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Aachen, 27. Ayril. (W. T. B) Der Historiker, Wirkliche Geheime Rath Dr. Alfred von Reumont ist heute gestorben.
Weimar, 28. April. (W. T. B.) Der General⸗Intendant des Großherzoglichen Hoftheaters, Freiherr von Loan, ist heute Nacht gestorben.
Gewerbe und Handel.
Dem Aussichtsrath der Nähmaschinen⸗ Fabrik vor—⸗ mals Frister und Roßmann, Aktien⸗Gesellschaft, wurde die Bilanz und das Gewinn- und Verlust⸗Conto pro 1886 vorgelegt. Die Direktion erstattete Bericht über die Lage des Unternehmens, aus welchem bervorging, daß der Niedergang der Nähmaschinen⸗ branche der Gesellschaft erhebliche Verluste zugefügt und sie in die Nothwendigkeit versetzt habe, für weitere in Aussicht zu nehmende Ausfälle umfassende Abschreibungen auf Außenstände zu be— schließen. Außerdem sind sehr umfassende Abschreibungen auf halbfertige und fertige Waaren vorgenommen mit Rücksicht darauf, daß die Gesellschaft vor umfassenden Fabrikationsänderungen steht. Unter Berücksichtigung dieser Umstände werden folgende Abschreibungen und Rückstellungen der Generalversammlung provonirt: Abschreibungen auf Immobilien 25 910 „M, auf Betriebsinventar 78 674 „tn, auf Mobilien 6374 „n, weitere Dotirung des Delerebere⸗Conto 900050 ct, Verlust auf Fabrikations-Conto excl. Zinsen 313 928 0; alsdann er⸗ giebt sich eine Unterbilanz in Höbe von 1411 839 0
— Dem Berickt der Direklion der Mecklenburgischen Bank entnehmen wir Folgendes: Das Jahr 1886 war insofern günstig, als es gelang, die Herabsetzung des Zinses für Depositengelder um ! O resp. 1 960 durchzuführen. Das Depositengeschäft hat sich dennoch weiter entwickelt; die Gesammtsumme der Depositen hat sich um über 25 90 des vorjährigen Bestandes vermehrt. Daß den Aktionären o weniger Dividende geboten wird, hat seinen Grund hauptsächlich in dem niedrigen Zinsfuße. Nach Abzug aller Unkosten, Abschrei— bungen auf Bankgebäude und Mobilien ergiebt sich ein Reingewinn von 108 628 0 (gegen 118669 M im Vorjahre). Nach Abzug der Tantiésmen (2758 t), sowie der Ucberweisung an den Reservefonds (5431 ½ ) verblieben zur Verfügung der Generalversammlung 100535 ½, aus welchen die Vertheilung von 56 und die Ueber— tragung von 535 M auf neue Rechnung beschlossen wurden.
— Nach dem Geschäftsbericht der Weimarischen Bank für 1886 erhöhten sich die Umsätze von 1422 auf 1605 Millionen Mark. Wenn dennoch das Retto ⸗Erträgniß mit 331 856 „ gegen das Vor— jahr nur 23524 „½ höher erscheint, so begründet sich dies durch den Ausfall von 59 000 M an Zinsen. Vom Gewinn mußten noch 56 738 „ abgeschrieben werden, weil ältere Engagements der Filiale Berlin mehr Verlust ergaben als erwartet wurde. Auch wurden weiter 44 046 „S. Betriebsverlust der verpfändeten oherschlesischen Gruben abgeschrieben. 2 Grundstücke mußten für 195 006 „ er- worben werden, 2 andere wurden für 41 659 66 verkauft. Reingewinn 5I7 394 „6, davon Unkosten 185 537 (6, ferner die beiden erwähnten Abschreibungen, so daß einschließlich des Vortrags aus 1885 übrig bleiben 199 899 6, die zu Abschreibungen verwendet werden sollen.
Aachen, 27. April. (W. T. B.) In dem Prozeß eines Aktionärs gegen den Vorstand und Aufsichtsrath der Aach en— Jülicher Eisfenbahngesellschaft fand heute die Hauptverhand— lung statt. Der Vertreter der beklagten Gesellschaft brachte gegen die Ausführungen des klägerischen Anwalts die Einrede der unzu— lässigen Klageänderung und der Klageerweiterung vor und wies darauf hin, daß die statutenmäßig für die Majorität nothwendigen Er— fordernisse bei dem von dem Kläger angefochtenen Beschlusse vor— handen seien und daß der Vertrag der Gesellschaft mit der Staate— regierung unter allen Umständen zu Recht bestehe. Die Verkündung des Urtheils wurde auf den 109. Mai er. festgesetzt.
London, 28. April. (W. T. B.) Die Bank von England hat heute den Diskont von 23 auf 2 0 herabgesetzt.
Antwerpen, 27. April. (W. T. B. Wollauktion. An⸗ geboten 944 B. Buenes Ayres, davon 463 B. verkauft, ferner 1252 B. Montevideo, davon 726 B. verkauft, und 72 B. diverse Wollen. davon 24 B. vertauft. Preise gegen gestern unverändert.
St. Petersburg, 27. April. (W. T. B.) In der heutigen Genralvpersammlung der Großen Ruffischen Eifenbahn“ gesellschaft wurde beschlossen, für das abgelaufene Jahr 1886 keine Dividende zu vertheilen.
Verkehrs ⸗Anstalten.
Hamburg, 277 April, (B. T. B) Der Postdampfer Suevia“ der Hamburg⸗Amerikanischen Packetfahrt⸗ Aktiengesellschaft ist, von New-VPock kommend, heute Mittag 12 Uhr auf der Elbe eingetroffen. — Der Postdampfer „Rhe⸗ nania“ derselben Gesellschaft ist, von Hamburg kommend, gestern in St. Thomas eingetroffen.
Kronstadt, 27. April. (W. T. B.) Die Schiffahrt ist durch zwei heute eingelaufene deut sche Dampfer eröffnet; dieselben sahen auf der Strecke Hochland⸗Kronstadt zwei andere Dampfer und 15 Segelschiffe.
Sanitätswesen und Quarantänewesen.
Niederlande.
Zufolge einer im, Nederlandsche Staats Courant“ veröffentlichten Verfügung vom 22. April 1887 hat der Königlich niederländische Minister des Innern die unter dem 10. März d. J. erlassene Ver= fügung, wonach die Häfen Siziliens für von Cholera verseucht er— klärt worden, nunmehr aufgehoben. (Vergl. „Reichs ⸗ Anzeiger‘ Rr. 64 vom 16. März 1887.)
Malta.
Durch Verfügung der Lokalregierung vom 14. April 1887 ist unter Aufhebung der Verfügung vom J. März 1887 (, Reichs-Anzeiger“ Nr. 66 vom 18. März 1887) Folgendes angeordnet worden:
1) Passagieren, welche aus einem Hafen des Mittelländischen Meeres oder von Konstantinopel kommen, fowie Pafsagieren, welche fich in Alexandria, Suez und Port Said einschiffen, ist die Landung in Malta nur dann gestattet, wenn sie durch Zeugnisse britischer Konsular⸗ behörden nachweisen, daß sie innerhalb der dem Tage ihrer Ein— schiffung unmittelbar vorhergehenden 10 Tage nicht in Stzilien ge⸗ wohnt bezw sich aufgehalten haben.
2) Schiffen, welche von Sizilien kommen oder innerhalb der letzten 10 Tage in einem sizilianischen Hafen waren, wird, falls Alles an Bord gesund ist und sie keine Paffagiere aus Sizilien bringen, gestattet, unter Beobachtung der Quarantäne auszuladen und Ladung einzunehmen.
3) Schiffen, welche vor längerer Zeit als 10 Tagen vor ihrer Ankunft in Malta Sizilien verlaffen Fabén, wird, falls Alles an Bord gesund ist und fie keine Passagiere aus Sizilien bringen, der freie Verkehr gestattet.
4) Schiffen, welche von Sizilien kommen und gemäß Abschnitt 2 dieser Verordnung ausladen oder Ladung einnehmen dürfen, wird nach Ablauf von 10 Tagen nach dem Tage ihrer Abfahrt von Sizilien der freie Verkehr, jedoch nur nach vorhergegangener ärztlicher Besichti⸗ gung und vollständiger Desinfizirung, gestattet.
. Die Landung ansteckungsfähiger Waaren aus Sizilien ist en.
Berlin, 28. April 1887.
Gestern fand im Herrenhause die Generalversammlun des unte dem Protektorat Ihrer, Kaiserlichen ö. een de neter Heheiten des Kronprinzen und der Frau Kronprinzeffin stehenden Vereins für Kinderheilstätten an den deutschen Seeküsten statt. Der Vorsitzende des Vereins, Minister⸗Resident Trüger, gedachte in erster Linie in dem von ihm erftatteten Jahres bericht der hochherzigen Beihülfe St. Majestät des Kaifers in Höhe von 260 600 6 zur Errichtung der Kinderheilstätte auf
Norderney. Im Weiteren konstetirte der Bericht erfreuliche Erfolge des Vereins. Zwei neue Hospize, das eine auf Norderney, das andere in Zoppot, sind im Laufe des vergange⸗ nen Jahres neu eröffnet worden. Das Hospiz auf Norderney vermag 260 Pflezlinge aufzunehmen. Mit 51 Pfleglingen wurde es am 1. Juni 1886 seiner Bestimmung übergeben. er n der zmonatigen Kurveriode fanden im Ganzen 332 Kinder, 151 Kraben, 181 Mädchen Pflege bezw. Heilung in dieser Anstalt. Die der Kur bedürftigen Kleinen stammten aus allen Theilen Deutschlands, ein vollgültiger Beweis, daß diese Stätte der Barmherzigkeit und Menschenliebe eine deutsch⸗nationale Institution in des Wortes vollster Bedeutung ist. 21 Kinder hatten Freistellen, 152 zahlten wöchentlich 15 (0, die übrigen 10 66. Am 15. Oktober wurde diese Kinderheilstätte geschlossen, doch sind jetzt die zweckmäßigen Einrichtungen getroffen, daß dieselbe auch während der Wintermonate benutzt werden kann. Im Hospiz in Zoppot befanden sich 53 Kinder während der ab— gelaufenen Saison in Pflege. Der Magistrat in Danzig zablt jährlich 2000 M an die Anstalt, wofür er das Recht besitzt, derselben eine Anzahl Kinder zu überweisen. Das schon länger bestehende, jetzt er⸗ weiterte Hospiz in Groß⸗Müritz wurde von 28 Knaben und 39 Mädchen besucht. Das Hospiz auf Wyt bei Föhr hat 123 Kindern Aufnahme gewährt. Daß diese Heilstärten einem vorhandenen Be— dürfniß entsprechen, davon zeugt die steigende Frequenz derselben. Im Jahre 18853 waren es 1 7 Kinder, welche die Heilstätten auf— suchten, im Jahre 1886 bereits 56h. Durch die an den Verein ge— stellten hochgesteigerten Ansprüche ist die Finanzlage keine derartige, daß in nennenswerther Weise Freistellen bewilligt werden könnten. Auf die Zahlung des Mindestbetrages der Kurkosten (wöchentlich 10 46) kann deshalb weniger als je verzichtet werden. Dr. Max Salomon referirte hierauf in eingehender Weise über die Kurerfolge. An der Hand der statistischen Daten konstatirte derselbe, daß die Heilstätten höchst erfreuliche Ergebnisse aufzuweisen haben. Bei Knochen- Lungen und Nervenkrankheiten, bei Blutarmuth und allge— meiner Schwäche wurden günstige, zum Theil sogar überraschende Erfolge erzielt. Bezüglich der Gewichtszunahme während der Kur— periode konnte in Einzelfällen eine solche bis zu 8 Pfund verzeichnet werden. Auf Anregung des Hrn. Eisenbahn-Direktors a. D. Schrader sprach sich die Versammlung dahin aus, der Möglichkeit eines ge— wissen Zusammenwirkens mit den Ferienkolonien näher zu treten. Der hierauf erstattete Kassenbericht pro 1886,57 ergiebt, daß der Kassenbestand sich auf 69 35665 SS 83 8 beläuft. Nach Ertheilung der Decharge wurde zur Neuwahl eines Kassirers geschritten. Die Wahl fiel einstimmig auf Hrn. Oppenheim, in Firma Warschauer C Co. Nachdem die Versammlung noch die Wahl zweier Revisoren und zweier Stellvertreter, sowie eine kleine Statutenänderung vorgenommen, bewilligte dieselbe eine Unter stützung von 1000 M für das Hospiz Groß⸗Müritz. Den letzten Punkt der Tagesordnung bildete das Budget des Jahres 1887.88. Dem Voranschlag zufolge dürfte bei Schluß dieses Rechnungsjahres nur ein Kassenbestand von 5000 ( vorhanden sein. Nach Entgegen— nahme der Rechnungslegung wurde die Versammlung geschlossen
Am 27. d. M. in der Frühe hat eine Abrutschung des Dammes östlich der Station Strausberg (Ostbahn) stattgefunden, in Folge deren das II. Hauptgeleise unbefahrbar wurde. Die Züge wurden ohne wesentliche Verspätung auf dem J. Gleise in beiden Richtungen befördert. Die Beseitigung der Verkehrsstörung wird im Laufe des heutigen Tages erfolgen. Ein Unfall aus Anlaß der Rutschung ist nicht zu beklagen.
Der Berliner Lokalvereinzur Pflege im Felde verwun— deter und erkrankter Krieger, dessen Friedensthätigkeit in der Unterhaltung der in der Brüderstraße belegenen Sanitätswache besteht, hielt gestern Abend seine Jahresversammlung ab. Dem Bericht zu— folge ist die Wache im Jahre 1886 in 783 Fällen in Anspruch ge— nommen, in 137 Fällen mehr, wie im Jahre vorher und in 273 Fällen mehr wie im Jahre 1882, dem ersten Jahre der Thätigkeit. 315 Fälle betrafen innere, 463 äußere Krankheiten, 10mal wurde Ge— burtshülfe beansprucht. Im Wachlokal selbst wurden 547, außer dem— selben 241 Hülfesuchende behandelt. Auf den Sonntag Nachmittag entfielen 98 Fälle; 225 wurden gegen sofortige Zahlung erledigt. Ihre Majestät die Kaiserin hat der Wache auch im letzten Fahre durch Uebersendung eines namhaften Beitrags Ihre Huld' bewiesen. An Mitgliederbeiträgen gingen 2810 46, an Zuwendungen in Folge eines Aufrufs 1422 6, an außerordentlichen Gaben 457 „6½ ein, während für die Behandlung der Hülfesuchenden 647 S vereinnahmt wurden: 209 66 mehr als 1885. Die Gesammteinnahme betrug 5512 , die Gesammtausgabe 5498 e½½, Die Honorirung der Aerzte erfor— derte 23h8 „6, die der Heilgehülfen 1604 M; an Miethe wurden 1100 „½, für Instrumente, Bandagen u. dergl. 175 M verausgabt. An Vermögensbestand sind 3893 S vorhanden.
In Erkner, Friedrichstraße 25, wird am 1. Mai er. Hr. Rein hold Bredow ein Restaurant eröffnen, welches den Namen „Der Kaiserhof“ führen wird. Die Lokalitäten sind vollständig neu ein— gerichtet, schön und geräumig. Der große Garten, in welchem alte Bäume Schatten verbreiten, bietet Raum für cirea 6000 Personen, und eignet sich ganz besonders für Vereinsfestlichkeiten.
Stuttgart, 27. April. Der „St.«A. f. W.“ meldet über den dritten Tag der Uhlandfeier: Während gestern Vormittag in den höheren Schulen und den Töchterinstituten der Stadt Festakte statt⸗ fanden mit Reden der Lehrter, Gesängen und Dellamation der Schüler und Schülerinnen, legte der Marktplatz die letzte Hand an fein Feierkleid;: sämmtliche Häuser desselben wurden aufs Schönste mit Blumen, Kränzen, Gnirlanden und Fahnen dekorirt. Das Rathhaus war in allen einen Theilen geschmückt; mächtige Fahnen wehten
herab in deutschen, württembergischen und Stuttgarter Farben; die
Warpenschilder des Deutschen Reichs, Alt- und Neuwürttembergs zierten neben Kränzen and Guirlanden die Hauptfagade, vor der fich die mächtige Sängertribüne bis zum ersten Stock erhob. Die Kolofsal— statue Uhland's schaute vom hohen Piedestal aus der Mitte herab. Auch die Kirch⸗, Markt- und Hirschstraße waren schön dekorirt. Gegen die Mittagsstunde begann denn auch ein Wogen nach dem Markt— platz zu, das troßz des Regenwetters, welches das Fest stören zu wollen schien, immer mehr zunahm, je näher die Stunde der Feier kam. Glücklicherweise legte sich noch rechtzeitig der Regen, und der große Festzug traf bei klarem Himniel ein. 1500 Sänger, 37 Vereine aus Stuttgart, Berg, Heslach, Gablenberg, Eßlingen, Ludwigsburg, Kannstatt und Gaisberg mit ebensoviel prächtigen Fahnen bildeten den Zug, dem die Musik und der Stuttgarter Liederkranz vor— anschritten und der mit Jubel auf dem Marktplatze empfangen
wurde, wo inzwischen, Kopf an Kopf, über 19 9009 Perfonen der Auf⸗
führung harrten. Inzwischen war der Königliche Hof im Neeff⸗
schen Kause angekommen: Ihre Majestät die Königin, Prinz
und, Prinzessin Wilhelm, Prinzessin Katharina, Prinz und Prinzessin Weimar mitz Tochter, Herzogin Wera mit den beiden Prinzessinnen, Fürst und Fürstin Hohenlohe⸗Langenburg mit Tochter, sowie die Damen und Herren vom Gefolge. Das Publikum hatte den Eintritt Ihrer Majestät der Königin in das schön geschmückte Bürgerhaus mit be— geisterten Hochrufen begrüßt; der Herr des Hauscs und seine nächsten Verwandten empfingen die hohen Herrschaften am Eingange desselben: Kaufmann und Professor Neeff (Verwandte Uhland's). Hofprediger Dr. Braun, Direltor von Wintterlin und Staatsrath von Köstlin. Ia den oberen Räumen begrüßten die Damen des Hauses die fürstlichen Gäste und die jüngste Tochter, Frl. Luise Neeff, hatte die Ehre, Ihrer Majestät der Königin ein prächtig s Bouquet zu überreichen. Während der Produktion wurden einige Erfrischungen angenommen; in der Pause unterhielten sich die Herrschaften huldvoll mit dem Hausherrn und seinen Angehörigen und vewunderten namentlich eine Marmorbüfte von Danneckers Künstler⸗ hand, die Mutter der Gattin Uhland's darstellend, die eine Schwester der Mutter des Hrn. Neeff gewesen ist. Nachdem die Sänger sich nun auf der Tribüne aufgestellt und ihre Fahnen zum malerischen Hintergrund zusammengestellt hatten, trugen sie unter Förstler'
Leitung das ewig schöne und erhebende Lied An das Vaterland, vor, dem die Festrede des Vorstands Steidle. kurz und bündig. folgte. Er erinnerte in kräftiger Weise an das, was Uhland dem Volkslied, dem Volkegesang gewesen ist, und wie die Sänger vor allem begeistert am heutigen Tage, des Dichters gedenken. Bie Rede gipfelte in einem Hoch auf Ludwig Uhland, in das die Menge jubelnd einstimmte. — Theils mit, theils ohne Musikbegleitung, theils vom ganzen, theils von kleinerem Chor kamen dann „Sie nesborfchaft' „Gesang der Jünglinge“, „Frühlingsglaube“, „Der Wirthin Tochter⸗ lein“ „Der gute Kamerad? und „Freie Kunst‘ zur Aufführung Diefe allgemeine Volksfeier für Groß und Klein, Alt und Jung, Arm und Reich muß als ein überaus glücklicher Gedanke angesehen werden. Nach der Feier fuhr Ihre Majestät, abermals mit Hoch begrüßt, zum Residenzschloß zurück. Die Sänger zogen zur Liederhalle zurück, wo— selbst im Concertsaal eine gesellige Unterhaltung stattfand, bei der Rechtsanwalt Georgii JI. und Zizmann (Ludwigs burg) Ansprachen hielten, das Verdienst Uhland's um den Volksgesang und den Gedanken des Vaterlandes preisend. — Abends 8 Uhr war der Liederhallen? Festsgal überfüllt, in der Hofloge hatten die Herzogin Wera, die Familie des Prinzen Weimar und des Fürsten Hohenlohe, die Ge— sandten von Preußen, Oesterreich und Rußland mit ihcen Damen und das Gefolge Platz genommen. In dem reservirten Raum im Saal bemerkte man u. A. den Prälaten von Gerok, Fr. von Vischer, J. G. Fischer, Jul. Klaiber, Leins, Donndorf, Grimminger und viele andere Herren aus den Kreisen der Künstler, der Ge— lehrten, der Geistlichkeit, der Beamten, der Industriellen, hervorragende Persönlichkeiten aller Berufsstellungen, ferner die Angehérigen der Uhland'schen Familie Nach dem Programm dieses Festbanketts wechselten lebende Bilder und Reden mit einander ab. Die erste Rede hielt Prof. Th. Schott auf das Vaterland. Er hob hervor, daß Uhland selbst am meisten dazu beigetragen, in Süddeutschland den Gedanken eines großen einigen deutschen Vaterlands zu wecken, daß er durch seine patriotischen Lieder den Norden und Süden mit einander verknüpft habe und daß er der erste gewesen, des neuerstandenen Reichs sich zu freuen. Die gediegene Rede fand großen Widerhall in der Versammlung. Der Vorheng hob sich, und man sah als lebendes Bild den „guten Kameraden“: Eine Schaar Krieger in der Uniform der Zeit des siebenjährigen Krieges stürmt elne feindliche Stellung; im Vordergrunde liegt der Getroffene und streckt dem Kameraden die Hand entgegen. Das schöne von lauter frischen jungen Männern dargestellte Bild wurde mit großem Jubel aufgenommen und immer wieder begehrt. Noch höher stiegen die Wogen der Begeisterung, als der Dichter Karl Gerok Auf die Tribüne trat und einen poetischen Festgruß sprach, der an die Verse des Dichters:
Zwar . werd ichs nicht erleben,
Doch an der Sehnsucht Hand
Als Schatten noch durchschweben
. Mein freies Vaterland!“
anknüpfte und mit den Worten schloß:
So sollst Du heute schweben
Ob Deiner Heimath Au'n,
So sollst Du immer leben
In allen deutschen Gau'n;
Wer so in deutsche Saiten
— Und Herzen greift wie Du,
Gehört für ew'ge Zeiten
Dem deutschen Volke zu!“
Der Juhalt des Gedichts, der einfache, schlichte, aber ausdrucks⸗ volle Vortrag und die edle Persönlichteit des Dichters wirkten zu⸗ sammen, diese Huldigung für die Manen Uhland's als den weihevollsten Moment dieser so ergreifenden Festfeier erscheinen zu lassen' und sie allen, die ihr beigewohnt, unauslöschlich ins Gedächtniß einzuprägen. — Das nächste lebende Bild stellte die drei Könige von Heimsen“ vor, das bekannte Bild von Gegenbaur mit der brennenden Burg im Hintergrund. — Sodann feierte Prof. Hermann Fischer die Kom— ponisten Uhland'scher Dichtungen: Schubert, Mendelssohn, Silcher, vor allem Kreutzer. Er führte in schöner Sprache den Ge— danken aus, daß kein Dichter fo wie Uhland die Musiker zur Kom— position angeregt habe, und erinnerte daran, wie gerade durch die musikalische Weise seine Dichtungen in die breitesten Schichten des Vockes gedrungen sind. — Ein prächtiges Bild war das nun folgende: „»Normännischer Brauch.“ Darauf folgte die Deklamation des „Bertrand de Born“ durch Hrn. Dr. Baffermann und das lebende Bild: „des Sängers Fluch“, mit einer großen Anzahl von Perfonen in prächtigen Gewändern. — Hr. Ober-Studienrath Dr. von Dorn dankte dem Liederkranz, daß er Liese Feier so schön durchgeführt habe; er, loaftete sodann auf die deutsche Jugend, indem er aus der Biographie, wie aus den Werken Uhland's die vielen Züge heraut— hob welche darin für die Jugend vorbildlich sind. Das letzte lebende Bid, „die Huldigung an Uhland“, zeigte eine große Zahl von Per— so'en; alle Stämme Deutschlands, Soldaten und Studenten. Juͤng— linge, Mädchen. Kinder und Greise sind um die Büste ver— sammelt, welche von zwei Genien mit dem Lorbeer geschmückt wird. Ein Doppel: Quartett stimmte dazu folgende Strophe an: „Dir, Schwa— bens treustem Säugermund Gilt unser Dank aus Herzensgrund; Du schiedst, doch Deines Liedes Wort Bleibt Deines Volkes Stolz und Hort.“ Die Musik ging über zu dem „Lied der Deutschen“, und das gesammte Auditorium fiel ein in das „Deutschland, Deutsch— land üher Alles.. Hr. Steidle dankte den Majestäten und dem König— lichen Hause für die Betheiligung an dem Feste sowie allen aktiven Theilnehmern für ihre Mühewaltung. Damit war das Programm der Feier zu Ende, aber noch lange blieben die festlich Gestimmten beisammen.
Nachdem sich am Dienstag Fr. Adolfine Zimaier im Walhallta— Theater als „Mamsell Angot? vor gut besetztem Hause unter reich- lichen Beifallsbezeugungen verabschiedet, ging am gestrigen Abend mit gutem Erfolge Millöcker's fünfaktige Operette „Das ver⸗ wunschene Schloß“ in Scene und erlebte eine überaus günstige Aufnahme. Das anspruchslose Libretto fand trotz seiner Mängel dankbare Zuhörer, welche über der reizenden Musik Lie Schwächen der Handlung vergaßen und den gefälligen Millöcker'schen Weifen willfährig ihr Ohr liehen. Reich an ansprechenden Mesodien, sauber in der Instrumentation und trotz manch verwandter Anklänge an Werke anderer Komponisten originell in der Erfindung steht diese Musik derjenigen des „Bettelstudenten“ und des „Gasparone“ nicht nach. Einige Nummern, wie beispielsweise das Lied vom Himmel⸗ blauen See“, sind längst in das Volk übergegangen. Die' treffliche Darstellung ließ einen durchschlagenden Erfolg unzweifelhaft erscheinen. Frl. Seebold wurde in gesanglicher wie schauspielerischer Hinsicht ihrer Aufgabe als Coralie vollauf gerecht; trotz der hohen Lage der Partie brachte sie dieselbe rein und kräftig zum Ausdruck und zeigte aufs. Neue, welch eine tüchtige Kraft das Walhalla-Theater in ihr besitzt. Recht ansprechend gab Frl. Streitmann die derbe Regerl, in welcher Rolle sie sich als eine ausgezeichnete Soubrette bewährt. Die komische Figur des Andredl wurde von Hrn. Klein äußerst wir— kungsvoll zur Geltung gebracht, und der Humor, über welchen Hr. Herrmann in so ausgiebigem Maße verfügt, verfehlte auch am gestrigen Abend seine Wirkung nicht. Hr. Dardey führte sich gestern recht empfehlend ein, auch Frl., Korner wurde freundlich aufgenommen. Anhaltender Beifall des Publikums bewies, wie vortrefflich sich das⸗ selbe unterhielt.
Redacteur: Riedel.
, / Verlag der Expedition (Scholz). Druck der Norddeutschen Buchdruckerei und Verlags ⸗Anstalt, Berlin 8W., Wilhelmstraße Nr. 32. Fünf Beilagen (einschließlich Börsen⸗Beilage),
3 99.
Erste Beilage zum Deutschen Reichs⸗Anzeiger und Königlich Pren
Berlin, Donnerstag, den 28. April
ßischen Staats⸗Anzeiger.
1887.
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Aichtamtliches.
Preufzen. Berlin, 28. April. Im weiteren Verlauf der gestrigen (2 Sitzung des Reichstages ergriff bei fortgesetzter zweiter Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend die Errichtung eines Seminars für orientalische Sprachen, der Staats-Minister Dr. von Goßler das Wort zu folgender Rede:
Meine Herren! Wenn man näher auf die vorliegende Angelegenheit eingeht, so kehrt auch die alte Erfahrung wieder, daß man sich in den gegenseitigen Anschauungen viel näher steht, als man von vornherein glaubt, und wenn der Herr Vorredner die Aeußerungen, welche bis dahin, sei es im preußischen Landtage, sei es hier im Reichstage ab— gegeben worden sind, in Verbindung mit der Denkschrift und den Motiven der Vorlage eingehender geprüft hätte, so würde er gefunden haben, daß die theoretischen, prinzipiellen Bedenken, welchen er hier Autdruck gegeben hat, überhaupt nicht bestehen. Es ist niemals und in keinem Stadium der Verhandlungen daran gedacht worden, das orientalische Seminar zu einer gelehrten Institution zu machen, zu einer Institution, wo die ältesten Erscheinungsformen der orientalischen Sprachen erforscht und gelehrt werden könnten; im Gegentheil, es ist von Anfang an die Praxis, das Bedürfniß des praktischen Lebens allein in den Vordergrund der Erwägungen gestellt worden. Von Anfang en ist darauf hingewiesen, daß der Dolmetscherdienst und die anderen Berufszweige durch das orientalische Seminar ge— fördert werden sollen, und in der Denkschrift ist mit gesperrten Lettern darauf hingewiesen worden, daß die lebenden Hauptsprachen es Orients im orientalischen Seminar gelehrt werden sollten. Darum haben wir auch niemals daran gedacht, etwa die Professoren der Unirxersität, welche den ge— lehrten Forschungen nachgehen, zu den eigentlichen Trägern des orien— talischen Seminars zu machen; sondern wir haben, wie aus den Etats hervorgeht, den Nachdruck auf die Lektoren und die Lektorenassistenten gelegt. Die Lektoren sollen Lehrer sein, welche dem deutschen Staats verbande angehören, aber durch ihre Thätigkeit im Auslande mit den lebenden Sprachen des Orients vertraut sind, und ihnen als Leftoren— assistenten solche zur Seite gestellt werden, welche wir, wie wir hoffen, durch Vermittelung der auswärtigen Regierungen ans den dortigen Eingeborenen erhalten. Ich kann schon jetzt hinzufügen, wie durch das Entgegenkommen der egyptischen Regierung sichergestellt ist, daß für eine der wichtigsten orientalischen Sprachen. für das Arabische, solche im Ausland geborenen Assistenten zu beschaffen, Färsorge getroffen worden ist. =
Also alles dasjenige, was uns der Herr Vorredner als guten Rath auf den Weg gab, ist von uns von vornherein beabsichtigt; wir be— finden uns darin in voller Uebereinstimmung.
Nun ist im Eingang des Vortrages des letzten Herrn Vorredners auf die Schwierigkeit aufmerksam gemacht worden, daß es unter den Sammelbezeichnungen der orientalischen Sprachen schwer ist diejenigen Dialekte herauszufinden, die vorzugsweise geeignet sind, im praktischen Leben zur Anwendung zu kommen. Wir haben uns selbst— verständlich duch diese Frage vorgelegt und uns gesagt, daß, wenn es richtig ist, daß eine große Anzahl von Deutschen durch ihren Aufenthalt im Ausland befähigt worden ist, die dortigen Sprachen zu sprechen, es uns doch wohl auch gelingen wird, diese Sprachen hier so zu lehren, daß, wenn junge Leute mit den in der Heimath erworbenen Vorkenntnissen ins Ausland gehen, sie rasch und leicht zum Verständniß, zum Gebrauch der dortigen Sprachen gelangen werden. Auch wir wissen, daß im indischen Sprachgebiet viele Dialekte existiren, aber wir sind der Ansicht, daß diejenigen, welche mit dem Hindostanischen wohlausgerüstet sind, die Hauptsprache verstehen und sich leicht in die anderen Dialekte hineinarbeiten; wir wissen ferner, daß diejenigen, welche das sogenannte Hocharabische beherrschen, zwar nicht von vornherein jeden arabischen Dialekt, z. B. nicht den, der im Innern Arabiens gesprochen wird, verstehen; aber darüber herrscht kein Zweifel, daß sie im Stande sind, sich sehr leicht in die anderen arabischen Dialekte hineinzuarbeiten. So ist es auch mit der deutschen Sprache: wem eine gewisse Schulsprache, die Kenntniß des Hochdeutschen gegeben ist, der ist auch nicht von vornherein befaͤhigt, jeden deutschen Dialekt zu verstehen; aber er hat sich einen solchen Schatz von Kenntnissen und Regeln erworben, um, wenn er offenes Ohr und offenen Kopf hat, allmählich in jedes deutsche Idiom sich hineinzuversetzen. So werden wir uns Mühe geben, diejenigen orientalischen Haupt⸗Dialektformen unseren jungen Leute zu lehren, wie sie dieselben im Auslande vorzugsweise gebrauchen.
Weiter ist erneut auf die Bantusprache hingewiesen. Ja, meine Herren, ich bin in der glücklichen Lage wie der Herr Vorredner, daß ich kein Wort Bantu verstehe; ich bin auch nicht in Ost-Afrika ge—⸗ wesen; das wissen wir aber auch Beide, das weiß auch die Ost-Afrikanische Gesellschaft, andere Institute und Privatpersonen, die sich mit der Frage beschäftigt haben, daß auch in dem großen Reichthum der Bantu⸗ sprache eine Form besteht, deren Kenntniß Livingstone und Andere befähigt hat, sich mit den dortigen Eingeborenen zu verständigen und in die ihnen von vornherein nicht recht verständlichen Dialekte einzudringen, Und so haben wir nach den bisherigen Erfahrungen den Eindruck gewonnen, daß die Suahelisprache, eine lebende Sprache, eine nicht der Vergangenheit angehörige Sprache, denjenigen, die berufen sind, die deutschen Interessen in einem großen Theile von Afrika, namentlich in Ost-Afrika, zu fördern, der Wortschatz mit auf den Weg gegeben wird, den sie dort mit Aussicht auf guten Erfolg gebrauchen.
Meine Herren, ich kann damit schließen — in der Hauptsache stimmt das von mir Gesagte mit den Ausführungen des Herrn Vor— redners überein —: es sind rein praktische Ziele, die wir uns gesteckt haben; daß aber aus der Verfolgung dieser rein praktischen Ziele auch die Wissenschaft Vortheil haben wird, dafür wird der tüchtige deutsche Geist sorgen.
Der Abg. Dr. Bamberger bemerkte: In dieser Sache kämen ihrer Neuheit wegen beinahe so viel Meinungen als Köpfe zum Vorschein; aber da Alle im Punkt der Bewilligung übereinstimmten, so habe die Divergenz nicht viel auf sich, und man spreche eigentlich nur, um guten Rath mit auf den Weg zu geben und sich vor Mißverständnissen zu bewahren. Er selbst wolle heute nur im Gegensgtz zu dem Abg. Grad, der durch das Seminar wesentlich einen direkt wirth— schaftlichen Zweck fördern wolle, die verbündeten Negie⸗ rungen gegen diese Auffassung in Schutz nehmen, damit man ihnen nicht später einen Vorwurf daraus mache, daß sie diesen Zweck nicht erreicht hätten. Er möchte darin nicht gouvernemen⸗ taler sein als sie selbst, die ganz richtig den Hauptnachdruck auf die Ausbildung für den diplomatischen Dienst legten. Es lasse sich verstehen, daß man einzelne junge Leute durch lange linguistische Studien vorbereite, sich die Sprache soweit anzu— eignen, daß sie nach längerem Aufenthalt im Lande sich ihrer auch praktisch bedienen könnten. Sich aber einzureden, man werde Kaufleute linguistisch vorschulen, daß sie später hinausgehen und lukrative Geschäfte machen könnten, das sei eine doktrinäre Auffassung, von der Art, kgufmännische Zwecke zu verfolgen, auf die er, obwohl er der Sache gewiß nicht abhold sei, sich nicht einlasse. Die Citate
des Abg. Grad bewiesen für ihn gar nichte, sie bewiesen das Gegentheil. Die Franzosen gäben allerdings für derartige Anstalten mehr aus als irgend eine andere Nation, sie seien aber im Exportgeschäft gegen alle anderen großen Nationen zurück, und die Deutschen, welche bis jetzt kein Seminar gehabt hätten, schlügen die anderen Nationen, namentlich die Fran— zosen, fast überall, sogar in ihren eigenen Kolonien. Im Jahre 1797, unter der ger gf von Theorien, sei man geneigt gewesen, sich praktischen Nutzen von jener Anstalt zu versprechen; aber gerade die bedeutendsten abstrakten Gelehrten seien aus ihr hervorgegangen, Leuchten der Wissenschaft, die sich aber mit Wirthschaftszwecken niemals abgegeben hätten. Und gerade in Der har sei diese Gefahr zu vermeiden, weil alle ein bischen Philologen seien, und gerade in den modernen Sprachen mehr das Alte liebten und suchten, als das Moderne. Der Professor des Französischen an dem hiesi— gen französischen Gymnasium zeige sicherlich immer mehr Vor— liebe für das Altfranzösische, als für das neue, sei in der provencalischen Literatur mehr bewandert, als in irgend einem modernen französischen Schriftsteller. Dieser Bewegung ent— gegenzutreten werde allerdings eine glückliche Maßregel sein; aber man solle sich nicht bessere Exportgeschäfte zu machen versprechen, wenn man auch alle Sprachen des Auslandes habe studiren lassen.
Der Abg. Dr. Virchow äußerte: Er möchte sich doch ver— wahren gegen den Vorwurf des Ministers der geistlichen An— gelegenheiten, als sei das von ihm Gesagte etwas Selbst— verständliches gewesen. Gerade hier im Reichstage seien Be— denken geäußert worden, daß durch dieses Institut eine Kon— kurrenz für die anderen Universitäten geschaffen würde. Des— halb habe er darauf hingewiesen, daß hier Etwas gemacht werden müsse, was auf keiner anderen Universität existire, also auch keine Konkurrenz machen könne. Deshalb habe er auch besonders gewarnt vor der großen Gefahr, daß das Institut in etwas Anderes übergeführt werde, als es sein solle, nämlich in eine Art gelehrter Akademie. Was die oft betonte Bantusprache betreffe, so werde der Minister ja wissen, daß der Bantustamm in großer Ausdehnung an der Westküste von Afrika sich finde, er werde aber kaum mit einem Suahelimann die Länder von West-Afrika durchreisen können, um sich da verständlich zu machen. Er (Redner) habe nichts dagegen, wenn man Suaheli lerne, aber man sollte nicht glauben, daß man auch bei allen den verschiedenen Bantustämmen sich werde verstänblich machen können.
Darauf wurde die Vorlage einstimmig genehmigt.
Es folgten Wahlprüfüngen. Die Wahl des Abg. Delius (Minden) wurde für gültig erklärt.
Bezüglich der Wahl des Abg. Richter (Hagen) beantragte die Kommission, die Beschlußfassung auszusetzen und den Reichskanzler zu ersuchen, die Akten, betreffend das Verbot eines Arbeiterwahlcomités in Hagen, von der preußischen Re— gierung einzufordern.
Der Abg. Singer äußerte: Es sei eine Folge der anderen Zusammensetzung des Reichstages, daß man jetzt in der Kommission von einem früher aufgestellten und lange festgehaltenen Grundsatz abweiche und jetzt meine, daß das unrechtmäßige Verbot einer Wahlversammlung noch kein Grund sei, die Wahl zu beanstanden. Dieser Beschluß sei nicht veranlaßt durch die Ueberzeugung, daß der bisherige Reichstag die Sache falsch behandelt hätte, sondern er sei diktirt aus dem politischen Interesse der jetzigen Majorilät des Reichstages. Er stelle den Antrag, die Beweiserhebung auch darauf ausdehnen zu lassen, ob die Gründe, mit welchen die Auflösung mehrere Wählerversammlungen verordnet sei, hinreichende gewesen seien.
Der Abg. Klemm meinte: Das bloße unrechtmäßige Verbot einer Wählerversammlung sei seiner Meinung nach noch kein Grund, eine Wahl zu kassiren; denn man könne aus dem Verbot nicht die Folgerung ziehen, daß die Wahl— freiheit beeinträchtigt sei. Eine Wahlversammlung habe sehr geringen Einfluß Juf den Ausfall der Wahl, da ost sogar viele der Anwesenden garnicht das aktive Wahlrecht besäßen. Durch den Umstand allein, daß ein Sozialdemokrat voraus— sichtlich in einer Versammlung sprechen werde, sei ein Verbot nicht gerechtfertigt. Für den Ausfall der Wahl aber sei ein solches nur dann in Betracht zu ziehen, wenn man eine er— hebliche Differenz der Stimmen mit Sicherheit annehmen könne, und die absolute Majorität des gewählten Kandidaten eine unerhebliche sei.
Der Abg. Spahn äußerte: Wenn ein Abgeordneter im Reichs⸗ tage seinen Platz solle einnehmen können, so müsse nachgewiesen werden, daß alle Wahlbeeinflussungen für den Ausfall der Wahl irrelevant gewesen. Dies sei der frühere Standpunkt des Reichstages, den er festzuhalten bitte. Verbotene Wahl— versammlungen hätten auf das Wahlergebniß sehr wohl Ein⸗ fluß. Zahlreiche Wahlversammlungen wirkten zweifellos auf die Zahl der abgegebenen Stimmen ein. Außerdem müsse die Uebertretung der Verfassung, die in den Verboten der Wahl— versammlung liege, gerügt werden. Nur dadurch könne man . die Regierung einwirken und künftigen Mißbräuchen vor—
eugen.
Der Abg. Miquel bemerkte: Das Verbot der Bildung eines sozialdemokratischen Wahlcomités halte er für gesetz— widrig und ebenso das Verbot einer sozialdemokratischen Ver— sammlung, lediglich, weil darin ein Sozialdemokrat sprechen und für seinen Kandidaten wirken wolle. Das Sozialisten— gesetz müßte namentlich bei den Wahlen strenge interpretirt werden. Ja sogar alle Handlungen von Sozialdemokraten, die sich auf die Wahlen bezögen, legten von vorn— herein die Vermuthung nahe, daß sie nicht den Umsturz der bestehenden Rechtsordnung bezweckten. Er glaube auch nicht, daß die jetzige Mehrheit des Reichstages eine andere Meinung in dieser Beziehung aufstellen werde. Er sei auch vollkommen damit einverstanden, daß der Reichs— tag alle Mittel geltend mache, damit die Behörden angehalten würden, mit strenger Unparteilichkeit ihrerseits die Wahl zu handhaben und auch nur den Schein zu vermeiden, als ob sie das Sozialistengesetz benutzen wollten, um auf die Wahlen ein— zuwirken. Aber er könne daraus nicht schließen, daß, wenn irgend ein gesetzwidriges Wahlversammlungs— verbot vorgekommen, nun die Wahl von selbst hin—
fällig sei. Es müsse geprüft werden, ob das Verbot von der Beschaffenheit gewesen, daß es nach vernünftigem Ermessen auf das Wahlresultat hätte einwirken können. Er könne sich allerdings sehr wohl denken, daß durchgreifende Verbote von Wahlversammlungen derartig auf das Wahl⸗ resultat einwirkten, und daß, wenn das Haus diese Ueber— zeugung gewinne, es die Wahl kassiren müßte. Sei das aber nicht der Fall, so gehe man über das Wahlversammlungs⸗ verbot fort. Im Uebrigen sei er auch der Meinung, daß alle Parteien zu allen Zeiten das gleiche Interesse hätten, mit voller Entschiedenheit für die Aufrechterhaltung der Wahl— freiheit einzutreten.
Der Abg. Baumbach trat ebenfalls für den Singer'schen Antrag ein. Darin, daß das Verbot einer Versammlung an und für sich genügen sollte, um eine Wahl demnächst zu kassiren, gehe der Abg. Singer zu weit. Es sei stets gefragt worden, ob ein solches Verbot einen erheblichen Einfluß auf das Wahlergebniß ausgeübt habe. Die Abgg. Klemm und Miquel seien der Meinung, daß das Verbot einer Ver— sammlung lediglich aus dem Grunde, weil ein be— kannter Sozialdemokrat in derselben sprechen wolle, gesetzwidrig sei. Sie befänden sich darin aber in diametralem Gegensatz mit Hrn. von Puttkamer, der in der Sozialistenkommission ausdrücklich erklärt habe, der Umstand, daß ein bekannter sozialdemokratischer Redner sprechen wolle, reiche vollkommen aus, um auf Grund des Sozialisten— gesetzes die Auflösung der Versammlung berbeizuführen. Ein solches Wahlversammlungsverbot könne schon deshalb nicht genügen, die Wahl ungültig zu machen, weil sonst jeder unter⸗ geordnete Polizeibeamte es in der Hand hätte, jede Wahl ungültig zu machen. Den Wünschen in Bezug auf die Aufrechterhaltung der Wahlfreiheit schließe er sich natürlich vollständig an.
Der Abg. Böckel meinte: Das Verbot einer Versamm— lung reiche durchaus nicht hin, eine Wahl zu kassiren. Es wirke ja nicht immer schädlich, sondern zuweilen auch nützlich für die Betroffenen. Verboten würden übrigens nicht blos sozialdemokratische, sondern auch Antisemitenversammlungen, und das sei in einem Staate, wo Bleichröder regiere, kein Wunder. Er bedauere, daß so oft sozialdemokratische Ver— sammlungen verboten würden; man verschaffe den Sozial— demokraten dadurch nur Sympathie und nehme anderen Per— sonen die Gelegenheit darzuthun, was für verkehrtes Zeug sie redeten. Er bitte das Haus deshalb, es solle den Grundsatz nicht anerkennen, daß das Verbot einer Versammlung zur Annulirung der Wahl führe.
Der Abg. Singer entgegnete, der Vorredner möge nur fleißig für die Aufhebung des Sozialistengesetzes wirken, dann werde er ja Gelegenheit finden, die Sozialdemokraten todt— zumachen. Verbotene Wahlversammlungen könnten in der That auf das Wahlergebniß von Einfluß sein. Es handele sich nicht bloß darum, daß ein paar hundert Stimmen in einem Wahlkreis nicht gewonnen würden, sondern die Ver— bote wirkten einschüchternd auf die Arbeiter im All— gemeinen, und von Wahlfreiheit könne da nicht mehr die Rede sein. Es müsse Praxis werden, daß über⸗ haupt keine Versammlungen mehr verboten würden. Sein Antrag verlange nur die Gründe zu hören, weshalb die Versammlungen aufgehoben worden seien und welchen Einfluß die Verbote ausgeübt hätten. Im Interesse der hebrohten Wahlfreiheit bitte er, seinen Antrag anzunehmen.
Der Abg. von Reinbaben bemerkte: Das Verbot einer Wahlversammlung könne niemals zur Kassirung einer Wahl ausreichen, denn es lasse sich garnicht absehen, wer in die Versammlung gekommen wäre und welchen Einfluß sie aus— geübt hätte.
Der Ahg. Rickert äußerte, niemals sei der Majorität des Reichstags eingesallen, aus dem bloßen Verbote von Versamm— lungen die Kassation herzuleiten. Wenn ein Abgeordneter mit 2000 Stimmen Majorität gewählt sei und in einem Bezirk von 400 Stimmen ein Verbot stattgefunden, so sei das Verbot natürlich irrelevant. Vereinige man sich dazu, in diesem Reichstage eine Resolution anzunehmen, daß das bisherige, vom Minister des Innern adoptirte und vertheidigte Verfahren des Versammlungsverbots ein gesttzwidriges sei.
Der Abg. Miquel meinte: Wenn die Kommission dem Hause klar gemacht hätte, daß das ganze Faktum der Wahl— verbote unter allen Umständen irrelevant sei, dann könnte man darüber hinweggehen. Sie sei aber der Meinung gewesen, daß Wahlversammlungs-Aufhebungen keinen Einfluß haben könnten. Deshalb müsse das Haus erst eine Prüfung der Sache verlangen, und dann werde der Reichstag entscheiden, ob die Verhote relevant seien oder nicht.
Der Abg. von Köller bemerkte: Selbst wenn die Wahl⸗ verbote ungerechtfertigt gewesen seien, so habe die Sache auf die Wahl keinen Einfluß. Der sozialdemokratische Kandidat wäre bei seiner Stimmenzahl nicht in die engere Wahl ge— kommen und hätte den Abg. Richter nicht schlagen können. Die Wahlversammlungsverbote hätten auch auf die Zahl der sozialdemokratischen Stimmen keinen Einfluß gehabt, wie der Umstand beweise, daß im Jahre 1881 600, im Jahre 1884 1100 und jetzt 2000 Stimmen für den sozialdemokra⸗ tischen Kandidaten abgegeben worden seien. Endlich sei in den beiden Orten, wo ein Wahlversammlungsverbot er— lassen worden, die Betheiligung eine außerordentlich starke gewesen. Eine Schädigung der sozialdemokratischen Partei sei also aus den Verboten nicht zu ersehen, und der Reichstag habe kein Interesse, die fraglichen Thatsachen zu eruiren.
Der Antrag des Abg. Singer wurde hierauf abgelehnt, der Kommissionsantrag angenommen. ;
Die Wahlen der Abgg. Gottburgsen. Witte, Pfähler, Fürst Radziwill, Feustel und Dr. Delbrück wurden ohne erheb⸗ liche Debatte für gültig erklärt.
Um 53/ Uhr vertagte sich das Haus auf Donnerstag, den 5. Mai, 2 Uhr.
— Im weiteren Verlauf, der gestrigen Sitzung des Herrenhauses erklärte — bei der Berathung des mündlichen Berichts der IX. Kommission über die Seitens des Hauses der Abgeordneten beschlossenen Abänderungen der Beschlüsse