1887 / 288 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 08 Dec 1887 18:00:01 GMT) scan diff

120 316, mit anders aufbewahrter . 66 99 178, end⸗ lich mit nicht näher bezeichneter Lymphe 1 ; .

Zur Wiederimpfung waren 1119351 Schulkinder vorzustellen, von denen 629 wegen überstandener natürlicher Blattern, 11 195 wegen schon vollzogener erfolgreicher Wieder⸗ impfung befreit blieben. Von den hiernach der Wiederimpfung unterliegenden Schulkindern wurden 42 205 Sh O7 (gegen S4 67 im Vorjahre) auf je 100 Impfpflichtige oder 88 42 688, 14) auf . 199 Wiedergeimpfte mit Erfolg geimpft, 17 774 oder 10635 (10,82) auf je 100 Impfpflichtige ohne Erfolg, 5615 mit unbekannten Erfolge. Ungeimpft blieben 41 855 Kinder 3,718 (3,93) Proz., nämlich 14300 auf Grund ärzt⸗ licher Zeugnisse vorläufig zurückgestellte. 398 wegen Auf⸗ hörens des Besuches einer die Impfpflicht bedingenden Lehr— anstalt, 36522, weil nicht aufzufinden oder ortsabwesend, 14 633, weil vorschriftswidrig der Impfung entzogen. Die

ahl der vorschriftswidrig der Impfung entzogenen Kinder im Berichtsjahre 132 Proz. der impfpflichtigen Schulkinder) ist seit 1379 (1,99 Proz) stetig geringer geworden. Von den wiedergeimpften Schulkindern wurden S2 807 (81,91 Proz, sämmtlicher Wiederimpflinge gegen 89,29 im Vorjahre) mit Menschenlymphe geimpft, 188 996 (17,14 gegen 10,36 mit Thierlymphe, davon 192247 unmittelbar vom Thiere, 89 820 mit Glycerin⸗ , 9 929 mit anders aufbewahrter Thierlymphe, endlich 3796 mit nicht näher bezeichneter Lymphe.

Das öffentliche Impfgeschäft wurde im Allgemeinen im Monat Mai begonnen und bis September bezw. Oktober zu Ende geführt. Die zu den öffentlichen Impfungen erforderliche Lymphe wurde zum größten Theile aus den staatlichen An— stalten bezogen, und zwar sowohl in der Form von Menschen⸗ wie von Thierlymphe. Außer den Staatsanstalten beschästigen sich auch viele Privatpersonen, Aerzte und Apotheker, mit dem Vertrieb von Lymphe, besonders Thierlymphe Die mit Thier— lymphe erzielten Erfolge sind außerordentlich ungleich gewesen. Dementsprechend lauten denn auch die Urtheile über die Durch⸗ führbarkeit der allgemeinen Impfung mit Thierlymphe in den Berichten sehr verschieden. Die Thierlymphe kam zur Ver⸗ wendung 1) direkt vom Thier, 2) als Glycerinlymphe, in flüssiger oder Emulsionsform, 3) als sogenannte Impfpaste, 4 als Trockenpulver oder an Stäbchen bezw. zwischen Glas⸗ platten eingetrocknet. ;

Stärkere Entzündungen in der Umgebung der Impf— pusteln sind nicht selten beobachtet worden, ohne daß dieselben indeß eine dauernde Gesundheitsschädigung oder gar einen tödtlichen Ausgang . hätten. Anschwellung und Entzündung der benachbarten Lymphdrüsen und Lymphgefäße sind in den meisten Staaten nur in geringer Zahl zur Beob⸗ achtung gekommen, ebenso Entzündung und Eiterung des Unterhautzellgewebes, welche übrigens nirgends einen üblen Ausgang genommen haben. Rothlauf hat 8 Todesfälle u r suhe je 2 in Preußen und Baden, je 1 in Sachsen, Württemberg, Sachsen⸗Altenburg, Schwarzburg-Rudolstadt. Außerdem führte Verschwärung oder brandige Beschaffenheit der Impfpusteln in 6 Fällen (2 in Preußen, 3 in Sachsen, 1 in Hessen) zum Tode, Blutvergiftung 2 Mal (je 1 Mal in den Regierungsbezirken Magdeburg und Merseburg), akute und chronische Hautausschläge 1 Mal; eine Uebertragung von Syphilis durch die Impfung wurde nirgends beobachtet.

Die Säuglingssterblichkeit im Deutschen Reich während der Jahre 1875 bis 1877.

Von Dr. Arthur Würzburg.

(Arbeiten aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamt. Bd. II. Heft 3/5)

Der vorliegende zweite Theil der Arbeit behandelt vor⸗ nehmlich die Sterblichkeit der Säuglinge nach ihrer ehelichen und außerehelichen Abkunft, 6. nach Stadt⸗ und Land⸗ gemeinden; ferner den Ablauf der Säuglingssterblichkeit in den einzelnen Abschnitten des ersten Lebensjahres, sowie die Todt⸗ und die Lebendgeburten. .

Die Sterblichkeit der ehelich geborenen Säuglinge (22, 9 auf je 100 ehelich Lebendgeborene) zeigt sowohl ihrer Höhe nach, als in ihrer staatlichen Vertheilung nahezu vollkommene Uebereinstimmung mit derjenigen aller Säuglinge (23,23 auf je 100 Lebendgeborene), während die Sterblichkeit der außer⸗ ehelichen Säuglinge (36,093 auf je 190 außerehelich Lebend⸗ geborene) nicht unwesentliche Abweichungen aufweist. Das Maximum der letzteren wurde in Sachsen⸗-Altenburg mit 41,27 Proz. erreicht. Zu ähnlichem Ergebniß gelangt man bei Betrachtung der Säuglingssterblichkeit in den preu⸗ ßischen Regierungsbezirken und in den entsprechenden Ver⸗ waltungsbezirken der anderen Staaten. Bezirke mit geringer Sterblichkeit der außerehelichen Säuglinge gab es nur wenige, nämlich solche mit weniger als 15,00 Proz: 1 gegen 11 mit einer derartigen Sterblichkeit der ehelichen Säuglinge, solche mit weniger als 20,0 Proz: 3 gegen 38. in⸗ gegen besaßen 45 Bezirke eine Sterblichkeit der außer⸗ ehelichen Säuglinge von mehr als 3900 Proz. gegen 7 bei den ehelichen, darunter 10 mit einer Sterblichkeit von mehr als 40,00 und 3 (Oberbayern, Schwaben, Berlin) mit einer solchen von mehr als 45,090 Proz.; diese beiden letzteren Grade wurden von den ehelichen Säuglingen überhaupt nicht erreicht. Unter Berücksichtigung der einschlägigen Verhältnisse in den einzelnen Kreisen 2c. machen sich .. in erhöhtem Maße geltend. Gleichwohl zeigt das Beispiel von 20 Kreisen, in , die Sterblichkeit der außerehelichen Säuglinge von derjenigen der ehelichen, wenn meistens auch nur um ein Geringes, überragt wird, daß die außereheliche Abkunft an sich noch nicht nothwendig eine ungünstige Prognose für die Lebens⸗ dauer, wenigstens innerhalb des besonders gefährlichen ersten Jahres, bedingt. .

Eine vornehmlich geringe Sterblichkeit der ehelichen un d außerehelichen Säuglinge ist nur für das Fürstenthum , und für die Kreise Tondern Und Leer zu verzeichnen. Neben Schaumburg⸗Lippe erscheinen das Groß⸗ er lh Oldenburg und die Reg. Bez. Schleswig und urich besonders bevorzugt. Diejenigen Kreise, welche eine

höhere Sterblichkeit der ehelichen Säuglinge als 45.00 Proz. aufweisen, gehören ausnahmslos dem südlichen Gebiete höchster Sauglingssterblichkeit (Bayern, Württemberg) an. Kreise mit einer Sterblichkeit der außerehelichen Säuglinge von mehr als 59 O90 Proz. dih gegen findet man auch in dem sächsisch⸗ schlesischen uns in dem , Centrum und selbst außerhalb derselben. Die höchste Sterblichkeit ehelicher Säu linge wurde im Bez⸗Amt Krumbach in Schwaben (49.33 6 , . im Oberamt Waiblingen im Neckarkreise (71, verzeichnet. . In den Städten war die Säuglingssterblichkeit im All⸗ gemeinen größer, als auf dem Lande, doch fehlt es hier nicht

8 9

)

an zahlreichen Ausnahmen. Bei einer Gesammtjahl von

Sol Kreisen ꝛc. starben bis zu 2 00 Proz. Säuglinge in 42,68 auf je 190 Kreise, 2001 bis 3000 Proz. Säuglinge in 41,69, und über 30,00 in 1563 Proz. Kreisen, desgleichen bei einer . von 72 Städten mit 2 O09 und mehr Einwohnern in 30 5 beziehungsweise 58,33 und 11,11 Proz. Städten. Die Städte hatten also durchschnitt lich weniger fg eine geringe, aber auch weniger ö. sig eine hohe Ge⸗ , , ,. terblichkeit, als alle Kreise, während eine solche von mittlerer Höhe in ersteren entsprechend öfter vorkam. Aehnlich verhielt es sich mit der Sterblichkeit der ehelichen Säuglinge, nur erweisen sich die Städte noch etwas be⸗ vorzugter. Hingegen spricht die Sterblichkeit der außerehelichen Säuglinge ganz auffallend zu Ungunsten der Städte (bis zu 20, 6 Proz. Todesfälle in O Städten und in 6,24 Proz. Kreisen, Mol bis 30 00 Todesfälle in 19,44 Städten und in 36,33 Kreisen; über 30, 0 Proz. Todesfälle in 30. 55 Proz. Städten und 57,43 Proz Kreisen). Von den Großstädten mit mindestens 100 009 Einwohnern) zeichneten sich esonders Frankfurt a. M. und Hannever durch eine verhältnißmäßig geringe, Säuglingssterblichkeit aus; bei einem Vergleich der Säuglingssterblichkeit in den Groß⸗ städten mit derjenigen in sämmtlichen Landgemeinden der einschlägigen Regierungsbezirke ꝛc. ragen Frankfurt . M., Hannover. Köln, München, Stuttgart entweder durch eine geringe Sterblichkeit aller, oder doch der ehelichen oder un— ehelichen Säuglinge . J Die besonders hohe Säuglingssterblichkeit im südlichen Cen⸗ trum (Bayern, Württemberg) betraf inStadt⸗ und Landgemeinden sowohl eheliche, als außereheliche Säuglinge. Die hohe Sterb⸗ lichkelt im brandenburgischen Centrum betraf der Hauptsache nach die außerehelichen Säuglinge, und zwar sowohl in den Städten, als auf dem Lande. Jedoch überragte meistens die Säuglingssterblichkeit in den Städten diejenige auf dem Lande. Im sächsisch⸗schlesischen Centrum erreichte unter sonst gleichem Verhalten auch die Sterblichkeit der ehelichen Säuglinge ziemlich häufig Grade, welche schon als hohe bezeichnet werden müssen. Die Sterblichkeit der außerehelichen Säuglinge war außer in den oben genannten Gegenden noch bei nur ge— ringer oder mäßiger Gefährdung der ehelichen Säuglinge eine hohe oder gar sehr he im Osten (Kreise Danzig, Elbing, Marienburg und die südlich sich anschließenden Kreise bis Thorn, der größere Theil der Regierungsbezirke Bromberg und Posen) und im Westen des Reichs (Rheinprovinz).

Frankreich. ! Laut ministerieller Anordnung werden die Provenienzen aus

Sardinien in den Häfen der französischen Mittelmeerküste bis auf

Weiteres einer 3 tägigen Beobachtung unterworfen.

Die 3 tägige Beobachtung, welcher die Provenienzen aus Malta in den nämlichen Häfen bisher unterworfen waren (vergl. Reichs Anzeiger Nr. 188 vom 13. August d. J.) ist in eine ärztliche Visitation umgewandelt worden.

Berlin, 8. Dezember 1887.

Von einem dankbaren Schüler erzählt, wie der B. B. C.“ mittheilt, Professor Felix Dahn in seinen „Germanistischen Stu⸗ dien“. Dahn theilt aus einer Schrift, welche den Aufenthalt des Freiherrn von Stein in Brünn betrifft, mit, daß der Staatsmann aus Brünn den Paädagogen Zeller nach Königsberg sandte; vieser wurde Lehrer der Kinder Friedrich Wilhelms und Lui⸗ sengz. Eins dieser Kinder schrieb ihm am 28. Dezember 1809: „Lieber Vater Zeller! Wie befindest Du Dich? Ich danke Dir sehr für all' das Gute, was ich bei Dir gehört habe. Ich werde mich bemühen, alles dieses zu befolgen. Vergiß nicht Deinen Sohn Wili— Dieser dankbare „Wili“ trägt seit dem 18. Januar 1871 die deutsche Kaiserkrone. 4

Das Münzkabinet der Königlichen Museen hat in den abgelaufenen Monaten werthvolle Bereicherungen erfahren, be⸗ sonders durch zwei Funde, die für die Geschichte und Kunstgeschichte des frühen Mittelalters von großer Bedeutung sind. Dem Funde von Klein⸗Rosharden in Adenburg gehört außer einer Anzahl zum Theil seltener Münzen and einigen eigenthümlichen, vortrefflich ge⸗ arbeiteten silbernen Schmuckgegenständen, die dem Museum (ür Völkerkunde überwiesen wurden, ein einseitig geprägtes, von breitem sorgfältig ausgeführten Filigranrand umgebenes, münzartig silbernes Schmuckftück an, welches ein für jene Zeit vorzüglich ausgearbeitetes Brustbild König Heinrich's 1. mit der Umschrift EkGINRIO0 RRX zeigt. Dieses in seiner Art ganz vereinzelt dastehende Denkmal gehört zu den ehr⸗

würdigsten Ueberresten des frühen deutschen Mittelalters und ist eine h

kostbare Reliquie von dem großen Herrscher. Historisch von großem Interesse ist ein erworbener Fund böhmischer Mänzen aus dem Ende des 10. und Anfang des 11. Jahrhunderts, denn er giebt der Geschichte Böhmens um das Jahr 1006 theilweise eine andere Gestalt; er lehrt, daß der Bruder des h. Apalbert, Sobies lam, im Südosten Böhmens ein selbständiges Reich mit den Städten Lubitsch und Malin hesessen, daß Otto, der Sohn Boleslaw Chobry's von Polen, als Statthaiter im Jahre 1003 in Prag Münzen geprägt, habe, und enthält eine Menge seltener böhmischer Dengre jener Jeit, u. A. drei von der in Melnikt residirenden Gemahlin Boleslaw's IJ, der Königin“ Emma, welche von mittelalterlichen Quellen mehrfach erwähnt, von einem der neueren Historiker aber als nicht existirend betrachtet wurde.

Der diesjährige Bazar zum Besten der hiesigen armen katholischen Ka fen ist heute im Schulhause in der Linden⸗ straße eröffnet worden.

Ueber den Großen Internationalen Wettstreit öh

Industrie, Wissenschaft und Kunst, Brüssel 1388, unter dem hohen Patronat Sr. Majestät des Königs der Belgier und dem Ebren⸗ Präsidium Sr. Königlichen Hoheit des Grafen Philipp von Flandern wird uns geschrieben: Gerade das Brüsseler Uaternehmen verdient vor Allem eine aufmerksame Würdigung. Schon der Name deszselben deutet an, daß wir es mit einer neuen Institution zu thun haben, hier handelt es sich nicht um einen Jahrmarkt, um die althergebrachte Darstellung der Erjeugnisse der Völker, der Erde, sondern um einen wirklichen, fruchtbringen den Wettstreit der Kunst, Industrien und Wissenschaften aller Kulturvölker. Die ,, Basis und Organisation des Wettstreits hat denselben schon heute in seinem End⸗ erfolg gesichert, an 1090 000 am sind bereits vergeben, und unter anderem betheiligt sich eben unsere deutsche Industrie in hervorragender Weise, da der Wettstreit zu Brüssel derselben einen Ersatz für ihre Verzichtleistung an der Pariser Weltautstellung bietet und außerdem sich für Deutschland immer mehr die Nothwendigkeit aufdrängt, das neutrale Belgien als Durchgangelgud für seinen überseeischen Export zu sichern. Die Leichtigkeit, mit welcher die deutsche Ueberproduktion nach Belgien einen Abfluß findet, und endlich die Unterstützung, welche unseren Cilergffent. durch die Anwesenheit deutscher Elemente in der Verwaltung des Wettstreits gesichert ist, hilden die entscheidenden Momente zur Beantwortung obiger Frage. Nur in Brüssel wird der eu f Gewerbefleiß eine gerechte Beurtheilung und Anerkennung antreffen und an der Seite eben⸗ bürtiger Konkurrenten den Ruf bewahren, den er sich errungen hat.

Köln, 7. Dezember. Seit einiger Zeit werden, wie die Köln. Ztg. mittheilt, vom General⸗Major Wolf auf Alteburg n . ra bungen angestellt, wozu ein staatlicher Zuschuß bewilligt ist. ieselben haben bereits jetzt zu dem Ergebniß geführt, daß daselbst eine römische Befestigung nicht nur nachgewiesen, sondern auch großentheils in ihrem Ümfange festgestellt wurde. Sie hatte die Form einer großen abgestumpften Lünette mit abgerundeten Ecken, deren größte Breite parallel dem Rheinstrome nahezu 400 m betrug, deren größte noch nicht genau festgestellte Tiefe senkrecht zum Rheinstrom wahrscheinlich das gleiche Maß hatte. Die Umfassung ist sinnreich konstruirt und giebt neue Aufschlüsse über die römische Befestigungs⸗ weise. Die Ausdehnung der Befestigung und das starke Profil deuten auf ein dort gestandenes römisches Winterlager. Bereits im Jahre 1872 wurden an dieser Stelle mächtige Ruinen aufgedeckt, welche nach ihrer Lage innerhalb der Befestigung die Reste des Prätoriums waren.

Teplitz, 8. Dezember. (W. T. 5 Das Wassernivegu im Victoriaschacht erreichte die Einbruchstelle. Dasjenige der Stadtbadquelle ist um 4,390 em gesunken. Vorbereitungen zur Verlängerung des Saugrohres der Wasserhebemaschine sind ge⸗ troffen. Der Gisela⸗Schacht ist wasserlos und fördert noch.

London, 7. Dezember. Die „Allgemeine Correspondenz' schreibt: Der Löwe der Londoner Gesellschaft ist zur Stunde ein Amerikaner, John L. Sullivan, der berühmte Champion Boxer. Seit seiner Ankunft in England ist dieser Vertreter der Brutalität der Gegenstand der Vergötterung. Die beste Gesellschaft wetteifert mit dem Gesindel, um dem Manne Ehre anzuthun, der mehr Knochen zerbrochen und Augen zerschmettert hat, als irgend ein anderer Sterblicher. Als der Champion in Liverpool ankam, wurde ein besonderer Tender gemiethet, um ihn vom Dampfer abzuholen. Seine Fahrt nach London glich einem wahren Triumphzuge. Auf allen Eisenbahnstationen drängten sich Tausende seiner Bewunderer um seinen Wagen, und die Begeisterung überschritt alle Grenzen, als er die Eustonstation erreichte. Er hat nun sein Quartier in einem der besten Hotels des Westends auf. geschlagen, und alle Sporting ⸗Zeitungen regaliren ihre Leser mit seiner Biographie und einer eingehenden Beschreibung seines Körpers. Seine Armmuskeln haben 16 Zoll im Umfang. Er ist hierher gekommen, um einen ebenbürtigen Gegner zu finden, der mit ihm um den Cham piongürtel und 2000 zu kämpfen bereit ist. Diesen hat er nun auch in dem Preisboxer Mitchell gefunden. Der dies- bezügliche Kontrakt ist bereits unterzeichnet worden, stipulirt jedoch als Einsatz nur je 500 Pfd. Sterl. Der Ort des Kampfes ist noch nicht genau bestimmt, doch soll derselbe „nicht innerhalb 6 Meilen von Whitehall und nicht außerhalb eines Umkreises von 1000 Meilen von London“ stattfinden. Inzwischen produzirt sich J L. Sullivan täglich im Westminster⸗Aquarium, wo er die „Wissenschaft“ des Boxeng demonstrirt.“

Als Gegenstück zu diesem modernen Begriff von Heldenthum“, den damit eine der ersten heutigen Kulturnationen aufstellt, mag eine andere Meldung dienen, aus der hervorgeht, was man heute in der englischen Metropole für Ansichten vom „Märtyrerthum“ hat: „Am Sonntag, den 20. November, wurde auf Trafalgar⸗ Square ein Mann, Namens Alfred Linnell, von berittenen Konstablern, welche den Platz säuberten, zu Boden geworfen und überritten, sodaß er nach dem nahegelegenen Charing Croß Hospital getragen werden mußte, wo er den erlittenen Verletzungen nunmehr erlegen ist. Der Pall Mall Gazette“ zufolge hat der provisorische Ausschuß der Rechts und Freiheitsliga beschlossen, diesen Märtyrer von Trafglgar Square“ am nächsten Sonntag ein öffentliches Begräbniß zu Theil werden zu lassen, und zwar wird der Leichenzug sich von der Stätte, wo Alfred Linnell von der Polizei getödtet! wurde, in Be

wegung setzen. Sämmtliche liberale Deputirte Londons werden ein⸗

geladen werden, dem Begraäͤbniß beizuwohnen. Der Bischof von London wird ersucht werden, am Grabe zu funktioniren. Ebenso werden alle liberalen und radikalen Klubs eingeladen werden, dem Begräbniß „des ersten Mannes, der von der Polizei in London getödtet wurde bei der Inkraft⸗ setzung eines Edikts gegen die Abhaltung einer Volksversammlung“ bei⸗ zuwohnen. Jeder Versuch, am nächsten Sonntag auf. Trafalgar Sguare ein politisches Meeting abzuhalten, soll im Hinblick auf diese traurige Feier unterbleiben. Alles dies theilt die Pall Mall Ga⸗ zette“ in einem von einem Trguerrande umgebenen Artikel an der Spitze ihres Blattes mit Ob Sir Charles Warren gestatten wird, daß sich die liberalen und radikalen Vereine nächsten Sonnta 3 36 ähe von Trafalgar⸗Square versammeln, muß dahingestellt eiben.“

Millöcker's neueste Operette: Die sieben Schwaben“, welche in Wien so großen Erfolg hat, wird dem Berliner Publikum im Friedrich⸗ ry fe sta rr s i Theater als Weihnachtsgabe dargeboten werden. .

Am Sonnabend, den 10. d. M. (44 Uhr), veranstaltet in der Sing-Akademie die Pianistin Fr. ,. Stern ein Concert mit dem Berliner Philharmonischen Orchester unter Leitung des Kapellmeisters Hrn. Gust, Kogel, sowie unter gefälliger Mitwirkung der Concertsängerin Fr. Emilie Wirth. .

Der Königlich bayerische und Herzoglich sächsische Kammersänger

r. Eugen Gura wird an seinem morgen in der Sing⸗Akademie

attfindenden letzten Liederabend wiederum eine Reihe Löwe' 2

Balladen, darunter den Nöck', zum Vortrag bringen, mit welcher

Ballade der Künstler jüngst in Hamburg einen außerordentlichen Erfolg erzielte.

Redacteur: Riedel.

Verlag der Expedition (Scholy.

Druck der Norddeutschen Buchdruckerei und Verlags⸗ꝛAnstalt, Berlin 8Ww., Wilhelmstraße Nr. 32.

Fünf Beilagen (einschließlich · Börsen⸗ Beilage).

Berlin:

worden sei.

Erste Beilage

zum Deutschen Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preußischen Staats⸗Anzeiger.

M 2w8GS.

. Berlin, Donnerstag, den 8. Dezember

1887.

Aichtamtliches.

; Preußen. Berlin, 8. Dezember. Im weiteren Ver— lauf der gestrigen (8) 5 des Reichstages äußerte bei e r erster Berathung des Gesetz⸗ entwurfs, betreffend die ö und Er⸗ gänzung der Vorschriften der Strafprozeßord⸗ nung über die Wiederaufnahme des Verfahrens,

sowie die Entschädigung für unschuldig erlittene

Strafen der Abg. Kulemann: Der Reichstag habe zur vorliegen⸗ den Frage sich bereits mehrmals geäußert, man wisse aber heute noch nicht, wie die verbündeten Regierungen zu dem Gesetzentwurf stünden, den der Reichstag allerdings fast einstimmig in der Session 1885.86 beschlossen habe. Unter diesen Umständen er⸗ scheine es ihm nicht opportun, einen neuen Beschluß zu fassen, bevor man erfahren habe, was aus dem vorigen Beschluß ge⸗ So sympathisch Jedem die Entschädigung un⸗ schuldig Verurtheilter sei, so seien doch auch eine Menge tech⸗ nischer Schwierigkeiten zu erwägen, ob z. B. die Entschädigung als Billigkeits⸗ oder als Rechtsanspruch aufgefaßt werden a. Man muͤsse auch dafür sorgen, daß nicht etwa Leute, die wegen mangelnder Beweise und nicht wegen nachweislicher Unschuld freigesprochen seien, nachträglich aus Reichsmitteln eine Prämie erhielten, das würde ein Hohn auf die Recht⸗ sprechung sein. In dieser Hinsicht bedürfe der Antrag Munckel durchaus der Verbesserung, und er stehe dem Antrag Rintelen rinzipiell näher. Wenn er auch nicht befürchte, daß aus olchen Spekulationen ein Geschäft werde gemacht werden, so meine er doch, man sei verpflichtet, gesetzlich solchen Möglich⸗

keiten vorzubeugen. Geheime Ober⸗

Der Kommissar des Bundesraths, Regierungs⸗Rath von Lenthe äußerte:

Meine Herren! Ich habe mir das Wort erbeten, um die her— vorgetretenen thatsächlichen Zweifel über die Stellung, welche der Bundesrath zu den von dem früheren Reichstage beschlossenen Gesetz⸗ entwürfen über Entschädigung für unschuldig erlittene Strafen und über Abänderung und Ergänzung der Vorschriften der Straf— prozeßordnung wegen Wiederaufnahme des Verfahrens, ein—⸗ genommen hat, zu beseitigen. Diese Gesetzentwürfe sind dem Bundesrath zusammen mit einem dritten hier beschlossenen Ent— wurf, betreffend Abänderung und Ergänzung des Gerichtsverfassungs⸗ geg, vom 27. Januar 1877 und der Strafprozeßordnung vom 1J. Februar 1877 mittelst Schreiben des Herrn Praäsidenten des Reichs⸗ tages vom 15. März 1886 zugegangen. Der Bundesrath hat über diese drei eben bezeichneten Entwürfe Beschluß gefaßt, und zwar am 17. März d. J. Die Beschlußfassung din n gfich aller drei Gesetzentwürfe ist im ablehnenden Sinne erfolgt. Speziell in Bezug auf den Ent⸗ wurf, betreffend die Entschädigung für unschuldig erlittene Strafen, geht der Beschluß dahin,

diesem Gesetze die Zustimmung nicht zu ertheilen, dabei jedoch das Vertrauen auszusprechen, daß in den Bundesstaaten überall in aus⸗ reichender Weise für die Beschaffung der Geldmittel Sorge ge⸗ tragen werde, welche erforderlich sind, um den bei der Handhabung der Strafrechtspflege nachweisbar unschuldig Verurtheilten eine billige Entschädigung zu gewähren.

Der Abg. Munckel bemerkte: Der Abg. Kulemann sage, es würde ein Hohn sein auf die Rechtsprechung, wenn die⸗ jenigen Leute, die wegen eines non liquet . würden, noch eine Prämie von Reichswegen bekämen. Ein Hohn auf die Justiz sei es, wenn die Leute, die man unrecht⸗ mäßig angefaßt ite keine Entschädigung bekämen. Von einer Prämie sei hierbei gar keine Rede. Bescheiden solle der materielle Verlust, den Jemand erlitten habe, ersetzt werden, wenn er in Haft genommen sei, ohne daß man das Recht dazu gehabt hätte. Eine Reinwaschung des Angeklagten werde ohnehin durch ein freisprechendes Urtheil nicht immer , , . ebenso wenig wie eine Infamirung durch eine Verurtheilung. Habe man denn irgend ein Ver⸗ fahren, das mit der Ertheilung eines Ordens für Verdienst abschließe? Die Fälle, in denen ein non liquet ausgesprochen werde, seien äußerst selten. Nach der Erklärung des Ver⸗ treters des , solle gezeigt werden, daß der Deutsche Reichstag eilt Recht des unschuldig Verurtheilten anerkenne, 23. es auch der Bundesrath früher oder später anerkennen müsse.

Der Abg. Rintelen meinte: Die Bedenken des Abg. Kule⸗ mann seien schon in den früheren Kommissionen erörtert worden. Wollte man sie alle berücksichtigen, so würde auch in diesem Jahre nichts zu Stande kommen. Das 5 sei ja oft der Feind des Guten. Er bitte, die zweite Lesung gleich im Plenum vorzunehmen.

Die Diskussion wurde geschlossen.

Das Schlußwort erhielt der Abg. Träger: Der Antrag enthalte nur das bescheidenste Maß dessen, was man auf diesem Gebiet verlangen könne. Schon Friedrich der Große abe bestimmt, daß der unschuldig Verurtheilte zu entschädigen ei. Demgegenüber habe die nackte und kurze Erklärung der verbündeten Regierungen einen nicht imposanten, sondern verblüffenden Eindruck gemacht. In fridericianischem Geiste sei diese Lösung der Frage gewiß nicht aus⸗ gefallen. Das Reich würde si * depossediren, wollte es die Regelung dieser Sache den einzelnen Bundesstaaten überlassen. Und wie solle die Sache geregelt werden? So weit werde man wohl nicht gehen, daß man solche unglücklichen Personen, die freigesprochen würden, wieder da⸗ durch zu Verbrechern degradire, daß man sie auf den Gnaden⸗ weg verweise. Der Nichtschuldige oder Unschuldige habe nicht nöthig, um Gnade zu betteln, wo er ein Recht zu verlangen habe. Der Beschluß der verbůnbeten Regierungen scheine ihm dar⸗ auf hinauszulaufen, daß die ,. Verurtheilten angewiesen sein sollten, mit dem Bettelsack bei den einzelnen Staaten herumzugehen. Diesen Standpunkt halte er für einen des Reichs nicht würdigen. Das Hauptbedenken habe Hr. Rintelen durch seinen Antrag heute wieder wachgerufen. Gebe man diesen Anregungen nach, dann erschüttere man die Basis des ganzen Gesetzes. Ehe man diese juristischen Schulbegriffe von

ynachgewiesener Unschuld“, „nicht nachgewiesener Schuld“ u. s. w.

aufstelle, lasse man lieber die Sache beim Alten. Die Haltung der verbündeten Re—⸗ ierungen sei ihm ganz unerklärlich. Es handele fi hier, wie der Abg. Munckel bereits gesagt habe, um keine Parteifrage. Was hier verlangt werde, erfordere keine großen

kategorisch

Ausgaben. Die Regierung sei stolz darauf, auf sozial⸗

olitischem Gebiet einen Anlauf genommen zu haben, und sie ei dabei, das Gebäude zu krönen. So lange sie aber ein solches Gesetz nicht gebe, könne von einer Krönung des Ge⸗ bäudes keine Rede sein: es fehle dann noch an dem Fundament und Eckstein desselben.

Die zweite Lesung des Antrags wird im Plenum erfolgen.

Es folgte die erste 3 des vom Abg. Munckel ein⸗ gebrachten Gesetzentwurfs, betreffend die Abände⸗ rung der 8 713 und 80 des Gerichtsverfassungs⸗ ges 6 (Ueberweisung der Preßvergehen an die Schwur⸗ gerichte).

Der Abg. Munckel erklärte: Auch dieser Antrag sei kein Parteiantrag und seine Tendenz sei so alt, daß ihm in einer konservativen Berliner Zeitung, die sonst für alles Alte eine gewisse Ehrfurcht hege, sogar dieses Alter zum Vorwurf ge⸗ macht werde. Der Antrag wolle die sogenannten politischen und Preßvergehen von der Judikatur der Sr. kammern an die Schwurgerichte uͤberweisen. Ein Miß⸗ trauen gegen die Gerichte solle der Antrag nicht enthalten, es würde ihm (dem Redner) am wenigsten anstehen, die Unpartei⸗ lichkeit der Richter anzuzweifeln, aber unleugbar gehe eine gewisse Befangenheit in . Dingen durch den Richterstand. Die Deutschfreisinnigen verfolgten mit dem Antrag kein ein⸗ seitiges Parteiinteresse, denn dasselbe Verlangen sei schon zur Zeit der Kreisrichterkammern gestellt, wo von liberaler Seite gegen die Richter wenig zu sagen gewesen. Redner führte mehrere Fälle an, welche zur Ned e e ffn ene für die Richtigkeit seiner Ansicht dienen sollen. Man sage, je vortrefflicher der Jurist, desto größer die Bedenken. Die Richter hätten aber so wenig Bedenken, daß er sich scheue, daraus auf ihre Vortrefflichkeit Schlüsse zu ziehen. Wo jetzt zwei Leute politische Dinge erörterten, stehe der Staatsanwalt mitten unter ihnen. Es gehe allerdings jetzt ein konservativer Wind durch die ganze Welt. Anders werde es sein, wenn heute die Geschworenen einen Liberalen und morgen einen Konservativen zu verurtheilen hätten. Hierher gehörten auch die Beleidigungen, für die sich die Staatsanwaltschaft inter⸗ essire. Wenn in Folge des großen Apparats, der beim Schwurgericht nöthi sei, die Staatsanwälte etwas weniger Anträge stellten, so wäre das kein Unglück. Sein Antrag set kein Attentat auf die jetzige Rechtsprechung, wenn er (Redner) auch nicht mit ihr zufrieden sein könne. Sein Antrag solle ein Schutz der Richter sein, sie bei der Ausübung ihres Berufs außerhalb der politischen Strö⸗ mungen zu stellen. Gefahren bringe sein Antrag nicht. Daß er durchführbar sei, sehe man an Bayern. Man solle den An⸗ trag nicht als Tendenzantrag ansehen und ihn wollwollend aufnehmen.

Der Abg. Dr. Hartmann bestritt dem Vorredner, daß stets ein politisches ren, in raff komme, wenn die Staatsanwaltschaft eine Beleidigungsklage im öffentlichen Interesse in die Hand nehme. Er erinnere nur an die zahl⸗ reichen Beamtenbeleidigungsklagen Schutzleute, Nachtwächter zc. Da kämen politische e , nnn nicht in Betracht. Hr. Munckel sage in Bezug auf geheime Verbindungen: Wenn heute zwei versammelt seien, so sei der Staatsanwalt mitten unter ihnen; na, es komme doch darauf an, wer und wie diese zwei seien. Er (Redner) habe in Allem den Eindruck, daß für den Antrag Munckel keine Gründe vorlägen, der Abg. Munckel habe nur das Bedürfniß gehabt, gewisse ihm unangenehme Dinge unter seiner Immunität hier vorzutragen, und dazu habe er keinen Anhalt gehabt; so sei er i seinem Antrag und zu seiner Rede gekommen. Daß im Uebrigen die eine Kammer gelinder, die andere strenger urtheile, das sei immer so gewesen und werde immer so bleiben. Was man 96. en die Richter sage, könne man mit demselben 39. auch gegen die Geschworenen an⸗ führen. Ziehe man einmal die ganzen Beleidigungsklagen, soweit Beamte in Frage kämen, vor die Geschworenen, dann kämen die Berliner Geschworenen überhaupt nicht mehr nach Hause, an Stelle der Berufsrichter hätte man dann Berufs⸗

eschworene, die Klagen über Ueberbürdung würden das ganze ö. schädigen, seine Berufsfreudigkeit und Frische gefährden.

zayern, Württemberg, Baden und Oldenburg hätten heute noch für Preßvergehen ihre Schwurgerichte, aber das ganze Menu, was Hr. Munckel heute biete, sei nicht darunter begriffen. Wer wolle garantiren, daß ein Schwurgericht für Preßsachen, wenn es in München, in Stuttgart, in Karlsruhe, in Olden⸗ burg sich bewähre, auch in anderen Großstädten, z. B. in Berlin, geit, gut fungire? Erst durch das Gerichtsvmerfassungs⸗ gesetz habe die Presse den ordentlichen Gerichtsstand erhalten, vorher habe sie zum Theil unter Ausnahmegerichten gestanden, die für sie höchst nachtheilig gewesen seien. Seine Partei halte es nicht für , an dieser für die Presse seit erst 8 Jahren eingetretenen Verbesserung zu rütteln und werde auf den Antrag Munckel nicht eingehen.

Der Abg. Dr. Windthorst äußerte: Die Frage der Ge⸗ schworenengerichte sei nicht von dem Gesichtspunkt singulärer Fälle, sondern von einem höheren politischen Gesichtspunkt zu entscheiden. Er stehe betreffs der Schwurgerichte ganz auf dem Boden englischer und amerikanischer . Man sei leider zu einer Unterbrechung der Rechtsentwickelung ge⸗ nöthigt gewesen, als man einem Veto gegenüber eine Mittel⸗ instanz als Ausnahme bei der Beurtheilung von Verbrechen . habe. Der Kardinalpunkt liege darin: sind die Beruftz⸗

richter oder die Geschworenengerichte in diesen Fragen die richtigen entscheidenden Elemente? Menschliche Unvollkommen⸗ heiten träten selbstverständlich auch in den Geschworenen⸗ erichten hervor. Aber was das Kriminalrecht betreffe, so ei es unzweifelhaft in . Grade bedenklich, wenn man sich dauernd mit Kriminalsachen beschäftige. Sie entfremdeten den Richter den Anschauungen des Lebens; der Richter ent⸗ decke überall Verbrechen. Er (Redner) könne über die Sache mitreden, denn er sei Advokat, Mitglied des Kri⸗ minalsenats des höchsten Gerichtshofes, und nachher Schöffe und Geschworener gewesen. Er habe die Exfahrung ge⸗ macht, daß die Herren, welche am längsten im Kriminalsenat gesessen hätten, am meisten geneigt gewesen seien, auf die höchsten Strafen zu erkennen. Das komme davon, wenn man

dauernd handwerksmäßig die Sache mache; der menschliche Geist werde dadurch mehr und mehr abgehärtet. Die alten Deutschen hätten auch vor einem Volksgericht gestanden, die gelehrten Richter seien erst durch die Römer nach Deutschland ekemmen. Nun meine man, die Presse könnte durch ständige ichter besser im Zügel gehalten werden. Er spreche es unverhohlen aus, daß das Rechtsprechen in Preßsachen ihm mehr als einmal ein Grauen erregt habe. Selbst hei den Urtheilen der höchsten Gerichte könnte er seine Zweifel erheben, und habe keinen Anstand, zu sagen, daß bei der Besetzung der Gerichte, namentlich in die leitenden Stellen, ein zu großes Maß staatsanwaltlichen Bluts gebracht werde, Es würde nützlich sein, wenn man die staatsanwalt⸗ liche Carrière absolut von der richterlichen trenne. Er be⸗ greife also sehr wohl, daß man beantrage, die Schwurgerichte ö erweitern. Im Augenblick aber könne ein solcher Antrag

ogar gefährlich sein bei der Tendenz vieler mächtigen Stellen, ie Schwurgerichte wesentlich anders zu komponiren. Er möchte sich darauf beschränken, die bestehenden Schwurgerichte zu ver⸗ theidigen, damit in besseren Zeiten das Weitere erreicht werden könne. Jeder Angriff auf die Geschworenengerichte und auf die Oeffentlichkeit des Verfahrens, das Fundament unserer Prozeßordnung, müsse energisch zurückgewiesen werden. Ohne kommissarische Berathung genüge diese Anregung, um daran zu erinnern, daß die ha erichte für alle Minoritäten immer und jeder Zeit eine Schutzwehr gegen Willkür bilden müßten, und daß man in einer Zeit, wie der jetzigen, nicht genug Schutzwehren gegen Willkür haben könne.

Um 41½ Uhr vertagte das Haus die weitere Debatte auf Montag 1 Uhr.

Der dem Reichstage vorgelegte Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Zurückbeförderung der Hinterbliebenen im Auslande angestellter Reichs⸗ beamten und Personen des Soldatenstandes, hat folgenden Wortlaut:

Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen 2e. verordnen im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesraths und des Reichstages, was folgt: Artikel 1.

Die im §. 8 des Gesetzes, betreffend die Organisation der Bundeskonsulate ꝛc., vom 8. November 1867 (Bundes ⸗Gesetzbl. S. 137) enthaltene Bestimmung, wonach die Familien der Beruft⸗ konsuln, wenn letztere während ihrer Amtsdauer sterben, auf Bundes⸗ kosten in die Heimath zurückbefördert werden, wird auf die Hinter⸗ bliebenen sämmtlicher aus der Reichskasse besoldeten pensionsberech⸗ tigten Reichsbeamten und Personen des Soldatenstandes, deren dienst⸗ licher Wohnsitz sich im Auslande befindet, ausgedehnt.

Ausgenommen bleiben die Hinterbliebenen solcher Reichsbeamten, welche in Grenzorten oder in dem Zollgebiet angeschlossenen auslän⸗ dischen Gebietstheilen angestellt sind.

Artikel 2. Dieses Gesetz tritt mit dem 1. Januar 1888 in Kraft. Denkschrift.

Den Hinterbliebenen der im Auslande angestellten Beamten wurde früher nach den in Preußen bestehenden Grundsätzen, wenn dieselben in die Heimath zurückkehrten, für die Uebersiedelung nach der Heimath eine Entschädigung nicht gewährt; die durch den Umzug erwachsenden Kosten waren vielmehr von den Hinterbliebenen aus dam ihnen zustehenden Gnadenquartal zu bestreiten.

Dieser von Preußen auf den Norddeutschen Bund und demnächst auf das Reich übernommene Grundsatz hat insoweit eine Einschränkung erfahren, als durch 5. 8 des Gesetzes, betreffend die Organisation der Bundeskonsulate ꝛe.ů, vom 8. November 1867 die Bestimmung ge⸗ troffen wurde, daß die Familien der Berufskonsuln, wenn letztere während ihrer Amtsdauer sterben, auf Bundeskosten in die Heimath zurückbefördert werden .

Hinsichtlich der Hinterbliebenen der übrigen Berufsbeamten im auswärtigen Dienst ist, obwohl dieselben sich in völlig gleicher Lage wie diejenigen der im Auslande verstorbenen Berufskonsuln befinden, eine gleiche Bestimmung bisher nicht ergangen.

uch im Wege der Analogie erschten eine Anwendung des §. 8 des Gesetzes vom 8. November 1867 auf die bezeichneten Beamten⸗ e g ie, nicht zulässig, da §. 8 als eine Spezialbestimmung an⸗ zusehen ist, deren Ausdehnung auf andere Beamtenkategorien im Verwaltungswege nicht erfolgen kann. Da auch das Reichsbeamten gesetz vom 31. März 1875 in dieser Hinsicht keinerlei Bestimmung enthält, so haben die Hinterbliebenen von Beamten im auswärtigen Dienst, mit Ausnahme der Korsuln, mit ihren hezüglichen Anträgen bisher ablehnend beschieden werden müssen, unter Hinweis darauf, daß die Kosten der Rückreise aus dem Gnadenquartal zu be streiten seien. ;

Diese verschiedenartige Behandlung der betreffenden Beamten⸗ kategorien entbehrt indessen der sachlichen Begründung und führt in der Praxis zu earth für deren Beseitigung auch der ausnahmgweise Weg Kaiserlicher Gnade nicht immer ausreicht. Es erscheint daher geboten, die bestehende rechtliche Ungleichheit durch Ausdehnung der Spezialbestimmung des §. 8 auf die übrigen Beamtenkategorien des auswärtigen Dienstes im legislativen Wege zu befeitigen.

Zu diesem Zweck ist der gegenwärtige Gesetzentwurf ausgearbeitet

orden.

Nach Artikel 1 soll die Wohlthat des §. 8 auf die Hinterbliebenen sämmtlicher aus der Reichskasse besoldeten pensionsberechtigten Reichs⸗ beamten Anwendung finden, deren Renstlicher Wohnsitz sich im Aus⸗ lande befindet. Es ist mit dieser Jay sämmtliche. . Reichs⸗ beamte .. deren z. zum Ausdruck gebracht, daß das Gesetz . nicht nur auf die Beamten des eigentlichen auswärtigen Dienstes (die im ö und konsularischen Dienst, sowie die in den Schutzgebieten angestellten Beamten) beziehen soll, son⸗ dern im weiteren inne auf alle Reichs beamten, welche ihren dienstlichen Wohnsitz im Auslande haben, Anwendun zu finden hat, insbesondere auf die im Auslande dienstli wohnhaften Kaiserlichen Post⸗, Telegraphen⸗, Eisenbahn⸗ und Marine⸗ beamten; nicht minder soll die Wohlthat des Gesetzes aber auch den in gleicher Lage befindlichen Hinterbliebenen im Auslande angestellter deutscher Militär⸗ und Marine Attachss, sowie etwaiger anderer im Auslande mit Pensionsberechtigung dienstlich wohnhafter Offiziere ꝛc. zu Gute kommen, was durch den Zusatz „und Personen des Soldaten⸗ standes“ angedeutet wird.

Ausgeschlossen sind dagegen durch den Absatz 2 des Artikels 1 diejenigen Beamten, welche in Grenzorten oder in dem Zollgebiet angeschlossenen ausländischen Gebietstheilen angestellt sind; es kommen dabei in Betracht diejenigen Beamten, welche bei an den Grenzen befindlichen deutschen Eisenbahn., Post⸗ und Telegraphenämtern, wie beispielsweise in Basel, Bodenbach, Verviers oder im Ressort der Reichs ⸗Eisenbahnverwaltung innerhalb des Großherzogthums Luxem⸗ burg angestellt lehr die Verhältnisse in diesen Orten und Gebiets theilen nicht wesentlich andere als im Inlande sind.

w