1885 / 41 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 17 Feb 1885 18:00:01 GMT) scan diff

Fröheren Abg. Mommsen. Die wirthschaftlichen Vortheile Wärden die Politischen Nachtheile ganz wesentlich überwiegen und wirthschaftliche Nachtheile könnten nach den bisherigen Erfahrungen nicht eintreten. Die Behauptung, daß die Er⸗ Hung der Zölle nur zum Nutzen 6 Großgrundbesitzer ei, sei nicht stichhaltig. Halte man denn den gesammten Bauernstand für so thöricht, daß derselbe eine solch? Maßregel verlangen würde, wenn er nicht wüßte, daß das wirklich in seinem Interesse liege? Der Abg. Thomsen habe sich selbst als Bauer gegen die Zollerhöhung ausgesprochen, der Abg. Thomsen sei aber nicht nur Bauer, derselbe habe noch ver⸗ schiedene Nebenbeschaftigungen. Er halte die Erhöhung der Zölle für eine wirthschaftliche Noihwendigkeit, um dem Bauern stande und dem landwirthschaftlichen Gewerbe von Neuem Muth zu machen und sie zu neuen Unternehmungen anzuspornen. Ob die jetzt beabsich⸗ tigte Erhöhung hinreichen werde, um hier zu helfen, lasse er dahin gestellt, und es sei schwer, die richtige Höhe zu bestimmen. In einer Nummer der „Weser⸗Zeitung“ habe er kürzlich in einer Korrespondenz aus Berlin gelesen, daß es für jeden Berliner Exporteur ausgemachte Sache sei, daß die neuen Einfuhrzölle unter den gegenwärtigen Verhältnissen des europäischen Getreidemarktes viel weniger eine Erhöhung der Getreidepreise in Deutschland hervorrufen, als vielmehr das importirende Ausland treffen würden. Also selbst Kor⸗ respondenten der „Weser⸗Zeitung“ könnten über diese Frage verschiedener Ansicht sein. Die Frage der Höhe dieser Zölle würde er nicht wagen autoritativ zu beantworten; ein erheb⸗ licher Theil seiner politischen Freunde habe auch mehr Sym⸗ Ppathien für den Roggenzoll von 2 SJ Wenn seine Partei trotzdem bereits in zweiter oder dritter Lesung für den Satz von 3 S stimmen werde, so geschehe das, um nicht die ganze Frage aufs Spiel zu setzen. Wenn ein großer Theil feiner Freunde die Abänderungsvorschläge der freien wirthschaftlichen Vereinigung mit unterschrieben habe, so wollte derselbe damit durchaus nicht dessen Einverständniß mit jedem einzelnen Punkte, sondern lediglich konstatiren, daß seine Partei mit der Tendenz der neuen Zollreform einverstanden sei.

Der Abg. Rickert erklärte, die Reden der beiden Kollegen, die dem bäuerlichen Grundbesitz angehörten, schienen den Herren der Rechten so unbequem gewesen zu sein, daß ssie das Bedürfniß gefühlt hätten, die Gründe, die jene Männer aus dem Volke hier vorgebracht hätten, dadurch zu entkräften, daß man sage, das seien ja keine Bauern, die hätten ein Nebengewerbe. Er habe Namens seiner beiden Freunde nur zu erklären, daß sie richtige Bauern seien, daß auch der Abg. Thomsen seine Wirthschaft ohne Verwalter selbst bewirth⸗ schafte. Diese beiden Reden würden gehört und verstanden werden. Die Rechte werde vergeblich sich bemühen, zu be⸗ haupten, daß die Freisinnigen keine Landwirthe hätten und nichts davon verständen. Im Gegentheil, die Landwirthe seiner Partei und namentlich die größeren Grundbesitzer wüßten sehr gut, daß sie Vortheil von den Getreidezöllen haben würden, sie verschmähten aber denselben, weil sie wüßten, daß die Gesammtheit darunter leide. Die Behauptung, daß der gesammte Bauernstand Getreidezölle ver⸗ lange sei unrichtig. Leider sei er heute genöthigt, eine längere Ausführung zu machen gegen den Minister Lucius und den Reichskanzler bezüglich des Handels, insbesondere des Danziger Handels. Es sei ganz unrichtig, daß er 1879 prophezeit habe, der Handel Danzigs würde zu Grunde gehen, wie Minister Lucius behauptet habe, oder gar Danzig würde ein Fischerdorf werden. Wo hätte er das gesagt? Er habe nie etwas Anderes gesagt als das: Der Handel habe an sich kein Interesse am Zolt, wenn man den Transitverkehr ungestört lasse. Die Kaufleute seien gegen den Brotzoll, weil derselbe die große Masse der Arbeiter zu Gunsten der Wohlhabenderen und der Reichen schädige. Man habe ja glücklicherweise für den Transit⸗ verkehr Vieles erreicht, wenn auch nicht Alles. Er werde sich das Interesse des Hauses noch für weitere Erleichterungen erbitten, die gerade diese Vorlage nothwendig mache. Der Reichskanzler habe behauptet, der Danziger Handel sei mit der neuen Wirthschaftspolitik in auf— steigender Tendenz. Der Kanzler bitte die Danziger Rheder, den Landwirthen auch etwas zu gönnen, wenn auch nur die Brosamen. Diese Rede habe in Danzig auch unter den Ar— beitern eigenthümliche Empfindungen hervorrufen müssen. Die dortige Petition gegen die Zölle habe schon jetzt einige hundert Unterschriften mehr, als sein Freund Schrader und er bei der letzten Wahl Stimmen erhalten hätten. In Danzig seien nicht blos die Freisinnigen gegen diese neue Vorlage. Das Urtheil des Kanzlers sei um so bemerkenswerther, als der⸗ selbe zu gleicher Zeit Handelsminister in Preußen sei. Was solle die Kaufmannschaft in Danzig denken, wenn der Mi— nister, der die Interessen des Verkehrs amtlich zu vertreten habe, eine derartige Motivirung vor der Volksvertretung vor⸗ bringe. Das PVorsteheramt der Kaufmannschast habe dem jetzigen Abgeordneten für Danzig, dem Ab⸗ geordneten Schrader, sofort eine Denkschrift zugehen lassen, welche die Behauptungen des Ministers Lucius für unbegründet erkläre. Eine große Anzahl von Getreide⸗ zufuhren nach Danzig sei auf die Erbauung der Marienburg⸗ Mlawkaer Eisen bahn zurückzuführen, aber auch sonst entsprächen die Angaben vom Regierungstische der Wirklichkeit nicht. Nach den Berichten aus kaufmännischen Kreisen in Danzig liege der Handel Danzigs schwer darnieder. Daß der Reichs⸗ kanzler die Thatsache nicht gewußt habe, sei um so auffallender, als das „Deutsche Handels-Urchip“, das offizielle Organ, ohne Mitwirkung der Kaufmannschaft von Danzig es werde im RNeichsamt des Innern herausgegeben bereits zweimal Mittheilungen über den Danziger Handel gebracht habe, die sich im diametralen Gegensatz zu den Aeußeruugen des Reichtz⸗ kanzlers befänden. In den vom Reichskanzler angegebenen . habe derselbe die kolossale Zuckerausfuhr zu berück= sichtigen vergessen, die im vorigen Jahre allein gl O50 Tonnen Petragen habe, ein Export, der der arbeitenden Bevölkerung gar keinen Nutzen gewährt habe. Kein Erwerb liege so darnieber, wie die Rhederei in den Ostfee⸗ Hierfür könne er ein schlagendes Vei— piel geben. An der Danziger Börse fei vor Kurzem Ag und 1 Antheil an einem noch gut erhaltenen Segel—⸗ Ischiff für hundert Mark verkauft worden, das sei noch nicht

roz. des ursprünglichen Werthes. Die Lage der Segel— schiffahrt von Danzig sei wirklich trostlos, aber die Danziger Niheder seien viel zu stolz, die Staatshülfe anzurufen, von der sie doch wüßten, daß sie ihnen nichts helfen könne. Vor einigen Jahren noch habe der Frachtsatz von St. Francisco nach Europa 3 M pro Centner betragen, jetzt betrage derselbe nur noch 1,5 Sι. Es wäre Rlfo gerade im agrarischen Inter⸗ esse geboten, auf eine Erhöhung bieser Frachten hinzuwirken,

denn offenbar würde ein höherer Frachtsatz ein Hinderniß für den Getreideimport sein. Nach seiner neulichen Rede über die Zölle habe er von verschiedenen Seiten und namentlich auch von Geistlichen, ja sogar von katholischen, zahlreiche Zu⸗ stinimungen bekommen. Der Abg. Flügge sage, nur mit Schmerz verweile derselbe an dieser Stelle: man müsse die Zölle eine Zeit lang wirken lassen, alsdann könne man sie ja wieder aufheben. Warum dokumentire die echte denn diese Ansicht nicht auch nach außen hin? Warum sage sie denn nicht, daß die Kornzölle wieder aufge⸗ hoben werden sollten? Zu einer Reform der Grundsteuer, die der Landwirthschaft helsen solle, wolle auch seine Partei gern die Hand bieten. Was die Petitionen betreffe, so scheine es in der Tendenz der Regierung zu liegen, nur die zu ver⸗— öffentlichen, die sich für die Getreidezölle ausgesprochen hätten. So habe man z. B. nichts von einer Petition aus Lilienthal, die sich nicht nur gegen die neuen, sondern auch gegen die schon bestehenden Getreidezölle wende, nichts gehort. Er werde der Agitation auf Schritt und Tritt zur Seite gehen, weil sie eine gemachte sei, er werbe sich davon nicht abbrinßen lassen, selbst wenn man ihm Verhetzung der Klassen vor⸗ werfe. In Schlesien z. B. hätten sich verschiedene Gemeinden, obwohl man amtlich versucht habe, sie daran zu verhindern, dahin ausgesprochen, daß der Großgrundbesitz nicht für fähig erachtet werde, die Interessen des Kleingrundbesitzes zu ver⸗ treten. Die Behauptung bes Kanzlers, daß im Interesse des Kornhandels die deutsche Landwirthschaft ruinirt werden solle, habe gar nichts für sich. Der Handel beanspruche keinerlei Begünstigung und verlange, daß der Staat die natürlichen Verkehrsbeziehungen nicht vernichten, daß der Verkehr nicht in falsche Bahnen gezwungen werden solle. Der Handel protestire gegen die Getreidezölle im allgemeinen Interesse. Man thue am besten, die verächtliche Art, wie man vom Handel spreche, endlich aufzugeben, und er hoffe auch, daß in der dritten Lesung noch dem Handel Verkehrserleichterungen zu Theil werden würden. Der Kanzler habe erklärt, die Auf⸗ gabe der Gesetzgebung und des Staatslebens könnten nicht beschränkt sein auf Brot, weil es noch andere Gegenstände gebe, die eben so unentbehrlich seien als Brot, dazu gehöre Kleidung von Kopf bis zu Fuß u. s. w. Sei seine Partei es nun aber nicht gewesen, welche fort— während auch in dieser Beziehung gegen alle Erschwerungen und weitere Belastung sich erklärt habe? Gerade seine Partei wünsche drin zend, daß man dem Handwerk das Rohmaterial nicht vertheuere., In den ärmeren Klassen bilde notorisch die Ernährung 69 Proz. der Haushaltungskosten; die Kleidung 17 Proz.; Heizung und Beleuchtung 5 Proz; Wohnung und Mobiliar 8 Proz. Die Nahrungsmittel veranlaßten alfo bei weitem die meisten Ausgaben; um so wichtiger sei es, die Nahrungsmittel billig zu halten. Dem Satz, „Habe der Bauer Geld, habe es die ganze Welt“, habe ein Großgrund⸗ besitzer in Westpreußen, Herr Steinbart, den Satz entgegen⸗ gestellt: Habe der Städter Geld, habe auch der Bauer Geld“. Die Nechte selbst habe früher so oft betont, daß, wenn die Industrie blühe, auch die Landwirthschaft Abnehmer habe. Wenn man den Ausspruch von Wahrheiten, die nach seiner Ueberzeugung unerschütterlich seün für Verhetzung der Klassen gegeneinander halte, dann könnk er nur nochmals wiederholen, es werde doch wohl noch erlaubt sein, das auszusprechen, was seit einem Jahrhundert in Preußen von den Herrschern und Regierungen als richtig anerkannt sei, was von Friedrich dem Großen, von Friedrich Wilhelm IV. in Proklamationen an den Vereinigten Landtag und den späteren preußischen Landtag als unumstößliche Wahrheit bezeichnet sei. Eine konservative Regierung habe dann die Schlacht- und Mahl⸗ steuer aufgehoben als eine gegen die ärmeren Klassen ge⸗ richtete Steuer. Sei denn der Reichskanzler zurückhaltend mit seiner Kritik der bestehenden Gesetzgebung? Denke man doch an die Schilderung des Kanzlers der Wirkung der Klassensteuer und des Exekutors, der den armen Mann bis zum Verlassen des Landes dränge. Da könne es ihm (Redner) doch nicht verwehrt sein, seine Auffassung über die Wirkung des Brotzolls in der Weise, wie es die Geschichte anerkannt habe, und noch in Zukunft anerkennen werde, öffentlich aus⸗ zusprechen. Er glaube seinem Vaterlande den besten Dienst zu erweisen, wenn er eine durch die Geschichte er⸗ härtete Wahrheit dem Volke zum Bewußtfein bringe. Der Reichskanzler habe erklärt, daß gewisse Klassen den Bauer bisher ausgebeutet hätten, daß sie sich aus seiner Haut Riemen geschnitten hätten. Sei das nicht viel schlimmer, als wenn er behaupte, daß die Vorlage den Erfolg habe, die Armen zu Gunsten der Reicheren zu belasten. Es möge sein, daß Männer von so großen Verdiensten und Erfolgen wie der Reichskanzler, zeitweise eine solche Umkehr der Wirth⸗ schaftspolitik durchsetzen könnten, es möge sein, daß solche Aussprüche Gläubige finden könnten im Lande. Er könne sich nicht vor dieser Autorität beugen, er halte fest an dem, was er sein ganzes Leben lang aus Wissenschaft und Erfahrung gelernt habe. Wenn die Sache so weiter gehe, sei dann noch das Einmaleins sicher? Mögen große Kreise der Bevölkerung sich das Denken ersparen einer so hohen Autorität gegenüber. Er könne es nicht, und werde nach wie vor der Richien ent— gegenhalten, dieser Kornzoll in einer in diesem Jahrhundert noch nicht dagewesenen Höhe sei ein solcher, der die Wohl⸗ ,, und Reichen begünstige und die Aermsten schädige und belaste.

Hierauf ergriff der Reichskanzler Fürst von Bismarck, welcher während der letzten Rede in den Saal getreten war,

das Wort:

Meine Herren! Ich bedaure, daß ich nochmals i der Noth⸗ wendigkeit bin, Ihre vielgeprüfte Geduld mit andern Worten, Ihre Zeit in Anspruch zu nehmen zu einer Erwiderung. Aber wenn Sie dem Herrn Vorredner es nachgesehen haben, ohne Zeichen von Ungeduld, daß er in dieser an Rednern und an langen Reden reichen Debatte zweimal das Wort ergriffen hat, daß er uns in der zweiten Rede die erste in einer anderen Form, etwas anders zu⸗ sammengesetzt und vielleicht auch in etwas anderer Betonung wieder⸗ egeben hat, ohne den. Inhalt wesentlich zu ändern, er

hnen nicht nur seine, sondern auch meine Rede noch einmal gehalten hat, um sie recht im einzelnen, in der Weise, wie er sie sich denkt und wie er sie auslegt, durchzuhecheln und zu zerpflücken, ja, meine Herren, wenn Sie das ruhig mit ange⸗ hört haben, ohne einen Augenblick wie es in alten parlamen tarischen Zeiten üblich war bel Sachen, die man oft genug gehört hatte,. Schluß“ zu rufen, dann, hoffe ich, werden Sie auch mich in

. 2 . h die Wah

er Herr Vorredner hat an die Wahrheiten der Geschichte appellirt; sie sollen bestätigen, was er hier angeführt hat . ft verderblichen Wirkungen der Vertheuerung der Kornzölle Ich weiß

nicht, welchen Historiker er dabei im Sinne gehabt hat. Ganz sicher

nicht den Hrn. Professor Mommsen, einen der anerkanntesten unter ung. Jedenfalls muß ich die Geschichte, an die der Herr Vor⸗

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ñ

redner mit einer solchen Feierlichkeit appellirt, als eine te iz unwahre Erastellung der r n, bezeichnen. udemise.

Und das hat gerade so viel Autorität und Berechtigung ĩ meinem Munde wie dag Gegentheil im Munde des Herrn Hol rednerg. Ich bebe absichtlich auch die Stimme etwäg, wen ich fand, daß es bei dem Herrn Vorredner immer einen günfligen Gin druck auf Sie machte, wenn er lauter sprach. Durch das Lauter sprechen wird aber eine Sache nicht wahrer, als sie an sich ist und als sie sich liest, wenn sie gedruckt ist.

Der Herr Vorredner hat ferner, indem er mit scharfen Waffen den Vorwurf. der Verhetzung des Armen gegen den Reichen von seiner Darstellung abzuwehren suchte, mir vorgeworfen, ich hãtte jn auch den Hauer aufgehetzt, ich hätte daran erinnert, daß die Gesetz⸗ gebung bisher aus der Haut des Bauern Riemen geschnitten hãtt⸗ um sich andere Klassen zu verbinden; und er hat damst meine Be⸗ bauptung, in Vergleich gestellt, daß in den Reden der Oppostison die besitzlosen Arbeiter gegen den Grundbesitz aufgeheßt worden seien. Ja, meine Herren, das ist ganz etwas Andereg. Der Bauer gehört nicht zu den Besitzlosen; der Bauer ist der Ruhe und der Ordnung in keiner Weise gefährlich; der Bauer gehört zu der KRlasf⸗ der Besitzenden. Ja, wenn Sie nach der Kopfzahl rechnen, so zählt er weitaus zu der reicheren Klasse. Auf dem Lande kommt noch lange nicht auf jeden Kopf oder Familie ein Bauernhof, noch nicht der zehnte Theil davon. .

Allo wenn ich den Bauern darauf aufmerksam mache, daß seine Interessen in den Händen und dem Munde der Städter schlecht ge⸗ wahrt sind; so liegt darin für den Staat keine Gefahr. Wenn Sie aber die Millionen von besitzlosen Arbeitern, die in der That in noch viel schlimmerer Lage sind als der Bauer in Nothjahren, wenn Sie die mit Worten wie „Brotzoll', wie „Blutzoll“ aufhetzen gegen die Regierung, ja, meine Herren, dann saͤen Sie eine Saat, die Sie nicht mehr beherrschen können. Der Arbeiter hat nicht Viel zu verlieren, der Bauer hat aber Etwas zu verlieren. Und wir haben noch nicht bei uns im Lande gesehen, daß der Bauer sich gegen die Obrigkeit zusammenrottet aus freien Stücken. Das letzte Mal, wo wir erlebt haben, daß der Bauer freiwillig auf⸗ stand, das war zur Zeit, wo die Schweden im Lande waren und wo die Bauern zusammentraten unter der Fahne:

Wir sind Bauern von geringem Gut

Und dienen unserem Kurfürsten mit unserem Blut! bes Es waren aber immer Bauern von Gut, der Bauer ist Gut esitzer.

Ich habe, als ich vorgestern meine Rede schloß in dem Be— dürfniß, sowohl meine Kräfte als Ihre Geduld nicht zu weit zu er—= müden, den Gedanken, der mir vorschwebte, kurz und undeutlich auß—. gesprochen. Was Sie kränkt und was Ihnen unbequem ist und was Sie veranlaßt, hauptsächlich den. Großgrundbesitz aussondern zu wollen aus der Menge, damit Sie eine geringe Kopfzahl sich gegenüber haben, die Sie bei allgemeinen Wahlen überstimmen können was Sie bekümmert, das ist die Thatsache, daß Bauer und Groß— grundbesitzer immer mehr und mehr erkennen, daß sie ein und der selbe Stand, der Stand der Grundbesitzer, sind und ein und dasselbe Gewerbe der Landwirthschaft betreiben. Ich habe vorgestern darauf aufmerksam machen wollen, daß der Begriff der Großgrundbesitzer heutzutage gar nicht mehr paßt, und habe beim Lesen meiner Rede gefunden, daß ich das nur sehr unvollkommen gethan habe. Sehen Sie sich die Listen durch von der neuen preußischen Kreisordnung, und sehen Sie, welches da die Wähler vom Großgrundbesitze sind. Sie werden, glaube ich, wenigstens in allen mittleren Provinzen viel mehr Bauern als Rittergutsbesitzer finden. Mir sind Bauernhöfe bekannt selbst in den mittleren, in den gesegneten Provinzen von VDeutsch— land die bis zu 2009 Morgen gioß sind, und ich glaube, daß et in Ostpreußen und in einigen Gegenden Pommerns mit schlechtem Boden noch größere giebt; dagegen giebt es eine Menge Rittergüter,

die wenig über 1009 Morgen groß sind.

Die Grundbesitzer sind im Ganzen eine Stütze der Monarchie und der bestehenden Regierung nach ihrer ganzen Gesinnung; und in der Tendenz, Zwietracht unter sie zu säen, da genirt es Sie, daß diese Verschmelzung allmählich und unaufhaltsam vor sich geht. Cs. sind das die heilsamen Folgen der Gesetzgebung, die im Anfange von vielen der Bevorrechtigten peinlich empfunden wurde, die Abschaffung aller rechtlichen und prinzipiellen Prärogative des größten Grund— besitzes und namentlich der früheren Ritterschaft. Wir größeren Grundhesitzer sind heutzutage in unserem Gewerbe nichts weiter als die größten Bauern, und der Bauer ist nichts weiter als der kleinere Gutsbesitzer. Auch die meisten Bauern nennen sich Gutsbesitzer, einige nennen sich Ackerleute, andere nennen sich Landleute. Ich habe mit Mitleid gesehen, wie Sie aus zwei oder drei von den vielen bäuerlichen Petitionen ihre Wolle herauszupflücken suchen; ich kann sie Ihnen zu mehreren Tausenden und centnerweise geben; unter den Unterzeichnern sind sehr viele Bauern und die bezeichnen sich vielfach als Gutsbesitzer‘, so daß sich in einem Dorfe 26 - 30 Guts⸗ besitzer fanden. .

Ich glaube diese Einigung, dieses Verständniß aller derer, die das landwirthschaftliche Gewerbe treiben, daß sie zufammengehören und gemeinsame Interessen der bisherigen Ausbeutung gegenüber zu verfechten haben, den Fortschritt dieser Einigung werden Sie nicht erschüttern, obschon ich begreife, daß es Ihnen außerordentlich unbequem ist, die Gesammtheit der Landwirthe und der Grund⸗ besitzer in absehbarer Zeit geschlossen und unbeeinflußbar für politische Hetzereien und für all dergleichen Bangemachen mit Reaktion, und was die sonstigen Phrasen sind, unzugänglich zu seben und gewärtigen zu müssen, daß all Ihre Agitation und selbst die berühmte Wahl—⸗ mache, wie sie jetzt üblich ist, an der Masse der ländlichen Besitzer ablaufen werde, wie das Wasser am Entenflügel. .

Der Herr Vorredner wird diese Wahrheit nicht gleich mir er kennen, denn er hat über das, was auf dem Lande vorgeht, doch nuy sehr dürftige Vorstellungen; ich habe eigentlich geglaubt, er wäre auf dem Lande gehoren, aber er muß seit lange dabon weg sein; wenn er sagt: hat der Städter Geld, so hat es auch der Bauer“, so hat er sicher lange nicht auf dem Lande gelebt, fonst würde er wahrge⸗ nommen haben, daß eben ein Städter nichts abgiebt. Ich gönne dem Städter das Selnige; aber Hr. Rickert verwechfelt Stadt und Industrie und thut als ob Beides daffelbe wäre; das zeigt eben, daß wir mit dem Worte verschiedene Begriffe verbinden.

Die Industrie ist nicht einmal innerhalb der Städte bequem heimisch; es giebt ja Industriestädte. Aber dort wird sie sich= doch immerhin mehr in die Vorstäͤdte ziehen, wo sie freiere Be⸗ wegung hat; ihr natürlicher Sitz würde eigentlich auf dem Lande sein. Sie hat außerdem mit der Landwirthschaft das gemeinsam, daß sie produzirt, und daß sie ausländische Konkurrenten hat. Parla⸗ mentarische Gelehrte, die in Preffe, Fraktion und Parlament mit Reden thätig sind, die produzlren nichts, bei dem sie die Konkurrenz des Auslandes zu fürchten hätten und können es mit philofophischer Ruhe ansehen, wenn der Produzent zurückgebt. wenn er keinen Absatz mehr findet, wenn seine Preise so wohlfeil werden, daß er sein Gewerhe nicht mehr betreiben kann, ja, sie können sogar, wie der Hr. Abg. Rickert, wenn dieser Produzent wie der getretene Wurm sich krümmt und sich einmal aufbäumt, mit einer sittlichen Entrüstung 9 2 Tribüne herab uns den Text lesen; das ift alles menschlich

unlich.

Aber Hr. Rickert verwechselt Industrie und Städte, und das punctum saliens, was die Verwandtschaft zwischen Landwirth⸗ schaft und Industrie bildet, und, waz ihr Bündniß für Schutzzölle zu einem natürlichen macht, das hat Hr. Rickert denn doch noch nicht durchschaut in diesen letzten 6 Jahren. Sle produziren beide und ver⸗ langen beide für ihre Produtte Schutz, weschen der Städter im engeren Sinne, sowie wir ihn verstehen, nicht braucht, oder doch nur soweit er Gewerbe treibt; ich komme gleich darauf zurück. Ich will nur einige Irrthümer erst berichtigen.

Hr. Nickert giebt also zu, daß der Drescher ein Interesse hat, baß das Korn, das er in natura alg Lohn empfängt, töeuer fei; er tröͤstet sich aber damit, daß die wenigsten Leute, nur ein ganz kleiner Theil der ländlichen Arbeiter, Brescher wären. Nun, da ist er wieder

in vollstandigem Irrthum und weiß auf dem Lande in seiner eigenen

1

in Westpreußen und dem benachbarten Pommern, nicht

. Hir Drescher sind bei Weitem die Mehrjahl, und die

. perzahl, Die enigen, die am Dreschen, also an der Kornlohnung

r nicht theilnehmen, das sind eben Deputanten, die

H wieder ihr Korn in natura geliefert bekommen und

u u wesentlichen Theil davon verkaufen, weil dieses Deputat meist

. emessen ist. Das sind Leute wie der Schmied, der Stell⸗

r Rieselmeister und der Müller, wenn eine Mühle da ist.

n nicht immer. Sonst dreschen die, welche das ganze

dem Lande arbeiten, Alle ohne Ausnahme, und es wäre

Zurücksetzung für Jemand, wenn er nicht zum Dreschen

würde; denn es ist das mit die gewinnreichste Thätigkeit,

liche Arbeiter überhaupt hat. Es geht das so weit, daß

Arbeiterstellen, die augenblicklich von Wittwen besetzt

lange übergehalten werden, bis die Wittwe entweder

Mann oder einen erwachsenen Sohn hat, für die

Pittwe durch die Nachbarn gedroschen wird. So allgemein ist es,

Dez ist gewissermaßen ein Grundrecht jedes ländlichen Arbeiters,

9 auf einem Gute Jahr aut, Jahr ein, Winter und Sommer

i daß er zum Dreschen zugelassen wird; er würde seinen Posten

n bald 2 21 wo anders hinziehen, wenn er vom Dresch⸗

eschlossen wird.

lin err , hier findet sich wieder beim Hrn. Abg. Rickert die

Pahrhelt bestätigt, die der Hr. Abg. Möller neulich mit so vielem

Nachdrucke verkündete: „Es reicht hin, eine Behauptung mit

iherheit auszusprechen, um sie für Wahrheit ausgeben zu dürfen.“ Eo ist es auch mit seiner Behauptung über die Drescherlöhne.

Der Herr Vorredner hat dann meine Gleichstellung der Land nirthschaft in der Berechtigung mit den anderen Gewerben, welche der ärmeren Klasse und den Arbeitern im Allgemeinen die sonstigen mentbehrlichen Lebensbedürfnisse liefern, bemängelt, indem er dabei mn einer vollstaͤndigen Verschiebung aller Begriffe die Rohstoffe hinelnjoßg. Um die handelt es sich gar nicht; ich habe nur die eiche Gerechtigkeit für die Landwirthschaft wie für jedes andere Ge⸗ werbe verlangt, wie für das Gewerbe der Schuhmacher und der Echneider. Wenn Sie glauben, die Landwirthschaft mit ihren Pro⸗ nulten schutzlos lassen zu dürfen, im Fall sie Noth leidet, so nehmen Gie zugleich das Recht in Anspruch, den Schuhmacher, Schneider und den Weber schutzlos zu lassen, im Falle, daß sie Noth leiden. Has ist es, was ich gesagt habe; von Rohstoffen ist gar nicht die Rebe gewesen. Wie kann der Abg. Rickert meine Worte so entstellen, nur um das Vergnügen zu haben, es so darzustellen, als hãtte ich tine Thotheit hier gesprochen! Die Thorheit liegt nicht guf meiner Seite. Beide find Gewerbe und brauchen wohlfeiles Rohmaterial; die Landwirthschaft ist ebenso gut ein Gewerbe.

Es ist vorgestern hier schon von den Produktionskosten gesprochen worden, aber dem Hrn. Abg. Rickert ist es entgangen; ich darf es nisso wohl wiederholen, wenn auch nur für ihn; die Versammlung hat so lange auf ihn gewartet, vielleicht gönnt sie ihm auch diese Wie⸗ derholung. Es wurde, glaube ich, gestern oder vorgestern hier ben wenn ich nicht irre dem Herrn aus Süddeutschland, der für den Zoll sprach, näher nachgewiesen, wieviel deutsche Arbeit an dem Scheffel Korn klebt; ich glaube, sie wurde auf 5 bis 6 Mt pro Centner ausgebracht ich erinnere mich nur noch, daß sie ttwas böher war, als ich sie selbst einschätzte; aber 5 „S Arbeits⸗ kaift klehen höchst wahrscheinlich an jedeni Centner Korn. Soll denn diese Arbeit nun nicht geschützt werden? Was ist denn deren Rohmaterial .

Da hat der Hr. Abg. Rickert ein Wort in die Welt geworfen, was sich eben bereitwillig eingestellt hat, wo der Gedanke fehlte, um nich zu widerlegen: Das Gewerbe der Landwirthschaft, der Ernäh⸗ mung und das Gewerbe der Bekleidung, das eine zu 60 0½υ , das an— dere, wie er sagte, zu 49 (, stehen dem Arbeiter gegen iber ganz gleich nothwendig da. Es handelt sich bei beiden un die Befriedigung von Bedürfnissen. Der Arbeiter kann eher noch einen Tag mal hungern als einen Tag unbekleidet üer dit Straße gehen oder eines der nothwendigsten Kleidungsstücke uf seinem Leibe dauernd entbehren. Kleidung und Ernährung sind also gleich nothwendig. Ob dem Arbeiter zum Erscheinen im Arbeitssaal nur die 40 fehlen oder die ganzen 60, das ist gleichgültig; er muß immer gekleidet sein. Also auch hier hat der Hr. Abg. Rickert gar nichts bewiesen. Wir wollen niht nur, wie der Hr. Abg. Rickert sagte, dem Landmann sähere Preise sichern, obschon das auch nebenher geht ich be⸗ steite das ja gar nicht sondern dem ländlichen Arbeiter seine libeit und namentlich auch dem kleinsten Produzenten den unver⸗ kürsten Ertrag der Produktion seines Ackerbaues sichern.

Ich habe in dem Bericht über die vorgestrige Sitzung gelesen, einer der Herren Abgeordneten, den ich hier nicht verstehen lonnte, weshalb, wie mir schien, der Hr. Abg. Richter mich dort wiederum nicht verstehen wollte, daß der gesagt hat, mit einer klasse der Landwerthe und Grundbesitzer habe er Mitleid, das seen die unter 10 Morgen. Meine Herren, auf die Bauern war tt nach dem, was ich gelesen habe, nicht so gut zu sprechen. Er dertritt bekanntlich die Gegend von Zeitz, wo der reiche altenburgische Bauernstand noch zu Haufe ist; der ist ihm, wie es zscheint, zu wohl habend, aber die Leute von jg Morgen und darunter haben sein

BVohlwollen. Vielleicht gehört die Mehrzahl seiner Wähler gerade

diger Kategorie an. Es ist zu vermuthen, daß die unter i0 Morgen sillreich sind, und um die Mehrzahl Zeitz bleibt immer ein lindwirthschaftlicher Kreis. nicht ganz zu verlieren, so hat er die herausgeschnitten; er will sie zu Freunden behalten. Es ist im Ein⸗ flnen dasselbe Manöver, wie ez im Allgemeinen uns gegenüber mmer probirt wird. Es heißt immer: der Großgrundbesitzer macht err und wenn wir ihn, den Gegenstand der besonderen pllitischn und persönlichen Abneigung der Opposition, ut aussondern könnten, so wollten wir ihn schon kurz en, und er sollte einmal, erleben, wenn wir den Jleinen in der Masse auf unsere Seite bringen, wie wir ihn in der tsetgebung verarbelten würden ( Der Hr. Abg. Rickert hat die Klasse der Großgrundbesitzer, die er heute der öffentlichen Abneigung zu überliefern suchte, noch enger nit; er hat von denen gesprochen, die Quadratmeilen besitzen. un, meine Herren, das sind allerdings noch weniger, aber selbst liese Wenigen haben Anspruch auf gleiche Gerechtigkeit mit Allen d auf gleiche Behandlung, und es ist nicht die Äufgabe her hesonnenen Zukunfizpolitik, wie ich sie vor einem Jahre noch lm Hrn. Abg. Rickert zugemuthet habe, gerade diefe Reute, die Nuddtatmeisen besttzen, mit: Hie niger est der öffentlichen Ab= näöung auf diese Weise zu denunztren. Ich halte das für ein kn gewöbnliches sozialistisches Hetzmanöver gegen die reicheren und e reichsten Klassen; die Armen gegen die Reichen, die kleineren Be= iker gegen die großen kurz: divide et impera. ö paß! herrschfühtige Minzrität sircbt dahin, die Majorltät zu een und zu theilen, und dem Hrn. Abg. Rickert, schweben . ar die verschiedensten Richtungen vor, wie bei den phonetischen huren auf einer Glasscheibe, nach denen er die jetzige Maioritãt m erschneiden zu zerlezen wünscht, was die Stützen der jetzigen srch chen Regierung erschüttern hieße 1 aber ich hoffe, daß die ee henren sich auf der anderen Seite in Folge dessen um so fester lichen werden; denn wir verlangen nur gleiche Gerechtigkeit für ö e. Wir haben noch nie so verfahren, wie Hr. Rickert; wenigstens sahnerr ich mich nicht, daß wir die reichen Kornhaͤndler ö besonderg bezeichne? und denunsirt hätten, so daß sie ga nnn erkennen kann als Diejenigen, die von dem an gie der Landwirthschaft sich mästeten, oder die reichen handler. Sie sind mir sehr gut bekannt, und ich könnte Ihnen ie Aiste vorführen der Hr. Abg. Rickert weiß sie auch —; auf ö 54 er aber nicht so mit Fingern hin ! (Zuruf links) Der Hr. j ickert hat seine Rede noch nicht vollendet. Ich würde die fie un davon gern anhören, wenn er die Güte haben wollte, lech nir zu wiederholen, ich bin überzeugt, er giebt mir noch ieren Stoff zu Widerlegungen, als er mir schon gegeben hat. jah er Derr Redner hat elne Kon zession im Nanten des Korn els gemacht; ich weiß nicht, ob er dazu Vollmacht und Ermäch—

diejenige,

tigung besitzt, und ich übersehe auch im Augenblick nicht vollständig das Resuliat davon. Er hat gesagt: Der Import ist uns ganz gleichgültig. wir gönnen der Landwirthschaft die Preise; der Transit ist die Hauptsache! Nun, ich weiß nicht, ob dem Kornhandel damit gedient wäre, wenn der Transit vollständig freigegeben würde, so daß er verschlossen von dem einen Ende zum anderen durchgehen könnte ohne Kontrole irgend welcher Art als welche nothwendig ist für die Sicherheit, daß er aus dem Lande hinausgeht! und wenn auf der anderen Seite der Import ganz verboten oder so boch besteuert würde, daß er überhaupt unmöglich wäre. Für die Landwirthschaft ist das ja fraglich; sie würde jedenfalls die 40 Millionen Zentner fremdes Korn, die den deutschen Markt überschwemmen, dadurch los werden. So ganz unschädlich für die deutsche Land⸗ wirthschaft ist der Transit aber doch nicht!

Unsere Ostseehäfen sind hauptsächlich die Exporteure Rußlands geworden. Das russische Getreide auf dem beruht der Handel, und den gönnen wir den Seestädten. Früher führten unsere Dstsee⸗ Provinzen, von ihrem eigenen Getreide mehr. aus als jetzt; jetzt können sie mit Rußland nicht mehr konkurriten. Namentlich aber ist der Transit quer durch Deutschland mit dem russischen wie mit dem österreichischen Getreide sehr nachtheilig gewesen für den Abfatz, den unsere Landwirthschaft früher nach Westen, nach Belgien, Frankreich und Holland hin hatte. Ich fürchte, das ist eine von den utopischen Anweisungen, die uns der Herr Vorredner auf die Zukunft gegeben hat, hinter der aber auch weiter nichts steckt.

Der Herr Abgeordnete hat dann angeführt, daß seit 1857 das jetzige Jahr in den Roggenpreisen erst das 17te an Wohlseilheit wäre und in den Weizenpreisen das dritte. Nun ist daran so viel richtig, daß der Weizen noch mehr Noth leidet als der Roggen und die Weizenproduzenten mehr als die Roggenproduzenten; aber der Herr Abgeordnete hat ganz dabei übersehen, daß seit 1857 fast alle anderen Punkte unserer Gewerbthãtigkeit und der fremden um das Doppelte und Dreifache im Preise gestiegen sind, namentlich alle diejenigen, deren der Land⸗ wirth bedarf, um sein Gewerbe zu betreiben; insbesondere ist auch die Arbeit, deren der Landwirth bedarf, im Preise gestiegen. Wenn es dem Hrn. Abg. Rickert seine literarischen Mittel erlauben, die üblichen Arbeitslöbne von damals und heute zu vergleichen, wenn er seine eigenen Schuhmacher und Schneiderrechnungen vielleicht nachsehen will und feststellen, was er 1857 für ein Paar Stiefel ge⸗ zahlt hat, und was er jetzt zahlt und der Landwirth chaussirt sich eben auch, dann wird er zugeben, daß nach diesem Verhalt- niß, nach dem Sinken des Geldwerths, nach dem Reicherwerden die jetzigen Preise, wenn nicht die Landwirthschaft stiefmütterlich be—⸗ handelt worden wäre, mindestens das Doppelte von denen im Jahre ö. im Durchschnitt sein müßten. Also auch diese Deduktion ist hinfällig.

. Herr Abgeordnete ist ferner auf die fable convenne wieder zurückzekommen, als wenn ich mich ganz besonders vor allen Menschen dadurch auszeichnete, daß ich alle zwei Jahre meine Ansichten diametral wechselte: ‚Das können wir Catonen von der Opposttion nicht; was wir einmal gesagt haben, das ist unumftößlich; das glauben wir bis ans jüngste Gericht, bis ans Ende, davon gehen wir nicht ab. Selbst wenn uns hundertmal nachge⸗ wiesen wird, daß es nicht wahr ist, unsere Ehre erfordert, daß wir dabei bleiben! Ein Abgeordneter kann den Luxus des einen, einzigen Gedankens erlauben, ein Minister, würde verrätherisch an seinem Lande handeln, wenn er ebenso sich der besseren Einsicht verschließen wollte. Ich bin mir darin stets gleich geblieben, daß ich immer darüber nachgedacht habe, was im Dienste meines Königh und im Dienste meines Vaterlandes augenblicklich das Nützlichste und Zweckmäßigste wäre. Das ist nicht in jedem Jahre dasselbe gewesen; es giebt eine Menge Sachen, die heutzutage sehr annehmbar sind, mit denen man aber vor 2 Jahren nicht hätte kommen dürfen, und es giebt andere, die vor 20 Jahren sehr leicht waren und nützlich, die damals versäumt wurden, und die beute kein Mensch mehr annehmen würde. Also das ist eine todte Abstraktion, wenn man sich, zufrieden mit der eigenen An⸗ erkennung, mit dem Gefühle der eigenen Unwandelbarkeit, gegen die Bedürfnisse und den Nutzen seiner Mitbürger absolut verschließt. zPereat mundus, aber ich bleibe konsequent; das ist meine innere üleberzeugung, ob mein Vaterland darüber Schaden hat oder zu Grunde geht, ist mir ganz einerlei, aber ich bin nicht wie der Kanzler ein Mensch, der alle Jahre seine Meinung wechselt.

Der Herr Abgeordnete ist ja insofern noch gütig gegen mich gewesen, als er mir auf dem Gebiete der deutschen Einheit einige Verdienste zuerkannt hat. Wenn er nebenher“ sagte, so war das ein lapsus Jinguge, will ich annehmen. Ich glaube nicht unbeschei den zu sein und bitte, mir den Ruhm zu gestatten daß ich das nie in meinem Leben gewesen bin; ich bin im Innersten meines Herzens bei allem Erfolg vor Gott und Menschen stets demüthig geblieben und habe mir denselben nicht zugeschrieben. ;

Aber gesteht der Herr Abgeordnete mir gar keinen Antheil an der Thatsache zu, daß wir jetzt seit sechs Jahren einen mäßigen Schutzzoll haben? Ich halte es für eins meiner größten Verdienste, dazu mitgewirkt zu haben; ich habe es ja nicht allein machen können, aber die Initiative kann ich mir ganz allein vindiziren. Den Dank des Herrn Abgeordneten werde ich allerdings dadurch nicht erworben haben, dazu müßte er erst zu der Erkenntniß kommen, daß seine Freihandelsüberzeugungen todtgeboren und irrthümlich sind, das wird er ja nie, so lange er lebt. Ich glaube, daß ich auf diesem Gebiete der inneren Politik das Verdienst in Anspruch nehmen kann, die Kur angeregt zu haben, durch die Deutschland vor Entkräftung, vor Anämie, vor wirthschaftlichem Untergang ge⸗ schützt worden ist. Hätten wir diese Schutzzölle vor sechs Jahren nicht eingeführt, so würden wir nicht nur den wirthschaftlichen Zusammenbruch der Landwirthschaft, wie er jetzt gekommen ist, weil die Schutzzölle unzulänglich gewesen sind, sondern zuerst den der Eisenindustrie und all der Industrieen, die wir in Schutz genommen haben, erlebt haben. Hätten wir nicht die große französische Kontribution, die Milliarden gehabt, so würde der Zu⸗ sammenbruch durch Blutleere ein paar Jahre früher gekommen sein; die Milliarden sind ein Palliativmittel gewesen, das uns noch eine Zeit lang vorwärts geholsen hat. Also dieses Verdienst möchte ich den Herrn Abgeordneten Rickert bitten, mir auch in mein Guthaben zu schreiben, wenn er wieder von mir spricht. .

Er wird nun wahrscheinlich nicht zugeben, daß unsere wirthschaft⸗ lichen Verhältnisse seit 1879 im Allgemeinen besser geworden sind, in,; dessen die Zeugnisse dafür liegen außerhalb der fortschrittlichen Partei mit einer solchen Allgemeinheit und Einstimmigkeit vor, daß ich hier auf die Zustimmung der Herren, die nun absolut einmal wollen, daß ich Unrecht gehabt haben muß, und daß von mir nichts Guteßz kommen kann, verzichten kann. Es gehen heutzutage doch im Ganzen fast alle Geschäfte ihren guten Gang, die Aibeiterzahl ist gestiegen und der Verdienst des einzelnen Arbeiters ist gestiegen, ich will Sie nicht wieder mit statistischen Nach⸗ weisungen langweilen, aber sie stehen Jedermanns Einsicht offen, und wenn einer meinen Behauptungen widerstreitet, so werde ich noch heute abermalg für eine Stunde ums Wort bitten, um Ihnen einige Seiten statistischer Zahlen darüber vorzulesen; ich glaube, Sie schenken das uns beiden. ;

Es ist ganz unzweifelhaft, daß seit 1879 Fortschritte gemacht sind, und mit am allermeisten hat trotz aller Ableugnungen des Hrn. Abg. Rickert der ö . von Danzig Fortschritte gemacht, der hat sich ganz besonders der Wohlthaten der neueren Gesetzgebung erfreut. Ich höre, der Hr. Abg. Rickert hat die von mir gegebenen Ziffern einiger⸗ maßen bemängelt. Es sind die amtlichen Ziffern, die auf den Angaben der Zollbehörden, der Hafenbehörden und der Handelskammern beruhen, die ich hier verlesen habe, und die vom Statistischen Bureau zu⸗ sarngengestellt und mir aus den amtlichen Akten gegeben sind.

Der Hr. Abg. Rickert hat bemängelt, daß das Jahr 1884 noch nicht dabei wäre: in diesem wäre der Schaden ganz besonders an den Tag gekommen. Worauf stützt sich denn der Hr. Abg. Rickert? Er ist wieder in der Lage des Hrn. Abg. Möller, etwas mit Sicher⸗

heit zu behaupten; aber ich frage: wo sind denn seine Listen, die er den meinigen gegenüber stellen könnte? Er ist doch so gut mie Danziger, er hat alles viel näher, warum bringt er es ung nicht? Während der Zeit, wo er zu uns gesprochen bat, hätte er uns bundert⸗ tausende von Jahlen bringen können. Er besitzt sie aber nicht. Taß ich das Jahr 1884 nicht habe, ist sehr natürlich. Die Zahlen des Jahres 1884 sind noch nicht einmal in denjenigen Verwaltungen abgeschlossen, welche direkt an Ort und Stelle jählen. Wie soll das Skatistische Bureau schon eine Zusammenstellung darüber haben? Das wäre ganz unmöglich, da müßte man fingiren, mit Dreistigkeit be⸗ haupten“, dann könnte ich Ihnen auch über das Jahr 1884 etwas geben gerade so wie der Hr Abg. Rickert Ihnen über das Jahr 1884 schon etwas giebt. Aber es würde weiter nichts als eine Be⸗ hauptung sein. .

Die Zahlen sind unumstößlich dieselben. Die Zufuhr ist ge⸗ stiegen von 332 000 auf 340 000 und der Export von 227 909 auf 245 000. und der Meblerport ist gestiegen von 3735 000 auf 7711990. Der Export von Kleie und Malzkeimen ist gestiegen von 1528090 auf 4423 00090. Dag sind die amtlichen Ziffern, und gegen die wird der Hr. Abg. Rickert mit keiner Behauptung und mit keiner Bestreitung, mit keiner wie ist doch der Kunst⸗ ausdruck des Hrn. Möller? mit Dreistigkeit“ ausgesprochenen Behauptung aufzukommen vermögen. .

An Sprit, habe ich auch schon angegeben, stieg die Zufuhr von 40 680 hl auf 131 8900 und von 36600 die Ausfuhr auf 131900. Also Steigen in allen Verhältnissen! ich würde in Hrn. Rickerts Stelle, wenn ich mit einer Behauptung so schlagend und amtlich und ziffermäßig abgeführt worden wäre, doch die geschickte Taktik gehabt haben, darauf nicht zurückzukommen, und würde den Reichs⸗ kanzler nicht in die Lage gesetzt haben, noch einmal in dieselbe Kerbe die Axt einzusetzen. . .

Wäre selbst seine Behauptung richtig, daß im Jahre 1884 mit einem Male alles anders geworden sei, so muß ich dagegen anführen: wenn ein ganz konstanter, regel- mäßiger Fortschritt fünf Jahre hindurch stattgefunden hat unter der Wirkung desselben Zollgesetzes, und dann mit einem Male für das Jahr 1884 wirklich die unerwiesene Behauptung des Hrn. Abg. Rickert ausnahmsweise richtig wäre, so könnte das nur die Folge ganz besonderer einmaliger Zufälle, gewissermaßen ein Extraordinarium, sein, aber niemals die Wirkung des Zolles, welcher hintereinander 5 fette Jahre gemacht hat. Wie sollte die günstige Wirkung desselben nach Verlauf von 5 Jahren plötzlich in das Gegentheil umschlagen?

Daß Herr Rickert die Zuckerkalamität auf die Zollgesetzgebung schiebt, ja, die ist überall gleich. Hat denn Danzig in Zucker besonders mehr gelitten als Magdeburg? Das wüßte ich nicht. Ebenso ist es bei der Rhederei mit den Folgen des allgemeinen Uebergangs vom Segelschiff auf Dampfschiff, auf den ich vorgestern schon aufmerksam machte —: die schiebt er auch den unschuldigen Zollgesetzen in die Schuhe. —⸗ .

Der Herr Abgeordnete hat gesagt, wir sollten doch lieber die Landwirthschaft in Nothstand erklären so, wie einzelne Provinzen, denen früher geholfen ist. Einmal möchte das eine recht schwierige Aufgabe sein für die Minorität, einer im Nothstande befindlichen Ma⸗ jorität durch extraordinaire Staatsmittel auszuhelfen, dann aber wollen wir ja gerade diesen Nothstand verhüten; ein Nothstand von 25 oder 27 Millionen Einwohnern unter 45 ist eine Kalamität, meine Herren; eine Regierung, die es dazu mit offenen Augen kommen läßt, während sie vielleicht die Möglichkeit gehabt hat zu helfen, die verdient viel Tadel; wir werden es ganz bestimmt nicht dazu kommen lassen, wir bauen zur rechten Zeit vor, .

Der Herr Abgeordnete hat ferner behauptet, in den Schiffslisten, die ich hier angeführt habe, wären auch die Schiffe in Ballast und die Nothhafen suchenden aufgeführt. Das ist aber in allen 30 Jahren der Fall, die hier vorhanden sind, das wird immer der⸗ selbe Prozentsatz gewesen sein; ich bestreite, daß die Zahl gestiegen ist. Wenn der Hr. Abg. Rickert behauptet, die Zahl der Schiffe in Ballast sei gestiegen, dann bin ich des Beweises gewärtig; aber mir einfach darin zu widersprechen oder von der Tribüne herunter zu behaupten: das ist so! dazu ist der Hr. Abg. Rickert nach den Angaben, die er uns vorher gemacht hatz und nach dem Widerspruch, in dem sie mit den amtlichen Listen stehen, für mich keine ausreichende . mehr und ich fürchte, für die Majorität des Reichstags auch nicht. . .

Der * Abg. Rickert ist über die Zustände des Handels in Danzig in großem Irrthum gewesen, er beharrt bei diesem Irrthum trotz amtlicher Widerlegung; wir müssen ihn da bei belassen und uns darüber trösten. Ich will meine Erwiderung damit schließen, daß ich die Herren nochmals bitte, nicht zu glauben, daß sie nicht sozialistisch hetzen, wenn sie den Großgrundbesitz immer als Ziel, nach dem zu schießen ist, hinstellen, sondern doch wenigstens dann den Muth ihrer Meinung zu haben und zu sagen: ja, unsere parlamentarische Taktik macht es uns wünschenswerth, Zwist zwischen den verschiedenen Klassen der Landwirthe und ihrer Arbeiter zu säen. und deshalb behaupten wir die Verschiedenheit der Interessen. (Dh! Oh! links.) Ja, wenn Sie sagen: wir thun das aus parlamen⸗ tarischer Taktik die Antwort ist mir manchmal schon recht unerwartet zu Theil geworden, wo ich überzeugte Gegner vor mir hatte, die sagten: die parlamentarische Takiik gestattet uns nicht, unserer Ueberzeugung zu folgen so würden Sie vollkommene Klar⸗ heit schaffen. Sie antworten indessen mit einer sittlichen Entrüstung, die Ihrem Herzen und Ihrem Ehrgefühl alle Ehre macht. Aber wenn Sie recht tief hineingreifen, sollten Sie nicht auch eine ver⸗ borgene Kammer in Ihrem Herzen finden, in der herzliche Freude sein würze, wenn es gelänge, einige Unruhen und einige Verstimmung herbeizuführen? und einen Bruch zwischen i den, kleinen und großen Landwirthen? Würden Sie es nicht mit Freuden begrüßen. wenn z. B. bei der Einführung des Getreidezolles auch nur in Danzig ja, wie heißen diese kräftigen Arbeiter, die Sack= träger? ich weiß es nicht wenn diese auch nur einen kleinen Lärm machen würden? Würden Sie da nicht sagen; Seht, wir haben es vorausgesagt, das Volk kann das nichtertragen, daß auf diese Weise der Blutzoll, der Brotzoll auf seine Kosten erhöht wird? Meine Herren, Sie geben durch wenn auch unartikulirte, aber immerhin verständliche Töne zu erkennen, daß Sie diesen Verdacht weit von sich weisen, aber lassen wir es doch einmal auf eine Probe ankommen, ob ich Ihnen nicht einige Blätter nachweisen kann, die, wenn auch nur verschämt, in einem solchen Falle er kann ja kommen ihre Freude darüber haben. In Ihr Inneres, in die Kammer Ihres Herzens kann ich ia nicht hineinsteigen, das überlasse ich Ihrer eigenen Ehrlichkeit; aber ich glaube auch, was ich glaube, und lasse mir von Ihnen nicht das Gegentheil beweisen.

Der Abg. Schelbert bemerkte, er würde gern für noch höhere Getreidezölle eintreten. Man sage, die Zölle vertheuerten dem armen Manne das Brod, wer sei denn eigentlich der „arme Mann“? Arm sei, wer das Nothwendige nicht habe, noch ärmer der, welcher nicht nur das Nothwendige nicht habe, sondern es auch nicht erlangen könne, z. B. keinen Kredit habe; der ärmste Mann sei der, welcher nicht einmal das Nothwendigste verdienen könne. Die Arbeitslosen liefen zu Tausenden im Lande herum, in Südbayern seien 5omal mehr ländliche als industrielle Arbeiter ohne Beschäftigung. Die Petitionen zu Gunsten der Getreidezölle aus seiner Deimath seien durchaus aus dem Volke selbst herausgewachsen, wie die aus Holstein gemacht worden seien, wisse er allerdings nicht. Das deutsche Geld gehe zu Milliarden aus dem Lande für aus⸗ ländisches Getreide, welches Deutschland nicht brauche. Man sage, daß die ungarische Gerste besser als die bayerische für die Brauerei zu verwenden sei; früher habe man mit der bayerischen recht gutes Bier gebraut, er glaube nicht, daß das Bier, seitdem man nicht mehr bayerische Gerste verarbeite, besser geworden sei. Mit dem Bauernstand, dem ersten im

Lande, würde die Industrie, ja das ganze Land zu Grunde