1888 / 63 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 08 Mar 1888 18:00:01 GMT) scan diff

lichungen durch die Presse, Abweichungen von dem bisherigen Zustande bilden. Eine mißbräuchliche Anwendung des Gesetzes Seitens der Richter sei nicht zu erwarten. Man könne das Vertrauen zu dem deutschen Richterstande haben, daß er das Gesetz nicht in anderer Weise anwende, als der Gesetzgeber es wolle.

Abg. von Strombeck: Er erkenne an, daß die Hinzufügung des Ausschlußgrundes wegen Gefährdung der Staatssicherheit kein neues Recht gebe, sondern das bestehende nur deklarire, ingem ja unter den jetzigen Begriff der Gefährdung der öffent— lichen Ordnung auch die Gefährdung der Staatssicherheit zu subsumiren sei. Die Gerichte würden aber infolge dieses Gesetzes häufiger von dem Ausschluß der Oeffentlichkeit Ge— brauch machen, als es bisher geschehen sei. Gegen den Schweigebefehl liege dagegen das Bedenken vor, daß Niemand nit juristischer Präzision sagen könne, was befugte und was Der Angeklagte, wenn er

werden könne, Unschuld nur zum Vorwand macht habe. .

Abg. Träger: Er sehe in dem Gesetz einen schwerwiegen— den Angriff gegen das Prinzip der Oeffentlichkeit in unserem Gerichtsverfahren. Er bestreite die Behauptung, daß kein neues Gesetz geschaffen, sondern das bestehende nur deklarirt werde. Von Mißtrauen gegen den Richterstand sei er nicht er— füllt. Er wolle im Gegentheil denselben vor dem Mißtrauen des Publikums, dem er so leicht ausgesetzt sei, schützen. Die Hinzufügung der Gefährdung der Staatssicherheit als Aus⸗ salußgrund werde für den Richter ein starkes Kompelle sein, diese Bes immung mit aller Schärfe zu interpretiren, und er werde nur in den allerseltensten Fällen die Oeffentlichkeit zu— lassen; da auch gesagt sei, daß die innere Staatssicherheit eben— falls darunter gemeint sei, werde gerade bei den Prozessen die Oeffentlichkeit ausgeschlossen werden, welche am meißten inter— esirten. Wenn der Richter behufs des Schweigebefehls genau die Punkte präzisiren solle, weiche nicht mitgetheilt werden könnten, so werde das eine zeitraubende und verwirrende Prozedur werden, so daß der Richter ein generelles Schweige— gebot für die ganze Verhandlung vorziehen werde. Den An— trag, nach dem österreichischen Gesetz dem Angeklagten wenig— stens drei Vertrauenspersonen zu lassen, denen er Mittheilungen machen dürfe, wiederhole seine Partei nicht, weil er keine Aus— sicht auf Annahme habe. Es sei behauptet, in Oesterreich seien ganz andere Verhältnisse. Oesterreich befinde sich aber in derselben äußeren und inneren Lage, wie wir. Es habe Sozialdemokraten, sogar Anarchisten, und außerdem arbeiteten dort noch Landestheile auf die Zertrümmerung des Reichs hin. Das Deutsche Reich sollte sich doch mächtig genug fühlen, solche Maßregeln nicht zu gebrauchen. Diese Erwägung müsse seine Partei abhalten, das Gesetz anzunehmen.

Abg. Hahn: Der letzte Appell des Vorredners werde auf die Abstimmung keinen Einfluß haben, auch das mächtigste Reich könne Maßregeln für seine Sicherheit nicht entbehren. Wenn andere Reiche das nicht thäten, brauche Deutschland doch nicht unterlassen, was es im Interesse des Reichs für nothwendig halte. Auch das bisherige Gesetz weise darauf hin, daß, wo die Staatssicherheit den Ausschluß der Oeffent— lichkeit bedinge, derselbe stattfinden müsse, und die hier von Hrn. Singer angeführten Beispiele bewiesen, daß die Gerichte bisher diese Auffassung bereits gehabt hätten. Hr. von Strom— beck erkenne an, daß in dem Begriff der Gefährdung der öffenllichen Ordnung auch die Gefährdung der Staats—

sicherheit enthalten sei, aber er (Redner) könne die Besorgniß

nicht heilen, daß nach diesem Gesetz die Gerichte die Oeffentlichkeit öfter aueschließen würden als bisher, der Richterstand bedürfe nicht erst dieser Verhandlungen hier im Ha s

iuse. Wenn in einzelnen Fällen den gesetzlichen Bestim— ingen in dieser Hinsicht nicht genügend Rechnung getragen fo könne man nur zufrieden sein, wenn diese Möglichkeit Zukunft ausgeschlossen sei. In Bezug auf die Aus— ießungsgründe ändere die jetzige Vorlage nichts, das Prinzip Oeffentlichkeit sei in keiner Weise gefährdet, nur die Wir— igen des Ausschlusses der Oeffentlichkeit würden sichergestellt. Seine Partei werde heute für die Beschlüsse zweiter Lesung stimmen.

Damit schließt die Generaldiskussion.

In der Spezialdiskussion werden die einzelnen Para— graphen des Gesetzes und schließlich das Gesetz im Ganzen definitiv nach den Beschlüssen zweiter Lesung gegen Centrum, Freisinn, Sozialdemokraten und Polen angen ommen.

Es folgt die dritte Berathung des von den Abgg. Lieber und Hitze eingebrachten Gesetzentwurfs, betreffend die Sonn.«

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tagsfrage.

Abg. Niethammer: Der Gesetzentwurf, wie er vorliege, sei das Ergebniß eines Kompromisses. Er halte die Sonntags— feier für das nothwendige Korrelat unserer sozialen Gesetz— gebung. Es sei ja richtig, daß dieser Gesetzentwurf auf die Erwerbsverhältnisse nicht ohne Einfluß sein werde. Deshalb seien aber dem Bundesrath ziemlich weitgehende diskretionäre Befugnisse eingeräumt. Daß man ohne Sonntagsarbeit gar nicht durchkommen könnte, sei doch nicht richtig, wenigstens bei der Großindustrie nicht, und auch beim Handwerk würde sich die Sache sehr wohl machen lassen, wenn ein großer Theil des Publikums auf seine Bequemlichkeit oder richtiger auf seinen Schlendrian verzichtete. Das vorliegende Gesetz wolle nicht nach seinem Inhalt und nach seinem Geiste beurtheilt werden. Möchte doch der Bundesrath aus seiner Reserve heraustreten und von den ihm gewährten Befugnissen einen gerechten und milden Gebrauch machen.

Abg. Stöcker-Siegen: Die einstimmige Annahme des Kommissionsbeschlusses könnte sür sich selber reden und er würde das Wort nicht begehrt haben, wenn nicht in der Presse Bedenken über die materiellen Folgen dieses Gesetzes aus— gesprochen worden wären, die er für unbegründet halte. Zum Beweise des Gegentheils lasse er die Enquete reden. Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung“ habe die Behauptung auf— geftrllt, duß die = obligatorische Sonntagsruhe der —Haupt⸗ sorderung der Arbeiter auf Erhöhung der Löhne und Ver— mehrung der Arbeitsgelegenheit hinderlich sei. Die Groß— industrie würde nicht mehr in der Lage sein, wie früher zu konturriren, wenn die Herstellungskosten der Produktion mit dem onus der obligatorischen Sonntagsruhe belegt würden. Gewiß sei die Durchführung der Sonntagsruhe ungemein

schwierig, aber im praktischen Leben würden die Geschäfte da— durch erleichtert, daß man an die Ausführung einer großen Sache mit einem gewissen festen Glauben und mit Begeisterung herantrete. Der einstimmige Beschluß dieses Hauses würde die geistige und gemüthliche Unterlage hergeben, um weiten Kreisen unseres Volkes das Gesetz zu empfehlen. Gewiß sei es richtig, daß die Arbeiter eine Ethöhung ihrer Löhne und Vermehrung der Arbeitsgelegenheit verlangten. Die Handels⸗ kammer für den Kreis Barmen habe nach dem Enquetebericht die Meinung ausgesprochen, daß das Sonntagsarbeits—

verbot in seinen wirthschaftlichen Folgen dem Normal— arbeitstag gleichkommen würde. Es würde eine größere Zahl von Arbeitern nothwendig sein, die Nachfrage würde steigen; höhere Löhne würden die Folge sein, die Ueberproduktion würde sich vermindern. Als in England eine neue Fabrikgesetzgebung in Angriff, ge—

nommen worden, seien die Arbeiter gefragt worden, ob sie für den Fall der Sonntagsruhe eine wirthschaftliche Schädigung für sich fürchteten. Der Prinz-Gemahl habe für eine Arbeiter— schrift zehn Prämien zur Disposition gestellt, andere Privat— leute siebzig und in kurzer Zeit sei eine Literatur von Ar— beitern und Arbeiterinnen entstanden, welche sich für die Sonntagsruhe auch vom materiellen Standpunkt erklärten. In demselben Sinne hätten sich auch viele unserer heutigen Arbeiter für die Sonntagsruhe erklärt. Selbst wenn sich ihre materielle Lage nicht verbesserte, so sei doch eine Hebung ihres geistigen Wohles und ihres Familienlebens zu erwarten, welches den materiellen Schaden weit aufwiege. Es mache den deutschen Arbeitern Ehre, daß sie sich in dieser Weise auf die Seite des Idealismus stellten und gegen den Materialismus Stellung nähmen. Vielfach werde darauf hingewiesen, daß die Sonntagsruhe auch den Unternehmern Gewinn bringen würde, indem der falschen Konkurrenz dadurch der Garaus gemacht würde. Er verweise in dieser Beziehung auf das Gutachten des Gewerbevereins in Um und auf die Berichte aus Mannheim und Zwickau. Der Centralverband deutscher Industrieller, dem man gewiß keine reaktionären Tendenzen zuschreiben werde, habe zum Beschluß erhoben, daß die Sonn— tagsarbeit zum Zweck der Produktion unzulässig sei. Das Bedenken, daß die Sonntagsruhe und die damit vielleicht in Verbindung stehenden Ausschreitungen die Arbeiter an den solgenden Tagen unlustig machen würde, könne er auf Grund seiner vielen Erfahrungen als unbegründet bezeichnen. Die vielen übertriebenen Sonntagsvergnügungen und blauen Montage seien meist daraus entstanden, daß die Arbeiter Sonntags bis Nachmittags arbeiten müßten und, indignirt über den Mißbrauch ihrer Kräfte, gleichsam aus Aerger am Abend sich Ausschweifungen hingäben oder blauen Montag machten. Es habe ihn angemuthet und erquickt, in einem Bericht gelesen zu haben, daß mit der Sonntagsruhe der blaue Montag in Wegfall kommen würde. Der Arbeiter, welcher am Sonntag mit Frau und Kind ausgehe, komme nicht zu spät nach Hause, wohl aber Der, der seinen blauen Montag allein mache. Mit Recht werde darauf hingewiesen, daß gerade die Arbeiterinnen in Folge der Sonntagsarbeit häufig krank würden. Besonders bedenklich erscheine es, daß christliche Arbeiter am Sonntag in jüdischen Geschäften arbeiten müßten, weil die Arbeit am Sabbath den Juden verboten sei. Die religibsen Ueberzeugungen der Israeliten in Ehren! aber Nie— mand werde verlangen dürfen, daß ein christlicher Arbeiter am Sonntag arbeite, damit solche israelitischen Mitbürger am Sabbath feiern könnten. Er meine, man müßte diese Frage nicht lediglich als eine rein mechanische Lohnfrage behandeln, sondern einmal versuchen, die natürliche und göttliche Grund— lage des Familienlebens wieder dadurch zu stärken, daß man dem Arbeiter den Sonntag frei mache, damit der Arbeiter seine Zugehörigkeit zum großen Ganzen erkenne und an dem— selben mitarbeite. Man solle frisch und fröhlich zugreifen und nicht allzu viel Bedenken haben. Trete der Reichstag mit dieser überwältigenden Einmüthigkeit für die Sache ein, so würden die verbündeten Regierungen gar nicht anders können, als auf diesen Weg zu treten, der zu einem guten Ziele führen werde.

Abg. Bebel: Einstimmig werde dieser Beschluß doch nicht angenommen werden; denn seine Parteigenossen seien fest ent— schlossen, gegen den Gesetzentwurf zu stimmen. Ausschlag— gebend sei dabei für sie, daß der Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes oder eines Theils desselben dem Bundesrath überlassen sei. Zweifellos nehme der Bundesrath bis zu diesem Augenblick gegen den Gesetzentwurf eine wesentlich antipathische Stellung ein. Man könne deshalb zu dem Bundesrath kein Vertrauen haben. Er sei weit entfernt, einen puritanischen Sonntag, wie in England und Amerika, zu wünschen und alle Vergnügungen am Sonntag zu unter— sagen. Er gebe auch zu, daß Ausnahmebefugnisse dem Bundes— rath in Bezug auf die Arbeit am Sonntag eingeräumt werden müßten. Es wäre Thorheit, wenn das Parlament entsprechend den technischen Fortschritten von Jahr zu Jahr eine Revision der Gesetzgebung vornehmen wollte, die am besten von der Verwaltung durchgeführt werden kann. Aber wenn schon der Abg. Niethammer dem Bundes— rath den Rath gebe, das Gesetz nicht allzuscharf anzuwenden, so sei zu erwarten, daß es bei laxer Handhabung fast jeden Werth verliere. Mit einer Einschränkung der Sonntags— arbeit nur in der Großindustrie sei er gar nicht zufrieden, auch im Kleingewerbe werde mit der Sonntagsarbeit ein arger Mißbrauch getrieben. Er erinnere blos an die Saison— arbeiten, bei welchen sich die Arbeiten so häuften, daß nicht blos die Sonntage, sondern auch die Nächte zu Hülfe genommen werden müßten. Die Folge sei dann, daß Zweidrittel der Gesellen nach Schluß der Saison ins Krankenhaus wandern müßten. Nicht nur das Handwerk, auch die Handelswelt habe an der Sonntagsruhe das größte Interesse. Private Ver— einbarungen der Kaufleute unter sich hätten bis jetzt keinen Erfolg gehabt, weil ihre Abkommen immer durchbrochen sein würden. Auch er wolle nicht, daß christliche Arbeiter wegen des jüdischen Sabbaths am Sonntag arbeiteten, glaube aber, daß das Beispiel der Juden mit ihrer strengen Sabbathsfeier Nachahmung verdiene. Wenn die Juden ihren materiellen Vortheil dabel außer Acht ließen, so sollte dies den christlichen Mitbürgern nicht möglich sein? Es wäre am besten, wenn die verbündeten Regierungen auf internationalem Wege die Sache regelten. Wenn die „Nord⸗ deutsche Allgemeine Zeitung“ die Zustimmung des Bundes— raths dann in Aussicht stellte, wenn eine ganz neue Sozial— organisation geschaffen sei, so würde es ihm interessant fein, etwas Näheres darüber zu hören. Seien damit vielleicht unsere auf den Umsturz der bestehenden Staats- und Gesell— schaftsordnung gerichteten Bestrebungen gemeint? Die Bedenken, welche sie, dem Beispiel des Reichskanzlers folgend, in wirth—

schaftlicher Beziehung erhoben habe, halte er für vollkommen unberechtigt. Ter vorliegende Gesetzentwurf sei völli unzureichend. Würde er angenommen, würde es erst rech lange dauern, ehe wir an eine Besserung herantreten.

Damit schließt die Generaldiskussion.

Für die Spezialdiskussion liegt ein Antrag des Abg Gebhard vor, wonach die Uebertretungen gegen die neuen Vor schriften über die Sonntagsarbeit nach 3. 148 statt nach 8. 14 der Gewerbeordnung bestraft werden sollen.

Abg. Hitze erklärt sich gegen den Antrag; die Kommission habe sich einstimmig dahin schlüssig gemacht, daß diese Ueber tretungen ebenso zu besirafen seien, wie die Ueber tretungen der Vorschriften über die Kinderarbeit, d. h. nat den schweren Strafbestimmungen des 5§. 145 und nicht nas den leichteren des 5. 148.

Abg. Francke hält die milderen Strafbestimmungen für genügend.

Der Antrag Gebhard wird gegen die Stimmen da Nationalliberalen und einiger Mitglieder der Reichspartei al— gelehnt; der Gesetzentwurf wird darauf unverändert nach den Beschlüssen der zweiten Lesung angenommen, ebenso folgende berests in der zweiten Lesung diskutirte Resolution:

Der Reichstag wolle beschließen:

im Hinblick darauf, daß die auf dem Gebiet der Kultusgesez, gebung liegenden Vorschriften, soweit dieselben die äußere Heilt, baltung der Sonn- und Festtage betreffen, durch die in dieser Gesetzeniwurf vorgesehenen Bestimmungen nicht außer Kraft gefet werden, daß aber in zahlreichen Fällen Zweifel darüber entsteka können, in welchem Umfang die kestehenden Vorschriften über R Sonntagsarbeit durch die gedachten Bestimmungen geändert ode aufgehoben werden,

sowie im Hinblick darauf, daß jene Vorschriften nicht nur z den einzelnen Theilen des Reichs erheblich von einander abweiche sondern auch mit den Bestimmungen des Gesetzentwurfs theilwein in Widerspruch stehen, den Hertn Reichskanzler zu ersuchen, bei der verbündeten Regierungen eine Revision der in ihren Gebien . Vorschriften über die Sonntagsarbeit in Anregung ? bringen.

Es folgt die dritte Berathung des von den Abgz Munckel bezw. Rintelen beantragten Gesetzentwurfs, ben die Entschädigung für unschuldig erlittene Straf⸗

Abg. Rintelen erklärt, darauf zu verzichten, seine in de zweiten Lesung abgelehnte Fassung des Gesetzes wieder einz— bringen, damit der Reichstag möglichst einstimmig dut: Annahme der Beschlüsse zweiter Lesung nach dem Antta; Munckel das Prinzip der Entschädigung für unschuldig erlitten Strafe feststelle.

Der Gesetzentwurf wird unverändert nach den Beschlüse

Wahlprüfungen. Die Wahl des Alz

Aus den stattgehabten Zeugenvernehmungen gehe hervor, di

Beurtheilung des Resultats mit in Rechnung ziehen. Gegenüber der mechanischen Stimmenberechnurz welche die Wahlprüfungskommission jetzt beliebe, könne kor ein Protest aufkommen, er habe das Gefühl: die Mande der Mitglieder der Majorität werden für gültig erklärt, glas viel, was bei den Wahlen vorgekommen sei. Neun Zehntel Behauptungen des Protestes aus Offenbach seien durch? Zeugenaussagen bewiesen worden. Dem gegenüber sollten !! Nationalliberalen nicht davon sprechen, daß die Sozia kraten kein thatsächliches Material vorbrächten. Sie hät die Thatsachen nur nicht als beweiskräftig ansehen wollen.

Abg. Dr. Marquardsen glaubt, daß man bei näherer Prüfu der Zeugenaussagen doch zu einem anderen Resultat komme müffe, als der Abg. Singer. Die Kommission habe einstimm beschlossen, daß die behaupteten Vorgänge keinen Einfluß * die Wahl gehabt hätten.

Die Wahl des Abg. Böhm wird für gültig erklärt.

Schluß 5 Uhr. Nächste Sitzung Donnerstag 11 Uh.

In der gestrigen (33.) Sitzung des Hauses ? Abgeordneten bemerkt bei Fortsetzung der zweiten rathung des Etats des Kultus-Ministeriums zu dem i „Universität Marburg“ der Minister der geistlichen 1. gelegenheiten, Dr. von Goßler: .

Meine Herren, ich habe mich bisher an der Diskussion nickt theiligt, weil diese Fragen gewöhnlich beim Titel 1 dieses Karme behandelt werden, und es nur einer dialektischen Gewandtl ei; Hrn. von Merer zu verdanken ist, daß wir bei diesem Sxesizl= Marburg wieder in diesen Ozean der Universitätsfragen geschleudert worden sind. Hr. von Meyer knüpfte bei Marbut. den Namen Enneccerus an, und kam auf diesem Wege auf die friüe=— Generaldiskussion zurück. Ich hatte gehofft, daß die Diskussier⸗ Sande verlaufen würde; das ist nicht gescheben. Nachden die Bemerkung des Hrn. Dr. Friedberg gehört habe, bedautte— daß ich von den vorletzten Ausführungen des Hrn. Dr. Winde absolut kein Wort verstanden habe; sonst würde ich es für r. Pflicht erachtet haben, sofort, mindestens was die von ihm bebart⸗ Käuflichkeit der Promotionen anbetrifft, ein Wort der Ith wahrung einzulegen. .

Ich bin, wie die Herren wissen, in Göttingen eingeschritten— habe es durchgesetzt, daß auch dort die juristischen Doktordissertatti— Doktorexamina, Doktorpromotionen sich in denselben Formen wickeln wie in den alten preußischen Provinzen. Das hat allen der juristischen Fakultät in Göttingen eine sehr tiefe Schädigte finanzieller Beziehung zugefügt. Aus den Uebersichten, die Tentralblatt, für die gesammte Unterrichts verwaltung in Pre finden, die Herren wissen, daß eine Beilage zu diesem Centtas. alle statistischen Mittheilungen über das höhere Unterrichts wesen öffentlicht, welche Sie auf diesem Gebiet erwarten können be. Sie ersehen, daß in der Zeit vom 1. April 1886 bis 31. Mat; in den juristischen Fakultäten Preußens 99 Promotionen stgttger. haben, und daß davon 8! auf Göttingen fallen. Vom 1. April, ab hat sich die Sache ich will nicht sagen: ins Gegentheil pern

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aber arßerordentlich geändert, und zwar auf Grund der einfachen Anordnung, daß keine Doktordissertation mebr zugelaffen werden darf, welcke nur bandschriftlich vorgelegt wird, sondern daß allein die ge⸗ druckte Dektordistertatien die Basis einer Doktorpromotion bilden darf. Der Grund ist einfach der, daß in dem Augenblick, wo die Doktordissertation gedruckt ist, sie den bestehenden Bestimmungen nach zahlreichen Exemplaren an allen Universitäten verbreitet wird, und daß so eine genaue Kontrole darüber eintritt, was eigene Arbeit, eigenes Studium dieses Doktoranden ist oder nicht. Auf diese Weise ist es erzielt worden, worauf ich allerdings großen Wertb lege, daß die Unsitte, ich kann es nicht anders nennen an der Hand der Referendarienarbeiten den Doktortitel zu erwerben, beseitigt ist. Ich will Spezialitäten, die sich daran knüpfen, nicht bezeichnen; aber es hat mich immer tief bekümmert, daß zwischen den Fakultäten und den juristischen Examinatoren sich Differenzen herautgestellt haben. Ich habe es stets gemißbilligt, daß Jemand auf Grund der Arbeit für das Referendarienexamen, die vielleicht mit etwas gelehrtem Putz versehen sst, nachher den Doktortitel erhält. Dagegen bin ich mit voller Ueber zeugung eingeschritten, und ich glaube, diesem Uebel ist abgeholfen. Aber don dieser Thatsache bis zur Käuflichkeit des Doktorüntels ist ein gewaltiger Sprung. Ich babe die Deduktion und die Argumenta— tion des Hrn. Abg. Dr. Windthorst nicht gehört, ich möchte aber glauben, daß vielleicht nur ein einzelnes Wort, das rasch über den Zaun der Zähne gekommen ist, vorliegt. Ich kann Ihnen wenigftens ver sichern, daß bei der sorgfältigsten Aufmerksamkeit. die ich der Frage gewidmet habe, es für das Gebiet des preußischen Staats meines Frachtens an jedem leisesten Anhalt zu der Behauptung fehlt, als ob irgendwie der Doktortitel mit Geld erworben werden könnte.

Was die Ausbildung und den Fleiß der Studirenden anbetrifft, so habe ich mich darüber oft dahin geäußert, daß wir in dieser Sache nicht zu schwarz sehen dürfen. Es handelt sich wesentlich immer um die Juristen. Bei den Konferenzen, die zwischen dem Herrn Justiz— Minister und mir stattfinden, und an welchen Herren der juristischen Praris und Vertreter der Universitäten theilnehmen, wird diese Frage sehr eingehend erörtert. Es sind eine große Reihe von Vor— schlägen gemacht, und wir haben uns verständigt über eine, ich möchte sagen, Art Fragebogen. Dieser Fragebogen befindet sich seit Wochen bereits in den Händen der einzelnen Universitätsfakultäten, und ich glanbe, daß durch dieses Zusammenarbeiten zwischen den Fakultäten und der Kommission, bezw. den genannten Chefs der Unterrichtsverwaltung und der Justiz, es möglich sein wird, zu einer Reform zu gelargen, welche das Gute in unseren Universitäten in keiner Weise antastet, aber gewisse Uebel stände beseitigt. Sicherlich wird die Hülfe nicht damit gesucht werden, daß wir irgendwie nach der Richtung einer Uebertragung von Vorschriften, welche für die niederen Schulen besteben, auf die Hochschulen unser Heil fuchen. Aber es lassen sich sehr viele andere Mittel noch finden, sowobl in dem, was bereits der Hr. Abg. Dr. Enneccerus meines Erachtens richtig andeutete, als auch vielleicht auf einem Ge— biet, auf welches ich besonderen Werth legen möchte, in der Orga— nisation der juristischen Kollegia. Das ist ein Punkt, der mir seit Jahren sehr am Herzen liegt. Meist ist ein junger Mann, der mit den Kenntnissen eines Abiturienten in die Universität eintritt, sich absolut nicht klar darüber, warum er Rechtswissenschaft studirt. Es gehört zu den seltensten Ausnahmen, daß in kleineren und mittleren Universitäten Einrichtungen bestehen oder Kollegia ge—⸗ balten werden, welche eine propädeutische Bedeutung haben. Ich selbst habe das Glück gehabt in Königsberg; wir waren aber damals uͤber— haupt nur etwa 350 Studenten dort und der Maximalbesuch des Kollegs betrug 14. Mit 14 Studenten läßt sich natürlich viel mehr erreichen, als in den großen Massenkollegien von 300 und mehr.

Also es wird an meinen Bemühnngen nach der Richtung hin nicht fehlen, um nicht blos im Wege der Polizeivorschriften, sondern ror allen Dingen in einer ron innen heraus sich vollziehenden Ge— staltung des Kolleg ienwesens vielleicht einen neuen Anreiz zu bieten, daß unsere jungen Juristen fleißiger in die Kollegia gehen. Ich muß erneut auch hier sagen, daß es eine ganze Reihe von Universitäͤten giebt und ich kann Marburg vorzugsweise nennen wo auch die Juristen alles Lob, selbst der Professoren, erhalten und auch verdienen. Ich habe bei der Enquete, die ich ver⸗ anstaltet habe, auch selbst von Berliner Pröfessoren so über—⸗ aus günstige Zeugnisse über den Fleiß der Studirenden gehört, daß es wirklich außerordentlich schwierig ift, zu einem sicheren Ge— sammturtheil zu gelangen. Diejenigen Lehrer, welche die Gabe haben, die jungen Leute zu fesseln und worauf es meines Erachtens vor—⸗— zugsweise ankommt ihnen ungefähr den Begriff zu geben, weshalb sie zu dem Studium sich gewendet haben, erfreuen sich eines so gleich- mäßigen Zuhörerstandes z. B. in Berlin ich möchte hier keine Namen nennen, ich könnte es aber —, daß in der That der Prozent- satz der Schüler, welche ausfallen, ein ganz erstaunlich geringer ist. Ich kann versichern das trifft Marburg vorzugsweise auch —, daß da das Verbindungswesen absolut keine Rolle spielt, sondern, daß in Marburg die Verbindungen sogar darauf halten, daß ihre Kommili— tonen, und zwar unter den Juristen, die Kollegia besuchen.

Das führt mich zu einer anderen Frage, die früher Seitens eines leider nicht mehr im Hause befindlichen Mitgliedes des Centrums

angeregt worden ist. Es ist mir unter der freundlichen Mitwirkung der Universität und namentlich, kann ich sagen, verschiedener Verbindungen gelungen, den offiziellen Früh—

schoppen abzuschaffen. Ich kann ja natürlich nicht verhindern, daß ein junger Mann Bier trinkt zu einer Zeit, wo er Kolleg hören sollte. Aber das halte ich nicht für richtig und dem ganzen studen⸗ tischen Standpunkt für unaugemessen, daß eine Strafe darauf gesetzt wird, daß ein junger Mann, der innerhalb einer gewissen Zeit im Bierhause nicht sitzt, sondern das Kolleg besucht, wie es seine Pflicht ist, 5 Silbergroschen Strafe zablen soll; das halte ich für unjulässig und unstatthaft. Es ist ganz richtig, daß der Studirende die fuͤnf Silbergroschen lieber in Bier anlegt, ron seinem praktischen finanziellen Standpunkt aus, aber ich halte es für falsch ich habe Protokolle darüber aufnehmen lassen mit den Vertretern der Corps, der Landsmannschaften und wie die Verbin— dungen alle heißen, und diese haben fest und feierlich, ich glaube aus— nahmslos, erklärt, daß sie alle Bestimmungen, die nach der Rich— tung hin jemals bestanden kaben, abgeschafft haben, und daß sie jedenfalls selbst bei demjenigen Frübschoppen, der früher nicht einer Geldstrafe unterstanden hat, densenigen für entschuldigt erachten, welcher das Kolleg besucht oder sich sonst mit einer wissenschaftlichen oder körperlichen, für seine Erziebung nützlichen Thätigkeit abgiebt. Ich glaube, das sind kleine Fortschritte; die Sache ist damit noch nicht erledigt, aber ich möchte dringend bitten, der Jugend lieber von anderer Seite auch entgegenzukommen ibr zu helfen durch die ganie Art und Weise, wie man ihr das Ideal vorstellt und wie man ihr die Möglichkeit gewährt, ihre Studien in einer ihren Interessen und ihren geistigen Ansprüchen entgegenkommenden Weise zu führen. Ich bin fest überzeugt, daß auch diejenige Fakultät, die am meisten in dem Mittelpunkt der Kritik stebt, durchaus gesunde Kräfte in sich enthält, und daß sie die Mängel, die ihr vielleicht noch anhaften, auch aus eigener Kraft ohne unsere Hülfe abstreifen wird. Abg. Dr. Enneccerus freut sich der freundlichen Worte des Ministers, die viel mehr das Ehrgefühl des Studenten zu spornen geeignet seien, als irgend welcher Tadel es vermöchte. Abg. Dr. Windthorst bemerkt, er habe nicht behauptet, daß auf irgend einer preußischen Universität der Doktortitel mit bloßem Gelde zu kaufen sei. Der Titel wird bewilligt. . . Im Anschluß an die Ausgabetitel für die Universitäten wünscht Abg. Olzem eine bessere Besoldung resp. die Zuwendung des Wohnungsgeldzuschusses für die wissenschaftlichen Beamten bei den Universttätsbibliotheken. . .Bei der Position „Zuͤschuß für das Lyceum Hosianum in Braunsberg“ regt . Abg. Krebs (Braunsberg) eine Erhöhung des Maximal—

gehalts der dortigen Professoren und die Errichtung einer neuen Professur für Naturwissenschaften an.

Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten, Dr. von Goßler:

Meine Herren, es ist richtig, daß in Braunsberg die Herren

Professoren zu den mindest besoldeten Professoren des preußischen Staates gehören, aber Sie wollen nicht vergessen, daß dieselben immer- hin im Laufe der letzten Verwaltung nicht unerheblich in ihren Revenuen aufgebessert worden sind. Es handelt sich um 4 Professoren der tbheologischen und um 4 der philosorhischen Fakultät. Alles, was der Herr Vorredner anfübrt, ist sicherlich, namentlich den Professoren der philosophischen Fakultät gegenüber, von erheblicher Bedeutung. Jedoch haben die Herren außer ihrem Gehalt freie Wohnung, oder beziehen, so weit dies nicht der Fall ist, Zuschuß. Aber ich bin sehr gern bereit, mit dem Herrn Finanz- Minister in eine erneute Erwägung darüber einzutreten, ob das Ge— halt erhöht werden kann. Was die Anstellung eines außerordent lichen Professors anbetrifft, so bin ich auch gern bereit, der katholischen Theologie um die handelt es sich wesentlich die Möglichkeit einer erweiterten allgemeinen Bildung zu gewähren. Es ist mir nach meiner ganzen politischen Anschauung geradezu ein Be— dürfniß, dafür zu sorgen, daß die Geistlichen bei den Konfessionen eine möglichst ausgedehnte allgemeine Bildung haben. Ob sich die Sache so rasch wird in die Wege leiten lassen, steht dahin. Ich darf dabei wohl erwähnen, daß das Lyceum in Braunsberg für die Verwaltung ein Schmerzenskind ist. Wir haben gegenwärtig dort acht ordentliche Professoren und böchstenß 22 Stu—⸗ dirende. Ich habe die Studirenden in der Aula gesehen, die wenig größer war als das kleinste Kommissions⸗ zimmer in Ihrem Hause, und es hat auf mich einen schmerjlichen Eindruck gemacht, daß diese jungen Studirenden sich in Formen be— wegen muͤssen, die sich eigentlich von denen des Gymnasiums sehr wenig unterscheiden. Ich habe oft darüber nachgedacht, namentlich in den letzten Jabren hatte ich einen besonderen Anlaß dazu ob nicht das Sceum in Braunsberg einer weiteren Ausgestaltung fähig wäre. Daß erhebliche Mittel dazu flüssig gemacht sind, wissen die Herren; die Bibliothek ist außerordentlich vermehrt, das archäologische Institut ist eingerichtet, und auch sonst habe ich von dort neue Danksagungen erhalten. Aber es ist doch bedauerlich, daß es bisher an jeder Mög⸗ lichkeit gefehlt hat, die Zahl der Studirenden zu erhöhen. Die Rück⸗ sprachen, die ich deshalb mit den Herren Bischöfen geführt habe, haben zu einem sicheren Schlusse nicht gelangen lassen, unter welchen Voraussetzungen eine Vermehrung der Frequenz in Braunsberg möglich sei, da doch der Staat in der That recht erhebliche Mittel dransezt, jedenfalls in sehr viel erheblicherem Maße, als es den Bischöfen möglich ist, ibre eigenen Lehranstalten auszustatten. Sie werden zugeben, daß es ein Bischen schwer fällt, an die Errichtung einer neuen Professur zu denken, wenn erfahrungsmäßig der Satz von 22 Studirenden nun seit vielleicht zwei Jahrzehnten, soweit mein Gedächtniß reicht, niemals über— schritten worden ist Also, wie gesagt, theoretisch und prinzipiell stehen von meinem Standpunkt aus Bedenken nicht entgegen. Ich lege Werth darauf, daß die Theologen, um diese handelt es sich wesentlich eine möglichst allgemeine Bildung erhalten, und daß ö und Naturwissenschaften in den Kreis hineingezogen werden önnen.

Ueber die Position von 109000 466 zu Stipendien für Studirende deutscher Herkunft behufs späterer Verwendung in Westpreußen, Posen und Oppeln beantragt Abg. Dr. Freiherr von Schorlemer-Alst besondere Abstimmung.

Abg. Dr. von Jazdzewski richtét an den Minister die An— frage, wie der im Titel ausgeworfene Fonds verwendet werde.

Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten, Dr. von Goßler:

Wenn ich den Herrn Vorredner richtig verstanden habe, wünscht er zu wissen, wie der Stipendienfonds von 160 000 vertheilt worden ist. Es ist dies in der Weise geschehen, daß den Ober ⸗Präsi⸗ denten von Westpreußen und Posen je 35 0900 MS und dem Ober⸗ Präsidenten von Schlesien für den Regierungsbezirk Opreln 10 000 jährlich zu eigener Anweisung zur Verfügung gestellt worden sind. Den Restbetrag von 20 000 M habe ich einstweilen in der Central instanz zurückbehalten, um ausgleichend eintreten zu können, wenn die dem einzelnen Ober -Präsidenten zur Verfügung stehenden Summen für das Bedürfniß sich unzureichend erweisen.

Der Titel wird darauf bewilligt.

Bei Kay. 120 „Höhere Lehranstalten“ bittet Abg. Dr. Arendt um die endliche Regelung der Titelfrage für die Leiter und Lehrer höherer Lehranstalten. Allen Leitern der Realgymnasien, Progymnasien und Realprogymnasien sollte der Titel Direktor, den das Oberlehrerexamen bestanden habenden Lehrern bei ihrer Anstellung der Titel Oberlehrer, ferner etwa einem Drittel der an Anciennetät am weitesten Vorgerückten der Titel Schulrath und bei ihrer Pensionirung etwa der Titel „Geheimer Schulrath“ gegeben werden.

Abg. Dürre: Der Titel „Lehrer“ schließe doch so viel in sich, daß man sich dabei beruhigen könnte. Speziell möchte er die Lage der Lehrer an Anstalten landesherrlichen Patronats zur Sprache bringen, die noch immer nicht als volle Staats— beamte in jeder Richtung betrachtet zu werden schienen. Am Pädagogium zum Kloster unserer lieben Frauen in Magde— burg seien den Lehrern noch heute die Wohlthaten des Reliktengesttzes von 1882 nicht zu Theil geworden. Das landesherrliche Patronat habe doch nur Bedeutung, wenn es diese Anstalten den staatlichen in jeder Hinsicht gleich stelle.

Ministerial-Direktor Greiff: Die Regierung habe den Lehrern dieser Anstalten in derselben Weise wie den Staats— anstaltslehrern den Rang der fünften Klasse und den Woh— nungsgeldzuschuß gewährt. Ueber die Frage der Relikten⸗ versorgung schwebten Erörterungen, da die Fonds der Anstalten nicht sicher für die gesetzmäßig zu beanspruchende Versorgung ausreichten. Ueber die Bewilligung eines Staatszuschusses seien der Kultus- und der Finanz⸗Minister ins Benehmen getreten, die abschließende Regelung sei in nahe Aussicht zu nehmen.

Abg. Dr. Peters (Neustadt O.-S.) bemängelt eine hinsichtlich der Schulgeldbefreiung der Lehrersöhne neuerdings ergangene Verfügung, welche über die Bedürftigkeit in jedem einzelnen Falle dem Direktor nach Anhörung des Lehrers zu entscheiden überlasse, was große Härten mit sich bringen müsse. Die Unterrichtsverwaltung möge durch die Provinzial-Schul—⸗ kollegien die Direktoren anweisen lassen, statt eines srrupulösen, sich ein laxes Gewissen in dieser Hinsicht zuzulegen. Im inn bittet Redner, der weiteren Schulgelderhöhung Ein— alt zu thun.

Geheimer Ober-Regierungs-Rath Bohtz: Eine Verfügung, wie der Vorredner sie wünsche, daß bei der Prüfung der Bedürftigkeit mit Milde verfahren werde, sei bereits Seitens des Ministers ergangen.

Abg. Dr. Langerhans tritt wiederum für die Gleichberech—⸗ tigung der Abiturienten der Gymnasien und der Realgymnasien ein. In Berlin seien die beiden Primen der Realgymnasien im Gegensatz zu denen der Gymnasien fast leer, theilweise seien sogar Ober- und Unterprima vereinigt. Das könne nicht so weiter gehen, die Realgymnasien geriethen dabei immer mehr ins Hintertreffen. Welche Pflichten habe die Regierung dieser Frage gegenüber? Doch nur die, daß zu den Vorlesungen auf den Universitäten nur gehörig Vorgebildete zugelassen

werden sollten. Nun seien ja wohl Alle darüber einig, daß die Abiturienten beider Kategorien mindestens dieselbe allgemeine Bildung von der Schule mithrächten; die von den Realgymnasien sicher eine intensivere, als etwa der von einer Presse für das Gymnasialexamen vorbereitete und dort durch⸗ gekommene Extraneus. Zum juristischen Studium könnten die Abiturienten der Realgymnasien ohne Bedenken zugelassen werden. Könnte sich die Regierung zur Gleichstellung ent— schließen, so würden auch die Ueberbürdungsfrage und andere Klagen bald ein anderes Aussehen gewinnen. Der Wunsch des Kultus-Ministers nach weniger starkem Hervortreten des einseitig grammatischen Unterrichts lasse sich auch auf diesem Wege seiner Erfüllung näher bringen. Der Lehrplan des Gymnasiums habe manches Absonderliche; in Obertertig lese man Ovid, der kaum für Primaner verständlich sei, und Aehn— liches. Leider predige man in dieser Hinsicht immer noch einer Menge von tauben Ohren, stets werde den Vertretern dieser Reform die Praxis entgegengehalten. Aber diese Berufung sei falsch, das Gegentheil sei richtig. Es sei nicht damit gethan, daß man den Realgymnasial-Abiturienten nur das medizinische Fach öffne. Die Forderung nach Gleichstellung werde von der ganzen Bevölkerung gestellt.

Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten, Dr Goßler:

Meine Herren! Aus dem großen Kreise der die Reform des böheren Unterrichtswesens betreffenden Fragen hat der Herr Vorredner eine besondere Frage herausgeschält, welche, wie er mit Recht ausführte, mit einer ganzen Reihe anderer Erwägungen zu⸗ sammenhängt und von erheblicher praktischer Bedeutung ist. Ich will ibm folgen und, um nicht ins Ungemessene die Diskussion aus— zudebnen, meine Meinung zu der von ihm aufgeworfenen Frage offen mittheilen. ö

Die Frage nach der Berechtigung der Realschul⸗ Abiturienten betrifft, wie Sie wissen, eine von einer bestimmten Gruppe innerhalb unserer Schulreformatoren aufgestellte Forderung. Ich möchte nicht so weit gehen wie der Herr Vorredner und zunächst der Auffassung widersprechen, als ob unsere ganze Bevölkerung nach der Richtung einig waͤre, daß die Realschul-⸗Abiturienten die gleiche Berechtigung zu allen denjenigen Fakultäten des Unixersitätsstudiums haben sollen, wie die Abiturienten unserer humanistischen Anstalten. Der Herr Vorredner hat die Aufgabe und Pflicht der Unterrichts verwaltung gegenüber dieser wichtigen Frage dahin definirt, daß er es einmal als ihre Aufgabe bezeichnet hat, alle diejenigen jungen Leute als Abiturienten zum Universitätsstudium zuzulassen, welche sich mit der nöthigen allgemeinen Bildung rersehen hätten, und zweitens vor Allem, daß die Schulverwaltung aufhören solle, die Eltern zu bevormunden, in welcher Richtung und auf welchen An— stalten sie ihre Knaben bilden wollen, wenn dieselben nach—

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her auf die Univerität gehen wollen. Die Sache liegt aber leider

von

nicht so einfach. Die Unterrichtsverwaltung wenigstens die preu— ßische hat sich diesen bequemen Standrunkt nicht zu eigen ge⸗

macht, sondern sich mit der sehr viel schwereren Pflichterfüllung zu durchdringen versucht, daß sie bei aller Freiheit in der Be— wegung, welche man der Bevölkerung und den Eltern unserer jungen Leute lassen muß, sich doch von der Frage nicht ganz zurück— ziehen kann: Welche praktischen Folgen sich für unser Staatswesen und unser Staatsleben daraus ergeben, daß die Schleusen der Be⸗ rechtigung, den Unirersitäten zuzuströmen, ganz aufgezogen werden und daß eine freie Konkurrenz auf der Universitaäͤt eintritt. Ich räume ein, es ist unbequem, sich mit diesen unterrichtspolitischen Fragen an verantwortlicher Stelle zu beschäftigen, aber ich glaube, daß der ver— antwortliche Unterrichts ⸗Minister voll und gan; sich klar darüber werden muß: welche Folgen hat ein solches Aufziehen der Schleusen? Die Erfahrung giebt hier einigermaßen einen Anhalt. Ich darf die Bemerkung noch voranschicken, daß ich bei der Erörterung des Realschul⸗ wesens stets der Meinung Ausdruck gegeben habe, daß die Berechtigung der Anstalten an sich nicht zusammenfällt mit ihrer Berechtigung in Beziehung auf die Zulassung zum Universitätsstudium. Ich darf an die Worte des Unterrichts⸗-Ministers erinnern, der im Jahre 1859 die Realanstalten organisirte, indem er die Absicht aussprach, den Abitu⸗ rienten dieser Realanstalten eine wissenschaftliche, für die praktischen Lebensaufgaben geeignete, abgeschlossene Bildung zu geben, ihnen dagegen nicht den Zutritt zur Unipersität als Maturi zu gewähren.

Das war meines Erachtens ein richtiger und wichtiger Gesichts punkt. Dieser Standpunkt ist verlassen worden im Jahre 1870, insofern als den Abiturienten der Realanstalten der Zutritt zur Universität geöffnet wurde in Ansehung des Studiums der neueren Sprachen, der Mathematik und der Natur⸗ wissensckaften. Wie die Herren aus dem bekannten Buche von Paulsen, welches fortwährend als Unterstützung der Ansichten des Herrn Vorredners angeführt wird, sich überzeugen können, war die Unterrichtsverwaltung im Jahre 1870 ju der Gewährung dieser Berechtigung der Realabiturienten gekommen durch einen Mangel, welcher auf dem Gebiet der neusprachlichen Philologie, der Lehrer der Naturwissenschaften und der Mathematik sich ergeben hatte. Welche Folgen hatte nun die Maßregel der Ausdehnung der Berechtigung von 18707 Ich habe das pflichtgemäß zum Gegenstand eines besonderen Studiums gemacht und mir personlich an der Hand von Conrad, und mit dem Material, welches der Unterrichtsverwal— tung anderweit zu Gebote steht, eine eigene Ueberzeugung darübe gebildet. Die unmittelbare Folge war ein wrapides Anwachsen der Realschul⸗Abiturienten und ihres Zudranges zur philo⸗— sophischen Fakultät. Im Jahre 1868 gab es nur 4 Realschul⸗ Abiturienten, welche zur Universität gingen, im Jahre 1870 5, 1871 15; sie sind dann rapide gestiegen bis zum Jahre 1879, also in wenigen Jahren auf 333. Von 1879 an ist ein allmählicher Rück⸗ gang eingetreten, der auch auf anderen Gebieten unserer höheren Schulen stattfindet.

Nun die weitere Wirkung: Welche Folge hatte der Zudrang der Realschul⸗Abiturienten in Beziehung auf die drei Disziplinen, in welchen sie das Universitätsstudium abzulegen berechtigt waren? Im Jahre 1877,78, in welchem sich die Folgen der Verordnung vom Jahre 1870 zum ersten Male bei den wissenschaftlichen Staatsprü⸗ fungen geltend machten, hatten wir an Vollprüfungen auf dem Gebiet der Mathematik, der Naturwissenschaften und der neueren Sprachen 152. Von diesen 152 Vollprüfungen waren von Realschul ⸗Abiturienten abgelegt 36, also noch nicht ganz der vierte Theil. Nunmehr wist in

der Entwickelung, deren ich kurz Erwähnung gethan habe, eine Steigerung eingetreten in wenigen Jahren, welche im Jahre 1884/85 bereits zur Folge hatte, daß von den Vollprüfungen für Mathematik, Naturwissenschaften und neuere Sprachen unter 338 208 auf Realschul⸗Abiturienten entfielen,

alfo bereits fast . 3. Von da an ist zu meiner Freude wieder ein kleiner Rückgang eingetreten, und zwar nach beiden Richtungen hin, sowohl was die Gesammtziffer, als was die Zahl der Realschul— Abiturienten anbetrifft.

Das Ergebniß dieser Entwickelung war, daß steigend Hunderte

weit über das Bedürfniß hinaus an Lehrern vorhanden sind, welche die wissenschaftlich Vollprüfung abgelegt Haben. Ich habe es bei dem Interesse, welches ich den Schul—

amtskandidaten, die ich auch sehr oft in meinem Sprechzimmer sehe, widme, für meine Pflicht erachtet, mir weitere Klarheit darüber zu verschaffen: wie überträgt sich die ganze Frage in das Leben? Es sind heute, oder vielmehr richtiger gesagt nach der Statistik vom November 1887, an unangestellten Schul amtskandidaten zu verzeichnen eine Zahl von 1334. Von diesen 1834 sind sogenannte Philologen, wie wir sie nennen das sind klassische Philologen, einschließlich Deutsch, Geschichte, Religion, Hebräisch 893 und Mathematiker, einschließlich der Naturwissenschaften, und Neusprachler 941. Wie stehen nun, ich kann sagen, diese armen jungen Leute in Beziehung auf ihre Berufsversorgung? Von diesen 1834 Schul