Aichtamt liches.
Preußen. Berlin, 12. Januar. In der vor⸗ gestrigen (21) Sitzung des Reichstages begann das Haus die erste Berathung des Entwurfs eines Gesetzes, be— treffend die Feststellung eines Nachtrages zum Reichshaus⸗ halts⸗Etat für das Etatsjahr 1884/85.
Der Nachtrags-Etal fordert als einmalige Ausgabe 180 000 S zum Bau eines Küstendampfers und einer Dampfbarkasse für den Gouverneur in dem Gebiete von Kamerun.
Der Abg. Frhr. Langwerth von Simmern erklärte sür seine Person, der Kolonialpolitik sympathisch gegenüber zu stehen. Es müsse der Ueberproduktion ein Abfluß eröffnet werden. Das deutsche Element jenseits des Ozeans sei in sichtlichem Aufschwunge begriffen und die Möglichkeit sei geboten, daß in einer fernen Zeit das deutsche Element jenseits des Ozeans die Herrschaft haben werde. Um wie viel besser werde es dann sein, wenn dieser Aufschwung auf dem Boden deutscher Kolonien, statt innerhalb fremdlän⸗ discher Territorien sich vollziehen könne. Um die Details der Vorlage jedoch genau prüfen zu können, beantrage er Ueber— weisung derselben an eine Kommission. . —
Der Abg. Dr. Frhr. Schenk von Stauffenberg sprach sich für die Vorlage aus und knüpfte an die Rede des Reichs⸗ kanzlers an, in welcher derselbe in der Sitzung vom 24 Juni 1884 zum ersten Male nähere Aufschlüsse über seine Kolonial⸗ politik gegeben habe. Damals habe derselbe gesagt, er sei gegen die Kolonien nach französischem System, nach welchem erst Kolonien künstlich geschaffen würden und dann die Aus⸗ wanderung dahin zu lenken versucht werde. Durch die Er⸗ werbungen der hanseatischen Kaufleute sei er zuerst zu der Frage des Reichsschutzes für die Kolonien gekommen. Weiter habe der Reichskanzler damals ausgeführt, daß er für die Auswanderung nach französischem System nicht sein könne, denn ein Deutscher, der sein Vaterland wie einen alten Rock abstreife, sei kein Deutscher mehr für ihn. Im gegen— wärtigen Augenblicke sei es ja noch nicht möglich, genau zu übersehen, ob alles Dasjenige, was sich in Afrika vollziehe, oder sich als vollziehend ankündige, sich in dem Rahmen be⸗ wege, welchen der Reichskanzler so scharf gezeichnet habe. Das werde in Zukunft zu erwägen sein, wenn dem Hause das nöthige Material zugegangen sei. Aber diese allgemeine Uebereinstimmung überhebe weder seine Partei noch den Reichs— tag der Verpflichtung, in jedem einzelnen Falle ganz genau zu prüfen, ob die Maßregeln, welchen das Haus zustimmen solle, und für welche Geld von dem Hause verlangt werde, sich innerhalb jenes damals gezeichneten Rahmens bewegten. Nun sei er von seinen politischen Freunden beauftragt wor— den, zu erklären, daß sie nach genauer Prüfung der Vorlage der Ansicht seien, daß diese Fragen für den gegenwärtigen Fall absolut bejaht werden müßten, und seine Partei werde deshalb der Forderung, wie sie heute an das Haus gestellt sei, nicht entgegentreten.
Der Abg. Dr. von Bunsen erklärte, nicht um der Aus⸗ wanderung einen Abfluß oder der deutschen Produktion neue Märkte zu schaffen, habe die deutsche Nation die Kolo—⸗ nialpolitik begeistert aufgefaßt, sondern in der instinktiven Erkenntniß, daß in hundert Jahren Deutschland, Frankreich, Desterreich und Italien neben den Vereinigten Staaten, Ruß⸗ land und England zu einer bescheidenen kontinentalen Stellung herabgedrückt sein würden. In den Eintritt Deutschlands in
den „Kampf um den Aequator“ fänden sich die anderen Mächte schwer, einige machten dazu ein saueres, beinahe feind— liches Gesicht. Aber sie hätten rasch die Nothwendigkeit erkannt,
die Thatsache zu nehmen, wie sie sei, und sich an diese neue Macht anzuschließen, welche friedlichere und freisinnigere Kolonialpolitik treiben werde, als die, mit denen England bis jetzt Portugal, Spanien, Frankreich, ja selbst Holland zu handeln genöthigt gewesen sei. Zur Sache bemerke er, daß Kamerun wichtig für Deutschland sei als die beste Einfallpforte zu dem Gebiete der nördlichen Zuflüse des Kongo. Für Wissenschaft und Handel brauche Deutschland möglichst viele Wege in das Innere des Kongobeckens, und Kamerun sei durch des General-Kon— suls Nachtigal Autorität als ein guter Ausgangspunkt be— zeichnet. Die Besetzung von Kamerun sei daher als ein glück— liches Ereigniß zu begrüßen; hier werde der Reisende, der von der Küste in das Innere dringen wolle, statt der eingeborenen Häuptlinge einen deutschen Gouverneur finden, der sich auf eine immer bereite Flottenabtheilung stütze, und nicht mehr mit der Schwierigkeit der Beschaffung von Trägern kämpfen müsse.
Hierauf ergriff der Reichskanzler Fürst von Bismarck das Wort:
Wenn ich zu dieser Frage das Wort ergreife, so geschieht es nicht ohne ein gewisses Zagen und unter dem Eindruck, dem ich gegenüber stehe, daß es den Regierungsvorlagen im Ganzen nicht nützlich ist, wenn sie von mir r nn lebhaft befürwortet werden. Ich habe das Gefühl gehabt in der Abstimmung am 15. vorigen Monats, daß die billigen und unentbehrlichen Anspruͤche des öffent— lichen Dienstes vielleicht leichter durchgegangen wären, wenn ich nicht zu erkennen gegeben hätte, daß ich mich persönlich dafür sehr lebhaft interessirte. Ich bin gestern von gleichen Betrachtungen impressionirt worden und habe bereut, daß ich überhaupt die gestrige Sache be—⸗ fürwortet habe. Ich muß fast befürchten, daß es bei dem jetzigen Stande der Reichstagsmehrheit, wie ich sie mir gegenüber kennen lerne, den Regierungsvorlagen vielleicht nützlicher ist, wenn ich schweige und ungewiß lasse, ob ich mich überhaupt dafür interessire.
Es ist ja überhaupt ein Nachtheil für den Minister, wenn er an den Geschicken seines Vaterlandes einen zu lebhaften Antheil nimmt. Es leitet das ja sehr leickt zu der Berechnung, daß der Mann es in seinem Posten vor Sorge und Bekümmern nicht aus halten wird, wenn die vaterländischen Interessen einigermaßen peri⸗ klitiren und sich nicht einer besonderen Berücksichtigung erfreuen. Man betrachtet ihn gewissermaßen wie die rechte Mutter des salo⸗ monischen Kindes, die lieber ihre Ansprüche aufgiebt und lieber per— sönlich darunter duldet, als die Interessen des Vaterlandes benach⸗ theiligen zu lassen. In diesem Sinne beabsichtige ich auch, mir in Zukunft mehr Schweigen und Zurückhaltung aufzuerlegen und die Frage, ob ich persönlich gekränkt werden kann durch eine Ablehnung, wenigstens im Unklaren zu lassen. .
Ich will zu dem, was einer der Herren Vorredner gesagt hat, indem er die Kolonialbildungen aus dem Gesichtspunkt der Auswan⸗ derung besonders befürwortete, doch hinzufügen, daß mir vor der Hand und nach der Genesis unserer Kolonien fast noch wichtiger die Gewinnung neuer Absatzmärkte für unsere Industrie ist, auch selbst für die kleinsten Industrien, wie sie gestern an dieser Stelle ein Ab⸗ geordneter aus Sachsen geltend machte, die ja kleinlich in ihrer aͤußerlichen Bezeichnung erscheinen können, die aber doch zu Hause, wo sie etablirt sind, eine ganze Menge Deutsche ernähren und mit lohnender Arbeit versehen. . ; ;
Aus diesem Grunde bitte ich auch, die Kolonien nicht außer
bieten, sondern nur dafür, daß wir von den Küstenpunkten aus, die wir okkupirt haben, Wege nach Absatzgebieten finden und Verbin⸗ dungen für Absatz unserer deutschen Industrieprodukte aller Art an⸗ zuknüpfen im Stande sind. Dazu müssen wir ganz nothwendig aber die Länder, mit denen wir Verbindungen anknüpfen wollen, und die Stämme und Volker, welche unsere Abnehmer werden sollen, einiger⸗ maßen kennen lernen. Das können wir nur durch Erforschung des Innern von Afrika, indem wir dicjenigen Mittel gewähren, über die wir gestern diskutirt baben. Ich will in die gestrige Diskussion nicht zurückgreifen, sondern nur wiederholen, daß ich nach genauer Prüfung und Wiederlesung alles dessen, was vorgebracht und an— gezweifelt worden ist, nicht die Möglichkeit sebe, daß von Seiten der Reichsregierung, sei es in der Kommission, sei es hier im Reichstage, irgend ein Novum über die gestrige Frage noch beigebracht werden könnte, und daß ich bitte, in den Kommissionsverhandlungen der gleichen neue, bisher noch unbekannte Mittheilungen nicht zu erwarten, weil überhaupt kein Stoff und keine Möglichkeit dazu vorliegt. Was wir wissen, ist schon erschöpft; es hat, aber nicht hingereicht, Sie zu befriedigen. Wir müssen also den Erfolg abwarten. Ich möchte nur in Betreff der Kolonialfrage — oder nach ihrer Entstehung will ich sie lieber so bezeichnen: des Schutzes unserer überserischen Ansiedelungen, wie sie der Handel mit sich gebracht hat — ich möchte Ihnen also nochmals ans Herz legen, daß für die Kaiserliche Regierung eine wirksame Unterstützung dieser Unterneh⸗ mungen, eine wirksame Fruktifizirung der Bewegung, welche die deutsche Nation in der Richtung erfaßt hat. ganz unmöglich ist, wenn sie nicht vom Reichstage eine freie, von einer gewissen nationalen Begeisterung getragene Unterstützung hat. ; . Wenn wir den Reichstag bitten, quälen, beweiskräftig demonstriren müssen, und doch jede Mark, die wir verlangen, vom Plenum in die Kommission und von der Kommission ins Plenum geschickt wird, wenn wir sehen, daß der Reichstag für diese Dinge kein Herz hat überhaupt in seiner Majorität, daß er der Regierung die spontane, freiwillige Unterstützung nicht gewährt, die sie bedarf, daß er die Regierung nicht trägt, sondern sie zurückhält, wo er sie zurückbalten kann, — dann müssen wir das aufgeben.
Wir haben schon einmal an der afrikanischen Küste zur kurbran—
denburgischen Zeit Ansiedelungen gehabt. In der Zeit der Gamaschen
und Perrücken sind sie aufgegeben und verkauft worden, und wenn
Sie der Regierung nicht mehr Unterstützung entgegenbringen, so ist
es besser, wir schreiten zu demselben Liquidationsverfahren so früh wie
möglich und machen dem Lande keine unnützen Kosten und Hoff nungen, die wir ohne Ihr freiwilliges Entgegenkommen und Ihren Beistand nicht erfüllen können. . ;
Um dort eine koloniale Aufsicht — will ich es einstweilen nennen — zu etabliren, ist ein Gouverneur ganz unentbehrlich. Dieser Gouverneur bedarf der Cirkulationsmittel, er bedarf eines kleinen flachgehenden Dampfers, der allein zu seiner Verfügung steht, und eines anderen Fahrzeuges. Das ist die Frage, die, uns heute be— schäftigt; sie ist klein, aber sie ist doch in Verbindung mit der Frage, die uns gestern beschäftigte, entscheidend für das Prognostikon, was man unserer Kolonialpolitik überhaupt stellen darf. Wenn man die Kolonialpolitik will, so müssen diese vorbereitenden und unent— behrlichen Ausgaben bewilligt werden. Wenn man diese Ausgaben abfchlägt, so foll man auch von der Regierung nicht verlangen, daß sie sich einer unmöglichen Aufgabe weiter widme. Es ist ein Gou, verneur ohne Fahrzeug zu seiner Disposition in jenen Gegenden nicht denkbar. Es ist eine Ordnung in jenen Gegenden nicht denkbar, ohne daß ein Gouverneur da ist. Wir haben einen Gouverneur bisher nicht ernannt, lediglich aus Achtung vor dem Reichstage, vor der parlamentarischen Mitwirkung, weil wir ihn nicht ernennen können, bevor Sie das Gehalt dazu nicht bewilligt haben. Für die Dampfschiffe, deren er bedarf, für die haben wir die Bewilligung von Ihnen in der Form eines Nachtragsetats von 1884 erbeten, weil das der Weg war, um am schnellsten eine Entschließung von Ihnen zu erlangen. Diese Dampfschiffe bedürfen, so klein wie sie sind, doch mindestens einer Frist von 6 Monaten, um erbaut zu werden. Wenn sie daher in diesem Sommer sungiren sollen, so muß der Anfang mit der Kiel— legung sofort gemacht werden, und er wird gemacht werden, sobald wir Ihre Bewilligung in Händen haben. Wenn Sie uns aber wieder damit in die Kommissionsberathungen zurückschicken, so weiß ich nicht, wann diese Dampfschiffe in Thätigkeit treten, und wann in Folge dessen ein Gouverneur dort seinen Bezirk bereisen kann.
Wie nothwendig dort eine strenge Aufsicht und eine Ordnung der Dinge ist, werden Sie aus den Exeignissen der neuesten Zeit und der jetzigen Lage entnommen haben; ich glaube, Sie werden in den Zei⸗ tungen das Telegramm gelesen haben, das mir durch Vermittelung der Admiralität zugegangen ist. Das gestern Abend vom Contre⸗ Admiral Knorr eingegangene Telegramm, welches sagt:
Bismarck —
das Schiff nämlich — und „Olga“ haben am 20, 21. und 22. Dezember aufrüb⸗ rerische Regerparteien in Kamerun mit Waffengewalt niedergeschlagen. Mehrere Häuptlinge und größere Zahl ihrer Krieger gefallen, bezw. vertrieben oder gefangen. Ortschaften vernichtet. Autorität der Flagge und Ruhe am DOrt wieder hergestellt. Unsere fernere An— wesenheit erforderlich. Proklamationen an Einwohner erlassen, darin Waffenkauf untersagt.
Es wird Ihnen vielleicht das Telegramm schon vor Augen ge— kommen sein, was die ‚Kölnische Zeitung“ über diese Vorgänge hat, was sehr viel ausführlicher ist, was ich hier aber nicht vorlese, weil ich nicht die amtliche Bürgschaft für alle darin vorkommenden Einzel— heiten besitze, sondern abwarten werde, bis ich die amtliche Nachricht habe. Von diesem an sich bedauerlichen Vorfall, der einem unserer Matrosen das Leben gekostet hat und bei dem andere und ein Offi⸗ zier verwundet sind, erlaube ich mir, Ihnen die Genesis einigermaßen zu vergegenwärtigen, weil Sie daraus entnehmen werden, wie noth⸗ wendig es ist, daß wir entweder das Geschäft dort aufgeben oder unsere Autorität bald herstellen.
Ich habe am 24. November folgenden Vortrag erhalten:
Das Syndikat für Westafrika in Hamburg überreicht eine Beschwerde über das den Frieden in Kamerun gefährdende Ver— halten der Vertreter der englischen Firma John Holt u. Co. und des englischen Vizekonsuls Mr. Buchan.
Es wird darauf hingewiesen, daß der Vertreter derselben eng⸗ lischen Firma in Gabon neuerdings wegen Friedensstörung von dort ausgewiesen worden sei, —
— Gabon ist französisch — ; und vorgeschlagen, eine ähnliche Maßregel auch unsererseits ins Auge zu fassen. ;
Die englischen Behörden pflegen in derselben Weise gegen die den Frieden in ihren Kolonien gefährdenden Personen vorzu⸗— gehen, wie die von dem Kaiserlichen Konsul in Lagos eingereichte Proklamation des dortigen deputy governor ergiebt.
Es fragt sich, ob unser kommissarischer Vertreter in Kamerun, Dr. Buchner, oder etwa der Geschwader⸗Chef ermächtigt werden soll, eine ähnliche Proklamation zu erlassen. Außerdem empfiehlt sich vielleicht, in London darauf hinzuwirken, daß der englische Vize⸗Konsul Buchan auf die Verpflichtung hingewiesen werde, zur Aufrechterhaltung des öffentlichen Friedens mit dem deutschen Ver⸗ treter zu kooperiren.
Darauf ist an die Botschaft in London geschrieben worden:
Nach Mittheilungen aus Kamerun wird der öffentliche Friede daselbst durch das Verhalten einzelner Engländer bedroht, indem dieselben bei den Eingeborenen das Vertrauen an die Dauer der deutschen Schutzherrschaft zu erschüttern versuchen. ⸗
— Das ist aus den Spezialbriefen gezogen, welche das Syndikat in
Hamburg als Beilage zu seiner Vorstellung eingesandt hat. —
Es wird in dieser Beziehung besonders der Vertreter der eng⸗ lischen Firma John Holt u. Co. genannt. Ein Vertreter derselben ,. ist kürzlich wegen Friedensstörung aus Gabon ausgewiesen worden
— ich bitte, die Stenographie nicht zu unterbrechen; ich kann diese
liche Maßregel unsererseits ins Auge zu fassen. Die englischen Be—= hörden pflegen gegen die den Frieden in ihren Kolonien gefãhrden. den Personen in gleicher Weise vorzugeben, wie dies eine jungst von dem Deputy Governor in Lagos erlassene Proklamation ergieß! ...Auch der englische Vize ˖ Konsul, Mr. Buchan, soll den Unitrieben gegen die Befestigung des deuischen Einflusses im Kamerungebiet nicht fernsteben. Wir werden des balb die Frage zu prüfen haben in welcher Weise derselbe die Anerkennung zur Ausübung konsu⸗ larischer Befugniß in den unter deutschem Schutz stehenden Ge bieten erhalten hat, Sollte sein Verhalten gerechten Anstoß geben so würden wir in Erwägung nehmen müssen, ob diese Anerkennung zu versagen beziehungsweise zurückzuzi-hen sein würde. .
Ew. ꝛc. beehre ich mich zu ersuchen, Lord Granville dies mit der Bitte mitzutheilen, daß der genannte britische Vertreter auf die Verpflichtung hingewiesen werde, zur Aufrechterhaltung dez öffentlichen Friedens mit dem deutschen Vertreter zu kooperiren.
Dem Bericht über die Erledigung dieses Auftrages fehe ic entgegen.
Ich will gleich, ehe ich weiter gehe, befürworten, daß ich die englische Regierung bei diesem Vorgange für vollständig unbetheiligt und ex nexu halte. Der Bereich des englischen Kolonialnetzes rund um den Erdball ist kaum zu übersehen, geschweige denn zu beherr⸗ schen; es ist für die englische Regierung weniger möglich als für jede andere, sowohl nach der Ausdehnung, wie nach der Organisation ihrer Kolonien, eine straffe Beherrschung der Menschen und Verhältnisse ja selbst der eigenen Beamten überall auszuüben. Die Kommuni“ kationen sind auch nicht so rasch, daß die höheren Autori— täten schnell genug informirt werden könnten. Kurz, ich bin überzeugt, daß die englische Regierung diese Vorkommnisse, wenn sie richtig geschildert sind — was ich ja einstweilen dahingestellt lassen muß, aber glaube, — ganz ebenso mißbilligen und beurtheilen wird wie das von uns hier beurtheilt wird. Durch die Unabhängigkeit de⸗ englischen Kolonialverwaltung vom Mutterlande und wiederum der Oberaufsicht im Mutterlande von den auswärtigen Geschäften Eng— lands wird ja die Reaktion gegen dergleichen von England ebenso wie von uns gemißbilligte Vorkommnisse verzögert und erschwert.
Es ist darauf unter dem 3. Dezember ein Bericht von London eingegangen, der sagt:
Ich babe der mir ertheilten Instruktlon gemäß Lord Gran— ville mitgetheilt, daß der öffentliche Friede in Kamerun durch das Verhalten einzelner Engländer, namentlich u. s. w., bedroht werde, und der englische Vize ⸗Konsul, Mr. Buchan, diesen Aufwiegeleien nicht fernzustehen scheine, und habe im Sinne des hohen Erlasses gesprochen. Lord Granville versprach, sofort die nöthigen Erkundi⸗ gungen einziehen zu wollen; er habe schon früher die nöthigen Instruktionen ertheilt, nach denen von englischer Seite Alles ge— schehen solle, um ein gutes Einvernehmen zwischen Deutschen und Engländern zu erhalten;
— das ist richtig; es hat aber nicht gewirkt. —
Lord Granville hofft, daß die Besprechung des deutschen Geschwader
Kommandanten mit den englischen Behörden alle Differenzen für
die Zukunft beseitigen wird.
Dann ist ein weiterer Bericht vom 15. Dezember eingegangen:
Ew. ꝛc. beehre ich mich, im Anschluß an meinen Bericht vom 3. d. M., das Verhalten gewisser Engländer in Kamerun betreffend, anliegend Abschrift einer Note Lord Granville's vom 11. d. M. einzureichen, aus welcher sich ergiebt, daß der zuständige englische Konsul angewiesen worden ist, umgehend zu berichten, ob die Ge— rüchte über das Treiben des interimistischen Vize⸗Konsuls Buchan begründet sind. .
Diese Note ist in englischem Text, und der Inhalt lautet — die Note ist gerichtet aan den Grafen Münster —:
Mit Bezugnahme auf Ew. Excellenz Besprechung vom 3. d. M. mit Sir Pauncefote über den Gegenstand des. Ver⸗ haltens britischer Unterthanen am Kamerun habe ich die Ehre, Ew. Excellenz mitzutheilen, daß John Holt, der jetzt in London ist und kürzlich von Berlin zurückgekommen, ein britischer Kaufmann mit großer Geschäftsausdehnung auf der Westküste von Afrika, aber ohne irgend welchen amtlichen Charakter ist. Mr. Buchan ist lange Jahre hindurch Resident in Kamerun gewesen und ist ein Handelsmann von großer Respektabilität. Er handelt augenblick lich als britischer VizeKonsul in Erwartung der Ankunft des regelmäßigen Konsularbeamten, und sein ihn beaufsichtigender Konsul ist instruirt worden, Bericht zu erstatten mit der ersten Gelegenheit, ob er irgend eine Bestätigung der Gerüchte, welche Ew. Excellenz zu Ohren gekommen sind, geben kann.
So lautet der englische Text nach oberflächlicher Uebersetzung.
Inzwischen sind mir von Seiten des Hamburger Comitss ander— weite Mittheilungen zugegangen vom 30. Dezember:
Ew. ꝛc. beehrt sich das unterzeichnete Syndikat unter Bezug⸗ nahme auf die Anlage über die Verhältnisse in Kamerun zu berichten: ö.
Seit der Besitzergreifung hat der dortige englische Konsul auf⸗ gehört, irgend welche Autorität über die Eingeborenen, wie sie his her gelegentlich zur Geltung gehracht wurde, auszuüben, und haben die letzteren, da der deutsche Vertreter Dr. Buchner nicht die er⸗ forderlichen Vollmachten oder aber nicht die erforderlichen Macht— mittel besitzt,
— wir haben dort natürlich definitive Anstellungen noch nicht machen können — um sie im Zaume zu halten, sich wiederholt Uehergriffe gegen die
Europäer erlaubt und sogar einen englischen Kapitän gefangen
genommen, dabei einen seiner Leute verwundet und einen anderen
getödtet. Es ist daher dringend zu wünschen, daß in kürzester Frist
Seitens Deutschlands energisch eingeschritten und eine exemplarische
Bestrafung der Schuldigen herbeigeführt werde, wozu das in
nächster Zeit zu erwartende deutsche Gefchwader besonders geeignet
sein dürfte. Während die englischen Konsularbeamten sich formell jeder Einwirkung in dem deutschen Gebiete enthalten haben, haben unter der Hand sowohl der englische Konsul Hewett wie auch der
Konfularagent Buchan, über den wir bereits in unserer Eingabe
vom 17. November d. J. Beschwerde geführt haben, der Be—
festigung und Ausdehnung der deutschen Autorität Schwierig⸗ keiten bereitet, einerseits durch Aufhetzung der Eingeborenen, andererseits durch Versuche, das die deutschen Besitzungen umgebende Gebiet unter englische Autorität zu bringen
— sie sind also mit der Erforschung früher aufgestanden, als wir — und damit die ersteren zu isoliren und ihre weitere Entwickelung zu unterbinden.
Ift dieser Besitzung die weitere Entwickelung unterbunden, so hat sie wenig Werth, nur den Wertb, den ihr der Besitzer des Hinter. landes, der es vorher Hvkkupirt hat, gestatten will, indem er uns Transit gewährt oder nicht.
Hierüber geht aus den Anlagen über die auf Anstiften des englifchen Konsuls von Hrn. Rogozinski unternommenen Schritte das Nähere hervor. Das Syndikat erlaubt sich daher, Ew. Durch= laucht ergebenst zu ersuchen, veranlassen zu wollen, daß bald— möglichst ein mit der nöthigen Vollmacht versehener Gouverneur,
— aber kein Gouserneur ohne Barkasse — . als welcher sich in Rücksicht auf die geschilderten Verhältnisse in erster Linie ein Marineoffizier empfehlen dürfte, nach Kamerun ge— schickt werde, daß das in Kurzem in Kamerun zu erwartende deutsche Geschwader zur Aufrechterhaltung der . und. der deutschen Autorität daselbst, sowie zur Bestrafung der Schuldigen die erfor⸗ derlichen Maßregeln treffe, und daß ferner in Zukunft regelmäßig in kurzen Zwischenräumen deutsche Kriegsschiffe dort erscheinen.
Das Syndikat für Westafrika.
Die Anlage davon ist ein Auszug aus Briefen deutscher Firmen in Kamerun, welcher lautet:
Da von Seiten des englischen Konsuls versucht wird, den Inner. häuptlingen Verträge abzulocken, so ist eine schleunige Erklärung der Grenzen geboten. Es ist mir vertraulich mitgetheilt worden, daß Hr. Rogozinski vom englischen Konsul ermächtigt worden ist, mit den Häuptlingen von Bacunde Vergräge abzuschließen, und
Augen zu lassen, die für Ansiedlungen deutscher Ackerbauer — ich meine also die tropischen Kolonien — nicht unmittelbare Aussicht
Aktenstücke nachher nicht zur Abschrift geben. — ö Mit Rücksicht hierauf ist uns vorgeschlagen worden, eine ähn⸗
daß derselbe zu dem Zwecke von Victoria aus den Landweg na
dert benutzen sollte; ferner richtete der englische Missionar in Ba
cunde an den englischen Kolonial. Minister Lor ** Briefe, so daß wir befürchten, daß wirklich da —w Deutsche umzingelt werden sollen. .
Das ist also die Stimmung in der Kolonie.
Darauf ist in diesen Tagen folgender en Graf, Nun t ; dondon . n 1 1 Erlaß an den Grafen
Mit Bezug auf meinen Erlaß vom 27. Novem r Berichte vom 3. und 15. Dezember v. J, 3 englischer Beamten und Untertanen im Kamerungebiete, deehre ich mich, Ew. c. auszugsweise eine Eingabe des Syndikats für West⸗ afrika in Hamburg vom 30 v. M. und deren Anlage, sowie Ueber⸗ setzung aus Nr. A8 des ‚Kuryer Poznanski“
— das [. ö me, ere. —
zur gefälligen Kenntnißnahme und gesprächsweisen Verwerthung d Inhalts zu übersenden. Ew. ꝛc. werden darin . terial finden, um Lord Granville davon zu Überzeugen, daß die von uns angebrachte Beschwerde über Versuche englischer Beamten und Unterthanen, die Ausdehnung der deutschen Besitzungen von Kamerun nach dem Innern und die Befestigung des deutschen Ansehens daselbst zu erschweren, auf bestimmte Thatsachen gegrür det war. Wir hoffen um so mehr, daß englischerseits Alles geschehen wird, um den von Lord Grantrille ausgedrückten freundlichen Absichten durch die That zu entsprechen. Ew. 2c. wollen zugleich Lord Granville miltheilen daß der Kaiserliche Geschwader-Chef angewiesen worden ist, wegen eine uns gemeldeten und auch schon in der Presse erwähnten Erzesss von Eingeborenen gegen den Käpltän eines englischen Handelsschiffs und dessen Leute nachdrücklich einzuschreiten und die Schuldigen zu bestrafen.
Dieser in Bezug genommene Auszug aus einem polnischen Blatte einer Quelle, die auf einem großen Umweg uns das unter Augen bringt, was in Fernando Po gesponnen und schließlich in Kamerun zur Ausführung gekommen ist — also die Uebersetzung aus dem „Kuryer Poznanski“ vom 2. Dezember 1884 — ist überfchrieben: „Wichtiges Dokument — Rogozinski's Expedition nach Afrika!“ Unter
dieser Ueberschrift theilt der Kuryer Poznanski“ aus dem „Kuryer Warszawski“ Folgendes mit:
„Die gestrige Abendpost brachte uns — so schreibt der „‚Kuryer Warszawsky — ein Schreiben, welches wir in wörtlicher Ueber— setzung aus dem Französischen mittheilen, und das unzweifelhaft geeignet ist, lebhaftes Interesse bei unseren Lande leuten zu erwecken, und zwar nicht blos wegen der für uns hochinteressanten Expedition unseres Landsmannes Rogozinski nach Afrika, sondern auch wegen der Verbindung dieser Expedition mit der afrikanischen Angelegen— beit, welche gegenwärtig auf der Tagesordnung der europäischen Politik steht, datirt: Santa Isabel de Fernando -Poo, den 25. Sep- tember 1884: Herr Redacteur! Da ich seit der Zeit meiner Ankunft in der hiesigen Gegend, in der gegenwärtig Ihr Landsmann Hr. S. Rogozinski weilt, der Vermittler zwischen der Redaktion des Kuryer Warszawsky“ und der Expedition bin und die beiderseitigen Correspondenzen entgegennehme, so pflege ich mit dem größten Interesse Alles zu verfolgen, was in Verbindung mit Ihren Forschern steht.
— Also auch die Polen haben, wie es scheint, Mittel zur Erforschung des Innern von Afrika. —
Aus diesem Grunde beeile ich mich, Ihnen diese kurze Correspondenz zu übermitteln, welche, wie ich glaube, Ihr Blatt im höchsten Grade interessiren wird, erstens deshalb, weil die hier stattgehabten politischen Ereignisse eine ungeheure Tragweite haben, und dann auch aus dem Grunde, weil Hr. Rogozinski bei diesen Er— eignissen die Hauptrolle spielt. Seit einigen Monaten hat die deutsche Regierung den Beschluß gefaßt, hier in der Biafra⸗Bay eine Kolonie zu gründen, und zu diesem Zwecke hat ein deutsches Kanonenboot, an dessen Bord sich Dr. Nachtigal in der Eigenschaft als Kommissar des Deutschen Reichs befand, das Gebiet Batanja, den Fluß Kamerun und Bimbia annektirt. Es war auch die Ab sicht Dr. Nachtigals, die Gebirge von Kamerun in Besitz zu neh— men, in denen die jetzt schon ziemlich ausgedehnten Besitzungen der Station des Hrn. Rogozinski belegen sind; jedoch die Absichten der Deutschen in Bezug auf die Gebirge, das heißt in Bezug auf die ganze Küstenlinie bis Kalabar, sind durch Hrn. Rogozinski pa— ralysirt und vereitelt worden. Nachdem er von Gabun, wohin er sich mit Janikowski nach dem Tode des Reisegefährten Klemens Tomaczeck begeben und wo er von den deutschen Projekten gehört hatte, zurückgekehrt war, beschloß Rogozinski, der mit dieser Nation nicht sympathisirt,
— ich glaube, das sind wir, diese Nation — seinen ganzen Einfluß unter den Häuptern der einheimischen Stämme aufzubieten, um die deutsche Herrschaft von den Gebirgen fern zu halten. Da er aber vermuthete, daß Dr. Nachtigal schnell handeln werde, so sah er, daß er diesen Zweck nicht auf andere Weise erreichen könne, als dadurch, daß er eine andere Nation be—⸗ stimmte, den Deutschen zuvorzukommen. Die nächsten waren die Engländer, deren Vertreter in Bonny residirt. Hr. Rogozinski stellte daher demselben die Lage der Dinge vor, überzeugte ihn, daß es sein und der englischen Regierung gemeinsames Interesse sei, die Gebiete unter englisches Protektorat zu nehmen, forderte ihn auf, schnell zu handeln, wenn er dieses Gebiet nicht verlieren wolle und bot ihm überdies seine Mitwirkung und seinen Einfluß auf die Häupter der einheimischen Stämme an, wenn das englische Kanonenboot noch zur Zeit eintreffen werde. Ich bemerke dazu, daß wir außerhalb der amtlichen Correspon— denz von englischer Seite die Zusicherung bekommen haben, daß die englische Regierung in keiner Weise die Absicht hege, unsere Kolonien auf Biafra durch Annektirung des Hinterlandes zu umgehen und vom Innern abzuschneiden. Das widerspricht also ihren Absichten, das hindert aber nicht, daß englische Unterthanen und Organe unab⸗ hängig von und im Widerspruch mit dieser Absicht, dieser uns kund—⸗ gegebenen Absicht des Lord Granville, vorgehen.
Während Rogozinski und Ihr Korrespondent Janikowski auf Antwort warteten, erlangten sie, die aus dem Verkehre mit den einheimischen Stämmen gewonnene Erfahrung benutzend, von den⸗ selben die Abtretung eines Landestheils als eigenes Eigenthum und bestimmten die übrigen Stämme, einen unmittelbaren Vertrag mit England zu schließen. Inzwischen ging die Antwort des englischen Konsuls ein. Es überbrachte sie das Kanonenboot „Forward“, dessen Befehlshaber Hrn. Rogozinski benachrichtigte, daß Hr. ö seine Propositionen annehme und um Ausführung derselben
itte. In Folge dessen unterzeichnete Hr. Rogozinski den Vertrag,
durch welchen die von ihm erworbenen Länder unter englisches Protektorat gestellt und deren Unantastbarkeit und eigene innere Verwaltung ihm garantirt wurde. Hierauf begab er sich auf dem Kanonenboot nach der an der Küste belegenen Gebirgskette, und die Häupter der einheimischen Stämme, die schon vorher gewonnen waren, unterzeichneten einen gleichen Vertrag in Bezug auf ihre Territorien. Auf diese Weise sind die ganzen Berge
— so sagt nämlich das polnische Blatt —
und die Küste zwischen Biktoria und Kalabar dem Wunsche des Hrn. Rogozinski gemäß von der deutschen Oberhoheit eximirt worden. Kaum war das vollbracht, so begegnete das bereits zurück⸗ kehrende englische Kanonenboot den deutschen Kriegsschiffen Leipzig“ und „Möve“, an deren Bord sich Dr. Nachtigal befand. Sie rich teten ihren Lauf gerade auf diese Küste, aber sie trafen zur großen Befriedigung Ihres Landsmannes post festum ein. Das Werk war zur rechten Zeit ausgeführt worden, denn einen Tag später hätten die Deutschen das Vorrecht gehabt.
Ja, Hr. Rogozinski ist eben durch keine parlamentarischen Noth wendigkeiten und Rücksichten gebunden in seiner Politik.
Hr. Ragozinski wird jeden Tag hier erwartet; denn er soll die für ihn gesendeten Gegenstände für die neue Expedition in das Innere des Landes in Empfang nehmen. Alsdann wird er Ihnen jeden falls selbst noch vor seiner Abreise, die wegen Ler nahen Regenzeit bald wird erfolgen müssen, Nachricht von fich geben. Ich versichere
Sie, daß wir alle hier mit Ungeduld und mit dem höchsten Inter⸗ esse seine weiteren Schritte verfolgen werden. Genehmigen Sie 2c. Antonio Borges Silva, ; ꝛ Schuldirektor in Fernando Poo.
— der mit den polnischen Emissären dort eng vertraut und be— freundet sein muß, — wir haben in Madrid uber seine Bedeutung Erkundigungen eingezogen; wenn dieser spanische Lehrer oder Geist⸗ liche, ich weiß nicht, was er ist, sich an einer Agitation gegen Deutsch⸗ land betheiligt hat, so wird er schwerlich im Sinne der uns eng befreundeten spanischen Regierung gehandelt haben.
Ich, babe, meine Herren, diesen Mittheilungen weiter nichts hinzuzufügen; ich hoffe aber, Sie werden zur Beleuchtung der Sütuation und der Bedürfnißfrage dort an der afrikanischen Küste Einiges beitragen und Sie möglicherweise auch ohne Kommissions⸗ berathung vielleicht überzeugen, daß es nützlich ist, hier bald praktisch und entschieden vorzugehen oder die Hand davon zu lassen. Ich bin ad ntrumqus paratus, wie Sie daruͤber befehlen; aber die Verant— wortung für den Fall, daß Sie uns weitere Hindernisse schaffen, lehne ich vollständig von uns ab, und ich weise sie der Majorität, die uns einen Hemmschuh anlegt, zu.
Der Abg. Woermann bemerkte, die Vorgänge, die heute aus Kamerun gemeldet seien, seien nicht eine Foige der Er— eignisse der letzten Monate. Seit Jahren beständen dort zwischen den Eingeborenen und ihren Häuptlingen Zwistig— keiten von immer wachsender Heftigkeit; jene wollten sich von den Häuptlingen emanzipiren und hätten eine gewisse Macht über die Häuptlinge. Dieser Streit sei geschürt worden durch die Eifersucht zwischen den englischen und deutschen Kaufleuten in Kamerun. Es sei ja natürlich, daß Kaufleute verschiedener Nationalität in Ländern, wo keine Autorität existire, mit allen Mitteln sich zu behaupten suchten. Der Streit in Kamerun wäre über kurz oder lang unter allen Umständen zum Ausbruch gekommen, und durch die jüngsten Vorgänge werde es bewiesen, wenn es überhaupt nothwendig sei, daß dort eine Autorität geschaffen werden müsfe. Dieses Bewußtsein habe auch die Kaufleute veranlaßt, sich an die deutsche Regierung um Schutz zu wenden; und mit dem Bedauern über die heute gemeldeten Ereignisse gebe er zugleich dem Stolze Ausdruck, daß dieser Schutz, der im Interesse aller Kaufleute in Kamerun liege, jetzt von deutscher Seite gegeben werden solle, und daß es für die deut— schen Kaufleute nicht mehr nöthig sein werde, sich an eine andere Macht zu wenden. Erst vor wenigen Tagen habe er mit einem Herrn gesprochen, der längere Jahre an der Spitze eines großen deutschen Geschäfts in der englischen Kolonie Lagos gestanden habe; derselbe habe ihm versichert, daß die Deut⸗ schen selbst in den englischen Kolonien schon jetzt fühlten, wie sehr das Vorgehen Deutschlands ihnen zu Nutze komme. Kamerun selbst sei nun kein Land, in welches jemals deutsche Einwanderer würden hineingebracht werden können; aber dennoch würde es für das deutsche Vaterland von ganz be— deutendem Nutzen sein können. Man müsse unterscheiden zwischen Handels- und Ackerbaukolonien. Schafften diese für die überschüssige Bevölkerung Raum, so hätten jene den Zweck, für die Erzeugnisse des Mutterlandes Absatz⸗ gebiete zu schaffen; und zu dem letzteren Zwecke eigne sich die Küste Westafrikas ganz besonders. Der Hin⸗ weis auf, den Absatz von Papier, der gestern gemacht worden sei, zeige wie von kleinen Anfängen aus eine In— Dustrie allmählich gehoben werden könne. Heute wolle er aus seiner eigenen Erfahrung vorführen, daß 300 Fabrikanten thätig seien, welche die verschiedensten Waaren für den Export nach der Westküste Afrikas lieferten; in allen diesen Zweigen habe es klein angefangen und gewinne allmählich an Aus⸗ dehnung. Es zeige sich, wie diese überseeischen Verbindungen auch für einen größeren Kreis des Mutterlandes wirksam und von Nutzen seien. Man werde nun einwenden können: wenn dies alles schon bisher geschehen sei, wozu sei es nothwendig, daß das Deutsche Reich sich unmittelbar in dieser Sache engagire? Der Nutzen des thatkräftigen Vorgehens der Regierung bestehe bei Kamerun darin, daß etwas Schlimmeres dadurch abgewendet worden sei. Nachtigal berichte und es sei auch Thatsache, daß 1883 ein französisches Kriegsschiff an der Küste von Kamerun gewesen sei und einen Vertrag habe abschließen wollen, um das Land französich zu machen. Die Folge davon wäre gewesen, daß ein Zolltarif eingeführt worden wäre, welcher deutsche Waaren mit einem 60 Proz. höheren Ein⸗ gangszoll belegt hätte, als solche von Frankreich aus. Schon dies allein, daß eine solche Maßnahme abgewendet worden sei, dürfte ein großer Nutzen für das deutsche Vater⸗ land sein. Andererseits sei aber auch nicht zu verkennen, daß eine Kolonie auch dadurch dazu beitrage, das Absatzgebiet des Mutterlandes zu erweitern, daß diejenigen, welche sich dorthin zögen, zunächst von ihrem Vaterlande die Waaren bezögen, welche sie brauchten. Das sei aber alles nur möglich, wenn eine geordnete Regierung, eine gesittete Verwaltung bestehe. Heute freilich liege der Handel noch ausschließlich in den Händen einiger großen Kaufleute; diese machten ein Tausch⸗ geschäft. Im Laufe der Zeit werde aber an die Stelle des Waaren⸗ verkehrs Geldverkehr treten, und dann werde sich allmählich die Theilung der Arbeit mehr und mehr vollziehen, und es würden sich dort Kaufleute in größerer Zahl nieder— lassen. Diese Entwicklung hätten die englischen und hol— ländischen Kolonien genommen und seien auf solche Weise groß geworden. Wenn man nun sage, daß die einheimische Bevölkerung in Afrika keine Bedürfnisse habe, so sei das entschieden irrthümlich. Gerade den Negern, welche ein großes Nachahmungstalent hätten, sei es Ver e . sich immer mehr zu bekleiden und auch sonst es den Euro— päern gleichzuthun, wie er dies auch seit den Jahren, wo seine Firma sich dort niedergelassen habe, beobachtet habe. Vor 10 Jahren seien Zeuge von 60 em Breite in Kamerun eingeführt worden, heute müßten die Zeuge 110— 120 em breit sein. So wolle auch jeder Häuptling jetzt nach dem Muster der europäischen Häuser sein eigenes Haus haben. Westafrika sei aber ein Land, das mit dem Reichthum seiner Produkte die Erzeugnisse der Europäer zu bezahlen sehr wohl im Stande sei, es würden auch im Laufe der Zeit immer mehr Produkte aus dem Innern Afrikas herauskommen, Palmöl und Palmkerne würden jetzt in großen Massen exportirt. während Palm⸗ kerne vor 30 Jahren noch gar nicht ausgeführt worden eien. Ein Reisender könne eine einzige Frucht entdecken, eine einzige Entdeckung machen, welche für den Handel von der größten Bedeutung werden könne. Die Verhältnißse in Kamerun wür⸗ den nun uber eine gute Gestaltung nicht finden, wenn nicht eine ständige Vertretung des Deutschen Reiches dort hergestellt werde. Das Dampfschiff des Gouverneurs, welches nicht ein Krie gsschiff sein solle, solle denselben in den Stand setzen, von eirrem Platz der Küste zu anderen, welche zu demselben Ge⸗
hiete gehörten, zu fahren. Es sei nothwendig, daß dasselbe nicht zu groß sei, damit es möglichst nahe an die Küste
heranfahren und in die Flußmündungen hineinkommen könne— Die Barkasse solle es dem Gouverneur ermöglichen, den Fluß weiter hinaufzuschiffen. Das persönliche Erscheinen des Gou⸗ verneurs sei bei der dortigen Bevölkerung von dem größ⸗ ten Werthe. Daß diese Einrichtung weitere wesentliche Kosten für Deutschland zur Folge haben würde, glaube er nicht. Nach den bisherigen Erfahrungen an der afrikanischen Westküste sei anzunehmen, daß, nachdem einmal jetzt Ruhe geschaffen sei, es genüge, wenn zeitweise ein Kricgsschiff an⸗ komme, um die Ruhe aufrecht zu erhalten; denn die Häupt⸗ linge in Kamerun seien ohnmächtig und schwach. Die Kosten könnten überdies auch durch die Kosten, welche dem Handel auferlegt werden, gedeckt werden. Auf den englischen Kolonien Westafrikas würden sehr bedeutende Zölle erhoben. Es werde einfach sein und wenig Kosten verursachen, wenn auch nicht Eingangszölle, so doch Exportzölle zu erheben; der Handel könne sie tragen. Die Befürchtung, daß die erste Bewilligung zu solchen Zwecken den Anfang neuer Belastungen für das Budget zur Folge haben wurde, halte er nicht für begründet. Man verfolge hier nicht eine Kolonialpolitik, welche auf Er— oberungen ausgehe, sondern eine praktische Politik, welche im Auge habe, Handel und Industrie des gesammten Vaterlandes zu unterstützen. Wenn auf diesem Wege fortgeschritten werde, 6 es eine gesunde und für das Reich förderliche Po⸗ itik sein.
Der Abg. Dr. Windthorst erklärte, daß hier zwei That— sachen nebeneinander gehalten werden müßten, die aber abfolut nicht in derselben Weise behandelt werden dürften. Man habe eben gehört, welche Begebenheiten dort in Afrika statt⸗ gefunden hätten, und man könne unseren Landsleuten für ihre Haltung nur volle Sympathie aussprechen. Es verstehe sich auch ganz von selbst, daß das Haus nicht gesonnen sein könnte, auch nur einen Groschen zurückzuhalten, der erforder— lich sei, um die Ehre des deutschen Namens aufrecht zu er⸗ halten. Der Reichskanzler könne daher sicher erwarten, daß alle Mittel zu solchen Zwecken von dem Reichstage bewilligt werden würden. Er unterlasse es, weitere Bemerkungen an seine Mittheilungen zu knüpfen, weil es schwer sei, in folchen Verhältnissen das rechte Wort zu finden für den, der nur ein Mal die Schriftstücke verlesen gehört habe. Er überlasse viel⸗ mehr, die Angelegenheit ganz dem weisen Ermessen und Geschick des Reichskanzlers, wie derselbe es in diesen Dingen den auswärtigen Mächten gegenüber ja stets bewährt habe. Davon aber ganz geschieden sei die Frage, ob die Forde⸗ rung, welche die Regierung an das Haus heute stelle, zu hewilligen sei. Er könne nicht verkennen, daß dieselbe den Anfang mache von größeren Bewilligungen zu Kolonial⸗ zwecken. Es sei zu erwägen, daß dazu noch die Position komme, welche im Auswärtigen Amt, und die sehr viel größere Position, die in der Marine erforderlich sei, und er wisse nicht, ob damit die Forderungen schon erschöpft seien. Für den Gouverneur finde sich im Etat eine Forderung noch nicht, es würde also ein Nachtragsetat erforderlich sein, in welchsm nicht allein für den Gouverneur, sondern auch für die ihm beigeordneten Subalternbeamten die Mittel würden gefordert werden müssen. Für ihn entstehe dann noch die weitere Frage: kann man in einem Lande von solch wilder Bevölkerung einen Gouverneur, Sekretär u. s. w. niedersetzen, ohne diesen Leuten gleich einen bewaffneten Schutz beizugeben? Er für seine Person glaube nicht, daß das Haus nach dem Vorgange, der heute gemeldet sei, einen Gouverneur den Wechfselfällen und den Erregungen der einheimischen Bevölkerung, seien sie spontane oder anderweitig angestiftete, überlassen könne. Es sei deshalb nothwendig, zu erwägen, ob man nicht für Aufrechthaltung der Autorität eine größere oder geringere bewaffnete Macht haben müsse. Er hätte erwartet und gehofft, daß der Reichskanzler in der Lage sein werde, dem Haus heute oder in einem weiteren Stadium der Berathung die ganzen Pläne seiner Kolonisationsidee zu entwickeln. Das sei heute nicht geschehen, und er sage das nicht, um einen Tadel zu erheben, sondern er wolle nur die Thatsache konstatiren, daß es nicht geschehen sei. Als das Haus im vorigen Jahre zum ersten Male dem Kolonisationsgedanken näher getreten sei, habe er es ausgesprochen, daß er das, was der Reichskanzler damals als seine Kolonialpolitik hingestellt habe, durchaus billige und dagegen keinen Einwand erheben wolle, aber hin⸗ zugefügt, daß, wenn für diese Politik Geld verlangt werde, die Sache eine andere sein würde, daß man sie dann würde prüfen müssen, weil man aus den Taschen der Steuerzahler nicht Geld bewilligen könne, ohne selbst die Ueberzeugung von der Richtigkeit des Gedankens gewonnen zu haben. Ihm wolle scheinen, daß Deutschland vor einem der bedeütend⸗ sten Schritte in seinem ganzen Leben stehe, es stehe vor dem Schritte, von einer Landmacht, die gebietend dastehe in Europa, auch eine Seemacht zu werden, die nach der Lage der Dinge so mächtig sein müsse, daß sie den größten Seemächten ge⸗ wachsen sei. Das Haus müsse umsomehr die ersten Ausgaben prüfen, weil es sich zugleich damit verantwortlich mache für die Uebernahme alles dessen, was später in Konsequenz der⸗— selben nothwendig sein werde. Der heute gemeldete Vorfall bestärke ihn in der Ueberzeugung, daß Deutschland durch dis Kolonialangelegenheiten in große auswärtige Verwickelungen kommen werde, einmal an dem Orte der Kolonialpolitik selbst und dann mit anderen eifersüchtigen Rotionen. Deutschland erlebe ja in diesem Augenblicke Aehnliches in seinem Nachbar⸗ lande Frankreich. Die Verwickelungen in China hätten zu er⸗ wägen veranlaßt, ob, wenn diese Politik fortgesetzt werde, das. Land dann auch stark und konzentrirt genug auf dem Konti⸗ nente sein werde. Der französische Kriegs⸗Minister habe diese Frage nicht gemeint bejahen zu können und habe deshalb seinen Abschied genommen, um einem anderen Platz zu machen. Deutschland müffe sich fragen, ab es, von Feinden umgeben, es vermöge, seine Landposition aufrecht zu erhalten und zugleich eine weitere Ausdehnung des Reichs in den Kolonieen vorzunehmen. Er wünsche, daß dies geschehen könne. Es wäre sonderbar, wenn nicht jeder Deutsche gern sähe, daß auch auf diesem Wege die Geltung des deutschen Vaterlandes entstehe und wachse. Wenn aber der Feldmarschall von Moltke gesagt habe, Deutschland werde seine heutige, Rüstung min⸗ destens noch 50 Jahre tragen müssen, dann freige er, habe das Deutsche Reich die Mittel und die Kräfte, die maritimen Lasten noch dazu auf sich zu nehmen? Er werde deshalb bei der Ab⸗ stimmung beantragen, daß der Minister Jer maritimen An- gelegenheiten hier erscheine und Erklärun gen darüber abgehe, ob er nach dem Bestande der Flotte im Stande sei, so viele Schiffe auszurüsten, um Deutschlands Autorität auswärts unter allen Umständen aufrecht zu halten. Dessen müsse das Haus unbedingt sicher sein, denn es könré« niemals zugeben da die Fahne Deutschlands an Achturcg einbüße. Diese wine
eigneten sich mehr zur Berathung im engeren Kreise. Er wolle