1886 / 149 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 28 Jun 1886 18:00:01 GMT) scan diff

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verständig und zu ordnungsliebend, um sich blos durch Ihre Reden

heit sei er aber deswegen ausgewiesen worden, weil man ihn in der Ihring⸗Affaire zu Aussagen, die er nicht geben konnte, nicht zu veranlassen vermocht habe, einfach weil er nicht dabei gewesen sei. Auch in diesem Falle sei, wenn auch nicht ebenso wie im Falle Ihring Mahlow, die Polizei in einer Weise thätig gewesen, die nicht zu den Mitteln gehöre, deren sich eine Polizeibehörde bedienen sollte. Es läge vielleicht nahe, daß Redner bei dieser Gelegenheit auf die Denunziationen in der Presse ein⸗ ginge, deren Gegenstand er in den letzten Tagen gewesen sei; aber er unterlasse es, weil der tiefe moralische Ekel vor einer solchen Kampfesweise, den er empfinde, ihn verhindere, über diese Dinge etwas zu sagen. Er würde auch des Artikels der „Kreuz-Zeitung“ nicht erwähnen, wenn er nicht die Verpflichtung hätte, die Unwahrheiten und Lügen dieses Artikels richtig zu stellen; die thatsächlichen Mittheilungen seien von A bis Zunwahr und erlogen. Er begebe sich für diesen Fall seiner Immunität als Reichstags Abgeordneter und fordere die „Kreuz⸗Zeitung“ auf, ihn zu verklagen, daß er hier öffentlich erkläre, die ge— schilderten Thatsachen seien von A bis Z erlogen. Er werde den Beweis der Wahrheit erbringen. Die Nothwendigkeit der Maßregel versuche nun die Regierung auch unter Hinweis auf Belgien, Frankreich, Amerika und die Schweiz zu recht⸗ fertigen, und das in einem Augenblick, wo bezüglich Belgiens nachgewiesen sei, daß kolossal übertrieben worden sei, so daß selbst der Kollege des Ministers von Puttkamer in Belgien im Parlamente habe zugeben müssen, daß, abgesehen von dem Brande einer Fabrik, absolut nichts wahr gewesen sei. Ebenso wenig wie in Spremberg habe dort die sozialdemokratische Partei die Exzesse hervorgerufen, allein der Hunger sei es gewesen. Ebenso stehe es mit den Bezug—

die anderen Länder. Was sei denn der

selbst in die Hand zu nehmen. würden unbeirrt in der Vertheidigung ihrer Prinzipien fort—⸗ fahren, sie würden weiterringen um die Abänderung des wirthschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Systems. Sie wüßten, daß die deutschen Arbeiter sich nicht dazu hergeben würden, das Kanonenfutter für Andere zu sein; keine Maß⸗— regel werde das siegreiche Vordringen ihrer Partei verhindern, ihre Reihen würden sich dichter und dichter schließen und immer neue Hunderttausende würden unter dem Banner der Sozial— demokratie den siegreichen Vormarsch beginnen. Die deutschen Arheiter würden bei den nächsten Wahlen zeigen, daß sie wüßten, wo sie die Vertretung ihrer Interessen erwarten könnten, wie sie über die Sozialreform dächten und wie sie die Versprechungen vom Bundesrathstische aus beurtheilten. Die Sozialdemokraten nähmen den Kampf auf, sie würden sehen, wer der Stärkere sei: der Polizeiparorxysmus oder die deutsche Sozialdemokratie.

Hierauf erwiderte der Bevollmächtigte zum Bundesrath, Staatssekretär des Innern, Staats-Minister von Boetticher:

Meine Herren! Ich bedauere außerordentlich, daß mein preu— ßischer Herr Kollege, der Herr Staats-Minister des Innern, auf einer Dienstreise abwesend ist und dadurch außer Stande sich befindet, heute die Vertretung der beiden Maßregeln des preußischen Staats Ministeriums zu übernehmen, für welche Ihnen die Denkschriften vor⸗ liegen. Allein, meine Herren, die Ausführungen des Herrn Vorredners haben mich doch zu der Ueberzeugung gebracht, daß es nicht allzu schwer ist, diese Denkschriften, soweit es dessen noch bedarf, weiter vor Ihnen zu rechtsertigen, auch wenn man eine genauere Kenntniß des Details nicht besitzt, und ich unternehme deshalb, auf die Aus— führungen des Herrn Vorredners Einiges zu erwidern.

Wenn der Herr Vorredner am Schlusse seiner Rede die Be⸗ hauptung aufgestellt hat, daß er der Ueberzeugung lebt, der deutsche Arbeiter werde bei den nächsten Wahlen auf diese Maßregeln der preußischen Staatsregierung die gebührende Antwort geben, er werde durch seine Abstimmung dokumentiren, wie verwerflich er diese Maßregel finde, so will ich zwar nicht bestreiten, daß der Hr. Abg. Singer die Uererzeugung, die er ausgesprochen hat, wirk— lich hegt; allein von dem deutschen Arbeiter habe ich denn doch eine andere und bessere Ueberzeugung, und ich glaube

kann, daß dkieser, wern er die Rede des Hrn. Abg. Singer liest, wesentlich mehr Neigung empfinden wird, sich auf die Seite der Sozialdemokratie zu stellen, als dieses bis jetzt schon geschehen ist. Meine Herren, der deutsche Arbeiter kommt immer mehr dahinter, daß mit dem Redenhalten der Führer der sozialdemokratischen Partei erschrecklich wenig gethan ist, daß dieses Redenhalten die Misere, unter welcher der Arbeiter hier und da lebt, keineswegs zu beseitigen im Stande ist; und er kommt weiter zu der Ueberzeugung, daß die Herren da, wo sie sich vorgenommen haben zur That überzugehen, d. h. hier reformatorisch mitzuarbeiten, kaß da die Führer der Sozialdemokratie den Arbeiter und sein Interesse im Stiche gelassen haben. (Bravo! rechts. Zuruf links: Das beweisen Sie uns! Das ist nicht allein leicht behauptet, sondern noch leichter nachgewiesen.

Meine Herren, mit welcher Emphase wurde uns, als die Ver⸗ mehrung der sozialdemokratischen Abgeordneten hier im Hause ein getreten war, durch die sozialdemokratischen Blätter und durch die Herren selbft dargethan, daß nunmehr von ihrer Seite eine refor⸗ matorische Arbeit beginnen sollte, welche uns, den übrigen bei der Gesetzgebung betheiligten Personen klar machen solle., welcher Weg der allein richtige sei, um die soziale Frage zu lösen? Und was ist dieser Absicht gegenüber zu Tage getreten? Der einzige Antrag, der wirklich eine positive Grundlage für die Diskussion der sozialen Schmerzen ent— hielt, der einzige Antrag, welch klägliches Ende hat er genommen (Zuruf: Leider! dafür kann ich ja nicht und wie sehr ist hier im Hause und darüber hinaus die Ueberzeugung durchgedrungen, daß der von den sozialdemokratischen Abgeordneten vorgeschlagene Weg ein absolut ungangbarer sei. Alio, meine Herren, Sie müssen wirklich etwas Besseres liefern, wenn Sie die Gewähr dafür haben wollen, daß Ihnen die deutschen Arbeiter folgen sollen. Schreiten Sie so fort auf dem Wege, den Sie bieher betreten haben, dann es ist ja freilich nur meine individuelle Ueberzeugung, aber ich glaube, sie wird in weiten Kreisen getheilt dann werden Sie nimmer das Ziel er⸗ reichen, das Sie erreichen wollen; dazu ist der deutsche Arbeiter zu

bestimmen zu lassen, Ihnen zu folgen. Nun aber, meine Herren, nach diesen allgemeinen Bemerkungen

regeln der Königlich preußischen Staatsregierung des Näheren einzu⸗ gehen, und ich werde da auch die Reihenfolge innehalten, welche der Herr Verredner durch seine Bemerkungen gewählt hat. Da ist denn also zunächst der Fall Spremberg von dem Herrn Vorredner beleuchtet worden, also die Verhängung des kleinen Belagerungs—⸗ zustandes über die Stadt Spremberg und ÜUmgegend, und der Herr Vor= redner hat an die Spitze seiner Ausführungen die Behauptung gestellt, die Verhängung des Belagerungszustandes sei lediglich zu Wa lzwecken erfolgt im Interesse -der konservativen Partei. Mir sind die Ver⸗ hältnisse der Parteien in der Stadt Spremberg augenb i cklich nicht ge acfig; ich bin aber betheiligt gewesen bei der Berathung dieser Maßregel im Königlich preußischen Staats-Ministerium und im Bundesrathe, und ich kann versichern, daß von irgend welcher Absicht, irgend einer Partei durch diese Maßregel zu sekundiren, auch nicht die Spur eines Wortes gefallen ist.

Dann, meine Herren, hat der Herr Vorredner gemeint, die Aus⸗ schreitungen in Spremberg seien weiter nichts als ein ausgelassener Dummerjungenstreich, der nichts zu thun habe mit der sozialdemo⸗ kratischen Bewegung. Nun, meine Herren, wer die Begründung der Maßregel, wie sie Ihnen vorliegt, gelesen hat, der wird glaube ich darüber nicht im Zweifel sein, daß dieser Dumme— jungenstreich denn doch nicht so harmloser Natur gewesen ist. Wenn eine größere Zahl junger Leute unter Vortragen einer rothen Fahne (Zuruf: Taschentuch! Glocke des Präsidenten) es kommt ja gar nicht darauf an, von welchem Stoff die Fahne ist, oder zu welchem Zweck sie sonst dient, sondern nur darauf, welches Symbol sie sein soll (Zuruf links), ob es eine mehr oder weniger gut ausgestattete Fahne ist, das thut nichts zur Sache, also unter Vortragung eines rothen Lappens weyrscheinlich hat den Sozial demokraten in Spremberg dieser rothe Lappen genügt (Heiterkeit rechts) also unter Vortragung eines rothen Lappens und

unter Absingung der Arbeiter-Marseillaise und unter Absingung verschiedener anderer sozialdemokratischer Lieder an der Hand der Liederbücher ich sage, wenn eine solche Anzahl von Personen in dieser Weise durch die Straßen zieht, dann kann man doch unmöglich, auch beim besten Willen nicht, auf die Idee kommen, daß dies ein harmloser Dummerjungenstreich ist; sondern man muß doch, wenn man die Sache richtig würdigen und beurtheilen will, fragen: was geschieht hier, was wird ßesungen? und da bleibt an der Hand der Vorgänge nichts Anderes uͤbrig, als daß es sich in der That um eine sozial— demokratische Bewegung gehandelt hat. Nun, meine Herren, soll diese Bewegung, von der ich also behaupte, sie hat eine sozial⸗ demokratisché Tendenz gehabt, während der Hr. Abg. Singer sie einen Dummenjungenstreich nennt, durch die böse Polizei provozirt worden sein, und zwar soll ein früherer bayerischer Chevauleger, der jetzige Polizeidiener Hubrich, die Schuld an der ganzen Sache um deswillen tragen, weil er diese mehr oder weniger gebildeten jungen Leute als „dumme Jungen“ angeredet und per Ihr“ mit ihnen gesprochen hat. Nun liegen mir hier die Protokolle Über die Aussagen von Leuten vor, die auch zu den auszuhebenden jungen Männern gehörten, welche an jenem Tage in Spremberg versammelt gewesen sind und welche die ganze Affaire mitgemacht haben, und ich nehme gar keinen Anstand, Ihnen aus diesen Protokollen des Weiteren vorzulesen, daß die vernommenen Personen bekunden, sie hätten davon nichts gehört. Der eine sagt:

Ich war am 30. April dieses Jahres als Gestellungspflichtiger bei der Musterung hierselbst anwesend. Um 38 Uhr oder kurz vor 8 Uhr, als die Ersatzkommission sich in die oberen Räume des Schießhaufes begab, forderte der Sergeant Hubrich die im Hausflur befindlichen Gestellungspflichtigen zur Ruhe auf. Einige Gestellungs— pflichtige sagten darauf: ‚Wir sind nicht hierher gekommen, um das Maul zu halten; worauf der Sergeant Hubrich sagte: „Wenn Ihr nicht das Maul haltet, sperre ich Euch ein.“

Das ist eine ganz korrekte Antwort. Daß der Polizeisergeant Hubrich die Gestellungspflichtigen dumme Jungen“ genannt hätte, habe ich nicht gehört.

Der zweite Zeuge sagt:

Ich war am 30. April dieses Jahres als Gestellungspflichtiger bei der Musterung auf dem Schießhaus hierselbst anwesend. Ich habe nicht gehört, daß der Polizei⸗Sergeant Hubrich die Gestellungs⸗ pflichtigen mit „Ihr“ angeredet oder von „dummen Jungen“ ge⸗ sprochen hätte. Die Gestellungspflichtigen waren am fraglichen Tage zum größten Theil sehr laut, und ungefähr 10 oder 12 Ge— stellungspflichtige betrugen sich so ungeberdig, daß der Polizei⸗ Sergeant Hubrich dieselben östers zur Ruhe ermahnen mußte.

Nun, meine Herren, würde ich in Anbetracht des Umstandes, daß

wenn junge Leute zum Ersatzgeschäft zusammenkommen, sie sich häufig einer gehobenen Stimmung zu erfreuen haben, auf diese Angelegenheit gar keinen Werth legen, ja ich würde mich der Auffassung des Hrn. Abg. Singer gern anschließen, welcher die Sache als einen Dummen jungenstreich charakterisirt, wenn nicht leider diese Bewegung sich mehrere Tage hindurch gesponnen hätte und auch noch in Spremberg bemerkbar gewesen ist, nachdem das Ersatzgeschäft zu Ende war und also die von auswärts herangezogenen jungen Leute die Stadt verlassen hatten, wenn nicht gerade vom 30. April bis zum 2. Mai in der Stadt diese Bewegung geherrscht hätte, wenn nicht dem Bürgermeister erst am 2. Mai die Fenster eingeworfen worden wären, und wenn nicht die Bewegung solche Dimensionen an⸗ genommen hätte, daß an dem einen Tage ich glaube, es war am J. Mai sogar 20 Personen haben verhaftet werden müssen. Erst den direkten Interventionen des Bürgermeisters und des Land— raths unter Zuhülfenahme einer größeren Anzahl von ruhigen Bürgern der Stadt Spremberg ist es gelungen, die Ruhe wiederherzustellen. Wenn man damit in Zusammenhang hält, daß, was auch altenmäßig ermittelt ist: sozialdemokratische Blätter, insbesondere der Sozialdemokrat“ in Spremberg unter den dortigen Arbeiterkreisen Eingang gefunden hat, wenn man weiter in Berück— sichtigung zieht, daß im Jahre 1883 eine sozialdemokratische Ver— sammlung dort abgehalten ist, so wird man sich nicht wundern dürfen, daß der ausgestreute Samen seine Frucht getragen hat, und ich glaube, die Annahme, die wir von der Sache gehabt haben, daß es sich in der That um eine politische Bewegung handle, wird hiernach von dem hohen Hause für gerechtfertigter angesehen werden, als die Charakte⸗ risirung der Bewegung als eines Dummenjungenstreichs.

Meine Herren, ich gehe über zu der Maßregel, welche das König lich preußische Staats ⸗Ministerium in Ausdehnung der früheren Maß— regel bezliglich Berlins getroffen hat, also die Verfügung, wonach öffentliche Versammlungen künftig nur mit polizeilicher Genehmigung abgehalten werden dürfen. Meine J,, auch hier folge ich den einzelnen Ausführungen des Herrn Vorredners. Er hat von den Aus— brüchen gesprochen, die hier und da unter der arbeitenden Bevölkerung bemerkbar geworden sind, und hat gemeint, er habe bei der letzten De⸗ batte, die wir über die sozialdemokratische Bewegung hier im Hause gehabt haben, den Nachweis geführt, daß die Provokationen von anz anderer als von sozialdemokratischer Seite kommen. (Zuruf.) Ja, meine Herren, ich habe zwar gehört, daß der Herr Abgeordnete den Nachweis versucht hat, aber daß er ihn geführt hätte, das ist mir in der That nicht erinnerlich, und wenn er an den Fall . Mahlow“ erinnert, so möchte ich ihn doch bitten, erst abzu warten, welches Resultat die gerichtliche Untersuchung ergeben wird, und er wird, wenn er dies thut und abwartet, vorsichtiger sein, als wie, wenn er jetzt schon ein Urtheil fällt, das vielleicht nachher durch das richterliche Erkenntniß als hinfällig widerlegt wird. Also den Beweis hat der Herr Abgeordnete bisher nicht geführt; ich werde, sofern sein Beweis demnächst geführt werden sollte, es allerdings leb⸗ haft bedauern, daß solche Provokationen vorgekommen sind, aber vor⸗ läufig muß ich mir gestatten, sie als nicht erwiesen anzusehen.

Meine Herren, nun ist der Herr Vorredner auf die Ausweisungen übergegangen, die hier vorgekommen sind, und er hat gemeint, daß diese Ausweisungen ganz andere Leute träfen als die Sozialdemokraten, daß sie Leute träfen, die auf wirthschaftlichem Gebiete bemüht sind, die Leiden ihrer Berufsgenossen zu mildern. Was diese Behauptung anlangt, so bin ich auch in der glücklichen Lage, seine Auffassung be⸗ richtigen zu können. Ich habe zunächst hier einen Bericht über das

kann ich mir denn doch nicht versagen, auch noch auf die beiden Maß—

volles Opfer des Sozialistengesetzes hinstellt. In diesem Berichte heißt es, daß von besonderem Interesse das Auftreten des Behrendt außerhalb Berlins sei, namentlich in Kottbus im April d. J. Hr. Behrendt beschränkt das Feld seiner Thätigkeit nämlich nicht auf das Weichbild der Stadt Berlin, sondern er sucht auch mit seinen humanistischen Bestrebungen andere Städte zu beglücken.

In Kottbus hielt Herr Behrendt

heißt es hier

eine solche Brandrede, daß selbst die Maurer ihn dort nicht wieder

zu sehen wünschten. Er drohte den in der Versammlung anwesen—⸗

den Maurermeistern mit der Faust und äußerte, er nähme das

Wort „Meister? nur ungern in den Mund, das ginge wider seine

Natur; die Meister seien blos Vermittler zwischen Produzenten und

Konsumenten, also eine ganz überflüssige Parasitengesellschaft, welche

energisch beseitigt werden müßte.

Ja, die Sache hat einen freilich recht bedenklichen wirthschaftlichen Charakter; aber ich glaube, der politische Charakter überwiegt, Hr. Abg. Singer.

Behrendt charakterisirt sich als sozialdemokratischer Agitator auf

zewerkschaftlichem Gebiete und ist als eine Persönlichkeit zu be⸗

trachten, von welcher eine Gefährdung der öffentlichen Ruhe und

Ordnung zu befürchten ist.

Soviel über den Hrn. Behrendt.

Einer der Ausgewiesenen der jüngsten Zeit ist der Buchbinder Michelsen. Es ist mir nicht erinnerlich, ob der Herr Vorredner von diesem Michelsen gesprochen hat, er steht aber auf ganz gleicher Linie mit den übrigen von dem Herrn Vorredner bezeichneten Personen. Von dem heißt es hier:

Die Sprechweise Michelsen's ist stets eine in hohem Grade auf reizende; er schildert zumeist die Noth der arbeitenden Klasse in den schroffsten, gehässigsten Ausdrücken im Gegensatz zu der glück lichen Lage der herrschenden Klassen, welche im Wohlleben schwelgen r den mühseligen Verdienst der Arbeiter bequem in ihre Tasche

ecken.

In der am 7. April 1885 stattgehabten Versammlung der Berliner Schneider nahmen Michelsen's Ausführungen über die Lösung der sozialen Frage einen so aufreizenden Charakter an, daß er laut Erkenntniß des hiesigen Landgerichts J vom 25. Juli 1885 wegen Vergehens gegen 8§. 110 des Strafgesetzbuchs zu sechs Wochen Gefängniß verurtheilt wurde, welche Strafe er in dem Hülfsstraf— gefängniß zu Rummelsburg verbüßte.

Gelegentlich straft er sich auch selbst Lügen, wie in der Ver— sammlung der Mitglieder des Fachvereins der Former am 17. Ja⸗ nuar d. J, in welcher er sich bei einem Vortrage über Ziele und Zwecke eine direkte Aufforderung zum gewaltsamen Unfug durch folgende Ausführungen zu Schulden kommen ließ.

Es ist zu lang, das alles hier zu verlesen; ich hätte auch gern darauf verzichtet, diese Personglien vorzubringen, wenn ich nicht durch die Ausführungen des Herrn Vorredners dazu provozirt worden wäre, der neuerdings von den Ausweisungsmaßregeln betroffene Personen hinstellt als lediglich solche Leute, welche auf wirthschaftlichem Gebiet für ihre Berufsgenossen thätig sind und denen eine sozialdemokratische Agitation vollständig fern liegt. Meine Herren, dem ist nicht so, sondern wir müssen, wenn wir der Wahrheit die Ehre geben wollen, zugeben, daß bei der Thätigkeit dieser Personen ihre sozialistische Richtung und ihre sozialistischen Ziele eine große Rolle spielen. (Abg. 1 Aber keinen Umsturz!) So ein bischen Umsturz war auch

abei.

Nun, meine Herren, beklagt gewiß Niemand mehr als ich und damit komme ich auf einen weiteren Theil der Ausführungen des Hrn. Abg. Singer die ungünstigen wirthschaftlichen Folgen, welche die Ausweisungsmaßregel für die Ausgewiesenen im Gefolge hat, und wenn diese wirthschaftlichen Folgen gegenüber dem öffentlichen Interesse, was auf dem Spiele steht, zu vermeiden wären, so würde ich der Erste sein, der hierzu die Hand zu bieten bereit ist. Allein das ist unmöglich. Ich kann denen, über denen das Damoklesschwert der Ausweisung steht, nur rathen, sich eben in ihrem öffentlichen Verhalten so zu geriren, daß die Ausweisungsmaßregel nicht über sie verhängt zu werden braucht. (Abg. Hasenelever: Dazu sind die Arbeiter zu stolz) Ich habe den Hrn. Abg. Hasenelever nicht ver⸗ standen und bitte deshalb um Verzeihung, wenn ich ihm auf seinen Zwischenruf keine Erwiderung gebe.

Meine Herren, in der letzten Berathung über die sozialistische Bewegung hat damals mein Kollege Or. von Puttkamer es schon ausgesprochen, daß die Wirkungen der Strikebewegung fast durchweg nachtheilig gewesen sind für die strikenden Arbeiter; nur in der Min derzahl der Fälle und in untergeordnetem Umfange ist es ihnen ge— lungen, ihre Forderungen durchzusetzen, und für den Verlust, den sie während der Strikeperiode erlitten haben, ist ihnen keine Entschä—⸗ digung gewährt worden. Es sollte jeder, der es sich zur Aufgabe macht, die Strikebewegung zu unterstützen, sich sehr wohl überlegen, ob er dadurch wirklich im Interesse der Arbeiter handelt, er sollte sich klar machen, daß es gewisse Nachtheile giebt für die arbeitenden Klassen, die . keinen Umständen auch durch einen sieghaften Strike reparirt werden.

Der Herr Vorredner hat dann, indem er das Verhalten der Po—⸗ lizei in Berlin charakterisirt hat, wieder das Kapitel berührt, daß die Polizei unerlaubte Beeinflussungen auf Personen unternehme, welche sie zu Zeugen vorgeschlagen hat oder deren Zeugniß sie nach einer be— stimmten Richtung hin gestaltet zu sehen wünscht. Meine Herren, ich bestreite auf das Positivste, daß solche Unternehmungen von Seiten der Polizei vorgekommen sind, und der Herr Vorredner hat auch keinen einzigen Fall mit Namen und näheren Umständen bezeichnet, welcher geeignet wäre, diese seine Behauptungen zu unterstützen. (Abg. Singer; Ich, habe ja die Zeugen zur Verfügung gestellt.ͤ So lange wie er das nicht gethan hat, muß ich auf das Entschiedenste bestreiten, daß die Polizei in der von ihm gerügten Weise vorgegangen ist.

Ob die Denkschrift darin Recht hat, daß sie auf die Gefahren hinweist, welche in anderen Ländern in neuerer Zeit auf dem Gebiete der industriellen Thätigkeit erzeugt worden sind, das lasse ich ganz dahingestellt. Meine Herren, wer mit aufmerksamem Auge und mit aufmerksamem Ohr den Vorgängen in Belgien und Amerika gefolgt ist, der wird es der Regierung nicht verargen, wenn sie in weiser Vor— sicht alles hintanhält, was irgendwie dazu geeignet wäre, um ähnliche Vorgänge hier bei uns im deutschen Vaterland zu ermöglichen. Und ich glaube, der 66. Vorredner sollte der Regierung dafür dankbar sein. (Abg, Singer: Auch noch) Ich habe ja noch gar nicht gesagt, wofür. (Heiterkeit. ) Sie haben zu früh i und auch der Herr Vorredner sollte der Regierung dankbar ein, daß sie offenen Auges die Bewegung, welche sich auf gewerb⸗ lichem Gebiete zeigt, in denjenigen Schranken hält, wie sie noth— wendig sind zur Aufrechthaltung der Ruhe und Ordnung im Lande, auch für ihn kann es, wenn er anders ein ehrlicher Politiker und das setze ich voraus ist, und wenn er seine Ueber— zeugungen auf dem Wege, den er uns hier wiederholt als den richtigen bezeichnet hat, verfolgen will, nur darauf ankommen, daß die Ruhe und Ordnung aufrecht erhalten wird, welche eine geordnete Diskussion der Desiderien des Arbeiterstandes zuläßt. (Zuruf bei den Sozialdemokraten: Sie verbieten sie Sobald Un⸗ ruhen erzeugt werden, hört die ruhige Diskussion auf.

Und wenn der Herr Vorredner und damit komme ich zum Schluß behauptet hat, es könne Niemand besser für die Sozial demokratie arbeiten, als Herr von Puttkamer selbst, dann soll er sich mit uns freuen, daß eine so straffe Hand an der Spitze der Polizei⸗ verwaltung in Preußen steht,

. Der Abg. Richter meinte; dem Hause könne es nicht recht sein, daß der Minister von Puttkamer in der Weise für die Sozialdemokratie arbeite. Deshalb habe man in der Frage auch etwas mitzureden; es sei kein Internum zwischen den Sozialisten und dem Minister von Puttkamer. Redner meine allerdings, daß der Minister von Puttkamer und der Reichs- kanzler die Sozialdemokratie sei ja in Deutschland nicht

Auftreten des Maurers Behrendt, den er besonders als ein unschulds⸗

älter als das Ministerium Bismarck ers ert dazu beige⸗ tragen hätten, die Sozialdemokratie so groß, stark und in ge⸗

wissem Sinne gefährlich zu machen, wie sie sei. Gegen die Aeußerung des Abg. Singer in Bezug auf die „Kreuz⸗ Zeitung“, er wolle auf sein Privilegium als Reichs— lags⸗Abgeordneter ausdrücklich verzichten, sich also gewisser⸗ maßen den Gerichten stellen, möchte er bemerken, daß darin doch eine falsche Auffassung dieses Privi⸗ legiums sich lundthue. Das Verfassungsprivilegium sei nicht dem einzelnen Abgeordneten zum beliebigen Gebrauch oder Nichtgebrauch gegeben, sondern es sei aus öffentlichen Gründen dem Reichstage 6 und es habe kein Abgeord⸗ neter im Einzelfalle das Recht zu einem Verzicht, möge auch das persönliche Interesse es wünschenswerth erscheinen lassen auch Redner selbst wäre schon in solcher Lage dem Reichs⸗ kanzler gegenüber gewesen. Was nun die Entschuldigung des Ministers von Puttkamer durch den Minister von Boetticher 6 so müsse er doch sagen: Wenn die Minister im Wider⸗ spruch mit den Wünschen aller Parteien den Reichstag noch so spät zusammentreten ließen, dann hätten sie die Verant⸗ wortung einschließlich des Reichskanzlers, auch in Berlin u sein. Nach der gehörten Rede würde eigentlich ein Rechenschaftsbericht der sozialistischen Partei vorliegen; der Minister habe an das angeknüpft, was sie gethan und nicht gethan habe in Bezug auf die Arbeiterschutzgesetze. Darauf heute einzugehen, sei gar keine Veranlassung. Redner nehme ja auch nicht entfernt den Standpunkt der sozialistischen Partei bezüglich jener Gesetze ein. Man habe es hier mit einem Rechenschaftsbericht der Regierung über ihre Maßnahmen zu thun und man dürfe die Sache nicht dahin umkehren, daß man hier künstlich die sozialistische Partei zur Rechenschaft bei diefer Gelegenheit ziehe. Dazu würden ja noch andere Sessionen Gelegenheit geben. Der Minister wünsche, daß man immer mehr erkenne, daß die Sozialisten nur Reden halten könnten, aber nichts für den Arbeiter thäten. Ja, wenn man diese Erkenntniß fördern wolle, so könne man doch nichts Verkehrteres thun, als die Sozialisten am Redenhalten von Polizei wegen verhindern. Im Gegentheil werde dadurch in Arbeiterkreisen eine Ueberschätzung der Bedeutung der Reden der Sozialisten ganz künstlich nich solche Maßnahmen erzeugt, welche das Redenhalten unmögli machten. Nach dem Minister von Boetticher habe in Sprem⸗ berg unzweifelhaft eine politische Aktion vorgelegen. Nun hätten dort ausgedehnte Vernehmungen stattgefunden, seit Wochen sei gegen 21 Betheiligte ein Aufruhrprozeß eingeleitet; aber aus den Protokollen scheine auch nicht der mindeste An⸗ halt für irgend eine politische Aktion hervorzugehen, wenigstens sei in den hier verlesenen Aussagen nichts davon zu finden. Redner sei von Augenzeugen der Vorfälle in Spremberg, von Teuten, die sich zum Theil dort in amtlicher Stellung befänden, versichert worden, daß in der ganzen „Aktion“ nicht das Mindeste darauf schließen lasse, daß irgendwie von sozial⸗ demokratischer Seite ein Putsch beabsichtigt gewesen sei. Einer seiner Gewährsmänner, der sich in unmittelbarer Nähe des Bürgermeisters befunden habe, führe aus, die ganze Auf⸗ regung sei nur dadurch veranlaßt worden, daß der Polizei⸗ Sergeant Hubrich die Gestellungspflichtigen „dummer Junge“, . geschimpft habe. Diejenigen, deren Zeugniß der Minister verlesen habe, möchten das Ferade nicht gehört haben. Die Ansammlung auf dem Markt am folgenden Abend habe aus jungen, unreifen Burschen, Neugierigen u. Zgl. bestanden. Da sei die Bürgerschaft selbst, nicht die Polizei eingeschritten und habe den Platz ohne Waffengewalt geräumt. Redner sei weit davon entfernt, die Vorgänge zu entschuldigen, aber sie hätten damit, daß man gegen cirea zwanzig der Schuldigen vor Gericht stelle, völlig ihre Sühne gefunden; ganz künstlich habe man sie, weil dies in das augen lick⸗ liche System passe, zu einer großen politischen Aktion aufgebaufcht. Niemand hahe sich darüber mehr gewundert, als die Spremberger selbst. Was nun die Berliner Verhältnisse angehe, so möchte Redner den Fall Wesenack vorwegnehmen, über den der Minister keine Auskunft gegeben habe. Er finde im Sozialistengesetz keine Handhabe dafür, daß die Polizei dem Wesenack nach der Ausweisung sein Wirthschaftslokal schließe und einfach zwangsweise sein Firmaschild überstreiche. Das Gesetz lasse die Schließung nur zu durch das Gericht in Ver⸗ bindung mit einer gerichtlich erkannten Strafe; zu einem selbständigen Vorgehen sei die Polizei in keinem Falle berech⸗ tigt gewesen. Nun habe man von den ausgewiesenen Führern der Fachvereinsbewegung behauptet, sie seien auch politische Agitatoren gewesen. Gewiß könnten sie das gewesen sein, finde man doch auch, daß die Geschäftsführer von land⸗ wirthschaftlichen Vereinen, von Verbindungen der Spiritus⸗ und Schutzzollinteressenten auch politisch sehr regsame Leute seien. Indeß fehle dem Redner zur dieser Aus⸗ weisungen die nöthige Personalkenntniß. Was aber die Haupt⸗ sache sei, die Verschärfung der Anwendung des Ausnahme⸗ gesetzes durch die Versammlungsverbote sei absolut unbegründet eblieben. Was solle man von der Leistungsfähigkeit der Ber—⸗ iner Polizei denken, wenn es heiße, die Polizei brauche zur Beurtheilung des fozialistischen Charakters einer Versamm⸗ lung 48 Stunden? Die besondere politische Polizei müßte ja aus ganz unfähigen Herren bestehen, wenn sie nicht bei jeder Versammlung den Eharakter schon aus der Anmeldung er— kennen wollte. Wenn Alles in den Grenzen einer ruhigen Dis⸗ kussion bleiben solle, so könne man doch nicht dazu übergehen, alle Versammlungen, wo überhaupt Sozialisten als Einberufer oder Redner aufträten, von vornherein zu verbieten Auf die Parallele mit dem Auslande gehe Redner nicht näher ein es sei ja leider Thatsache, daß eine offiziöse Presse in willkür⸗ lh kr Weise diesen Zusammenhang nachzuweisen bemüht sei; aber noch habe keine ausländische Regierung oder eine nennens⸗ werthe Partei in jenen Ländern Angesichts solcher . das deussche Sozialistengesetz oder die Puttkamer schen Maß⸗ nahmen empfohlen. Wenn man der Regierung dafür dankbar sein sollte, daß sie die Entwickelung belgischer oder amerikanischer Husti in Deutschland verhindere, fo. möge sie auch dafür sorgen, daß 9 nicht russische Zustände entwickelten, was bei dieser mechanischen Behandlung politischer Irene, durch Polizeimaßregeln schließlich eintreten müsse. irgends . sich größere Ge⸗ waltthätigkeiten, nirgends seien die ö tände unsicherer als dort. AÄArbeitseinstellungen halte auch Redner, wie eden Kriegszustand, für ein Uebel, namentlich in einer geschäftlichen Situation wie bie jetzige, wo das Darniederliegen des Unter—⸗ nehmungsgeistes zum lieberwiegen des Angebots an Arbeitern über die e fraß führe. Die Hl sei, daß die Arbeits⸗ einstellungen ihre ganz natürliche Grenze in der gegenwärtigen Situation fänden. Die Arbeitseinstellungen seien doch nicht in Berlin allein verfucht worden, sondern in vielen großen Drten, wo keine polizeilichen Maßregeln dagegen ergriffen

worden seien. In der „Baugewerks⸗Zeitung“ werde heute ausgeführt, daß durch die Strikes nur kleine partielle Er⸗ olge erzielt seien, die bald wieder verschwinden würden. as bewirke man aber, wenn, wie in Berlin, eine polizeilich Einmischung stattfinde? Darüber könne boch eine Meinungasverschiedenheit nicht bestehen, daß in Berlin das Sozialistengesetz zu einer Beschrän⸗ kung der r geführt habe. Versammlun⸗ en von irgend welcher edeutung im Interesse der Lohn⸗ 1 selen nicht mehr möglich. Was erziele man damit? An anderen Orten überzeugten sich die Arbeiter, es gehe nicht, im gegenwärtigen Augenblicke Lohnerhöhungen durchzusetzen. In Berlin kämen sie zu dieser Ueberzeugung nicht. Hier werde die Vorstellung erweckt, daß nur die Polizeimaßregeln den Erfolg der Lohnbewegung verhinderten. Daraus erwachse eine Verbitterung, die viel schärfer wirken müsse als die des Sozialistengesetzes auf politischem Gebiete. Dem einzelnen Arbeiter liege die Lohnfrage viel näher als die se welche politischen Rechte er auszuüben im Stande sei. Redner wolle sich darüber nicht äußern, wie weit er die Wahlaus⸗ sichten des Abg. Singer für berechtigt halte. Das müsse er sagen, daß die Polizeimaßnahmen in Spremberg und Berlin es den politischen Gegenparteien der Sozialisten aufs Aeußerste erschwerten, sie politisch zu bekämpfen, und daß in der That solche Maßregeln nur dazu beitrügen, dem Sozialis⸗ mus neue Anhänger zuzuführen. Es werde einmal als die schlimmste Erbschaft des gegenwärtigen Regierungssystems an⸗ gesehen werden, wie . solche Maßregeln der Sozialismus von oben durch falsche Behandlung künstlich genährt und großgezogen worden sei. . .

Der Abg. Frohme äußerte: Ebensowenig wie früher der Minister von Puttkamer, habe jetzt der Minister von Boetticher seine gegen bie Thätigkeit der Sozialdemokraten gerichteten Behauptungen bewiesen. Derselbe habe von den positiven Leiftungen der Sozialdemokraten gesprochen, die etwa gleich Null seien. Dagegen müsse Redner doch darauf hinweisen. daß die sozialdemokrakischen Abgeordneten schon seit dem Nord⸗ deutschen Reichstage fortdauernd mit Gesetzentwürfen, betreffend den Arbeiterschutz, das Fabrikinspektorat und dergleichen her⸗ vorgetreten seien, freilich ohne die nöthige Unterstützung zu finden. Hätten nicht gerade sie zuerst Bresche gelegt für die Fabrik⸗ inspektoren, gegen die Regierung und Majoritätsparteien sich lange Zeit energisch gesträubt hätten? Erst durch ihre uner— müdliche Wirksamkeit seien beide gezwungen worden, der öffent⸗ lichen Meinung Rechnung zu tragen. Und habe doch früher der Reichskanzler selbst gesagt, daß, wenn die Sozialisten nicht wären und nicht Viele sich vor ihnen fürchteten, man auch die geringen Anfänge von Sozialreform nicht gemacht hätte. Wenn das Arbeiterschutzgesetz kein besseres Schicksa gehabt habe, so beweise das nur, daß die Majorität und namentlich die Konservativen nicht geneigt seien, an und für sich berech⸗ tigten Forderungen zuzustimmen, sobald sie von den Sozial⸗ demokräten ausgingen. Die Sozialdemokraten könnten sich so oder so stellen, sie fänden vor den Augen der Konservativen keine Gnade. Ihr Redenhalten müsse denn doch von einem anderen Gefichtspunkte aus betrachtet werden, als es der Minister von Boetticher gethan habe; nicht die Sozialdemokraten hätten der Regierung, fondern diefe habe Letzteren dafür dankbar zu sein, daß man noch den Damm halte gegen das Ueberfluthen der sozialen Strömung. Welche Früchte das Redenhalten Stöcker's und Liebermann's von Sonnenberg getragen hätte, habe man deutlich gesehen: Aufhetzungen, Exzesse gröblichster Art, Verbrechen, Widerstand gegen die Staatsgewalt in be⸗ denklichster Form. Was das Koalitionsrecht, die Strikefrage anbelange, so hätten die Herren, welche sich immer so rühmten, mit der sozialdemokratischen Literatur vertraut zu. sein, doch auch wissen können, daß überall und allezeit darin vor dem mulhwilligen Eintritt in einen Strike gewarnt werde. Diese Stellung zur Frage hätten die Sozialdemokraten von jeher eingenommen, und trotzdem wolle man sie vor dem Lande für alle Strikegusbrüche verantwortlich machen! Wie, loyal das Gesetz in Berlin ausgeführt werde, charakterisire sich durch die Thatsache, daß man Leute einfach bei der Arbeit aufgreife, auf das Polizei⸗Präsidium bringe und ihnen dann die Ausweisung ankündige. Zu dieser ungesetzlichen Freiheitsberaubung vor der Ausweisung habe die Polizei nicht das mindeste Recht. Es scheine, als habe man sich einem blinden, niedrigen Rache⸗ kriege ergeben, den man diejenigen fühlen lassen wolle, welche nicht zu Kreuz kriechen wollten. Die Sozialdemokraten würden nicht zu Kreuz kriechen, wenn auch der Rachekrieg noch so brutak und ruͤcksichtslos gegen sie geführt werde.

Damit schloß die Debatte.

Persönlich bemerkte der Abg. Hasenclever: In dem Rechenschaftsbericht, betr. Spremberg, werde er genannt als der Redner einer 1883 in 3 stattgehabten Versamm⸗ lung, „welche durch den überwachenden Bürgermeister auf⸗ gelöst werden mußte und nach deren Schluß Gewaltthätig⸗ keiten gegen das Haus des Letzteren verübt wurden.“ Man . nun meinen, er hätte aufreizende Redensarten gebraucht;

agegen an er sich entschieden verwahren. Nach überein⸗ stimmenden Berichten der Zeitungen, der Zuhörer und nach seiner eigenen Erinnerung habe er gesagt: ch halte mit Lassalle den Staat nicht für einen Nachtwächter, sondern ö Hier fei die Auflösung erfolgt. Er habe natürlich sagen wollen, „nicht für einen Nachtwächter, der blos das Eigenthum schützen, sondern für einen . der soziale ö durch⸗ führen soll.“ Aber da habe der Bürgermeister auflösen müssen. Das habe Redner blos konstatiren wollen. Dumme⸗ jungenstreiche seien es gewesen, die in Spremberg verübt worden seien; ein Dummerjungenstreich sei . die Ver⸗ hängung des kleinen Belagerungszustandes über Spremberg! Unruhe rechts; der Präsident ö. den Redner des letzten usdrucks wegen zur Ordnung.)

Der Pröäfidenk erklärte, daß durch die Vorlegung der beiden Darlegungen den gefetzlichen Vorschriften genügt sei.

Es solste die zweite Berathung des Gesetzentwurfs, best reffend die Besteuerung des Branntweins. =

Der Bevollmächtigte zum Bundesrath, Finanz- Mimmster Dr. von Scholz erklärte: .

Meine Herren! Nach dem Berichte Ihrer XXII. Kommission und nach den Verhandlungen, die in der Kommission stattgefunden haben, ö. nach den Verabredungen der Parteien des Hauses, die zu der heutigen , , , ührt haben, scheint es mir nicht zweifelhaft zu sein, daß der Reichstag entfchko en ist, die Vorlage der verbündeten Regierungen, . die Besteuerung des Brannt⸗ weins, abzulehnen, und zwar abzulehnen nicht bloß in der Form des Entwurfs, welcher dem Reichstage wirklich zugegangen ist, 9 ern diese Ablehnung würde, glaube ich, sachlich auch gufzufassen sein zu leich als die Ablehnung eines zweiten Entwurfs, über den, wie ja bekannt geworden ist, die verbündeten Regierungen sich ihrerseits bereits in éventum verständigt haben.

Auf den ersten Anblick könnte es den Eindruck machen und macht es . auch auf Viele den Eindruck, daß damit nicht bloß ein im Sinne der verbündesen Regierungen höchst bedauerlicher Abschluß der jetzigen Arbeiten des Reichstages auf die sem Gebiete herbeigeführt worden fei. sondern daß die Lage der Sache selbst darnach als eine sehr aussichtslose, eine kraurige erschiene., ;

Es würde vlelleicht in Ihrer aller Sinne liegen, wenn ich mich ähnlich, wie der Herr Referent das eben fern at, beschränkte auf eine kurze Verweifung auf den Ihnen vorliegenden gedruckten Bericht. Wenn ich das nicht thue, so bestimmt mich dazu gerade die Er⸗ wägung, daß das Refultat meiner Ueberzeugung nach doch nicht so zu charakterisiren ist, wie ich eben gesagt habe, daß es auf den ersten Blick erscheinen könnte. Ich gebe mich der Hoffnung hin, 24 die Arbeit, welche jetzt geleistet worden ist, trotz des negativen esul⸗ fats doch keine durchaus verlorene gewesen ist; ich gebe mich der Hoff⸗ nung hin, daß wir auch bei dieser Arbeit wiederum auf der der Natur der Sache gemäß von Hindernissen erfüllten Bahn der Steuer⸗ reform doch wieder einen Schritt vorwärts gekommen sind, und um diefer Ueberzeugung Ausdruck zu geben, habe ich mir erlaubt, in diesem Augenblicke das Wort zu nehmen. J ;

Ich will die Herren meinerseits nicht lange aufhalten, ich möchte nur den Grund meiner etwas froheren Annahme noch gleich ausdrück⸗ lich konstatiren; das ist der, meine Herren: 33. ersten Mal bei den Verhandlungen der Kommissich, die der eichstag mit der Vor⸗ berathung diefes Gesetzentwurfes betraut hatte, ist doch von den vier großen Parteien des Hauses dreien eine Einigung gelungen, welche Über die allgemeine Anerkenntniß des Bedürfnisses der Vermehrung der Einnahmen des Reichs und der Staaten, über die allgemeine Anerkennung, daß der Branntwein ein geeignetes Steuerobjekt sei, hinaus zu dem über⸗ einftimmenden Ausspruche gekommen ist, daß dem Bedürfniß nach Vermehrung der Einnahmen des Reichs und der Staaten durch eine Verbrauchsabgabe auf den Branntwein neben der Maischraumsteuer Abhülfe zu schaffen sei. In diesem positiven Gedanken haben sich von den vier großen. Parteien des

aufes drei in der Kommission geeinigt. Es ist allerdings übrig ge⸗ lieben eine sehr bedeutsame Differenz über die Art und. Weise der Erhebung dieser Verbrauchsabgabe, namentlich über diejenigen Mittel und Wege, welche zugleich einzuschlagen sein würden, um einer ver= heerenden oder doch sehr benachtheiligenden Wirkung der neuen Steuer auf das Brxennereigewerbe und mittelbar auf die Land— wirthfschaft zu begegnen. Es ist auch eine große Differenz geblieben zu⸗ nächft über die Frage, in welcher Höhe diese Steuer zu erheben sei, Differenzen, die es eben nicht möglich gewesen ist, in der jetzigen Ver⸗ handlung der Kommission zu beseitigen, Differenzen, die es auch noch schwer genug sein wird, auf dem weiteren Wege zu einer allseitig be⸗ friedigenden Lösung zu bringen, und die Folge davon ist zunächst, daß die vierte Partei, die Partei, die auch hier negirend der Sache gegen⸗ über stand, ihre Freude, ihren Sieg zunächst feiert; es heißt in diesem Falle „quartus gaudetä, aber ich hoffe, meine Herren, diese Freude wird nur eine kurze sein. Der Weg zur Verständigung unter den drei großen Parteien, die hier die Majorität des Hauses bilden, hat be⸗ gonnen, und ich vertraue, 86 auf diesem Wege das Ziel, wenn auch vielleicht nicht zur vollen Befriedigung jedes Theiles, so doch in einer mittleren Linie der Befriedigung für alle ae n erreicht werden wird. In dieser Beziehung sehe ö. persönlich um so hoffnungsreicher als die verbündeten Regierungen, wie ich das ja auch in der Kommission wiederholt dargelegt habe, ihrerseits an dem Entgegenkommen, an dem Versuche, der Verständigung aktiv in jeder möglichen Weise Vorschub zu leisten, es nie haben fehlen lassen. Die Haltung der verbündeten Regierungen war nicht blos in der Vergangenheit, sondern wird auf diesem Geblete, wie ich fest k bin, auch fernerhin überaus versöhnlich sein, nicht bloß gegenüber den Parteien des Haufes, sondern auch gegenüber den Interessen, die es hier zu ver= söhnen gilt., und dazu möchte ich den Reichstag recht dringend ein laden, der Aufgabe der Bersöhnung der Interessen, die bei der Brannt⸗ weinbesteuerung in Konflikt liegen, sich auch mit wirklicher Hingebung zu widmen; dann werden wir, wenn auch jetzt nicht, so in der nächsten Session, hoffe ich, zum Ziele gelangen. . ;

Der Abg. Dr. Delbrück meinte: er könne sich auf eine kurze Erklärung beschränken. Er habe bei der ersten Lesung die Bedingungen ausgesprochen, unter denen er im Stande sei, der Vorlage zuzustimmen. Er habe sich nicht einverstanden erklären können mit den undurchführbaren Kröntrolmaßregeln und habe gefunden, daß das landmirthschaftliche Interesse nicht genügend gewahrt sei. Er habe auf die Mittel hin⸗ gewiesen, durch welche diesen Bedürfnissen nachgekommen werden könne, nämlich durch Genossenschaftsbildungen und durch eine Skala in der Besteuerung. Ueber alle diese Dinge sei eine Einigung nicht erzielt worden, und deshalb sei er nicht in der Lage, für die Vorlage zu stimmen. .

Der 9 Rickert äußerte: der Finanz-Minister sei immer hoffnungsvoll. Für sein. Branntwein⸗Monopol hätten sich nur drei Stimmen im Reichstage erhoben, er sei hoffnungs⸗ voll geblieben. Jetzt würden zwei seiner neuen Vorlagen wiederum von fast Allen getödtet, und er erwecke bereits daraus wieder einen hoffnungsvollen Johannistrieb. Es sei erfreulich und begrei 1. daß alle Parteien den dringenden Wunsch th e daß dieser Situation ein Ende gemacht werde. Nur außerhalb des Hauses gebe es eine . Presse, welche die Vertretung des Volkes schulmeistere und so thue, als ob sie Namens der Regierung den Abgeordneten die Zensur ertheile. Nur diese 2 die auf einem so niedrigen Standpunkte stehe wie in keinem konstitutionellen Lande und die, obschon jeder Regierung bei jeder Maßregel zu dienen genöthigt, der Volksvertretung gegenüber sich hoch⸗ müthig geberde, verlange von den Abgeordneten, sie müßten auch jetzt noch fleißig sein und arbeiten. Seien diese Schuld an der Verzögerung? Drei Monate erst nach Eröffnung des Reichstages sei das Branntwein⸗Monopol eingebracht worden, am 16. Mai die neuen Vorlagen. Darin stimme Redner mit dem Finanz-Minister überein, daß die Kommissionsarbeiten großen Werth gehabt hätten. Im Prinzip seien Alle einig gewesen; auch die e, seien keines⸗ wegs prinzipiell en eine Reform der Branntwein⸗ steuer, unter gewissen Umständen auch nicht,; gegen eine rn f Aber über einige Kleinigkeiten, die nicht

anz unwesentlich seien, von Manchen sogar für die Haupt⸗ 5 angesehen würden, sei die Kommission keineswegs einig,

auch nicht die von dem ö genannten drei

Parteien: nämlich über die . des 2 und über das Wie der Branntweinsteuer⸗Reform. Auch diese Kommissions⸗ verhandlungen hätten wieder den Beweis geführt, daß es viel leichter sei, große Entlastungsversprechungen zu machen, als sie einzulösen. Die Kommission habe auch den Antrag dlleist zu Tage gefördert. Das sei wahrlich keine Grundlage für eine künftige Reform; in der Kommission ge der Antrag bereits n . gewürdigt. Leider habe sich die Regierung . ntrage gegenüber sehr entgegenkommend gezeigt. e Ueberraschung, wenn auch keine 9 i die au Redners wiederholtes Andrängen in letzter Sitzung bei der Feststellung des Berichts abgegebene Erklärung des Finanz Ministers gebracht, daß eine Erhöhung der hand der 9. ziere in nächster Zeit beabsichtigt werde und daß dazu die höhere . verwendet werden solle. Man habe in der ö. keine Ahnung von dieser Ab Bundes

regierungen gehabt, das würden Mitglieder Parteien bestätigen. Dies bestätige mehr als alles Andere,

wie der deutsche Konstlutionallgmus beschaffen sei. Nach dieser