1886 / 88 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 12 Apr 1886 18:00:01 GMT) scan diff

könne nur versichern, daß es die Regierung nicht an Interesse fehlen lassen werde. Auch die Frage der Weichselregulirung werde die Regierung mit Wohlwollen behandeln. Man müsse aber nicht alles von der 6 erwarten, sondern die interessirten Gegenden müßten auch das Ihrige thun.

Der Regierungskommissar Geheime Baurath Kozlowski ab eine eingehende Darstellung der durch den Dammbruch Schäden. Die Wiedereröffnung der Schleusen werde in etwa 6 Wochen zu erwarten sein.

Der Minister für Landwirthschaft, Domänen und Forsten, Dr. Lucius, hob hervor, daß eine Pflicht, die D.ämme zu unter⸗ halten, für die Staatsregierung nicht bestehe. Dieselbe könne daher auch nicht für die Folgen der Deichbrüche verantwortlich 6 werden. Die Verhandlungen über die Weichselregu⸗ irung würden nach Kräften beschleunigt, aber die entgegen⸗ stehenden Schwierigkeiten seien bedeutend.

Auf Antrag des Abg. Rickert trat das Haus in eine Besprechung der Interpellation ein.

Der Abg. Rickert sagte dem Minister Dank für seine Zusicherung, wies aber den Gedanken zurück, als ob die Privat⸗ thätigkeit Danzigs und der Umgegend allein die entstandene

oth werde beseitigen können.

Der Minister des Innern, von Puttkamer, erwiderte, daß er diese Ansicht ö ,. theile. Die Privatwohlthätigkeit . solle nur über die ersten Schwierigkeiten hinweg— elfen.

Der Abg. Dr. Wehr wies die Behauptung zurück, als ob er der Regierung in irgend einer Weise einen Vorwurf habe machen wollen.

Der Abg. Gerlich hob hervor, daß bei der Nothlage der Landwirthschaft eine Beihülfe des Staats zur Beseitigung der durch die Ueberschwemmung verursachten Schäden sich nicht werde umgehen lassen.

Der Abg. Wessel sprach sich in gleichem Sinne aus.

Die Debatte wurde hierauf geschlossen.

Es folgte die Verlesung nachstehender Interpellation der Abgg. Freiherr von Minnigerode und Graf von Kanitz:

Dis Unterzeichneten erlauben sich an die Königliche Staats⸗ regierung die ARafrage zu richten, ob die Königliche Staatsregierung innerhalb des Bundesraths weitere gesetzgeberische Maßregeln an—Q zuregen beabsichtigt, welche darauf gerichtet sind, dem bedrohlichen Preisniedergange der landwirthschaftlichen Erzeugnisse zu begegnen und eine weitere Steuererleichterung der Kommunen und kommunalen Verbände herbeizuführen.

Auf eine Anfrage des Präsidenten erklärte sich der Minister für Landwirthschaft, Domänen und Forsten, Dr. Lucius, zur Beantwortung der Interpellation sofort bereit.

Der Abg. Freiherr von Minnigerode wies auf die Noth⸗ lage der Landwirthschaft hin, der gegenüber die bisher be— schlossenen Schutzzölle sich unzureichend erwiesen hätten.

Bei Schluß des Blattes sprach der Staats-Minister Dr. Lucius.

Durch Allerhöchste Ordre vom 2. d. M. ist den Gütern Weteritz und Oebisfelde, der Drömlings-Korporation und den Gemeinden Solpke, Wernitz, Mieste, Miesterhorst, Bergfriede, Niendorf, Weddendorf, Kaltendorf und Breitenrode im Kreise Gardelegen, welche den Bau einer Chaussee von der Gardelegen-⸗Kalvöder Chaussee bei Weteritz ab über

Solpke, Wernitz, Mieste, Miesterhorst, Bergfriede, Niendorf,

Weddendorf, Kaltendorf und Breitenrode bis zur braun—⸗ schweigischen Landesgrenze in der Richtung auf Grafhorst beschlossen haben, gegen Uebernahme der künstigen chausseemäßigen Unterhaltung der Straße, das Recht zur Erhebung des Chausseegeldes nach den Be⸗ stimmungen des Chausseegeldtarifs vom 29. Februar 1840 ö der in demselben enthaltenen Bestimmungen über die Befreiungen sowie der sonstigen, die Erhebung betreffenden usätzlichen Vorschriften vorbehaltlich der Abänderung der fee mn voraufgeführten Bestimmungen verliehen wor— den. Auch sollen die dem Chausseegeldtarif vom 29. Februar 1840 angehängten Bestimmungen wegen der Chaussee⸗Polizei— vergehen auf die gedachte Straße zur Anwendung kommen.

Die im Regierungsbezirk Bromberg gelegene Herr⸗ schaft Zolondowo ist nicht aus dem Fonds, welcher auf Grund des Ansiedelungsgesetzes für die Provinzen Posen und Westpreußen verfügbar gemacht werden soll, angekauft worden, sondern aus dem Forstankaufsfonds. Ueber den Ankauf der gegen 4000 ha großen Besitzung, welche in unmittelbarem * gf an die Königlichen Oberfrstereien Stronnau und Jagdschütz liegt und zur Hälfte aus absolutem Wald— boden besteht, ist seit Jahr und Tag verhandelt worden, und der Abschluß des Kaufgeschäftes kürzlich zu einem für den Fiskus vortheilhaften Preise erfolgt. Die Größe der Herrschaft beträgt 3940,41 ha, der Grund— steuer⸗Reinertrag 16 257 , die landschaftliche Taxe 1 493 400 6 und der gezahlte Kaufpreis 1 100 000 S, Die Baulichkeiten befinden sich im Ganzen in gutem Zustande. Die nicht zur Aufforstung bestimmten Flächen sollen in großen Komplexen und parzellenweise verpachtet werden und lassen eine ange— messene Verzinsung des Kaufpreises erwarten.

Das Ein fangen fremder, im Freien umherschweifen⸗ der, sich im Eigenthum eines , Tauben hal—⸗ ters befindlicher Tauben, in der Absicht, sich die Tauben anzueignen, kann nach einem Urtheil des Reichsgerichts, IV. Strafsenats, vom 12. Februar d. J., als Diebstahl be⸗ straft werden. „Es behandelt das preuß. Allg. Landrecht, ab— weichend von dem gemeinen Recht, die Tauben nicht unbedingt ebenso, wie andere frei umherschweifende Hausthiere. . .. Es verordnet nämlich §. 111 Th. 1 Tit. “, daß Tauhen, welche Jemand th ohne ein wirkliches Recht dazu zu haben, Gegenstand des Thierfanges sind, sobald . im Freien betroffen werden, und 8

Tauben zu halten, nur Demjenigen zustehen soll, der tragbare Aecker in der Feldflur hat oder zu nutzen be⸗ rechtigt ist. Demgemäß sollen Tauben, die im Freien be— troffen werden, nur dann Gegenstand des Thierfanges sein, wenn Derjenige, welcher sie hält, den Erfordernissen des 8. 113 nicht genügt und deshalb kein Recht zum Halten von Tauben hat. Ist diese . gegeben, so kommt es nicht darauf an, ob die Tauben die Gewohnheit, zurückzukehren, aufgegeben haben oder nicht. Hieraus folgt, daß dagegen das Eigenthum des berechtigten Taubenhalters Schutz finden soll, und daß seine Tauben, auch wenn sie außerhalb ihres Ver⸗ wahrungsortes betroffen werden, so lange nicht Gegen⸗ stand des Thierfanges sind, als sie die Gewohn⸗ heit der Rückkehr noch haben. Ihrem Einfangen legt das Gesetz die Wirkungen eines Eigenthumerwerbsaktes nicht bei. Ist in solchem Falle der Taubenbehalter auch

II3 das., daß, wenn nicht, pro⸗ vinzialrechtliche Vorschriften anders bestimmen, das Recht,

Eigenthümer der Tauben und geht er durch deren Umher⸗ schweifen weder seines Eigenthumsrechts, noch seines Gewahr⸗ sams an denselben m . so lange sie die consuetudo revertendi bewahren, so kann durch die Handlung eines Dritten, der das Gesetz die Bedeutung und Wirkung eines zum Eigenthumserwerb geeigneten Aktes versagt, wohl der Gewahrsam, nicht aber das Eigenthum aufgehoben werden. Es bleiben vielmehr die eingefangenen Tauben für Denjenigen, der sie gefangen hat, eine fremde Sache. Geschieht das Ein⸗ fangen in der Absicht, sich die Tauben zuzueignen, so ist kein Grund ersichtlich, weshalb die Handlung nur einen civilrecht⸗ lichen Anspruch auf Herausgabe der unbefugt gefangenen Tauben begründen, nicht aber als ein Wegnehmen im Sinne des §. 242 des Strafgesetzbuchs angesehen werden soll.“

Der . . Botschafter am hießen Allerhöchsten Hofe, Baron de Couxrcel, ist nach Berlin zurückgekehrt und hat die Geschäfte der Botschaft wieder übernommen.

S. M. Brigg Mu sguito“, Kommandant Korvetten⸗ Kapitän Piraly, ist am 9. April er. von Havanna in See gegangen.

Bayern. München, 10. April. (W. T. B.) Der Kaiser von Oesterreich, welcher heute an der Hoftafel bei der Königin-Mutter theilnahm, ist Abends wieder nach Wien abgereist. Die Prinzessin Gisela, Prinz Leopold und Herzog Ludwig sowie die Mitglieder der österreichischen Ge— sandtschaft waren zur Verabschiedung am Bahnhofe anwesend.

Baden. Karlsruhe, 10. April. (Karlsr. Ztg.) Heute ist über das Befinden des Erbgroßherzogs nachfolgen— des Bulletin erschienen:

Während Se. Königliche Hoheit der Erbgroßherzog seit einer Reihe von Tagen des Morgens fieberfrei sind, lassen die geringen nach— mittäglichen Temperatursteigerungen und die immer noch wechselnden Gelenkschmerzen erkennen, daß der rheumatische Prozeß auch am Ende der siebenten Woche der Erkrankung noch nicht vollständig abgelaufen ist. Die pleuritischen Ergüsse sind in stetigem Rückgange begriffen.

. . Dr. Tenner.

Freiburg i. Br., 109. April. (W. T. B.) Zum Ver⸗ weser des 1 ms wurde heute der Domdechant Weickum gewählt.

Sachsen⸗Weimar⸗ Eisenach. Weimar, 12. April. (W. T. B. Die Prinzessin Elisabeth, welche sich augen— b licklich in Bordighera aufhält, hat sich mit dem Herzog JohannAlbrecht von Mecklenburg-Schwerinverlobt.

2 Wien, 9. April. (Wien. Abdp.) In der heutigen Sitzung des Abgenrdnetenhauses wurde die Spezialdebatte über den Etat des Handels— Ministeriums zu Ende geführt und sodann der Vor— anschlag des Ackerbau-Ministeriums in Berathung gezogen. An der Diskussion hierüber betheiligte sich auch der Ackerbau⸗Minister Graf Falkenhayn.

Pest, 9. April. (Wien. Ztg.) In der heutigen Klub— konferenz der liberalen Partei skizzirte der Minister Trefort die Awtwort auf die Interpellation bezüglich der Reversalienfrage, und Minister Baron Kemény jene auf die Interpellation bezüglich der Graner Eisenbahn. Beide Ant— worten wurden zustimmend zur Kenntniß genommen. Im Klub der Unabhängigkeits-Partei meldete Enyedy eine Interpellation in Betreff der rumänischen Handels— vertrags-Verhandlungen an.

Schweiz. Bern, 11. April. (W. T. B.) Das Militär-Departement wird dem Bundesrath einen Gesetzentwurf über den Landsturm vorlegen, um dem— selben eine kriegsrechtlich gesicherte Stellung zu verschaffen.

Großbritannien und Irland. London, 9. April. Ueber die in der gestrigen Sitzung des Unterhauses von dem Premier Glgdstone gehaltenen Rede, in welcher derselbe seine Vorschläge zur Lösung der irischen Frage darlegte, berichtet die „Allg. Corr.“ folgendes Nähere:

Als das beste Heilmittel für die gegenwärtigen Zustände bezeichnete der Premier die Herstellung eines Sonderparlaments in Dublin zur Erledigung der legislativen und administrativen irischen Angelegen⸗ heiten, abgesondert von den Angelegenheiten des Reichs. Die Ein— heit des Reichs dürfe nicht gefährdet werden. Die Reichsbürden müßten billig vertheilt und Maßregeln zum Schutze der Minder— heiten getroffen werden. Wenn Irland ein lokales Parlament er— halten solle, entstehe die Frage, ob die irischen Abgeordneten im Unterhause und die irischen Repräsentativ⸗Pairs im Oberhause fort— fahren sollten, Theile des Reichs-Parlaments zu bilden. Redner beant— wortete diese Frage verneinend; es sei klar, daß irische Pairs und Volksvertceter, nachdem sie eine eigene Legislatur erhalten, nicht nach Westminster kommen könnten, um englische und schottische Angelegen— heiten zu kontroliren. Sei es thunlich, daß sie sich an der Be— rathung von Reichs-Angelegenheiten betheiligen? Es würde sehr schwierig sein, einen Unterschied zwischen Reichs-Angelegenheiten und anderen Angelegenheiten zu machen. Das Haus der Gemeinen habe nicht allein egislarive Funktionen zu erfüllen, sondern es kontrolire auch die Exekutive. Deshalb könnte irischen Pairs und irischen Deputirten, wenn Irland eine eigene Legislatur erhalte, das Ver⸗ bleiben im Reichs-Parlament nicht gestattet werden Was die Be— steuerung Irlands betrifft, so würde es eine große Unbequemlichkeit und ein großes Mißgeschick nicht allein für England, sondern auch für Irland selber sein, wenn die fiskalische Einheit des Reichs zerstört würde. Die Zölle und Aceisegefälle würden demnach vom Reichs— Parlament und nicht vom irischen Parlament erhoben werden; aber der Eitrag der Zölle und Accise in Irland würde zur Deckung der Verbindlichkeiten Irlands verwendet und ein etwaiger Ueberschuß der irischen Legislatur zur Verfügung gestellt werden. Dem neuen irischen Parlament würde die Kontrole über die Vollzugsregierung in Irland zustehen. Es würde ohne eine etwaige Anflösung eine Maximaldauer von nicht über fünf Jahre haben. Es würde nicht befugt sein, sich in die Prärogative der Krone oder in die Angelegenheiken der Armee und Flotte oder in die auswärtige und Kolonialpolitik des Reichs einzumischen. Ferner würde es nicht kompetent sein, die gegenwärtige Bill abzuändern, ausgenom— men in Punkten, die entschieden offen gelassen werden, oder ein Gesetz für die Erhebung irgend einer befonderen Kirche zur Staats— kirche und Dotirung derselben zu geben. Dem neuen irischen Par⸗ lament würde keine Jurisdiktion zustehen über Handel und Schiffahrt, Gewichte und Maße, Münze, Notenumlauf, Quarantäne— Reglements, literarisches Eigenthumsrecht u. s. w. Die Postverwal⸗ tung würde nach wie vor unter der Leitung des Reichs-General—

ostmeisters bleiben. Für den Schutz der Minderheit würde eine Form des Vetos beschafft werden. Die Mitglieder des irischen Par⸗ aments würden aus zwei Klassen bestehen. Die erste Klasse würde aus den auf Lebenszeit gewählten 28 irischen Repräsentativ⸗Pairs und H. anderen Mitgliedern bestehen, die von Personen, die jährlich 25 R Miethe zahlen, fü⸗ die Dauer von Jahren gewählt werden. Die Mitglieder müssen ein Jahreseinkommen von 100 X theils aus Realvermögen, theils aus Personalvermögen bezogen, besitzen. Die zweite Klasse der Legislation wird aus 206 Vertretern

der Grafschaften und Städte sowie der Dubliner Universität, nach dem gegenwärtigen Wahlmodus gewählt, zusammengesetzt jein. Diese beiden Klassen von Repräsentanten würden eine einzige Kammer bilden, aber befugt sein, getrennte Abstimmungen vorzunehmen und erstere vom Recht des Vetos Gebrauch zu machen. Der Vize⸗Königsposten wird nicht abgeschafft. Der Vize⸗König soll kein Parteimann, darf Katholik sein und tritt nicht zurück, wenn ein Regierungswechsel ein⸗ tritt. Er wird für eine bestimmte Reihe von Jahren ernannt. Die oberen Richter werden, mit Ausnahme des Schatz kammer⸗Richters, von der ver⸗ antwortlichen irischen Regierung ernannt und besoldet. Die Polizei (eonstabulary) bleibt zum Mindesten vorläufig unter britischer Kon⸗ trole, aber das Reich trägt ein Drittel der gegenwärtigen Unter⸗ haltungskosten (1 500 000 E). Endlich wird Irlands Beisteuer zu den Reichs bürden von 1/12 auf 1is herabgesetzt und zwar mit Ausschluß aller Kriegskredite und der Kosten für die Freiwilligen⸗Armee. Die Jahresausgaben Irlands würden künftighin 79469000 K betragen, und da sich die Gesammteinkünfte auf 8350000 R beziffern, würde das neue Parlament einen Ueberschuß von 404 000 4 zu seiner Ver⸗ fügung haben. Mr. Gladstone appellirte sodann beredsam an das Haus, in Irland einem Prinzip Wirkung zu geben, das England seinen Kolonien eingeräumt hätte, nämlich, daß ein Land nicht allein gute Gesetze brauche, sondern Gesetze, die es selber gemacht habe. In den Kolonien habe die Einführung einer verantwortlichen Regierung gute Früchte getragen, und dasselbe würde hoffentlich in Irland ebenfalls der Fall sein. Selbstregierung sei an sich kein Uebel, und ein Irländer sei der Loyalität ebenso fähig, wie irgend ein Engländer oder Schotte. „Ich habe kein Recht, zu sagen,“ schloß der ,. „daß Irland durch seine Vertreter den Plan, den i ihnen anbiete, an⸗ nehmen werde. Ich bin nicht befugt, dies vorauszusetzen. Wenn Irland diesen Plan nicht freudig annimmt, kann die Regierung es nicht dazu zwingen; ebenso wenig könnte sie England und Schottland nöthigen, Irland etwas zu gewähren, was sie nicht her;⸗ lich bewillkommnen und umarmen. Ich weiß, daß Schwierigkeiten vorhanden sind, allein ich baue auf den Patriotismus und die Weis— heit des Hauses. Ich baue auf die Wirkungen einer ungezwungenen und erschöpfenden Erörterung und noch mehr baue ich auf die ge— rechten und hochherzigen Gesinnungen der ganzen britischen Nation. Ich ersuche das Haus, mit fester und furchtloser Hand auf unseren eigenen Fall die Lehren anzuwenden, die es so oft gepredigt und so oft Anderen eingeprägt hat: nämlich daß das Zugeständniß einer lokalen Selbstregierung eher dazu angethan ist, die Einigkeit des Reichs zu stärken und zu befestigen, als sie zu untergraben oder zu gefährden.“

19. April, Abends. (W. T. B.) In dem Prozeß gegen die sozialistischen Aufwiegler Hyndman, Champion, Burns und Williams hat der Central⸗ Kriminalgerichtshof heute bezüglich aller 4 Angeklagten auf Freisprechung erkannt.

12. April, früh. (W. T. B.). Der bisherige Unter— Staagtssekretär für Indien, Kay⸗Shuttleworth, ist an Stelle von Heneage zum Kanzler des Herzogthums Lancaster ernannt worden und würde, den „Daily News“ zufolge, auf seinem bisherigen Posten als Unt er-Staats— fekrelär für Indien durch Stafford Howard ersetzt werden. An die Stelle von Collings als Sekretär im Local Government Board soll Borlase treten. Der Rücktritt Lord Morley's von dem Posten des Arbeits— Ministers wird amtlich bestätigt.

Die Opposition gegen Gladstone's Homerule— Bill wird allgemeiner und größer. Die „Times“, der „Daily Telegraph“, der „Standard“ und fast alle übrigen Morgenmblätter fahren heute fort in ihrer vernichtenden Kritik über die Gladstone'sche Vorlage. Selbst die „Daily Vems“ bezweifeln jetzt, ob die Vorlage in der gegenwärtigen Session Gesetzeskraft erhalten werde. Die öffentliche Agitation gegen Gladstone's Bill beginnt am Mitt— woch mit einem großen Meeting in Her Majesty's Theatre, das unter dem Vorsitz von Lord Cowper, der unter dem früheren Kabinet Gladstone Vize-König von Irland war, stattfinden wird. Die erste Resolution bei diesem Meeting wird von Lord Hartington beantragt und von Lord Salis⸗ bury und Rylands unterstützt werden; die zweite Resolution wird Goschen beantragen. ö

Rrankreich. Paris, 10. April. (W. T. B.) Der Sent beschloß heute mit 153 gegen 102 Stimmen die Dringlichkeit für die Berathung des Antrages Bozérian, wonach jeder Versuch, die Freiheit der Arbeit zu beeinträchtigen, bestraft werden soll. Der Justiz-Minister hatte sich bekanntlich gegen die Dringlichkeit der Berathung ausgesprochen und erklärt: die gegenwärtigen Gesetze seien völlig ausreichend.

Auf der Tagesordnung der heutigen Kammersitzung stand die Berathung der Interpellation Maillard (In⸗ transigent) über die Verhaftung der Redakteure Ducquerey und Roche in Decazeville. Der Justiz— Minister wies die Gesetzmäßigkeit der Verhaftung nach. Nach einer längeren Debatte wurde den Erklärungen der Regierung mit 435 gegen 65 Stimmen die Zustimmung ertheilt. Die Kammer lehnte es ferner ab, den Urlaub des Deputirten Basly, welcher sich bereits seit einem Monat in Decazeville befindet und einer der Hauptaufwiegler der Striken⸗ den ist, zu verlängern.

Die Bureauxr der Deputirtenkammer wählten heute die Kommission zur Vorberathung der Vorlage, be— treffend die für das Jahr 1389 in Aussicht genommene Ausstellung. 13 Mitglieder der Kommission sind für die Annahme der Vorlage, 7 für Annahme unter gewissen Vor— behalten, und 2 sind entschiedene Gegner der Vorlage.

11. April. (W. T. B.) Nach Meldungen vom Senegal ist das Fort Bakel von den Eingeborenen angegriffen worden und hätte daselbst ein sehr blutiger Zusammenstoß stattgefunden, welcher Tage dauerte. Mehrere Dörfer und Faktoreien seien angezündet worden, die Verbindungen abgeschnitten. Die Lage wird als ernst bezeichnet.

Eine Depesche des Gouverneurs des Senegal— Gebiets bestätigt, daß das Fort Bakel von den Eingeborenen angegriffen wurde, doch seien die Angriffe ohne Verluste zurückgeschlagen worden. Das Fort sei vollkommen verpro— viantirt.

Italien. Rom, 10. April. (W. T. B.) Unter dem Vorsitz Cambray-Digny's fand heute im Senatsgebäude eine Versammlung ver . Senatoren statt, um die Frage wegen einer Reform des Senats zu erörtern. Nach längerer Berathung wurde eine Kommission eingesetzt, welche sich mit . Frage beschäftigen und in der nächsten Versammlung Bericht erstatten soll.

11. April. (W. T. B.) Die in der gestrigen Ver⸗ sammlung von Senatoren gewählte Kommission zur Er— örterung der Frage einer Reform des Senats beauftragte eine aus drei Mitgliedern bestehende Sub kom mission, alle auf die Reform bezüglichen Fragen zu prüfen und in einem

Monat darüber Bericht zu erstatten.

Griechenland. Athen, 11. April. (W. T. B.) In der Deputirtenkammer wurden heute die Ver— handlungen über die von dem Ministerium befolgte Pelitik zu Ende geführt. Eine von mehreren Deputirten eingebrachte Tagesordnung, welche besagte: die Kammer dürfe nur zu einem Minister Vertrauen haben, der entschlossen sei, sofort den Krieg zu beginnen, wurde abgelehnt. Die von anderen Deputirten beantragte Resolution, in welcher erklärt wird: daß die Kammer nach den stattgehabten Debatten der Regierung ihr vollständiges Vertrauen ausdrücke und zur Tagesordnung übergehe, wurde mit 129 gegen 83 Stimmen angenommen. 5 Deputirte enthielten sich der Abstimmung. Der Beschluß über das dem Ministerium ertheilte Ver— trauensvotum wurde mit großem Beifall aufgenommen.

12. April. (W. T. B.) In einer gestern hier statt⸗ gehabten Versammlung hielt der Minister-Präsident Delyannis eine Ansprache, in welcher er die Politik des Kabinets vertheidigte, Ruhe und Achtung gegen die gegnerischen Meinungen anempfahl und die Hoffnung aus— sprach: daß die Mächte die 6 Griechenlands berücksichtigen würden, da diese Ansprüche berechtigt seien und den allgemeinen europäischen Interessen nicht widersprächen.

Türkei. Konstantinopel, 11. April. (W. T. B.) Der bisherige englische Geschäftsträger White ist heute von hier abgereist.

Serbien. Belgrad, 10. April. (W. T. B.) Der König hat Madjid Pascha das Großkreuz und Raschid Bey das Commandeurkreuz des Takowo-Ordens verliehen.

Bulgarien. Sofia, 10. April. (W. T. B.) Die hie⸗ sigen Vertreter der Großmächte richteten eine gemein— same Note an die bulgarische Regierung, in welcher sie den Beschluß der Konferenz mittheilen und die Hoffnung ausdrücken, der Fürst werde denselben acceptiren.

11. April. (W. T. B.) Der Minister Tsanow theilte den Vertretern der Mächte mit: der Fürst werde wahrscheinlich den Beschluß der Konferenz acceptiren, wolle aber vorher sich der Zustimm ung der Volksvertretung vergewissern.

Philippopel, 10. April. (W. T. B.) Ein Dekret des Fürsten vom heutigen Tage verfügt die Aufhebung des Belagerungszustandes in Bulgarien und Ost— rumelien. Ein weiteres Dekret vom gleichen Datum ordnet Wahlen der Deputirten Bulgariens für die National- versammlung in Sofia an und bestimmt, daß dieselben am 23. Mai stattfinden sollen.

Rußland und Polen. St. Petersbourg, 11. April. (W. T. B.) Der Groß fürst Konstantin Nikolajewit sch ist gestern nach Orianda in der Krim abgereist.

Das „Journal de St. Pstersburg“ dementirt die Meldung des „Gaulois“ von einem angeblichen russi— schen Cirkular bezüglich der Entschließungen Rußlands für den Fall, daß der Fürst von Bulgarien sich weigern sollte, sich dem Arrangement der Mächte zu unterwerfen. Ebenso bezeichnet das Journal die Nachricht der „Indsépen— dence Belge“ von in St. Petersburg neuerdings statt— gehabten Verhaftungen nihilistischer Agitatoren als unbegründet.

Amerika. (Allg. Corr) Aus New-Hork meldet eine Reutersche Depesche vom 8. d.: Die Debatte über Mr. Blands Bill für die freie Pnrägung von Silber wurde heute im Repräsentantenhause fortgesetzt. Ein von Mr. Dibbe vorgeschlagenes Amendement, welches die Silberprägung unter der Blandschen Akte nach dem 1. Juli 1889 suspendirt wissen wollte, wurde mit 201 gegen 84 Stimmen abgelehnt. Alsdann wurde üher die Bill abgestimmt und dieselbe mit i6l gegen 126 Stimmen verworfen. Die Bill bestimmte, daß Besitzer von Bullion im Werthe von 50 Dollars oder darüber, unter denselben Bedingungen wie bei Gold, geprägte Dollars er— halten sollten.

Afrika. Egypten. (Allg. Corr.) Aus Kairo, vom 9. April, meldet Reuter's Bureau, daß Nubar Pascha ein Telegramm von dem Ingenieur in Djemsah erhalten habe, demzufolge die Petroleumquelle in Geb-el-geyd in einer Tiefe von 40 mm erreicht worden sei, und daß sich der tägliche Ertrag auf 500 ebm Oel, mit Wasser vermischt, belaufe; davon seien 150 ebm reines Petroleum. Laut einer Depesche aus Assuan räumten die britischen Truppen vorigen Mittwoch Koscheh. Der armirte Raddampfer „Lotus“, der auf dem Nil bei verschiedenen Gelegenheiten hn Dienste geleistet, hat im Katarakt Dal Schiffbruch gelitten.

Zeitungsstimmen.

Die „Deutsche volkswirthschaftliche Correspon— denz“ schreibt: .

Der Reichstag hat den Gesetzentwurf, betreffend die Unfall- und Krankenversicherung der in land⸗ und forstwirthschaftlichen Betrieben beschäftigten Personen in zweiter Lesung angenommen; die definitive Annahme in dritter Lesung ist gewiß. Man kann sich zu dem Zu— standekommen des Gesetzes, welches eine neue Säule des sozialen Reformwerks bedeutet, Glück wünschen. Ess wird sich jetzt noch darum handeln, die Altersversicherung vorzubereiten, beziehungs⸗ weise in Angriff zu nehmen, womit man alsdann an einem neuen Abschnitt der Sozialreform anlangen würde. So weit aber auch die Bahn noch ist, welche sich vor uns öffnet, so kann man doch schon heute in dem Bewußtsein auf die seitherigen Errungenschaften zurückblicken, „daß ein guter Anfang gemacht ist“. Freilich, das Errungene nimmt sich stets weniger werthvoll und be⸗ deutend aus als das noch zu Erringende, und Angesichts der sozialen Noth und den gewaltigen Aufgaben der Zukunft mag uns das Er— rungene in manchen Stunden als nicht bedeutend genug erscheinen. Wer ösönnte sich aber auch eines Bangens ganz erwehren, wenn er die Bedrängnisse und Gefahren täglich, ja stündlich wachsen sieht, welche die heutige Ordnung der Gesellschaft bedroben? Man müßte mit Blindheit geschlagen sein oder den Fatalismus der Orien⸗

talen affektiren, wollte man ruhigen Blickes auf die Wogen der Zeit⸗

strömung sehen, welche wie das Meer im Sturm an den Wällen und Mauern sich brechen, die noch von der starken Hand des Staates aufrecht erhalten werden. Es ist die ernste Aufgabe aller an der Erhaltung der Ordnung interessirten Elemente in der Bevöl⸗ kerung, diese Hand stark zu erhalten; denn ehe man nicht weitere und bedeutendere Fortschritte auf dem mühevollen Weg der sozialen Reform gemacht hat und vor Allem, ehe wir die Arbeiter von unserem uten Willen, ihnen zu helfen, überzeugt haben, bis dahin ist ein an gr Staat die einzige, Schutzwehr gegen den Anprall der Sozialdemokratie. Eile ist in jedem Fall geboten. Kein Geringerer als Fürst Bismarck hat noch kürzlich im Reichstag zu verstehen ge⸗ geben, daß auch er der Ansicht sei, es sei Gefahr im Verzug. Wenn wir unsere Augen nur auf Deutschland zu richten hätten, dann könnten

wir uns, bei dem Gedanken an unsern guten Willen, der ja schon oft bethätigt werden ist, an den gesunden Sinn der Mehrjahl der deutschen Arbeiterbevölkerung und an die Entschlossenheit und Stärke der Staatsgewalt, einigermaßen beruhigen. Aber dicht an unseren Grenzen suchen die Leidenschaften sich mit einer Energie Bahn, welche ihr Beispiel nur in der revolutionären Energie der französischen Bewegung von 1789 zu finden scheint. Damals trat die Revolution., von Frankreich aus, ihre Reise durch Europa an, und wenn die Verhältnisse heute auch einigermaßen anders liegen als vor hundert Jahren, so befreit uns dieser Unterschied doch nicht von der Pflicht, Vorsicht zu üben. Diefe Pflicht üben wir am besten, wenn wir danach streben, die arbeitende Ve— völkerung in eine Lage zu bringen, welche sie mit den übrigen Gesell⸗ schafteklassen wieder aussöhnt. Dieses Ziel ist zwar bei weitem nicht erreicht; aber daß wir mit der seitherigen Gesetzgebung, als deren jüngsten Akt wir das Unfall- und Krankenversicherungsgesetz für die land- und forstwirthschaftlichen Arbeiter erblicken, auf dem rechten Wege sind, das sagt uns sowohl das Gewissen als auch die Wahr— nehmung, daß die Arbeiter recht wohl den guten Willen der anderen Bevölkerungsklassen, ihnen zu helfen, erkennen. Daß aus solcher 26 dereinst eine gute Ernte reifen muß, braucht nicht bezweifelt zu werden. .

. Der „Düsseldorfer Anzeiger“ bemerkt zu der Diskussion über das Ansiedelungsgesetz:

Die Freisinnigen haben den Konservativen stets vorgeworfen, daß sie kein Interesse für den Kleingrundbesitz haben und nur der Latifundienbildung Vorschub leisten. Das Verhalten der Konserva— tiven in der polnischen Ansiedelungsfrage hat das Gegentheil fonnen— klar bewiesen. Hingegen sind die Freifinnigen stets für die Schaffung kleiner Bauerngüter eingetreten. In dem Progra nm Tes frei⸗ sinnigen Allgemeinen Bauernvereins spielt die „innere Kolo— nisation“ eine große Rolle. Jetzt aber, wo man die Herren beim Wort nehmen will, suchen sie fich irgend eine Hinterthür, durch welche sie sich entfernen können. Da sieht man deutlich, daß ihre ganze Bauernfreundlichkeit und ihr Programm der inneren Kolonisation ihren Schwerpunkt in dem Vorgehen gegen die Staatsdomänen und gegen den ihnen politisch verhaßten deutschen Großgrundbesitz hatte. Jetzt ist namentlich die geplante Einrichtung von“ „Rentengütern“ der Hebel, den man gegen das Kolonisationswerk in Bewegung fetzt. Und doch bietet das Rentengut jedenfalls bessere Gewähr für die Erhaltung eines kräftigen Bauernstandes, als wenn man denselben sofort,. dem freien wirthschaft⸗ lichen Konkurrenzkampf oder vielleicht etwaigen polnischen Gegen⸗ bestrebungen aussetzen wollte. Die Rentengüter, welche das Abgeord— netenhaus in die Vorlage aufgenommen, sind eine Einrichtung, welche sich in ähnlicher Form Jahrhunderte lang in Deutschland bewährt hat und welche gerade für die mit der Vorlage verbundenen nationalen und landwirthschaftlichen Zwecke in der geplanten Erweiterung von großem Nutzen sein wird, indem sie die freie Verfügung des Erwerbers beschränkt, ohne daß dadurch die Gefahr gemeinwirthschaftlicher Nach⸗ theile heraufbeschworen wird. Der landwirthschaftliche Minister erklärte die Bereitwilligkeit der Regierung, auch diefe Form der Besitz⸗ übertragung bei den Ansiedelungen in Posen und Westpreußen an— zuwenden.

Daß Freisinn und Centrum diesem großen Unternehmen von nationaler und wirthschaftlicher Bedeutung ihre Mitwirkung versagt haben, kennzeichnet diese Parteien hinreichend; alle ihre Cinwaͤnde, Ausflüchte und Versuche, es herabzusetzen und zu verdächtigen, werden nicht im Stande sein, den üblen Eindruck zu verwischen, den es auf alle Zeiten machen muß, daß deutsch sein wollende Parteien sich gegen die Bekämpfung der Polonisirungsbestrebungen aufgelehnt haben.

Mit Bezug auf die Artikel der „Norddeutschen Allgemei— nen Zeitung“, welche die Haltung der „Germania“ in Sachen des Sozialistengesetzes charakterisirten, indem Aeußerungen die— ses Blattes mit solchen des „Westfälischen Merkur“ verglichen wurden, versuchte die Germania“ zu behaupten, die Stellung des „Westfälischen Merkur“ zu dieser Sache sei von der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“ falsch dargestellt. Hier— gegen bemerkt der „West fäslifche Merkur“:

In einer Polemik gegen die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ über das Sozialistengesetz sagt di: „Germania“, nachdem sie einen Artikel unseres Blattes zitirt hat:

»Der „Westfälische Merkur“ verurtheilt also prinzipiell das Sozialistengesetz, er will die Aufhebung dessel den, aber diefe soll aus praktischen Bedenken allmählich geschehen.“

Das ist mißverständlich aufgefaßt. Wir sind prinzipiell für das Sozialistengesetz und gegen die Aufhebung desselben. Die „Germania“ sagt auch selber, der Westf. Merkur“ sei für die Verlängerung des Gesetzes eingetreten. Das wäre ja ein Widerspruch. Unsere Be⸗ merkungen hatten nur den Zweck, den Verdacht abzuwehren, als wollten wir Windthorsts Verhalten kritisiren.

Ueber die Dresdener Ortskrankenkassen wird dem „Dresdener Anzeiger“ geschrieben:

Das Resultat, zu welchem man hier in Dresden im ersten Jahre des Bestandes der Ortskassen gekommen ist, ist ein vollständig befrie⸗ digendes, wenn man bedenkt, daß trotz der großen Einrichtungskosten und hei der Neuheit der Sache doch ein erheblicher, noch nicht genau festgestellter Ueberschuß erzielt werden konnte. Dieses Resultat ist um so erfreulicher, wenn mag berücksichtigt, daß bei den verhältnißmäßig ge— ringen Beiträgen auch sämmtliche Familienangehörige der Mitglieder freie ärztliche Behandlung und Arznei erhalten haben, was z. B. in Berlin und München nicht der Fall ist. Jedenfalls hat nach Ab⸗ lauf des ersten Jahres das Ortskrankenwesen hier in Dresden seine vollständige Lebensfähigkeit bewiesen.

Der (fortschrittliche „Bremer Kourier“ wundert sich nicht, daß der Reichskanzler mit dem Reichstage nicht zu— frieden sei, ist doch auch er, d. h. der Bremer Kourier“, solches keineswegs. Die Gründe für die Unzufriedenheit des Bremer Organs Richterscher Observanz ergeben sich aus folgen— den Sätzen:

Richtig ist nur, daß im Reichstage eine feste Mehrheit weder für die jetzige, noch für irgend eine denkbare andere Regierung vor— handen ist, im Grunde auch nie vorhanden war. Anzuerkennen ist ferner, daß alle Parteien, insbesondere auch unsere freisinnige Partei, oftmals die staatsmännische Sicherheit, Umsicht und Beharrlichkeit vermissen lassen, welche für Jeden, der einmal selber das Staats— ruder zu ergreifen wünscht, unerläßlich ist. Oder hegen unsere Freunde solche Wünsche nicht?!. Dann wäre es nur um so schlimmer bestellt; denn wer im öffentlichen Leben kritisirt, muß auch bereit sein, an die Stelle des Angegriffenen zu treten und es besser zu machen, sonst schwächt er selber sowohl den inneren Werth als die äußere Wirkung seiner Kritik“ d. h. wohlgemerkt, wenn er kann.

Centralblatt der Bauverwg tung. Nr. 15. Inhalt: Amtliches: Personal⸗Nachrichten. Nichtamtliches: Mittheilungen und Studien über die Baukunst des Mittelalters in Frankreich. Einfluß der Dehnbarkeit auf die Tragfähigkeit zusammengesetzter Zug—⸗ stäbe. Allgemeine Einführung von Eisenbalken⸗Decken und deren Anordnung. (Schluß.) Die Reinigung des Abwassers von London. Preisbewerbung für eine neue Westfront des Domes in Mailand. Vermischtes: Preisausschreiben für das Lessing⸗Denkmal in Berlin. Auszeichnung Wiener Stadtbahn. Neue Brücke über den Donaukanal in Wien. Einführung der metrischen Maße und Ge— wichte in den Vereinigten Staaten. Themsebrücken in London. Neue elektrische Centralstation in Wien. Kanaltunnel zwischen England und Frankreich. Lüftung von Eisenbahn⸗-Personenwagen. Lagerung und Versand des Petroleums in London. Dampf⸗ heizung und elektrische Glühlichtbeleuchtung für Eisenbahnwagen. Eiserne Segelschiffe. Erdgas. H. W. H. Mithoff JP.

Neichstags⸗Angelegenheiten.

Die dem Reichstage vorgelegten Verträge mit mehreren süd⸗ afrikanischen Völkerschaften sind Schutz⸗ und Freundschaftk⸗ verträge, welche deutschen Reichsgenossen in den betreffenden süd— afrikanischen Gebieten die mögliche Rechtssicherheit für Leben und Eigenthum verbürgen und anderen Nationen gegenüber die Interessen des Deutschen Reiches wahren sollen. Streitigkeiten, an denen Deutsche betheiligt sind, sollen nur unter Mitwirkung deutscher Be⸗ amten entschieden werden. Da die einzelnen Verträge wenig von einander abweichen, wird es genügen, den ersten derselben vollständig mitzutheilen. Derselbe lautet:

Se. Majestät der Deutsche Kaiser, König von Preußen, Wilhelm J, im Namen des Deutschen Reiches auf der einen Seite und das unabhängige Oberhaupt der rothen Nation in Groß⸗Namaqua⸗ land, Kapitän Manasse zu Hoachanas, für sich selbst und seine Rechts⸗ nachfolger auf der anderen Seite haben den Wunsch, einen Schutz—⸗ und Freundschaftsvertrag abzuschließen. Zu diesem Zweck ist der Be⸗ vollmächtigte Sr. Majestät des Deutschen Kaisers, der Pastor C. G. Büttner, mit dem Kapitän Manasse und seinen Rathsleuten über die nachstehenden Punkte übereingekommen: 1) Der Kapitän Manasse bittet Se. Majestät den Deutschen Kaiser, den Schutz über sein Land und Volk übernehmen zu wollen. Se. Majestät der Deutsche Kaiser nimmt dieses Gesuch an und versichert dem Kapitän Seinen Allerhöchsten Schutz. Als äußerliches Zeichen dieses Schutzes wird die deutsche Flagge gehißt. 2) Se. Majestät der Deutsche Kaͤiser verpflichtet sich, die⸗ jenigen Verträge, welche andere Nationen oder Zugehörige derselben früher mit den Häuptern des rothen Volkes geschlossen haben, bestehen zu lassen und zugleich den Kapitän weder in der Erhebung der ihm nach den Gesetzen und Gebräuchen seines Landes zustehenden Einnahmen, noch in der Ausübung der Gerichtsbarkeit über seine Unterthanen zu beeinträchtigen. 3) Der Kapitän des rothen Volkes verpflichtet sich, sein Land oder Theile desselben nicht an eine andere Nation oder An— gehörige einer solchen ohne Zustimmung Sr. Majestät des Deutschen Naisers abzutreten, noch Verträge mit anderen Regierungen ohne desselben Zustimmung abzuschließen. 4) Der Kapitän rerspricht, aller deutschen Reichsangehörigen und Schutzgenossen Leben und Eigenthum zu beschützen. Er giebt ihnen Recht und Freiheit zu reisen, zu wohnen, zu arbeiten, zu kaufen und zu verkaufen, soweit sein Land sich erstreckt. Auf der an— deren Seite sollen die deutschen Reichsangehörigen und Schutzgenossen die Gesetze und Gebräuche des Landes achten, nichts gegen die Gesetze des eigenen Landes thun und diejenigen Steuern und Abgaben an den Kapitän bezahlen, welche bis jetzt üblich waren oder die später zwischen dem Kapitän und dem Deutschen Reiche vereinbart werden mögen. Der Kapitän verpflichtet sich, an keine andere Nation größere Rechte oder Vergünstigungen zu geben als an die deutschen Reichsangehörigen. 5 Alle civilen und kriminellen Streitsachen zwischen weißen Leuten untereinander sollen von Denjenigen abgeurtheilt werden, welche Se. Majestät der Deutsche Kaiser dazu bevollmächtigen wird. Auf welche Weise die Streitigkeiten zwischen den deutschen Reichsangehörigen oder anderen weißen Leuten und den Eingeborenen abgeurtheilt und wie die Schuldigen bestraft werden sollen, soll später durch Uebereinkunft zwischen der deutschen Regierung und dem Kapitän der rothen Nation festgestellt werden. 6) Der Kapitän verpflichtet sich, so viel als möglich zur Erhaltung des Friedens in Groß— Namaqualand und in den Nachbarländern mitzuhelfen. Und wenn er selbst eine Streitsache mit anderen Häuptlingen von Groß-Namaqua— land oder den Nachbarländern haben sollte, so wird er zuerst die An⸗ sicht der deutschen Regierung erfragen oder bitten, die Sache durch Vermittelung der deutschen Regierung in Ordnung bringen zu lassen. 7) Wenn noch andere Dinge zwischen dem Deutschen Reich und dem Kapitän der rothen Nation zu regeln sein sollten, so sollen die⸗ selben später durch Uebereinkunft zwischen den zwei Regierungen fest— gesetzt werden.

(Berl. Pol. Nachr.) Wenn man das Facit des am Sonnabend zu Ende gegangenen Theiles der Reichstags— Session 1885.85 zieht, so ergiebt sich, daß in den 5 Monaten, vom 19. November 1885 bis 10. April 1886, folgende Vor lagen der verbündeten Regierungen alle drei Lesungen passirt haben: Unfallversicherung der Personen des Soldatenstandes, sowie Unfall- und, Krankenversicherung der land⸗ und forstwirthschaft⸗ lichen Arbeiter, Nord⸗-Ostsee⸗Kanal, Schiffahrtsabgabe auf der Unterweser, Zuckerstener, der Etat nebst Nachtrag, Sozialistengesetz, Heranziehung der Militärpersonen zu. den Gemeindeabgaben, Militär-Pensionsgesetz, Handelsverträge mit der dominikanischen Re— publik und mit dem Sultan von Sansibar, Lissaboner Ueberein— kommen, betreffend den Weltpostverkehr, Bürgschaft des Reichs für die Zinsen einer egyptischen Anleihe, Gesetz, betreffend Ausprägung einer Nickelmünze zu 20 , Novelle zum Gerichtsverfassungsgefetze S. 157 Reichsgerichtssenate), Novelle zur Cipvilprozeßordnung, Novelle zum Zolltarifgesetze (Zusatz zu 5§. 5), Gewerbe—⸗ ordnungs⸗Novelle (Verleihung der Rechte einer juristischen Person an Innungsverbände), Pensionsverhältnisse des Statt— halters in Elsaß⸗-Lothringen, Zulässigkeit der Beschlagnahme von Eisenbahn-Fahrmaterial und Rechtspflege in den deutfchen Schutz— gebieten. Abgelehnt wurden das ö und Branntwein⸗ Monopol. Von Initiativanträgen wurden in allen Berathungen er— ledigt: Antrag Reichensperger, betreffend Einführung der Berufung, Antrag Lenzmann, betreffend Entschädigung unschuldig Ver— urtheilter und der polnische Sprachenantrag von Jazdzewski; dagegen abgelehnt wurden: die vom Abg. Viereck bean— tragte Aufhebung des Dynamitgesetzes und die von den Sozialdemo— kraten vorgeschlagene Arbeitergesetzgebung. In Kommissionen befinden sich noch: der Regierungsentwurf über den Servistarif und die Klassen⸗ eintheilung der Orte, darn verschiedene Initiativanträge, darunter Rintelen, Bestrafung von Wahlbeeinflussungen, die Gewerbeordnungs— Novelle, betreffend Arbeiterschutz und Befähigungsnachweis, Antrag Windthorst zur Affaire von Schalscha (Geschäftsordnungs⸗Kommission).

Aurich, 117. April. (WB. T. B. . Bei der Reichstags. Stichwahl im hiesigen Wahlkreise wurde Dr. Kru se(nationallib.) mit über 1000 Stimmen Majorität gewaählt.

Kunst, Wissenschaft und Literatur.

(entr.-Bl. Ter Bauv.) Am 20. v. M. starb in Hannover der,. Königliche Ober-Baurath a. D. Hektor. Wilhelm Heinrich Mithoff, rühmlichst bekannt als Kunstgelehrter und als Förderer der Baugeschichte seines Heimathlandes Hannover. Der Verstorbene hatte n die Erforschung besonders der mittelalterlichen Kunstdenk— mäler dieser Provinz zur Lebensaufgabe gemacht. Bereits 1852 begann er mit der Veröffentlichung dersel ben in dem gediegenen Tafelwerk: „Archir für Niedersachsens Kunstgeschichte“, welches in drei Abtheilungen die Denkmäler der Stadt Hannover, das Kloster Wienhausen und die älteren Bauten von Goslar behandelt, leider aber seit 1862 nicht mehr fort— gesetzt worden ist. Das Hauptwerk Mithoffs besteht indeß in dem mit unendlichem Fleiß gearbeiteten und glücklicherweise trotz des gewaltigen Umfangs von dem hochbetagten Verfasser noch zu Ende geführten Denkmalinventariums „‚Kunstdenkmäler und Alterthümer im Hannoverischen“', Sine dritte größere Arbeit des Heimgegangenen betitelt sich: „Mittelalterliche Künstler und Werkmeister Nieder— sachsens und Westfalens“. H. W. H. Mithoff hat das Alter von 75 Jahren erreicht.

Land⸗ und Forstwirthschaft.

Washängton, 10. April. (W. T. B.) Der Bericht des landwirthschaftlichen Departements ergiebt eine Ver— minderung des mit Winterweizen bebauten Terrains um 5 Oo egen 1885. Der Durchschnittsstand ist 23 gegen 76 im vergangenen

ahre. ; Gewerbe und Handel.

Die Nr. 7 VIII. Jahrgangs 1888 der Mittheilungen des Bayerischen Gewerbe-Museums zu Nürnberg“ (Bei⸗ blatt zu der Zeitschrift ‚Kunst und Gewerbe), redigirt von Pr. J. Stockbauer, berichtet über die Sitzung der Wittelsbacher