1885 / 23 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 27 Jan 1885 18:00:01 GMT) scan diff

Submissionen im Auslande.

J. Italien. ;

1) 3. Februar. Rom. Ministerium der öffentlichen Arbeiten. General- Direktion der Cisenbahaen. Arbeiten und Lieferungen für den Bau einer Strecke der Bohnlinie Gozzano⸗Domodossola zwischen den Stationen: Tafale Corte Cerro und Ornavasso. Länge 7940 m. Voranschlag: 2 1604 000 Lire. Kaution prov. 78 0, definitiv 156 000 Lire. .

Y 6 Februar. Rom. Ministerium der öffentlichen Arbeiten. General Direktion der Wasserbauten. Arbeiten und Lieferungen für Bau einer Landungsbrücke im Hafen von Terranova Pausania. Vor- anschlag 266 400 Lire. Kaution prov. 15 000, def. 30 00 Lire.

II. Spanien. .

Der Einreichungstermin für die im Reichs Anzeiger Nr. 13 V. Spanien 1) bekannt gegebene, auf den 6. Februar von der Capitania General zu Cadiz ausgeschriebene Submission von Metall; waaren ꝛc. ist bis zum 9. Februar, Mittags, verlängert worden.

Verkehr s⸗Anstalten.

Hamburg, 27. Januar. (W. T. B.) Der nn,

Hungaria“ der Hamburg ⸗Amerikanischen acketfahrt⸗

Aktiengesellschaft ist, von Hamburg kommend, gestern in St.

Thomas, und der Dampfer Wieland“, von derselben Gesell⸗

2 von New⸗York kommend, heute früh 7 Uhr auf der Elbe an⸗ ommen.

Triest, 27. Januar. (W. T. B.). Der Llevddampfer Niobe“ ist heute früh mit der ostindisch⸗chinesischen Post aus Alexandria hier eingetroffen.

New-⸗-York, 26. Januar. (W. T. B.). Der Dampfer Spain“ von der National⸗Dampfschiffs⸗ Compagnie (C. Messingsche Linie) ist hier eingetroffen. =

Sanitätswesen und Quarantänewesen.

Portugal.

Durch Erlasse der Königlich portugiesischen Regierung vom 16. Januar 1885 sind nunmehr auch als von der Cholera frei (limpos) erklärt worden:

1) ohne Datumsangabe, alle Häfen Frankreichs in Europa, mit Ausnahme jedoch der Häfen der Insel Noirmoutier, welche vom 1. Januar d. J. ab als von der Cholera angesteckt erklärt werden;

2) vom 15. Dezember 1884 ab die Häfen der französischen olonie Algier und -

3) vom 17. Januar d. J. ab die Häfen Italiens, mit Ausnahme des Hafens von Gasta, welcher vom 1. Januar ab als von der Cholera angesteckt erklärt wird. Gleichfalls werden vom 1. Januar ab die Häfen des Golfs von Gasta bis Neapel einschließlich als der Cholera verdächtig erklärt.

Berlin, 27. Januar 1885.

Preußische Klassenlotterie. (Ohne Gewähr.)

Bei der heute fortgesetzten Ziehung der 4. Klasse 171. Königlich preußischer Klassenlotterie fielen:

1ẽ6ewinn von 450 000 MS auf Nr. S6 136.

1 Gewinn von 75 000 S auf Nr. 74 394.

3 Gewinne von 15 000 S auf Nr. 29 496. 70 073. 88 274.

2 Gewinne von 6000 M auf Nr. 2141. 39 212.

43 Gewinne von 3000 S6 auf Nr. 289. 1456. 2212. 13332. 13747. 15459. 15 718. 16847. 19195. 22966. 23 728. 27 845. 29 280. 30 698. 31 387. 31 825. 33 014. 40 g88. 43795. 47 224. 47 262. 53 374. 57 538. 59 912. 60 749. 61 256. 61 404. 62 590. 64 475. 66 580. 70 897. 72 045. 74 670. 76 205. 77 405. 77 849. 81 555. S3 219. 83 333. 87016. 89 743. 91 295. 94143.

45 Gewinne von 1500 ½ auf Nr. 6425. 7704. 9gö560. 12641. 14 678. 14949. 20433. 22 229. 22 762. 24 S864. 25 530. 26 590. 27 862. 28 109. 28 113. 32488. 33 794. 36154. 38 722. 38 947. 45 447. 45 974. 49 066. 49 580. 51 728. 52 105. 56 242. 56 680. 59 425. 63 652. 64 038. 64 592. 66 856. 66 974. 74 631. 77193. 81 046. S1 660. 83 651. 84481. 85 371. 87 514. 89 764. 92270. 94 764.

65 Gewinne von 550 auf Nr. 136. 453. 2017. 2839. 2929. 3121. 3870. 5484. 5705. 8016. 8783. 10 575. 107775. l a, 12781 17415. 18575. 196571. 22 115. 23134. 24281. 24 739. 28 780. 28 905. 28 923. 30 645. 31 005. 31 739. 35 131. 37 124. 38 214. 39 220. 39 970. 41478. 48111. 49 469. 51 555. 51 784. 53 546. 56 297. 56 859. 65610. 65 776. 67 158. 68 030. 68 869. 68 9605. 69 855. 73 478. 76 293. 77 893. 78 978.ů 80138. 80 916. 84 393. 85 950. 87 936. 90971. 91 520. 92 026. 92 266. 92496. 93 701. 93 808.

Der Verein zur Beförderung des Gewerbfleißes feierte am Sonnabend, den 24. Januar, als am Geburtstage Fried⸗ richs des Großen. sein 64. Stiftungsfest durch ein Festmahl in den reich dekorirten Sälen des Englischen Hauses. Unter den zahlreichen Theilnehmern befanden sich: der Vorsitzende des Vereins, Staats Minister Dr. Delbrück, die Staatssekretäre Dr. Stephan und Dr, von Möller, der Geheime Regierungs-⸗Rath Reuleaux u. A. Professor Slaby erstattete zunächst den Jahresbericht. Danach zählt der Verein nunmehr bereits 1004 Mitglieder., an der Spitze Se. Majestät den Kaiser und König und Se. Kaiserliche und Königliche Hoheit den Kronprinzen; auch Se. Königliche Hoheit der

rin; Wilhelm ist dem Verein als Mitglied beigetreten. ls besonders bedeutsam ist die Stiftung der Delbrück-Medaille zu erwähnen, welche alle fünf Jahre Demjenigen verliehen werden soll,

der sich ein hervorragendes Verdienst um die Hebung der Industrie

im Deutschen Reiche erworden hat. Das Vereinsvermögen belief sich auf 61 809 SM Der Seydlitz⸗Stiftung gehören 435 360 MS; die Weber⸗Stiftung zur Ausbildung von Handwerkern verfügt über 30 000 M Dem Wiedererwecker deutschen Gewerbfleißes, Friedrich dem Großen, galt, wie üblich, das erste stille Glas. Die nach= 8e . Tischreden bezogen sich besonders auf die Kolonialpolitik des Reiches und die dadurch zu erhoffende Hebung und Förderung der In⸗ dustrie. Staate⸗Minister Dr. Delbrück feierte die Eröffnung neuer Handelsgebiete in fernen Landen, zu denen der Grundstein im rerflossenen Jahre gelegt worden sei. Sr. Majestät dem Kaiser und König, Allerhöchstwelchem dieser neue Aufschwung zu danken sei, galt sein Hoch. Die Versammlung erhob sich, stimmte mit jubelnder Begeisterung ein und sang sodann stehend die National⸗ hymne. Der nächste Trinkspruch wurde von dem Direktor Holtz in Charlottenburg auf den Reichskanzler, Minister für Handel und Ge⸗ werbe, Fürsten von Bismarck, ausgebracht. Redner führte aus, daß es ihm nicht möglich sei, alle die vorzüglichen Eigenschaften des Fürsten in den Rahmen einer Tischrede zu fassen. Es dürfte auch keinem Zeitgenossen dieses Staatsmannes gegönnt sein, sein Bild zu entwerfen: das müsse der Geschichte überlassen bleiben, die unberührt von dem Licht und Schatten des Tages ein Bild zeichnen werde, so glänzend und strahlend wie kein einziges seit den Tagen von Rom und Griechen— land. Nur einen Zug möchte er hervorheben, der für uns ein besonderes Interesse habe, nämlich, daß Fürst Bismarck der intellek⸗ tuelle Urheber der deutschen Kolonialpolitik sei. In der Mitte unserer Stadt tage augenblicklich die Kongo⸗Konferenz; ihre Beschlüsse zeugten von dem unumstößlichen Willen des Reichskanzlers, Deutsch— land theilnehmen zu sehen an den Schätzen fremder Länder der Erde und den Segnungen, die daraus erwachsen. Die deutsche Flagge an

den Gestaden von Angra⸗Pegueng, Kamerun, Neu Guineg, die Dampfersubvention für deutsche Schiffe an allen diesen habe Fürst von Bismarck einen ee, Antheil. Wie in der Geschichte oftmals große Geister über Generationen hinweg sich die Hände reichen, so nehme Fürst Bismarck heute das wieder auf, was der Große Kurfärst einst geplant habe. f. den weltbewegenden Unternehmungen unseres erhabenen greisen Kaisers Wilhelm, an denen unser verehrter Minister treu mitgearbeitet, gehört auch die Arbeit zur Besserung unserer sonlalen Nothstände, und freudig jubeln wir heute diesem Beginnen zu, das an Bedeutung den früberen großen Erfolgen in keiner Hinsicht nachsteht. Redner erklärte schließlich, er glaube von keinem deutschen Mann, geschweige denn von solchen der heutigen Festversammlung einen Widerspruch gegen das Gesagte be⸗ fürchien zu müssen, und ließ dann seinen Trinkspruch auf den Minister für Handel und Gewerbe austönen in den einfachen, von Herzen kom⸗ menden Worten: Heil ihm, Heil uns!“ Ein kräftiges Einstimmen in den Hochruf war die beredte Antwort auf die Wünsche des Redners. Der Staatssekretãr Dr. von Möller antwortete und betonte in seinem Dank das enge Zusammengehen des Vereins mit der Regie⸗ rung. Dem treuen weiteren Zusammenwirken galt sein Trinkspruch. Den Borsitzenden, Staats. Minister Delbrück, feierte Hr. van den Wyngaert als den Mann, der seit 26 Jahren den Verein treu geleitet, dem er seine Kräfte stets geweiht habe, gleichviel, ob der Staat sie fast ganz in Anspruch genommen oder Krankheit sie gelähmt habe. In seiner Ant⸗ wort dankte Staats⸗Minister Delbrück und vollzog zugleich die erste Vertheilung der Delbrück⸗Denkmünze. Ein hervorragendes Verdienst auf gewerblichem Gebiet habe sich Hr. Geh. Re⸗ gierungs⸗Rath Dr. W. Siemens erworben; ihm habe er daher die erste Denkmünze zuerkannt. Für den durch Krank⸗ heit ferngehaltenen Vater nahm der Sohn dessäben die Denkmünze in Empfang. Der erhöhten Feststimmung ent- sprechend schilderte darauf Minister Delbrück die Vertreibung des Ge⸗ werbevereins aus seinen alten Räumen und die Aufnahme im Post— gebäude in der Oranienburger Straße. Staatssekretär Dr. Stephan antwortete und schloß mit einem Hoch auf den Verein. Mit einer Sammlung für die Armen, welche 610 S eintrug, endete der offi— zielle Theil. Mit einem ebenso originellen wie humoristischen Vor trage des Ingenieur M. Krause erreichte die Feststiinnmung ihren Höhepunkt und Schluß.

Unter sehr zahlreicher Betheiligung begannen heute in der Börse die Verhandlungen des XIII. Deutschen Handelstages. Der Vorsitzende des bleibenden Ausschusses, Geh. Kommerzien⸗Rath Delbrück (Berlin) eröffnete gegen 109 Uhr Vormittags die Verhand⸗ lungen mit der Mittheilung, daß der Staats. Minister von Boetticher in der heutigen Sitzung lesder nicht erscheinen könne. Derselbe habe an iar Präsidium des bleibenden Ausschusses folgendes Schreiben gerichtet:

„Dem Präsidlum beehre ich mich auf das gefällige Schreiben vom 19. d. M. zu erwidern, daß die Fortdauer eines körperlichen Leidens es mir unmöglich macht, der morgen stattfindenden Eröffnung der Verhandlungen des Deutschen Handelstages beizuwohnen. Je mehr ich es mir bisher zur Ehre gerechnet habe, der gleichen gefälli⸗ gen Einladung in früheren Jahren Folge leisten zu dürfen, desto leb⸗ hafter ist mein Bedauern, für dieses Mal die Anwesenheit bei der Eröffnung mir versagen zu müssen, desto stärker aber auch das Bedürfniß, den Deutschen Handelstag wenigsteas auf die— sem Wege zu begrüßen und dem Wunsche Ausdruck zu geben, daß die bevorstehenden Verhandlungen den Interessen unseres Handels und Gewerbes eine wirksame Förderung gewähren mögen.

Der Staatssekretär des Innern. Boetticher.

Berlin, den 26. Januar 1885.

An das Präsidium des Deutschen Handelstages.“

Der Geheime Kommerzien⸗Rath Delbrück forderte die Versamm⸗ lung auf, dem Minister von Boetticher ihren Dank und das auf⸗— richtige Bedauern über das ibn getroffene Ungemach in einem Ant- wortschreiben auszusprechen. Die Versammlung stimmte lebhaft zu. Der Präsident des Aeltesten⸗Collegiums der Berliner Kaufmannschaft, Geh. Kommerzien⸗Rath Mendelsohn, begrüßte hierauf Namens der erwähnten Körperschaft den Handelstag. Es wurden der Geh. Kommerzien⸗Rath Delbrück (Berlin) zum ersten, der Abg. Kaufmann Woermann (Hamburg) zum zweiten und Direktor Frommel (Augs⸗ burg) zum dritten Vorsitzenden, Handels kammer⸗Sekretär Dr. Geusel , und Syndikus Dr. Knoop (Bremen) zu Schriftführern ge⸗ wählt.

Der Geh. Kommerzien⸗Rath Delbrück eröffnete sodann die Ver⸗ handlungen mit einem Hoch auf Se. Majestät den Kaiser, in welches die Anwensenden dreimal lebhaft einstimmten. Der Vor⸗ sitzende verlas hierauf den Geschäftsbericht. Alsdann referirte Abg. Kaufmann Woermann (Hamburg) über die deutsche Kolonial politik und begründete die folgende Resolution:

„Der Deutsche Handelstag begrüßt freudig, daß die Reichs— regierung einen Anfang mit einer praktischen Kolonialpolitik gemacht hat, da durch dieselbe der deutschen Industrie neue Absatzgebiete er⸗ schlofssen, dem deutschen Handel kräfliger Schutz und Förderung ge⸗ währt und für die Schiffahrt vermehrter Verkehr geschaffen wird.“

Die Handels kammer⸗Sekretäre Herren Dr. Landgraf (Mannheim), Huber (Stuttgart und Meißel (Darmstadt) sagten Namens ihrer Handelskammern dem Referenten besten Dank. Die Resolution gelangte hierauf einstimmig zur Annahme. Der Vorsitzende, Geh. Kommerzien⸗Rath Delbrück betonte die Bedeutung dieser Abstimmung Wenn irgend eine Körperschaft kompetent sei, über diese Frage ein Votum abzugeben, so sei dies der Deutsche Han⸗ delstag. Dle einstimmige Annahme der Resolution sei um so bedeut⸗ samer, wenn man erwäge, daß auch alle diejenigen Handelskammern, welche der herrschenden Wirthschaftspolitik feindlich gegenüberstehen, dem Vergehen des Fürsten Reichskanzlers in dieser Beziehung vollständig zustimmen.

Durch eine Reihe bemerkengwerther neuer Erwerbungen, die theils vorläufig in der Querhalle des unteren Geschosses auf⸗ gestellt worden sind, theils bereits cinen definitiven Platz erhalten haben, ist in letzter Zeit der Besitz der Königlichen National- galerie an Werken der Malerei sowohl wie der Seulptur mehrfach bereichert worden. Unter letzteren ist an erster Stelle die reichlich lebensgroße Marmorfigur eines stehenden Jünglings von dem in Florenz ansässigen Bildhauer Adolf Hil debrg nd zu nennen, dessen Arbeiten gegen Ende vorigen Jahres im Uhrsaal der Kunstakademie zu einer besnnderen Ausstellung vereinigt waren. Während der ebense eigenartige wie hochbegabte Künstler in zahlreichen Porträtdarstellungen von zum Theil unübertrefflich lebensvoller Wahrheit des Ausdrucks den sichtlichen Einfluß der schon durch sein Florentiner Domizil, mehr aber noch durch innere Verwandtschaft der Beanlagung ihm nahestehenden italienischen Frührenaissance und ihres frischen, rücksichtslosen Naturalismus ver⸗ rieth, ließ ein Ueberblick üzer seine Entwickelung auf dem Gebiet der frei schaffenden Idealplastik ein in jedem neuen Werk immer schän fer accentuirtes Bestreben erkennen, den Gegenstand und Inhalt der künst⸗ lerischen Darstellung allein und ausschließlich im Bereich des un⸗ mittelbar sinnlich Anschaubaren zu sinden und jedes stoff⸗ liche Interesse, jeden Stimmungsreiz und jedes andere, über das plastische Motiv an sich hinausgehende Moment der Wirkung auf den Beschaguer seinen Schöpfungen fernzuhalten. Konnte in dem Erstlingswerk Hildebrands, der bereits 1873 in Wien bewunderten Figur des schlafenden Hirtenknaben, so echt und rein plastisch sie gedacht war, noch immer von eiger poetischen Erfindung in dem gemelnüblichen Sinne des Worts gesprochen worden, so stellt die jetzt für die Nationalgalerie erworbene Figur sich als das letzte Resultat jener konsequent und allem Anschein nach mit bewußter Tendenz bis zum äußersten Ziel, durchgeführten Entwickelung und damit als Produkt einer künstlerischen Anschauungsweise dar, die ohne Frage im Prinzip ebenso richtig wie bei einer einseitig starren Auffassung dieses Prinzips hedenklich erscheint. Mit Recht hat man der Gestalt, die, auf beiden Beinen fest und zugleich

lässig dastehend, die linke Hand gegen die Hüfte stützt, die rechte mit leicht gekrümmten Fingern längs des Schenkels herabfallen läßt und dabei ohne bestimmies Ziel interesselos vor sich hinschaut, ihre abso. lute Inhaltlosigkeit und die an die Figuren der frühesten, noch un⸗ freien griechischen Kunst erinnernde seelische Unbelebtheit zum Vor⸗ wurf gemacht, mit ebenso vollem Recht aber von anderer Sejte auf die absichteloseste Wahrheit der Erscheinung, die in ihr erreicht ist, und auf die in Werken moderner Kunst einfig oder doch fast nahezu einzig dastehenden Vollendung in der Wiedergabe des bei vollster Ruhe der Haltung in jedem Muskel und in jeder Fläche der über die Muskulatur sich elastisch spannenden Haut das volle Leben athmenden Körpers hingewiesen. Ebenso begeistert gelobt wie heftig getadelt, darf die meisterhaft modellirte Figur, die auf die fernere Entwickelung des Künstlerz doppelt gespannt macht, in jedem Fall die Bedeutung einer der w Schöpfungen moderner Plastik für sich in Anspruch nehmen.

Einer bereits abgeschlossen hinter uns liegenden Periode gehört daneben das neu erworbene Marmorrelief mit den Gestalten der Iphigenie, des Orest und des Pylades von dem bisher in der Galerie noch nicht vertretenen, 1865 verstorbenen Hermann Heidel an. Ein Schüler Schwanthalers, der späterhin sich unter dem Einfluß der Berliner Schule weiterentwickelte, sein feines Talent aber kaum zu voller, in sich allseitig ausgeglichener Entfaltung brachte, wußte der Künstler seinerzeit vornehmlich durch Gestalten der antiken Stoffkreise zu fesseln, in denen er eine Verschmelzung der gewohnten klassischen Formen mit einem reicheren, dem modernen Empfinden entsprechenden Stimmungsgehalt erstrebte. Als ein bezeichnendes Bei⸗ spiel hierfür darf das jetzt in die Nationalgalerie gelangte Relief gelten. Im Anschluß an die letzte Scene des dritten Akts der Goethe'schen Iphigenie schildert es das Erwachen des Orest aus der zum letzten Mal ihn gepackt haltenden Umnachtung der Sinne. An den Stufen des Altars in, die Kniee gestürzt, von dem hinzutretenden Pylades umfangen, blickt er mit wieder erwachendem Bewußtsein zu der Schwester empor, die sich, ihn bei Kopf und Schulter gefaßt haltend, mit dem Ausdruck freudiger innerer Bewegung und zärtlicher Liebe dem Bruder entgegen⸗ beugt. Auf der vollen Höhe der Dichtung, der das Motiv des klar sich aussprechenden Vorgangs entlehnt ist, steht die Heidel'sche Kom⸗ position allerdings schwerlich. Weder die etwas dürftige Formen⸗ gebung noch die mehr empfindsame als großartige Auffassung reicht an die Vorstellung ernster Würde und Erhabenheit heran, die unsere Phantasie mit den vorgeführten Gestalten verbindet.

Ist das Interesse an diesem Werk heute bereits ein wesentlich historisches, so darf vielleicht auch schon von dem figurenreichen Bilde von Mar, Adam in München, das im Jahre 1870 gemalt und auf der Wiener Weltausstellung von 1873 prämiirt wurde, gesagt werden, daß es den heutigen malerischen Anschauungen kaum noch völlig entspricht. Eine Schilderung des „Sturzes Robespierre's im Nationalkonvent am 2. Juli 1794, ist es eines der echtesten und dabei künstlerisch sicher bemerkenswerthesten Produkte der Piloty'schen Schule. Die Scene bildet der kahle, nüchterne Saal des Konvents, der mit den römischen Emblemen der Republik und dem David schen Bilde des ermordeten Marat geschmückt ist. Als Mittel- punkte der Komposition heben sich die Gruppen des auf seinem Stuhl zusammengebrochenen Diktators mit den ihn zunächst umdrängenden Gestalten auf der einen, und die der laut von der Tribüne in den Saal hinabsprechenden Ankläger auf der anderen Seite aus dem Ge⸗ wühl der den Raum erfüllenden, durch den eben ausgesprochenen Ver⸗ haftungsantrag stürmisch erregten, von den Sitzen sich erhebenden und nach vornhin strebenden Menge hervor. In der Chgrakteristik der leidenschaftlichen Bewegung, die hier jeden Theilnehmer der Seene erfüllt, in dem Studium der realistisch treuen Erscheinungsweise der Zeit, in der plastischen Herausmodel⸗ lirung der sich dicht gruppirenden Figuren des Vorder grundes und in der gewissenhaften Durcharbeitung im Detail ist eine nicht geringe Meisterschaft bewiesen. Als Ganzes aber wirkt das Bild doch weniger wie das Erzeugniß einer unmittelbaren leben⸗ digen Inspiration als vielmehr wie das eines in fleißiger Uebung ge⸗ wonnenen kompositionellen Geschicks, und gesteigert wird dieser Ein⸗ druck durch die etwas schematische Abstufung der Tonwerthe und der Bestimmtheit der Zeichnung in der Menge der Köpfe und Gestalten, die den Saal nach rückwärts hin anfüllen und im Gegensatz zu dem vorn herrschenden klaren Tageslicht in jenen, für die Pilotyschule charakteristischen warmen gelblichen Ton getaucht sind, den die mo dernste malerische Anschauung mit Recht als konventionell und rezept⸗ mäßig ansieht.

Neben dem Bilde von Adamo ist auch das auf der letzten akademischen Kunstausstellung angekaufte, durch die meisterhafte Charakteristik der holländischen Landschaft und der in ihr wei denden Kühe, sowie durch den feinen Silberton der feuchten, die Ferne duftig verschleiernden Luft ausgezeichnete Gemälde .Bei Dortrecht zur Ebbe⸗ zeit- von Hermann Baisch in Karlsruhe, der sich in den letzten Jahren auf dem Gebiet der modernen Thier und Landschaftsmalerei zu einem unserer bedeutendsten Meister entwickelt hat, in der unteren Querhalle der Galerie ausgestellt. Cinen Platz in dem ersten der westlichen Säle des oberen Geschosses hat dagegen ein großes Bild von Andreas Achenbach gefunden, der nun auch als Meister in der Schilderung der stürmisch bewegten See in der Galerie charakteristisch vertreten erscheint. Das Motiv der 1883 gemalten Marine entstammt dem von dem Künstler wieder, holt geschilderten Ostende. Vorn zur Rechten schiebt sich die auf Pfählen ruhende Landungsbrücke in das trübe, lehmige Wasser der vom Winde aufgewühlten See hinein. Gegen das Unwetter mit aller Kraft ankämpfend, ist hier eine Anzahl von Schiffern mit dem Abbringen eines Botes beschäftigt, während weiter hinaus ein Dampfer von den hoch ansteigenden Wellenbergen auf nnd niedergeworfen wird und in der Ferne einzelne Segel sich von der dunklen Fluth und dem links am Horizont zusammengeballten, nach rechtshin wild zerrissenen Gewittergewölk abheben. In dem scharfen Kontrast der dunkel beschatteten Partien und des grellen Lichts, das auf die Brücke, auf die mit weißlichem Gischt an ihr zerschellenden Wogen und auf die, hier arbeitenden, in packend lebendiger Charakteristik geschilderten Männer fällt, zeigt das Bild eine Energie der Auffassung, der in der Malerei des Wassers, der Luft und der Figuren eine gleich ungewöhn⸗ liche Kraft und Breite der Behandlung entspricht.

Die vorgestrige Jahresfeier des Missionshülfsver eins hatte die St. Elisabethkirche mit einer andächtigen Gemeinde gefüllt. Der Festpredigt des Hofpredigers Bayer über Joh. 12, 20 23 folgte der Bericht, den Missions⸗Superintendent Merensky erstattete. Der Verein unterstützt die Berliner Mission im südlichen Afrika, im Barokalande. Missions⸗ Superintendent Knothe hat bereits an den Grenzen dieses Landes ein durch eingeborene Christen wohl vorbe⸗ reitetes Arbeitsfeld gefunden. Leider ist das Jahr nicht ohne Be⸗ trübniß vergangen. Am Charfreitag des verflossenen Jahres hat der Häuptling Khafhane um seines Glaubens willen den Märtyrertod ge⸗ funden; er wurde von den Heiden überfallen und niedergemacht. Das Grab des Ermordeten wurde im Dezember v. J. vom Missions⸗ Direktor D. Wangemann besucht, der auf seiner Inspektiongreise zugleich Gelegenheit fand, sich an dem erfreulichen christlichen Leben der dortigen Gemeinden zu erfreuen.

In Folge des Aufrufes vom 15. d. M. sind für die Opfer der Erdbeben in Spanien bei dem Schatzmeister des Gomités General Konsul Eugen Landau, bisher, nach dem uns vorliegenden ersten Verzeichniß 68 328, 82 „S eingegangen.

Redacteur: Riedel.

Verlag der Expedition (Scholy. Druck: W. Elsner.

Sechs Beilagen (einschließlich Börsen Beilage).

Berlin:

zum Deutschen Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preußischen Staats⸗Anzeiger.

M 23.

Erste Beilage

Berlin, Dienstag, den 27. Januar

1885.

Aichtamtliches.

Preußen. Berlin, 27. Januar. Im weiteren Ver⸗ lauf der gestrigen (34) Sitzung des Reichstages, wurde die zweite Berathung, betreffend die Feststellung des Reichs⸗ haushalts-Etats pro 1886/86 und zwar: Zölle und Verbrauchssteuern, Kap. 1 der Einnahmen, auf Grund mündlichen Berichts der Budgetkommission, fortgesetzt.

Nach dem Abg. Härle ergriff der Bevollmächtigte zum

Bundesrath, Staats-Minister Dr. Lucius das Wort:

Meine Herren! Der Herr Vorredner hat der Reichsregierung den Vorwurf gemacht, daß sie rathlos der Entwickelung dieser Industrie und dem Verfall dieser Steuer gegenübergestanden habe. Ich glaube, kein Vorwurf ist weniger begründet. Die verbündeten Regierungen haben die Auffassung gehabt, daß die Entwickelung der Zuckerindustrie für die deutsche Landwirthschaft nicht allein, sondern für den ganzen Wohlstand der Nation in den letzten vierzig Jahren von steigender Bedeutung gewesen ist, und daß nichts verkehrter sein würde, als durch steuerliche Eingriffe dieser Entwickelung Hemmnisse zu bereiten.

Die Entwickelung. die diese Industrie genommen hat, ist ja grade der Beweis für die Richtigkeit und Nützlichkeit, wie das Steuerfystem in Deutschland geioirki hat, während umgetehrt an der Entwickelung, welche dieser landwirthschaftlichen Industrie in den Nachbar⸗ staaten, zumal in Frankreich genommen hat, beweist, zu welchen un= glücklichen Konsequenzen ganz besonders für die Landwirthschaft sie geführt hat. Ich stelle außerdem in Abrede, daß der Verfall dieser Steuer ein so großer, ein so langer, so nachhaltiger wäre. Ich er⸗ innere doch daran, daß im Durchschnitt der letzten vierzehn Jahre, mit 1883 schließend, die Zuckersteuer eine Durchschnittseinnahme von 45 Millionen jährlich gegeben hat, und daß ein Rückgang dieser Ein⸗ nahme erst in den letzten Jahren eingetreten ist Daß diese Ab— nahme der Steuererträge hervortrat, und warum sie hervorgetreten ist, ist durch die Ausführungen des Hrn. Grafen von Hacke sowohl wie durch die des Hrn. Grafen von Stolberg erwiesen.

Als die Konsequenzen der verschiedenen Melasse⸗Entzuckerungsver⸗ fahren hervortiaten, haben die Regierungen auch nicht gesäumt, steuerliche Maßnahmen vorzubereiten; ich erinnere daran, daß bereits vor zwei Jahren, 1883, eine Vorlage an den Reichstag gelangt ist, die darauf hinausging, eine Reduktion zunächst der Bonifikation herbeizuführen. Es wurde nicht verkannt, daß durch die Verbesserung, welche die Fabrikation in den letzten Jahren gewonnen hatte, ourch die verschiedenen Melasse⸗Entzuckerungsverfahren, durch den Anbau zucker⸗ reicherer Rüben ein gewisses Mißverhältniß eingetreten war zwischen dem Steuersatz und der Bonifikation, und die verbündeten Regie- rungen glaubten auf diesen Punkt zunächst ihre Aufmerksamkeit richten zu müssen und dort die Korrektur eintreten zu lassen. Daß sie sich nicht leichtherzig zu einer Systemänderung verstanden, das liegt wohl bei der Wichtigkeit dieser Industrie für Landwirthschaft und die ge⸗ sammten wirthschaftlichen Verhältnisse auf der flachen Hand.

Es ist dann eine Enquetekommission einberufen worden, die diese Fragen in der gründlichsten und eingehendsten Weise diskutirt hat.

s find in diesen Verhandlungen all die Fragen, die auch hier heute gestreift worden sind, auf das Eingehendste verhandelt worden, und ich darf wohl daran erinnern, daß diese Kommission mit 11 gegen 1 Stimme fich für die Beibehaltung des bisherigen Systems der Robsteuer nämlich erklärt hat. Es würde nach meiner Auffaffung eine höchst enge Fiskalität gewesen sein, wenn man sofort durch einen Steuerausfall sich hälte bewegen lassen sollen zu einer Systemänderung, t . .

Ich meine, es ist auch eine fiskalische Rücksicht in weiterem Sinne, daß man alle die Industrien. die geeignet sind, die Steuer kraft des Landes zu beben, insbesondere die Landwirthschaft in ihren Verhältniffen in eine bessere Situation zu bringen, begünstigt und ihr jede Rücksicht und Pflege angedeihen läßt, Es ist eine weitere, wenn man will, fiskallsche Rücksicht, welche für Schonung dieser In dustrie spricht, daß man die Erfahrung, die in den Etats aller Einzelstaaten hervortritt, die überhaupt. Domänenbesitz haben, berückfichtigt. Diese Erfahrung geht doch dahin, daß eine Steigerung der Erträge der Landwirthschaft in den letzten Jahren sich fast nur auf diejenigen Gegenden beschränkt und konzentrirt, in denen tech—⸗ nische Gewerbe blühen; in erster Linie Zuckerrübenfabrikation. Die Uebersichten der Domäneneinnahmen im preußischen Staate können bis zu cinem gewissen Grad als tvpisch gelten für die lanzwirth— schaftlichen Verhältnisse überhaupt. Und wenn dort wiederkehrend bei allen denjenigen Vomänenverpachtungen, die vermöge der klima⸗ tischen und Bodenbeschaffenheit darauf beschränkt sind, blos Körner zu bauen; wenn diese einen Rückgang in den Einnahmen nachweisen, so weist das sicher auf ernste kritische Symptome in der Landwirth⸗ schaft in ihrer Gesammtheit hin, und daß man dieser Beobachtung gemäß diejenigen Industrien hegt und pflegt, die diese Schädlichkeiten auszugleichen vermögen. Das, glaube ich, ist durchaus eher eine weit⸗ blicken de und richtige wirthschaftliche Politik wie das Gegentheil.

Meine Herren, ich kann nicht umhin, in dieser Beziehung die Aeußerungen anzuführen, die im vergangenen Jahre in der fran— zöfischen Deputirtenkammer sowohl wie im Senat gefallen find. Dort treten die Klagen der Landwirthschaft genau in dem selben Umfange hervor, wie bei uns. Es wird in den dortigen Enqueten, die noch nicht abgeschlossen sind, von denen wir aber in den Zeitungen täglich kurze Notizen finden, konstatirt, daß auch in den rein ackerbautreibenden Gegenden die Pächte um 25 0 o zurück- gegangen sind, daß, wo früher 120 Franken per Hektar erzielt wurden,

die Pacht neuerlich auf 90 Franken und noch geringere Summen ge⸗—

sunken ist. Es wird dort hervorgehoben, daß allein in zwei Kantons 43 Landgüter (fermes) überhaupt keine Pächter mehr finden. Das beweist also eine landwirthschaftliche Krisis, die dort in demselben, ja augenscheinlich in höherem Maße vorhanden ist, als bei uns.

Aehnliche Erscheinungen haben sich in England, das unter einem andern wirthschaftlichen Regime steht, gezeigt. Dort sind die Rück- gänge der Pächte noch viel größer, noch viel bedeutender, wie hier; dort zählen die Pachtungen, die keine Pächter mehr finden, nach Tausenden. ! .

Wenn wir nun dem gegenüber in Deutschland auch kritische Ver⸗ hältnisse haben, aber immerhin noch solche, welche doch relativ gesunder sind, fo glaube ich, können wir ja mit einem gewissen Recht darauf hinweisen, daß in der Entwickelung dieser technischen Gewerbe, Zuder⸗ sowohl wie Spiritusindustrie und Stärkefabrikation, schützende Clemente gelegen haben, um die Landwirthschaft vor voll⸗ ständigem größeren Verfall zu hüten.

In den französischen Verhandlungen wurde ganz besonders auch hingewiesen auf die Blüthe der deutschen Zuckerindustrie, die wesent⸗ lich ein landwirthschaftliches Gewerbe geblieben ist im Gegensatz zu der französischen. Man beklagte sich dort darüber, daß das System der Fabrikatsteuer eine wesentliche Begünstigung einmal des Koloniagl⸗ zuckers, der Schiffahrtsinteressen und endlich der französischen Raffi⸗ nerie zur Folge gehabt habe. Es wird das durch entsprechende . nachgewiesen. Es bekam der Kolonialzucker eine

rportbonifikation, während der Rübenzucker, der in rankreich auch in großer Ausdehnung produzirt wird, keine bekäme. ie Folge diefes Systems ist gewesen, daß von 1872 bis 1882 ein vollständiger Stillstand des Rübenbaues eingetreten ist, und ein bedeutender land wirthschaftlicher Rückgang in Konsequenz dessen. Man hat eine

Mission nach Deutschland geschickt, die die Zuckergegenden bereist hat und die frappirt gewesen ist von der Höhe, in der sich die landwirtb- schaftlliche Kullur sowohl, wie auch die Fabrikation speziell des Zuckers befand. Die Herren sind nach Hause gekommen und haben ihre Enquete damit abgeschlofsen, daß sie an die Kammer Berichte er stattet haben, die durchaus auf die Einführung des deutschen Steuer- systems gerichtet sind. Sie urtheilen über das frühere System; sie sagen in ihrem Kommissionsbericht an die Deputirtenkammer;

„Hätte man damals (1862) die Rübensteuer eingeführt, so würde Frankreich, welches trotz aller Steuerschrauben und troKz des ungleichen Kampfes gegen die durch ihre Gesetzgebung begünftigten Länder zu einer Zuckererzeugung von 4 Millionen gelangte, heute Älleß, was das uns bedrohende Deutschland hervorbringt, selbst erzeugen zum großen Vortheil des Konsumenten, des Fiskus und des allgemeinen Wohlstandes der Landwirthschaft. Leider hatten die damaligen Minister nicht einen genügend weiten Blick für die wahren und größten Interessen des Landes... ;

Der Bericht, der an den Senat erstattet ist über dieselbe Vorlage, schließt damit. Der Bericht ist erstattet von dem früheren Botschafter in Berlin, Graf Saint Vaillier, in dem er auch das deutsche System empfieblt:

Ez genügt, die beiden Systeme darzulegen und zu ver⸗ gleichen, um die Vorzüge des deutschen Systems als Beförderer des Fortschritts und der Verbesserung und die Unzuträglichkeiten des unfrigen als Ermuthigung für den Schlendrian und die alten Praktiken zu zeigen.“ .

se Verhandlung hat damit geendet, daß ein Gesetz in Frank⸗

reich angenommen wurde, welches mit einer Uebergangszeit von fünf Jahren, in der es fakultativ gelassen wurde, ob die Fabrik sich nach dem bisherigen Steuersystem besteuern wolle oder nach dem Gewichts rohsteuersystem, und daß man dann nach Ablauf von fünf Jahren mit 1889 das deutsche System im Wesentlichen einführte.

Ich meine, einer solchen Erfahrung gegenüber ist es doch wohl gerechtfertigt, daß man nicht ohne Weiteres von Systemänderungen spricht und sich darauf einläßt. In jedem Falle ist der Zeitpunkt, in dem sich diese Industrie in einer schweren Krisis befindet, jedenfalls nicht derjenige, wo man auf diesem Gebiete experimentell vorgehen darf. Es wäre darin eine große Gefahr, wenn man gewissermaßen bei der Bedräng- niß und Haltlosigkeit, in der sich die gewerblichen Kreise natürlich dieser Krisis gegenüber jetzt befinden wenn man da sich von einer plötzlichen Siÿrmung frelben lassen wollte und jetzt eine übereilte Entschließung fassen. Meines Erachtens ist z. 3. gar keine Wahl vorhanden alt die, daß man das jetzige System und Verhältniß beibehält und wenigstens auf ein Jahr den status quo verlängert, daß man also abwartet, wie die Krisis sich weiter entwickelt und, was dann geschehen soll, sich vorbehält. Ich räume vollkommen ein, daß es wohl möglich ist, daß man zu einer Systemänderung in der Besteue⸗ rung in einer fexneren Zukunft kommen könnte; es würde meines Erachtens der Zeitpunkt eiwa dann gekommen sein, wo es sich ähnlich, wie bei dem Saftgewinnungeverfahren es geschehen, wo die Diffusion alle älteren Verfahren, die Mazeration, das Preßver⸗ fahren geschlagen und verdrängt hat, wenn ähnlich, wie bei dem Saftgewinnungsverfahren geschehen ist, wenn eine der vielen Methoden des Entzuckerungeverfahrens über die anderen so weit obgesiegt hätte, daß auch dieses System in einer gewissen festen Gestalt zum Abschluß gekommen wäre.

Es ist kein Zweifel, daß gegenüber den zahlreichen und schnellen Erfindungen, die auf diesem Gebiete in den letzten Jahren gemacht worden find, daß wir auf diesem Gebiete in verhältniß mäßig nicht zu langer Zeit zu einem Abschluß kommen können. Es ist klar, daß über, das Quantum kristallisirharen Zuckers, daß in den Rübensäften ist, darüber hinaus auch die Ausbeute nicht gestelgert werden kann, und es wird sich in verhältnißmäßig kurzer Zeit entschieden haben, welches der Verfahren, Eluition, Strontianit F'der das neueste Verfahren, welches darauf ausgeht soweit ich unterrichtet bin gleichfalls auf die Bildung von Kalksaccharaten aus den frischen Säften —, welches von den Systemen das— jenige ist, das allseitig acceptirt werden kann. Mag dann diese Entwickelung dazu führen, daß diese Fabrikation voll⸗ zogen wird in den bisherigen Rohzuckerfabriken, oder daß sich die Sache dahin entwickelt, daß wie bisher noch die Mehrzahl der Zucker⸗ fabriken Überbaupt kein Entzuckerungsverfahren anwende, sondern daß fich das Fabrikationssystem dahin entwickelt, daß die Entzuckerung in befonderen Anstalten vorgenommen würde, das würde meines Erachtens der Zeitpunkt sein, wo man darüber reden kann, ob eine Systemänderung angemessen ist, und dieser Zeitpunkt würde meines Erachten abzuwarten sein, ehe man die Rohsteuer aufgiehe.

Ich will nur noch mit wenig Worten auf die Einwürfe des Herrn Vorredners kommen, der der Ansicht zu sein scheint, daß die Keberproduktion von Zucker lediglich oder wesentlich durch die deutsche Ueberproduktion hervorgerufen sei. Ich erlaube mir in dieser Be⸗ ziehung, ihn auf ein verhältnißmäßig neues Aktenstück hinzuweisen, auf einen englischen Parlgmenisreport, der im vorigen August von Mr. Giffin in dem englischen Parlament resp, dem Boord of Trade unterbreitet worden ist. Die Zuckerfrage hat bekanntlich in England, wo ja eigener Zuckerrübenbau gar nicht produzirt wird, wo blos Kolonial⸗Kohrzuͤcker und Rüben⸗Rohzucker importirt und verarbeitet wird, auch ein sehr hervorragendes Interesse, und man hat sich dort, nachdem die Zuckerzölle dort , sind, durch die Zölle dem Sinken der uckerpreise gegenüber gefragt, ob irgend welche steuerliche und ollmaßregeln angezeigt seien, um der erdrückenden Kalamität, die aber dort nicht einen land⸗ wirthschaftlichen sondern mehr industriellen Charakter hat, abzuhelfen. Dieser Parlamentsreport schließt damit, . er zunächst konstatirt, daß in den vergangenen 30 Jahren sich die esammtzuckerproduktion der Erde von 1 425 000 Tons auf 4 Millionen Tons gesteigert habe.

Der Bericht konstatirt ferner, daß das Steigen der Rübenzucker⸗ produktion allerdings auf Kosten der Kolonialzuckerproduktion statt gefunden habe, daß aber trotzdem die Produktion des Kolonialzuckers im übrigen ebenso reichlich im selben Verhältnisse⸗ vielleicht selbst durch Zutritt neuer Produktionsländer, in einem höheren Grade ge⸗ wachsen ist, wie die Produktion des Rübenrohzuckers. Er konstatirt:

Es ist ein IVsrthum, die ganze Rübenzuckerproduktion als durch

Präm ken künstlich . darzustellen und das Wachsen der

Produktion lediglich auf die Aug fuhrprämien zurüůck ·

zu führen. Die Produktion ist, eben überall gewachsen, und sie

ist über Verhältniß zur Konsumtion gewachsen.

Die Konsumtion ist in . nach diesem Report die vier fache der deutschen, sie ist von 15 Pfund pro Kopf, die sie 1840 be⸗ trug, auf 68 Pfund gestiegen in 1333. Wenn man dagegen die deutsche Konfumtion vergleicht, so bewegt sich die ungefähr auf demselben Ver⸗ hältniffe wie die englische vor 36 Jahren, Es ist ö sehr wohl möglich und anzunehmen, daß auch eine erhebliche oder wesentliche Steigerung der Konfumtion des Zuckers in Deutschland möglich ist. Daß die aber so schnell eintritt, um schon in der Kürze dieser großen Massen⸗ produktion gegenüber einen großen Unterschied zu machen, das be zweifle ich, und ich glaube nicht, daß man wenigftens seine steuerlichen Berechnungen darauf gründen darf. ;

Ich schließe damit, daß ich konstatire, daß die Regierung keines. wegs achtlos, jondern mit der größten Aufmerksamkeit und mit der größten Theilnahme die Entwickelung dieser Krisis verfolgt, daß sie es aber nicht für angezeigt hält, die Krise etwa durch steuerliche

Maßregeln noch zu verschärfen. Und wenn ich vom lediglich land⸗

wirthschaftlichen Standpunkte aus sprechen darf, so würde ich lagen; in en, f ist es . eine viel höhere Rücksicht, diese eminent landwirthschaftliche Industrie zu erhalten, ibr über die Schwierig keiten ibrer gegenwärtigen Lage hinwegzubelfen, als wie sich darum zu ängstigen, einen Steuerausfall zu beseitigen. ; 26 Der Abg. Dechelhäuser erklärte, daß seine politischen Freunde mit der Ctatsposition von 38 Millionen einverstanden seien, obwohl sie glaubten, daß dieser Ertrag bei weitem nicht erreicht werden werde. Was feine Meinung über die Zucker⸗ steuer und die Zuckerkrisis betreffe, so solge er dem sich ein⸗ bürgernden Gebrauch, daß jeder Redner über materielle Fragen sich zunächst über sein persönliches Interesse an der Sache offen ausspreche. Als Vertreter eines der bebeutensten Zucker⸗ und Rübenbaudistrikte des Herzogthums Anhalt habe er nun wohl ein direktes allgemeines, aber kein, weder direktes noch indirektes, persönliches Interesse in Form unmittelbarer Betheiligung an der Lage der Zuckerindustrie. In Betreff der Krisis könne er die Regierung trotz der Erklärungen ihres Vertreters von einem Theile der Schuld wenigstens an dem finanziellen Rückgang nicht freisprechen. Wären die zahlreichen Mahnungen aus diesem Hause, namentlich die Bennigsens, besser beachtet worden, so hatte der Ausfall unmöglich die jetzige Höhe erreichen können. Es gehe damit, wie in der Erziehung: die allzugroße Zärtlichkeit der Väter werde oft für die Kinder verhängnißvoll. An und für sich sei die Krisis nur zu einem außerordentlich geringen Theil durch den Mangel eingreifender gesetzgeberischer Maßregeln ver⸗ urfacht worden, ihre wahren Ursachen lägen auf der Hand; zunächst der außerordentlich hohe Gewinn, den diese Industrie jahrelang abgeworfen habe, und der das Kapital ihr zugedrängt habe. Die Prämie habe natürlich zu diefem hohen Gewinn ihr Theil beigetragen, aber die Differenz in den Preisen sei weit über die Prämie hinausgegangen, so daß er ihr einen entscheidenden Antheil nicht beimessen könne. Der zweite Grund der Ueberproduktion sei die mißliche Lage der Landwirthschaft, die zu rentableren Produktionszweigen hindraänge, ein dritter die Mehrproduktion durch Fortbildung der Melasseerzeugung. So sei es den Koalitionen der hollän⸗ dischen und englischen Raffineure doppelt leicht geworden bei dem übertriebenen Angebot die Preise noch niedriger zu halten, als sie sich sonst hätten stellen können. Im Wesentlichen halte er jedoch die Krisis mit dem Abg. Grafen Hacke für eine vorübergehende, die sich an ihren Hauptursachen selbst ausleben werde und müsse. Ohne definitive Regelung der Zuckersteuer und vollständigen Abschluß dieser Frage könne aber eine dauernde Gesundung nicht eintreten. Was zunächst zur Abhülfe vorgeschlagen werde, das seien Palliativmaßregeln für den Augenblick; zunächst die Resolution des Abg. Grafen Hacke, die er auf das Wärmste unterstützen möchte, da sie durch Ausdehnung des Steuerkredits von 6 auf 9 Monate zahlreichen Fabriken finanzielle Erleichterung bringen würde. Sodann werde die Regierung, wie ihre Aeußerung in der Kommission annehmen laffe, im Plenum die Erklärung wiederholen, daß sie eine Vorlage bringen werde, wonach das Gesetz vom 7. Juli 1883 über die Feststellung der Ausfuhrvergütung auf ein Jahr verlängert werde. Die Regierung und der größte Theil des Reichstages werde dem hoffentlich beistimmen; aber lebhaft bedauern müsse er, daß die Bitten der Interessenten um die Gestattung steuerfreier Zuckerlager ohne Gründe abschlägig beschieden seien, und er bedauere ganz besonders, daß dies in Betreff der Raffineure geschehen sei. Es sei eines der wichtigsten Interessen nicht nur der deutschen Zuckerindustrie, sondern der ganzen Volkswirthschaft, daß die Raffinerien ausgedehnt würden, daß man eine größere Masse Zucker in raffinirtem Zustande exportire als bisher, Dem sei bisher im Wesentlichen durch die überhohen Prämien anderer Länder entgegengewirkt worden, namentlich Frankreichs, wodurch der Absatz der französischen Raffinade an England und Amerika bedeutend begünstigt sei; sodann durch die außerordent⸗ liche Belastung der deutschen Raffinerie, die mit versteuertem ucker arbeiten müsse. Der Engländer arbeite hei den jetzigen uckerpreisen ungefähr mit der Hälfte des Geschäftskapitals wie der Deutsche, derselbe verarbeite unversteuerten Zucker, resp. Zucker, von dem die Ausfuhrbonifikation zurückvergütet sei und der Deutsche verarbeite in seinen Raffinerien versteuerten Zucker. Er wünsche dringend, daß die Reichsregierung jene Petitionen noch einmal prüfen und günstig bescheiden möchte. Als definitive Maßregel fordere er ein in der nächsten Session vorzulegen des Zuckersteuergesetz. Er stehe mit Graf Hacke und der gesammten deutschen Zuckerindustrie auf dem Standpunkt, daß die Grundlagen der Gesetzgebung von 1869. überwunden eien und daß die Vergütung nicht höher sein dürfe als die Steuer. Dabei sei aber ganz unabweislich, daß die Vergütung nicht nach den niedrigsten, sondern nach den Durchschnittssätzen berechnet werden müsse, also nach den Durchschnittserträgen der verschiedenen Gegenden und ahre, wobei denen, die über dem Durchschnittspreis des abrikationspreises in dem Rübenbau gearbeitet hätten, immer eine kleine Prämie bleiben müsse. Dies sei bei beiden Arten des Systems unmöglich zu beseitigen, aber auf ein sehr geringes Maß zu beschränken. Denn die Gesetzgebung ver⸗ möchte den Fortschritten der Industrie und Rüben⸗ kultur so genau zu folgen, daß eine Krisis wie die jetzige sich nicht zu wiederholen brauche. Spezieller Vorschläge, betreffend die definitive Regelung der Zuckersteuer, ent⸗ halte er sich und warte ab, bis die Vorlage der Regierung, die so rasch als möglich gebracht werden müsse, greifbar vorliege. Denn weder das Plenum noch eine Kommission des Hauses könne zu einem finanziell und steuertechnisch richtigen Ausdruck für diese Frage gelan⸗ gen. Mit außerordentlicher Besorgniß erfülle es ihn, daß die im Schoße der Fabrikanten sich zeigende divergirende Strö⸗ mung allmählich zur Befestigung von Ansichten führen könne, deren Ausdruck in der Gesetzgebung die Zuckerindustrie schwer benachtheiligen würde. Zu seiner großen Freude habe auch der Minister Lucius die äußerste Vorsicht beim Betreten eines Reformwegs in diesem wichtigen Industriezweige, in dieser

wichtigen Kulturfrage empfohlen, der nicht gründlich vorbereitet sei. Zunächst erfülle ihn mit großer Besorgniß die Strömung,