1885 / 95 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 23 Apr 1885 18:00:01 GMT) scan diff

geringere Bedeutung gehabt habe, den Charakter einer gehässigen Vexation. Er könne dasselbe nur noch als Material auf dem Markte des politischen Tauschhandels ansehen. Dieser politische Tausch⸗ handel sei in keinem Fall zu Gunsten der liberalen Sache, und er verwerfe denselben auch grundsötzlich. In diesem Augenblicke gerade stehe seine Partei im Reichstage in dem heftigsten Gegensatze und Kampfe dem Centrum gegen⸗ über, das sich gar nicht dagegen sperre, der Regierung neue Zölle zu bewilligen, ja ihr noch höhere Zölle aufdränge, als sie selbst verlange. Er verwerfe aber den Standpunkt des do ut des in solchen Fragen und nehme seine Stellung nicht nach dem Verhältniß der Fraktionen und dem Kampf oder der Unterstützung in politischen Fragen, sondern darnach, ob er das Gesetz für kirchenpolitisch richtig halte oder nicht.

Hierauf entgegnete der Staats⸗Minister Dr. von Goßler:

Ich war nicht darauf vorbereitet, nochmals das Wort ergreifen zu müssen; aber die Ausführungen, welche der Hr. Abg. Richter in Bezug cuf die Stellung des Herrn Reichskanzlers zu der kirchen politischen Gesetzgebung gemacht hat, nöthigen mich, noch einige Be—⸗ merkungen hinzuzufügen. Der Hr. Abg. Richter hat trotz des guten Gedächtinisses, welches ibm sonst beiwohnt, sich verleiten lassen, ungerecht zu sein. Der Reichskanzler bat in der bekannten Sitzung vom 3 Dezember 1884 über seine Stellung, die er zu den kirchen⸗ politischen Gesetzen genommen hat. genau ebenso gesprochen, wie bei vielen anderen Änzelegenheiten. Er hat ausdrücklich bervorgehoben, daß bei den Gesetzen des Jahres 1873 seine Unter⸗ schrift hinter der des Grafen Roon, welcher damals die Minister⸗Präsidentschaft führte, stand. Soweit ich augenblicklich die Gesetz⸗Sammlung babe durchsehen können, fehlt bei den Gesetzen von 1874 seine Unterschrift überhaupt. Im Jahre 1875 erscheint sie dann wieder an leitender Stelle. Wenn der Hr. Abg. Richter auf Grund eines. wie ich nicht bezwelfle zuverlässigen Kom⸗ pendiums darauf hingewiesen hat, daß der Herr Reichskanzler bei Gelegenheit der Debatten über die Verfassungsänderung im Jahre 1873 warm das Wort ergriffen habe zu Gunsten der Abänderung, so hat der Herr Reichskanzler am 3. Dezember 1884 es auch ausdrücklich betont, daß er, watz die Frage der Abänderung der Verfassung aube—⸗ trifft, immer der Auffassung gewesen sei, daß man sich vor einer Ab⸗ änderung der Verfassung auf kirchenpolitischem Gebiete absolut nicht zu scheuen brauche Diese seine Ueberzeugung hat er auch wiederholt anderweitig ausgesprochen. Der Hr. Abg. Richter hat daher mit seinen Citaten aus der Vergangenheit die Behauptungen des Herrn Reichskanzlers vom 3. Dezember 1884 neu bekräftigt und nicht seine eigenen.

Im Uebrigen hat der Herr Reichskanzler, glaube ich, schon oft genug bewiesen, daß ihm der Muth der eigenen Meinung doch kaum abzusprechen ist; er hat die Verantwortung auf sich genommen für das, was er im Interesse des Staats für nothwendig hielt, auch weit über das Maß dessen, was er gethan oder event. verschuldet hätte ich kann im gegenwärtigen Zusammenhange das Wort ge— brauchen —, Mangel an Muth, seine persönliche Meinung auch vor den 400 Vertretern des preußischen Volkes zu vertreten, hat ihm, so weit meine Kenntniß reicht, niemals gefehlt.

Und wenn der Hr. Abg. Richter die Güte hat, die Erklärungen vom 3. Dezember 1884 noch einmal nachzulesen, dann wird er finden, daß der Herr Reichskanzler von Vorgängen spricht, die sich innerhalb des Staats⸗Ministeriums abgespielt haben. Inwieweit nun der Hr. Abg. Richter in die Lage kommen kann, dem Herrn Reichskanzler in diefer Hinsicht Unrichtigkeiten vorzuwerfen, verstehe ich nicht; über diese inneren Vorgänge aus den Jahren 1873 bis 1875 wird Hr.

bg. Richter eine Erklärung sicher nicht abgeben können. ich glaube, wenn ein preußischer Minister, und namentlich der Herr Minister⸗Präsident, der doch, Gott sei Dank, die Politit des preußischen Staates schon über 29 Jahre leitet, wenn er sagt, daß zu einer gewissen Zeit innerhalb des preußischen Staats Ministeriums Differenzen vorgelegen haben, daß er, um diesen Diffe⸗ renzen vorzubeugen, Manches gethan habe, was er vielleicht sonst nicht im Prinzip gebilligt hätte, ich sage das namentlich auch in An⸗ sehung des Civilstandsgesetzes, so erscheint doch ein Zweifel nicht statthaft, daß er die Wahrheit gesprochen hat, und alle Dedukttonen, daß er gewissermaßen nach einem Indicienbeweise doch der Unwahrheit be— zichtiat werden könnte, scheitern an sich selber.

Meine Herren, da ich wider Erwarten noch einmal spreche, so möchte ich an einer Bemerkung des Herrn Abg. Windthorst nicht vor⸗ übergehen. Ich habe am Schluß seiner letzten Rede vernommen, daß er wieder etwas konstatirt hat und daß ich wieder irgend einer seiner Ansichten zugestimmt hätte, weil ich geschwiegen. Ich bedauere, wie ich das schon bei anderen Gelegenheiten gethan habe, einem solchen Verfahren widersprechen zu müssen. Es ist schon für das ganze Haus verfassungsmäßig nicht möglich, zu kon statiren, was die Staatsregierung meint, wenn sie nicht auf jede Frage antwortet, welche an sie gerichtet wird, geschweige denn für einen einzelnen Abgeordneten. Wenn der Hr. Abg. Windthorst doch einmal die Güte haben wollte, von hier aus eine Rede anzuhören, wenn ich von seinem Platze aus spräche, mit einer so leisen Stimme, dann wird er finden, daß es absolut unmöglich ist, etwas im Zusammen⸗ hange zu verstehen. Und ich halte es für unbillig, daß er eine solcke Situation benutzt, um der Staatsregierung einen Vorwurf oder ein Präjudiz anzuhängen.

Den Eingang seiner Rede habe ich wohl dahin richtig verstan⸗ den, daß er die Frage nach der Besetzung des erzbischöflichen Stuhles von Gnesen⸗Posen zur Erörterung brachte und hierbei naturgemäß das Gewickt der Schuld auf die Seite der Regierung geschoben. Die Prinzipien, die Auffassung, von denen die preußische Staatsregierung bei der Besetzung dieser Stelle ausgegangen ist, sind von dem Herrn Reichskanzler am 3. Dezember 1884 völlig klar dar—⸗ gelegt; Alles, was weiter in Ansehung der von der Regierung ge⸗ stellten Bedingungen angeführt wird, ist apokryph. Die Ge— sichtspunkte, denen der Herr Reichskanzler in der mehr be— regten Sitzung Ausdruck verliehen hat, lassen sich einfach in die Worte zusammenfassen: Die preußische Staatsregierung erwartet, daß der Bischof, der den Stuhl von Gnesen⸗Posen ein⸗ nehmen wird, sich als preußischer Bischof fühlt. In diesem Satz liegt zweierlei: einmal, daß er sich bewußt ist, daß die Aufgabe, die ihm gestellt ist, auf kirchlichem Gebiete liegt, und zweitens, daß er sich bewußt ist, Unterthan des preußischen Staates und Angehöriger des Deutschen Reiches zu sein. Darin liegt ferner die Auffassung begründet, daß der Erzbischof mag er in kirchlichen oder in nicht kirchlichen Beziehungen thätig sein seine Wirksamkeit an den Grenzen des preußischen Staates ihr Ende erreicht, und daß er in dieser Hinsicht alle diejenigen Klippen vermeidet, aa denen die Schiffe seiner Vorgänger mehrfach gescheitert oder leck geworden sind.

Wenn die Regierung an dieser Auffassung festhält, auch den mehrfachen anderweitigen Kandidaturbenennungen gegenüber es sind ja verschiedene Personen, verschiedene Namen genannt, aber die Gattung ist mit geringen Unterschieden dieselbe gewesen, dann sind wir uns bewußt, daß wir nicht allein das friedliche Interesse des preußischen Staates und des Deutschen Reiches im Auge haben, sondern auch das wohlverstandene friedliche Interesse der Provinz Posen selber. Wenn man allein auf die Geschichte der Provinz Posen im letzten Jahrhundert zurückgeht und an die Zeit zu Anfang der dreißiger Jahre, an das Jahr 1846, 1848, 1849, 1863 erinnert, so kann man sagen; viel kann. die Pro⸗ vinz Posen auf dem Gebiet politischer Manifestation nicht mehr vertragen. Es ist daher besonders nothwendig, daß die Herren, welche leitende kirchliche Stellungen einnehmen, nach dieser Richtung hin ihren Landsleuten oder ihren Diözesanen klaren Wein einschenkten. Wenn die Resultate der Verhandlungen nicht so rasch

gezeitigt werden, als es im Wunsche der preußischen Staatsregierung selbst liegt, so läßt sich das weder auf den Eigensinn Seitens der vreußischen Staatsregierung, noch auf das Verkennen der Situation, jondern lediglich auf den Wunsch zurückführen, daß die Besetzungs⸗

das früher eine

frage, wenn sie erledigt wird, nur im Interesse des Friedens des Staates ihre Lösung finde.

Der Abg. Dr. Windthorst erwiderte, es sei selbstverständ⸗ lich, daß jedem Bischof nur das Recht zustehe, innerhalb der Grenzen seines Sprengels seine Thätigkeit auszuüben. Der Titel des Erzbischofs von Posen „Primas von Polen“ habe durchaus nichts zu bedeuten.

erloschen sei; sie werde nur sortgeführt in historischer Erinne⸗ rung an alte Zeiten. Er habe niemals begriffen, warum man sich so ängstlich zeige, daß der Titel eines polnischen Primas gefährlich werden könne. Wie die Kirche ein Recht habe und großes Gewicht darauf legen müsse, daß der Bischof der jedes⸗ maligen Nationalität angehöre, weil die Zugehörigkeit zu der⸗ selben Nationalität ihm nur das nöthige Vertrauen der Be⸗ völkerung H schaffe, so solle auch der Staat darauf Gewicht legen. Denn wenn schon zu jeder Zeit, so sei es besonders in schwierigen Tagen von außerodentlicher Wichtig⸗ keit, daß der Bischof das Vertrauen der Bevölkerung genieße. Glaube man, daß, wenn man der polnischen Nationalität einen Bischof anderer Nationalität aufdränge, dieser dann geeignet sein würde, das auszuführen, was der Staat wünsche? Ob der Reichskanzler zuerst oder zuletzt unterzeichnet habe, oder ob er hier anwesend oder verreist gewesen sei, oder ob er geschlafen habe, das sei gleichgültig. In ganz Deutschland falle kein Haar von dem Haupte eines Menschen ohne den Willen des Reichskanzlers. Der Reichskanzler bleibe für die ganze Maigesetzgebung und den ganzen Streit verant⸗ wortlich; ohne ihn wäre er nicht entstanden, und ohne ihn dauerte er nicht fort, und wenn dereinst ein zweiter Poschin⸗ ger mit größerer Objektivität als der jetzt lebende die Archive des Ministeriums durchstöberte und die Handbillets des Reichskanzlers wörtlich abdruckte, würde alle Welt er⸗ fahren, daß nur der Reichskanzler es sei, der den Streit an—⸗ gefangen habe.

Der Staats-Minister Dr. non Goßler entgegnete hierauf: Was zunächst den parlamentarischen Grundsatz betreffe, von dem der Abg. Dr. Windthorst gesprochen habe, wonach es den Gebräuchen entspräche, daß, wenn eine Behauptung vom Hause aufgestellt würde, die Regierung auch darauf antworten müsse, so glaube er, gehe das doch ein wenig zu weit. Er wolle ja zugeben, daß es erwünscht sei, wenn vom Regierungs⸗ tische eine gewisse Resonanz eintrete; der Laut werde hör⸗ barer und weiter, wenn er an eine Wand schlage, von der ein Echo erschalle. Er habe wiederholt Gelegenheit gehabt, seine Friedensliebe dadurch zu bekunden, daß er auch in vielen Sachen nicht geantwortet habe. Seinen Bedenken habe er längst Ausdruck gegeben, nämlich schon bei der Berathung der Novelle vom Jahre 1883, und es werde den Abg. Windthorst vielleicht beruhigen, wenn er ihm sage, daß der 8. 5 nach seiner (des Redners) Ansicht nur die singuli betreffe; der Ab⸗ geordnete werde verstehen, was damit gemeint sei. Oo das auch die Ansicht der Staatsregierung sei, konne er (Redner) freilich nicht wissen. Noch auf eine Bemerkung des Abg. Dr. Windt⸗ horst möchte er hier eingehen. Derselbe habe gesagt, vor einem Titel brauche man sich nicht zu fürchten; er gebe ihm

zu, daß er Recht habe, vor dem Primastitel fürchte sich die

Regierung auch nicht. Was das Wort lnterrex betreffe, so habe dasselbe für Polen doch Bedeutung. Der Bischof von Gnesen⸗Posen sei berufen, den eigentlichen König von Polen in Krakau zu salben; das sei keine leere Redensart, wie man ihm immer klar machen möchte, sondern das sei ein einfaches Faktum, das Tausende von Polen ernst nähmen. Das Haus stehe vor den Karten, draußen aber sähen dieselben ganz anders aus und dort nehme das eine ernste Gestatt an, was die Vertreter der betreffenden Landeskreise hier im Hause als eine Lächerlichkeit und Thorheit bezeichneten. Er wieder⸗ hole, vor einem Titel habe die Regierung keine Furcht. Der Erzbischof von Salzburg nenne sich auch Primas von Deutsch⸗ land, das habe zwar keinen rechten Sinn mehr für die heutigen Verhältnisse, aber er möge es immerhin thun, es sei nur ein Titel. Anders aber liege die Sache bei dem Primas⸗ titel von Polen, der habe eine reelle Bedeutung, und so lange er 9 habe, habe die Regierung alle Veranlassung, vorsichtig zu sein.

Der Abg. Richter erklärte, der Minister habe in geschickter Weise den Versuch gemacht, die Aeußerungen des Reichs⸗ kanzlers mit den Thatsachen in Einklang zu bringen. Der Reichskanzler habe aber in seiner Rede vom 3. Dezember ge⸗

sagt, er sei, als die Maigesetze entstanden seien, nicht Minister⸗

Präsident und nicht in Berlin anwesend gewesen, seine Unter⸗ schrift sei erst ex post erfolgt, nur unter dem Drucke der Kabinetsfrage habe er sich zu der Unterschrift verstanden; anders verhalte es sich mit dem Gesetz vom Juni 1875, dabei sei er vollständig betheiligt gewesen und für dasselbe übernehme er die volle Verantwortlichkeit. Es gehe hieraus klar hervor, daß der Reichskanzler erst von 187ß ab seine Vexantwortlichkeit anerkenne, während er sie für die früheren Gesetze nicht übernehme. Der Reichs— kanzler sage, er sei, als die Maigesetze entstanden, nicht in Berlin gewesen; durch die Rede im Herrenhause habe er (Redner) aber die Anwesenheit konstatirt, und dieselbe sei das kräftigste, was überhaupt auf kirchenpolitischem Gebiete geredet worden sei, und entscheidend für den ganzen Gang der politi⸗ schen Entwickelung gewesen. Er habe dem Kanzler nicht Mangel an Muth vorgeworfen. Es seien zwei Dinge möglich: Ent⸗ weder sei das Gedächtniß des Reichskanzlers in Bezug auf diese Dinge sich nicht mehr ganz klar gewesen, das sei die mildere Auffassung, oder er habe ein diplomatisches In— teresse daran, in seiner jetzigen Situation seine Betheiligung an dem Kampfe milder darzustellen, als früher, wie ja ein solches Interesse bei ihm nicht blos auf kirchenpolitischem, son⸗ dern auch auf handelspolitischem Gebiet hervortrete Der Abg. Pr. Frhr. von Schorlemer bemerkte, an dem Ministertische sitze Keiner, den der Reichskanzler nicht wolle, den Reichskanzler treffe also auch die Verantwortlichkeit für die Maigesetze. Es sei ein Verdienst des Abg. Richter, auch die unmittelbare Betheiligung desselben bei diesen Gesetzen dargelegt zu haben. Es verrathe geradezu eine kindische Angst, an dem Titel „Primas von Polen“ Anstoß zu nehmen. Er bedaure, daß der Minister nur den ablehnenden Beschluß des Staats⸗Ministeriums mitgetheilt habe, ohne die Motive dafür hinzuzufügen. Mißhandlungen, wie sie hier der Provinz Posen zugefügt würden, könne dieselbe nicht mehr vertragen. Man möge das von Seiten der Regiernng nicht überspannen! Der Abg. Kantak betonte, das Centrum kenne keine preußischen, sondern nur kathoölische Bischöfe. Die Unter⸗ thanenpflicht habe keiner der Bischöfe je in Abrede gestellt, und das polnische Voll habe sie auf den Schlachtfeldern be⸗ wiesen. Die Polen seien viel zu loyal, als daß es zu einem

Auch in den Titeln preußischer Fürsten finde sich manche Bezeichnung, die thatsächlich längst

Aufruhr kommen könnte. Um den künftigen König von Polen zu salben und daß einmal ein solcher komme, scheine ja bei der lebhaften Besorgniß der Regierung nicht ganz unwahr⸗ scheinlich zu sein —, dazu bedürfe es nicht gerade des Posener Erzbischofs; dazu werde sich dann schon ein Bischof finden. Es liege absolut keine Veranlassung vor, die Polen so zu be⸗ handeln, wie es geschehe. Auch die Konservativen wagten ja die Sperrmaßregeln nicht zu vertheidigen. Es sei unbegreif⸗

lich, wie trotz alle dem die Regierung dieselben noch lediglich

für Gnesen⸗Posen aufrecht erhalte.

In namentlicher Abstimmung wurde darauf der Antrag mit 182 gegen 128 Stimmen abgelehnt. Für denselben stimmten geschlossen Centrum und Polen, ferner die große Mehrheit der Freisinnigen und einige Konservative.

Es folgte die erste Berathung des Antrages Windthorst, vetr. die Straffreihelt des Sakra— mentespendens und Messelesens.

Der Abg. Dr. Win dthorst erklärte, das erste Erforderniß, welches ein civilisirter Staat ersüllen müsse, sei die Gewährung der freien Religionsübung und absoluter Gewissensfreiheit. Der angeblich civilisirte Staat Preußen sei der erste gewesen, der diesem Erforderniß nicht entsprochen habe, indem er das heilige Meßopfer und die Spendung der Sakramente, welches recht eigentlich Manifestationen des inneren Wesens der Kirche seien, unter allerhöchste polizeiliche Genehmigung und eventuell unter Strafe gestellt habe. Damit habe er sich an der Ge⸗ wissensfreiheit verfündigt und den Grundsatz des preußischen Staates verleugnet, wie ihn Friedrich der Große aufgestellt hätte. Es streite gegen göttliches und menschliches Recht, den⸗ jenigen, der diese kirchlichen Mysterien übe, mit Strafe zu verfolgen. Sei es nicht entsetzlich, daß man das Schau— spiel erlebt habe, daß man eine ganze Compagnie Soldaten aufgeboten habe, um einen Priester gefangen zu setzen, der das Verbrechen begangen habe, einem Sterbenden die Sakra⸗ mente zu spenden? Daß der Staat für zulässig erachtet habe, diese Handlungen mit Strafe zu belegen, sei ein Beweis von Rücksichtslosigkeit und Barbarei. Und weshalb diese Verfol— gung, dieser Zwang? Weil die sakramentespendenden, messe⸗ lesenden Priester nicht vom Staate erzogen und eingesetzt, nicht mit staatlichem Patente versehen gewesen seien! Man be⸗ klage den Massenabfall von der Kirche, das Umsichgreifen des Heidenthums, und dennoch komme eine sich christlich nennende Regierung und versage den Wenigen, die noch ihren Glauben bewahrten, die Möglichkeit, ihn zu bethätigen. Und dann wage man noch, über Exzesse, über Sozialdemokraten und Anarchismus zu klagen. Nun hätten die Katholiken ja die Nothseelsorge; aber sie verlangten als vollberechtigte Bür⸗ ger dieses Staates das Recht auf volle, geordnete Seelsorge. Die Nothseelsorge sei gar nicht völlig durchführbar, weil die Geistlichen mangelten, weil die Räthe des Ministers mit großer Spitzfindigkeit und Spürfähigkeit viele tüchtige junge Priester zurückgewiesen hätten, die in Innsbruck oder Rom, aber nicht da ihre Studien vollendet hätten, wo der Minister sie studiren lassen wolle. Im Bisthum Trier allein seien noch 99 Pfar⸗ reien verwaist, ebenso stehe es in den anderen Diözesen. Andererseits nehme der Zuwachs der Theologie Studirenden unter den derzeitigen Verhältnissen stetig ab. Daher solle man die Straffreiheit für die Uebung der Mysterien prokla— miren, und die Kirche werde dann für die Geistlichen schon sorgen! Sie wolle nicht schlechter gestellt sein, als selbst heidnische Völker sie stellten, sie verlange, was man in China und Japan, ja selbst in Kamerun den Missionären nicht ver⸗ weigete. Er könne bei der Behandlung dieser Materie nicht ruhig bleiben; er verlange im Namen und auf Grund der Gewissensfreiheit, auf Grund der Gebote des Christenthums und jedes billig denkenden Gefühls, daß der Antrag des Cen— trums angenommen werde. Ob man denn nicht die Zerstörungen aller Art sehe, die bedenkliche Zerklüftung in Bevölkerung und Parlament, welche dieser unglückselige Kampf fort und fort schaffe? Halte man es für noch immer nicht an der Zeit, ein ernstes Wort zu sprechen und die Regierung energisch zur Umkehr aufzusordern? Wolle man es auf dem Todtenbette verantworten, daß man es den Katholiken unmöalich gemacht habe, in ihrem Glauben zu leben und zu sterben?

Der Abg. Frhr. von Hammerstein meinte, er hätte von den Centrümsrednern eigentlich mehr Vorsicht er— wartet; der Abg. Windthorst hätte doch nicht einen Staat, dessen Unterthan er selbst sei, einen „angeblich“ civilisirten nennen sollen. Dieser Ausdruck sei un⸗ glücklich, wenn nicht andere Zwecke damit verfolgt werden sollten. Im Jahre 1883 habe schon der Abg. Hänel konstatirt, daß dieser Antrag die ganze Maigesetzgebung unterwühle. Die Konservativen wollten sich nicht auf Fragen der Zukunft festnageln lassen, deshalb hielten sie es nicht für zweckmäßig, dem ÄAntrage näher zu treten. Indessen erkenne die konser— vative Partei an, daß gewisse Härten durch den Antrag beseitigt werden sollten, wenn auch der Vorredner deren Vor— handensein nur skizzenhaft erwiesen habe. Die Konservativen hätten schon im Jahre 1880 und dann durch die Novelle von 1883 den Katholiken Erleichterung geschafft, die eigentlich über die Ziele hinausgingen, die sich die Konservativen von vornherein gesteckt hätten. Wenn angeführt werde, daß in der Diözese Trier 99 Pfarreien verwaist seien, so habe das Haus nicht alle Gründe dafür gehört. Es sei im Plenum nicht möglich, alle Konsequenzen des Antrages Windthorst zu erörtern; er schlage daher vor, ihn einer Kommission von 21 Mitgliedern zu überweisen. Das Centrum solle das nicht für ein Be— gräbniß halten, denn der Antrag hätte schon vor acht Wochen in einer Kommission gewesen sein können. Das Cen⸗ trum habe also an einer Verzögerung selbst Schuld.

Der Abg. Dr. Frhr. von Schorlemer⸗A,lst erklärte, die Gründe des Abg. von Rauchhaupt für die Ablehnung hätten ihm ent⸗ schieden besser gefallen, als die des Vorredners für eine Kom⸗ missionsberathung. Er möchte gerne wissen, wie man diesen Antrag vorsichtiger behandeln sollte; das Centrum könne doch nicht eiwa um sein Recht betteln. Die Rechte wolle sich sicher nur deshalb nicht auf eine Frage der Zukunft festnageln lassen, weil sie nicht wisse, wie die Regierung darüber denke, das hoffe sie eben in der Kommission zu erfahren. Das Centrum werde darum für sein verfassungsmäßiges Recht kämpfen, bis eine Einigung mit Rom erfolge. Das Centrum verlange vollständige Aufhebung der Maigesetze; mit der Milde und dem Wohlwollen der Konservativen sei ihm nicht ge⸗ dient. Die Pfarreien seien nicht besetzt, weil es an Geistlichen fehle. Die Staatsregierung verlange, daß die Katholiken, in⸗ dem sie sich des Sakramentenehmens und Spendens enthielten, eine schwere Sünde begingen; dadurch werde den katholischen Unterthanen versagt, mas Juden, Türken und Heiden erlaubt sei, die Samoaner sogar seien vertragsmäßig besser gestellt. Vergleiche man dies mit der Duldung des Unfugs am Char⸗

freitag auf dem Spandauer Bock, dann werde man entschei⸗ ben, ob der Staat nicht ein angeblich“ ciwilisirter sei. Selbst Jußland habe ja solche Bestimmungen nicht gesetzlich, sondern administrativ. Allerdings habe es nach dem Tage von Slkier— niewice den inneren Frieden gegenüber den polnischen Unter— mhanen schwer verletzt, seine feierlich eingegangenen Verträge gebrochen und Bischbse bestraft, die lasterhafte Geistliche zur Dieziplin zurückführen gewollt hätten. Die konservative Presse werde wohl auch nicht zu der Vergewaltigung der deutschen Sprache in den Ostseeprovinzen schweigen. Der Nihilismus werde aber die Strafe für den Vertragabruch voll⸗ zichen und der Rächer der Katholiken in Rußland sein. Die Milde, die man jetzt walten lasse, sei nur diskretionär, es könnten jeden Augenblick Strafen wieder in Krast treten; diese seien selbst den barmherzigen Schwestern gegenüber nicht ausgeschlossen. Die Regierung trete stets den berechtigten Wünschen des Centrums entgegen, wie dies noch jüngst der Fall Wanjura beweise. Darüber seien erst verleumderische Telegramme in die Welt geschleudert worden, dann mache die Norddeutsche“ die niedrigsten Insinua—⸗ tionen gegen Nom. Was gehe es den Staat an, wo die Priester vorgebildet seien? Warum solle es den jungen Theologen nicht gestattet sein, in Innsbruck zu studiren? Rechne man doch den Medizinern die Semester an, die sie am Herde des Anarchismus, in der Schweiz zugebracht hätten. Die ganze Bestimmung über die Orden sei die Folge einer kIindischen Jesuitenriecherei. Die Regierung hahe das Gesetz ein Kampfgesetz genannt; wenn man ein solches schaffe, dann müsse man auch sicher sein, Erfolg damit zu erringen, sonst schade es nur. Er hoffe, daß die Kirche keine Niederlage er⸗ leiden werde, weil für die Kirche eine Verheißung bestehe, die Pforten der Hölle würden sie nicht überwältigen.

Hierauf ergriff der Staats-Minister Dr. von Goßler das Wort:

Meine Herren! In meinen Ausführungen werde ich mir einige Beschränkungen auferlegen und dem geehrten Herrn Vorredner auf cine ganze Reihe von zwar sehr interessanten, aber meines Erachtens mit unserem Gegenstand nur künstlich in Zusammenhang gebrachten Gebieten nicht folgen, ich werde namentlich alles vermeiden, was in dle auswärtige Politik übergreift, die Verhältnisse zu Rußland, zu Italien, zu Oefsterreich berührt, ich werde mir auch versagen, seine Aussührungen äbez die barmherzigen Schwestern, den Probst Wanjura, die offiziöse Presse und das Legitimitätsprinzip zu berühren. Ich will mich ledig⸗ sich anschließen an den Antrag des Abg. Windthorst, wie er vorliegt, und in meinen Bemerkungen ausgehen von den Verhandlungen, welche am 25. April 1833 hier stattgefunden haben, als zum letzten Mal der Antrag Windthorst, wie er uns heute wieder vor— liegt, zur Diskussien gebracht wurde. Ich konnte. TDa⸗ mals im Namen der Staatsregierung erklären, daß dieselbe mit dem Herrn Antragsteller in vieler Beziehung sich in voller Uebereinstim mung weiß, daß sie namentlich wünscht, die Hindernisse, welche die Gesetzgebung der Jahre 1873 ff. in Ansehung des Sa— framentespendens und Messelesens aufstellt, zu beseitigen, Hindernisse, welche der seelsorgerischen Versorgung entgegen⸗ freten, aus dem Wege zu räumen. Schon damals erlaubte ich mit in Andeutung auf die Schwierigkeiten hinzuweisen, welche die Annahme des Antrages Windthorst gesetzgeberisch und in Ansehung der bestehenden Gesetze zur Folge haben würde. Die Andeutung, welche ich damals gemacht habe, hat der Hr. Abg. Dr. Hänel, wie der Abg. von Hammerstein zutreffend damals bemerkt hat, weiter und eingehender ausgeführt. Bereits ramals machte sich die Auffassung geltend. daß der Antrag doch noch sehr vieles Andere bedeute und noch viele andere Kon— sequenzen nach sich ziehe, als man bei dem einfachen Lesen vielleicht ju erkennen vermöchte. Ich deutete damals an, daß die Regierung, um das gesteckte Ziel zu erreichen, sich eine andere Linie gezogen hätte, indem sie in der Form einer organischen, festen Gesetzgebung Aenderungen herbeisühren wollte, welche den Klagen der Katholiken den Boden, soweit als möglich, entzögen. Der Hr. Abg. Windtborst das darf ich doch nun einmal wieder in Crinnerung bringen —, erkannte damals guch die Richtigkeit meiner Bemerkungen völlig an und erklärte selbst, es gebe allerdings ver⸗ schiedene Wege, auf denen man zu dem von der Regierung gesteckten Ziele, das mit dem seinigen im Wesentlichen zusammentreffe, gelangen könnte. Er erkannte namentlich an, daß die anderweitige Regelung der Anzeigepflicht ein geeignetes Mittel sei, um zu dem gewünschten Ziele zu gelangen. Er meinte nur, dieser Weg sei ihm zu lang und er habe keine Zeit, länger zu warten. Die Regierung habe damals auch nicht gezögert, wie ö. von Hammerstein zutreffend bemerkte, mit der Gesetzgebung vorzugehen. Im Mai 1883 wurde die kirchenpoli⸗ tische Robelle eingebracht und im Juli verabschiedet. An der Hand diefer Novelle vom Juli 1883 befinden wir uns in einem Zu⸗ stand, der mit dem Zustand vor der Rovelle absolut keinen Vergleich mehr' aushält. Wir haben damals nicht allein, wie der Hr. Abg. Windthorst im April 1883 anzunehmen geneigt war, die Anzeige, pflicht fo geändert, daß, wie es ja selbst der Abg. Windthorst und die „Germania. früher als ein geeignetes Mittel, um zu friedlichen Zuständen zu gelangen, hingestellt hat, die preußische Gesetzgebung sich den theoretischen Sätzen, welche der Papst in dem bekannten Briefe aufgestellt hatte, näherte und verschiedene Kategorien mit den zahlreichsten Geistlichen in Ansehung der Benennung pflicht ins Freie fallen ließ, fondern es sind auch Bestimmungen dahin ge⸗ troffen, daß wenn ein Geistlicher das Indignat besitzt, den Bestimmungen über die Vorbildung, genügt und gesckmäßig angeftellt ist und hierzu reicht bei den Sülfsgeistlichen lediglich die Berufung seitens des zuständigen Ordinarius aus —, dann eine volle Freizügigkeit nicht nur in der Spendung der Sakramente, sondern überhaupt in der Vornahme geistlicher Amts⸗ handlungen eintritt. Und diese Erleichterungen sind nicht etwa nur in Beziehung auf besetzte Aemter, sondern auch in Ansehung der vakanten Aemter gerichtet worden. Das ist hier ein Fortschritt von außerordentlicher Tragweite, vorläufig läßt sich das nicht verkennen.

So ist es denn gelungen, nicht an der Hand einer diskretionären Geseßgebung, wie Hr von Schorlemer ⸗Alst ausführen wollte, son dern an der Hand einer festen, klaren, organischen Gesetzgebung, Zustãände auf dem Gebiet der Seelforge herbeizuffihren, die iwar, nicht allen Ihren Wünschen entsprechen mögen, aber doch ein außerordentlich anderes Bild gewähren, als aus Ihren heutigen Ausführungen ent; nommen werden könnte. In allen besetzten Biszesen sind soweit mein Gedächtniß mich nicht täuscht Schwierigkeiten irgendwelcher Art überhaupt nicht vorgekommen. Von Diskretion in Ansehung derfelben ist nicht die Rede gewesen, konnte auch nicht die Rede sein. Für Köln kat sich die Versorgung der Katholiken mit Hülfegeistlichen, unter dem freundlichen Entgegenkommen des Herrn Bischofs von Münster zur allseitigen Befriedigung erledigt. Um dem Bedenken zu begegnen, daß die Hälftgeistlichen in der Erzdiözese Köln kirchliche Aufträge, welche Seiteng der weltlichen Behörden anerkannt werden würden, nicht erkalten konnten, bat der Herr Bischof von Münster nicht ge= zögert, cine Reihe von Geistlichen mit der eure animargm in der Diözee Münster zu betrauen, und bierdurch ist es guf, Grund des Gesetzes, nicht nach dem diskretionären Ermessen der Behörden, diesen ,,. die . Möglichkeit, auch in der Erzdiözese Köln zu funktioniren, gewährt. .

Selbst in . Grndizzese Gnesen . Posen ist, soweit es in der Macht der Verwaltungsbehörde liegt, ein Zustand eingetreten, der zu einer berechtigten Klage nicht mehr Veranlassung giebt. Wenn Schwierig⸗ keiten eintreien, dann find es nicht die Verwaltungsbehörden, welche den Kampf anfangen, sie gehen jedem Streit auüz dem Wege und nehmen ihn nur dann auf, wenn er ihnen aufgenöthigt wird, wenn es eben im Interesse der betreffenden Geistlichen liegt, Streit

zu haben. Es giebt eben Fälle, wo man nicht ausweichen kann, und nur in solchen Fällen gehen die Verwaltungsbehsrden vor.

Meine Herren, ich führe alles dies nur kursorisch an mit Zablen wisl ich Sie heute nicht behelligen aber es gekört doch ein nur geringes Maß von Gerechtigkeits⸗ liebe dazu, um anzuerkennen, daß die Novelle vom Jahre 1883 nicht der Schatten gewesen ist, als welcher sie heute Harakterisirt ist, sondern eine sehr bedeutsame und fruchtbare Aende ˖ rung in den Verhältnissen berbeigeführt hat.

Ich will die Debatte nicht zu sehr vertiefen, aber wenn der Hr. Abg. Windthorst beklagt, daß die Novelle nur eine Nothseelsorge ermöglicht habe und eine solche nicht genüge, so muß ich erwidern: wir haben ja entsprechend dem Schreiben des Papstes an den Erzbischof Melchers die Benennungs ⸗Anzeigepflicht eingeschränkt und wenn dessenungeachtet die Benennungepflicht in Ansebung der bepfrün⸗ deten Geistlichen nicht erfüllt wird und die katholischen Gemeinden um des willen ihrer festangestellten Pfarrer entbehren, so kann man das im Interesse der Gemeinden bedauern, aber der preußischen Gesetzgebung läßt sich hieraus ein Vorwurf nicht machen. Wenn den katholischen Gemeinden die Pfarrer versagt werden, so liegt das auf einem anderen Gebiet. Auch hat man kirchlicherseits kein Bedenken getragen, wenn der Staat kraft seines Patronatsrechts mit der Besetzung der Stellen vorgegangen ist, den Bemühungen des Staate entgegen zu kommen, und zahlreiche katholische Pfarrstellen sind besetzt, ohne daß man geglaubt hat, mit diesen patronatischen Pfarren Pfarrer zweiter Klasse zu etabliren.

Meine Herren! Wenn ich hiernach mit einem gewissen Maß von Befriedigung auf die gegenwärtigen Zustände zu sehen berechtigt bin, dann frage ich mit Hrn. von Hammerstein: ist es denn eigentlich klar, welche Wirkungen der Gesetzentwurf, welchen der Hr. Abg. Windthorst heute vorschlägt, der bestehenden Gesetzgebung gegenüber haben würde? Liegt es in der Absicht des Herrn Antragstellers, die Vorbedingung des Indigenals aus dem Wege zu räumen, die Vorbedingungen jeder Vorbildung? Liegt es in seiner Absicht, diejenigen Priester und Bischöfe in freie Funktion zu setzen, denen das staatliche Exequatur entzogen ist? Wie steht es mit den Seelsorgeorden? wie mit den Jesuiten? die nicht, wie Hr. von Schorlemer glaubte, blos in der Phantasie existiren, sondern in steigender Zahl in neuerer Zeit mit ihrem Be⸗ such uns wieder beehren?

Meine Herren, auf diese Fragen haben wir durch die bisherige Diekussion eine Antwort nicht erhalten und ich glaube nicht zu viel zu sagen, wenn ich, anknüpfend an die Bemerkungen des Hrn. Abg. Hänel von 1883 hier aussprechen muß, daß es unmöglich sein wird, wenn nicht in klarerer Weise die Bedingungen umschrieben und fest⸗ gelegt werden, heute sich klar zu machen, ob und was noch von der kirchenpolitischen Gesetzgebung Übrig bleibt. Es ist, wie Hr. ron Hammerstein meines Erachtens ganz richtig hervorgehoben hat, durch aus nicht möglich, diese Frage in den engen Gefühlsgrenzen, in welchen der Hr. Abg. Windthorst sie hat halten wollen, zu behandeln, als ob der Gesetzentwurf lediglich die höchsten spirituellen Rechte unserer katholischen Mitbürger schützen wolle, die übrige Gesetzgebung intakt lasse. Im Gegentheil, der An⸗ trag berührt auch das letzte Fundament unserer kirchenpolitischen Gefetzgebung. Ich habe wiederholt, und ich glaube fast zum Ueher— dtuß Les Hauses, vom Jahre 1883 ab bei jeder Gelegenheit die Er klärung abgegeben, daß die Staatsregierung gern bereit ist, auf dem Wege, weichen sie in der Novelle von 1883 betreten hat, fortzu⸗ fahren. Mir schweben auch gesetzgeberische Maßnahmen vor, mit denen noch weiter gegangen, aber allerdings in der Tendenz der Novelle von 1883 fortgeschritten werden könnte, und folche Maßnahmen würden vielleicht auf dem Gebiet, welches die Herren Vorredner aus dem Centrum als ein so schmerzliches bezeichnen, noch weiteren Wandel schaffen. Ich glaube, die Ansätze zu solchem Vorgehen sind in der Novelle von WSs63 richtig gegeben, und um deutlicher zu sein, will ich darauf hin⸗ deuten, daß in diesem Gesetz mit Bewußtsein mehr auf das kirchliche Amt, mehr auf das Pfründenwesen übergegangen ist als in der früheren kirchenpolitischen Gesetzgebung. .

Aber, meine Herren, wenn es sich darum handelt, mit irgend einer gesetzgeberischen Maßnahme vorzugehen, so dürfen doch nicht unerwogen bleiben die politische Lage überhaupt und diejenigen Grund⸗ sätze, welche, wie ich mir schon in der vorigen Diskussion anzudeuten erkaubt habe, von der Staatsregierung für ihr kirchenpolitisches Ver helten gezogen worden sind. Der Herr Reichskanzler hat in der Sitzung des Reichstages vom 3. Dezember 1884 in festen und mar= kanten Zügen das kirchenpolitische Programm der Königlichen Staatsregierung entwickelt und, wenn Sie es wünschen, will ich Ihnen die einschlagende Stelle vorlesen. Er hat dahin seine Auf— sassung zusammengefaßt, .

daß bei der gegenwärtigen gesetzgeberischen Lage und der Ver waltungspraxis in Preußen einerseits und mit Rücksicht auf die Ver⸗

handlungen mit der Kurie andererseits der Zeitpunkt für die preu= ßische Regierung, gesetzgeberische Aenderungen herbeizuführen, erst dann eingetreten ist, wenn irgend ein Entgegenkommen gezeigt ist,

Es liegt dem Herrn Reichskanzler daran, den Werth der Münze, die Farbe und das Gepräge, welches in geschlossener Hand gehalten wird, zu erkennen. Erst dann ist Raum für die Hoffnung gegeben, daß der Staat gemeinsam mit der katholischen Kirche das Grenz gebiet, welches zwischen dem Staat und der katholischen Kirche liegt, durch einträchtige Arbeit ausgebaut wird, und je nachdem, ob solche Hoffnung begründer erscheint, ändert sich auch das Ziel, welches eine firchenpolitische Gesetzgebung zu nehmen hat. Es ist dieser Gesichts⸗ punkt früher wiederholt bereits hervorgehoben; es giebt zwei Mög⸗ lichkeiten: entweder richtet sich der Staat gesetzgeberisch so ein, daß er keine Hoffnung hat, mit der katholischen Kirche noch gemeinsamn zu arbeiten. Das ist das System der regressiven Gesetzgebung, wie es vor zwei Jahren in der bekannten Mainote entwickelt worden ist. Oder er half an der Hoffnung fest, daß ein gewisses gemein sames Grenzgebiet, welches stets bestanden hat und stets bestehen wird, desffen Grenze allerdings nach Maßgahe der An⸗ schauungen der verschiedenen Jahrhunderte auch verschieden gestaltet, in gemeinsamer friedlicher, Arbeit ausgefüllt werden kann. Die preußische Staatsregierung hält heute noch an der Auffassung fest, daß es der Leitung der kalholischen Kirche gefallen wird, durch irgend eine Thatsache, irgend eine Handlung zu dokumen⸗ tiren, daß der letztere Weg auch ihrerseits als der zweckmäßigere be trachtet wird. Aber ohne eine solche Bethätigung, ohne TRonstaticung der friedlichen Gesinnung durch cine Thatsache, welche als eine Kon⸗ zession angesehen werden kann, wird. wie der Herr Richs⸗ kanzler unter Betonung seiner Stellung als preußischer Minister Präsident im Reichstage erklärt hat, die preußische Regierung gegenwärtig mit weiteren Konzessionen auf dem Wege der Gesetzgebung nicht fortfahren. Die Erklärungen, welche der Herr Reichskanzler abgegeben hat, sind nicht von gestern zu heute gegeben, sie bilden'ein festes Programm, und wenn Sie sich die Grundsätze, bie in demselben entwickelt worden sind, vergegenwärtigen, werden Sie es verflehen, wenn ich Sie bitte, den Antrag Windthorst ab⸗ zulehnen.

Der Abg. Richter erklärte, sein Standpunkt habe sich nicht geändert, er sei dargelegt in dem Antrage Virchow, den seine Partei im vorigen Jahre zum Antrage Windthorst ein⸗ gebracht habe. Derselbe sei dem Antrage Windthorst gegen⸗ über nicht ablehnend. Der Antrag seiner Partei wolle die Straf⸗ bestimmungen für das Unterlassen der Anzeigepflicht beseitigen. Seine Partei wolle diejenigen, die staatliche Bezüge hätten, zu einer Anzeige verpflichten, thäten sie dies nicht, dann sollten eben die sfaatlichen Zuwendungen und Privilegien ihnen ent⸗ zogen werden. Für die persönlichen Anforderungen an die anzuftellenden Geistlichen lehne seine Partei es ab, Bestimmun⸗ gen aufrecht zu halten, die eine Einmischung in Personalien und individuelle Verhältnisse der einzelnen Geistlichen ermög⸗ lichten. Sie wolle das diskretionäre Ermessen der Staats⸗

regierung beseitigen, dafür wolle sie gewisse allgemeine gesetz⸗

liche Bestimmungen über die Vorbildung, die bürgerlichen Nechte und Üüber die Nationalität aufrecht erhalten. Sie habe den Antrag diesmal nicht sormulirt, wenn aber Werth darauf gelegt würde, könne sie es noch thun. Von einer Kom⸗ missionsberathung könnte man wohl sagen, daß sie ein anfländiges Begräbniß bedeute. Wenn man auf die Modali⸗ täten der Regelung eingehen wollte, so müßte mindestens die zweite Lesung des Antrages auf einen anderen Tag ver⸗ schoben werden.

Der Abg. Dr. Mosler war der Ansicht, die Sakramente be⸗ rührten den Staat gar nicht, das einzige der Ehe, seit das Civilgesetz eingeführt, sei auch nicht mehr. Das Erhalten der Sakramente sei für Katholiken eine Bedingung der Seligkeit. Die altkatholische Mehrheit habe der katholischen Minderheit das Maß zugemessen, und darum sei es so gering geworden, weil die Protestanten meinten, was sie nicht brauchten, sollten Katholiken auch nicht haben; sie sollten zufrieden sein, daß ihnen im Jahre 1883 die Zahl der Geistlichen vermehrt worden sei. Aber damit sei dem Mangel nicht entfernt abgeholfen. In Trier seien 166 Hülfsgeistliche auf Grund des Gesetzes von 1883 angestellt worden, und doch sei die Zahl der gänz⸗ lich verwaisten Pfarreien noch sehr beträchtlich. In Oena⸗ brück seien von g6 Pfarreien 45 vakant, in Posen 485, in Münster von 326 nicht weniger als 107; in anderen Pfarren komme ein einziger Geistlicher auf Gemeinden bis 9009 Seelen. Wie solle da eine geordnete Seelsorge möglich sein? Deshalb bitte er das Haus dringend, ein Gesetz zu beseitigen, welches in die Gewissensfreiheit eingreife und noch immer Anlaß zu zahlreichen Plackereien gebe, dann werde dasselbe ein Werk des Friedens vollbringen helfen, für das ihm das katholische Volk dankbar sein werde.

Hiernach wurde ein Antrag auf Schluß angenommen. Im Schlußwort wendete sich der Abg. Dr. Windthorst gegen den ihm und seinen Freunden von dem Abg. Frhr. von Hammerstein gemachten Vorwurf der Unvorsichtigkeit. Die Stimme der Fraktson werde nicht erkannt an den Worten, sondern an den Thaten; auf den Knieen werde das Centrum nicht zur Re⸗ gierung und zu den Konservativen kommen und demüthig um Gnade flehen: die Katholiken ständen als völlig gleichberechtigte Bürger des Staates im Hause und verlangten ihr gutes Recht. Kommissionsberathung sei doch für eine so einfache Frage nicht noch besonders erforderlich; ein solcher Antrag könne nur den Sinn haben, daß man über das Grundrecht der Ausübung der Gewissensfreiheit nicht gerne abstimmen möchte und dieser Abstimmung durch Verweisung des Antrags an eine Kommission sich entziehen wollte. Dem Minister habe er zu bemerken, daß es für eine preußische Landesversammlung sehr interessant sei, daß das Programm der Regierung in so wichtigen Angelegenheiten des preußischen Staats im Reichs⸗ tage dargelegt werde. Das Stocken in den Verhandlungen habe aber darin seinen Grund, daß die Regierung niemals sage, wie weit sie entgegenkommen wolle, während der heilige Stuhl ein sehr weitgehendes Entgegenkommen durch die Er— klärung der Sedisvakanz der beiden Erzbischofssitze und durch den Vorschlag neuer Funktionäre für dieselben bewiesen habe. Die Regierung wolle eben selbst die Personen bezeichnen, welche der Papst für geeignet erachten solle. Nach der eigenen Auffassung der Regierung genüge die Arbeit von 1883 nicht; warum halte man mit den weiteren, schon fertig gestellten Gesetzvorschlägen zurück? Durch solches Verfahren habe die Regierung ihre eigene Anklage formulirt. Noch morgen werde dem Hause der Antrag zugehen, die Regierung auf⸗ zufordern, ihre Anträge auf Revision der Maigesetzgebung schleunigst einzubringen. Das werde die richtige Antwort auf die Ausführungen des Abg. von Hammerstein sein. Er konstatire hier vor Deutschland und Europa, daß am 22. April 1885 der Kultus-Minister von Preußen einen Antrag zur Ablehnung empfohlen habe, der nichts weiter wollte als die Freigebung des Messelesens und des Sakramentspendens!

In persönlicher Bemerkung wies der Abg. Frhr. von Hammerstein die Unterstellung zurück, als ob der Antrag auf Kommissionsberathung nur ein Verlegenheitsantrag ge⸗ wesen sei.

Der Antrag auf Kommissionsberathung wurde abgelehnt, desgleichen ein Vertagungsantrag; das Haus trat in die zweite Lesung ein.

Der Abg. Porsch (Neurode) führte eine Reihe von Ver⸗ fügungen der Verwaltungsbehörden und von richterlichen Ent— scheidungen an, welche das Unerträgliche und Widersinnige

des gegenwärtigen Zustandes illustriren sollten.

Der Staats⸗Minister Dr. von Goßler bemerkte bezüglich eines der vom Vorredner angeführten Erkenntnisse, welches nach dem Erlaß der Novelle 1883 ergangen sei, daß nach seiner per⸗ sönlichen Auffassung dieses Erkenntniß mit den gesetzlichen Bestimmungen nicht im Einklang stehe, und daß er den M hr in ter von dieser seiner Ansicht in Kenntniß gesetzt habe.

Der Antrag wurde in namentlicher Abstimmung mit

169 gegen 127 Stimmen abgelehnt. Für den Antrag stimmten Centrum und Polen, eine Minderheit der Frei— sinnigen und einige Konservative. Nunmehr wurde ein Vertagungsantrag angenommen. Um 5is, Uhr vertagte sich das Haus auf Donnerstag 11 Uhr.

Literarische Neuigkeiten und periodische Schriften.

Deutsches Wochenblatt für Gesundheitspflege und Retkungswefen. Nr. 18. Inhalt: Turnen oder Spielen? Von Pr. Fr. Dornblüth in Rostock. Ueber gelungene Kulturversuche des Hausschwamms (Mernlius laerz maus) aus seinen Sporen. Vor⸗ trag vor Professor Pr. Poleck in Breslau. (Schluß.) Gewinnung bakterienfreien Wassers. Kampf gegen den Mißbrauch geistiger Getränke. Arbeiterhygiene. Kriegssanitä swesen. Schul⸗ hygiene: Ueber die Zuführung von Licht und Sonne in die Schul— zimmer. Ernahrung und Nahrungsmittel. Verfälschung von Rahrungs⸗ und Genußmitte ln. Krankenpflege. Bakteriologische Mittheilungen. Krankheiten und Seuchen. Literaturbericht. Kleine Mittheilungen. . .

Monatsschrift für das Turnwesen mit besonderer Berücksichtigung des Sculturnens und der Gesundheitspflege. Heft 4. Inhalt: Abhandlungen: Fürst Bitmarck. Von Dr. G. Euler. Geschichtliche Entwickelung und Organisation des Schul turnens in den Hohenzollernschen Landen. Von J. Wolf⸗ Inneringen. Bekanntmachung; Termin für die Turnlehrerinnen⸗ prüfung. Beurtheilungen und Anzeigen: Zeitschrift für das öster reichische Turnwesen. Herausgegeben von Jaro Pawel. J. Jahrg. 1. Heft. Wien 1885. Besprochen von Dr. Rühl. Stettin. Zur Abwehr. Von Dr. H. Brendicke⸗Saljburg. Erwiderung. Von Dr. C. Euler.