1886 / 52 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 01 Mar 1886 18:00:01 GMT) scan diff

sertige ihn auch nicht, denn er sei seit hunde rt Jahren aus der Reihe der europäischen Staaten herausgetreten. Diese Idee, welche der keineswegs polenfeindliche Herr von Flottwell schon vor geraumer Zeit in seinem bemerkenswerthen Bericht als eine patriotenfeindliche Phantasie bezeichnet habe, sei es, welche das Verhältniß zwischen Polen und Deutschen, beides Angehö⸗ rigen eines Staates, vergifte. Diese Idee sei es, welche eine rũcksichtslose Propaganda ausgebeutet habe, welche Mißtrauen ausgesäet habe zwischen Deutschen und Polen. Bei der Durch⸗ ührung dieser Jdee müßten ja Preußen und Rußland zer⸗ . und das ganze europäische Staatenwesen in Frage gestellt werden. Der patriotische Sinn sei die Grund⸗ lage der Integrität des Staates. Es handele sich darum, den Fortschritten der polnischen Propaganda entgegen⸗ zutreten. Dazu solle zunächst die Kolonisation dienen. Mit der Zeit werde die Regierung sich entschließen müssen, namentlich wenn die Agitation sich nicht mehr in so starkem Maße geltend mache, auch für die polnische bäuerliche Bevölkerung Kolonien anzulegen. Daß jeder Pole deutsch spreche, werde sich vielleicht erst in Jahrhunderten erreichen lassen. Dem Polen seine Muttersprache zu rauben, sei nicht die Absicht der Antragsteller, würde auch ganz unmöglich sein. Keine Nation, die bereits zum Bewußtsein ihrer Nationalität gekommen und eine bedeutende geistige Kultur hat und die Polen hätten eine der ersten unter den Slaven lasse sich ihre Nationalität entreißen. Er (Redner) verwahre sich aus⸗ drücklich gegen den Ausdruck „Germanisirung“: damit arbeite man nur der polnischen Propaganda in die Hand. Die Polen sollten Polen bleiben, oder besser polnische Preußen. Solche Germanisirungsbestrebungen könnten sie nur unserem Vater—⸗ lande entfremden. Er wünsche, daß die deutschen Beamten, die nach Posen gehen, auch polnisch sprechen könnten. Die ossizielle Sprache müsse die deutsche sein, aber wenn der Beamte dem Volke näher treten und es an den Staat fesseln solle, dann müsse er auch mit dem Volke in seiner Mutter⸗ sprache reden können. Das wolle und könne man erreichen, namentlich jetzt, wo man eine solche glückliche Ueberfülle von Juristen habe. Der polnisch redende Jurist werde in jenen Provinzen sofort Anstellung finden können. An einem Theile der deutschen Gymnasien werde sich auch fakultativ das , . lehren lassen. Der Richter solle auch der niederen Bevölkerung mit Rath und That zur Seite stehen. Dann werde sich auch das staat⸗ liche Gefühl in jenen Bevölkerungsklassen vermehren. Die Polen sagten: man wolle sie vernichten. Wie könnten die Polen uns für so unsinnig halten, daß wir unsere Landsleute vernichten wollten? Er wolle die Erhaltung des zweisprach— lichen Charakters der Bevölkerung in den östlichen Landes— theilen, aber Ausschließung der gegen die Integrität des preu⸗ ßischen Staates gerichteten Agitation.

Fürst Ferdinand Radziwill bemerkte bei der Begründung seines Gegenantrages: Es könne den Antragstellern natürlich nicht in den Sinn kommen, dem Hause, einem hervorragenden Theil der Landesvertretung des leitenden deutschen Staates, zuzumuthen, auf den Ausdruck und die Kundgebung eines ge⸗ rechten nationalen Stolzes auf deutschen Geist, deutsche Bil⸗ dung und Kultur deshalb zu verzichten, weil eine Minderheit eines anderssprachlichen Volksstammes in diesem Staate Heimathsrecht habe. Sie (die Antragsteller) hätten im Gegentheil volles Verständniß für die Aufgabe und das Bestreben des preußischen Staats, seine admi— nistrativen Maßregeln dahin zu richten, möglichst allen Staatsbürgern die Kenntniß der deutschen Sprache zu verinitteln. In allen Beziehungen des öffentlichen Rechts ei ja auch der polnischen Bevölkerung der Besitz dieser Kenntniß unentbehrlich. Indeß gehöre die Erreichung dieses gerechten Ziels so sehr zu den selbstverständlichen Aufgaben des preußi⸗ schen Staats, daß er (Redner) sich wirklich fragen müsse: Habe es denn zur Erreichung dieses Zieles einer so feierlichen Kundgebung der Regierung und Seitens des Hauses einer so feierlichen Accentuirung des Festhaltens an diesen Zielen bedurft, wie sie der Antrag Dernburg proponire? Auf Kultur und allgemeine Bildung könnten doch die Prinzipien des Schutzzolles und des Prohibitivsystems nicht angewendet werden, namentlich in einem Gebiet nicht, durch welches sich die Sprachengrenze der slavischen und germanischen Welt hin⸗ ziehe. Mit den Mitteln bureaukratischer Verwaltung könne doch von ihrem in dieser Beziehung beschränkten Standpunkte nicht dort eingegriffen werden, wo die göttliche Vorsehung und die Geschichte selbst die ethnographischen Grenzlinien gezogen hätten. In der That stelle sich der Antrag Dernburg in ganz anderem Lichte dar, wenn man ihn an der Hand seiner Vor— geschichte, im Zusammenhange mit dem parallelen Antrage im Abgeordnetenhause, mit den Reichstagsverhandlungen und den bereits eingebrachten Gesetzvorlagen betrachte. Der Antrag be⸗ deute unter diesen Gesichtspunkten die Aufforderung an das Herrenhaus, eine Reihe zum Theil höchst bedenklicher legis— lativer Maßnahmen gutzuheißen, Maßnahmen, welche den Effekt haben müßten, durch die Gesetzgebung einen Kriegszustand zwischen den beiden Nationalitäten in das öffentliche Recht des Landes mit dem bewußten Ziel einzuführen, diesen Krieg bis zur Ausrottung des polnischen Elements fortzusetzen. Er übertreibe nicht; so dankenswerth die Zusicherungen des Dr. Dernburg, seine innersten Herzenswünsche gleichsam für die Stellung der deutschen Nationalitüt gegen die polnische, feien: sie könnten ihn (Redner) und die anderen Antragsteller darüber nicht täuschen, daß der reale Effekt des planmäßigen Vorgehens der Regierung der von ihm angedeutete sein werde und müsse. Somit seien er und seine Genossen durch die Regierung in eine Defensivstellung gedrängt, aus der heraus sie nur den Antrag unterbreiten könnten, die geplanten Maßregeln nicht gutzu⸗ heißen und über den Antrag Dernburg zur Tagesordnung überzugehen. Es sei absolut eine petitis principii, das Vor— dringen des polnischen Elements gegen das deutsche als noto— risches Faktum hinzustellen. Das vorgebrachte statistische Beweismaterial widerspreche zum Theil direkt dieser Ve⸗ hauptung, auf die allein der Antrag Dernburg sich gründe. Er wolle gewiß nicht Oel in die Flammen gießen, müsse aber doch aussprechen, daß seiner festen Ueber— zeugung nach der Kulturkampf mit diesem Vorgehen aufs innigste zusammenhänge. Durch diesen sollte der katholischen Kirche der Todesstoß versetzt werden; das Kriegsrecht gegen sie sei in dieser ausgesprochenen Absicht proklamirt worden. Seien nun auch in dieser Beziehung jetzt hei der Staatsregie— rung mildere und objektivere Auffassungen zu Tage getreten, so wäre es doch Täuschung, sich dem Sicher⸗ heel hinzugeben, daß die große, bunt zusammenge— würfelte, unter der Fahne des Kulturkampfs marschirende

Armer den Angriff auf ihr Hauptangrifftzobjekt definitiv und prinzipiell preisgege hätte. Vielleicht glaube sie, momentan aus taktichen Rückfichten ihr Operationsfeld einschränken zu

Geschichte r

müssen; aber in dem Antrage Dernburg sähe man dieselbe Armee mit klingendem Spiel und fliegenden Fahnen gegen die Position eines Volksstammes vorgehen, welcher seit 1 ahren innerhalb der heutigen Grenzen Preußens in zwar numerischer Minderheit aber fester nationaler Organisation seine Stelle habe. In den Motiven einer der Polen⸗ vorlagen sei ja deutlich ausgesprochen: eine durch Sprache und Sitte dem preußischen Staatsleben innerlich entfremdete Nationalität solle aus dem Staatskörper aus⸗ geschieden werden. Damit wende man sich von einem konser⸗ vativen Standpunkte entschieden ab; nicht von innen heraus sollten die in der polnischen Nationalität ruhenden Kräfte zur Entwickelung gebracht werden, sondern von außen herein wolle man nach fast sozialistischen Rezepten eine Einwirkung versuchen, wolle man mit dem alten Zustande tabula rasa machen und mit ganz mechanischen Mitteln einen neuen schaffen: eine durchaus als sozialistisch sich charakterisirende eee. Der Reichskanzler habe die Politik eine Kunst ge⸗ nannt; hier reiße in diese Kunst ein Vandalismus ein, wenn lebensfähige Ueberlieferungen der Vorzeit mit roher Hand durchschnitten würden. Und mit welchen Mitteln solle dies geschehen? Der Gedanke des Hundertmillionenfonds verstoße zweifach gegen die politische Moral. Die . des Staates solle allen seinen Angehörigen zu gute kommen; hier räume man der Negierung fast unkontrolirbare diskretionäre Gewalten ein. Polnischen Bauern solle nichts aus dem Fonds zugewendet werden; anderen, abgelegeneren, ihrer Qualität nach ganz unbekannten Staatsbürgern sollten die Vortheile ef, Das könne das Haus nicht gut⸗ heißen. Und wie gehe die Regierung mit politischen Begriffen und Nomenklaturen um? Im Reichstage heiße es immer, wenn ein polnischer Abgeordneter eine Forderung gel— tend mache, die mit den aus seiner Nationalität hervor⸗ gehenden Sonderinteressen vital zusammenhänge: Wir kennen nur Deutsche und deutsche Interessen! Hier kämen aber auf einmal die Polen in hellen Haufen hervor, überflutheten sogar das deutsche Element und bildeten die größte Gefahr für die Sicherheit des preußischen Staats. Hier, wo es darauf ankomme, dieser Nationalität Rechte zu versagen, da ignorire man sie nicht, da könne man sie finden. Im Reichstage seien die Polen auf das Abgeordnetenhaus verwiesen worden, wo die Regierung verfassungsmäßig in der Lage sein sollte, die Massenausweisungen als eine große na— tionale Maßregel darzustellen. Dort habe aber der Reichs—⸗ kanzler in seiner Rede gleichsam am Schein einer Kriegsfackel das Schlachtfeld beleuchtet, auf welchem in Zukunft sich die Kämpfe entwickeln würden. Derselbe habe auch den Marquis. Wielopolski erwähnt. Die politischen Schöp— fungen dieses Mannes seien verloren gegangen. Zu spät habe die Nation als solche erkannt, wie sie in den folgenden Wirrnissen gegen ihr eigenes Fleisch und Blut gewüthet. Aber sein Prinzip lebe unter den Polen fort. Nur unter loyaler Festhaltung der Pflichten, die man dem Staate schuldig, dem man politisch ö könnten un— veräußerliche nationale Güter gefördert werben. Dieses große christliche und konservative Prinzip sei in allen Gebietstheilen polnischer Zunge bahnbrechend geworden. Wolle und könne das Haus diesem Prinzip mit Mißgunst entgegentreten und jeder Bethätigung polnisch nationalen Lebens durch gesetzliche Maßnahmen den Boden entziehen? In dem lirchenpolitischen Kampf hätten die Polen den Ehrenplatz an der Seite ihrer Mitbürger behauptet und würden ihn nicht aufgeben. Sie würden weiter kämpfen an der Seite der Kämpfer für Wahrheit, Freiheit und Recht. Beim Ausbau der Staats— verfassung auf wahrhaft konservativer Grundlage könne das Haus die Bausteine nicht ignoriren noch missen, welche ihm auf dieser Grundlage in der polnischen Bevölkerung zu Ge— bote ständen. Er hoffe, daß das Haus dieses Material in den Fundamenten mit werde verwenden können, und bitte, in diesem Sinne über den Antrag Dernburg zur Tagesordnung überzugehen.

Herr von Bethmann-Hollweg erklärte: er halte eine „feier⸗ liche Kundgebung, wie sie der Vorredner nenne, nicht für überflüfsig. Es sei nicht nur hohe Zeit, daß die Regierung den Verhältnissen in den östlichen Provinzen ihre Aufmerk— samkeit wieder zuwende, sondern auch Zeit, ausdrücklich auf diese Nothwendigkeit hinzuweisen. In der deutschen Bevölke— rung sei das Gefühl weit verbreitet gewesen, daß man sie in neuerer Zeit im Stiche gelassen. Allerdings könne es besser werden, wenn die Regierung ihr neues Programm mit Be— harrlichkeit und Konsequenz verfolge. Es sei eine allge— meine Ueberzeugung, daß der territoriale Besitz Posens und Westpreußens von Preußen und Deutschland niemals abgetreten werden dürfe; notorisch sei gleichwohl, daß die Be⸗ strebungen auf, die Wiederherstellung des Polenreichs in den Grenzen von 1772 von den leitenden dal der polnischen Bevölkerung niemals aufgegeben worden sind. Selbst im Abgeordnetenhause habe man dem nicht strikte widersprochen. So sei denn die polnische Bewegung nicht blos eine nationale, sondern auch eine territoriale. Das deutsche Element sei seit den letzten 30 Jahren bedeutend zurückgegangen, wie er Redner) aus seinen Erfahrungen als Deutscher, der seit 33 Jahren dauernd in Posen lebe, bezeugen könne. Das früher erträgliche Verhältniß beider Nationalitäten habe sich seit den fünfziger Jahren von Grund aus geändert. Als er nach dem Badener Attentat auf den König eine Loyalitätsadresse in Um— lauf gesetzt habe, hätten seine polnischen Nachbaren die Be— theiligung verweigert, und seitdem sei das Verhältniß nie wieder so freundlich geworden wie vorher; deshalb seien auch zie in dem. Antrage. Radziwill ausge— sprochenen Besorgnisse völlig illusorisch. Der Rückgang des Deutschthums erkläre sich aus verschiedenen Um— ständen. Der erwartete deutsche Zuzug sei ausgeblieben; die Verstärkung des deutschen Elements im Großgrundbesitz be— deute nichts die großen Herren seien ja meistens absentes —; der Hauptgrund aber seien die wirthschaftlichen Verhältnisse, die Latifundienwirthschaft im Groß- wie im Klein-Grundbesitz. Auch die sogenannten „Kolonien“ hätten nicht prosperirt; ihre Zahl sei bereits auf die Hälfte zurückgegangen, und obwohl zunächst lauter Deutsche angesiedelt worden, sei jetzt schon ein Drittel von Polen besetzt. Zum großen Theil trage auch der Mangel an Nationalgefühl bei den Deutschen, namentlich der, unteren Klassen, die Schuld. Unzählige Po—⸗ lonisirungen seien dadurch erfolgt, daß ein deutscher Mann eine polnische Frau heirathete. Das Hauptmittel der glonisirung sei die Schule gewesen. Unter den Augen des Ober-Präsidenten seien in den Jer Jahren die sogengnnten Bamberger Dörfer, rein deutsche Ansiedelungen, polnisch ge— macht worden. Derartige Vorgänge seien täglich zu beobachten.

Die unglückliche Verquickung des Konfesfionellen mit dem

Nationalen tragẽ ganz besonders zu diesem Rückgange des deutschen Elements bei. Nachdem Nedner noch an einer Reihe von Einzelheiten die Maßlosigkeit der polnischen Agitation illustrirt hatte, fuhr er sort: Die Masse der Polen könne man nicht bekehren, man könne aber verlangen, daß sie gute Preußen seien. Die Aktion der Regierung sollte also dahin gehen, die Deutschen zu fördern durch Kolonisation durch Verbesserung der Kommunikationen der Provinz, durch Förderung der kirchlichen Bedürfnisse der Deutschen in der Diaspora, auf dem Gebiete der Schule Simultanschulen zu pflegen, die in gemischten Bezirken sehr am Platze seien, und die Schule überhaupt von allen geistlichen Einflüssen zu be⸗ freien, sie als Staatsschule unabhängig zu stellen.

Herr von Zoltowski nahm sodann das Wort gegen den Antrag Dernburg: Der Antrag widerspreche in seiner Tendenz sowohl der Bestimmung des Allgemeinen Landrechts, daß sich die Fremden aller Rechte der übrigen Einwohner zu erfreuen haben sollen, als auch dem Art. 4 der preußischen Verfassung, daß vor dem Gesetz alle Unterthanen gleich sein sollen. Die Regierung komme immer mehr und mehr auf die schieff Bahn der Ausnahmegesetze: die zahlreichen Katholikengesetze, die neue Auflage des Sozialisten⸗ gesetzes und die neuen Polengesetze bewiesen dies. Es werde nicht mehr lange dauern, und der Art. 4 der Verfassung sei faktisch dadurch aufgehoben, daß die Unter⸗ thanen, welche wirklich vor dem Gesetze gleich sind, die Mino⸗ rität im Staate bildeten. Im Hinblick auf Thaten, wie sie die Jahre 1846 und 1848 in Galizien gezeitigt, sollte man sich doch hüten, Zwiespalt unter Bewohnern eines Landes und Berufsgenossen hervorzurufen. Es sei nicht zu begreifen, wie die Regierung sich denken könne, durch Geringschätzung Königlicher Zusagen das monarchische Prinzip zu kräftigen. Die Maßregel gegen die Polen scheine ihm namentlich im Hinblick auf die Dreikaiser⸗Zusammenkünfte ein Präcedens schaffen zu sollen für ein Vorgehen gegen die Ostseeprovinzen, wo alles gähre und koche. Schlimm sei es, wenn eine Re— gierung die Grundsätze, von denen sie sich in ihrer auswär⸗ tigen Politik leiten lasse, nicht auch im 5 streng befolge. Der Staatsmann, der durch seine Politik ganz Europa in Be⸗ wegung gesetzt, um den Serben, Rumänen, Bulgaren und Montenegrinern eine nationale Entwickelung zu ermöglichen, lege nicht denselben Maßstab einem Volke gegenüber an, das eine tausendjährige Geschichte habe. Das Haus werde ihm (dem Redner) glauben, wenn er sage, daß es ihm sehr schwer geworden, Verhältnisse, welche seine zartesten Gefühle 6. schmerzlichste berührten, ganz objektiv zu besprechen; er habe es gethan, um keine Leidenschaftlichkeit in die Debatte hineinzubringen. Er bitte, seinem Beispiele zu folgen und den Antrag Dernburg durch Annahme der motivirten Tages⸗ ordnung des Fürsten Radziwill abzulehnen. Sollte aber jener Antrag dennoch angenommen werden, dann werde er sich trösten mit dem Worte: „Victrix causa diis placuit, sed vieta Catoni.

Herr von Kleist⸗Retzow äußerte: er glaube, es werde den Herren sehr gleichgültig sein, ob der alte Cato dem Antrage nicht zugestimmt hätte; jedenfalls müßten die Herren, welche gegen denselben gesprochen hätten, doch an eigentlichen Gründen arg Mangel leiden, wenn sie dem Antrage Dernburg, der nichts als den Schutz der deutschen Entwickelung im Osten wolle, nicht ö. beizukommen vermeinten, als indem sie ihn mit dem Sozia Hen , und den Kulturkampfgesetzen befehdeten. Von Anfang an sei er (Redner) gegen alle Kulturkampfmaß—⸗ regeln gewesen, die ihm manche schmerzliche Stunde bereitet hätten. Der Antrag Dernburg habe, wenn er auch im Allgemeinen dasselbe wie der im Abgeordnetenhause verhandelte verfolge, die Absicht, eine Korrektur desselben vorzunehmen, indem er nicht bestimmte Maßregeln ins Auge fasse, sondern nur den Schutz des Bestandes und der Entwickelung des deutschen Elements. Die Antragsteller wollten verhindern, daß Agitatoren und Agitationen sich Mühe geben, den Lauf der Geschichte zu kor⸗ rigiren. Das deutsche Element sei entschieden im Osten zurück⸗ gegangen. Ueberall sei ein Vordringen der polnischen und russi⸗ schen Ueberläufer deutlich zu bemerken, welche nicht als Handwerker und Handarbeiter, sondern nur durch Ver— mittelung des Verkehrs ihren Unterhalt fänden. Das deutsche Wesen sei ihnen genehm. Sie selbst seien mäßig, begnügten sich mit Wenigem und drückten dadurch auf die Löhne: daher die Erscheinung, daß gerade die deutschen Arbeiter aus jenen Gegenden auswandern. Eine andere schwere Folge jener Ein⸗ wanderung zeige sich auf dem Gebiet der Schule. Entweder werde, die Regierung genöthigt, für jene Leute polnisch⸗ katholische Schulen anzulegen, oder die polnischen Kinder unterdrückten in den Schulen das deutsche Element. Eine dritte schwere Folge sei das Anwachsen des jüdischen Elements, welches sich durch jene Einwanderung besonders auch in Frank— furt am Main, Berlin und Leipzig bemerkbar mache. Daß die polnisch⸗katholischen Preußen . Unterthanen seien wie die Deutschen, werde auch Fürst Radziwill nicht be⸗ haupten. Die Polen dächten eben immer stets an die Wieder⸗ herstellung ihres Neiches von 1772. Zwei Gründe verschul⸗ deten besonders das Vordringen des polnischen und das Zurück— gehen des deutschen Elements. Das eine sei der Zug von QAsten nach Westen und nach den großen Städten. Dagegen lasse sich wenig thun; das einzige sei noch die Kolonisation. Die Deutschen . ja vorzügliche Kolonisatoren, sie hätten dies in Amerika und auch schon vor Jahrhunderten in Deutschland gezeigt. Freilich dürfe man bei der Kolonisation nicht das kirchliche Moment außer Acht lassen, wenn man die Leute in ihren Kolonien eingewöhnen wolle: das habe schon Otto der Große gewußt. Dann sei die Einrichtung ö. Erbpacht nothwendig, damit es den Kolonisten leicht werde,

rund und Boden zu erwerben. Ein zweiter Punkt, der am Zurückweichen des Deutschthums Schuld habe, seien die traurigen kirchlichen Zustände. Die Parochien im Osten seien viel zu groß; der Geistliche könne daher unmöglich hinreichend auf eine Gemeindeglieder seelsorgerisch einwirken. Dadurch gingen ie letzteren dem Deutschthum verloren. Die Konfirmanden hätten mitunter drei Meilen weit zu gehen. Man habe Ab⸗ hülfe durch Wanderlehrer , , aber das habe wenig e r, Da die ei n n Stellen meist schlecht be⸗ oldet seien, blieben viele derselben unbesetzt. Die Liebe zur

Sache gehe den Geistlichen verloren, da sie von der n,,

u wenig gefördert würden. Wenn man daher das Zurück— rängen der Deutschen durch die Polen in jenen Provinzen verhindern wolle, so müsse die Regierung dort vor allen Dingen eine Besserung ber kirchlichen Zustände herbeiführen. Zum Schluß wolle er noch gegenüber dem bekannten Beschluß des Reichstages hervorheben, daß die Regierung mit ihren Maßregeln unzweifelhaft im nationalen In⸗ teresse gehandelt habe. Das Recht dazu könne ihr

keineswegs bestritten werden: der §. 4 der Neichsverfassung stehe 2 den Ausweisungen nicht entgegen. Man müsse der Regierung dankbar sein, daß sie den unitarischen Tendenzen des . entgegengetreten, daß sie den Einzelstaaten ihre Rechte nicht verkümmern lasse, und daß sie zur Zeit die im nationalen Interesse nothwendigen Maßregeln ergriffen

be und weiter ergreifen wolle; und um dies auszudrücken, 9 sein und seiner Genossen Antrag gestellt.

Darauf nahm Bischof D. Kopp das Wort: Der erste Tag, an dem er die Ehre habe, den Berathungen des hohen Hauses beizuwohnen, stelle ihn sofort vor die Frage, die nicht an sich, aber doch für ihn (Redner) einige Schwierigkeiten biete. Der Antrag, der von dem Vorredner eben vertheidigt worden, be⸗ iehe sich auf die Sicherung des gesammten Vaterlandes.

iesem Antrage, an sich betrachtet, könne er wohl ohne Be⸗ denken zustimmen. Die Liebe, das Interesse und der Sinn für die Würde und die Größe des Vaterlandes müsse jedem Landes⸗ kinde innewohnen, und er glaube, das Haus habe ein Recht, dieses ganz besonders von denen zu verlangen, welche kraft ihres Amts berufen seien, die sittlichen Tugenden im Volke zu wecken und zu pflegen. Nun sei aber auch der Gedanke hingeworfen worden: auch eine solche Tugend, ruhe sie auch auf natürlichen Grundlagen und sei sie auch an natürliche Verhältnisse angeknüpft, .. werde sie doch genährt und gepflegt von der Religion; und deshalb sage er, habe das Haus ein Recht, zu verlangen, daß Männer seines Standes jede Gelegenheit, für das Vaterland und dessen Interessen Bekenntniß abzulegen, freudig ergreifen und es als eine süße Pflicht betrachten. Und wenn es sich hierum allein handele, so nehme er keinen Anstand, dieser Pflicht in jeder Beziehung zu genügen; und er freue sich, auch aus der Rede des Fürsten Radziwill wenigstens Anklänge an diese Gesinnung herausgehört zu haben. Er glaube auch darauf hinweisen zu können, daß alle seine kirchlichen Freunde von demselben Sinne durchdrungen seien. Das Ziel aber, welches er eben angedeutet habe und welches der Antrag ent⸗ a müsse auf verschiedenen Wegen erstrebt werden. Nun

abe der Vertreter des Gegenantrages die Befürchtung ausgesprochen, daß mit diesen Maßnahmen nur der Kulturkampf fortgesetzt, erweitert werden solle, und er (Redner) müsse bekennen, daß ihn dieser Anklang sehr traurig gestimmt habe. Er beklage nichts mehr als die ver— slossenen dreizehn Jahre, er beklage sie für seine Kirche, aber auch für das gesammte Vaterland. Er beklage sie nicht der Opfer wegen, welche er selbst gebracht habe, sondern der Schä— den wegen, welche für Alle daraus entstanden seien, und in den nächsten Tagen hoffe er beide Hände des hohen Hauses entgegennehmen zu können, um diese Schäden abzustellen. Aber die Befürchtung habe er nicht, daß mit diesen Maßregeln ein neuer Kulturkampf inscenirt oder der alte erneut werden sollte. Es liege allerdings ja dieser Schein recht nahe, allein er habe zu der Königlichen Staatsregierung das feste Vertrauen, daß sie den Schutz des Vaterlandes mit der Verpflichtung zum Schutze der Konfession in Einklang zu bringen wissen werde, trotz dem Rath, den, wenn er recht gehört, sein Vor— redner gegeben habe: er meine verstanden zu haben, daß er gerathen, a Provinzen etwas mehr zu protestantisiren. Er werde sich freuen, wenn er in dieser Ausführung eines anderen belehrt werde. Er stimme auch nicht allen Maß⸗ regeln zu, welche Herr von Bethmann⸗-Hollweg gegeben; aber er enthalte sich, auf dieselben einzeln einzugehen, weil sich ja vielleicht sonst noch Gelegenheit dazu bieten werde. Jedoch einen Gesichtspunkt müsse er noch geltend machen, und der beziehe sich auf seinen Entschluß gegenüber dem An⸗ trage. Das Haus werde sich nicht immer auf den Wegen der Milde, der Schonung und Versöhnlichkeit bewegen können. Nun bitte er aber die Herren, sich daran zu erinnern, welche Darstellung das Buch, das uns Allen heilig und theuer ist, von dem Amt eines Dieners der Religion gebe. Der Prophet wolle nur die Füße schön finden, welche sich auf dem Wege des Friedens befinden und welche den Frieden verkünden, und er verlange von jenen Dienern, daß sie das geknickte Rohr nicht brechen und den glimmenden Docht 36 auslöschen. Nun wisse er sehr wohl, daß die Königliche ,,, in der Verfolgung staatlicher Zwecke nicht immer sich an diese Grundregeln halten könne, aber er bitte zu bedenken, daß nicht allein der Prophet, sondern das Volk, daß das Haus selbst die Füße der Diener der Religion nur schön finde, wenn es sie auf dem Wege des Friedens erblicke, und darum bitte er um Nachsicht, wenn er es ablehne, zu dem Antrage heute schon seinerseits eine Stellung zu nehmen. Damit er jedoch nicht mißverstanden werde, so erlaube er sich noch eine kurze e, ,,, Er habe die feste Zuversicht, daß aus dem Zusammenwirlen so erleuchteter Faktoren des Gerechtigkeitssinnes der Regierung, des ritterlichen Sinnes dieses Hauses und der Weisheit des anderen Hauses keine Resultate sich ergeben würden, denen zuzustimmen ihm verwehrt sein würde.

Herr von Winter⸗Danzig erklärte: auch er wünsche, wie der hochwürdige Herr Vorredner, daß in seiner Heimath Friede herrschen möge, der Friede, der auch die Gegensätze ver⸗ einige, welche in den religiösen und politischen Anschauungen bestehen, und der mehr zu gemeinsamer Arbeit ansporne. Er sei der Meinung gewesen, daß dieser Antrag, nachdem aus⸗ ührlichere Verhandlungen an anderer Stelle stattgefunden, em Herrenhause hätte erspart bleiben können. Er freue sich, aussprechen zu können, daß er die Ausführungen des Herrn von Bethmann⸗Hollweg gutheißen könne. Aber er halte es als Westpreuße für seine Pflicht, vom Standpunkt der Provinz aus, der er durch Geburt, Besitz und Beruf an⸗ gehöre, 89. Grund ebenso reicher, wohl aber in der Zeit weiter zurückreichender Erfahrung seines Theils Zeugniß ab— zulegen, daß er die Aufmerksamkeit auf die Verhältnisse der östlichen Provinzen für durchaus verdienstlich halte. Der Staatsregierung könne er zu diesem Entschluß nur gratuliren, weil sie auf dem Wege sei, das, was sie selbst verschuldet, wieder gut zu machen. Aber auch er stimme in dem Punkte mit dem hochwürdigen Herrn Vor— redner überein, daß alle Maßregeln, welche ergriffen werden, nicht ab irato ergriffen werden möchten. Irrthümlich sei es, zu glauben, daß die Polen durch gutes Zureden gebessert werden könnten, daß die Polen die Phantasie aufgeben sollten, ihr Vaterland wiederhergestellt zu sehen. Man könne in einer Zeit, in der an allen Orten und Enden das National— bewußtsein so mächtig sei, von den Polen, die sich immer durch glühende Vaterlandsliebe ausgezeichnet, nicht an⸗ nehmen, daß sie einen Zweifel haben, daß Polen noch nicht verloren sei. Er verdenke es den Polen auch nicht, daß sie die Fehler, welche die Staats⸗ regierung begangen, sich zu Nutze machten. Wenn

man diese Verhältnisse richtig beurtheilen wolle, so müsse man wirklich in den in Rede stehenden Gegenden gelebt haben. Was die dort wirkenden katholischen Geistlichen anlange, so vermittele der polnische Geistliche durch seinen En n den Bauernstand und Adelstand, und beide hingen zusammen. Es gebe auch deutsche katholische Geistliche, die in herzlichen Beziehungen mit der Bevölkerung und ihren Amts⸗ brüdern ständen, und es seien vereinzelte Fälle vor⸗ handen, wo in gemischten Bezirken die polnisch gesinnten Amtsbrüder nicht mit den anderen in Frieden lebten. Die Kirche solle Frieden zwischen den verschiedenen Konfessionen und Nationalitäten erhalten und fördern, aber nicht sich zum Werkzeug polnischer Agitation machen lassen. Schließlich resumirte sich der Redner dahin: er stimme für den Antrag, die Maßregeln der Königlichen Regierung gut zu heißen, indem er dieselben nicht als einen Angriff betrachte, sondern nur als eine Abwehr unberechtigter polnischer Eingriffe. Hierauf wurde die Diskussion geschlossen. Das Schluß⸗ wort für den Antrag Fürst Nadziwill erhielt Herr von Koscielski. Derselbe führte aus: Auch seine Landsleute verkännten nicht die Nothwendigkeit, daß die Polen Deutsch lernen. Das solle ja auch das Ziel aller dieser Vor⸗ lagen sein. Die Botschaft höre man wohl, allein es fehle ihnen dann der Glaube. Es handele sich dabei um nichts anderes, als um vollständige Vernichtung des Polenthums. Das Kind müsse endlich beim rechten Namen genannt werden, und der sei eben Haß, Haß gegen das Polenthum. Dem Rassenhaß ver⸗ dankten auch nur die Ausweisungsmaßregeln ihr Dasein. Angeblich sollten nationale Verschiebungen stattgefunden haben. Der Grund sei aber nur: der Pole lebe und er solle nicht leben. Er (Redner) habe Dokumente zur Hand, wodurch es klar werde, daß unbescholtenen Leuten selbst der Aufenthalt in Ham⸗ burg und Dresden ,, sei, nur weil sie Polen seien. Drohe aber etwa Hamburg oder Sachsen die Gefahr der Polonisirung? Woher dieser Haß? Dieser Haß in Regierungskreisen gegen die Polen sei künstlich er⸗ zeugt durch tendenziöse Berichte aus polnischen Landes— theilen, wie sie täglich an die höheren Ressorts gelangten. Allen Respert vor dem preußischen Beamtenstande, aber trotz⸗ dem habe derselbe in den ehemals polnischen Provinzen nicht die größte Ehre eingelegt. Der tüchtige Beamte bleibe in der Heimath, der andere mache sein Glück in der Ferne. Seine Provinz könne man das Eldorado der Mittelmäßigkeit nennen. Diese Beamten seien am Fortbestehen des Zwiespalts sehr interessirt, und diese seien das einzige Negierung. Polnische Zeitungsartikel und Versammlungen würden oft ins Gesecht geführt. In diesen werde ja manches gesagt, was er (Redner) nicht billige, aber dies seien nur Erscheinungen der Neaktion gegen die den Polen täglich versetzten Nadelstiche. Der Antrag Dernburg, so gut er ge⸗ meint sei, enthalte eine vollkommene Unkenntniß der thatsäch⸗ lichen Verhältnisse. Die Deutschen aus Posen seien die ärg⸗ sten Feinde der Polen, weil sie eben das Dasein der Polen ärgere. Doch gebe es auch rühmenswerthe Ausnahmen. Herr von Bethmann⸗Hollweg habe gesagt: die polnische Bewegung sei eine territoriale. Das sei dasselbe, wie der Reichskanzler es ausgedrückt habe: die Polen seien Unterthanen auf Kündi⸗ gung. Glaube man denn, die Polen hätten Zeit, sich so un⸗ produktiven Träumereien hinzugeben? Sie hätten seit den letzten 40 Jahren viel gelernt; ihre Losung sei: Still arbeiten und still abwarten, was geschehe. Es sei ihnen ernst mit dem Glauben an eine einstige Wiederauferstehung zu politischem Leben: den würden sie nie aufgeben. Aber aus welchen Landestheilen das dereinstige Reich bestehen werde, das sei ihnen gleich, darüber grübelten fie nicht nach. An das Herrenhaus trete heute ein bedeutungsvoller Moment heran: heute gelte es zu sagen: „wir sind das Gewissen der Regierung, wir wollen keine Ausnahmegesetze, die nur ge und Rache erzeugen.“ Vor wenigen Tagen habe ein konservativer Mann im Ab⸗— geordnetenhause, Herr von Gerlach, gesagt: er verschmähe alle Mittel, die, wenn sie auf seine Landesgenossen angewendet werden sollten, er aufs Aeußerste mißbilligen würde. Das rufe auch er dem Hause zu. Das Schlußwort zu seinem Antrage nahm nunmehr Herr Dr. Dernburg. Zunächst erwiderte derselbe Herrn von Zol⸗ towski: Er und seine Genossen hätten gesprochen nach bester Ueberzeugung und mit Rücksicht auf diejenigen Polen, von denen sie hoffen könnten, daß sie noch ein Ohr für die An⸗ ,, und für die Auffassung, welche die Antragsteller haben, besitzen. Zweitens aber, wenn der Vorredner davon gesprochen habe, daß die preußischen Beamten nichts für die Provinz Posen gethan, so verweise er ihn darauf, daß in Folge der Verordnung vom Jahre 1823 sie 48 000 bäuerliche Höfe da hergestellt haben, wo vorher nur elende Sklaven gewesen. Und dann drittens: Wenn gesagt worden sei, daß Haß die Schritte der Antragsteller leite, so weise er die Behauptung, daß in Deutsch⸗ land der Haß eine nationale Eigenthümlichkeit sei, zurück. Man habe von dem Abg. Jazdzewski im Reichstage gehört, daß die Ausweisungen einen Haß erzeugt hätten in Polen, der Dezennien hindurch von Generationen zu Generationen hindurch sich fortsetzen würde. Habe Herr von Jazd⸗ zewski das gesagt, um den Haß abzuwenden, oder um den Haß zu nähren? Es sei hypothetisch gesagt worden: „Wenn die Sicherheit des preußischen Staates gefährdet sei, so sei sie gefährdet durch diese Ausweisungen und diesen Haß, welchen die Maßnahmen der Regierung hervorriefen.“ Aber diese hypothetische Darlegung durchschaue er wohl, und gegen⸗ über der Partei, welche den Haß predige und den Haß nähre, werde mit aller Energie vorgegangen werden, aber nicht die Polen werde man vernichten, sondern die feindliche Partei, und diesen Agitationen werde man den Kopf zertreten müssen. Freiherr von Solemacher-Antweiler erklärte sodann, daß, dem Beispiel des Bischofs D. Kopp folgend, er und noch mehrere seiner katholischen Freunde sich der Abstimmung über den An⸗ trag Dernburg enthalten würden. . Der Referent über den Antrag Dernburg, Graf Udo zu Stolberg⸗Wernigerode erklärte darauf: Was man von dem letzten polnischen Redner gehört habe, sei wieder eine polnische Musterrede gewesen. Zu Anfang ganz nuhig unter Ver⸗ sicherung der Loyalität der Polen, nachher aber stürmisch. Die Rede habe geschlossen: „Wir Polen bleiben Polen; schließ⸗ lich wird Polen doch wieder einmal hergestellt werden, d. ch. so lange wir Polen nicht anders können, betreiben wir Agitation in friedlicher Form, kommt aber einmal Preußen und Deutschland in auswärtige Verwickelungen oder inneren Inf felt. dann werden wir ja sehen, was zu machen ist.“ FIndlich werde auch noch immer von den Polen die in der

Weltgeschichte immanente göttliche Gerechtigkeit angeführt, und

die Reden schlössen mit einem lateinischen Citat. Die gött⸗

liche Gerechtigkeit aber habe gegen die Polen entschieden: die

Sprachrohr der

4 hätten sich selbst nicht regieren können, darum müßten e von andern Völkern regiert werden. Die polnischen Herren sollten doch einmal unumwunden auf Ehre und Gewissen er⸗ klären, daß sie verzichten, daß sie in Zukunft zu Preußen gehören wollten, dann sei es vorbei mit der ganzen polnischen Frage. Er (Redner) persönlich pe keinerlei Haß gegen die Polen, sie seien ihm im Gegentheil außerordentlich sympathisch, schon aus dem einfachen Grunde, weil sie gute Soldaten seien. Aber so lange die polnischen Herren diese Erklärung nicht ab⸗ gäben, so lange müßten sie leider als politische Gegner be⸗ trachtet und als solche bekämpft werden.

Graf von der Schulenburg⸗Beetzendorf erklärte, gegen den Antrag Dernburg stimmen zu wollen, weil derselbe in Ab⸗ wesenheit der übrigen Mitglieder eingebracht worden sei. Er glaube, daß der Antrag nicht diejenige Form gefunden habe, unter der man hätte für ihn stimmen können.

Der Antrag Radziwill wurde hierauf abgelehnt.

Die Abstimmung über den Antrag Dernburg war eine namentliche; derselbe wurde mit 108 gegen 13 Stimmen an⸗ genommen.

Zu Mitgliedern für die statistische Central kommission wurden schließlich gewählt die Herren: Dr. Baumstark, Dr. von Stephan, und für Herrn von Schuhmann Herr Röttger; in die Matrikelkommission die Herren von Kröcher, Graf zur Lippe⸗Biesterfeld und Graf von Zieten⸗ Schwerin; in die Staats schuldenkommission Herr Oehlschläger.

Schluß der Sitzung 4, Uhr. Nächste Sitzung unbestimmt.

In der vorgestrigen (30) Sitz ung des Hauses der Abgeordneten bat bei Berathung des Gesetzent⸗ wurfs, betreffend die Erweiterung und Vervoll⸗ ständigung des Staatseisenbahnnetzes und die Betheiligung des Staates bei mehreren Privat⸗ eisenbahn-Unternehmungen, der Abg. Jacobs (Lands⸗ berg), in die nächsten Sekundärbahnnetze eine Linie Meseritz— Schwerin Landsberg aufzunehmen.

Der Abg. Lehmann bemerkte, er stehe der Vorlage sym⸗ pathisch gegenüber, bedauere aber. daß die Rheinprovinz nur mit zwei Bahnen bedacht sei. Das Gebiet der Eifel, des Hunsrückens und des Hochwalds verdiene entschieden Berüch⸗ sichtigung bei einem weiteren Ausbau des Sekundärbahnnetzes. Vor Allem sollte die Fortsetzung der Eisenbahnlinie von Trier nach Hermeskeil in Erwägung gezogen werden.

Der Abg. Meyer (Breslau) wies darauf hin, daß zur Begründung der projektirten Bahnlinie Teutschenthal Salz⸗ münde auf die Zuckerfabrik in Benkendorf und die Kalköfen in Kölme hingewiesen sei. Aber Benkendorf, das an dieser Bahnlinie liege, besitze keine Zuckerfabrik und die Kalköfen in Kölme brennten nicht mehr. Es wäre überhaupt richtiger, Salzmünde an Halle anzuschließen. Redner bat schließlich um Auskunft, wie es mit dem Bahnprojekt Grünberg Sagan stehe. .

Der Abg. Eberty sprach seine Verwunderung darüber aus, daß der Bau einer Eisenbahnlinie Hirschberg Böhmische Landesgrenze immer noch nicht zur Ausführung gelaugt sei.

Der Abg. Olzem ersuchte um Fortsetzung der Linie Trier=— Hermeskeil und um eine Verbindung der Rhein⸗Nahebahn mit den pfälzischen Bahnen.

.Der Minister der öffentlichen Arbeiten, Maybach, er— widerte:

Wenn ich die Rednerliste ansehe und die Namen derjenigen Herren, welche sich gegen die Vorlage, und derjenigen, ,. sich für gemeldet haben, so drängt sich mir doch die Ueberzeugung auf, daß wir mit der gegenwärtigen Vorlage die Wünsche des Landes noch bei Weitem nicht erfüllt haben. Ich glaube annehmen zu dürfen, daß nach den bisherigen Erklärungen auch die folgenden Herren Redner, welche sich gegen diese Vorlage aussprechen, nicht gegen diese Vorlage als Abschlagszahlung sich wenden, sondern nur deshalb, weil das, was ihnen speziell am Herzen liegt, in der Vorlage nicht erwähnt ist.

Nun will ich von vornherein bemerken, was ich auch schon früher gesagt habe, daß die Staatsregierung mit Ihnen die Ueberzeugung theilt, daß wir in der Befriedigung des Bedürfnisses, welches auf diesem Gebiete im Lande sich geltend macht, noch außerordentlich viel zu thun haben werden.

Wir haben seit dem Jahre 1880, wo wir mit der ersten Nebenbahn⸗Vorlage an Sie herangetreten sind, uns bemüht, für die einzelnen Provinzen je nach der Dringlichkeit und finanziellen Möglich⸗ keit nach und nach dasjenige, was uns nothwendig schien, in Vor⸗ schlag zu bringen.

Wenn ich mit Ihnen einen Rückblick werfen darf auf das, was seitdem geschehen ist, so werden Sie sehen, daß wir eben nicht müßig gewesen sind. Wir haben seit dem Jahre 1879/80 einschließ⸗ lich der jetzt uns beschäftigenden Vorlage Ihnen nicht weniger als etwa 4600 kin neue Eisenbahnen vorgeschlagen. Meine Herren, das ist der Kilometerzahl nach ungefähr der Umfang des gesammten Eisenbahnnetzes im Königreich Bayern und der doppelte

Imfang desjenigen des mit Eisenbahnen recht reichlich gesegneten Königreichs Sachsen. Es ist also in dieser Beziehung ein Stillstand auf diesem Gebiete nicht eingetreten. Ich würde das auch beklagen, weil, wie ich oft gesagt habe, hier der Stillstand ein Rückschritt wäre.

Finanziell sind wir, glaube ich, nicht zu rasch vorgegangen, und ohne Ueberschätzung unserer Kräfte. Ich möchte mir gestatten, Ihnen eine kurze Uebersicht zu geben über die Beträge, welche bisher be⸗ willigt wurden. Es sind im Ganzen seit dem Jahre 1873/80 einschließlich des Etats des laufenden Jahres im Extraordinarium rund 59 242 970 bewilligt worden; dem treten hinzu die durch Spezialgesetze bewilligten Tredite Summa Summarum 491 Millionen Mark; im Ganzen sind also für Eisenbahn⸗Erweiterungszwecke zur Verfügung gestellt worden, darunter zum Bau von neuen Bahnen, 319 664 000 6 Nicht berechnet ist dabei, was wir an früheren Krediten erspart haben, zum großen Theile in Folge der Verstaatlichung, und was sich etwa Alles in Allem auf 106 Millionen berechnet. Jenen Bewilligungen gegenüber haben wir an Aktivfonds gewonnen aus den verstaatlichten Bahnen, nach Abzug der böher verzinslichen Prioritäten, welche vernichtet worden sind, im Ganzen 154 375 000 M Eisenbahnüberschüfse über den Etat, und über Verzinsung und Amortisation hinaus bis zum Inkrafttreten des sogenannten Garantiegesetzes 69 254 814 M; abge⸗ schrieben sind seitdem einschließlich dersenigen Summen, welche wir für den laufenden Etat annehmen, unter Berücksichtigung des, wie ich neulich schon anführte, nicht unwahrscheinlichen Minder⸗ überschusses gegen den Etat im Ganzen 157145 000 n. Dieses macht 360 775 W „½, Zählen wir dazu, was wir zur Amortisation von Prioritäts⸗Obligationen und Stamm⸗Attien anderweitig aufge⸗ wendet haben, so beläuft sich die Gesammtsumme, die wir aus den Eisenbahnen selbst gewonnen haben, auf tund 433 Millionen. Die effektive Belastung des Staats beträgt hiernach also bis jetzt nur ctwa 117 151 0900 et

Wenn nun diese 4 Tausend Kilometer Eisenbahnen nur geringen Ertrag bringen, so können wir sagen. die Steuerzahler sind durch diese Anlagen in keiner Weise belastet. Auf der andern Seite haben wir mit diesen Bahnen die alten Eisenbahnen alimentirt und die Steuerkraft wie die Wehrfähigkeit des Landes gehoben. Ich glaube also, daß das Ergebniß, auch wie es sich bisher sinanziell gestaltet hat, uns nicht in die Lage bringt, von einer Fortsetzung der Eisen⸗ bahnpolitik, wie wir sie bisher verfolgt haben, abzustehen. Ich glaube

auch, wir würden mit Ihnen in Widerspruch gerathen, wenn wir,