde Superintendent Dieckmann in Verden mit 64 Stimmen gewählt, zum zweiten, weltlichen, Landes⸗Oekonomie⸗Rath von Kaufmann⸗-Steuerwald mit 53 Stimmen.

Pastor Greve⸗Hannover überreichte in Gemeinschast mit dem Senator Liebrecht eine Petition von Gemeindemitgliedern und Kirchenvorständen der Stadt Hannover: die Landes— synode dahin möge wirken, daß der Allerhöchste Erlaß vom 16. August, die Bildung der Schloßkirchengemeinde zu Han— nover betreffend, zurückgenommen werde. Bei der Ueber⸗ reichung der Petition sprach Hr. Greve die Ansicht aus, daß in den nächsten Tagen wahrscheinlich noch Petitionen gleichen Inhalts an die Synode gelangen würden, denn dieser Erlaß habe in der Stadt Hannover viel Aufsehen gemacht und die Gemüther erregt; er bitte, die etwaige Berathung der Petition schon morgen auf die Tagesordnung zu setzen.

Die Petition fand genügende Unterstützung in der Synode, wird also zur Berathung gestellt werden.

Nach Erledigung einer Anzahl von Urlaubsgesuchen wur— den die eingegangenen Schriststücke verlesen. Von 'Bastor Hoppe⸗Osterhol; ist eine Petition, betreffend die Geltend— machung des der Landessynode durch Erwiderungsschreiben vom 17. Februar zugestandenen Rechtes in Bezug auf die Trauungsliturgie.

Es entspann sich eine Geschäftsordnungsdebatte über die Frage: ob der Gesetzentwurf, die Umgestaltung der Konsistorial⸗ behörden der Provinz betreffend, bereits morgen zweckmäßig auf die Tagesordnung gesetzt werde. Abt Uhlhorn theilte mit, daß der Minister der geistlichen Angelegenheiten den Wunsch geäußert habe, die Synode möge noch vor Weih— nachten sich über den Entwurf erklären. Er (Redner) bitte deshalb, den Entwurf möglichst bald zu berathen; es sei doch vielleicht eine Kommission zur Vorberathung nöthig, und so liege die Gefahr nahe, daß die Beschlußfassung‘ bis nach Weihnachten sich verzögere, was er zu vermeiden bitte.

Dr. Brüel hätte zwar eine frühzeitigere Einberufung der Synode lieber gesehen, aber er ist damit einverstanden, daß der Entwurf bereits morgen im Allgemeinen berathen, indeß noch keine Beschlüsse über ihn gefaßt werden, weil die von der Kirchenregierung etwa werdenden Erklärungen zu dem— selben das Urtheil der Synode nur klären könn— ten. Zur Beschlußfassung sei aber reiflichere Ueber— legung nöthig. Nachdem Abt Uhlhorn sich damit ein— verstanden erklärt hatte, wurde die Sitzung geschlossen. Der Plan der Königlichen Regierung über die Umgestaltung der Konsistorialbehörden für die evangelisch⸗lutherisch: Kirche der Provinz Hannover, welche mit dem 1. April 1885 in Wirksamkeit treten soll, hat folgenden Wortlaut: J. Es besteht die Absicht, durch kirchenregimentlichen Erlaß des Landesherrn zu verordnen: A. daß die Konsistorien zu Osnabrück (A. C.), Stade und Otterndorf, der evangelische Magistrat zu Osna— brück und das Kloster Loccum aufhören, als Konsistorial— behörden für die evangelisch-lutherische Kirche zu fun⸗

giren, B. daß die kirchlichen Zuständigkeiten dieser Behör— den betreffs der evangelisch⸗lutherischen Kirche künftig wahr⸗ genommen werden: 1) bezüglich des Bezirks des Klosters Loccums durch das Konsistorium zu Hannover, 2) bezüglich des das Herzogthum Arenberg-Meppen und die Niedergraf⸗ schaft Lingen umfassenden Theils des Konsistorialhezirks Osnabrück durch das Konsistorium zu Aurich, 3) bezüglich des übrigen Theiles des Konsistorialbezirks Osnabrück, sowie bezüglich des Bezirks des evangelischen Magistrats zu Osnabrück und der Konsistorien zu Stade und Otterndorf durch ein neu zu errichtendes Konsistorium, als dessen Sitz Verden in Vorschlag gekommen ist, 9. daß auf das letztzedachte Konsistorium auch die kirchlichen Zuständigkeiten übergehen, welche das Konsi⸗ storium zu Hannover gegenwärtig in den General⸗Diözesen Lüneburg-Harburg und Hoya-Diepholz ausübt.

Oesterreich⸗ Ungarn. Wien, 2. Dezember. (Presse.) Die österreichisch-ungarische Hollkonferenz hatte heute Mittags unter dem Vorßsttz des Sektionschess Szögyenyi eine mehrstündige Berathung, in welcher die Feststellung eines Entwurfs der Instruktionen für die demnächst heginnenden Vertrag sverhandlungen mit der Regierung Griechenlands in Angriff genommen wurde. In den morgen fortzusetzenden Berathungen dürfte eventuell auch die Frage erörtert werden, welche Maßnahmen Angesichts der geplanten Zollerhöhungen in Frankreich nothwendig erscheinen würden, nachdem die von der gemeinsamen Regierung im Namen der beiderseitigen, in dieser Frage völlig einmüthig vorgehenden Handels-Ministerien schon vor einigen Monaten in Paris gemachten Vorstellungen nur die Wirkung hatten, daß die französische Regierung die schon damals geplanten Zollerhöhungen auf Mehl, Getreide und Hornvieh blos ver— tagte, nunmehr aber dennoch durchführen will, und jetzt neuer⸗ liche diplomatische Schritte kaum irgend einen Erfolg haben

würden. Hermann stadt, 2. Dezember. (Wien. Ztg.) Das Landes-Konsistorium hat heute

hiesige evangelische

den Beschluß gefaßt, eine Petition an das Abgeord⸗ netenhaus zu richten: dasselbe möge im Sinne der allge⸗ meinen, den siebenbürgischen Landeskirchen gesetz⸗ lich gewährleisteten Gleichberechtigung anläßlich der Beschlußfassung über den Gesetzentwurf, betreffend die Organisation der Magnatentafel ais Oberhaus die evangelische Landeskirche, nach den gleichen Grund⸗ sätzen wie die römisch-katholische Kirche des lateinischen und griechischen Ritus, die orientalische und unitarische Kirche dieses Landes behandeln und dieselbe, was das Vertretungtz— recht im Oberhause anbelangt, nicht hinter die anderen Kirchen Siebenbürgens stellen.

ö Pest, 2. Dezember. (Wien. Ztg.) Bei Fortsetzung der Budgetdebatte im Abgeordnetenhause entwarf der Abg. Wolf (Hermannstadt) ein düsteres Bild der finanziellen und wirthschastlichen Zustände Ungarns und sagte: ver Unterrichts-Minister habe selbst die Ueberzeugung ausgedrückt, daß Ungarn zu Grunde gehe, wenn es nicht zu einem industriellen Staate werde. Trotzdem werde das Kleingewerbe durch die österreichische Fabriksindustrie zu Grunde gerichtet. Ungarn sei das ärmste und nach der Türkei meist besteuerte Land. Redner klagte über die Unterdrückung der Nationali⸗ täten und die Außerachtlassung der Bestimmungen dieses Ge⸗ setzes. Er acceptire das Budget, ohne jedoch hierdurch eine Vertrauengkundgebung für die Regierung zu beabsichtigen. Bela Grün wald plaidirte für die Verwirklichung der Idee des ungarisch⸗ nationalen Staates, wofür sich aber der Minister⸗Präsident nicht begeistere. Er werde zwar nicht gegen die Spezialberathung des Budgets stimmen,

dieser Regierung aber vermöge er dasselbe nicht zu votiren. Jul. Lukäct plaidirte fr den Beschlußantrag der äußersten Linken. Eugen Gaäl unterzog die Finanz⸗ politik der Regierung einer abfälligen Kritik und schloß mit einer ähnlichen Erklärung wie Grünwald. Hierauf nahm Minister⸗Präsident von Tisza das Wort, wies in glän⸗ zender polemischer Rede auf die Seitens der Regierung zur Hebung der Landwirthschaft bereits getroffenen Maßnahmen hin und erklärte, daß die Regierung seit Jahren mit dem Gedanken der Ablösung des Schankregals beschäftigt sei, sich aber den geeigneten Moment vorbehalten müsse. Der Minister⸗Präsident trat entschieden für das gemeinsame Zollgebiet ein, nachdem ein abgesondertes Zollgebiet ebenso der ungarischen Landwirthschaft wie der Industrie abträglich wäre, und wies endlich in wirksamer Weise die Behauptungen zurück, daß er jemals in dunkelen Kammern Politik gemacht habe, ferner, daß er im Interesse des ungarischen Staates und der ungarischen Nation mit rücksichtsloser Tyrannei vorgehe und sich über Alles hinaus⸗ setze. Der Minister Präsident erklärte Grünwald gegenüber, er wolle auch jetzt keine Gewaltpolitik befolgen und stimme der Ansicht zu, man müsse das Uebel im Keime ersticken. Er verwahrte sich aber dagegen, daß, wenn er vom Hause die nöthigen Vollmachten verlange, um die sichtbaren Keime des Hasses zwischen den Rassen und Nationalitäten zu ersticken, die Opposition behaupte, daß dies ein grundloses Verlangen und nur der Vorwand sei, um Ausnahmemaßregeln zu erpressen. Der Minister bat das Haus, nicht abzuwarten, bis die Hora⸗ Kloska oder eine anderartige Feier in Flammen die Gegen— wart des Uebels anzeige, sondern ihm die Mittel zu ge— währen, dasselbe im Keime zu ersticken. Er sei sich bewußt, stets ein Ziel vor Augen gehabt und mit allen Bemühungen angestrebt zu haben: die Verwirklichung und Konfo— lidirung der ungarischen Staatsidee. Lebhafter, langanhaltender Beifall folgte der Rede des Ministers.

Schweiz. Bern, 2. Dezember. (Bund.) Der Beschluß des Bundesraths in der Tessiner Angelegenheit lautet:

In Betracht, daß die Regierung des Kantons Tessin den Auf— forderungen des Bundesrathes schließlich dadurch nachgekommen ist, daß dieselbe die Fortsetzung der ungültig erklärten Vollstreckung ein— stellte, daß sie ferner dem Herrn Enderlin die Steigerungssumme von 3100 Fr. anbot, mittelst welcher derselbe durch das tessinische Gesetz in den Stand gesetzt war, das Grundstück zurückzukaufen, und endlich daß die Regierung sich gegenüber dem Bundesrathe sogar anheischig machte, den Hrn. Enderlin, wenn nöthig, mit Gewalt wieder in den Besitz seines Eigenthums zu setzen. In Betracht, daß die Anerbietungen des Staatsrathes bei denen derselbe behaftet bleibt bis jetzt darum erfolglos geblieben sind, weil einerseits der Käufer des Grundstückes unterdessen Klage bei dem Bundesgerichte erhob und anderseits Hr. Enderlin die Annghme der Kaufsumme verweigerte, wenn ihm nicht vorher eine Eatschädigung für die Besitzstörung bezahlt werde. In Betracht, daß dieset Entschädigungs begehren bei dem Bundesrathe nicht gestelll unk von ihm nicht zu erledigen ist. In Betracht, daß unter diesen Um— ständen jedes weitere Verfahren, soweit es sich auf die Restitution des Grundstückes bezieht, von Seite der politischen Behörden einge⸗ stelt werden muß. In Betracht, daß der Staatgrath des Kantons Tessin für alle Folgen verantwortlich bleibt, welche aus seiner Weige— rung, die wiederholten Suspensionsbeschlüsse des Bundesrathes recht— zeitig zu vollziehen, entstanden sind, beschließt der Bundesrath: L Der Staatsrath des Kantons Tessin bleibt für alle Folgen seines Verhaltens, gemäß den in dieser Angelegenheit ergangenen Beschlüssen des Bundesrathes, verantwortlich. 2) Die von dem Staats— rath auf Anordnung des Bundesrathes verfügte Einstellung des Vollstreckungsverfahrens Fegen die Munkzspalltät von Lugano wird aufrecht erhalten und es steht der in Händen des Staatsrathes liegende Kaufpreis zur Verfügung der Be— theiligten. 3) Der Bundesrath behält sich den Entscheid in der Hauptsache vor, sobald der Nationalrath über die Gültigkeit der Wahl entschieden haben wird. 4) Der vorliegende Beschluß wird dem Staatsrathe von Tessin, sowie der Munizipalität von Lugano durch den eidgenössischen Kommissär eröffnet. Hr. Kommissär Karrer wird ermächtigt, nach stattgefundener Notifikation des vorstehenden Be⸗ schlusses an den Staatsrath des Kantons Tessin und an die Munizi⸗ palität von Lugano für einmal aus dem Tessin zurückzukehren. Gleichzeitig erhält das Militär⸗Departement den Auftrag, die ange⸗ ordnete Piketstellung wieder aufzuheben.

Großbritannien und Irland. London, 2. Dezember. Allg. Corr.) Die Königin enthüllte gestern in der St. Georgskapelle des Schlosses Wind sor das Grabmal des verstorbenen Dechanten von Windsor, Pr. Wellesley.

In der gestrigen Sitzung des Unterhaustes unter— breitete der Premier Gladstone dem Hause die Vorlage für die Neueintheilung der Wahlkreise. In seiner einleitenden Rede erklärte der Premier: Das Haus werde sich erinnern, daß er vor 14 Tagen andeutete, daß wenn die Regierung es möglich fände, hinreichende Versicherungen zu zu erhalten, daß die Wahlreformvorlage unverzüglich erledigt werden würde, die Regierung nicht abgeneigt sein würde, eine Bill für die Neueintheilung der Wahlbezirke einzubringen und dieselbe so rasch als möglich zu erledigen. Er freue sich, mittheilen zu können, daß die Regierung hin— reichende Versicherungen, daß das Oberhaus die Wahl⸗ reformvorlage erledigen werde, empfangen habe, und indem er jetzt dem Hause die versprochene Bill für die Neueintheilung der Wahlbezirke unterbreite, freue er sich, daß ein Streit, der das Land erregt und gespalten habe, in befriedigender Weise beigelegt worden sei. Der Premier erläuterte fodann die Details der Vorlage: Städte und Wahlflecken, deren Ein— wohnerzahl nicht 15 000 übersteigt, sollen in den Landbezirken aufgehen. Städte mit 15 000 - 50 000 erhalten einen, Städte mit 50 000 165 000 erhalten zwei Vertreter. Die Ver— tretung von London erfährt eine durchgreifende Veränderung: In der Nachharschaft der Metropole werden sieben neue Wahl⸗ flecken geschaffen, welche unter sich acht Mitglieder wahlen, wodurch London 37 Vertreter im Unterhause erhält. Liver— pool erhält 6 neue Mitglieder, Glasgow und Birmingham je 4, Manchester 3, Leeds und Sheffield je 2. Die City von London wählt, da ihre Bevölkerung des Nachts nicht 165 0600 Seelen übersteigt, nur zwei Vertreter. Das Gesammtresultat der Neueintheilung erhöht die Zahl der Mitglieder bes Hauses der Gemeinen um 12, giebt England 6, Schottland 12 Reue Sitze und läßt die Vertretung von Irland und Wales beim Alten. Im Weiteren kündigte der Premier an, daß eine Kommission zur Eintheilung der Wahlflecken und Feststellung der Land⸗ bezirke bereits ernannt fei. Die Arbeiten der Kommission würden wahrscheinlich zwei Monate in Anspruch nehmen und rechtzeitig zum Abschluß gedeihen, um ihre Ergebnisse nach den Weihnachtsferien des Parlaments der Bill einzuverleiben. Nach, kurzer Debatte über gewisse Details der Vorlage

wurde dieselbe zum ersten Male gelesen und die zweite Lesung auf nächsten Donnerstag anberaumt.

Die „Times“ sagt über die Bill: „Der in der gierungsmaßregel verkörperte Plan ist einigermaßen ver wih obwohl die leitenden Prinzipien klar genug sind. Der Ein druck, welchen Mr. Gladstone durch seine Analyse der Ye stimmungen der Bill erzeugte, kann nicht in einige überstürz⸗ Phrasen zusammengefaßt werden. Mit sehr wenigen Au nahmen sind die tonangebenden Männer beider Parteien vor bereitet, den Plan im Geiste der Einführungsbemerkungen des Premier⸗Ministers aufzunehmen, und es wird sich zweise los finden, daß weder unter den vordersten Reihen der,. Opposttion, noch auf den Ministerbänken die Neigun vorhanden ist, auch nur ein einziges Wort zu äußern, welt] Parteigefühle oder Befürchtungen anregen, oder auf irgend eine Weise die Erinnerung an frühere Kämpfe zurückrusen lönnte. Aber während derartige Erwägungen wahrschein ich die Debatten des Parlaments begleiten werden, dürfte die Wirkung der Bill, von unabhängigen Politikern mit ; mischten Gefühlen betrachtet werden, und über ihre Wirkun im Detail muß das öffentliche Urtheil vor läufig ausgesen bleiben.“

Der Finanz⸗Sekretär des Schatzamts, Courtney hat sein Amt niedergelegt, weil das in der Bill für die Neueintheilung der Wahlkreise vorgeschlagene System, der Mehrzahl der Wahlbezirke nur einen Vertreter zu geben, nicht gehörige Sicherheit für die Vertretung der Minoriuäten biete.

Frankreich. Paris, 3. Dezember, Nachmittags. (W. T. B.) In parlamentarischen Kreisen glaubt man daß die Dringlichkeit für die Senats⸗Wahlreform vor lage zurückgezogen werden wird. Der Gesetzentwurf würde alsdann in fünf Tagen zur zweiten Lesung gelangen. Falls dabei das Kabinet die Vertrauensfrage stellen sollte, wärs die Verwerfung des Amendements Floquet wahrscheinlich. Zwischen den Ministern und den Parteiführern finden gegenwärtig Besprechungen statt. Die Kom— mission für die Senats-Wahlreform und die Gruppe der republikanischen Union traten heute zu einer gemein⸗ samen Berathung zusammen. Die Lage ist bis jetzt unver⸗ ändert; eine Verständigung erscheint wahrscheinlich—

3. Dezember, Abends. (W. T. B.) Aus der heutigen Berathung der Kommission für die Senatswahl— reform geht hervor, daß die Kommission das A mendement Floguet als eine Erklärung von lediglich prinzipieller Natur, ohne wirklich praktische Bedeutung ansieht. Die Mehrheit in der Kommission ist den Ansichten der Regierung ünstig. Die xepublikanische Union erkannte einstimmig an, daß das Votum über das Amendement Floquet durchaus keine Kabinetsfrage involvire. Der Ministerrath hält heute Aben? noch eine weitere Berathung.

Der „Temps“ sagt in einer Besprechung der engli⸗ schen Anträge in der egyptischen Angelegenheit: dieselben kämen in der That der Errichtung des englischen Protektorats über Egypten gleich. Dasselbe Blatt demen— tirt die Nachricht von dem Auftreten der Cholera unter den französischen Truppen auf Formosa. Das Jour— nal „Paris“ sagt: der Marine-Minister habe heute Vormittag ein Telegramm des Admirals Courbet erhalten, welches melde, daß der Gesundheitszustand auf allen Schiffen ein befriedigender sei.

4 Dezember, früh. (W. T. B.) Der Minister⸗ rath trat gestern Abend 9 Uhr im Palais Elysée zusammen, um über die Lage zu berathen. Die Berathung dauerte bis gegen Mitternacht. Auf dringendes Ansuchen des Prä⸗ sidenten Gréyy und der Minister erklärte sich der Minister des Innern bereit, auf seinem Posten zu bleiben. Der Ministerrath entschied sich gleichzeitig dafür, die Wahlreformpvorlage im Senat einzubringen und von Letzterem die Annahme des von der Kommission der Deputirtenkammer acceptirten Systems zu verlangen. Der Minister-Präsident und der Minister des Innern werden heute in der Kommission der Kammer erscheinen.

Italien. Rom, 3. Dezember. (W. T. . „Osservatore Romano“ schreibt: Die Einleitung der Note des spanischen Ministers des Auswärtigen, vom 22, Juli d. J, an die italienische Regierung, anläßlich der Pidal-Affaire, veranlaßte den RuntiLus in Madrid, von dem Minister des Auswärtigen Aufklärungen zu verlangen, da die offizielle italienische Presse diese Note dahin interpretire, daß Niemand unter den spanischen Katho— liken die weltliche Macht des Papstes vertheidige oder selbst nur bespreche. Der spanische Minister des Auswärtigen richtete daraufhin eine Note an den Nuntius, worin er den wahren Sinn seiner Note vom 22. Juli näher präzisirte und jede andere Interpretation zurückwies. In dieser Note erklärte der Minister, wie der „Osservatore“ weiter meldet: die gegenwärtige Regierung werde immer wie ihre Vor— gängerinnen handeln und auch das geringste Recht des Vatikans achten. Die Regierung erkenne selbst an, daß ein beträchtlicher Theil der politischen Elemente Spaniens nie aufgehört habe, einer weltlichen Macht des Papstes günstig gesinnt zu sein. Die Regierung des Königs Alphons sei fest entschlossen, die gegenwärtig bestehenden guten Beziehungen zu den Mächten aufrecht zu erhalten; sie werde aber auch, wenn dies noch möglich sei, die Bande kindlicher Anhänglichkeit des Königs und seiner katholischen Unterthanen an den Papst noch mehr zu befestigen trachten. Die Note gab schließlich den Gefühlen des Ministers für die der ganzen Welt nothwendige Unabhängigkeit des Papstes Ausdruck. Nach diesen Auf— klärungen erklärte sich der Vatikan vollständig befriedigt.

Türkei. Konstantinopel, 4. Dezember. (W. T. B.) Der englische Geschäftsträger Win dham hat gestern der Pforte eine Cirkularnote überreicht, welche die von England in Folge der Mission Northbrooks bezüglich Egyptens formulirten Vorschläge enthält.

Salonichi, 30. November. (A. E.) Neun bulga— rische Protestanten aus dem Distrikt Strumnitza in Macedonien, die von einigen orthodoxen Bulgaren beschul digt worden waren, gewisse Briganten be— herbergt zu haben, wurden hier vor fünf Wochen ein— geliefert, und jetzt ist ihnen vor einem Kriegsgericht unter dem Vorsitz des Commandeurs en chef Haffan Pacha der Prozeß gemacht worden. Das Verfahren endete mit der Freisprechung der Angeklagten, da der Gerichtshof ermittelte, daß die gegen sie erhobene Anklage falsch und bös— willig war, und nur deshalb erhoben wurde, um Andere vom Uebergang zum protestantischen Glauben durch Einschüchterung abzuhalten.

Amerika.

Washington, 1. Dezember. (Allg. Corr) Dem Kongreß

ist die Botschaft des Präsidenten

Arthur übermittelt worden. In ihrem Eingange lenkt die- elbe im Hinblick auf den Ernst der jüngsten Träsidentenwahl die Aufmerksamkeit des Kongresses auf die Nothwendigkeit genauerer und definitiver Negulative für die Zählung der Rahlstimmen. Dann fährt die Botschaft fort: „Die Beziehun⸗ gen der Vereinigten Staaten mit fremden Ländern sind reundschaftlicher Natur. Die Feindseligkeiten zwischen Frank reich und. Ching bilden fortgesetzt eine Verlegen⸗ heiten hereitende Phase unserer östlichen Beziehungen. Die jüngste Erwerbung der großen chinesischen Handelsflotte Sei tens der Vereinigten Staaten hat unseren kommerziellen Ein⸗ fluß im Osten wesentlich erhöht. Im Weiteren empfiehlt die Botschast die Wiederherstellung eines General-⸗Konsulats der Vereinigten Staaten in Cairo auf der früheren Basis und ladet den Kongreß ein, Schritte zur Vollendung des Sockels von Bartholdi's Statue der Freiheit zu thun. Ferner schlägt sie die Anknüpfung von Unterhandlungen für einen ganz Deutschland umfassen den einzigen Auz⸗ lieferungsvertrag, vor. Den. Zwischen verkehr mit Groß⸗ britannien bezeichnet die Botschaft als höchst freund⸗ lich. Sie begünstigt die Fortdauer des mit Hawaii be⸗ stehenden Gegenseitigkeits vertrages für weitere 7 Jahre. Die Botschaft sagt: es würde angezeigt sein, zu erwägen, ob der Unterschied, der gegenwärtig zu Gunsten der Erzeugnisse amerikanischer Künstler im Auelande gemacht werde, nicht die thatsächliche Ausschließung amerikanischer Maler und Bild⸗ hauer von den Vortheilen, die sig bislang im Auslande ge⸗ nossen, zur Folge haben dürfte. Mit Nicaragua sei ein Ver⸗ trag geschlossen worden, welcher die Anlegung eines Kanals, einer Eisenbahn und eines Telegraphen querüber Nicaragua Seitens der Vereinigten Staaten autorisirt. Der Nicaragua See und 69 Meilen des Flusses San Juan werden einen Theil des projektirten Unternehmens hilden, wodurch für die An⸗ legung des Kangls nur 17 Meilen am User des Stiden Ozeans und 36 Meilen am Ufer des Atlantischen Ozeans verbleiben. Die Botschaft sagt ferner, daß die Beamten der Regierung angewiesen worden sind, Verletzungen der Neutralitätsgesetze gegen Kuba in Key-West, und anderwärts in der Nahe der kubanischen Küste zu verhindern. Der spa⸗ nisch-aömerikanische Handelsvertrag werde dem Kongreß bal⸗ digst unterbreitet werden, und die Unterhandlungen sür den Abschluß eines kommerziellen Gegenseitigkeitsvertrages mit Dominica seien zu einem erfolgreichen Abschluß gebracht worden. Gewisse Fragen mit der Türkei harrten noch der Lösung, und den Beschwerden amerikanischer Bürger sei kein befriedigender Redreß von der Pforte zu Theil geworden, die dem amerikanischen Handel das Recht der Behandlung der meist begünstigten Nation vorenthalte. Mit Bezug auf die an Amerika erlassenen Einladungen, an internationalen Aus stel⸗ lungen sich zu betheiligen, namentlich an der, welche im Mai 1885 in London abgehalten werden soll, empfiehlt die Bot— schaft, dem Präsidenten allgemeine discretionäre Gewalten zu verleihen, dieselben anzunehmen und Ehren⸗Kommissare zu ernennen. Die Botschast befürwortet die Einführung revidirter internationaler Bestimmungen für die Verhinderung von Schiffszusammenstößen auf offenem Meere und eines inter— nationalen Verlagsrechtes. Ferner empfiehlt sie eine Erweit⸗— rung des Spielraumes der Neutralitatsgesetze, um alle in Amerika verübten offenen Akte der Feindseligkeit, die gegen befreundete Nationen gerichtet sind, zu decken. Der moderne Erfindungsgeist liefere die Mittel, Feindselig— keiten ohne offenen Rekurs zu armirten Schiffen oder Kreuzern zu organisiren; allein es sei kein Grund vor⸗ handen, warum offene Vorbereitungen in Amerika für die Verübung verbrecherischer Handlungen nicht strafbar sein sollten, gleichviel ob dieselben in Amerika oder in einem fremden Lande, mit welchem die Vereinigten Staaten in Frieden leben, verübt werden sollen. Die Botschaft fügt hinzu, daß die prompte und gründliche Behanvlung dieser Frage die nationale Ehre eng berühre, und daß die Naturali— sationsgesetze einer Revision bedürfen. Sie stimmt überein mit dem Vorschlage des Schatzsekretärs MeCulloch auf eine unverzügliche Suspendirung der Prägung von Silberdollars und Ausgabe von Silbercertifikaten und theilt auch dessen Anschauungen über die Silberfrage. Die Botschaft sagt: Sollte Silber die Metal währung werden, so kann die Handelsstörung und die Gefährdung des nationalen Kredits, die dadurch veranlaßt werden würde, kaum geschätzt werden. Während Handelsdollars aufgehört haben, ein Element thätiger Störung in unserem Geldumlaufssystem zu sein, sollte irgend welche Fürsorge für deren Uebergabe an die Regierung ge⸗ troffen werden. Die Botschaft befürwortet wiederholt die Ab⸗ schaffung der Accisesteuer, ausgenommen auf destillirte Spirituosen und hebt hervor, daß die Einkünfte nicht allein hinreichen würden, vernünftige Ausgaben zu bestreiten, sondern auch einen genügenden Ueberschuß zu gewähren, um eine räthliche Tarifreduktion zu gestatten. Die Botschaft stiumt mit Mr. Me Culloch überein betreffs der Schiffahrts— frage und der Ernennung einer Kommission zur Erwägung der Mittel zur Hebung des ausländischen Handels. Sie be— tont die Wiederherstellung der Marine und die Ergreifung von Maßregeln zur Abschaffung der Vielweiberei in Utah. Sie deutet die allgemeinen Prinzipien an, welche den An— strengungen zur Ausbreitung des ausländischen Handels zu Grunde gelegt werden sollten. Die Botschaft dringt auf die Ergreifung von Maßregeln gegen die Einschleppung der Cholera und empfiehlt schließlich, dem General Grant eine Pension auszusetzen.

3. Dezember. (W. T. B.) Dem Senat ist eine Vorlage, betreffend die Suspendirung der Prägung von Silberdollars, zugegangen.

Afrika. Egypten. Kairo, 1. Dezember. (Allg. Corr.) Lord Wolseley hat den nachstehenden Tagesbefehl an die Front gesandt, mit der Weisung, denselben an der Spitze jedes Regiments und Bataillons, vor jeder Batterie und jedem abgesonderten Truppenkörper an drei hintereinander folgenden

agen zu verlesen:

»An die Soldaten und iatrosen der Nil, Expedition! Der Entsatz General Gordons und seiner Garnison, die so lange in Khartum belagert sind, ist die rühmliche Aufgabe, mit der die Königin uns betraut hat. Es ist ein Unternehmen, welches das Herz jedes Soldaten und Matrosen, der glücklich genug ist, sich daran betheiligen zu dürfen, slärker klopfen macht. Ja, die Größe der vor uns liegenden Schwierigkeiten spornt uns nur zu er— öhten Anstrengungen an.

Wir Alle sind stol; auf General Gordons tapfere, selbst auf opfernde Vertheidigung von Khartum, welche, wenn dies möglich ist, einen bereits großen Ruf noch erhöht hat. Er kann sich nicht viele

anate länger balten, und verlangt von uns die Rettung seiner Garnison. ein Heldenmuth und Patriotismus sind sprichwörtlich, wo immer unsere prache gehört wird, und seine Sicherheit ist nicht nur eine Sache

von nationaler Bedeutung geworden, sondern die Kenntniß, daß ein tapferer Kamerad hülfsbedürftig ist, drängt uns auch dazu, mit doppelter Energie vorzudringen. Weder er noch seine Garnison dürfen dem traurigen Geschick überlassen bleiben, welches seinen tapferen Waffengefährten, Oberst Stewart, ereilte, der bei der Ausführung eines mit ungewöhnlicher Gefahr verknüpften Unternehmens grausam und verrätherisch hingemordet wurde. Wir können, und mit Gottes Hülfe werden wir General Gordon vor einem solchen Tode retten.

Unsere Bewegung diesen Fluß aufwärts erfordert un ge— heuere Anstrengungen, und dieselben ohne Murren zu tragen, erfordert die höchsten soldatischen Eigenschaften jene Verachtung der Gefahr, und jene Entschlossenheit, Schwierigkeiten zu überwinden, welche in früheren Feldzügen sämmtliche Rangstufen in Ihrer Majestät Armee und Marine in so hohem Grade ausgezeichnet haben. Die phy⸗ sischen Hindernisse, welche unser rasches Vorrücken beeinträchtigen, sind beträchtlich; doch wer legt darauf allzu großes Gewicht, wenn wir daran denken, daß General Gordon und seine Garnison in Gefahr sind? Nächst Gott liegt deren Sicherheit jetzt in Eueren Händen und, komme was da wolle, wir müssen sie retten. Es ist unnöthig, bri⸗ tischen Soldaten und Matrosen mehr zu sagen.“

(W. T. B.) Das „Reutersche Bureau“ meldet in Be⸗ zug auf die von ihm über den Tod des Mahdi gebrachte Nachricht, daß, nach einer Depesche aus Kairo vom 3, bis jetzt we der dem Khedive noch dem General-Konsul Baring von Wolseley oder von dem Mudir von Dongola eine Nachricht über den Tod des Mahdi zugegangen sei.

Seitungsstimmen.

In der „Berliner Börsen-Zeitung“ lesen wir:

Folgendes wird aus Friedberg gemeldet: Am 28. November war eine größere Anzahl nasionalliberaler Gesinnungsgenossen in der Wirthschaft des Hrn. Franz Steinhäußer, dem alten Stammquartier unserer Partei am hiesigen Platze, am „runden Tisch⸗ zum Abend⸗ schoppen vereinigt. Das Gespräch bildete Bismarcks letzte Rede, und machte sich der Wunsch geltend, an den Reichskanzler, der mit alt— bewährter Meisterschaft die Gegner so glänzend abgefertigt hatte, ein Beglückwünschungstelegramm zu entsenden. Dieser Vorschlag fand all⸗ seitigen Anklang und wurde ein solches Telegramm unter Bezugnahme auf den Pyrrhussieg, den die Deutsch⸗Freisinnigen und ihr Kandidat der Vereinigung der heterogensten Elemente zu danken haben, alsbald ab⸗ gesandt. Der Reichskanzler beantwortete dieses Telegramm alsbald mit folgendem Schreiben:

„Hrn. Franz Steinhäußer, Wohlgeboren zu Friedberg. Für die freundliche Begrüßung durch Ihr Telegramm danke ich verbindlichst, und hoffe, daß die Herren vom runden Tische sich durch die erlitten? Niederlage nicht den Muth nehmen lassen, für die wirthschaftliche und politische Kräftigung des Reiches mit Erfolg fortzuwirken.

Berlin, 30. November 1884. von Bismarck.“

Die „National⸗-Zeitung“ sagt in einer Be— sprechung der gestrigen Reichstagssitzung in Betreff des An⸗ trages des Centrums auf Aufhebung des Reichsgesetzes über die Internirung und Ausweisung von Geistlichen:

. . . Ueber den mit 217 gegen 93 Stimmen angenommenen Antrag selbst braucht kaum noch etwas gesagt zu werden. Wir haben ihn, seit er zuerst vor drei Jahren gestellt wurde, immer als die bloße Demonstration zu Gunsten! des Cen“ trums betrachtet und bekämpft, als die Fürst Bismarck ihn heute er sprach drastisch von einem aufgesteckten Geßlerhut, der begrüßt werden solle kennzeichnete. Das Gesetz ist seit Jah ren nicht angewendet worden, und die ganze Situation spricht gegen die Vermuthung, daß seine Wiederanwendung bevorstehen könnte. Alle davon betroffenen Personen sind amnestirt worden bis auf 27, die, wie der Kanzler heute sagte, verschollen sind, betreffs deren die Aufhebung der Folgen des Gesetzes weder von ihnen selbst, noch von einem Bischof beantragt worden. Die formelle Abschaffung ge⸗ rade dieses Gesetzes ist also sicher nicht eilig. Dazu kommt, daß die verschiedenen Bestimmungen desselben keineswegs gleichmäßig zu beurtheilen sind; manche gehen unbedingt zu weit, andere dagegen sind für den Fall erneuter, konsequenter Gesetzverachtung Seitens des Klerus durchaus der Beibehaltung werth. Ünd endlich ist es doch eine höchst seltsame Prozedur, das zum Vollzug der preu⸗ ßischen kirchenpolitischen Gesetze bestimmte Mittel ohne Rücksicht darauf zu beseitigen, wie weit diese selbst noch in Kraft bleiben. Wenn Angesichts dieses Standes der Dinge der Antrag Windthorst uns immer als die Demonstration zur Erhöhung des klerikalen An— sehens und zur Verstärkung der vatikanischen Prätentionen erschien, als die der Reichskanzler ihn heute darstellte, so haben wir es immer bedausrt, daß zuerst ein Theil der Linksliberalen, dann sie allefammt dem Antrag ihre Unterstützung liehen. Inmitten der Wirren einer solchen Lage müssen unseres Erachtens blos taktische Erwägungen, wie sie die Opposition wohl zur Zustimmung zu dem Antrage führen können, in den Hintergrund gedrängt werden' durch die Ueberzeugung von der Schädlichkeit des Dominirens der klerikalen Partei in unserm öffentlichen Leben und demgemäß von der Nothwendigkeit, die Re⸗ gierung zu unterstützen hei jedem Versuche, den sie macht, auf der Bahn der Zugeständnisse an den Klerlkalismus einzuhalten. Man braucht, um solche Unterstützung zu leisten, sich durchaus keiner Selbsttäuschung über die Unsicherheit derartigen Haltmachens hinzu⸗ geben: aber ebenso mißlich, wie solche Illustonen, dünkt es uns, durch die Betheiligung an Demonstrationen für die klerikalen Ansprüche irgend 366 Verantwortlichkeit für weitere Befriedigung derfelben zu übernehmen. . ..

Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“

schreibt: Die Neue Freie Presse“

in Wien ist ein unverdächtig⸗ freihändlerisches Organ; diesem Blatte erstattete sein Londoner Cor— respondent kürzlich folgenden Citybericht, betreffend die deutsche Kon— lurrenz auf dem Weltmarkte, der den in Pessimismus schwelgenden Organen der deutschen Freihandelsschule zur Beachtung empfohlen zu werden verdient:

»Ein ganz eigenthümliches Gefühl der Unbehaglichkeit macht sich in allen Citykreisen, oder, wenn ich mich richtiger ausdrücken will, in allen Geschäftskreisen und Mittelpunkten des Handels, sowie der Industrie Großbritanniens bemerkbar. Dieses Gefühl kann nicht nur als eine vorübergehende Aufwallung, als eine Erregung von gestern auf heute“ bezeichnet werden, welche wieder ebenso schnell verschwinden könnte, sondern als eine welt tiefer sitzende Empfindung der Unsicher⸗ heit. der Besorgniß bezüglich der leitenden Stellung Englands, welche dasselbe bis heute auf den Märkten der Welt eingenommen hat. Die Befürchtung, daß Großbritannien diese Position ver— lieren könne, ergreist immer größere Kreise, und Hunderte von Anzeichen kommen zum Vorschein, daß die Besorgniß keine ganz grundlose ist. Die kommerzielle Welthertschaft Großbritanniens ist ernstlich bedroht, und der große Rivale, der England in den Schatten zu stellen, zu verdunkeln sich anschickt, ist Deutschland Der britische Kaufmann kann in den letzten Jahren keinen Bericht irgend eines englischen Konsuls aus irgend welchem Theile der Welt in die Hand nehmen, ohne darin die ominösen Klagen zu lesen, daß der deutsche Handel dem englischen daselbst die gefährlichste Konkurrenz bereite. Aus China und Japan wie von Australien nnd dem Kap lauten diese Berichte immer gleich in demselben Sinne, und heute zufallig finde ich in der offiziellen Gazette“ wieder Konsularklagen des nämlichen Inhalts aus Tanger in Marokko, aus Guatemala und Brasilien. Ueberall ist der Deutsche auf dem besten Wege, dem Engländer den Rang abzu⸗ laufen, wenn nicht gar den Letzteren von dem Markte zu verdrängen. Die Berliner Börse beginnt die Führung auf einem Geblete des Geldweltmarktes, nämlich dem der auswärtigen Staattanlehen, zu übernehmen, welches bisher fast das ausschließliche Monopol des Londoner Geldmarktes war, und die Thatsache, daß gerade jetzt in Berlin die Kongo⸗Konferenz eröffnet wurde, muß dem britischen Kauf ˖

manne gar deutlich den Beweis vor die Augen führen, daß auch auf einem Felde, auf dem noch bis vor ganz kurzer Zeit der englische Ein⸗ fluß allein und ausschließlich entscheidend war, (ine andere Macht die Führerrolle übernommen hat. Aus allen diesen Gründen, zu welchen noch das Bewußtsein der Inferiorität der englischen Kriegeflotte sich gesellt, machen heutzutage die Berichte von dem Mangel an Be⸗ schäftigung der Arbeiter sämmtlicher Schiffswerften Englands und Schottlands, die Meldungen des schlechten Geschäftes von Bristol is Dundee einen viel tieferen Eindruck auf die City, auf die Ge⸗ schäftswelt Englands überhaupt, als in früheren Zeiten. Man er⸗ blickt in diesen Berichten nur weitere Symptome eines Zurückgehens des englischen Handelsprestines überhaupt, und der britische Löwe wird alle seine Kräfte anstrengen müffen, um nicht von seinen Ri⸗ valen, die ihm gar scharf auf den Fersen sitzen, ganz aus dem Felde geschlagen zu werden.“

Dazu bemerkt die Deutsche volkswirthschaftliche Cor— respondenz“:

Wir sind begierig, ob unsere Freihändler es auch fernerhin noch wagen werden, die Wirthschaftspolitik des Reichskanzlers als eine ver— fehlte hinzustellen, und uns in allen Dingen das Vorbild Englands zur Nachahmung zu empfehlen. Daß übrigens die oben citirten Be— richte der englischen Konsuln Aufnahme in die freihändlerische „N. F. Pr. gefunden haben, beweist, daß dieses Blatt sich trotz aller seiner sonstigen Sünden ein größeres Maß von Objektivitat und Unparteilichkeit bewahrt hat, als jene Zahl freihändlerischer deutscher Blätter, welche ihre Spalten am liebsten mit solchen Nachrichten und Betrachtungen füllen, welche in grober Fälschung der Thatsachen ein Zeugniß gegen die Richtigkeit der Politik des Reichskanzlers enthalten.“

Nr. 48. Inhalt: Bahnhofes Limburg

Centralblatt der Bauverwaltung Nichtamtliches: Die Wasserversorgung des a. d. Lahn. Die Seine ⸗Speicher in Paris.

Statistische Nachrichten.

Die über seeische LusWwanderung Deutscher über deutsche Häfen und Antwerpen betrug in der Zeit von Anfang Januar bis Ende Okkober 1334 135 690 Personen, d. i 183 4 Personen weniger als im gleichen Zeitraum des Vorjahres, während dessen 153 394 folche Aus—⸗ wanderer gezählt wurden, während deren Anzahl sich in den ersten 19 Monaten des Jahres 1882 auf 179 443 und des Jahres 1881 auf 194 801 belief.

Den „Nachrichten über Industrie, Handel und Verkehr“, welche von dem statistischen Departement des österreichischen Handels—⸗ Ministeriums herausgegeben werden, entnehmen wir folgendes aus der Statistik des österreichischen Telegraphen im Jahre lssz. Die Gesammtlänge der Stgats«, Eisenbahn⸗ und Privat-Telegraphen⸗ linien des österreichischen Staatsgebiets betrug Ende 1883 36 4646,39, jene der Drähte gö5 965,46 km, davon entfielen auf die Staatsver- waltung 23 769,47 km Linien (4 224,B77 km) resp. 64 509, 89 Ekm Drähte (4 98461 km), auf die Eisenbahngesellschaften 12 428, 62 Rm Linien (4 194,7 km) resp. 30 502,69 km Drähte (4 592,87 km), auf die Privat⸗Telegraphengesellschaft 266,8 km Linien (4 1, 0 ku) resp. 552,97 kim Drähte ( 5,63 km). Von den Staatelinien waren 41,86 0s0 mit 1 Draht, 22,88 0,090 mit 2 Drähten, 12,04 g mit 3, 5,67 ouss mit 4, 5,70 oC, 0 mit 5, 3,80 0 mit 6, 2,78 9 mit 7, 2.03 υ 0 mit 8, 0,88 9 mit 9, 105 0υ—) mit 10, 09.55 00 mit 11, 920 0so0 mit 12 und O, 46/0 mit mehr als 12 Drähten versehen. Es waren in 1883 1282 Staats, 1466 Eisen⸗ bahn⸗ und 96 Privat, also im Ganzen 2784 Telegraphenstationen im Betriebe. Bei den Staats⸗Telegraphenstationen standen in 1883 1988 Morse⸗, 75 Hughes⸗, 5 Multiplex Apparate von Meyer und 2 d'Arlincourtsche Translatoren im Betriebe; gegen 1882 bedeutet das eine Vermehrung um 67 Morse⸗ und 2 Hughes⸗Apparaten. Die Telegraphenstationen der Eisenbahnen arbeiten im Korrespondenzver—⸗ kehr mit ea. 1700, jene des Privattelegraphen in Nieder ˖ Oesterreich mit 140 Morse ⸗Apparaten. Im Korrespondenzverkehr wurden auf den Staatslinien an gebührenpflichtigen Telegrammen aufgegeben 3700 241 interne und 85 777 internationale, zusammen 4564018 Telegramme; die Zahl der angekommenen internationalen Telegramme betrug 940 5709, also die Gesammtzahl der gebührenpflichtigen 5 504 588. Mit der internationalen Transit⸗Korrespondenz (525 572 Stück) und den 36 795 auf Elsenbahn-Telegraphenlinien ohne Ver mittelung von Staatsstationen gewechselten Telegrammen beträgt die Gesammisumme der gebührenpflichtigen Telegramme 6 066 955 Stück; hiervon zählt der inländische Verkehr 3737036 und der Verkehr mit dem Auslande 2329919 Tele⸗ gramme, Der Vergleich der aufgegebenen, angekommen und transiti⸗ renden Telegramme zeigt gegen 1882 (6 136286 Stück) eine Abnahme von 69 331 Stück oder 1,14 00/Co. Die aufgegebenen Telegramme haben um 44 824, die angekommenen internationalen um 61 554 Stück am genommen, der internationale Transitverkehr hat sich um 37 0947 Telegramme vermehrt. Im Ganzen sind auf den öster⸗ reichischen Telegraphenstationen in 1383 19 407428 (1882 19607189) Telegramme oder um 1,2 Oo weniger als im Vorjahre bearbeitet worden. Von den aufgegebenen Telegrammen entfallen auf 1000 Bewohner 1883 206, 1882 209, 1881 198. 1880 184, 1879 178 Telegramme. Die Gesammteinnahme des Staats. Telegraphen der im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder belief sich in 1883 auf 4030 866 Fl. (1882 4191 650 Fl.), hat also gegen das Vorjahr um 3,83 o abgengmmen. Es entfallen hiervon 3 860572 Fl. oder 94,238 0sJo auf die Staats- und Privat . Correspondenz und 230 294 Fl. oder 5,72 ½ auf die übrigen Einnahmen. Die Betriebs- einnahmen (Gebührenantheile) des Eisenbahn⸗Telegraphen betrugen 1883 112993 Fl. (—. 2387 Fl.). Die Brutto⸗ Einnahme bei den Stationen der Privat ˖ Telegraphen Gesellschaft in Wien be⸗ trug in 1383 532 979 Fl. davon entfielen auf die Betriebseinnahme der Gesellschaft 130 000 Fl. (— 3897 Fl.). Die Gesammtausgaben des Staats-Telegraphen, betrugen 1883 3 623 907 Fl., darunter 286 115 Fl. außerordentliche (1882 3531 372 Fl., davon 223 320 Fl. außerordentliche), die Ausgaben haben daher gegen das Vorjahr um 2,62 0so zugenommen. Von den ordentlichen Gesammtausgaben ent⸗ fielen 2164 966 Fl. oder 614 85 υο . auf die persönlichen und 1172 836 Fl. oder 35,14 auf die sächlichen Ausgaben.

Stun st, Wissenschaft und Literatur.

Das Dezemberheft der Deutschen Rundschau“ (Verlag von Gebr. Patel in Berlin) mit seinem geschmackoollen, doppel farbigen Weihnachtsanzeiger und seinen zahlreichen literarischen Beilagen gleicht fast einem Buch, in welchem man mit Vergnügen blättern wird, ehe man an den eigentlichen Text gelangt. Der letztere wird durch den Schluß der spannenden Novelle von Wilhelm Berger: Das Kind aus Asien“ eröffnet. Der Erzählung schließt sich die zweite Hälfte des Aufsatzes: ‚Raphaels Ruhm in vier Jahrhunderten“ von Hermann Grimm an, der die Entwickelung des Raphaelschen Ruhmes in unserem Jahrhundert schildert und zeigt, wie bed-utend und einschneidend hier die deutsche Forschung, an ihrer Spitze Goethe, eingegriffen hat. In Oito Benndorfs, des hervorragenden öster⸗ reichischen Archäologen, Skizze über das Erdbeben von Seio“ erhalten wir ein in lebhaften Farben ausgeführtes Gemälde der grauengvollen Schreckenstage, welche das sonst so glückliche Eiland vor drei Jahren betroffen hat. Professor G. M. Asher giebt in dem Aufsatz „Die Stätten des Elends in London“ den getreuen Revers der glänzenden Medaille einer Millionenstadt, ein tief ergreifendes Abbild des die innersten menschlichen Saiten bewegenden sozialen Elends, wie es sich in London zeigt. Einem Lebensbilde Wilhelm von Hum boldts, von R Bruchmann, folgt ein äußerst anregender Essay aus der Feder des Professors F. Max Müller: „Damals und jetzt', in welchem der hochverdienstvolle Gelehrte eine geistvolle Paralleie zwischen dem „Damals“ seiner, der orientalistischen Wissenschaft, d. b. jener Zeit Dor fünfzig Jahren, als er noch ein Schüler Schellings war, und