i ich gefälligere Ausstattung erhalten hat als Lie früheren. In — 1 — 7 . eingefügten Zusätzen hat dieselbe eine Erweite⸗ rung des Buches um 8 i n veranlaßt. — Der Verfasser hat sich infolge des Krieges von 1870/71 auch jur Herausgabe eines 9366 8 entschlossen, dessen Vollendung sich jedoch verzögert bat, so daß daß e sunter e parater Berrchnung) erst im Herbst zur Ausgabe gelangen kann. Außer einer neuen Bearbeitung der in den Uebersichten zur äußeren Geschichte des preußischen Staates enthaltenen umfassenden Ver⸗ zeichniffe bistorisch wichtiger Srte wird dasselbe folgende Stücke ent, kalten! I. Begründung des neuen Deutschen Reiches unter Preußens übrung; Erweiterung desselben durch Elfaß · Lothringen. II. Ueber; i n Darstellung der äußeren Entwickelung sämmtlicher deutscher Staaten 'außer Preußen). 11I. Uebersichtskarte zur Geschichte der Staaten des Deutschen Reiches. Auch der 3. Auflage dieses ge⸗ Diegenen vaterländischen Buches, welches reiches und sorgfältig geord⸗ netes geschichtliches Material enthält, ist eine weite Verbreitung ge⸗ ert. ; 9. . In der Hinstorffschen Hof Buchhandlung zu Wismar er schienen: . Fritz Keuter ⸗Reliquien“ von K. Th. Gaedertz, Er⸗ gänzungsband zu Fritz Reuters sämmtlichen Werken. = Der Herausgeber, rühmlichst bekannt durch seine Geschichte des platt⸗ deutschen Schauspiels hat wochenlang als Gast auf der Villa Reuter gelebt, hat aus dem Munde der Wittwe des Dichters Vieles, was bisher unbekannt, über des verewigten Dichters Leben erfahren und ist zu— meist von dieser mit dem reichhaltigen Material aus Reuters schrift⸗ lichem Nachlaß ausgestattet worden, welches den fesselnden Inhalt des Buches bildet. Ein Ergänzungsband zu den Gesammtwerken Reuters ist es nicht allein deshalb, weil etwa die Hälfte des Inhalts aus Reuters Feder selbst geflossen ist, sondern auch, weil der größte Theil des Jahalts thatsächlich eine Ergänzung zur Festungstid' wie zur. Stromtid“ bildet. Der Einleitung und Widmung solgen die Papiere des Studenten Fritz Reuter, die bei einer Kassi⸗ rung der Akten des Berliner Kriminalgerichts zu Tage gekommen und der Winwe übergeben worden sind. In den dann folgenden Mittheilungen aus Reuters Leben sind viele liebenswürdige Einzel⸗ beiten entbalten, aus welchen u. A. hervorgeht, mit welcher herzlichen Spannung man, als die ersten beiden Bände der „Stromtid“ er= schienen waren, das Schicksal Havermanns und seiner Louise, Brãsigs und der Druwappel verfolgte. Daran reihen sich Briefe Fritz Reuters, die, bisher nirgends gedruckt, ein reiches Material für die dichterische Würdigung Reuters liefern und interessante Ergänzungen zu Reuters , Festungstid bilden. — Nach einer Sammlung bisher un⸗ gedructer Gedichte Fritz Reuters (Läuschen, Trinksprüche, Gelegenheits. gedichte. Julklappverse u. s. w.) bringt Gaedertz ein Kapitel über die Urgestalt von Reuters „Stromtid“. Bekanntlich hat Reuter die „Stromtidꝰ zuerst hochdeutsch geschrieben, und lange hatte dieser nicht ganz vollendete Roman in des Dichters Pult gelegen, bis er ihn hervorholte und aufs Neue von Grund aus ausbaute, nun aber in gänzlich plattdeutscher Gestalt. Gaedertz erzählt eingehend den Verlauf der Handlung in der hoch deutschen Urgestalt und bietet dadurch dem Reuterfreunde interessante Vergleichungen mit der nun in aller Händen befindlichen plattdeutschen Stromtid'. — Den Schluß macht: „Eine Luftballonfahrt durch Mecklenburg“ von Fritz Reuter. Diese fesselnde Schilderung von Land und Leuten Mecklenburgs aus des Dichters Feder bildet die Einleitung zu der hochdeutschen „Stromtid“. Wer letzteren Roman gelesen hat, wird mit Interesse und Behagen in dieser Schilderung den Boden kennen lernen, dem die herrlichen Gestalten des unsterb⸗ lichen Hauptwerks Fritz Reuters entwachsen sind. — Der Ergänzungs—⸗ band ist gebunden und ungebunden zu erhalten und entspricht in Ausstattung, Format und Preis einem Bande der Originalausgabe von Reuters Gesammtwerken; auch in dem Einbande der Volks⸗ ausgabe der Gesammtwerke ist das Buch vorräthig.
— »Die Trunksucht und ihre Bekämpfung durch die Vereinsthätigkeit. — Unter diesem Titel veröffentlicht Dr. A. Baer, einer der rührigsten Vorkämpfer in dem Kriege gegen die Trunksucht, seine auf diesem Gebiet gesammelten neueren Erfah⸗— rungen, verbunden mit wichtigen statistischen Aufzeichnungen. Wir beben aus der interessanten Broschüre die nachfolgenden Daten und Mittheilungen hervor: Wenn man die Menge des verbrauchten Alkohols zum Maßstab für die Verbreitung der Trunkfsucht gelten läßt lwas übrigens nicht angängig ist, da ein großer Theil des ver brauchten Alkohols zu gewerblichen Zwecken dient), so nimmt Preußen mit seinem TDurchschnittsverbrauch von 36 1 pro Jahr und Kopf der männlichen Bevölkerung im Zeitraum 1870— 81 einen sehr un—⸗— günstigen Standpunkt ein. Die Folgen des starken Alkoholgenusses sind geradezu erschreckend. Etwa K aller Selbstmorde bei Männern geschah unter dem Einflusse des Alkohols. Von den bei den Irren—⸗ anstalten zugegangenen Männern litten ca. 15 , an Delirium tre- mens. In den Jahren 1877— 80 sind durchschnittlich jährlich gegen 2000 Personen an den Folgen der Trunksucht (dazu gehören DPeli- rium tremens, Selbstmord, Verunglückungen) gestorben. 41,70 / aller Gefangenen begingen ihre Verbrechen unter der Einwirkung des Alko⸗ hols. Bedenkt man, daß die Zahl der im Geheimen dem Truncke er—⸗ gebenen Personen, die der Oeffentlichleit nie bekannt werden, jeden⸗ salls eine sehr beträc tliche ist, so begreift man die sittliche Entruͤstung des Verfassers, welcher Cifrig gegen die Sorglosigkeit ankämpft, mit der man bei uns noch eine so entsetzlichs Todesursache wüthen läßt. Ein energisches Eingreifen der Vereinsthätigkeit vermag doch wenig- stens die fernere Ausbreitung dieses Uebels zu verhüten; um es aber ganz auszurotten, dazu bedarf es vor allem einer Besserung derjenigen gesellschaftlichen Zustände, welche das Volk zur Trunksucht treiben.
— Am Bivouakfeuere, Manöver und Garnisongeschichten aus Eljaß⸗Lothringen von O. El ster, Prem. Lieut. 4. D. Berlin, R. v. Deckers Verlag, G. Schenck. Pr. 2 M — Wohl zum ersten Male schildert uns hier ein Offizier das interne Leben im deutschen Reichslande. Das vorliegende Buch mit seinen neun lebensfrischen Novelletten führt uns nicht nur in die Details des Manöver und Garnisonlebens, sondern erst recht in die des bürgerlichen Verhaltens gegen die deutschen Soldaten ein. Der Verfasser erzählt mit Ur⸗ sprünglichkeit, Frische und lebendiger Auffassung; dabei fehlt seinen Er⸗ zählungen nicht der poetische Hauch des deutschen Gemüths, der oft tragische Aufbau des Erlebten, der urwüchsige Humor des jungen Offiziers. Die Erzählungen machen den wechselndsten Eindruck, sind aber sämmtlich ansyrechend geschrieben.
Gewerbe und Handel.
Leipzig, 31. Januar. (W. T. B.) Die Leipziger Bank wird eine 7prozentige Dividende zur Vertheilung bringen.
Antwerpen, 31. Januar. (W. T. B.) Wollauktion. Angeboten 2297 Ballen Laplata⸗Wollen, davon 1685 Ballen ver⸗ kauft. Vorrath 6506 B. Laplata⸗ und 3413 B. diverse Wollen. Schlußgeschäft belebt. Preise behauptet.
Brüssel, 31. Januar. (W. T. B.) Die Nationalbank hat den Diskont von 4 auf 390! herabgesetzt.
London, 31 Januar. (W. T. B.) Bei der gestrigen Woll⸗ auktion waren Preise fest.
Glasgow, 31. Januar. (W. T. B.) Die Vorräthe von Roheisen in den Stsres belaufen sich auf 579 300 Tons, fegen 590 200 Tons im vorigen Jahre. 3h der im Betrieb befindlichen Hochöfen 93, gegen 95 im vorigen Jahre. .
NewYork, 31. Januar. (W. T. B.) Die Abnahme der Staatsschuld der Vereinigten Staaten im Monat Ja⸗ nuar d. J. wird auf 7 Millionen veranschlagt. — Der Werth der Waareneinfuhr in der letzten Woche betrug 7400 009 Dollars, davon entfallen 200000 Dollars auf Manufakturwaaren.
Verkehr s⸗Anstalten.
Zur beguemen Einlieferung von Packeten ist in Berlin, abgesehen von den zahlreichen Stadtpostanstalten, auch du rch die Packetbestell⸗ Einrichtungen und Packetwagen der Po st Gelegenheit geboten. Sämmtliche im Dienst befindliche Packet ⸗ besteller sind zur Entgegennahme gewöhnlicher Packete behufs Weiter besorgung zur Post verpflichtet. Auf schriftliche Aufforderung —
maitteist Postkarte an das Kaiserliche Packet ⸗Postamt in Berlin N
Dranienburgerstraße 70) — findet sich der Packetbesteller zur Ab⸗ 1. * h n in der Wohnung des Absenders besonders ein. Auch in diesem Falle ist nur die gewöhnliche Einsammlungs. gebühr zu entrichten, also ein Betrag von 15 3 bis zum Gewicht von 5 Kg und von 20 3 für Packete von böberem Gewicht.
— 2 — erschien das Reichs- Kursbuch für 1885, Au c= gabe Nr. 1, Winter fahr dien st 1884,85. enthaltend die Ueber ⸗ sicht der Eisenbahn⸗, Post und Dampfschiff⸗Verbindungen in Deutsch⸗ land, Oesterreich⸗Ungarn, Schweiz, sowie der bedeutenderen Ver bindungen der übrigen Theile Europas und der Dampsschiff ⸗ Verbindungen mit außereuropäischen Ländern, bearbeitet im Kursbureau des Reichs ⸗Postamts, mit einer Karte von Deutschland und Skizzen fremder Länder. Preis 2 M (Berlin 1885, Verlag von Julius Springer, Monbijouplatz 3.)
Berlin, 2. Februar 1885.
Zu dem bevorstehen den ss. Geburtstage Sy. Majestät des Kaisers und Königs erläßt ein hiesiges Komité, an dessen Spitze der General der Infanterie z. D. Frhr. von Wrangel steht, Aufforderungen zu Zeichnungen auf eine Denkschrist. Dieselbe wurde von höheren Offizieren bearbeitet, sowie von Sr, Majestät wiederholt revidirt und enthält eine authentische militãärische Biographie Sr. Majestät mit einem vorzüglichen photographi⸗ schen Portrait Allerhöchstdesselben. Die. Aufforderung bezweckt, möglichst viele Soldaten der Armee, ehemalige Soldaten, Ver⸗ eine, Schüler ꝛc. durch Zeichnungen aus privaten Kreisen in den Besitz dieser Denkschrift zu setzen, deren Preis inkl. der Photographie nur 80 Pfennige beträgt. Nachdem Se. Majestät der Kaiser die Idee dieser Aufforderung gebilligt, wurde es ermög- licht, bisher 285 000 Exemplare der Denkschrift in der Armee und im Volke, in den Schulen, in den Fabriken, unter der Landbevölke—⸗ rung ꝛe. zu verbreiten. — In diesem Jahre werden zu dem Geburtstage des Kaisers wiederum Zeichnungen auf die Denkschrift angenommen und sind Prospekte und Zeichnerlisten für Personen, die selbst zeichnen oder in Bekanntenkreisen sich für die Cirkulation dieser Listen inter ⸗ essiren wollen, direkt franko und gratis zu erhalten von Herrn G. v. Glasenapp in Potsdam.
Unter der Protestion Ihrer Königlichen Hoheit der Prinzessin Wilhelm und unter der Leitung eines Comités, dem unter Anderen angehören: die Frau Fürstin Wiitwe zu Carolath⸗ Beuthen, Frau Gräfin Waldersee, Frau von Albedyll, Frau Staats ⸗Minister von Boetticher, Frau Staats⸗Minister von Goßler Frau Prof. Paul Meyerheim, Frau von Patow und Frau von Schelling, findet am 5. 6. und J. Februar im großen Saale der Kriegsakademie ein Bazar statt. Der Ertrag desselben ist bestimmt für den Bau eines Asyls zur Beschäftigung entlassener Gefangenen, in welchem Angehörige aller Provinzen ohne Unterschied der Kon. fession Aufnahme finden sollen. Es handelt sich bei, diesem Werk der Nächstenliebe darum, den entlassenen Sträflingen, welche bei ihrer Rückkehr in die bürgerliche Gesellschaft ohne Anhalt, ohne Familienleben, ohne Arbeit, ohne Hülfe sind, ein erstes Unter—⸗ kommen und Beschäftigung zu verschaffen, um sie so vor dem Rückfall in das Verbrechen zu bewahren. Gleich Seiner hohen Gemahlin nimmt auch Se. Königliche Hoheit der Prinz Wilhelm, welcher getreu den Tra— ditionen des Hohenzollern⸗Hauses neben Seinen militärischen Studien und Seinen Arbeiten auf dem Gebiet der Staatsverwaltung auch alle Be⸗ strebungen zur Linderung der Noth der Armuth thatkräftig und ver— ständnißvoll fördert, an dem Unternehmen den lebendigsten Antheil. Der Prinz hat u. A. für den Bazar mehrere von Ihm selbst gemalte Oelbilder (Seestücke) zur Verfügung gestellt, auch werden Zeichnungen von Seiner und der Prinzessin Wilhelm Hand dort zum Verkauf kommen. Ihre Königliche Hoheit hat Ihren wiederholten Besuch des Bazars in Aussicht gestellt. Auch sonst ist von vielen hiesigen und aus wär⸗ tigen Fürstlichkeiten sowie von allen Klassen der Berliner Gesellsckaft dem wohlthätigen Zweck ein reges Interesse entgegengebracht worden, sodaß zu erwarten steht, daß die Räume der Kriegs Akademie an den genannten Tagen sich mit zahlreichen Kauflustigen aller Stände füllen werden. Uebrigens sollen, außer dem Bazar, für denselben wohlthätigen Zweck im Opernhaus-Saale lebende Bilder von Angehörigen der Hofgesellschaft, unter Leitung der ersten Künstler, gestellt werden. Es ist auch eine Wiederholung dieser Bilder beab⸗ sichtigt, da bei der geringen Anzahl von Plätzen in jenem Saal eine einmalige Aufführung nicht genügen würde.
Keiner unserer Portraitmaler hat bisher die Erscheinung des Fürsten Bismarck in ihrer vollen geistigen Eigenart und Bedeu— tung auch nur annähernd so überzeugend lebens voll zu erfassen gewußt, wie es in den von Lenbach gemalten und gezeichneten Bildnissen geschehen ist, die zum Theil als Vorstudien für das der Berliner Nationalgalerie gehörige Portrait des Reichskanzlers entstanden sind und gleich diesem als Schöpfungen von eben so hohem künstlerischen wie historischen Werth späteren Zeiten ein vollendet treues Bild des Dargestellten überliefern werden. So lebendig sie die in sich konzen⸗ zmrirte, die umgebenden Verhältnisse mit zwingender Kraft sich unter⸗ werfende Energie des Staatsmannss verkörpern, so sehr verzichten sie in ihrer schlichten Wahrheit auf jedes äußere Pathos des Ausdrucks und der Bewegung. Keines dieser Bilder aber, in denen der Dar gestellte den Blick fest und ruhig nach außen richtet, übertrifft an feiner und intimer Beobachtung der Natur ein neueres, jetzt eben in einem Lichtdruck aus dem Fr. Bruckmann'schen Atelier im Verlag von Cd. Trewendt in Breslau erschienenes, in Lenbachs gewohnter Weise bei meisterlicher Durcharbeitung des voll beleuchteten Kopfes im Uebrigen breit und skizzenhaft hingemaltes Portrait, daz den Kanzler in der aufmerksamen Lektüre eines Schriftstückes begriffen und aus— schließlich mit den Gedanken beschäftigt zeigt, die diefe in ihm anregt. Im bequemen schwarzen Rock mit weißer Halsbinde anf einem hoch- lehnigen Stuhl sitzend, hält er mit der Linken die Blätter ziemlich nahe zum Auge empor, während die Rechte mit höchst charakteristischer Bewegung sich auf den Schenkel stützt und der Ausdruck des Kopfes die den Inhalt des Gelesenen gespannt verfolgende und scharf durch— dringende Reflexion wiederspiegelt. In jeder Linie der Gestalt pulsirt das volle Leben, das aus Lenbachs Bildnissen athmet; eines ganz besonderen Interesses aber darf gerade dieses gewiß sein, das, wie kein anderes, den Kanzler in vollster Unabsichtlichkeit der ganzen Haltung ohne jede Beziehung nach außen hin in der geistigen Arbeil zu be—⸗ lauschen gestattet und mit der originellen Auffassung des glücklich a Moments die größte Kraft und Schärfe der Charakteristik verbindet.
Neben den kürzlich besprochenen neu erworbenen Bildern sind in der unteren Querhalle der Nationalgalerie gegenwärtig die bis—⸗ ber fertig gestellten farbigen Reproduktionen von Gemälden der Sammlung ausgestellt, die auf Veranlassung der Direktion in der Kunstanstalt von Ad. O. Troitzsch in Berlin ausgeführt wurden. Die Erwägung, daß Nachbildungen in Kupferstich und Radirung, in Holl— schnitt und Photographie, so hoch sie iheils in Bezug auf künstlerischen Werth, theils in Bezug auf unbedingte Treue der Wiedergabe zu schätzen sind, doch in dem Fehlen der Farbe an einem empfindlichen Mangel leiden, hatte der Verwaltung der Nationalgalerie schon lange den Wunsch nahe gelegt, eine Auswahl der beliebteren Bilder der Sammlung in farbigen Reproduktionen zu veröffentlichen und damit dem unbestreitbar vorhandenen Bedürfniß des Publikums nach der artigen Blättern zu entsprechen. Die Vervollkommnungen des technischen Verfahrens, welche die genannte Kunstanstalt auf dem Gebiet des 6 neuerdings erzielte, ermöglichten den Verfuch einer auch trengeren künstlerischen Ansprüchen genügenden Verwirklichung jener Absicht, und so wurden zunächst die jetzt vorliegenden Nachbildungen der bekannten Aquarelle der, Chorherren in der Kirche“ von Pasfini und dreier Oelgemälde, des „Salontyrolers' von Defregger, der „Kunstkritiker im Stall“ von Gebler und der „Herbstlandschaft mit
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ochwild! von Kröner, in Angriff genommen.“ Um dem . — einerseitz eine bestimmte Theilnahme zu sichern und Win andererseits eine wohlfeile Abgabe der Blätter zu ermöglichen, bilder sich auf Anregung der Direktion eine „Vereinigung der Kunstfreunde für die amtlichen Publikationen der Königlichen Nationalgalerie deren Mitgliedschaft durch einen jährlichen Beitrag von 20 4 erworben wird und dafür zur Entnabme je eines großen oder jweler kleinen Blätter sowie zum Yeiug weiterer Stücke in beliebiger Anzahl iu gleichem Preise berechtigt. Die bisher erschienenen vier Reyroduktionen sind in einer Bildgröße von durchschnittlich 40: 60 Centimetern her, gestellt und in leichtgetönte Passepartouts von 63: 83 Centimetet Größe eingelegt. Von den älteren Farbendrucken unterscheiden sie st dadurch, daß die eigentliche Bildplatte nicht durch Handarbeit, sondern durch den photographischen Prozeß hergestellt und damit eine unbedingt treue Wiedergabe der Zeichnung gesichert ist, während die Bereitung und der Druck der 1 in der längst üblichen Weise erfolgt. Das Verfahren steht somit in der Mitte zwischen dem älteren Farben; druck und dem erst in jüngster Zeit hervorgetretenen, von den betreffenden Ateliers im Detail der Technik noch möglichst geheim gehaltenen 5 im strengeren Sinne des Worts, bei dem auch die
arbenplatten auf photographischem Wege gewonnen werden und innerhalb der einzelnen Farben die verschiedenen Abstufungen des Ton sich ohne Weiteres aus dem höheren oder geringeren Relief der ent= sprechend behandelten Gelatineschicht ergeben. Scheint letzteres Ver⸗ fahren bei weiterer Ausbildung den bisherigen lithographischen Druck allerdings noch merklich überflügeln zu wollen, so stehen die jetzt in der Nafionalgalerie vorgeführten Blätter ohne Frage auf der vollen Höhe dessen, was der Farbendruck bis heute zu leisten vermocht hat. Vornehmlich gilt dies von den beiden Blättern nach Passini und Gebler, die mit der Darstellung an sich auch die malerische Wirkung des Originals in vollendet feiner und harmonischer Durchbildung jum Ausdruck bringen. In dem Bilde von Kröner ist bei der dem vder⸗ kleinerten Maßstab entsprechenden Reduktion der Farbenwirkung viel= leicht hier und da eine leichte Härte, in dem von Defregger eine etwa flauere Gesammthaltung zu bemerken, immerhin aber auch hier wie dort ein Resultat erzielt, das über die gewohnte. zum Schaden der ganzen Technik fabrikmäßig ausgenutzte und mit Recht als künstlerisch unleidlich zu bezeichnende Reproduktion von Gemälden durch den Farbendruck in jeder Hinsicht weit hinausragt.
Die von dem Apotheker Emil Fischer in dem Hause Kastanien⸗ Allee Nr. 2 auf Grund der Konzession des Ober ⸗Präsidenten vom 14. Mai 1884 eingerichtete Apotheke ist am 30. v. M. nach vor⸗ schriftsmäßiger Revision eröffnet worden.
Der Ober ⸗Präsident der Provinz Brandenburg hat die Kon— zession zur Anlegung einer dritten Apotheke in der Stadt Char— lottenburg dem Apotheker Oscar Rothe zu Remscheid verliehen.
Die Räude, welche bei einem Pferde des Fuhrherrn Klere, Friedensstraße Nr. 87 hierselbst, ausgebrochen war, ist erloschen.
Paris, 1. Februar, Abends. (W. T. B) Laut Meldung aus Gonstantine sind gestern durch eine Erderschütterung in Msila 8 arabische Häuser zerstört worden. Menschen sind dabei nicht ums Leben gekommen.
New-⸗YPork, 31. Januar. (W. T. B.) In Pitts burg hat eine Gasexplosion stattgefunden, durch welche mehrere Häuser beschädigt und mehrere Personen getödtet oder verwundet wurden.
Im Königlichen Schauspielhause kam am Sonnabend nach längerer Pause die Tragödie, Phädra “ zur Aufführung. Für die Darstellung waren die besten Kräfte herangezogen, und so machte denn das groß angelegte dramatische Werk einen abgerundeten, sympathisch wirkenden Eindruck. Die markige Gestalt des „Theseus“ wurde von Hrn. Berndal würde⸗ und kraftvoll wiedergegeben. Hr. Ludwig fand als „Hyppolit! für die Begeisterung und erfstickte Leiden˖ schaft warme und ergreifende Töne. In hervorragender Weise machte sich Frl. Schwartz durch die treffliche Charakteristik der, Phädra⸗ verdient. Das heißerglühende und alle Schranken vor niederreißende Herz des göttlichen Ursprungs sich bewußten Weibes enthüllte sich leidenschaftlich in Sprache und Geberden; einen tiefen Eindruck machte besonders das stumme Spiel vor dem Altar im letzten Akt und gab Zeugniß von der hohen Künstlerschaft der Darstellerin. Frl. Meyer gebietet über alle äußeren und inneren Vorzüge, welche zur Verkörperung der lieblichen „Ariadne“ gehören, und gab dem entsprechend eine vollendete Leistung. In den kleineren Rollen trugen die Herren Kahle (Minos), Müller (Pirithous) und Krause (Oberpriester) durch ihr lebensvolles Spiel zum Gelingen der Aufführung bei. Dieselbe fand vor reich besetztem Hause statt, welches der Darstellung bis zum Schluß mit ungetheiltem Interesse folgte. Nach dem zweiten, vierten und fünften Akt wurden die Hauptdarsteller unter reichen Beifallszeichen hervorgerufen.
Im Belle⸗Alliance ⸗ Theater fand der übermüthige Schwank „Hotel Blanemignon? am gestrigen Sonntage bei ausper⸗ kauftem Hause eine sehr heitere beifällige Aufnahme, an der die vor— treffliche Darstellung durch die Gäste des Wallner-Theaters einen nicht geringen Antheil hatte.
Hr. Hof ⸗Musikdirektor Bil se wird am Mittwoch, den 4. d. M. im GConcerthause ein Klavier und Orchesterconcert in B-moll von Ferdinand Hummel (einem Mitgliede des Orchesters) zum ersten Male zur Aufführung bringen. (Pianoforte: Hr. Hirschberg) Außerdem gelangen noch drei Novitäten zur Aufführung, und zwar: Prozession und Pilgermarsch aus der Oper „Vera“ von Martin Röder, „Siciliano“ nach Bach für Violine und Orchester von Wilhelmy (Violine: Hr. Kneisel) und eine Ouverture zu Schillers Demetrius von Rheinberger. Das Hauptwerk des Abends bildet Beethooens Serenade D- dur.
Das ausgewählte Programm und der Zweck der Parade! Gala⸗ Vorstellung, welche Hr. Direktor Ernst Renz am Sonnabend zum Benefiz für Hrn. Franz Renz und dessen Sohn Oscar veranstaltete, hatte die weiten Räume des Cireus so gefüllt, daß mancher Kavalier sich mit einem Stehplatz begnügen mußte. Die Vorstellung entsprach den hochgespannten Erwartungen aller Freunde des Cirkussports, denn die vorgeführten Pferde, der ostpreußische Vollbluthengst „Gladiator“, den Hr. E. Renz mit jugendlicher Verve in der hohen Schule ritt, der Mohrenschimmelhengst „Emir“, den der Benefiziant das Apportiren gelehrt hat, das Vollblutspringpferd , Hurrah“, welches der junge Oskar Renz die schwersten Hindernisse nehmen ließ, der treppensteigende Rapphengst Hektor“ und sämmtliche 32 Pferde, welche in dem zum ersten Male aufgeführten hippologischen Pot pourri mitwirkten, gehörten nicht nur zu den schönsten des Renj⸗
schen Marstalls, sondern waren auch ausgezeichnet dressirt. Die mitwirkenden Künstler und Künstlerinnen, die Damen Hoffmann,. Bradbury, E. Loyal, Mazella und die Herren
Wells, Bradbury, Godlewski und François wetteiferten mitein—⸗ ander mehr denn je, dem Circus Ehre zu machen. Beifall wurde im reichsten Maße gespendet, ganz besonders der Familie Renz, und die Theilnagahme erlahmte nicht, obwohl die Vorstellung erst um 11 Uhr schloß.
Redacteur: Riedel.
Verlag der Expedition (Scholz). Druck: W. Els ner. Sieben Beilagen
(einschließlich 2 Börsen · Beilagen),
und die Besondere Beilage Nr. 1.
Berlin:
(1619
Erste Beilage
zum Deutschen Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preußischen Staats⸗Anzeiger.
AM 28.
Berlin, Montag, den 2. Februar
1885.
Nichtamtliches.
Preußen. Berlin, 2. Februar. Im weiteren Verlaufe der vorgestrigen (39.) Sitzung des Reichstages begann das Haus die Berathung der Darlegung über die von der Königlich preußischen und der hamburgischen Regierung auf Grund des 5. 28 des Gesetzes gegen die gemeingefähr— lichen Bestrebungen der Sozialdemokratie getrof⸗ fenen Anordnungen.
Der Abg. Singer erklärte, die verbündeten Regierungen hätten, wie die Denkschrift ausführe, die Rechtfertigung der Verhängung des Belagerungszustandes über Berlin, Hamburg und Altona aus der Gesammtlage der sozialdemokratischen Partei herzuleiten gesucht. Nun werde aber selbst der be⸗ geistertste Anhänger der Ausnahmegesetzgebung zugeben, daß die den verbündeten Regierungen eingeräumten Vollmachten ihre Berechtigung aus dem Umstand herleiten müßten, daß in diesen Bezirken Dinge v—orhanden seien, welche die Anordnung von so außerordentlichen Maßregeln erforderlich gemacht hätten. Wenn jetzt also die Verhän⸗ gung des kleinen Belagerungszustandes mit der Hal⸗ tung der sozialdemokratischen Partei hier im Lande und im Ausland gerechtfertigt werde, so mache das auf ihn den Eindruck, als ob die Schwäche des Berichts überhaupt verdeckt werden solle; denn ein innerer Zusammenhang zwischen
dieser Haltung der Partei und jener Maßregel bestehe nicht.
Die Regierung sage ferner, daß das Auftreten der Partei unter dem Einfluß des Ausnahmegesetzes eine Mäßigung er⸗ fahren und die Taktik derselben sich verändert habe. Aber wer aufmerksam den Vorgängen in seiner Partei gefolgt sei, müsse das Eine unbedingt zugeben, daß sich bei den Sozial⸗ demokraten nichts geändert habe, weder in der Taktik, noch in dem Programm. Der Abg. von Köller werde sich der Ver⸗ sammlung erinnern, wo derselbe das sozialdemokratische Programm zum Vortrage gebracht habe, und der freu⸗ digen Zustimmung, mit welcher die anwesenden Sozial⸗ demokraten der Vorlesung gefolgt seien. Das würde ewiß nicht der Fall gewesen sein, wenn sich etwas an dem 9 seiner Partei geändert hätte. Geändert habe sich nur die Stellung der Regierungen und des Reichskanzlers gegenüber der Sozialdemokratie. Man habe einen schlagen⸗ den Beweis für diese Behauptung in der Rede des Kanzlers gelegentlich des Diätenantrags. Damals habe derselbe von dem berechtigten Kern der Forderungen der Sozialdemokratie gesprochen, der Kanzler habe den Wunsch nach einer Vermeh⸗ rung der Vertreter derselben ausgedrückt, um kennen zu ler⸗ nen, was dieselben zu leisten vermöchten. Diesem Wunsche sei seine Partei nachgekommen. Sie habe dem Kanzler klar und deutlich auseinandergesetzt, welche Forderungen sie
an das Reich und die Gesellschaft habe. Seien die⸗ selben einmal erfüllt, so werde die Sozialdemokra⸗ tie auf dieser Grundlage weiterbauend bald an⸗
dere Forderungen zu stellen in der Lage sein. Der Reichs⸗ kanzler habe mit voller Berechtigung — und er freue sich dar⸗ über, daß derselbe es gethan habe — erklärt, die Sozialdemo⸗ kraten seien die Urheber seiner Sozialreform. Als er (Redner) aber in einer Berliner Versammlung dasselbe ausgesprochen habe, nämlich, daß die Forderungen der Sozialdemokratie auch in Regierungskreisen als berechtigt anerkannt würden, da sei die Versammlung aufgelöst. Das sei also nur geschehen, weil er es ausgesprochen habe. Der Ausfall der Wahlen gebe ja den besten Beweis für die Wirkungslosigkeit des Sozialistengesetzes und des über verschiedene Bezirke verhängten klei⸗ nen Belagerungszustandes. Wie die Regierung noch weiter von einer anarchistischen Gruppe der Sozial⸗ demokratie sprechen könne, sei ihm unfaßbar. Von 9 Siegen, die seine Partei am 28. Oktober gleich im ersten Ansturm errungen habe, seien 5 auf Belagerungsbezirke gekommen. Es seien dies gewesen: der 4. Berliner Wahl⸗ kreis, Hamburg L und Il, Altona und Leipzig⸗Land, und im s. Bezirk von Berlin habe es sich um so wenig Stimmen ge⸗ handelt, daß man auch diesen als im ersten Ansturm erobert bezeichnen könne. Ja, im Bezirke Leipzig-Stadt sei ein Zu⸗ wachs der sozialdemokratischen Stimmen seit 1878 von 5822 auf 9676 erfolgt. Die Denkschrift spreche ferner von einer anarchistischen Gruppe innerhalb der sozialdemokratischen Partei. Es sei nun ein allgemein anerkannter Grundsatz, es sei nicht recht, Rednern andere Motive unterzulegen, als die, welche sie selbst angegeben hätten. Er hätte gewünscht, daß die verbündeten Regierungen diesem Grundsatze gefolgt wären. Wie oft und eindringlich habe seine Partei steis darauf hingewiesen, daß die Sozialdemokraten mit den Anarchisten gar keinen Zusammenhang hätten. Und selbst wenn man das nicht geglaubt, hätte doch der Herr, der diese Sachen unter sich habe, bei reiflichem Studium anarchistischer Blätter sich davon überzeugen können, daß in diesen Blättern Niemand ärger und heftiger angegriffen werde als die Sozialdemokraten. Auch der Fall Reinsdorf beweise klar, wie unrichtig es sei, von einer anarchistischen Fraktion in der sozialdemokratischen Partei zu sprechen. Er beklage das Vorgehen der Anarchisten eben so tief, wie irgend ein anderer in diesem Hause, und er müsse den Versuch der kon⸗ servativen und nationalliberalen Presse, der Sozial demokratie die Anarchisten an die Rockschöße zu hängen, entschieden zurückweisen. Es sei vielmehr die so viel geruͤhmte erziehliche Wirkung der Ausnahmegesetzgebung, welche in diesen anarchisti⸗ schen Unthaten sich darstelle. Gerade die Polizei aber sei es, die den Anarchismus fördere. In Zürich, dem Herd des Anarchismus, bediene sich die Polizei ihrer Agenten, um dort Anarchisten zu machen. Das habe eine Gerichtsverhandlung in der Schweiz bewiesen, wo die schweizerischen Richter fich von ihrem demokratisch⸗republi⸗ kanischen Gefühl hätten leiten lassen, denjenigen, der sich in dem Prozeß als der bezahlte preußische Polizeispion entlarvt habe, mit doppeltem Strafmaß zu belegen. Bezahlte Agenten hätten in Zürich provokatorische Reden gehalten! Zwei andere Subjekte hatten sogar im Auftrage der Polizei für die „Freiheit“ geschrieben. Angesichts der bezahlten Polizeiagenten wolle er sich auf einen Zeugen berufen, der jedenfalls ein klafsischer sei. Als der Reichskanzler noch Gesandter beim Bundestag
gewesen sei, habe er in Briefen vom 14. August 1852 und vom 25. Januar 1854 recht absprechende Aeußerungen über das Treiben der Polizeiagenten gemacht. Derselbe habe darin bemerkt, daß diese Agenten aus Mangel an Stoff gelogen und auf unverantwortliche Weise übertrieben hätten. Die Denkschrift behaupte dann, daß bei den Berliner Kommunalwahlen die sozialdemokratische Partei eine Agitation eingeleitet habe und in Folge dessen die ganze Welt mit einem Netz von Arbeiterbezirksvereinen überzogen sei. Darin wolle die Regierung auch einen Grund finden, den Belagerungs⸗ zustand weiter fortbestehen zu lassen. Als Vertreter von Berlin werde er diese Vorgänge etwas näher berühren. Ge⸗ legentlich der Kommunalwahlen von Berlin habe sich in der arbeitenden Bevölkerung die Ansicht Bahn gebrochen, es würde ihrem Interesse entsprechen, sich auch an der Wahl der städ⸗ tischen Vertretung zu betheiligen. Aber etwas Gesetzlicheres als diese ganze Bewegung sei kaum denkbar. Daß man nun nach einigen Erfolgen bei den Wahlen meine, auf diesem Boden weitere Erfolge erringen zu können und deswegen eine Vereins⸗ organisation ins Leben gerufen habe, das werde Jeder begreif— lich finden, der da wisse, wie man, um seine Ueberzeugung in größere Massen hineinzutragen, organisiren müsse. Daraus also leite die Regierung die Behauptung her, daß die Begrün⸗ dung der Arbeitervereine eine Aufforderung hätte sein müssen, die Verlängerung des Belagerungszustandes eintreten zu lassen. Es sei das ein Widerspruch, der jeder inneren Be⸗ rechtigung vollkommen entbehre. Dann werde behauptet, die Anarchistenblätter Freiheit“ und „Rebell“ seien in größeren Mengen hier in Berlin verbreitet. Die „Freiheit“ komme aber noch kaum in 190 Exemplaren nach Deutschland, in Berlin bekomme man sie gar nicht zu sehen. Die einzigen Leser seien vielleicht die Herren von den verschiedenen Polizei⸗ ämtern, welche die Aufgabe hätten, aus der „Freiheit“ etwas herauszustudiren. Und der „Rebell gar erscheine seit Jahr und Tag gar nicht mehr. Der Bericht berufe sich auf gemeingefährliche Berliner Sozialistenversammlungen. Es solle dort u. A. aufgefordert sein, in Kleiderläden zu gehen und sich neue Anzüge zu holen. Wes⸗ halb seien dann diese Leute nicht verhaftet und an—⸗ geklagt worden. Andererseits habe die Berliner Polizei, wie es ihm selbst passirt sei, sozialdemokratische Versammlungen unter den nichtigsten Vorwänden aufgelöst, unter anderem des⸗ wegen, weil dem überwachenden Polizeibeamten „der Spaß lange genug gedauert“ habe. Das Eigenthümliche sei, daß man demselben Referenten, welchem man in einem Theile des Wahlkreises eine Versammlung abzuhalten erlaubt habe, dies in einem anderen Theile desselben Wahlkreises verboten habe, vermuthlich, um dem konservativen Kandidaten einigen Vorschub zu leisten. In sozialdemokratischen Versammlungen sei es stets ruhig und anständig zugegangen, in konser⸗ vativen Versammlungen sei es dagegen ganz anders. Auf der bekannten Versammlung in Elbing habe der Aufruhrparagraph verlesen werden müssen, der Be⸗ lagerungszustand sei nicht verhängt worden, vielleicht weil ein Herr von Puttkamer dabei betheiligt gewesen sei. Auf einer konservativen Berliner Versammlung habe man aufgefordert, en masse in andere Versammlungen zu gehen und ihnen das Vergnügen etwas zu stören. Das sei eine einfache Aufforderung zum Bürgerkrieg. Dem gegenüber be⸗ trachte man doch die Sozialdemokraten, welche Ruhe in den Versammlungen geherrscht habe und wie sie auch gegnerischen Ansichten Gehör geschenkt. Nun sei er noch in der Lage, über die Versammlung zu berichten, auf Grund deren der Stadt⸗ verordnete Ewald ausgewiesen sei, wobei er sich durchaus auf Augen⸗ und Ohrenzeugen stütze. Es habe sich um eine Ver⸗ sammlung gehandelt, in der das Wahlresultat habe proklamirt werden sollen. Es sei erklärlich, daß der Saal bei dem Interesse, das seine Partei an allen öffentlichen Dingen nehme, vollständig gefüllt gewesen sei, und es sei Aufgabe der dazu bestellten Ordner gewesen, die polizeilichen Anordnungen zur Durchführung zu bringen. Die Zusammen⸗ stellung des Wahlresultats habe etwas längere Zeit gedauert, und es sei diejenige Unruhe entstanden, die beim Zusammen⸗ strömen von vielen Tausenden ohne Beschäftigung erklärlich sei. Da habe sich der in jener Versammlung anwesende Abg. Auer an den überwachenden Beamten mit der Frage gewandt, ob es nicht besser sei, der Versammlung mitzutheilen, daß das Wahlresultat noch nicht festgestellt sei, und sie zur Ruhe auf⸗ zufordern. Der Beamte habe dazu seine Erlaubniß gegeben. Als aber Ag. Auer das Wort zur Geschäftsordnung erhalten habe, um diese Mittheilung zu machen, da sei die Versamm⸗ lung auf Grund des §. 9 des Sozialistengesetzes aufgelöst worden. Nun denke man sich die Situation, ein dichtge⸗ drängtes Lokal, eine Unzahl von Leuten in der erklärlichen Er— regung, das Resultat dessen, was sie den Tag über durch⸗ geführt, zu erfahren, eine solche Versammlung in der Weise provokatorisch aufgelöst — da könne man doch doch nur den höchsten Grad von Bewunderung über die Mäßigung aus⸗ sprechen, die in jener Versammlung geherrscht habe. Es sei gerade der Stadtverordnete Ewald a der dem über⸗ wachenden Beamten den Ausweg durch die Menge gebahnt habe, es seien die Mitglieder des Bureaus sowohl wie die anwesenden Reichstags⸗Abgeordneten und der Vorsitzende Ewald
gewesen, die den Beamten vor der Mißbilligung geschützt
hätten, die sich in etwas nachdrücklicher Weise habe geltend
machen wollen, und zum Dank dafür, daß der Stadtverord⸗
nete Ewald seine Person eingesetzt habe, dem Vertreter des
Gesetzes und der Ordnung Hülfe zu schaffen, sei er am nächsten
Tage aus Berlin ausgewiesen, weil angeblich in jener Ver⸗
sammlung ein Angriff gegen die Polizeibeamten gemacht sein
sollte. Das seien Gründe, für die man in Berlin ausgewiesen
werde! — Die Arbeiter könnten kein Vertrauen zu einer
Regierung haben, welche in der einen Hand schöne Ver⸗
sprechungen bringe und in der anderen die Geißel eines namen⸗
loses Elend verbreitenden Ausnahmegesetzes schwinge. Erst
mit der vollen Freiheit der Diskussion, mit der vollen Be⸗
rechtigung, in die Verhältnisse einzugreifen, könne sich das
Vertrauen finden, daß die sozialreformatorischen Vorschläge
der Regierung eines thatsächlichen Hintergrundes nicht ent⸗
behrten. Sollten also die Zustände, welche die Denkschrift
beklage, beseitigt werden, so müsse vor allem das Ausnahme⸗ gesetz abgeschafft werden. Mit kurzen Worten möchte er noch des Standpunkts der anderen Parteien Erwähnung thun. Die Verlängerung des Sozialistengesetzes habe doch etwas ge⸗ zeitigt, was in diesem Augenblick nicht unausgesprochen bleiben dürfe. Jene Abkommandirten aus der deutschfreisinnigen Partei seien ebenso für die Zustände verantwortlich zu machen, die sich unter der Herrschaft dieses Gesetzes entwickelt hätten, wie die Konservativen und Nationalliberalen, deren begeisterter Zustimmung dieses Gesetz sich ja von vornherein erfreut habe. Ersei überzeugt, daß jeder denkende Mensch sich heute mit der Sozialdemokratie abzufinden habe, er wisse, daß jeder denkende Mensch sagen müsse: das, was sie wolle, sei berech⸗ tigt und müsse eingeführt werden, wenn nicht Zustände sich entwickeln sollten, die alle Parteien gleichmäßig zu beklagen und zu fürchten hätten. Seine Partei habe Anträge zu der vor⸗ liegenden Denkschrift nicht zu stellen, sie wisse, daß die ver⸗ nichtendste Kritik derselben in den thatsächlichen Verhältnissen derjenigen Bezirke liege, über die die Maßregel verhängt sei.
Hierauf ergriff der Bevollmächtigte zum Bundesrath, Vize⸗Präsident des Staats⸗Ministeriums, Staats⸗Minister von Puttkamer das Wort:
Meine Herren! Ich knüpfe an eine der Schlußäußerungen des Herrn Vorredners an. Er sagte unter lebhafter Schilderung der Uebelstände, welche seiner Meinung nach die Folgen des von ihm so lebhaft angegriffenen Gesetzes seien, daß seine Partei sich die weitere Entwickelung der Verhältnisse auf dem Boden dieses Gesetzes ja sehr gefallen lassen könne; seiner Meinung nach habe das eigentliche Interesse bei der Beseitigung der Ausnahmemaßregel und bei dem Verzicht auf dieselbe die Regierung. Meine Herren, ich stehe diesem Diktum gegenüber gar nicht in einem so diametralen und unversöhn— lichen Gegensatz. Gewiß, die Regierung hat ein Interesse an der Beseitigung dieser Gesetze und sie wünscht lebhaft die Möglichkeit herbei, auf sie verzichten zu können. Schaffen Sie nur erst, meine Herren, den thatsächlichen Boden für die Möglichkeit eines solchen Verzichtes, dann wird sich der Horizont für Sie in größerem Maße aufklären, wie das bisher möglich gewesen ist.
Ich würde ja nicht in der Lage sein, so tief in die Diskussion hier einzugehen, da ja über die Art und Weise, wie das Ausnahmegesetz — so muß ich es ja nennen — innerhalb des Deutschen Reichs im Allgemeinen gehandhabt wird, in den Räumen des hohen Hauses schon so oft ver— handelt worden, und natürlich eine Verständigung bei der großen Di⸗ vergenz der Standpunkte nicht zu erreichen ift. Inzwischen sind es doch einige der Bemerkungen des Herrn Vorredners, die mich zu einer Antwort nöthigen.
Es handelt sich also darum, daß in der vorliegenden Denkschrift motivirt ist die Nothwendigkeit der Fortdauer nicht etwa des So—⸗ zialistengesetzes vom 21. Oktober 1879 an sich, sondern derjenigen auf seinem Boden gesetzlich ergriffenen Maßregeln, welche der 8. 28 an die Hand giebt, also des sogenannten kleinen Belagerungszustandes. Der Herr Redner hat seine Argumentation gegen diese Begründung eigentlich in dem Satze konstruirt, daß er sagte: die Regierung darf sich nicht auf die allgemeine Lage der Dinge innerhalb des ganzen Gebiets des Deutschen Reiches zur Motivirung ihrer Maßregel berufen; sondern sie muß nachweisen, daß in den betreffenden Bezirken, die von den Ausnahmemaßregeln des §. 28 getroffen sind und anscheinend einst⸗ weilen noch getroffen bleiben, diese Nothwendigkeit vorliegt. Meine Herren! Die Auffassung ist nur mit einer großen Einschränkung zu acceptiren. Wenn überhaupt — und darüber streiten wir ja heute noch nicht; wenigstens ich kann das von meinem Standpunkte aus nicht acceptiren — wenn überhaupt nach der Gesammtlage der Verhält⸗ nisse des öffentlichen Lebens in Deutschland die Möglichkeit eines Ver⸗ zichts auf das Gesetz vom Oktober 1878 noch nicht gekommen ist, wenn die Regierungen noch der Meinung sind, daß die außerordent⸗ lichen Vollmachten, die durch die Vertreter der Nation in dieser Be—⸗ ziehung ihnen in die Hand gelegt worden sind noch nicht entbehrt werden können, — dann folgt von selbst nicht nur die Möglichkeit, sondern die Pflicht der Regierungen, zu erwägen, in welchen Haupt⸗ eentren sich die Gefahren, um deren Vorbeugung und Beseitigung es sich in diesem Gesetze handelt, derart verdichten und in Folge der Größe der Interessen, die zu vertreten sind, vermehren, daß die Noth⸗ wendigkeit der über das gewöhnliche Maß hinausgehenden Vollmachten, welche §. 28 an die Hand giebt, noch vorliegt, und dies, meine Herren, ist der ganze Inhalt — wenn Sie wollen — der Motivirung, welche in der Denkschrift enthalten ist. Wir können nicht anerkennen, daß die besonderen Schutzmaßregeln, welche der 5. 28 an die Hand giebt, in Berlin und in den Orten, in denen sie überhaupt außerdem noch verhängt sind, bereits entbehrlich waren. Der Herr Vorredner hat ferner ein sehr viel gebrauchtes Argument gegen die Gesetzgebung, um die es sich hier handelt, auch heute wie⸗ der ins Feuer geführt, und glaubt, damit jeden Widerspruch gegen seine Ausführung von vorn herein niederschlagen zu können. Er sagt: Schon der Ausfall der Wahlen des Jahres 1884 beweist ja mit Evidenz die völlige Wirkungslosigkeit dieses Gesetzes. Mit stei⸗ genden Majoritäten werden ich und meine politischen Freunde ge⸗ wählt, die Gesammtziffer der auf uns vereinigten Stimmen steigt ununterbrochen und wird schließlich bei den nächsten Wahlen so stei⸗ gen, daß mit unwiderstehlicher Kraft sich die Volksstimme in der Richtung einer Aufhebung des Sozialistengesetzes geltend machen wird. Nun, meine Herren, ich glaube, daß er sich da im hohen Maße übertriebenen Hoffnungen und Anschauungen hin— giebt, ich darf ihn nur verweisen auf die mir hier vorliegenden Zif⸗ fern, nach denen sich die ungeheuren Fortschritte, die die Soztal⸗ demokratie gemacht haben soll, doch nicht so herausstellen, wie es im ersten Augenblick erscheinen möchte. Es ist richtig: die Zahl der Stimmen, welche die Sozialdemokratie im Jahre 1884 auf sich ver⸗ einigt hat, ist das Maximum dessen, was — absolut gerechnet — bisher an Stimmen auf sie gefallen ist. Sie hat eine Stimmenzahl von etwa 543 000 erhalten; aber, meine Herren, im Jahre 1877, also zu einer Zeit, die fast 3 Jahre hinter uns liegt, war die Zahl auch schon 493 00, sie ist also sehr wenig zurückgeblieben hinter dem jetzt erreichten Maximum. Ich spreche nicht von der Zahl der Abgeord⸗ neten, sondern nur von der Zahl der für die Sozialdemokratie ab⸗ gegebenen Stimmen. Meine Herren, wenn Sie nun bedenken, daß die Zahl der Wähler in Deutschland seitdem um eine Million zu= genommen hat, so werden Sie nicht behaupten können, daß diefer absolute Zuwachs, den ich anerkenne, gleichzeitig einen relativen darstellt, und darauf wird es doch allein ankomm en; mit anderen Worten: es geht aus den Zahlen nicht hervor, daß im Gesammtkörper unserer Nation die Sozialdemokratie eine größere Verbreitung und einen größeren Umfang gewonnen habe, wie das vor den Ausnahmegesetzen gewesen ist. Nun wird man mir allerdings einwenden können: Dann hat das Gesetz — zwar keine Zunahme aber jedenfalls — keine Ab⸗ nahme herbeigeführt, dann hat das Gesetz mindestens keine Wirkung gehabt, es hat die Sozialdemokratie nicht in ihrer Macht und in ihrer Kraftentwickelung schwächen können. Ja, meine . ich habe in dieser Beziehung schon in früheren
erhandlungen Veranlassung nehmen müssen, jene Mative
richtig zu stellen, auf welchen überhaupt diese ganze Gesetzgebung
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