1884 / 286 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 04 Dec 1884 18:00:01 GMT) scan diff

Sozialdemokraten für die arbeitenden Klassen zu bekämpfen, davon sei er weit entfernt; er bekämpfe die Sozialdemokratie nur, wo sie die ganze Gesellschaft, den ganzen Staat auf eine andere Basis stellen und die bisherige Weltordnung zer⸗ stören wollten. Also die Centrumspartei könne für die Regie⸗ rung durchaus dieselbe Stütze sein, wie jede andere Partei. Sie stehe ganz und gar auf verfassungsmäßigem Boden, sie werde höchstens etwas unabhängiger sein als die anderen, und diese Unabhängigkeit sollte der Regierung nur erwünscht sein. Denn sie sei in der heutigen schweren Zeit gar nicht im Stande, ihre Autorität aufrecht zu erhalten lediglich mit solchen Parteien, die stets nur dem augenblicklichen Willen des augenblicklichen Ministers dienten. Er perfönlich glaube aber, daß es kaum je eine Zeit gegeben habe, wo die Regie— rung so nothwendig kräftig und stark hätte sein müssen, als jetzt. Gleichwohl müsse das Centrum auch ferner dahin streben, daß der kirchliche Kampf endlich beseitigt werde. Erst nach Beendi⸗ gung des Kulturkampses könne man zu gesunden Verhält⸗ nissen im Parlament kommen. Die Herstellung des kirchlichen Friedens sei ein Akt der Gerechtigkeit und der Klugheit. Täusche sich doch der Reichskanzler darüber nicht, es sehe vielfach bös aus im Deutschen Reich. Der Kanzler habe gestern gemeint, Deutschland habe kein Desizit, das würde ja immer durch die Matri⸗ kularbeiträge gedeckt. Wer zahle denn aber dieselben? Die zahle der Einzelstaat und in diesen die Steuerzahler. Diese aber sagten von allen Ecken und Enden Deutschlands: „Man könne keine neue Steuern mehr zahlen, es müsse unter allen Umständen gespart werden, es dürften keine Experimente mehr gemacht werden, die viel Geld kosteten.“ Die Regierung unter⸗ schätze, was es bedeute, daß das Volk zufrieden sei; sie verlasse sich eben in letzter Linie auf die Bayonette. Aber dabei ver⸗ gesse sie, daß die Bayonette von Männern getragen würden, die zum Volk gehörten. Lasse die Regierung sich also nicht aus angeblicher Furcht vor der Hierarchie bewegen, ein Gesetz aufrechtzuerhalten, welches so exorbitant die ersten Grundlagen und Voraussetzungen der kirchlichen Freiheit und der Gerech⸗ tigkeit verletze. Er wolle mit seinem Antrag nur das Beste des Landetäz. Hrn. Hobrecht habe er vorhin nicht wehe thun wollen; er meine übrigens, auch die heutige Rede des Abg. Meyer werde unvergessen bleiben. Diejenigen, welche heute gegen seinen Antrag votiren würden, hätten von Religiont⸗ freiheit auch nicht einen Schatten von Ahnung!

Demnächst nahm der Reichskanzler Fürst von Bismarck wiederum das Wort:

Der Herr Vorredner hat damit begonnen, mich zu loben wegen des ruhigen Tones, in dem ich heute gesprochen hätte; ich kann ihm dieses Lob nicht zurückgeben; es machte mir namentlich der Anfang feiner Rede den Eindruck, als ob er innerlich dächte: „Ich bin des trockenen Tones satt‘ u. s. w., und daß er in eine andere Tonart hinüberspielen wollte, daß er das Bedürfniß gehabt habe, mit großen, unterstrichenen Worten zu sprechen, die er mit zorniger Stimme vor— gebracht hat. Er sprach von der Möglichkeit des Interdikts“, von „Tyrannen, die die Religionsfreiheit vernichten“, und zum Beleg für Fas Alles hat er ausgeführt, daß diese Tvrannei sich so weit vergißt, unter Umssänden einer persona winus grata im Erzbisthum Posen das Königliche „placet“ zu verweigern, was ein vollkommen vertrags⸗ mäßiges Recht ist, das unbestrittene Recht des Königs von Preußen, nicht jeden ihm verdächtigen polnischen Geistlichen zum Bischof ein— setzen zu lassen. Das hat der Herr Abgeordnete wie es scheint unter der Rubrik „Tyrannei? und „Unterdrückung der Religions⸗ freiheit“ verstanden, was er mit dem wenn er will ihm eigenen Pathos hier vorgetragen hat. Er hat es gewissermaßen als eine öffentliche Anklage erhoben. Es sind uns allerdings einige polnische Praälaten von Rom vorgeschlagen worden, darunter aber auch solche, die, nachdem wir die uns bekannt gewordenen, in Rom aber nicht bekannten Antezedentien zur Kenntniß gebracht hatten, sofort zurück-

gejogen worden sind. und ich habe nie daran zu erinnern für nützlich ge⸗

halten, daß sie uns überhaupt jemals vorgeschlagen worden sind. Ich kann nur wiederholen: den Erzbischof von Posen, der unter Umständen seinen Segen zur Losreißung Posens von der, Krone Preußen giebt, diefe persona minus grata auszuscheiden, hat man das Recht, und die Ausübung desselben ist keine „Tyrannei“ und keine „Bedrückung der Religionsfreiheit“. Da über⸗ treibt der Herr Redner. Er hat von mir gefagt, daß ich im preußi⸗ schen Landfage früher mit großer Lebhaftigkeit diese Dinge vertheidigt hätte. Meine Herren, die Lebhaftigkeit! mit anderen Worten: die Erregung im Sprechen steckt einigermaßer an. Wir sind damals von den Herren Rednern, die noch heute mitunter im Namen der Fraktion sprechen, mit so beleidigenden, beschimpfenden Worten und Wendungen angegriffen worden ich kann mich auf die stenographi⸗ schen Berichte von damals berufen es sind uns „Lügen“ ins Gesicht geworfen worden und andere Ausdrücke, daß es nicht zu verwundern ist, wenn es aus dem Walde herausschallt, wie man in den Bald hineinschreit, und wenn ich einmal lebhaft werde, so kann ich Ihnen versichern, es ist mir wirklich so zu Muthe, die Sache bewegt mich. Ich kann es von Denjenigen, die mir gegenüber lebhaft werden, nicht immer glauben.

. Ich glaube es nicht es ist ein Pathos, der vielleicht zum Eindruck der Sache erforderlich ist, dem aber die innere Ueberzeugung des Redners anscheinend wenigstens nicht zur Seite steht. Es mag nützlich sein; noch nützlicher aber, wenn man den Ton so drucken könnte, wie er gesprochen wird.

Der Herr Abgeordnete hat von „Annahme dieses Antrags“ ge⸗ sprochen ich kann mir nicht denken, daß er darauf würde rechnen können, daß es möglich sei, daß der Bundesrath nun gleich das Gegentheil von dem beschließt, was er vor 3 Wochen beschlossen hat und hat gesagt, wir hätten uns damals die Sache nicht recht überlegt, wir wären eben leichtferiig vorgegangen. Der Hr. Abg. Windthorst, seine Fraktion und alle, die verpflichtet sind., ihm Heeresfolge zu leisten, bleiben immer bei dem Gedanken 3 Wochen lang, da freilich bitte ich um Entschuldigung wir würden jetzt pater peccavi sagen und würden die Sache anerkennen. Glauben Sie wirklich, daß dem Bundesrath das möglich ist? Die Herren können sich das nicht sagen, und wenn Sie wirklich daran glaubten, warum wollen Sie nicht, wo ietzt, wie ich voraussehe, die Ablehnung sich wiederholt, nach 8 Tagen nochmals diesen Antrag bringen, und so in infinitum? Wir können uns doch lieber mit der Ruhe, in der ich vorhin gesprochen habe, als in der Erregtheit, in der der Herr Vorredner sprach, immer de rebus omnibus et quibusdam aliis unterhalten, wir haben ja Zeit, wir haben ja die ganze nächste Zeit vor ung. Geniren Sie sich nicht, schweigen Sie nicht und besorgen Sie nicht, daß der Bundes rath sich blamiren wird.

Dann hat der Herr Abgeordnete daran erinnert, daß, wenn wir ein Defizit im Reiche hätten, in den einzelnen Bundesstaaten höhere Steuern erhoben werden müßten, und daß wir uns doch darüber nicht täuschen möchten, daß zuletzt der Steuerzahler verdrießlich wird, wenn er mehr Steuern jahlen muß. Steuerzahler ist ja der Wähler, er hat es in der Hand, wieviel Steuern er zahlen will. Wenn er soviel nicht zahlen will, wie es für den Geschäftsbetrieb des Reiches ge⸗ braucht wird, so muß das Reich seinen Betrieb einschränken.

. Ich will nicht übergreifen in Themata, die uns heute nicht vor—⸗ liegen; aber wenn Sie uns die Autgaben des Reiches verkürzen und zu weiteren nöthigen Ausgaben die Mittel nicht gewäbren, dann wer—⸗ den natürlich diese Ausgaben unterbleiben und die verkürzten Etatè⸗ positionen werden die Folge haben, daß die Arbeit derjenigen Be- amten, deren Arbeitskräfte damit bezahlt werden sollen, nicht geleistet wird. Es wird dann weniger geschehen. Wir können uns nicht ver⸗ doppeln; wir können es aushalten, wenn das Land will, daß die

Geschäfte schlechter betrieben werden, daß die Personen, Dis dazu nötig sind nach dem Urtheil sachverständiger und ibr Geschäft gut verstekender Leute, nicht angestellt werden sollen. Meine Herren! Damit geniren Sie uns gar nicht. Streichen Sie uns die Hälfte des ganzen Personalg, dann werden wir sie nicht besolden, wir wer⸗ den dann nur die Hälfte der Arbeit thun und die Sachen, die wir nicht arbeiten können, nicht besorgen. Damit imponiren Sie mir gar nicht, Sie beschränken mich auch nicht. Je weniger Personen, desto

weniger Arbeit haben wir. Dann muß ich darauf kommen, der Herr Abgeordnete spielte Das ist immer ein Mittel,

immer wieder auf die Auflösung an. eine gewisse Unrube und Aufregung im Lande zu erhalten, und ich will deshalb die Gelegenheit benußen, zu erklären, daß davon gar nicht die Rede ist. Nach dem, wat ich eben sagte, können Sie ohne jede Hoffnung auf Auflösung Ihren Geschäften ruhig nachgeben. Wenn der Bestand des Deutschen Reiches und der Regierung davon abhängig wäre, ob einmal in einer Session mit weniger Wohlwollen das Budget behandelt wird, ob die Gesetze abgeändert werden, dann wäre das Deutfsche Reich überhaupt nicht auf die Dauer zu halten. Dergleichen Perioden werden in jeder Session vorkommen. Zum Bei⸗ spiel glaubte man zu Anfang der vorigen Session allgemein, es würde in den 3 Jahren gar kein Gesetz weiter zu Stande kommen. Das war der Eindruck nach den Wahlen, die unter dem Eindruck einer ge⸗ schickten technischen Agitation zu einer großen fortschrittlichen Majo⸗ rität geführt hatten. Nachher sind auch eine Menge ganz hübscher Gesetze zu Stande gekommen, recht nützlicher , und so ist es viellescht auch diesmal. Es knüpften sich an diese Wahlen große Hoffnungen, viel größere, als ich sie getbeilt habe, und da ist viel⸗ leicht gerade das umgekehrte möglich, daß wir einmal ein Jahr er— leben, wo kein einziges Gesetz zu Stande kommt, dann pleeruntur Achivi, die Achäer thun mir leid, aber ich kann es nicht ändern; wir in der Regierung, wir können mit den bestebenden Gesetzen gerade so leben und fortwirthschaften, wie jetzt, nur Manches muß unterbleiben und Manches darunter leiden.

Ich will auf das nicht zurückkommen, was ich schon vollständig durch meine erste, ohnehin längere 8 widerlegt habe, und was der Herr Vorredner von Neuem aufgestellt hat, als ob ich es nicht widerlegt hätte. Ich Überlasse es den Lesern, es richtig zu stellen. Nur ein paar irrthümliche Behauptungen möchte ich doch noch widerlegen.

Er hat vorhin gesagt, es würde, wenn nur die Regierung sich dazu verstehen wollte zu dem status quo ante, wie er unter Friedrich Wilhelm IV. gewesen, zurückzukehren, alles gut und vertrefflich werden. Nun, meine Herren, ich appellire an Sie Alle, die damals in' der ganzen parlamentarischen Zeit jenes Königs mit mir in der preußischen Kammer gesessen haben: hat nicht das damalige Centrum, bekannt unter dem Namen Fraktion Reichensperger“, ganz ebenso wie heute das Centrum, in allen prin⸗ zipiellen Fragen, die geeignet waren, der preußischen Regierung Ver⸗ legenheiten zu bereiten, ihr Zugeständnisse abzuringen, ganz genau so geftimmt, ja viel schlimmer als das heutige Centrum? Das heutige sst mir in feiner Gesammtheit viel sympathischer, als die Fraktion Reichensperger, vielleicht wegen der Personen, vielleicht auch, weil sie weniger zahlreich war, es waren nur 40 und heute sind es über 109, es wächst ja der Mensch mit seinen größeren Zwecken und, auch mit der größeren Zahl wachsen die Zwecke, Die Fraktion Reichen sperger ist mir in der Erinnerung als die Fraktion, die immer ganz sicher als Opposition in Ansatz gebracht wurde, und damals lebten wir unter König Friedrich Wilhelm IV., unter einem Zustand, den der damalige Papst als einen solchen bezeichnete, wie ganz Europa nur wünschte; seine Beziehungen wären mit keiner Macht so gut wie mit Preußen. Nichtsdestoweniger hat die Regierung an den 40 spe. zifisch katholischen Abgeordneten der damaligen Fraktion Reichensperger viel weniger Unterstützung gefunden, als wie die jetzige Regierung vom Centrum; sie war ein konstanter Faktor der Opposition. Also darin liegt schon der Beweis, daß uns mit der Rückkehr zu dem status quo ante noch nicht geholfen ist.

Der Herr Abgeordnete hatte heute wieder sein kampflustiger Sinn hat ihm keine Ruhe gelassen das Bedürfniß, offen zu be— kennen, daß Kämpfe bevorstünden, vielleicht im Hinblick auf die seiner Meinung nach nahe bevorstehenden Wahlen. Ich lege Werth darauf, ihn zu beruhigen, er braucht diese Meinung nicht zu haben, es stehen keine Wahlen meines Wissens bevor, keine Auflösung. Wir werden, soviel ich voraussehe, mit Ihnen heute sber zwei Jahren wieder an dieser Stelle sein. Eine Auflösung ist immer ein Eingestaͤndniß der Regierung, daß sie ohne die Hülfe dieser Majorität Überhaupt nicht weiter wirthschaften könne. Wenn der Regierung die Möglichkeit gegeben wäre, ruhig zurückzutreten und der Majorität mit stummer Verbeugung zu sagen: seien Sie so gut und führen es weiter, dann wäre es ganz schön und leicht zu machen, und dann möchte ich die jetzige Majorität, die für diesen Antrag stimmen wird, zusammengesetzt aus Centrum, Konservativen, Fort⸗ schritt und Sozialdemokraten, bitten, ein Koalitions⸗-Ministerium zu machen, dessen Bau an Künstlichkeit doch mindestens das Ministe rium Gladstone, wie es früher war, noch bei Weitem über ragen würde. Was das für Folgen haben wird, können Sie leicht einsehen. Es gehört eben zu den Unmöglichkeiten. So liegt denn auch für uns die Auflösungsversuchung gar nicht nahe; eine Auflösung hat doch nur den Sinn für die Regierung: ich will fehen, ob das Land diese Opposition, die mich nichts zu Stande bringen läßt, hält und bestätigt, dann will ich zurücktreten. Wenn ich aber nach einer Auflösung meinerseits zurücktrete, dann wird es blos ein Bundegrathsmitglied weniger geben und dann würde der Herr Vorredner sehen, daß der Reichskanzler nicht der Bundesrath ist, sondern daß immer noch, ich weiß nicht, nahezu 16 Mitglieder im Bundesrathe bleiben, wenn der Reichskanzler draußen ist. Diese Möglichkeit ist mir leider durch Umstände, die ich nicht berühren will, nicht geboten; ich bin durch meine persönliche Anhänglichkeit an die Person meines Herrn, an den Posten gegen meinen Willen geschmiedet; ich, weiß, daß ich in Güte und Gnade nicht davon loskomme, ich weiß, ich muß bleiben.

Also mit dem status quo ante unterschätzt der Herr Vorredner seine eigenen Ansprüche oder seine Bescheidenheit und Zufriedenheit. Damit würden die Herren nicht zufrieden sein, dann würde erst noch ein neuer Anlaß vorhanden sein für weitere Kämpfe, die der Herr . noch in petto hat, also damit kommen wir nicht darüber inweg.

Run hat der Herr Vorredner es seinerseits für nothwendig ge⸗ halten, das Centrum zu loben und von der Regierung eine An— erkennung des Centrums zu erwarten. Ich habe nicht geglaubt, daß er nach den ersten Anerkennungen, die ich für das Centrum aus—⸗ sprach, das Bedürfniß danach empfinden würde, ich glaubte, das würde genügen und er sei befriedigt; nachdem dies aber nicht der Fall ist, will ich noch hinzufügen, daß ich nicht blos die Disziplin, die Stärke, die Geschicklichkeit, die Zu verlässigkeit, das Worthalten des Centrum, kurz und gut eine Menge Vorzüge anerkenne, sondern daß ich es im höchsten Maße beklagen würde, wenn sich dies Centrum auflösen würde; es würde das die übelsten Folgen haben für die jetzige Parteikonstellation, es würde ein erheblicher Prozentsatz von Ihnen die fortschrittlichen Reihen ver⸗ stärken, von dem anderen würden, wenn die geistliche Unterstützung wegfällt, wahrscheinlich gerade die Herren, deren historische Namen heut zu Tage eine Zierde der Fraktion sind, nicht wieder unter uns erscheinen, wir würden die Freude, Sie zu sehen, entbehren müssen, und es würde sich die größte Verheerung in unserer Parteikonstellation einstellen. Deshalb wünsche ich dringend, das Centrum zu erhalten in seinem Bestande; ich halte es für nützlich, so wie die Dinge ein⸗ mal liegen. .

Nun frage ich die Herren, ist dazu nicht ein kleines residuum von Kulturkampf unentbehrlich? Würden Sie nicht befürchten, daß das starke Band, welches diese Partei zusammenhält, schlaff, und schwach werden würde, wenn die Vertheidigung gegen Tyrannei und Unterdrückung der Religion einmal überflüssig erschiene? Ich glaube, es würde eine gewisse Verlegenheit eintreten über das, was man nun ergreifen soll. Ich möchte also die Flamme des Kulturkampfes nicht

ganz ausblasen im Interesse des Centrums, und weil ich wünsche das Centrum zu erhalten, und ich habe, wenn ich mich besinne, wahr= scheinlich noch Vieles, was ich zum Lobe des Centrums sagen könnte Wenn das, was ich gesagt habe, den Herrn Vorredner noch nicht be—= friedigt, so will ich es zu Hause schriftlich aufsetzen, um zu seinem Lobe in der Oeffentlichkeit beizutragen.

Dann hat der Herr Vorredner meine angedeutete Stellung zu den Maigesetzen bestritten und behauptet, daß ich doch nicht so unbethei⸗ ligt dabei gewesen. Ich glaube, der Herr Vorredner bat Wichtigerez zu thun gehabt in der Zeit, als sich um meine persönlichen Verhalt- nisse zu kümmern. Ich war, als die Maigesetze entstanden, gar nicht in Berlin anwesend, ich war nicht Minister⸗Präsident, Sie werden finden, daß unter den Gesetzen meine Unterschrift er post folgte, sie steht hinter der des Minister⸗Präsidenten Grafen Roon, er steht alz Minister⸗Präsident unterschrieben, und meine Unterschrift wurde von mir zum Theil unter dem Druck der Kabinetafrage verlangt. Es gilt dies auch von dem Civilstandsgesetze, welches mir am meisten gegen den Strich ging, das ich notbgedrungen unterschreiben mußte; ich selbst war krank. mehrere Minister waren bereit abzugehen, und ich war nicht im Stande, sie zu ersetzen. Ich war auch nicht geneigt, den Kampf überhaupt aufjugeben Ich kann nicht leugnen, daß ich über die De— tails, über die juristische Ausführung der Gesetze verwundert und nicht angenehm überrascht war; aber ich mußte die Gesetze nachher nehmen, wie ich sie fand. Etwas anders sind die Junigesetze von 1875, die ein paar Jahre später erlassen wurden. Bel diesen bin ich vollständig betheiligt gewesen und übernehme die volle Verantwortung für die Verfaffungsänderung, zu der ich meine damaligen Kollegen, die vor dem Worte „Verfassung“ eine Scheu empfanden, die über meine damalige Empfindung hinausging, nur schwer bewegen konnte; namentlich mein damaliger Kollege Dr. Falk machte am längsten Opposition gegen Alles, was Verfassungs änderung bieß. Also da übernehme ich die. Verantwortlichkeit; und selbstverständlich auch für dieses Geseßz welches jetzt vorliegt, und das unter meiner Betheiligung gemacht worden ist. Wenn der Herr Vorredner sagte, ich hätte dieses Gesetz gering geachtet, als von wenig Bedeutung bezeichnet, und deshalb wäre es besser, daß ich dieses Opfer für die Religionsfreiheit bringen sollte, so mag dies in Bezug auf dieses einzelne Gesetz zutreffen; aber das Gesammtprinzip, keine Konzession mehr ohne Aequivalent zu nachen, halte ich nicht für so unbedeutend. Ich habe auch nicht gefagt, daß die Rechte, die entzogen werden, das Heimathrecht, das Recht Messen zu lesen in der Heimath, gering wären. Ich habe nur gesagt, daß die Zahl derjenigen Personen eine geringe ist, die noch nicht begnadigt find. Ich glaube, daß außer den 27 Verscholle⸗ nen Niemand mehr da ist, der keine Begnadigung erfahren hat. Ich wäre sehr dankbar, wenn mir Jemand solche Personen namhast machen würde; aber so lange mir das nicht nachgewiesen wird mit Namen, unter welchen Bedingungen und warum solche existiren, be⸗ streite ich, daß irgend ein Mensch in der Welt existirt, der darunter lei det. (Abg. Dr. Windthorst: Hr. von Goßler hat das ganze Verzeichniß) Dessen Nachrichten habe ich, das sind 27, er weiß sonst keinen mehr. (Abg. Dr. Windthorst: Hr. Vehn! Das muß ich bestreiten, die Personen, für die der Herr Vorredner unser Mitleid mit so bewegter Stimme angerufen hat, existiren nicht, es giebt keine solchen mehr. Ich habe, trotz der an— gestrengten Forschungen, keinen ermitteln können, der augenblicklich noch betroffen wäre! Das mindert die Wichtigkeit und Bedeutung der Demonstration, die mit so großer Majorität im Juni gemacht worden ist gegenüber dem Bundesrath. Es handelt sich auch nicht um das Messelesen für die Frage, ob wir etwa wider Wunsch und Erwarten in Polen in die Lage kämen, von dem Gesetz Gebrauch zu machen. Es ist nicht das Messelesen, was wir verbieten wollen, son⸗ dern die politische Agitation, und die kann gerade von der Kanzel herab erfolgen, wie es in Polen bekanntlich gerne geschieht, wo das Nationale mit dem Religiösen vermischt wird. Da kann das Reich im Interesse der Erhaltung der öffentlichen Ruhe und des inneren Friedens nicht anders als einen polnischen Nationalfanatiker, der den geistlichen Rock trägt, aus dem Kreise, in dem er seine Wurzel hat und in den seine Thätigkeit gestellt ist, zu entfernen und irgendwo zu interniren. Er kann dann Messe lesen, so viel er will, aber nicht politisch agitiren. Daß die Polen im Kriege und im Steuerzahlen und sonst ihre Pflicht erfüllt haben, das bestreite ich garnicht, aber wir wünschen eben, daß sie das auch ferner und ohne Unterbrechung thun. Der Herr Vor— redner wird mir aber doch wohl nicht bestreiten können, daß wenig⸗ stens ein Theil unter ihnen außer dem Militärdienst und dem Steuer— zahlen doch auch ein erhebliches Maß von Insurrektionen zu unserer Lebenszeit geleistet hat. die für das Land sehr kostspielig und nach einem unglücklichen Kriege auch gefährlich hätten werden können. Diese Insurrektionen müssen wir verhindern; daran ist in Polen der Bauer und der kleine Mann auch außerordentlich wenig betheiligt. Nur insoweit, als er im Dienst der Edelleute ist, wird er, wenn er seine Stelle nicht verlieren will, genöthigt, mitzugehen, und nur als Hausdiener geht er vielleicht mit Vergnügen mit, aber den polnischen Bauer und Arbeiter halte ich nicht für gefährlich. Die ganze Gefahr beruht allein in dem in⸗ telligenten und thätigen Theil der polnischen Bevölkerung, in dem polnischen Adel, unterstützt von den nationalpolnischen Geistlichen, und daß wir nicht die Hand dazu bieten, diese Unterstützung der höheren Stände, durch, das Prälatenthum zu fördern, daß wir von den Mitteln, die wir haben, sie zu verhindern, sorgfältig Gebrauch machen, das sind wir der Ruhe und dem Frieden des Landes schuldig, davon werden Sie uns mit allen Deduktionen nicht abbringen. Dle ganze Wiederholung des Antrags wird ein Schlag ins Wasser bleiben, denn ich kann mir nicht denken, daß sich im Bundesrath heute eine andere Majorität finden sollte wie vor drei Wochen. Aber wenn Sie den Antrag nachher nochmal stellen, dann können wir ja den Puls des Bundeßraths in jedem Monat einmal fühlen, dann bitte ich aber, mich davon zu dispensiren, daß ich mich dagegen wehre, und ein für alle Mal anzunehmen, daß ich oder die Regierung dem Antrage wider⸗ sprechen. Früher war ich auch gar nicht so sehr dagegen. Es kommt bei solchen Angelegenheiten sehr darauf an, welches Maß von politi— schem Vertrauen man zu den Antragstellern hat und welche Hoff nung man daran knüpft, und dieses Miaß von Vertrauen zu den Antrag- stellen, was bei mir, erheblich gewachsen war, das kann ich nicht leugnen, hat während der Wahlen, bis zur Verkündi— gung, nicht gerade zugenommen, im Gegentheil. Ich bedauere das, aber ich kann nicht mehr mit demselben Vertrauen der Fraktion entgegenkammen wie vorher, nachdem sie diese kleine Pan⸗ dorabüchse in der Hand hat und aus derselben nach rechts und links hin alle möglichen Uebel, unter Umständen auch nach anderen Rich“ tungen als konfessionellen, soszulassen im Stande ist. Leute, die diese Wirksamkeit kennen, könnten für richtig halten, was der Nuntius Megli gesagt haben soll, nämlich daß „uns nur die Revolution helfen könne und daß die Unterstützung jener rein politischen und weltlichen Opposttionspartei der erste Anfang dieses Pro⸗ gramms sei. (Unruhe im Centrum.) Sie brauchen nicht zu widersprechen, ich führe es. nur an, welchem Ver⸗ dacht Sie sich aussetzen und wie sehr ich wünschte, daß Sie diesen Verdacht vermieden, sich rein an den ihnen angeborenen konfessionellen und sonstigen Standpunkt des Centrums hielten und auf die Unter⸗ stützung lehnbarer Nebenfraktionen verzichteten; Sie würden iht ganzes Verhältniß zu der Regierung reiner erhalten, wenn Sie ihr nur mit eigenen Wünschen und nicht verquickt mit anderen Fraktionen gegenüber ständen.

Schluß in der Zweiten Beilage.)

uchtet habe,

de Polen am schwersten treffe,

Zweite Beilage

zum Deutschen Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preußischen Staats⸗Anzeiger.

3 286.

Berlin, Donnerstag den 4. Dezember

ft

(Schluß aus der Ersten Beilage.)

Der Abg. von Graeve (Pole) erklärte, die Herausforderung, welche der Reichskanzler unerwarteterweise an die Polen ge⸗ nöthige ihn gebieterisch zu einer Erwiderung. Als voriges Jahr der Antrag Windthorst angenommen sei, gabe seine Partei diese Thatsache mit Freuden begrüßt, denn sie habe geglaubt, die Allgewalt der Polizei wäre nun ge⸗ brochen; und es habe die Polen tief geschmerzt, als der Zundesrath den Antrag abgelehnt habe. Der Neichskanzler syreche heute sein Vefremden darüber aus, daß das Centrum so bald schon den Gesetzentwurf wieder einbringe und. gebe hieser Partei den Rath, sich von den Bundesgenossen, die sich hr angeschlossen hätten, zu trennen, dann würde die Hoffnung auf Erfüllung ihrer Wünsche aussichtsvoller sein. Er (Redner) habe die feste Ueberzeugung, daß das Centrum, ebenso wie es jetzt mit den Polen zusammen kämpfe, auch mit ihnen zu⸗ sammen Frieden schließen werde; es würde, wenn es anders handeln würde, nicht vom katholischen Standpunkte handeln, Als Motiv zu den Invektiven gegen die polnische Nationalität

es sei beiläufig sehr schmeichelhaft für seine Partei, daß der

Kanzler sich mit den 2 Millionen Polen so lange beschäftige,

während demselben doch der ganze Reichstag nicht imponire habe der Reichskanzler die politischen Umtriebe der polnischen Heistlichen bezeichnet. Aber es lasse sich doch von einzelnen Persöͤnlichkeiten kein Schluß auf das Ganze ziehen. Die Po⸗ sen wollten nur ihr Recht; wenn ihnen dies werde, wenn

IGrrechtigkeit auch den Polen gegenüber gehandhabt werde, venn der Grundsatz suum cuique auch seiner Partei zu Gute öiomme, dann seien dieselben keine Staatsfeinde, wie sie der

Reichskanzler zu nennen beliebe. Es komme ihm fast vor, als ob der Reichskanzler die Tagesordnung verwechsele und

den Reichstag schon beim dritten Gegenstande, dem spezifisch polnischen Antrag, geglaubt hahe, weil derselbe so weitläufig fich über die Polen ausgelassen habe. Vom Sache alle möglichen zuhören und habe ein Mittel dagegen nicht in der Gewalt.

Wenn man hier werde man zur Reichskanzler über dann müsse man

abschweife, aber der spreche,

thema probandum verwiesen; wenn Themata

Er müsse nun leider konstatiren, daß jedes Polizeigesetz gerade weil die Behörden den Polen gegenüber Alles für erlaubt hielten. Und welches, seien die Gründe der Gegner des Antrages Windthorst? Einfach, daß der Reichskanzler nicht gewollt habe. Hätte der Reichskanzler den Antrag eingebracht, sie hätten gewiß dafür gestimmt, auch den Moment für ungeheuer geeignet erklärt. Noch immer entbehrten die Polen ihres Erzbischofs, des Kardinals Le— dochopski, an dem das ganze polnische Volk mit Verehrung hänge, noch immer seufzten die Polen unter den Maigesetzen, die denselben übrigens nicht geschadet hätten die Polen könnten indeß ruhig zusehen: eine gerechte Sache siege immer!

Der Abg. von Helldorff bemerkte, der größte Theil der Deutschkonservativen sei in der letzten Session für den Antrag eingetreten; er hätte für den Antrag im Frühjahr wohl auch gestimmt, wenn er hier gewesen wäre. Indeß liege heute die Sache anders, als damals, ganz anders, und Niemand habe diese Ver— änderung besser gezeichnet als der Reichskanzler selbst, indem derselbe in nicht mißzuverstehender Weise die Entwickelung des Kulturkampfes dargelegt und gezeigt habe, daß es sich hier um Interessen handele, bei denen hauptsächlich auswär⸗ tige Faktoren interessirt seien. Er würde nach seiner persön⸗ lichen Ueberzeugung für die Aufhebung des Gesetzes von 1874 stimmen urd gestimmt haben, wenn er im Frühjahr hier im Reichstage gewesen wäre; nach den heutigen Erklärungen des Neichskanzlers könne er es nicht und ebensowenig ein großer Theil seiner Fraktion. Und mit dieser Stellungnahme bringe er kein Opfer seiner Ueberzeugung, sondern ein Opfer eines großen bestehenden Staats⸗ und Reichsinteresses. Er wolle iich heute nicht weiter an einem einseitigen gesetzgeberischen Monolog betheiligen; er erkläre nur noch im Namen der Fraktion, auch Namens derjenigen von seiner Partei, welche trozem für den Antrag stimmen würden, daß seine ganze Partei aufs Lebhafteste die Beendigung des leidigen Kulturkampfes wünsche, daß man zu einem Friedenszustande auf dem Wege einer autonomen Gesetzgebung kommen möchte, welche der Kirche überlasse, was ihr gehöre, damit die Kon⸗ fessionen ruhig und einträchtig neben einander in Deutschland wohnen könnten. Der Abg. Windthorst habe durch seine heu—⸗ tigen Reden seinem Standpunkt nicht genützt, sondern manches übertrieben. Wenn derselbe außerdem von Parteien ge— sprochen habe, denen nur der augenblickliche Wille des augen⸗ blicklichen Ministers Richtschnur sei, so sei seine Partei vollauf bewußt, daß sie die katholischen Mitbürger in den Anforde⸗ rungen, welche ihre Vertreter hier als berechtigte zu stellen sich verpflichtet glaubten, nach Kräften zu unterstützen, aber die großen und dauernden Interessen des Reiches nicht zurück— zustellen hätten. Er wolle keine Anklagen gegen das Centrum schleudern, wie dieses gegen seine Partei gethan habe, denn er sei überzeugt, es thue noth, daß alle Parteien zusammen⸗ gehen und zufammen den großen Interessen des Reiches Rech— nung tragen müßten. .

Der Abg. Dr. Frhr. von Schorlemer-Alst bemerkte, der Abg. von Helldorff behaupte, die Situation sei eine andere geworden, als früher. Er behaupte, die Situation sei dieselbe geblieben, und es sei eine Inkonsequenz, wenn die Rechte heute anders stimme. Von dem Einen könne die Rechte sich überzeugt halten, daß, wenn das Centrum das Votum der Rechten auch bedauere, dies nur im Interesse der Rechten geschehe. Dem Centrum schade dasselbe nicht, aber für die Rechte könnte es doch bedenklich werden, wenn sie jetzt dem höheren

rucke weichend, gegen den Antrag stimmen würde. Besser habe ihm die Erklärung des Grafen Behr gefallen. Derselbe lime zur Zeit gegen den Antrag, auf eine sachliche Prü—⸗ fung desselben lasse derselbe nicht ein, es sich genüge ihm, daß der undesrath gegen denselben sei. Das sei, was man so sage, Kine Sache. Dagegen lasse sich nichts einwenden. Wenn die . auch nicht gesagt hätten, wann sie dafür stimmen wollten, ö. hätten sie das doch angedeutet: das werde geschehen, wenn er Bundesrath dafür sei. Der Abg. Blos habe bemerkt, daß es ihm und seinen Freunden sauer werde, dem vorliegenden

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Antrage zuzustimmen. Wenn es den Sozialdemokraten sauer werde, so mögen sie es sein lassen, dem Centrum sei nichts an ihren Stimmen gelegen. Er habe gegen das Sozialistengeßetz ge— stimmt, aber aus ganz anderen Gründen, als um den Sozial⸗ demokraten zu gefallen. Er sei immer ihr Gegner gewesen, allerdings ein ehrlicher; wenn die Sozialdemokraten also jetzt an die Dankbarkeit des Centrums appellirten, so sage er, sie hätten keinen Grund dazu. Sollte übrigens die Sozialdemo⸗ kratie einmal ans Ruder kommen, so werde man noch ganz andere Gesetze bekommen, als das, gegen welches man sich jetzt wende. Das Centrum solle auf sozialpolitischem Gebiete nichts geleistet haben, seine Vorschläge nur Wechsel auf die Sterne sein. Auf das schöne Bild, das wohl eine Anspielung auf den katholischen Glauben enthalten solle, wolle er nicht eingehen, da die Sozialdemokraten doch keinen Respekt vor seiner Erwiderung darauf haben würden. Aber was hätten die Sozialdemokraten und ihre Freunde geleistet? Bei der letzten Wahl hätten sie vieles aus dem Programm des Centrums entlehnt, und was die Sozialdemokraten sonst gegeben hätten, sei nichts Positives. Er bedauere, daß der Reichskanzler nicht mehr anwesend sei, das solle ihn indessen nicht abhalten, dessen Rede zu erwidern, foweit das in seiner Kraft sei. Der Kanzler habe die wieder— holte Einbringung des Antrags eine Mißachtung des Bundes⸗ raths genannt. Aber auch er glaube, daß unter dem Bundes⸗ rath nur der Reichskanzler zu verstehen sei. Hätte derselbe die Annahme des vorliegenden Antrags gewünscht, so wäre gewiß der ganze Bundesrath für denselben gewesen. Die meisten von den vom Gesetz Betroffenen seien begnadigt worden. Wenn wirklich das Gesetz nicht mehr angewendet werde, wozu es noch aufrecht erhalten? Dann sei es ganz überflüssig geworden. Wenn der Reichskanzler gesagt habe, er würde den Reichtag nicht auflösen, so sei ihm das sehr lieb, dann habe man mit der Wahlagitation nichts zu thun, die sehr un bequem sei. Das wäre indeß auch kein Unglück, wenn keine Gesetze gemacht würden. Er bedauere nur eines, daß dieser Gedanke des Reichskanzlers, daß es drei Jahre dauern könne, ehe neue Gesetze gemacht würden, dem Reichskanzler nicht in den siebenziger Jahren gekommen sei. Wenn er so Rom und das Centrum zusammen nennen höre, dann wisse er auch schon immer was die Absicht sei; das Wort Rom werfe einen so dunklen Schatten oder ein so so helles Licht auf das Centrum. Man müßte doch wissen, daß der Reichskanzler selber die Erfahrung gemacht habe, daß das Centrum von Rom nicht beeinflußt sei. Man habe in Rom gesagt, das Centrum könne thun, was es wolle, die Kurie wolle es nicht beeinflussen. Auf die monarchische Einrichtung seiner Partei sei er stolz und das sei um so besser, wenn man höre, und lese, wie die Gesetze der Legitimität seit einiger Zeit in unerhörter Weise unter die Füße getreten würden. Das Centrum seinerseits verlange nicht, daß der Reichskanzler sich ihm zu eigen gebe, das Centrum habe noch nicht ein dahin gehendes Bedürfniß empfunden. Er warne den Reichskanzler davor, den Kampf zwischen den Konfessionen zu ertegen! Vaterlands⸗ liebe habe das Centrum ebenso gut wie der Reichskanzler. Aber Alles, was bewilligt worden, sei nur provisorisch, die Maigesetze seien stehen geblieben und was geschehen sei, sei im Interesse des Staates geschehen. Also auch diese Behaup⸗ tung sei ungewiß. Wenn es heiße, die Regierung gebe nicht mehr nach, bis Rom nachgegeben habe, so sei ihm das unver⸗ ständlich. Der Kulturkampf solle fortdauern in der Ver⸗ sumpfung. Die Katholiken solten weiter leiden, weiter kämpfen. Nun gut denn, es werde weiter gekämpft und ge⸗ litten. Der Gruündsatz do ut des rühre nicht vom Centrum her, er weise die Behauptung zurück, daß das Centrum sich je auf einen Handel eingelassen habe. Seine Partei habe ihre Rechte gefordert, und das Centrum werde dieselben fordern, bis sie sie ganz habe. Die jetzige Centrumspartei solle besser sein als die frühere Reichenspergersche, es solle eine respektablere Ge⸗ sellschaft sein. Der Abg. Reichensperger werde auf diese Be⸗ merkung zu antworten wissen, er (Redner) sage nur, daß der Reichskanzler sich mit dieser Behauptung mit sich selbst in Widerspruch setze. Das Centrum werde heute hier gelobt, aber wie werde es in der „Nordd. Allg. Ztg.“ lauten, die der Reichskanzler regelmäßig und mit Nutzen lese. Schlimmer könne seine Partei nicht herabgesetzt werden, als es da geschehe. Den Vorschlag eines Koalitionsministeriums könne er nicht acceptiren, schon mit Rücksicht auf die Sozialdemokraten nicht, die der Partei des Fürsten Bismarck näher ständen, als dem Centrum. Der Kanzler habe seine Partei gewarnt, sich durch das Bünd⸗ niß mit anderen Parteien nicht in den Verdacht revolutionärer Bestrebungen zu bringen. Der Verdacht müsse wohl auf die Deutschfreisinnigen ruhen; da könne er nur sagen, daß das Fentrum ein Bündniß mit denselben niemals gehabt habe. Er konstatire zum Schluß, daß das Centrum sich durch Schmeicheleien nicht irre machen, und durch Drohungen nicht schrecken lassen werde. Er bitte, den Antrag Windthorst anzunehmen, damit die Kontinuität des Rechtsgefühls, das in der bisherigen Annahme des Antrages zum Ausdruck gekommen sei, gewahrt bliebe.

Der Abg. Stöcker erklärte Namens eines Theiles seiner Partei, für den Antrag Windtborst stimmen zu wollen, er ver⸗ wahre sich aber dagegen, als solle derselbe eine Mißachtung des Votums des Bundesraths sein. Wenn das Gesetz wirkh⸗ lich so unbedeutend, ja gegenstandslos sei, so sei es auch nicht einmal als diplomatisches Tauschobjekt zu verwerthen. Wolle man gegen die Polen wirksame Geseßze, so thue man dies auf politischem Gebiete. Die Annahme des An⸗ trages folle ein weiterer Schritt zum sein, solche Reden, wie die des Abg. Windthorst, sollten in Zukunft nicht mehr gehalten werden können. Das Volk bedürfe der Ruhe, dazu müßten aber die be⸗ rechtigten Beschwerdepunkte beseitigt werden, dazu diene der Antrag. Der Reichskanzler stelle sich mehr auf den diploma⸗ tischen Standpunkt, seine Partei mehr auf den populären. Der Reichskanzler mache seine Ansicht von den Verhandlungen mit der Kurie abhängig, seine Partei die ihrige von den Zu⸗ ständen im Volk. Könnte der Herr Reichskanzler seiner Partei die

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Versicherung geben, daß man die Maigesetze durch eine auto⸗

nome Gesetzgebung in Preußen regeln werde, so würden er und seine politischen Freunde vielleicht von ihrem Votum ab⸗ gehen. Dies sei nicht geschehen und werde nicht geschehen! Wenn der Abg. von Schorlemer bedauere, daß seine Partei nur theilweise für den Antrag stimmen werde, so habe doch die Centrumspartei gerade die Konservativen bei den Wahlen vielfach in Stich gelassen. Wenn der Abg. Windthorst die Ernennung der Bischöfe eine Konzession der Kurie nenne, so sei das eine kanonische Anschauung. Der Ausdruck „Interdikt“ sollte in einem Deutschen Reichstage überhaupt nicht erwähnt werden dürfen! Hier, wo es sich um das innerste Religions— leben handele, könne man nicht von Handelsobjekten sprechen. In Bezug auf die Bestrebungen auf dem Gebiete der Schule solge er dem Abg. Windthorst nicht. Er stimme für den An⸗ trag nur, um einen weiteren Schritt auf dem Wege des Frie— dens zu thun!

Der Abg. Magdzinski erklärte, die Stellung, die sein Partei dem Reiche gegenüber einnehme, habe sie im Jahre 1857 und 1870 dargelegt. Die Polen hätten früher gegen die Einverleibung Polens protestirt und dann nur gefordert, was den Polen in den damals geschlossenen Verträgen ver⸗ sprochen sei. Der Vorwurf, daß die Polen Ost⸗ und West⸗ preußen, Oberschlesien und Posen zu polonisiren trachteten, treffe nicht zu, sie hätten nur mit Mühe ihre berechtigten polnischen Eigenthümlichkeiten vertheidigt; und so lange sie lebten, würden sie für ihre garantirten nationalen Rechte eintreten.

Der Abg. Richter (Hagen) bemerkte, der kirchenpolitische Standpunkt feiner Partei decke sich nicht mit demjenigen der Centrumspartei. Gleichwohl werde seine Partei, wie er hoffe, einstimmig ebenso jetzt für den Antrag Windthorst stimmen, wie sie im Juni d. J. es gethan habe. Ein solches Aus⸗ nahmegesetz könne man mit der Hitze des Kampfes erklären, aber Fürst Bismarck selbst habe in einer Rede vom 39. No⸗ vember 1881 hervorgehoben, daß diese Hitze des Kampfes nicht mehr vorhanden sei, daß nur der politische Raufbold kämpfe, um zu kämpfen. Gerade weil das Gesetz keine praktische An⸗ wendung mehr finde, liege um so mehr Grund vor, es aufzuheben, da es zur Zierde der deutschen Gesetzgebung wahr⸗ lich nicht gereiche. Schon 1881 habe sich die Mehrheit seiner Freunde für die Aufhebung erklärt. Die seitdem aus der Initiative der Regierung erlassenen kirchenpolitischen Gesetze in Preußen hätten die Gründe für die Aufhebung des Gesetzes nur noch verstärkt. Im Interesse der historischen Wahrheit müsse er eine Bemerkung einflechten über die Theilnahme des Reichskanzlers an der Maigesetzgebung von 1873. Der Reichs⸗ kanzler spreche von einem Ministerium Falk, Puttkamer, Goßler, man habe immer nur ein Ministerium Bismarck ge⸗ habt mit verschiedenen Kultus⸗-Ministern. Derselbe Faden, nur eine andere Nummer. Der Reichskanzler sage, daß er an der Maigesetzgebung von 1873 nicht betheiligt gewesen sei, sie habe sich in seiner Abwesenheit von Berlin und während seiner Krankheit vollzogen. Wie vergeßlich sei doch mitunter der Reichskanzler! Aber es gebe stenographische Berichte, Ge⸗ schichtskalender und Bibliotheken; er habe hier vor sich die Riede des Reichskanzlers vom 10. März 1873, welche er im preußischen Herrenhause für die Verfassungsänderung gehalten habe, welche die Maigesetzgebung eingeführt habe. Diese Rede enthalte ein Bild von der Höhe des damaligen Kampfes. Als die Konservativen dann den Reichskanzler nicht unterstützt hätten, habe der Kanzler bei den folgenden Landtagswahlen die konservative Pariei fallen lassen; die große altkonservative Partei von über 100 Mitgliedern sei nahezu aus dem Abgeordnetenhause ver⸗ schwunden. Damals sei es der konservativen Partei zum Be⸗ wußtsein geführt, daß sie ohne des Kanzlers Unterstüyung nichts bedeute. Er könne es den Herren deshalb nach den damaligen Erfahrungen nicht verübeln, wenn sie heute in ihrer großen Mehrheit einschwenkten; es sei ja schon bei Beginn der Sitzung bekannt geworden, daß die konservativen Parteien gestern die Parole empfangen hätten, heute gegen Windthorst zu stimmen. Ihn interessire nur noch, ob sie für ihre ver⸗ änderte Haltung auch Gründe anführen oder stumm ein⸗ schwenken würden. Die Rede des Abg. von Helldorff habe freilich keinerlei zutreffende Gründe enthalten. Der Reichs⸗ kanzler weise auf Gefahren hin, welche in der Zukunft in Polen nach unglücklichen Kriegen vielleicht entstehen könnten. Für außerordentliche Gefahren habe man schärfere Gesetze als das in Frage stehende; auch das Gesetz über den Belagerungszustand gestatte Ausweisungen, Es sei ein Gesetz für Ausnahmeverhältnisse, nicht aber ein Gesetz, welches sich ausnahmsweise gegen einen ein⸗ zelnen Stand kehre, wie das Gesetz von 1874. Der Reichs⸗ kanzler weise auf die Gefahr hin, welche die Centrumspartei für die Entwickelung des Schulwesens haben könne. Er wundere sich, daß dem gegenüber das Ministerium Bismgrck in der letzten Zeit das Simultanschulwesen wieder zu Gunsten der konfessionellen Schulen beschränkt habe. Mit der Accen⸗ tuirung der konfessionellen Schulen stäͤrke die Regierung den Einfluß der Geistlichkeit auf das Schulwesen. Seine Partei habe den Reichskanzler in seiner Schulgesetzgebung unterstützt und würde dies auch heute thun. Die Centrumspartei ür sich allein könne dem Schulwesen nicht gefährlich werden. Sie könne nur in Verbindung mit der konservativen Partei Ge⸗ fahr bringen. Letztere habe aber nur so lange Bedeutung, wie der Reichskanzler sie etwas bedeuten lassen wolle. Man verweise gegen den Antrag auf die schwebenden Verhandlungen mit Rom. Seine Partei habe die kirchenpolitischen Fragen stets nicht auf diplomatischem Wege, sondern durch die Verhandlungen in den Parlamenten mit den Vertretern der katholischen Bezirke gelbst wissen wollen. Daß man mit Rom nicht weiter gekommen, sei, beweise, daß die Anschauung seiner Partei von Anfang an die richtige gewesen sei. Er habe auch keine Ursache, die diplomatischen Verhandlungen zu erleichtern, weil der Reichs⸗ kanzler verfucht habe, den Grundsatz do ut des nicht blos auf kirchenpolitischem Gebiet, sondern auch zur Erlangung allge⸗ mein politischer Konzessionen Seitens der Centrumspartei zur Anwendung zu bringen. Die Note des Fürsten Hohenlohe nach Rom über die sortschrittlichen Republikaner sei ihm noch in gutem Gedächtniß. Seine Partei habe keine Veranlassung, das