Arme, aber mit großer Sorglalt würde ich die einfältige und thö⸗· richte Neugier fern halten. eine Mittagstafel sollte sehr einfach sein = 13 000 Thaler jährlich müßten für den Tisch ausreichen, 2600 Thaler würde ich auf Liebhabereien wenden; der Rest bliebe meinen Gefährten: ich ließe ibnen etwas nach meinem Tode, damit sie sich zuweilen meiner erinnern könnten. So, mein Freund, würde ich bie kurje Strecke des Weges, welche ich noch zurückzulegen habe, mit einigen Blumen bestreuen. Der König üitirte Verse aus Choulieu. r i Jeichnung eines Hauses, wie er es für sich und sechs Freunde bauen wollte. Er hatte auch einen kleinen Flügel für Fremde von Ver dienst prolektirt, die etwa einige Tage bei ihm verweilen würden!. =
Die Erklärung für diese Sehnsucht nach einer endlichen Ruhe liegt nicht fern. Das Naturel des Königs wies ihn auf eine beschau⸗ liche Lebensweise hin: seine Liebe zu den Wissenschaften, sein Talent für die Musik beieugen dies; Regent und General war er gegen seine Neigung. Memoiren und Tagebücher liefern hiefür spre⸗ bende Beweife. Ünd ein offeneres Bekenntniß hierüber vom Könige selbst können wir kaum bören, als jene Stelle in dem Briefe an seine Schwester von Bayreuth, vom 21. November 1756: SGeschaffen für das Privatleben, geiwungen zu repräsemiren, Philosoph aus Nei⸗ gung, Politiker aus Schuldigkeit, endlich ein Mensch, der Alles fein muß, was er nicht ist, und der kein anderes Verdienst hat als eine gewissenhafte Hingabe an seine Pflichten. — Allerdings konnte der König sich der gewissenhaften Hingabe an seine Pflichten rühmen wie kein anderer. Der preußische Gesandte am franzoͤsischen Hofe, Baron von Knyphausen, berichtet unter dem 2. Juli 1756 aus Paris, man habe dort gesagt, daß zwei Drittel der Macht des Königs von Preußen in seinen persönlichen Eigenschaften beständen: in seinem Muth. seiner Thätigkeit, feiner Liehe zur Arbeit, der Hingabe, mit welcher er fein Königreich regiere. — Das Bekenntniß an die Schwester und der Bericht des Gesandten fallen in den Anfang des Krieges und in die Jeit vor demselben; wie sehr der König aber sich selbst und die Er⸗ wartungen Anz erer ju übertreffen im Stande sein würde, sollte der sieben jährige Krieg zeigen, dieser Krieg, welcher der, steten und wachsenden Bedrängniß durch weit überlegene feindliche Mächte Krank ⸗ heit und die Qual schwerer Seelenleiden zugesellte. .
Pfychologisch von hohem Interesse ist die Haltung des Königs bei dem Zusammenbruch des Unglücks über ihn in den Jahren 1758 und 1755: der Tod des Prinzen Wilhelm, der Ueberfall bei Hochkirch der Tod. der Markgräfin von Bayreuth, die Niederlage Wedells bei Kay, die Schlacht ron Kuners— dorf, die Gefangennahme des Finckschen Corps bei Maxen, des Dierickeschen bei Meißen waren Schläge, hinter einander und wuchtig genug, um die stärkste Natur zu fällen. Man kann die Scenen der Bewegung und Unruhe, wie sie Catt im Gefolge dieser Begebenheiten schlldert, nicht ohne tiefes Mitgefühl lesen,. Man erstaunt über die Fassung, deren des Königs große Seele mitten im Nebꝛrrmaß des Unglücks fähig war, umsomehr als er gerade um diese Zeit durch schwere körperliche Leiden heimgesucht wurde. .
Am 9. Januar 1758 marschirte der König nach Schweidnitz; es berrschte eine grimmige Kälte, die ihn so angriff, daß er sich, im Duartier angekommen, sogleich zu Bett legen mußte, Catt findet ihn am Nachmittag im Fieber, sein Gesicht feuerroth, als wenn es sich entzünden sollte. — Mir ist gar nicht gut; fühlen Sie meinen Puls!‘ — Sein Puls galoppirte, und sein Kopf war, wie er mir fagte, ganz wüst. — Diese Fieberkrankheit kommt mir sehr ungelegen, aber ich will dieser Sritzbübin tüchtig zu Leibe gehen, ich werde sie aushungern: ich will nichts effen und mich mit Thee überschwemmen, das ist mein Universalmittel. Da ich mich ziemlich auf die Medizin verstehe, so kurire ich mich selbst; ich war schon gestern Abend, als ich schlafen ging, nicht ganz wohl: die Kälte von heute, auf dem Marsch, hat mein Unwohlsein gesteigert. — Der König macht noch einige Scherze und bestellt Catt auf den folgenden Tag, Nachmittags 3 Uhr. Als Catt zur festgesetzten Stunde bei dem Könige eintrat, fand er sein Gesicht noch sehr gerötbet; ihm war offenbar nicht wohl, aber er ließ Catt keine Zeit zur Nachfrage, sondern unterhielt ihn sogleich in einer längeren Auseinandersetzung über den prophetengläubigen Komman— danten von Schweidnitz, von Zastrow. — Der König hatte zu viel gesprochen; Catt merkte an seinem Aussehen und an dem Ton seiner Stimme das Steigen des Fiebers; dem Könige selbst ent⸗ ging dies nicht, und Catt mußte wieder seinen Puls fühlen: er schlug sehr stark und schnell. — Ich werde mich auf mein Bett legen und ein Pulver nehmen. — Um 6 Uhr soll Catt wieder⸗ kommen. — Zu dieser Stunde findet er den König ruhiger, seine Hande waren ganz mit rothen Flecken bedeckt. Catt sieht dies für ein gutes Zeichen an und empfiehlt Beitwärme und Thee, welcher den Krankheitsstoff heraustreiben soll. — Es muß alles auch ohne das herauskommen, mein Lieber; ich habe keine Zeit, mich zu ver hätscheln: morgen muß meine alte Figur, ob sie will oder nicht, in aller Frühe zu Pferde sein; ich darf keine Zeit verlieren, ich muß laufen wie Don-⸗Quichotte, um die Anschläge zu pariren, welche man in Sachsen gegen den irrenden Ritter schmi⸗ det. — GCatt räth: der König solle dann wenigstens einen Wagen nehmen. — Einen Wagen, mein Freund? ich glaube gar, Sie scherzen! Halten Sie mich denn für ein altes Weib? Und was würde meine Armee sagen, wenn sie den guten Monsieur vergraben und eingepackt in seinem Wagen sähe? Ein schönes Beispiel für so viele Offiziere, die man ohnehin schon por bösen Beispielen in Acht nehmen muß! Auf mein Beispiel hin würden sie sich bei der geringsten Unpäßlichkeit verhätscheln! — Aber wenn die Armee Ew. Majestät krank wüßte, so würde sie Dero Sorge für Ihre Gesundheit nur Beifall geben! — ‚Sie sind im Irrthum, mein Herr! Erstens muß sie gar nicht wissen, daß ich krank bin; und zweitens würde man mich mit ähnlichen Spottreden überschütten, wie in der Fabel den armen Müller, der mit seinem Sohne den Esel auf den Markt führt;. . . Nein, nein, mein Lieber, Sie überreden mich nicht! Ich lasse mich nicht lenken; nein, mein Herr, ich lasse mich durch Niemand lenken! — .. . Obwohl krank, war der König mit Tages— anbruch zu Pferde und an der Tete der Avantgarde. Die Kalte war grimmig; der Markgraf Karl... beklagte sich sehr über den Frost, und noch mehr den König, welcher in dem gegenwärtigen Zu jtande Gefahr lief, sich eine schwere Krankheit zuzuziehen. Se. Ma⸗ jestät mußte Sich bei Ihrer Ankunft in Rohnstock zu Bett legen; das Fieber war stark, der Autschlag war zurückgetreten. Ihr Kopf so wüst, daß Sie keinen Gedanken fassen konnte. Ich be— schwor Sie von Neuem einen Wagen zu nehmen, wenn Sie morgen marschiren würde. — Marschiren werde ich, aber ich werde nicht im Wagen sitzen, auf keinen Fall! Ich habe Thee befohlen, werde schwitzen, und morgen werden Sie mich so sehen, wie jeden Andern; es ist wahr, die Kälte war heute Morgen recht strenge, ich habe sie so stark noch nicht empfunden. Aber in diesem Augenblick handelt es sich nicht darum, sich zu verzärteln: ich muß Alles thun, um den BVerlust vom 14. (Oktober, Hochkirch) wieder einzubringen. Bis jetzt geht er ja ganz gut damit, und wenn das, was mir zu thun übrig bleibt, gelingt, so wird das die beste Kur für meinen Ausschlag und mein Fieber sein! — (12. November.) Obwohl der König nicht, wie er gesagt hatte, so war wie jeder Andere, so war ihm doch besser als gestern: der Aus⸗ schlag zeigte sich wieder. In Schönau angekommen, legte er sich zu Bette, schwitzte stark und marschirte am 13. nach Löwenberg, wo er einen Tag blieb. Am 14. November las der König in Lauban Catt bereits Flöchiers Rede auf Turenne vor und sagte ihm ganze Seiten aus— wendig her.
Ein anderer Fall: Am 28. Dezember 1759 findet Catt in Frei⸗ berg den König auf seinem großen Stuhl in seinen Pelz gehüllt. — Meln Freund, es geht mir schlecht, ich habe Gichtschmerzen und muß morgen unter allen Umständen weiter marschiren. — Catt beschwört ihn, sich zu schonen; der König will nichts davon wissen, und auf seine besorgte Frage, was er wohl in einem Dorfe anfangen wollte, wenn er ernstlich die Gicht bekäme, antwortet er: „Dasselbe, was in einer Stadt: ich werde fiebern, leiden, bisweilen schreien; meine Hände spattes) werden auffchwellen, und nachher werde ich ebenso wie Sie sein; ich werde schlafen, schwitzen und, wenn mir das Schicksal keinen
Dann zeigte er Catt die am Vormittage entworfene
Streich spielt, morgen früh um 5 Uhr schon weit weg von hier sein. Guten Abend! Merken Sie Sich: wer sich verbätschelt, fühlt den Schmer um so mehr! und wenn Sie an den Marquis (2 Argens) schreiben, fagen Sie ihm nur diese schöne Regel und geben Sie ihm von meinem Besinden Nachricht!! — (29. Dezember.) „Ich verließ den König sehr beunruhigt wegen seiner Gesundheit; aber als ich in aller Frühe mich erkundigen ließ, wie es ihm gehe, erhielt ich zur Antwort: er blase die Flöte und erwarte seinen Wagen; er habe in der Nacht erstaunlich er g und klage über nichts. —
Der Nachdruck seiner Poesten' (Ende Januar 1760) hatte den König in die äußerste Aufregung versetzt — enthielt er doch seine Tiraden auf England, Rußland u. a.“ Er mußte um jeden Preis, da er nun einmal nicht mehr aus der Welt geschafft werden konnte, wenigftens unschädlich gemacht werden. Und dies sollte nach des Königs schnell gefaßtem Entschluß durch einen korrigirten Neudruck der Poesien geschehen, welcher die gravirenden Stellen nicht ent⸗ hielte. In einer Vorrede zu diesem sollte der Nachdruck als böswillig entstellt bezeichnet werden. — -Der 3 verbrachte eine sehr un⸗ rubige Nacht. Als er aufstand, waren Kopf und Gesicht ganz an— geschwollen; schon beim Schlafengehen hatte er über einen lebhaften Schmerz, den ihm ein angestockter Zahn verursachte,
eklagt. Als ich mich am folgenden Tage zur festgesetzten Zeit ein ⸗ and, hatte Se. Majestät den Kopf dermaßen verbunden, daß nur die Nasenspitze und die beinahe halb geschlossenen Augen sichtbar waren. In diesem Zustande .. . arbeitete Sie an den Korrekturen, wovon Sie gestern gesprochen hatte Ueber 1650 Verse waren bereits umgearbeitet... Diese mühevolle und unangenehme 1 beschäftigte den König dann bis zum 19. Februar“, wie att sagt.
An einer andern Stelle erzählt Catt, der König habe sich, vom Hufschlage eines Pferdes am Schenkel getroffen, zu Bette legen müssen, sei aber gegen die Mahnung der Aerzte aufgestanden und, Schmerz und Anstrengung nicht achtend, seinen Geschäften nach gegangen.
Einer solchen Widerstandsfähigkeit gegen körperliche Leiden entsprach die Fassung, mit welcher der König Unglück nachrichten an— hört. Als ihm die Niederlage von Kay gemeldet wird, „ist der König ruhig, kein Zeichen der Erregung auf seinem Antlitz, die Sprache ruhig“. — „Der König ist niemals größer als im Unglück,“ bemerkt Catt.
Der Schreck und der Zorn des Königs über die Gefangennahme Fincks bei Maxen waren ohne Gleichen (S. 262 — 264), aber er weiß sich sofort nach der ersten Aufregung zu fassen: „Ich will meinen auten Bruder (Heinrich) bitten, zu mir zu kommen, und wir wollen me,, zusehen, wie wir uns aus dieser teuflischen Geschichte ziehen werden“.
Am 24. Juni 1760 wurde der General Fouqus mit seinem Corps bei Landshut durch Laudon gefangen genommen: „Der König war bei dieser Nachricht wie vom Blitz getroffen und so erschüttert, daß er einige Minuten long regungslos und mit einem Blicke der Verwunderung, in welchem sich zugleich die tiefste Trauer ausprägte, den rapportirenden Adjutanten anstarrte: — ‚Fouqué gefangen? sein Corps gefangen? ist das möglich? — Weiter kein Wort zum Offi— zier. = Schon gut. — ; .
Wenn der König, seinem Heldencharakter gemäß, das Leben nicht zu hoch anschlug, um es der Exrreichung des edelsten Ziels, dem Wohle des Staats, zu opfern, so gab es für ihn Eine Lage, in welcher er es verachtete. Hören wir ihn selbst:
Am Abend nach der Schlacht von Hochkirch war Catt bei dem Könige. Friedrich war unter dem Eindruck des Unglücks der ver lorenen Schlacht und der Nachricht vom Tode des Marschalls Keith in tiefe Trauer versunken: „Ach, wie viel brave Leute verliere ich, mein Freund, und wie verwünsche ich dieses Handwerk, zu welchem mich das blinde Ungefähr meiner Geburt verdammt hat! Aber ich trage etwas bei mir, wodurch ich das Stück enden lassen kann, wenn es mir unerträglich werden sollte. — „Ohne Zweifel nahm ich bei solcher Sprache eine Miene an, welche dem König auffiel. Er sagte:“ — „Herr, Sie wechseln die Farbe! — „Dann machte er seinen Kragen los und zog unter seinem Hemde ein Band hervor, an welchem eine kleine ovale goldene Kapsel befestigt war, die auf seiner Brust ruhte. — Hier mein Freund, ist Alles, was noth thut, um dem Trauerspiel ein Ende zu machen. — „Er öffnete die kleine Kapsel: sie enthielt 18 Pillen, welche wir zählten. — „Diese Pillen sind von Opium, die Dosis ist völlig ausreichend für die Reise nach jenen düsteren Gestaden, von welchen man nicht mehr zurück⸗ kehrt. — „Nachdem er mir die Kapsel gezeigt, befestigte er sie wie⸗ der an seinem Kragen und ließ sie auf die Brust herabfallen. — Jetzt, mein Lieber, sein Sie so gut und helfen Sie mir meinen Kragen wieder zumachen; denn ich bin zu ungeschickt, um es selbst zu verstehen, und ich möchte nicht, daß jemand anders um mein kleines Auskunftsmittel wisse. — „Ich machte den Kragen fest. — Alles dieses', sagte er, scheint nicht sehr orthodox, auch nicht im Einklange mit Ihren calvinistischen Grundsätzen; aber Sie sind nicht an meinem Platze, alfo können Sie auch über die Nothwendigkeit meiner kleinen Kapsel nicht zutreffend urtheilen. Sie werden jedoch zugeben, daß, seitdem Sie mich kennen, in der Lage, in welcher ich mich befinde, mehr als Festigkeit und Beharrlichkeit nöthig ist, um mich zu behaupten — und dieses Mehr darf ich kühn genug sein, mein Lieber, um es zu hoffen? Ich sage es Ihnen rund heraus: wenn mir ein neues Un— glück begegnet, so überlebe ich sicherlich nicht den Fall und die Trübsal meines Vaterlandes. — Das ist meine Denkungsart! Glauben Sie nicht, daß ich mir einen Sartorius oder Cato zum Muster nehme: der Staat, und nicht der Ruhm, bestimmt meinen Entschluß; und dann, mein Lieber, wenn ich das grausame Schicksal haben sollte, in einer Schlacht ge⸗ fangen zu werden, würden Sie wollen, daß ich diese abscheuliche Er⸗ niedrigung überlebte? Nein, nein, mein Freund, dann würde ich die Bürde eines Lebens, das mir zur Last ist, abschütteln. Und Sie, mein Lieber, Sie, so orthodox Sie auch sind, werden mir zu⸗ geben, daß: ö
„Wenn alles uns verläßt, die Hoffnung selbst gebricht, Dann ist das Leben Schimpf, und Sterben wird unt Pflicht!!“ — *) ;
Tags darauf kommt der König wieder auf dieses Thema zurück: Ehemals trug ich diese Kapsel in einer Tasche meines Beinkleides; aber ich stellte die Betrachtung an, daß diejenigen, welche mich gefangen haben möchten, vielleicht schurkisch genug sein könnten, mich zu durchsuchen, und ließ an meiner Kapsel einen kleinen Ring machen, durch welchen ich die Schnur zog, die von meinem Hals auf die Brust herabgeht, wie Sie gesehen haben. Das müßte mit dem Teufel zugehen, wenn man sie da entdeckte; ich will doch nicht hoffen, daß man mich ganz nackt ausziehen würde. Ich kann Ihnen nicht sagen, mein Frennd, wie sehr diese Kapsel mich beruhigt! Stellen Sie sich vor, ich wäre von diesen Menschen gefangen und ihrer Will kür preisgegeben! Schauderhaft! Nein, meine Seele ist nicht für die Unehre und den Schimpf geschaffen!“““) —
Ueberblicken wir schließlich den Inhalt der Memoiren‘ und Tagebücher“ de Catts, um zu einem allgemeinen Ergebniß für den Charakter des Königs zu gelangen, so können wir hier nur das Ur— theil Heinrich von Sybels wiederholen: „Es zeigt sich uns eine äußerst merkwürdige Thatsache. Wie die Standhaftigkeit ohne Gleichen ist, mit welcher Friedrich sechs Jahre lang der permanenten Todesgefahr unbeugsam in das Auge blickte, als ebenso beispiellos wird man es erkennen müssen, daß er einer der genialsten Feldherrn aller Zeiten war, ohne innere Freude an der militärischen Aktion, ohne Freude an Krieg und Sieg. Eine reiche und starke Natur, deren angeborne Neigung ganz und gar den Aufgaben der Kultur, der Pflege des Wohlstandes und des Rechtes, der Entwickelung des Ackerbaues und Gewerbes und vor
) Verse aus Voltaire's ‚Merope“. **) Die Thatsache, daß der König Giftpillen bei sich trug, ist 1 ö, . sonft bekannt. Vergl. Preuß, „Friedrich der Große“,
Allem der Blüthe der Kunst und Wissenschaft zugewandt war, ein Fürst, der sich mit Krieg und Diplomatie nur aus e hh, Pflichtbewußtsein und Vaterlandsliebe befaßte, weil er als Köng sich damit befassen mußte, und der dann sofort trotz der inneren Gleich= Ein sich zur größten Meisterschaft in beiden Fächern empor⸗ ob.“)
Im weiteren Verlauf der gestrigen Sitzung des Deutschen Handelsta ges referirte Hr. Russell⸗Berlin über die bezüglich der Besteuerung der mobilen Handelswerthe gemachten Vorschlägen. Der- selbe legte feinem Referat folgende, von dem bleibenden Ausschuß vor; geschlagene Resolutionen zu Grunde: I) Eine sogenannte Geschäfts steuer, d. h. eine Besteuerung der einzelnen Akte der Erwerbethätigz ˖ keit, kann an sich als eine richtige Art der Besteuerung nicht ange sehen werden. Abgesehen von prinzipiellen Bedenken, bietet dieselbe große Schwierigkeiten in der Veranlagung und kann sehr leicht zu einer Schädigung des Erwerbfleißes und der Konkurrenzfähigkeit Deutschlands dem Auslande gegenüber führen. 2) Trotz dieser Be⸗ denken wird der deutsche Handels- und Gewerbestand gegen solche Vorschläge sich nicht ablehnend verhalten können, welche. — vor⸗ behaltlich beftimmter Befreiungen — durch eine angemessene, nicht prozentuale Besteuerung der geschäftlichen Umsätze einen finanziellen Ertrag für das Reich zu erzielen geeignet sind, und welche damit die unabweiebare Reform des Gesetzes vom 1. Juli 1881 über die Erhebung von Reichs⸗Stempelabgaben ver⸗ binden. Der von dem Hrn. von Wedell⸗ Malchow vorgelegte Gesetzentwurf ist, wegen der prozentualen Besteuerung der Umsätze und wegen der in Vorschlag gebrachten Kontrol ⸗ und Strafbestim⸗ mungen. völlig unannehmbar. 3) Eine Besteuerung der einzelnen Geschäftsabschlüsse oder Umsätze ist für den Handels⸗ und Gewerbe stand nur dann annehmbar, wenn dieselbe einfach und klar bemessen und mit inguisitorischen Kontrolmaßregeln nicht verbunden ist. Der Rechtsweg ist in vollem Umfange für zulässig zu erklären. 4 Vor endgültiger Feststellung eines nach diesen Grundsätzen auszuarbeitenden Gesetzentwurfs sind Sachverständige aus den verschiedenen Kreisen des Handels und der Industrie gutachtlich über die einzelnen Bestim—⸗ mungen zu hören. ;
Der Korreferent Dr. Landgraf⸗Mannheim empfahl auch seinerseits die vorgeschlagenen Resolutionen. Kempff⸗Berlin zeigte im Auftrage der Berliner Kaufmannschaft an zahlreichen Beispielen aus dem Berliner Börsenverkehr, wie oft sich eine prozentuale Börsensteuer vervielfältigen würde, und plaidirte für die Nothwendigkeit der Hin⸗ zuziehung von Sachverständigen bei der Feststellung eines Gesetz⸗ entwurfez. Letzteres halte er für der Schwerpunkt. — Dr. Steglich Dresden hatte gegen die Resolution manche Bedenken und fand in dieser selbst manche Widersprüche. Die Dresdener Gewerbe- und Handelskammer stehe, wenn sie auch keine Kontrolmaßregeln wolle, durchaus auf dem Standpunkte der prozentualen Befteuerung der Börsenschlußnoten, und er seinerseits halte die Zeitgeschäfte durchaus für besteuerungsfähig. Er sei daher in der Lage, die Anträge sub 1 und 2 des bleibenden Ausschusses ablehnen zu müssen. — Hinrichsen⸗Hamburg protestirte gegen die Aus⸗ führungen des Vorredners und betont nochmals, daß eine prozentuale Börsensteuer ohne die bekämpften Kontrolmaßregeln nicht möglich sei. Die Hamburger Handelskammer stehe ganz auf dem Boden der vor⸗ geschlagenen Resolution. Dasselbe erklärte Huber⸗Stuttgart Namens seiner Handelskammer. — Sedlmayr (München und Würzburg) hielt eine prozentuale Steuer von dem Geschäfts⸗Mindestbetrag von 50000 Æ für nicht durchaus verwerflich. — Goepke⸗Duisburg erklärte im Einverständniß mit Dr. Landgraf, daß es Aufgabe der Sachverständigen sein müsse, den Modus zur Vermeidung einer mehr⸗ maligen Besteuerung eines und desselben Geschäfts zu finden. — Dr. Struck⸗Meiningen stellte zur Resolution ad 4 das Amendement, daß die Sachverständigen sowohl aus den größeren Börsenplätzen wie aus den Provinzialstädten entnommen würden. — Bei der Abstimmung wurden die Anträge des bleibenden Ausschusses mit dem Amendement Struck fast einstimmig angenommen, nachdem die anderweitigen An⸗ träge des Korreferenten Dr. Landgraf mit 49 gegen 34 Stimmen ab⸗ gelehnt worden waren.
Auf der Tagesordnung stand noch die Frage der Erhöbung der Getreidezöllen, wofür als Referenten Regierungs⸗Rath Seebold—⸗ Dortmund und Dr. Siemens⸗Berlin aufgeführt sind. Wegen Behinderung beider Referenten und sonstiger Opportunitätsrücksichten beantragte der Vorsitzende die Absetzung des Gegenstandes von der Tagesordnung, um so mehr, als sich für einen Theil der Mitglieder des Handelstages zur Zeit noch Bedenken gegen die Behandlung dieser Frage ergäben. — Soldau Nürnberg bedauerte aufs Lebhafteste die Ab⸗ setzung dieses überaus wichtigen Gegenstandes, glaubte, daß man unschwer einen anderen Referenten hätte finden können und fand es nicht für richtig, daß der Handelstag keine Courage haben sollte, in dieser Frage ein bestimmtes Votum abzugeben. Er wünsche mindestens, daß von den einzelnen Handelskammern ein Votum über diese Frage schriftlich abgegeben werde. — Nachdem sich der Geh. Kommerzien⸗ Rath Delbrück gegen den Vorwurf mangelnder Courage verwahrt und darauf hingewiesen hatte, daß Gründe delikater Natur dazu be⸗ wogen hätten, den Gegenstand diesmal nicht zu verhandeln, wurde der 13. deutsche Handelstag um 5 Uhr geschlossen.
Im Belle⸗Alliance Theater geht am Sonntag das Lust⸗ spiel ‚Hötel Blancmignon“, das im vorigen Jahre im Wallner Theater einen so außerordentlichen Erfolg hatte, mit den Gästen vom Wallner⸗Theater zum ersten Mal in Seene.
Liedern und Duetten zu Gehör, und zwar eine Auswahl älterer klassischer, neuerer und neuester Werke. Da es nicht möglich ist, jeder einzelnen Leistung gerecht zu werden, so bezeichnen wir als besonders gelungen den Vortrag von Mendelssohns „Veilchen! und „Wanderlied', „Ihr lieben Aeuglein“, von Jensen, und vor allen „Der arme Peter! von Schumann. In den letzten Nummern des Programms lernten wir, neben einer wenig ansprechenden Komposition des Goethe'schen, Wanderers Nachtlied' von Liszt, schöne Lieder neuer Komponisten kennen, unter welchen die von Eichberg, Leßmann und Otto Dorn ganz besonders zusagten. Die Sängerin verfügt über ein in der Höhe sehr wohlklingendes, wenn auch nicht sehr kräftiges Stimmmaterial. Während Reinheit der Intonation und deutliche Aussprache vollständig befriedigen, vermißten wir oft volle Wärme des Ausdrucks und hätten besonders für die Leidenschaftlichkeit des Mignon⸗ liedes eine empfindungsvollere Ausführung gewünscht. Fr. Johanna Wegner, deren tiefer, voller Altstimme es leider an der nöthigen technischen Vollendung fehlt, sang zwei herrliche Lieder von Rob. Franz und übernahm in einigen Duetten Schumanns und Brahms' die zweite Stimme. An Stelle des erkrankten . Friedländer er⸗ freute Hr. Emil Sauer die Zuhörer durch die bekannte Toccata von Schumann und zwei Klavierstücke von Grieg und Scharwenka, denen der liebenswürdige Künstler noch freiwillig eine schwierige Concert- piece von Rubinstein hinzufügte. Seine Leistungen, über die wir schon früher berichtet haben, waren auch an diesem Abend unübertrefflich zu nennen. Der Saal war ansehnlich gefüllt, und das Publikum spendete reichen Beifall.
) Sitzungsberichte der K. Preuß. Akademie der Wissenschaften, 1884, S. 39.
Redacteur: Riedel.
Verlag der Expedition (Scholz). Druck: W. Elsner.
Vier Beilagen leinschließlich Börsen⸗ Beilage).
Berlin:
. Aber
Erste Beilage
zum Dentschen Reichs⸗-Anzeiger und Königlich Preußischen Staats⸗Anzeiger. 6 24.
Berlin, Mittwoch, den 28 Januar
. 18835.
Aichtamtlich es.
Preußen. Berlin, 28. Januar. In der gestrigen (35.) Sitzung des Reichstages wurde die dritte Berathung des Entwurfs eines Gesetzes, betreffend die Feststellung des Reichshaushalts-Etats für das Etatsjahr 1885/86: Zölle und Verbrauchssteuern, Kap. 1 der Einnahme, auf Grund mündlichen Berichts der Budgetkommission, fort⸗
esetzt. ö Die Berathung begann bei Kap. 1 Tit. 5 (Branntwein⸗ steuer und Uebergangsabgabe vom Branntwein).
Hierzu lagen zwei Anträge vor:
I) von dem Abg. Dr. Buhl:
Der Reichstag wolle beschließen:
die verbündeten Rezierungen zu ersuchen, dem Reichstage mit möglichster Beschleunigung einen Gesetzentwurf über Erhöhung der Branntweinsteuer vorzulegen, in welchem die Interessen besonders der kleinen landwirthschaftlichen Brennereien eine entsprechende Berücksichtigung finden. 2) von dem Abg. Uhden: Der Reichstag wolle beschließen: den Herrn Reichskanzler zu ersuchen, dahin wirken zu wollen, daß für das vom 1. September 1884 begonnene Betriebsjahr bis dahin 1885 die Frist für die Entrichtung der Branntweinsteuer von sechs auf neun Monate verlängert werde. Der Referent Abg. von Wedell⸗Malchow erklärte, die
Budgetkommission empfehle dem Hause die Bewilligung der
Position (36 527 000 6 Einnahme), gegen die rechnungs—⸗ mäßig nichts zu erinnern sei. Zugleich bringe er im Auf⸗ trage der Kommission zur Kenntniß des Hauses, daß der Ver⸗
treter der verbündeten Regierungen die an denselben in der
Kom mission gerichtete Frage, ob die Regierung sich mit dem
Gedanken einer Reform der Branntweinsteuer beschäftige,
Die beiden Resolutionen hätten der Kom⸗
Der Abg. Dr. Buhl besürwortete seinen Antrag. Die bedeutende Steigerung der Matrikularbeiträge, welche die Einzelstaaten, anstatt ihnen Steuererlasse zu ermöglichen, zu
verneint habe.
. nmaission nicht vorgelegen.
. Steuererhöhungen zwinge, lege mehr als je die Erwägung nahe, ob es nicht endlich an der Zeit sei, aus dem Branntwein höhere Erträge als bisher für das Reich zu
erzielen. Allgemein sei anerkannt, daß der Branntwein ein sehr geeignetes Steuerobjekt sei. Frankreich habe aus der Besteuerung des Alkohols jährlich 246 Millionen Mark Einnahmen; England 520 Millionen; Rußland gar 900 Millionen; die kleinen Nieder⸗ lande 47 Millionen, also mehr als die ganze norddeutsche Branntweinsteuergenossenschaft mit ihren 36 Millionen; die Vereinigten Staaten 331 Millionen. Wenn er nicht einzelne bestimmte Detailvorschläge gemacht habe, wie zu verfahren sei, so sei es darum geschehen, weil selbstverständlich bei der Besteuerung eines wichtigen Konsumartikels, der gleich⸗ zeitig mit seiner Produktion eine so bedeutende Rolle in den Erwerbsverhältnissen großer Distrikte spiele, nur mit dem sachverständigsten Urtheil geprüft werden dürfe, ob und in welcher Weise eine Erhöhung durchführbar sei. Er erkenne durchaus die Bedeutung des Brennereibetriebes für Nord⸗ deutschland an; ebenso erheblich seien die Brennereien aber auch für die wirthschaftlichen Verhältnisse des Südens, nament⸗ lich für die Erhaltung der dortigen Viehzucht. Also der Wunsch,
diesen landwirthschaftlichen Erwerbszweig zu schonen, sei gleich⸗ berechtigt für den Norden und für den Süden. Frage man nun, wie mit dieser Schonung eine Erhöhung der Branntweinsteuer⸗ . 2 vereinbar sei, so seien hier verschiedene Wege ge⸗ geben. vdenklich. Es würde dadurch der kleinere und mittlere Bren⸗
nereibetrieb noch mehr, als es schon der Fall sei, an Kon⸗
Die jetzige Steuer wesentlich zu erhöhen, erscheine be⸗
kurrenzfähigkeit gegenüber dem Großbetrieb einbüßen. Man habe ferner vorgeschlagen, die Maischraumsteuer, gleichzeitig aber auch die Exportprämie, zu erhöhen, in der Weise, daß ein Theil des Ertrages der höheren Maischraumsteuer zur Zahlung der erhöhten Prämie verwendet würde. Hiervor warne er aber aufs Dringendste. Wohin die großen
. k geführt hätten, das habe man beim Zucker erlebt. wweinexport gehend
Ueberproduktion Reichsfinanzen, in zweiter aber auch der Industrie schädlich
Eine Steigerung der Prämien für den Brannt— würde zwar der Spiritusindustrie vorüber⸗ aufhelfen, demnächst aber eine verderbliche großziehen, die in erster Linie den
sein würde. Schon die jetzt gezahlte Prämie sei zu hoch. auch einen Wechsel des ganzen Steuersystems, etwa den Uebergang zur Fabrikatsteuer, halte er unter den
jetzigen schwierigen Produktionsverhältnissen für nicht ange⸗
bracht. Man müsse wenigstens mit ihr noch so lange warten,
daß sie für Branntwein und Zucker zugleich eingeführt wer⸗
den könne. Dann könnten namentlich den östlichen Landes⸗
ttheilen die Rachtheile, die ihnen durch die Aenderung des
Systems der Branntweinsteuer erwachsen würden, durch Vor⸗ theile beim Zucker wieder ersetzt werden. Diese Frage könne man ja für die folgenden Jahre erwägen; gegenwärtig aber habe man nur die Möglichkeit, die jetzige Maischraum⸗ steuer beizubehalten und eine Zusatzsteuer dazu einzuführen, und zwar so, daß auch die süddeutschen Staaten auf demselben Wege würden folgen können, und das Mißverhältniß in den Einnahmen aus dem Branntwein zwischen Süd⸗ und Nord⸗ deutschland möglichst ausgeglichen werde. Eine gleichartige Regelung dieser Steuer in Nord- und Süddeutschland wäre für unsere ganzen Verkehrsverhältnisse von höchster Wichtig⸗ keit. Es werde Sache der Regierung sein, die nöthigen Er⸗ hebungen, wie am zweckmäßigsten zu verfahren sei, anzu⸗ stellen. Was die Frage betreffe, wie sich die Interessen der Konsumenten zur Steuererhöhung stellen würden, so gebe er dem Reichskanzler gern zu, daß der nord⸗ deutsche Arbeiter zur Erhaltung seiner Leistungsfähigkeit ein gewisses Quantum Alkohol nöthig habe; aber es seien in England auf den Kopf jährlich 3, in Frankreich 5, in Ruß⸗ land 5— 6, in Norddeutschland aber 9 1 Branntwein gekom⸗ men, so daß der norddeutsche Konsum relativ bei Weitem der größte in ganz Europa sei. Würde derselbe durch eine höhere Besteuerung auch etwas herabgedrückt, so wäre das kein großes Unglück. Nach einer statistischen Erhebung in England ver—⸗ ursache der übermäßige Genuß geistiger Getränke 9 aller
anerkenne und Hülfe zu bringen bereit sei.
Armuth, * aller Verbrechen und 4 der Verwahrlosung der Kinder. Man müsse daher keine Mühe scheuen, wenn es sich irgend durchführen lasse, aus dem Alkohol höhere Steuer— erträge zu erzielen. Darum bitte er, seinem Antrage zuzu⸗ stimmen. ; ;
Der Abg. Uhden bemerkte, die Landwirthschaft sei in den letzten Jahren noch wesentlich ungünstiger situirt, als sie es schon vorher gewesen sei, in Folge des Rückgangs der Spiritus⸗ industrie. Die Kartoffelpreise seien exorbitant gesunken, der Centner werde in den Brennereien nur noch für 60-70 3 verwerthet. Sein Antrag auf Verlängerung der Kreditfristen für die Branntweinindustrie sei daher noch viel gerechtfertigter, als es der gleiche Antrag des Grafen Hacke für die Zucker— industrie sei. Während von der Branntweinindustrie die armen Gegenden lebten, sei die Zuckerindustrie mehr in den wohl⸗ habenden Landestheilen vertreten. Auch in der Thron⸗ rede seien ja die Verhältnisse der Zucker⸗ und Brannt⸗ weinindustrie gewissermaßen in einem Athem erwähnt. Er entnehme hieraus, daß die Regierung die Noth— lage beider landwirthschaftlicher Betriebe gleichzeitig ü Das ermuthigte ihn um so mehr zu seinem Antrage. Er bitte, denselben der Budgetkommission zu überweisen, wie das gestern mit dem Antrage Hacke geschehen sei. In dem Antrage Buhl vermisse er jeden positiven Vorschlag; der Abg. Buhl habe mit keinem Wort gesagt, wie derselbe die kleineren Brennereien schonen wolle, wenn die Branntweinsteuer erhöht werde. Die Einfüh⸗— rung einer Fabrikatsteuer beim Zucker beruhe auf ganz an— deren Gesichtspunkten als heim Branntwein, zwischen beiden gebe es keine Analogie. Ganz unrichtig sei es endlich, wenn der Abg. Buhl behaupte, daß dem Branntwein eine Export⸗ prämie gezahlt werde.
Hierauf ergriff der Staatssekretär des Reichs⸗Schatzamts von Burchard das Wort:
Meine Herren! Ich möchte zunächst an die Erklärung des Herrn Referenten anknüpfen. Derselbe hat die Aeußerungen, die meinerseits in der Kommission zu der Steuerfrage im Allgemeinen gemacht sind, dahin referirt, daß die Regierungen sich bis jetzt mit der Branntweinsteuer nicht beschäftigt hätten. Ich glaube, der Herr Referent hat es wohl auch nicht so gement; ich entsinne mich wenigstens, und das wird auch viel⸗ leicht die Bestätigung Seitens des Herrn Referenten finden, daß ich erklärt habe, wenigstens habe erklären wollen, die Regierungen hätten sich früher mit der Branntweinsteuer eingehend beschäftigt, aber in jüngster Zeit nicht. Ich darf annehmen, daß der Herr Referent dieser Auffassung zustimmt. ;
Wenn ich dann zu der Resolution übergehe, die der Hr. Abg. Dr. Buhl beantragt hat:
die verbündeten Regierungen zu ersfuchen, dem Reichstage mit möglichster Beschleunigung einen Gesetzentwurf über Erhöhung der Branntweinsteuer vorzulegen, in welchem die Interessen besonders der kleinen landwirthschaftlichen Brennereien eine entsprechende Be⸗ rücksichtigung finden, so ist es ja gewiß eine, wie ich meine, allseitig getheilte Auffassung, daß aus dem Branntweinkensum ein höherer Beitrag zu den finan ziellen Bedürfnissen des Reiches zu erbringen ist. Ich glaube auch, daß hierin die verbündeten Regierungen mit der Majorität des Hauses vollständig einverstanden sind. Die Schwierigkeit bildet nur der Weg, wie zu diesem Ziele zu gelangen sei.
Der Herr Antragsteller und auch der Herr Vorredner haben sich in dieser Beziehung schon des Näheren verbreitet und ich bin außer Stande, zu sagen, welchen Weg die verbündeten Regierungen jur Zeit einschlagen werden, aber jedenfalls werden sie, wenn die Re— . ihnen überwiesen wird, dieselbe gebührend in Berücksichtigung nehmen.
Was den Antrag des Hrn. Abg. Uhden betrifft, daß die Kredit frist verlängert werde, so schließt sich derselbe an den Antrag, der gestern hinsichtlich der Zuckersteuer gestellt ist, an, wenn auch nicht genau in der Form, und der Herr Antragsteller hat selbst beantragt, daß derselbe an die Budgetkommission verwiesen wird, er wird also dort näher zu berathen sein. Ich möchte nur, ohne auf das Meri⸗ torische des Antrages selber einzugehen, hervorheben, daß er, glaube ich, doch in der Fassung nicht vollständig zutreffend ist. Entweder ist davon auszugehen, daß über die Frage der Bundesrath die Ent- scheidung zu treffen hat, dann würde der Antrag an den Bundesrath zu richten sein, oder es muß im Wege der Gesetzgebung darüber entschieden werden, dann ist, glaube ich, auch der Antrag nicht an den Herrn Reichskanzler zu richten, sondern dann wäre es nach meiner Meinung Sache des Antragstellers resp. der Kommission, einen Gesetzentwurf als Initiativantrag auszuarbeiten, der diese Frage zu regeln hätte; die verbündeten Regierungen würden dann, wenn der Initiativantrag die Zustimmung des Hauses findet, Gelegenheit haben, ihrerseits Stellung zu demselben zu nehmen. Ich glaube, diese Frage wird aber in der Budgetkommission nähere Erörterung zu finden haben; schon mit Rücksicht darauf, daß es auch hier nothwendig sein wird, eine Ver⸗ stärkung der vorübergehenden Betriebsmittel vorzunehmen, ist der Weg der Gesetzgebung nicht zu umgehen.
Dann möchte ich noch mit einem Wort auf die auch heute wiederholte Behauptung des Hrn. Abg. Dr. Buhl zurückkommen, daß wir Exportbonifikationen für Spiritus zahlten. Ich habe schon gestern die Hoffnung ausgesprochen, daß jetzt diese Ansicht nicht mehr bestände. Ich habe nun heute gehört, daß das nicht zutrifft und möchte denn doch meinerseits einen Gesichtspunkt hervorheben, der, glaube ich, vollständig überzeugend dafur spricht, daß keine Export- bonifikationen gezahlt werden. Das ist nämlich einfach die Vergleichung der Einnahmen an Spiritussteuer gegenübergestellt den Exporten. Es kann ja von keiner Seite bestritten werden, daß, wennlwir Exportbonifikationen zahlten, dieselben sich steigern würden mit der gesteigerten Menge des Exportes, das ist eine Wahrheit, die, glaube ich, kaum zu beanstanden ist. Man wird also zu prüfen haben, ob diese Regel irgendwie er⸗ kennbar bervortritt in unseren Nachweisungen über die Einnahmen an Spiritussteuer und über die gezahlten Exportbonifikationen. In dem statistischen Jahrhuche, das den Herren auch vollständig zur Ver⸗ fügung steht, sind die Einnahmen an Branntweinsteuer genau für eine Reihe von Jahren verzeichnet und zwar unter zleichzeitiger Angabe auch der gezahlten Auefuhrvergütungen und unter gleichzeitiger Angabe des Betrages, der auf den Kopf faͤllt, denn letzterer ist der entscheidende Gesichtspunkt. Was ergiebt sich nun hieraus? Die Steuereinnahme nach Abzug der Ausfuhrvergütungen haben im Jahre 1881 betragen 48510 000 6, das macht auf den Kopf der Bevölkerung 1336 4; im Jahre 1883ñ84 — das steht in diesem Buche zwar nicht, kann ich aber hinzufügen — sind sie noch etwas höher gewesen, sie haben sich auf 48 900 000 S beziffert, das entspricht ungefähr einem Kopfbetrage von 15,35 M Sehen wir nun in der Reihe weiter zurück, so finden wir nur ganz vereinzelte 6. wo ein höherer Ertrag erzielt worden sst, nämlich die Jahre 1876 und 18315, dagegen sind im Uebrigen diese Beträge nie erreicht worden. Gleichwohl end aber die Ausfuhrvergütungen im Jahre 1881/82 höher gewesen als in irgend einem andern Jahre. Es kommt
ferner hinzu, daß ja hier seit einigen Fahren — seit 1880. wenn ich nicht irre — außer der Ausfuhrvergütung auch dann die Steuer ver- gütet worden ist, wenn der Spiritus zu gewerblichen Zwecken benutzt wird, und diese Vergütungen bezifferten sich im Jahre 1885/84, wie die EGtatsvorlage ergiebt, auf nahezu 2 Millionen, nämlich auf 1 867 000 A trotzdem, daß außer den Ausfuhrvergütungen auch noch diese Vergütungen gewährt worden sind, ist doch der Nettoertrag der Spiritusstener ein größerer im Jahre 1883/84, wie fast in allen Jahren zuxor. Nun, meine Herren, wie man selchen Thatsachen gegenüber immer noch die Behauptung aufftellen kann, wir zahlen Exportprämien, ist mir in der That nicht recht verständlich.
Der Abg. Dirichlet erklärte, die Beweisführung des Staatssekretärs bezüglich der Exportprämien habe seiner Ansicht nach eine Lücke. Derselbe habe gefagt, wenn der Export zunehme und zugleich auch die Steuer wachse, so sei der Beweis erbracht, daß Exportprämien nicht gezahlt würden. Aber es komme doch vorher in erster Linie darauf an, ob der Export in demselben Maße zunehme, wie der in⸗ nere Konsum. Dieser Nachweis fei nicht geführt worden. Das einfache Nichtzurückgehen der Nettoeinnahmen beweise gar⸗ nichts. Dem Buhlschen Antrage stehe er in mancher Beziehung sympathisch gegenüber. Nur glaube er, daß man die Bortheile, welche die Branntweinbrennerei der Landwirthschast bringe, nicht überschätzen sollte. Rechne man nur zusam⸗ men, was durch Vermehrung der Armenlast in Folge über⸗ triebenen Branntweingenusses, durch schlecht geleistete Arbeit und schlechte Behandlung des Viehes der Landwirthschaft an Schaden entstehe. Man könne über die Frage, wie diesem unmäßigen Branntweingenusse zu steuern sej, verschiedener Ansicht sein. Er glaube, daß sich als das einzige wirkfame Mittel die Erzeugung billigen Bieres erweisen werde. Eine Aenderung der Zollgesetzgebung in diesem Sinne dürfte am meisten zu empfehlen sein. Was nun die Form des Buhl⸗ schen Antrages anbetreffe, so müsse er sich gegen dieselbe er⸗ klären. Das Haus habe weder aus ethischen noch irgend welchen anderen Gründen Veranlassung Steuervorschläge zu machen, namentlich wenn man dieselben nicht bestimmt formuliren könne. Solche Resolutionen würden für die Gegenwart nur wenig helfen, aber sie könnten für die Zukunft unangenehm werden, indem sie das Haus bezüglich seiner Zustimmung allen Vorschlägen gegenüber vinkulirten, die sich in dieser Richtung bewegten. Er bitte darum, die Resolution abzulehnen. Was den Uhdenschen Antrag betreffe, so habe er gestern bereits klar gelegt, daß derselbe habe kommen müssen. Wenn die Rübenbauer in Be⸗ wegung gesetzt seien, so habe sich diese Bewegung auch auf andere Interessentenkreise übertragen müssen. Auf dieser Kon⸗ furrenz der einzelnen Interessentengruppen unter einander baue sich ja das ganze wirthschaftliche System auf. Sollte dieser Antrag angenommen werden, so wäre damit nur er⸗ wiesen, daß die Nothlage der Spiritusintereßenten noch viel größer sei als die allgemein behauptete Nothlage der Land⸗ wirthschaft. Schon gestern habe er angeführt, daß die mit Rüben bebaute Fläche nur minimal sei im Vergleich der sonst von der Landwirthschaft benußten Flache, 9 mache nur 1 Proz. derselben aus. Wenn auch für die Brennereien die Sache nicht so klar liege wie dort, weil aus der Kartoffellandfläche nicht ein Schluß auf die Zahl der Brennereibetriebe gezogen werden könne, so halte er trotz⸗ dem auch hier eine Identifizirung der Branntweinbrenner mit der Gesammtlandwirihschaft nicht für angezeigt. Wenn sonst von einer Nothlage der Landwirthschaft und von der Unter⸗ stützung derselben die Rede gewesen sei, da heiße es, man müsse helfen, weil die landwirthschaftliche Bevölkerung sich in der Mehrzahl befinde. Hier aber rufe man das Haus zum Schutze der Branntweinbrenner auf, weil ihrer so wenige seien. Nun lasse sich ein solcher Schutz wohl am ersten durchführen, denn die Unterhaltung einer Majorität auf Kosten der Minorität gehöre seiner Ansicht nach zu den steuerpolitischen Kunststücken. Der Abg. Uhden habe zur Begründung seines Antrags auf ganz exzeptionelle Zustände in den Brennereibetrieben hingewiesen. Er glaube indessen, daß dem Abg. Uhden die Beweisführung für seine Behaup⸗ tungen nicht gelungen sei. Wenn wirklich die Lage der Branntweinbrenner so schrecklich sei, daß sie die Kartoffeln nur mit 60 8 pro Centner verwerthen könnten, warum ver⸗ fütterten sie dieselben nicht direkt, wie das die kleineren Be⸗ sitzer thun müßten? Ein billigeres Futter als den Eentner Kartoffeln zu 60 3 könnten sie doch wirklich nicht bekommen. Freilich habe der Abg. Uhden bei seiner Berechnung die Frage. wie hoch der Werth der Schlempe angesetzt werden könne, außer Betracht gelassen. Wie gewöhnlich sei auch von demselben Brennerei und Kartoffelbau als ein identischer Begriff behandelt worden. Dem gegenüber möchte er nochmals darauf hinweifen, daß die überwiegend große Masse von Landwirthen gar nicht in der Lage sei, ihr Futter zuvor noch technisch zu verwerthen. Im seiner Eigenschaft als Landwirth möchte er gerade auf diese Seite noch die Aufmerksamkeit des Hauses lenken. Es sei sodann noch gesagt worden, daß die Zuckerindustrie durch die Beibehaltung der Steuergesetzgebung, welche in den sechziger Jahren für dieselbe wohl am Platze gewesen fei, zu der Uaber⸗ produktion gelangt sei. Das sei genau das gewesen, was er gestern ausgeführt habe und wogegen die Herren von der Rechten und auch am Bundesrathstsche ss lebhaft polemisirt hätten. Die Frage, ob man es bei der Ausfuhrver⸗ gütung mit Exportprämien zu thun habe, wolle er hier nicht erörtern; es ließen sich eben so viele Gründe dafür wie dagegen anführen. Aber wenn der Beweis ge⸗ scheitert sei, daß die Branntweinbrennerei sich in einer weit schwereren Nothlage befunden haben, als die übrigen landwirth⸗ schastlichen Betriebe, so lasse sich mit gleichem Rechte, wie hier von dem Abg. Uhden eine weitere Steuerkreditirungsfrist für Branntweinbrenner verlangt werde, auch die Forderung auf⸗ stellen, den sämmtlichen Landwirihen Grund⸗ und Personal⸗ steuer u. s. w. auf neun Monate zu kreditiren. Freilich würde man dann zu finanzwirthschaftlichen Zuständen gelangen, die nicht haltbar seien. Gemäß seiner gestrigen Stellungnahme zu dem Antrage Hacke werde er auch beantrngen, den Uhdenschen Antrag an die Budgetkom mission zu verweisen. . ihn aller⸗ dings liege die Sache so klar, daß er denselben schon a limins zuruͤckweisen könne. .