1885 / 89 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 16 Apr 1885 18:00:01 GMT) scan diff

Fuß ⸗Art. Regt. Nr. 1 P. N. Richter II, als außeretatsm Sec. Lt.

Fuß Art. Regt. Nr. 2 P. U. Frodien, als außeretatsm. Sec. Lt. Fuß Art, Regt. Nr. 8 Kad. Effing, als char. Port. Fähnr,. Ingenieur Corps P. U. Hertz berg 1, als außeretatsm. Sec. Lt. Berlin, den 14 April 1885. Wilhelm.

Aichtamtliches.

Preußen. Berlin, 16. April. In der gestrigen (77.) Sitzung des Reichstages begann das Haus die Be⸗ rathung über den mündlichen Bericht der VIII. Kommission über die von den Abgg. Munckel und Dr. Reichensperger einge⸗ brachten Gesetzentwürfe, betr. die Abänderung des Ge⸗ richts verfassungsgesetzes und der Strafprozeß— ordnung.

Die Kommission beantragte:

Der Reichstag wolle beschließen:

In Erwägung, ; .

daß die Ausschließung der Berufung in Straskammersachen durch die Reichs⸗Justizgesetzgebung in der Voraussetzung erfolgt ist, daß die durch eine zweite Instanz erstrebie Garantie für eine gute Rechtspflege sich als entbehrlich erweisen werde;

daß aber diese Erwartung in dem abgelaufenen Zeitraume von fünf Jahren sich nicht verwirklicht hat und dementsprechend die Wiederherstellung jener Berufung in immer weiteren Kreisen dringend gefordert wird;

daß die Reichsregierung nach den in der Sitzung vom 10 De⸗ zember 1884 abgegebenen Erklärungen bereits Einleitungen zur Herbeiführung einer dem Bedürfniß entsprechenden Gesetzesvorlage getroffen hat, das Resultat der erforderlichen Arbeiten aber um so mehr abgewartet werden muß, da ein aus der Initiative des Reichstages hervorgegangener Gesetzentwurf bei dieser Lage der Sache kaum Aussicht auf Erfolg hat; ;

geht der Reichstag über die Antraͤge Munckel und Genossen und Dr. Reichensperger und Genossen zur Tagesordnung über, spricht aber zugleich die Erwartung aus, daß die verbündeten Regierungen mit thunlichster Beschleunigung einen die betreffende Rechsmaterie ord⸗ nenden Gesetzentwurf dem Reichstage vorlegen werden

Nachdem der Referent Abg. Pfafferott die Kommissions⸗ beschlüsse dem Hause befürwortet hatte, ergriff der Staats⸗ des Reichs⸗Justizamts, Dr. von Schelling, das

ort:

Ich hatte bereits bei einer früheren Veranlassung Gelegenheit, dem hohen Hause mitzutheilen, daß der Herr Reichskanzler sich in Bezug auf die Reform des Strafprozeßrechts zwei Hauptziele vor gesetzt hat, nämlich erstens beabsichtigt er, unsern Mitbürgern, welche die Lasten des Geschworenendienstes zu tragen haben, hierin eine Er⸗ leichterung zu gewähren, und zweitens ist es sein Streben, bessere Garantien für die richtige Entscheidung der Thatfragen zu schaffen. Der Bundesrath ist mit Entwürfen befaßt, welche auf die Erreichung dieser beiden Zwecke abzielen, und seine Beschlußfassung wird voraussichtlich in der nächsten Woche zum Abschluß gelangen. Für den Gegenstand der heutigen Tagesordnung kommt nur das von mir erwähnte zweite Ziel, die Schaffung besserer Garantien für die Entscheidung der Thatfragen in Betracht, und gestatte ich mir daher auf die Zwecke, um dieses Ziel zu erreichen, noch etwas näher einzugehen. Die dem Bundesrath gemachte Vor⸗ lage hat zu diesem Behufe die Einführung der Berufung gegen Strafkammerurtheile in Vorschlag gebracht. Ob der Bundesrath dieser Anregung Folge geben wird, kann ich meinerseits nicht voraus sagen, es möchte aber die Beschlußfassung des Bundesraths über diesen Punkt kaum für den weiteren Fortgang der Vorlage von entscheidender Bedeutung sein; denn es sind außer⸗ dem eine Reihe anderer Verbesserungen unseres Strafprozeß⸗ rechts in Vorschlag gebracht, welche auf die Zustimmung des Bundesraths wenigstens in der Hauptsache rechnen können und welche aus dem Schoße des Bundesraths noch durch sehr beachtenswerthe 6 . ergänzt worden sind. Ich nehme daher an, daß der betreffende Entwurf jedenfalls, sei es mit oder ohne Be⸗ rufung, an den Reichstag gelangen wird. Welche Folgerungen das hohe Haus aus diesen Mittheilungen für die heutige Verhandlung zu ziehen sich veranlaßt sehen möchte, muß ich natürlich dem Ermessen desselben lediglich anheimstellen.

Der Abg. Dr. Reichensperger (Olpe) beantragte mit Rück⸗ sicht darauf, daß die Regierung dem im Kommissionsantrage geäußerten Wunsche nach der Erklärung des Staatssekretärs bereits nachgekommen sei, Uebergang zur einfachen Tages⸗ ordnung. ;

Diesem Antrage schloß sich das Haus an.

Der Antrag Pr. Porsch auf Abänderung des 5§. 370 der Strafprozeßordnung wurde von demselben im Hinblick auf die Erklärung des Staatssekretärs zurückgezogen.

Hierauf berichtete der Abg. von Goldfus als Referent über eine bereits vom Bundesrath abgelehnte und jetzt an den Reichstag gerichtete Petition eines Kaufmanns Graepel in Emden, der ein großes Quantum Rindertalg mit 8 06 statt mit 2 M6 für 100 kg hat verzollen müssen, weil der Talg bei 14415 Grad Röaumur schmalzartige Konsistenz ge—⸗ zeigt habe. Mit Rücksicht auf die Subtilität dieser Prüfung, bei der es sich um die Identität der Probe mit der zu ver⸗ zollenden Waare handele und auf die Thatsache, daß auch die Steuerbehörde bei der Tarifirung nicht gegen jeden Irrthum geschützt sei, wurde die Petition dem Reichskanzler zur noch⸗ maligen Erwägung überwiesen.

Es folgte die zweite Berathung des vom Abg. Lenzmann eingebrachten, von demselben zurückgezogenen und vom Abg. Kayser in veränderter Fassung wieder aufgenommenen Entwurfs, betr., die Entschädigung für verurtheilte und im Wieder aufnahmeverfahren freigesprochene Per⸗ sonen. Nach dem Vorschlag des Abg. Kayser sollen diese Personen auch für die durch Untersuchungshaft, Geschäfts—⸗ störung, Vertheidigungskosten 2c. erlittenen Uebel gebührend entschädigt werden.

Der Abg. Kayser befürwortete seinen Antrag. Er brauche nicht von Neuem im Einzelnen darauf zu verweisen, welche ungeheuere Menge von Elend durch die Verurtheilung Un⸗ schuldiger geschaffen werde. Daß aber solche Verurtheil ungen häufig vorgekommen seien, stehe fest und sei erst eben durch den Staatssekretär Dr. von Schelling selbst zugegeben worden, der bessere Garantien für die richtige Entscheidung der Thatfrage für nöthig erkannt habe. Er müsse durchaus darauf dringen, daß die Frage der Entschädigung unschuldig Verurtheilter, eine Frage, die schon seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts zur Erörterung stehe, endlich befriedigend gelöst werde. Er mache auch darauf aufmerksam, daß man die unschuldig Verurtheilten, wenn man sie nicht entschädige, zu erbitterten Feinden der Staats⸗ und Gesellschaftsordnung mache und sie geradezu auf den Weg des Verbrechens dränge. Viele Kantone der Schn hätten bereits ein seinem Antrage entsprechendes Gesetz, in was die kleine Schweiz könne, müsse das große Deutsche Reich auch können; namentlich dürfe die Finanzfrage hier, wo es sich um Ersullung einer heiligen Pflicht der Gerechtigkeit handele, nicht ins Gewicht fallen. Er bitte daher, seinem An⸗ trage zuzustimmen.

Der Abg. Klemm erklärte, er halte es nicht für förder⸗ lich, im Plenum in die Details dieser Materie einzutreten, und bitte, den Antrag der Kommission, welche mit dem Ge⸗ richtsverfassungegesetz befaßt sei, zu überweisen.

Der Abg. Kayser bemerkte, er konstatire vor dem Lande, daß seiner Zeit bei der ersten Berathung des Antrages eine Kommissionsberathung abgelehnt worden sei. Bei der Lage der Geschäfte sei es jetzt kaum möglich, daß der Antrag, wenn derselbe heute an die Kommission gehe, überhaupt zur Erledigung komme. Er bitte deshalb, heute in der Sache zu entscheiden. Die Schwierigkeit der Materie sei kein ausreichender Grund dagegen. Denn wenn der Entwurf noch so vollkommen aus der Kommission hervor⸗ gehe, so werde doch der Bundesrath auch in dieser Form denselben nicht acceptiren, sondern die Reichsregierung werde auch dann einen eigenen Entwurf vorlegen. Verweisung des Antrages an die Kommission heiße Ablehnung.

Der Abg. Klemm verwahrte sich gegen die Unterstellung, als ob er kein Interesse an dem Zustandekommen des Gesetzes habe; es sei nur nicht möglich, im Plenum auf das Einzelne des Entwurfs einzugehen. ie.

Der Abg. Frhr. von Buol erklärte, seine politischen Freunde und er ständen dem Antrag Kayser durchaus nicht unsympathisch gegenüber; aber aus dem von dem Abg. Klemm angeführten Grunde halte auch seine Partei eine Verweisung an die Kommission für vollkommen gerechtfertigt. .

Der Abg. Pfafferott bemerkte, er sei der Meinung, daß, wenn das Haus jetzt in der Berathung des Entwurfs fortfahre, derselbe zu Fall kommen würde. Dann liege die Sache ungünstiger, als wenn eine Kommissionsberathung statifinde. Dieselbe liege also auch im Interesse der Freunde der Vorlage.

Der Abg Kayser erklärte, er glaube allerdings gleichfalls, daß, wie die Dinge lägen, der Antrag nicht Annahme finden werde. Er würde sich mit einer Kommissionsberathung ein— verstanden erklären, wenn eine neue Kommission von 21 Mit⸗ gliedern damit betraut würde. .

Der Abg. Hoffmann bemerkte, die deutsch⸗freisinnige Partei habe seiner Zeit für die Kommission gestimmt und sei der Meinung, daß das Haus auch heute die Kommission acceptiren müsse. Es sei bedauerlich, daß damals keine Kom— missionsberathung beliebt worden sei, aber eine Erledigung im Plenum sei nicht möglich. Daß seine Partei materiell für den Antrag sei, das könne keinem Zweifel unterliegen.

Die Diskussion wurde geschlossen und der Antrag einer Kommission von 21 Mitgliedern überwiesen, ; .

Der Bericht der Petitionskommission über eine Petition wegen Vermehrung der Zahl der Reichstagsabgeordneten wurde auf Wunsch des Abg. Viereck von der Tagesordnung abgesetzt, ebenso der Kommissionsbericht über den Antrag Liebknecht, betr. die strafrechtliche Verfolgung von Polizei⸗ beamten.

Die Gemeinde Klein⸗Gandau bittet darum, daß der Reichsfiskus angehalten werde, seinen kontraktlich übernommenen Verpflichtungen nachzukommen, zu den Gemeindeabgaben nach Maßgabe seines Grundbesitzes in der Gemeinde beizutragen. Die Kommission beantragte den Uebergang zur Tagesordnung.

Der Abg. Dr. von Heydebrand und der Lasa trug noch einmal den Sachverhalt vor. Eine kleine Gemeinde erkläre sich bereit ein Grundstück an den Militärfiskus zu verkaufen, aber unter der Bedingung, daß derselbe die Kommunal⸗ lasten mit übernehme, welche antheilsweise auf, dieses Grundstück gefallen seien. Die Forderung sei berechtigt, weil die Gemeinde sonst nicht prästationsfähig geblieben wäre. Auch der Militärfiskus erkenne die Berechtigung der For⸗ derung an und habe ruhig bis 1880 die Lasten getragen, die auf dem Grundstück geruht hätten. Ein Versuch, den der Militärfiskus im Jahre 1874 bei Einführung der Kreis⸗ ordnung in Schlesien gemacht habe, eine anderweitige Rege⸗ lung dieser Angelegenheiten herbeizuführen, sei von der Ver⸗ waltungsbehörde abgewiesen. Im Jahre 1881 aber habe der Ober⸗Rechnungshof entdeckt, daß der von dem Militärfiskus mit der Gemeinde abgeschlossene Vertrag im Widerspruch mit der Kabinetsordre gestanden habe, die bestimme, daß der Fiskus für alle nicht bebauten Grundstücke von Gemeindelasten befreit sei. Der Militärfiskus sei hierauf von der Zahlung der Kommunallasten befreit worden. Derselbe habe sich indessen nicht damit allein zufrieden gegeben, sondern habe auch noch gefordert, daß die 15 Jahre lang von ihm getragenen Steuern wieder von der Gemeinde herausgezahlt werden sollten. Die Gemeinde habe zwar den Rechtsweg betreten, indessen ohne Erfolg; sie sei von den Gerichten und den Verwaltungs—⸗ behörden in allen Instanzen abgewiesen worden. Er enthalte sich selbstverständlich jeder Kritik dieser Entscheidungen. Er wolle auch nicht daran erinnern, daß der Vertragabschließer regreß⸗ pflichtig gemacht werden könne. Er stelle sich einfach auf den Standpunkt, daß die Gemeinde pro futuro die Abgaben zu tragen haben werde. Er bitte, in diesem Falle der Gemeinde, wenn auch nicht im etatsmäßigen, so doch im Gnadenwege eine Entschädigung zuzubilligen, um das gute Verhältniß . Gemeinde und Militärverwaltung aufrecht zu er⸗ alten.

Der Abg. Struckmann bemerkte, auch die Petitions⸗ kommission sei der Ansicht gewesen, daß hier ein Vorfall vor—⸗ liege, der eine Aenderung der bestehenden Gesetzgebung nahe lege. Aber der bestehenden Gesetzgebhung gegenüber habe nicht anders beschlossen werden können, als das geschehen sei. Es liege hier nicht ein Vertrag des Fiskus mit der Gemeinde, sondern mit einzelnen Gemeindemitgliedern vor, die bei dem Verkauf ihrer Grundstücke an den Fiskus demselben auferlegt hätten, daß der Fiskus die auf den Grundstücken ruhenden Lasten tragen solle. Daraus könne die Gemeinde doch un⸗ möglich Rechte für sich herleiten, und sie habe sich auch auf die mit den einzelnen Gemeindemitgliedern abgeschlossenen Verträge nicht berufen können. Er gebe zu, daß es eine Härte sei, wenn der Fiskus Steuern, die derselbe Jahre lang ruhig gezahlt habe, nunmehr wieder herausfordere. Aber die Petitions⸗ kommission habe immer den Grundsatz befolgt, daß sie nicht berufen sei, Gnadengesuche in Anregung zu bringen, wenn ein rechtlicher Anspruch nicht vorhanden gewesen sei und auch eine Rechtsverweigerung nicht vorgelegen habe.

Bei dem Ungewöhnlichen des Vorfalls habe die Kommis⸗

sion indessen erachtet, die Petition nicht einfach als ungeeignet

,,, sondern sie habe dieselbe dem Hause mit allen ebenumständen hier vorgetragen, damit man sehe, in welchem Geiste die Angelegenheit in der Kommisfsion behandelt sei. Auch die Regierung könne so am besten absehen, was sie aus eigener Initiative im Sinne des Reichstages thun könne. Er glaube, daß die ganze Frage einer neuen gesetzlichen Regelung bedürftig sei.

Der Abg. Lipke wies darauf hin, daß rechtskräftige Er⸗ . vorgelegen hätten, welche die Gemeinde abgewiesen ätten. ! Der Abg. Dr. von Heydebrand und der Lasa betonte, daß der Fiskus gleichwohl seinen kontraktlichen Verpflichtun⸗ gen nachkommen müsse, und beantragte Ueberweisung der Petition an den Reichskanzler zur nochmaligen Erwägung.

Der Antrag von Heydebrand wurde angenommen.

Hierauf vertagte sich das Haus um 31 Uhr auf Don⸗ nerstag 1 Uhr.

Im weiteren Verlauf der gestrigen (52) Sitzung des Hauses der Abgeordneten bemerkte bei fortgesetzter zweiter Berathung des Gesetzentwurfs, be— treffend die Pensionirung der Volksschullehrer, der Abg. Dr. Windthorst, die zahlreichen Anträge, über die

das Haus jetzt zu berathen habe, rechtfertigten seine schon

estern ausgesprochene Ansicht, daß nach den Erklärungen des

Finanz⸗Ministers eine nochmalige Kommissionsberathung an— gezeigt gewesen wäre. Sein Antrag habe zunächst den Zweck, festzustellen, wie dieses Gesetz sich zu den Verpflich— tungen der Gutsherren und Patrone verhalte. Die Mittheilungen des Abg. von Zedlitz in dieser Rich⸗ tung befriedigten ihn nicht; die hervorgehobene Ungleichheit könne doch nicht in Betracht kommen, wenn es sich um ein provisorisches Nothgesetz handele wohl aber sollte man nicht um eines provisorischen, eines Nothgesetzes willen bestehende Verpflichtungen einfach aufheben und sogar eine Verfassungs— änderung leichthin beschließen. Er müsse also vor Allem auch darauf bestehen, zu erfahren, wie die Regierung über seinen Antrag denke.

Hierauf Goßler:

Meine Herren! Wenn ich im gegenwärtigen Stadium der Diskussion das Wort ergreife, so will ich zunächst meinen Bemer⸗ kungen die Aeußerung voranschicken, daß die Erklärungen, welche gestern yom Regierungstische abgegeben worden sind, sowohl in An— sehung der Quotisirung, als in Ansehung der Höhe der fixirten Be—⸗ träge als fest bestimmte und auch heute nicht zurückzuziehende ange— sehen werden müssen. Dies vorausgeschickt, bestimmen mich das Wort zu nehmen, überwiegend diejenigen neuen Gesichtspunkte, welche durch die Hrrn. von Zedliß und Dr. Windthorst in die Diskussion hineingetragen worden sind., namentlich im Anschluß an das Amendement des Hrn. Abg. Dr. Windthorst. Ich möchte bei diesem zunächst einsetzen, obgleich ich nicht alle Ausführungen des Vorredners vernommen habe; aber ich glaube, die Bedeutung des Antrages ist an sich soweit klar, daß ich ihn auch unter diesen Umständen zum Gegenstand einer Erörterung und, wie ich hoffe, einer Widerlegung machen kann. Ich will garnicht in Zweifel setzen. daß der Hr. Abg. Windthorst mit seinem Antrage unter Nr. 179 der Drucksachen das Prinzip der Gerechtigkeit, das Prinzip der Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit hat zur Anerkennung bringen wollen. Aber, meine Herren, der gule Wille ist nicht immer von den entsprechenden Erfolgen begleitet, und so glaube ich auch Ihnen die Ueberzeugung verschaffen zu können, daß bei Annahme dieses Amendements die Schulverwaltung, gerecht zu regieren und, ohne begründete Beschwerden hervorzurufen, angemessen zu verwalten, nicht in der Möglichkeit sich befindet. Die Worte: soweit eine gutsherrliche oder patronatsrechtliche Verpflichtung zur Zahlung der—⸗ selben nicht besteht! würden dann klar sein, oder richtiger: etwas klarer sein, wenn nur von vorn herein de jure oder de facto irgend eine Sicherheit darüber bestände, was hier unter gutsherrliche oder patronatsrechtliche Verpflichtung zu verstehen wäre. Durch die neuere Gesetzgebung, namentlich durch die Kreisordnung, ist bekanntlich die Frage, ob und inwieweit eine Gutsherrlichkeit noch besteht, voll⸗ ständig ins Unklare gestellt worden. Die Herren, welche die Dis⸗ kussionen dieses Hauses verfolgt haben, werden sich entsinnen, daß kaum eine Bestimmung auf dem Geblet des Unterrichtswesens in neuerer Zeit mehr zum Gegenstand von Angriffen gemacht worden ist, als der oft genannte 5. 33 Il, 12 des A. L. R., indem der schlichte Menschenverstand es nicht versteht, daß, wenn die Guts— herrlichkeit im Prinzip durch die Kreisordnung vom Jahre 1872 auf- gehoben worden ist, doch eine Reihe von Wirkungen übrig bleiben sollen, welche auf dem Gebiet der Gutsherrlichkeit ihren Ursprung haben.

Und, meine Herren, wie Hr. von Zedlitz schon meines Erachtens richtig hervorgehoben hat, so ist nicht allein das große Gebiet des Allge⸗ meinen Landrechts durch das Amendement in Milleidenschaft gezogen und einer neuen Ungewißheit preisgegeben, sondern auch in den Pro— vinzen Ost⸗ und Westpreußen, wo die Schulordnung vom 11 Dezember 1845 gilt, vor Allen auch seit der in neuerer Zeit zur Gel⸗ tung gelangten Rechtsauffassung in, Schlesien würden unklare Verbälknisse geschaffen werden. Wir wissen heute nicht mit Sicherheit, ob gewisse Verpflichtungen gutsherrlichen und patronatischen Charakters sind; wir wissen noch weniger, welche 6 sich aus derartigen Verpflichtungen ergeben bei der

eranziehung der größeren Grundbesitzer. In Schlesien liegt, wie Pr. von Zedlitz richtig schon angedeutet hat, die Sache gegenwärtig so, daß im Gebiet des katholischen Schulreglements wir einen ziem— lich festen Boden noch unter den Füßen haben, aber für die evange— lischen Schulen ist das Fundament sehr locker geworden, einmal weil der bekannte Landtagsabschied, welcher das katholische Schulreglement auf die evangelischen Schulen mit . Modifikationen für an⸗ wendbar erklärte, als nicht zu Recht bestehend von dem Ober⸗Verwal⸗ tungsgericht hingestellt worden ist ;

Sodann ist in neuerer Zeit auch die Ansicht, daß mit der Be— seitigung des Landtagsabschledes als Rechtsnorm das Allgemeine Landrecht nunmehr das maßgebende Recht wäre, durch den Außspruch erschüttert worden, es könnten in den einzelnen Schulen, sei es auf lokaler Verfassung, sei es auf lokalen Gewohnheiten tausend Verhält⸗ nisse vorliegen, welche deren Beurtheilung nach dem kathollschen Schulreglement als gerechtfertigt erscheinen lassen könnten oder müßten

Meine Herren, alle diese Unterscheidungen führen unmittelbar dazu, das Verhältniß zwischen den Gutsbesitzern, Gutsherren, Pa— tronen einerseits und ven Schulgemeinden andererseits ins Unklare zu stellen. Aber es handelt sich Hier nicht nur um das Verhältniß der Patrone, der Gutsherren zu den Gemeinden, sondern auch um das mindestens ebenso schwierige Verhältniß des Gutsherrn zu den Unterthanen des Gutsbesitzers zu seinen Hintersassen, zu seinen Dienst⸗ leuten. 5. 33 II. 12 des Allgemeinen Landrechts greift bier Platz. Ich will diese Bestimmung einmal vorlesen, und auch die Nicht. juristen werden mir zugeben, dat es nach den heutigen rechtlichen und thatsächlichen Verhältniffen sehr schwer ist, sich die Kriterien dieser . . Standpunkt der Schulverwaltung aus klar zu machen.

. autet:

Gutsherrschaften auf dem Lande find verpflichtet, ihre Unter— thanen, welche zur Aufbringung ihres schuldigen Beitrages ganz oder zum Theil auf eine Zeit lang unvermögend sind, dabei nach Noth durft zu unterstützen. 2

Meine Herren! des Wort ist eine Schlinge für die Schi, verwaltung, und die Schulverwaltung mag an der Hand dieser Be⸗ stimmung entscheiden, wie sie will, fie wird niemals bei ihren Aenderungen ein Entgegenkommen finden bei den Betroffenen, niemals der uffasfung, begegnen, daß sie gerecht und billig entschieden habe. Auf dem Gebiete der preußischen Sch ulordin von 1845 mögen wir ja etwas mehr Gewißheit haben, indem sen des sehr schwierigen Wortes ‚Unterthanen“ andere, klarere en gebraucht sind, wie gin rig er Anwohner n. s. w. Aber der west un

ostpreußische Gutsbesitzer, dem eine ähnliche subsidiäre n,,

erwiderte der Staats ⸗Minister Dr. von

seinen Hintersassen gegenüber obliegt, wie dem landrechtlichen,

durch besonders schwer betroffen, daß er außer dieser subsidiären Ver= vslichtung auch noch in demselben Maße, wie jede andere Ortschaft, wie eine andere Gemeinde die Lasten des Schulbentrks als Reprä= sentant des selbstäündigen Gutsbezirks zu tragen hat. Durch tine Ausschließung von den Wohlthaten des Gesetzentwurfs würde der preußische Guteébesitzer daher ganz besonders benachtheiligt sein.

Gehen wir zur praktischen Ausführung des Amendements über. Wie Dll die Schulveiwaltung die Vertheilung der Emeritirungsbeiträge anfehen? Die Sache wäre verhältnißmäßig einfach, wenn der Schul besirk mit einem selbständigen Gutsbezirk zusammenfiele.

Aber nur anz ausnahmẽsweise tritt dieser Fall ein, wir haben überwiegend zu e mengesehte Schulbezirke, welche bestehen aus einem Gute und iner Gemeinde oder aus mehreren Gütern und mehreren Gemeinden, ost in ganz eigenthümlicher Vermischung; ja in Preußen finden sich Echulbezirke mit 7, 10 und auch mehr Orischaften, welche alle kommu⸗ nale Einheiten bilden. Wenn nun in einem zusammengesetzten Schulbezirk ein Emeritirungsfall eintritt, dann mußte die Regierung im landrechtlichen Gebiet die Rechnung so anlegen, daß sie nach i der Pension die direkten Staatssteuern, welche die Leistungsfähigkeit im Sinne des Allgemeinen Landrechts ausdrücken, prüft und darnach die Antheile der einzelnen Haus— päter an der Pension festsetzt. Sofern diese Hausväter Personen nd, welche nicht zu den Unterthanen eines Gutsherrn im Sinne des een . Landrechts gehören, übernimmt der Staat diese Antheile, —insoweit als die Pension nicht 600 M übersteigt. Sind aber die Hausvãter als Unterthanen eines Guts herrn anzusehen, dann hat die Regierung festzusetzen, in wie weit diese Unterthanen zur Aufbringung ihrer Antheile im Stande sind oder nicht. Sind sie hierzu nicht im Stande, dann übernimmt die Regierung ihre Antheile, insoweit die Pension sich innerhalb der 609 Mark Grenze hält. Sind sie hierzu nicht im Stande, so tritt Lie Subsidiarverpflichtung des Guts—⸗ herrn ein und die Regierung verlangt von diesem die Tragung des Außfalls. Dies enthält unter Umständen eine neue Belastung des Gutsherrn, weil die Pension nicht mehr aus der Stelle entnommen werden soll. Das giebt doch unmögliche Zustände.

Für die Beurtheilung der Leistungsfähigkeit der sog. Unterthanen hat sich selbstoerständlich in den einzelnen Provinzen und Bezirken eine gewisse Praxis gebildet. Aber sie ändert sich nicht allein nach dem Ort, sondern auch nach der Zeit. Wir haben Zeiten, in denen wir einen Tagelöhner mit 100 seiner Staatssteuer nicht mehr heranziehen können zur Schulsteuer, sondern seinen Beitrag niedriger normiren müssen Was die Regierung aber dem Tagelöhner, dem Hintersassen, dem Unterthanen absetzt, das muß sie dem Gutsherrn zusetzen. Sie bringen allo, wenn Sie den Ge⸗ danken des Hrn. Abg. Windthorst zu dem Ihrigen machen wollten, von Neuem eine sehr große Unsicherheit in ein Verhältniß hinein, welches meines Erachtens grade heute mit einer gewissen Pfleglichkeit und Sorgfalt behandelt werden muß. Aber nicht genug damit, meine Herren, die Schulverwaltung ist in der sehr unerwünsch⸗ ten Lage, der landläufigen Auffassung, als ob „Gutsbesitzer“ und „leistungsfähiger Mann“ identische Begriffe seien, entgegentreten u müssen. Wiederholt ist, sehr zur Erschwerniß der Schulver⸗ waltung, die Regierung genöthigt, Gutsherren selbst zur Erfüllung ihrer subsidiären Leistungspflicht Unterstützung gewähren zu müssen. Rechtlichen Anspruch darauf mögen sie eigentlich nicht haben; es wird solches allerdings zum Theil aus der Fassung des Allgemeinen Landrechts in der vorgelesenen Stelle gefolgert. Es treten beispielsweise Gutsberren auf, welche sagen: wenn meine Hintersassen eine Zeit lang“ unvermögend sind, dann bin ich zwar verpflichtet, ihren Antheil subsidiär zu Übernehmen; wenn sie aber dauernd unvermögend sind, dann nicht mehr. Fragt dann die Schulverwaltung: wer soll aber bei dauerndem Unvermögen der Hintersassen die Schule unterhalten? Dann erwidert der Guts— herr: Das ist nicht meine Sache, das ist Sache der Regierung. Aller⸗ dings hat diese Auffassung weder in der Rechtsprechung, noch in der Verwaltung Anerkennung gefunden, aber auch im Geltungebereiche des §. 33 Art. II 12 mehren sich die Anlässe, aus denen die Regierungen auf die bescheidenen Mittel des Kapitel 121 Tit. 27 des Staatshaushalts Etats zurückgreifen müssen, um bankerott ewordene und leistungsunfähige Gutsbesitzer in Ansehung ihrer sub— er e. Verpflichtung zu unterstützen. Das ist sicherlich ein sehr un errünschter Zustand, und wenn Sie die Petitionen, die hier schon vielfach verhandelt worden sind, noch in Erinnerung haben, so werden Sie mir zugeben, daß keine Materie in neuerer Zeit so zu Ungunsten der Schulverwaltungsbehörden ausgebeutet worden ist, als gerade diese, und darum kann ich nur wiederholen: Schaffen Sie klare Verhältnisse!

Diese Betrachtungen führen mich wleder zu einer Materie, be— züglich deren der Hr. Abg. Windthorst, wenn ich recht verstanden habe, meine gestrigen Ausführungen bemängelt hat, das ist die Feststellung der Bedürfnißfrage. Im Großen und Ganzen steht die Sache doch so, daß auf dem Ge— biet der Unterhaltung der öffentlichen Schulen es kaum noch irgend einen vꝛrpflichteten Verband giebt, der mit einer Leichtigkeit die Schullast aufbringt, das Beduͤrfniß steigert sich naturgemäß durch Vermehrung und Verschiebung der Bevölkerung, es ist von heute gegen die Zeit vor 19 Jahren, wie ich schon oft ausgeführt habe, ein relativ noch stärkeres geworden. Denn es stehen der Schul⸗ verwaltung heute sehr viel weniger Mittel zur Verfügung, als früher; es ist ein Unterschied von 8 bis Fo im Verhältniß gegen den Zustand vor 10 Jahren. Es handelt sich zur Zeit nicht mehr für die Regierung darum, da einzutreten, wo Bedürfnisse zur Unterstützung der Gemeinden überhaupt vor⸗ liegen, sondern da einzutreten, wo das Bedürfniß am größten ist, da wegzunehmen, wo das Bedürfniß weniger brennend ist, da hin⸗ zugeben, wo der Druck am schwersten empfunden wird. Grade diese Abmessung des Bedürfnisses, dieses fortwährende Abwägen bei unzu— reichenden Mitteln ist ia das, was heute so leicht zu Verstimmungen auf dem Gebiet der Schulverwaltung führt. Denn, wenn Sie in zie Praxis blicken, werden Sie es wohl richtig würdigen, wenn einer Gemeinde, welche Jahre lang einen Zuschuß erhalten hat und in ihren Verhältaissen nicht vorwärts gekommen ist, heute der Zuschuß ent— zogen wird zu Gunsten von Gemeinden, welche noch mehr unter der Aufbringung der Schullasten zu tragen haben? Die Betheiligten fehen in solchen Akten nicht die Folgen der ausgleichenden Gerechtigkeit im Verhältniß der Gemeinden zu einander, fondern nur dat Ünrecht, welches der früher unterstützten Gemeinde zugefügt ist.

Meine Herren! Dieses Thema ließe sich bis ins Ungemessene sottsetzen, ich glaube aber, Ihnen die Ueberzeugung verschafft zu haben, daß es wirklich eine öffentliche Pflicht ift, in den gegenwärtigen schwierigen Zeiten die Schulverwaltungsbehörden nicht mit der Löfung von Fragen zu belasten, welche sie nicht mehr lösen können, ohne Un— zjuftiedenheit in der Bevölkerung zu erregen. Ich habe Ihnen gestern ausgeführt, daß für die Schulderwaltung nichts peinlicher ist, als die schulfiskalischen Intereffen wahrnehmen zu müssen. Wenn Sie aber den Antrag Windthorst annehmen und dies habe ich ergänzend anzuführen so würde die Folge sein, daß die Regierung mit mehr oder minderem Recht ich dem Vorwurf aussetzt, sie bemesse nur deshalb die Leistungs— fähigkeit der Unterthanen' so niedrig und greife auf die Gutsherren nur deshalb in so scharfer Weise zurück, um den fiskalischen Säckel zu entlasten. Das würde nun der Ausgangspunkt zu einer schmerz— lichen Fülle von Vorwürfen sein und schon im Interesse Ihrer Unter richtskomm ission g nn Sie dafür sorgen, daß diese Art von Beschwerden endlich, foweit als möglich, aus der Welt geschafft werde.

Ich. möchte mich noch zu einer Bemerkung des Hrn. Abg. von Zedlitz wenden, indem er meines Erachtens nicht ganz mit Ünrecht darauf hinwies, daß durch die Bestimmung, das Stelleneinkommen dürfe Seitens der Schul⸗ gemeinde nicht mehr zur Aufbringung der Peasionsbeträge benutzt werden, die Schulgemeinde unter Umständen in eine etwas schwierige age kommen kann. Meine Herren! Das ist in thesi allerdings möglich. Was die Gegenwart betrifft, so ist die Gefahr einer hohen Belaflung der Gemeinden eine sehr geringe, soweit es sich um bereits rkgnden Emeriten handelt; denn in den e,, n. Fällen läßt te Verpflichtung der Staats kasse, die Pensionen bis zu 600 A zu

übernehmen, für die Gemeinden nichts übrig, und die Folge des Ge= setzes wird sein, daß fast alle gegenwärtig beftehenden Emeritirungs- quanten auf die Staats kasse übernommen werden, mit Ausschluß verbaltnißmäßig weniger Beträge, welche größere Stärte und wohl- habende Gemeinden betreffen. Künftig wäre es möglich, daß, wenn ein Emeritirungsfall eintritt, die Gemeinden in die Lage kommen, aus ihrem Säckel einen höheren Beitrag zu gewähren, als bisher. Denn es ist denkbar, daß bei einem sehr hohen Stellen einkommen der Beitrag der Gemeinde bisher ein geringerer gewesen ist, als er künftig trotz des fiskalischen Beitrags von 600 M sein wird. Aber, meine Herren, die Zahl; derjenigen Gemeinden, welche gegen⸗ wärtig höhere Lehrereinkommen gewähren, als ian den Normalsätzen für die einzelnen Regierungsbezirke, festgesetzt worden, ist, soweit unsere Nachrichten reichen, eiae außer⸗ ordentlich geringe, und ich bitte dringend, die Gefahr nach der Rich⸗ tung hin nicht zu überschätzen. ; .

Aber es liegt auch noch die Möglichkeit vor, diese Gefahr zu be—⸗ seitigen. Sind Lehrerstellen in der That besser dotirt, als nach der gewissenhaften Ueberzeugung der Schulaufsichtsbehörden es noth— wendig ist, so liegt es auch sehr nahe, wie wir es auf dem Gebiete der geistlichen Verwaltung vielfach gethan haben, bei einer Neubesetzung solcher Stellen ein gewisses billig zu bemessendes Quantum zurück- zubehalten und aus diesem Quantum einen Emeritirungsfonds zu Gunsten der Gemeinden zu bilden.

Aber wenn Hr. von Zedlitz glaubt, die Gefahr der Mehrbelastung der Gemeinden sei groß, so ist es auch möglich, daß Sie noch eine Bestimmung in den Gesetzentwurf einfügen zu Gunsten der Gemeinden, wonach den Gemeinden gestattet sein soll, unter gewissen Voraussetzungen den Ueberschuß des Stelleneinkommens zu benutzen, um ihre Emerititungs⸗ beiträge zu zahlen. Wenn Hr. von Zedlitz weiter eine Resolution in Aussicht gestellt hat, so müßen wir ihre Einbringung abwarten. Richtig hat Hr. von Zedlitz in dieser Beziehung allerdings deduzirt, daß ein Fonds für Unterstützungen von Gemeinden bei Auf— bringung von Lehrerpensionen im gegenwärtigen Etat nicht vorhanden ist; ich glaube aber, die beiden Auswege, die ich Ihnen vorgeführt habe, werden wohl geeignet sein, den Eindruck, welchen seine Worte vielleicht auf einen Theil dieses hohen Hauses gemacht haben, abzuschwächen.

Indem ich schließe, geschieht es mit der Bitte, jedenfalls den Antrag Windthorst abzulehnen. ; 1

Der Abg. Richter entgegnete, die Belassung der Ver— pflichtung der Gutsherren und Patrone hehandele einen Ge⸗ danken für sich, den er jedenfalls auch gesondert zur Ab—⸗ stimmung gebracht wissen wolle. Die Frage verdiene eine sehr eingehende Eiörterung; man habe doch mit diesem Gesetz die Lehrer und kleinen Kommunen, nicht die Gutsbesitzer entlasten wollen. Der „arme“ Gutsbesitzer scheine ihm doch kein ge⸗ nügendes Argument gegen seine bisherigen Ver— pflichtungen. Die Sache sei so wichtig, daß eine überstürzte Abstimmung namentlich bei der Fülle der Anträge sehr vom Uebel sein könnte. Der aller⸗ schlechteste Antrag sei der, 750 6 Höchstbetrag festzusetzen; das heiße einfach, im Osten bezahle der Staat die Pensionen. Er begreife in der That immer weniger, warum man sich nicht einfach für die Quotisirung, die auch die Regierung prinzipiell für das Richtige halte, entscheide. Auch die Unter⸗ richtskommission habe ihren entgegenstehenden Vorschlag nur mit einer Stimme Mehrheit gefaßt. Wer nicht die Verstaat⸗ lichung der Schule anbahnen wolle, müsse, wie er schon gestern ausgeführt habe, für den Antrag Beisert stimmen, den auch die Regierung durchaus nicht für unannehmbar erklärt habe.

Der Abg. Dr. Freiherr von Schorlemer⸗-Alst beantragte, den §. 9b sammt allen dazu gestellten Anträgen an die Kom⸗ mission zurück zu verweisen,

Der Staats⸗-Minister von Scholz bemerkte:

Unter der Voraussetzung würde ich darauf Werth legen, jetzt das Wort zu ergreifen daß über den Antrag des Hrn. Abg. von Schorlemer nicht sogleich Beschluß gefaßt werden müßte. Denn würde es dem hohen Hause gefallen, nach dem Antrag des Hrn. von Schorlemer, die Sache jetzt la die Kommission zurück zu verweisen, so würde ich jetzt hier nicht den Anlaß haben zu sprechen. Aber ich rehme an, daß nach der Auffassung des Herrn Präsidenten die Ab stimmung vielleicht erst später erfolgen soll.

Der Vize⸗Präsident Dr. Frhr. von Heereman entgegnete, daß es nicht möglich sei, über diesen Antrag sofort die Ab— stimmung herbeizuführen. Der Antrag werde mit den übrigen Anträgen, sobald die Diskussion geschlossen sei, und zwar zu— erst zur Abstimmung. kommen.

Hierauf fuhr der Minister fort:

Dann bitte ich, mir noch einen Augenblick Gehör zu schenken in Beziebung auf das, was der Hr. Abg. Richter soeben ausgeführt hat.

Meine Herren! Ich glaube, der Herr KuliusMinister hat nicht die Absicht gehabt, gegenüber dem Antrage Windthorst erschöpfend alle Bedenken auszusühren, die sich gegenüber diesem Antrage aus führen lassen, sondern er hat sich, wie er ausdrücklich bemerkte, darauf beschränkt, nach einer wichtigen Seite hin zu zeigen, wie es der Schulverwaltung unmöglich sein würde, mit den Aufgaben sich zu belasten, die der Antrag ihr stellen würde. Ich möchte also zu dem, was in dieser Richtung schon an Bedenken ausgeführt ist, nur nochhinzufügen, daß, wie mir scheint, der Antrag des Hrn. Abg. Windthorst in einer Richtung sich bewegt, die selbst abgesehen von dem Interesse der Schulverwaltung die Staatsregierung im Ganzen und prinzipiell nicht annehmen kann.

Der Hr. Abg. Richter glaubt eine Beweisführung zu Gunsten des Windthorstschen Antrages dadurch erbracht zu haben, daß er sagt: es fällt ja doch Niemandem ein im Hause, auf Kosten der Staats- kasse die Gutsbesitzer zu entlasten. Die Gutsbesitzer' als ob das ein ganz feststehender, in sich gleichwerthiger Begriff wäre, den man namentlich in Bezug auf die Prästationsfähigkeit und in Bezug auf die Fähigkeit, neue Lasten für den Staat zu übernehmen, den Ge— meinden gegenüberstellen könnte. Meine Herren, es ist ja ganz un⸗ zweifelhaft, es giebt reiche Gutsbesitzer, es giebt Gutsbesitzer, die gerade ihr Auskommen haben und es giebt recht arme Gutsbesitzer; es giebt reiche Gemeinden, es giebt Gemeinden die ihr Auskommen haben ohne Noth, und es giebt arme Gemeinden. Nun frage ich, hat Jemand bei diesem Nothgesetz die Frage so gestellt, daß Sie würden untersuchen wollen, ob eine Gemeinde reich ist, daß Sie würden unter suchen wollen, ob eine Gemeinde noch mehr Lasten übernehmen kann; nein, meine Herren, es fällt Niemandem ein, eine derartige Unterscheidung zu machen. Sie stehen einer großen allgemeinen Aufgabe gegenüber, die von großen allgemeinen Gesichts—⸗ punkten aus gelöst werden muß, und da nehmen Sie auch keinen Anstand, die reiche Gemeinde geradeso zu entlasten, wie die arme Gemeinde. Ganz dasselbe muß die Regierung, wenn sie überhaupt Ihrem Gedanken folgen soll, auch bezüglich der Gutsbesitzer prin— zipiell verlangen; die Regierung kann und darf nicht die Hand dazu bieten, daß ein Stand im Staate gewissermaßen geächtet wird in dieser Beziehung, ausgeschlossen wird von demjenigen, was man allen anderen zuwendet. Meine Herren, das würde meiner Auffassung nach ein verhängnißvoller Beschluß sein, der die Sache einfach unannehmbar macht. Wenn die Gegensätze so stehen, würden Sie damit nur den Beweis liefern, daß der Initiativantrag, wenn er auch den besten, allseitig erstrebten Zweck hat, deshalb nicht zu Stande kommt, weil über die Mittel und Wege in dem hohen Hause ein Einverständniß nicht zu erlangen ist. Das würde ich bedauern. Ich begreife das auch deshalb nicht, weil aus der Reihe der Parteifreunde des Hrn. Abg. Windthorst gerade dieser Gesichtspunkt, den ich eben hervorgehoben, so scharf betont worden ist bei dem Antrage des Frhrn. von Huene. Bei dem Antrage des Frhrn. von Huene, sowelt er bis jetzt in der Kommission verhandelt worden ist, ist von Seiten der

Parteifreunde des Hrn. Abg. Richter allerdings dasselbe Verlangen gestellt worden. Da sollte auch die Ueberweisung der Beträge an die Kreise mit einer Klausel erfolgen, welche verhütete, daß die Guts⸗ besitzer davon irgend welchen Nutzen hätten. Da hat ich kann sagen: zu meiner Genugthuung der Hr. Abg. Frhr. von Huene den Standpunkt der Unmöglichkeit einer solchen Bestimmung in der Kom⸗ mission in einer Weise vertreten, daß es in der That Wunder nimmt, aus den Reihen seiner eigenen Parteifreunde hier mit dem gegen tbeiligen Standpunkte ohne alle Noth im letzten Augenblicke der Sache Schwierigkeiten bereiten zu sehen.

Wenn Sie das geringfte Interesse für die Lehrer selbst haben, dann verzichten Sie darauf, diesen Punkt hier weiter zu verfolgen und die Sache damit einfach für diese Session wenigstens zu begraben. Denken Sie daran, daß die Kommission an die Spitze des Berichts die Erklärung gestellt hat, daß man auf allen Seiten einverstanden sei, ein Nothgesetz zu machen, welches nur eire vorübergehende Geltung habe. enn Sie diese Frage demnächst durch ein neues Schuldotationsgesetz für die Dauer lösen sollten, dann würde es mir nicht auffallen, wenn Sie tiefer eingehen wollten. Aber, wenn Sie das bei dieser Gelegenheit zum Austrag bringen wollen, so ist das im Effekt wobl nur ebenso wie ein: ich will überhaupt nicht.

Nun möchte ich mir dann noch gegenüber der Aeußerung des Hrn. Abg. Richter, daß es sich für die Regierung unmöglich um ein Non possumus handeln dürfe, wenn die Quotisirung seinem Antrage gemãß angenommen würde statt der festen Summe ein paar Worte erlauben. Ich will gleich der etwas weitgehenden Deutung meiner gestrigen zweiten Aeußerung entgegengetreten, als ob ich bei demjenigen, was ich da gesagt habe über die richtige prinzipielle Ordnung der Schulunterhaltungslasten, Namens der Staatsregierung gesprochen hätte. Ich habe ausdrücklich hervorgehoben, meiner perfönlichen Ueberjeugung nach ist das der richtige Weg, die Schulunterhaltungs« lasten zu halbiren zwischen dem Staat und den Gemeinden, und von dieser Ansicht bin ich schon lange ausgegangen. Innerhalb der Staatsregierung besteht woraus ich ja kein Geheimniß zu machen brauche in weitem Maße Zustimmung zu meiner Auffassung. Aber ein formeller Beschluß der Königlichen Stantsregierung, ver⸗ möge welcher ich dies hier als die Auffassung derselben hätte ver⸗ künden können, hat nicht vorgelegen Immerhin gebe ich dem Hrn. Ahg. Richter zu, daß auch meiner Auffassung nach es nicht verhängniß voll für das Gesetz sein könnte, wenn Sie statt des Weges, den die FKommission eingeschlagen hat, eine bestimmte Summe zu bezeichnen, welche vom Staate an erster Stelle zu jedem Emeriten⸗ gehalt beizuschießen ist wenn Sie da den Weg einschlügen, eine Quote zu bestimmen. Nur würde eine kleine Bedingung dabei sein müssen: Die Quote dürfte nicht etwa finanziell viel theurer zu stehen kommen, wenn es auch möglicherweise nicht verhängnißvoll sein würde, wenn die Quote so bemessen wäre, daß sie ein paar Hunderttausend oder auch 1 Million Mark mehr auf die Staatskasse legte, aber die Quote müßte auch die andere Eigenschaft haben, daß auch der kunftigen richtigen Gestaltung der Schulunterhaltungslast nicht damit präjudizirt würde, . Z präjudiziten aber meiner Meinung nach in einem unangenehmen Grade der künftigen Gestaltung, die meiner Meinung nach nicht über J binausgehen kann und deshalb kann ich mich im Augenblick für die Quote nicht aussprechen, weil ich an— erkennen muß, daß die richtige Quote von J für die Gemeinden zu nachtheilig ist. Wenn sie die Regelung, nie es bier gescheben soll, beschränken auf die Pensionirungsfrage, fo kommen die Gemeinden zu schlecht weg, wenn sie jetzt bei dem Verbot der Betheiligung der Schulstellung, aus der der Emeritus ausscheidet, R von der neuen Pensionslast übernehmen sollten das ist der Grund, weshalb ich trotz gewiffen prinzipiellen Einverständnisses mit der Auffassung des Hrn. Abg. Richter es für diese Spezialgesetzgebung empfehlenswerther halte, es zu belassen bei dem Wege, den die Kommiffion eingeschlagen hat und eine bestimmte Summe festzusetzen.

Was diese Summe betrifft, so habe ich nur noch nachzutragen, daß es nur sehr bedauerlich gewesen ist hören zu müssen, daß das, was ich gestern, wie ich glaubte, in deutlicher und bestimmter Weise als den Beschluß der Regierung hier mittheilte, der die Grenze be= zeichnete, bis zu welcher sie äußersten Falls zu gehen entschlossen sei, daß das als ziemlich nichts sagend, als eine beinahe bedeutungslose Erklärung aufgefaßt worden ist, von der man annimmt, daß sie durch irgend welche andere Beschlüsse, welche etwas dem Handel ähnliches haben, wieder beseitigt werden würde. Ich möchte Sie bitten, sich einer solchen Erwartung nicht hinzugeben. Ich glaubte, das von Ihnen nicht vorausgesetzt zu sehen, daß die Staatsregierung hier den Weg des Vorschlageng betreten würde in dem Sinne, daß sie erst, wenn es wirklich zu einem Beschluß des Hauses gekommen wäre, sich erst anderweit definitiv aussprechen würde. das hat der Regierung völlig fern gelegen, sie hat mit ihrer wirk⸗ lichen Auffassung nicht einen Augenblick zurückzuhalten Veranlassung gehabt; sie hätte sich sonst auch dem Vorwurf ausgesetzt, die Ver⸗ handlung unnöthig in die Länge zu ziehen. Ich bitte also nicht zu erwarten, daß eine andere Entschließung der Königlichen Staats regierung Platz greife; ebensowenig möchte ich rathen, wenn man die Sache fördern, nicht erschweren will, noch weitere Belastungen der Staatskasse in Aussicht zu nehmen und selbst nicht in der unbestimm ten Form einer Resolution, in Rede und Gegenrede noch eine unbe—⸗ stimmte Verpflichtung des Fiskus für die Zwecke dieses Gesetzes herbeiführen zu wollen. Meine Herren, müßten Sie anerkennen, daß der Entwurf, wie er aus der Kommission hervorgegangen ist, in diesem Sinne unvollständig sei, dann gebe ich anheim, dies in der Kommission zu verbessern; aber im Wege einer Resolution, im Wege von Rede und Gegenrede, behufs Konstruktion einer peuen fiskalischen Verpflichtung ist nichts für die Sache zu erreichen.

Der Abg. Dr. Enneccerus plaidirte ebenfalls für die Ver⸗ werfung des Antrags Windthorst; der Entwurf schaffe auch für die Gutsbesitzer eine neue Belastung, der gegenüber der Fortfall der event. Entlastung eine ganz eklatante Ungerechtig⸗ keit sei. Man könne übrigens die Vortheile der Quoti⸗ sirung und des Fixums derart vereinigen, daß man für die niedrigeren Pensionssätze erstere in Anwendung bringe, wie es der Antrag Schenckendorff vorschlage. Der Antrag auf Zurückweisung an die Kommission sei blos eine Klippe, um das Gesetz zum Scheitern zu bringen.

Hierauf wurde die Diskussion geschlossen, und zunächst der Antrag von Schorlemer auf Zurückverweisung des 5§. 9 an die Kommission abgelehnt, desgleichen ein Antrag Richter, vor der Abstimmung die Sitzung zu vertagen, durch Auszäh⸗ lung mit 121 gegen 120 Stimmen.

An die Verkündigung bes Resultats durch den Präsidenten knüpfte sich eine längere Debatte über die Geschäftsordnung. Der Abg. Dr. Windthorst brachte nämlich zur Sprache, daß während der Zählung vor seinen Augen und Ohren verschiedene Versuche ., worden seien, einzelne Abgeordnete umzustimmen. Ob die

ersuche Erfolg gehabt hätten, könne er nicht konstatiren; jedenfalls handele es sich um eine wichtige Frage, da event. dadurch die Ermittelung des Abstimmungsresultats den Charakter einer bloßen Zählung verliere.

Der Abg. von Eynern empfahl dem Vorredner, diese wichtige Frage der Geschäftsordnungskommission zur Prüfung zu überweisen.

Der Präsident konstatirte seinerseits, daß die Abstimmung vom Bureau xichtig geleitet, die Vertagung abgelehnt und nunmehr zur Abstimmung überzugehen sei.

Nachdem noch die Abgg. von Eynern, Dr. Frhr. von Schorlemer-Alst, Richter und Dr. Enneccerus sich zu der von dem Abg. Dr. Windthorst angeregten Frage geäußert hatten, beantragte der Abg. Richter mit Rücksicht auf die gleichzeitige Sitzung des Reichstages abermals die Vertagung. ieser Antrag wurde vom Präsidenten als geschäftsordnungsmäßig