Theil einer Materie gesetzlich geregelt werde, von der Seitens der Regierung erklärt sei, daß sie in eine m setzgeberische Er⸗ wägung über dieselbe eingetreten sei. Er erinnere in dieser Beziehung an das kleine Nothgesetz fuͤr Posen auf dem Gebiet der Wegeordnung. Die Regierung habe zu diesem Gesetzentwurf weder eine positive noc, eine negative Stellung eingenommen. Nehme das Haus dieses Gesetz an, und die Regierung überzeuge sich in wischen, daß dieser Weg nicht gangbar sei, so könne sie einen anderen Vorschlag machen; überzeuge sie sich aber, daß er gangbar sei, so habe sie sofort etwas Fertiges, und es werde viel Zeit erspart. Er bitte deshalb, den Gesetzentwurf möglichst einstimmig anzu— nehmen.
Die Generaldiskussion wird geschlossen.
Persönlich verwahrt sich Abg. Eberty dagegen, daß er zu dem Abg. Richter in einem Unterthanenverhältniß stehe. Er sei sonst Niemand unterthänig, als den Gesetzen, der Ver— fassung und seinem Gewissen.
Abg. Freiherr von Minnigerode konstatirt, daß er blos von einer Autorität des Abg. Richter gesprochen habe. Uebrigens sei der Abg. Eberty außer den Gesetzen, der Ver— fassung und seinem Gewissen auch noch einem Anderen unterthan. ᷣ .
In der Spezialdiskussion wird die motivirte Tages ordnung abgelehnt, der Gesetzentwurf mit großer Mehrheit in seinen einzelnen Bestimmungen und im Ganzen angenommen.
Es folgt die erste Berathung des Gesetzentwurfs, be— treffend die Verleihung von Korporationsrechten an Niederlassungen geistlicher Orden und ordens— ähnlicher Kongregationen der katholischen Kirche.
Abg. Prinz von Arenberg: Es liege ihm die Pflicht ob, im Namen seiner Fraktionsgenossen der Staatsregierung ihre aufrichtige Anerkennung und ihren lebhaften Tank auszu— sprechen für diesen neuen Schritt auf dem Wege des kirchen— politischen Friedens. Die Vorlage decke sich in ihrem Zweck und in ihren Wirkungen im Wesentlichen mit seinem Antrage vom 29. Februar d. J., in dem er denjenigen geistlichen Orden, welche vor Erlaß des Gesetzes vom 351. Mai 1875 im Besitz der Korporationsrechte gewesen und welche jetzt wieder zugelassen worden seien, die Korporationsrechte habe wieder— ertheilen wollen. Auf die juridische Frage, welche der Minister im Herrenhause berührt habe, wolle er hier nicht eingehen, und bemerke nur, daß mit diesem Gesetz sein Antrag erledigt sei.
Abg. Magdzinski wird für das Gesetz stimmen, trotzdem zu seinem Bedauern der Orden der Elisabethinerinnen in seiner Heimathprovinz nicht zugelassen worden sei. Die Geschichte werde über diese Zurücksetzung der Polen Seitens der Regierung, die unbekümmert um das Auftreten der Sozialdemokratie so wenig die Interessen des Volks, denen durch jene wohlthätig wirkenden Orden die besten Dienste hätten erwiesen werden können, berücksichtige, ihr Urtheil fällen.
Der Gesetzentwurf wird hierauf in erster und sodann in zweiter Lesung unverändert angenommen.
Es folgt die erste Berathung des Antrags Berling und Genossen auf Annahme eines Gesetzentwurfs, betreffend den Schutz der Landwirthschaft gegen Hochwild.
F. J lautet: Schwarz., Roth⸗ und Damwild darf nur in ge— schlossenen Wildgärten oder in solchen Rerieren unterhalten (gehegt) werden, welche dergestalt eingefriedigt (vergattert) sind, daß das Wil? weder ausbrechen noch an fremden Grundstücken Schaden
anrichten kann.
§. 2 lautet: Sofern die Jagdkerechtigten Schwarz., Roth- und Damwild nicht in der vorbezeichreten Weise (8 1 von fremdem Grundeigenlhum fernhalten, haben sie die Verpflichlung, dasselbe ohne Verzug abzuschießen, widrigenfalls letzteres auf Antrag der Drtepolizeib'chörke oder des Besitzers eines vom Schwarz-, Roth! und Damnild beschädigten Grundstücks von der Aussichts behörde durch geeignete Personen zu bewirken ist. Als geeignet gelten insbesondere die gerichtlich beeideten Forft. und Jagdbeamten des Staats und anderer Waldeigertkümer, sowie die gerichtlich; beeideten Korpejäger. Die Aufssichtsbebörde ist befugt, in Fällen, in denen diese Maßregeln nicht ausreichen, alles anzuordnen, was zur Beseitigung des Schwar-wildes außer⸗ halb umschlossener Gehege (58. I) nothwendig ist, auch den Jagd— berechtigten die Ausführung solcher Anordnungen aufzulegen, und wenn dies nicht zum Ziele führt, die hierzu erforderlichen Maßregeln seibst ausführen zu lassen. Der Erlös für das auf Anordnung der AÄufssichte behörde erlegte Wild ist zur Staats— kasse abzuführen. Derselken fallen die Kosten der getroffenen Anordnungen und der Ausführung derselben zur Last.
Als Mitantragsteller erhält das Wort Abg. Drawe: Manches Mitglied des Hauses werde erstaunt sein über die Anspruchs⸗ lofigkeit dieses Antrags. In der That habe seine Partei auch noch viel weitergehende Ansprüche zu erheben, aber sie habe nur dem Hause und der Regierung eine Anregung geben wollen. Nachdem sie nun gestein einer so entgegenkommenden Stimmung im Hause begegnet sei, sei es nicht ausgeschlossen, daß sie ihren Antrag erweitere. Dahin gehöre zunächst die Regelung der Wildschadenfrage. Wenn heute eine Kuh durch fremdes Gebiet laufe, ohne gerade einen großen Schaden zu thun, zo verfalle der Eigenthümer einer Strafe. Ganze Haufen von Wild könnten dagegen ohne Entschädigung im Felde des Nachbarn arge Verwüstungen anrichten. Ferner wünsche seine Partei noch eine anderweitige Regelung des Wildschongesetzes. Andere Wünsche werde sie in der 14er Kommission vortragen, die er hiermit beantrage.
Abg. Hartmann:; Auch seine Partei halte das gegen— wärtige Jagdgesetz für unzureichend zum Schutz der Tand—
wirthschaft. Sie habe nichts mehr bedauert, als daß die von
der Regierung vorgeschlagene neue Jagdordnung nicht zu Stande gekommen sei, und sie sei gern bereit, an dem Zu⸗ standekommen dieses Gesetzentwurfs, und zwar in einer Kom— mission, mitzuarbeiten. So wie er vorliege, sei derselbe in mancher Beziehung unvollständig und unklar. So fehle es an Zwangshestimmungen für den Fall, daß der Jagdberechtigte den Vorschriften des Gesetzes nicht nachkomme. Eine kom— missarische Berathung sei deshalb nothwendig, weil nach der Geschäftsordnung solche Anträge aus dem Hause, welche eine Geldbewilligung involvirten, vorher einer kommissarischen Berathung überwiesen werden müßten. Er beantrage, den Gesetzentwurf der Agrarkommission zu überweisen.
Abg. Conrad: Der Gesetzentwurf wolle die Noth und das Elend beseitigen, das durch den Wildschaden herbeigeführt werde. Versprechungen seien immer gemacht worden, es fei aber noch nichts geschehen. Der Wildschaden treffe haupt— sächlich ärmere Gegenden, da in reichen Gegenden, wo guter Ackerboden sei, kein Wald existire. Der Wildschaden sei eben deshalb doppelt hart, weil er arme Leute treffe. Der Minister habe allerdings für die fiskalischen Forsten die Abschießung eines Theils des Wildes angeordnet; auf den großen Forst= besitz, der sich in Privathänden befinde, habe er aber keinen
Einfluß. Durch die Eingatterung habe der Forstbesitzer allerdings Kosten, aber wenn er die nicht wolle, könne er ja sein Wild abschießen. Auch bei Eisenbahnbauten werde, ja auf Schädigung von Privatinteressen keine Rücksicht genommen. Hochwild halten sei ein reines Privatvergnügen, aber kein nobles, wenn andere Leute dadurch Schaden hätten. Schon bei der Jagdordnung vor vier Jahren habe er solche Vorschläge gemacht, wie fie der vorgelegte Gesetzentwurf enthalte. Nehme man diesen an, so bringe man wenigstens eine kleine Hülfe.
Abg. Francke (Tondern): Schon bei der Jagdordnung hätten seine Freunde den Standpunkt vertreten, daß Schwarz wild in Freiheit ausgerottet werden solle, daß es aber gestattet sein müsse, in Umzäunungen, ebenso wie Löwen, Tiger, Leoparden ꝛc.,, auch Sauen zu halten. In Hessen⸗Kassel sei die Eingatterung bereils gesetzlich, und doch fei das ein klassisches Land für Wildschaden geblieben. Da das Wild auch ausbrechen könne, sei der Antrag nicht vollständig, es müsse auch eine gesetzliche Regelung des Wildschadenersatzes eintreten. Diese Frage fei aber juristisch sehr schwierig. Seine Partei wolle den Forstbesitzer haftbar machen, die Konservativen wollten den Schadenersatz unter den Feldmarksbesitzern repartiren. Wegen der juristischen Schwierigkeiten sei auch die Agrarkommission nicht pastend, wenn man etwas zu Stande bringen und nicht blos ein Be⸗ gräbniß für den Antrag haben wolle; er beantrage deshalb die Ueberweisung an eine besondere Kommission.
Abg. Dr. Meyer (Breslau): Die Regierung habe gegen den Antrag scheinbar nichts einzuwenden, da sonst wohl ein Kommissar im Hause sein würde. Der ganze Uebelstand bei der Sache, um die es sich handele, sei die juristisch-⸗schwankende Beschaffenheit des jagdbaren Thieres. Erst wenn festgesetzt worden sei, daß jedes Stück Wild, welches sich nicht in einem umhegten Raume befinde, abgeschossen werden könne, werde man überhaupt dem Ziele näher kommen. Darüber aber könne man sich ja in einer Kommission friedlich einigen; aber seine Partei möchte gern ihren Wählern mit einem fertigen Gesetz am Schlusse der Session gegenübertreten. Hoffentlich werde das nicht als unerlaubtes Wahlmanbver ausgelegt werden. Er bitte daher, den Gesetzentwurf an eine Kommission zu verweisen, aber nicht an die Agrarkommission, die ihm doch mehr für die Interessen der Jagdberechtigten ö durch das Wild Geschädigten eingenommen scheinen möchte.
Abg. Wessel: Wenn man Abhülfe schaffen wolle, könne man auch über die Frage des Wildschadensersatzes nicht so leicht hinweggehen, deshalb bedürfe der Antrag einer ein— gehenden kommissarischen Berathung. Die Agrarkommission scheine aber gerade geeignet, weil sie sich schon oft mit Be— schwerden über Wildschaden befaßt habe und deshalb am leichtesten noch in dieser Session ein Gesetz zu Stande bringen könne.
Abg. Hartmann: Um die Freude des Abg. Dr. Meyer über das Zusammengehen des Hauses zu erhöhen, ziehe er seinen Antrag auf Ueberweisung an die Agrarkommission zurück. Wenn aber lauter Juristen in die Kommission ge⸗ wählt würden, käme die Sache wahrscheinlich in dieser Session nicht mehr zu Ende.
Abg. Freiherr von Huene: Er habe den Abg. Hartmann gebeten, die Agrarkommission damit zu verschonen. Uebrigens glaube er, die Juristen hätten mehr Interesse für die Land— wirthschaft, als die Landwirthe in.
Der Gesetzentwurf wird einer Kommission von 21 Mit— gliedern überwiesen.
Es folgt die Berathung von Petitionen:
Die drei Petitionen: J. Petition des katholischen Kirchenvorstandes zu Czarnowanz um Herausgabe gesperrten Kaplangehalts, sowie der Kircheneinkünfte zur Verrichtung von Fundationsmessen. II. Petition des katholischen Kirchen⸗ vorstandes zu Groß-Döbern um Herausgabe einbehaltenen Vfarrdotationszuschusses. III. Petitionen verschiedener katholi⸗ scher Pfarrer, betreffend die Verwendung der während der Gültigkeitsdauer des Gesetzes vom 22. April 1515 angesammelten Beträge, empfiehlt der Bericht— erstatter Abg. Sperlich zur Berücksichtigung.
Abg. Dr. Windthorst bedauert, daß man allgemein auf dem Gebiete der Sperrgesetzgebung so langsam vorgehe und bittet um möglichste Beschleunigung des Verfahrens in diefer Beziehung.
Ueber die Petition der Posener Fischer-Innung um Abänderung des §8. 12 der Verordnung, betreffend die Ausübung des Fischereigesetzes in der Pro— vinzPosen vom 20. Mai 1877, beantragt die Kommission, zur Tagesordnung überzugehen.
Abg. Motty stellt dagegen den Antrag, die Petition der Regierung zur Erwägung zu überweisen.
Der Berichterstatter Freiherr von Grote empfiehlt, dem Antrage der Kommission gemäß zu beschließen. Das Haus thut dies.
Die Petitionen der Vorstände der Synagogen-Gemein— den in Leobschütz, Geldern, Arnsberg, Liegnitz, Rakwitz, Kol— berg, Elbing, Pleß, Koblenz und Tarnowitz um den Erlaß eines Gesetzes, auf Grund dessen die jüdischen Kultusbeamten und Elementarlehrer von den direkten persönlichen Gemeindeabgaben hinsicht—⸗ lich ihres Diensteinkom mens frei zu lassen sind, beantragt die Gemeinde Kommission, der Königlichen Staats— regierung als Material zu uͤberweisen. Diesem Antrage stimmt das Haus bei.
Der Ortsvorstand der Gemeinde Pissighofen hat um Ertheilung der Bewilligung zur Gründung einer eigenen Schule in Pissighofen petitionirt, und die Unterrichts- kommission beantragt, diese Petition der Regierung zur Er— wägung zu uͤberweisen.
Das Haus tritt dem Kommissionsantrage bei.
Ueber die Petition des Magistrats und der Stadtverord— neten⸗Versammlung in Vetschau, betreffend die Ausübung des Lehrer-Ernennungsrechts, geht das Haus zur Tages⸗ ordnung über. ;
Die Petition von Nasmussen und Genossen, Schul— interessenten der Gemeinden Gramm und Gramby, um Abänderung der allgemeinen Schulordnung für die Herzogthümer Schleswig und Holstein vom 4. August 1814 überweist das Haus der Regierung als Material für ein zu erlassendes Unterrichtsgesetz.
Ueber die Petition von Paul und Genossen, Mitgliedern der Schulgemeinde Rädigke, betreffend die Befugniß der Schulgemeinden zur Wahl der Schulvorstände, geht das Haus zur Tagesordnung über.
Die Petition von Müller und Genossen, Lehrern der Stadtschule zu Wollin, betreffend die gesetzliche Regelung
der staatlichen Alterszulagen, eventuell Wiedergewähr ung der Dienstalterszulagen, wird der Regierung zur Berücksichtk gung überwiesen.
Die Petitionen des General-Konsuls Freiherrn von Oppenheim zu Köln wegen Erstattung von 76 Proz. Sinzahlung auf Rheinische Stamm-⸗Aktien der Emission von 1879 an die Erzieherin Wilhelmine DOverweg zu Kopenhagen und des Gefängniß⸗Inspektors Himml in Ratibor, betreffend Erhöhung der Gehälter der Ge— fã , . pektoren und Bewilligung einer persönlichen Funktionszulage, gehen zur Erwägung an die Regierung.
Eine Petition der Kreisboten Eisenach in Kassel und Jäger in Schmalkalden (ehemals Kurhessische Kreisbereiter), betreffend Anerkennnng einer Remuneration von je 156 ½ j⸗ährlich als pensionsberechtigten Gehaltst eil, er⸗ ledigt das Haus durch Uebergang zur Tagesordnung.
Dasselbe beantragt die Kommission hinsichtlich einer Petition des Landgerichts Sekretärs Böger in Kiel, betreffend Sleichstellung des Dienstein kommens der Ersten Gerichtsschreiber der Landgerichte mit demjenigen der Rechnungsrevisoren und Rendanten bei diesen Gerichten.
Die Abgg. Krah und Korsch beantragen, die Petition der Regierung zur Bexücksichtigung zu überweisen.
Abg., Krah: Es sei schon früher vom Abg. Korsch hier hervorgehoben worden, ein wie außerordentlich wichtiges Amt das des ersten Gexichtsschreibers sei, daß diesem daher eine Aufbesserung der Verhältnisse wohl zukomme, umsomehr, als diesen Beamten dieselbe bei der Reorganisation nicht zu Theil geworden sei. Früher hätten sie, wie die gleichgestellten Be— amten, z. B. die Rendanten, eine Zulage von 306 M0 gehabt, jetzt erhielten sie keine größeren Einnahmen, als wie sie S ab'
esehen von dem Amt als erster Gerichtsschreiber — als Gerichts—
. überhaupt bekämen. Er glaube, das entspreche nicht der Wichtigkeit ihrer Geschäfte. In seiner Eigenschaft als Land— gerichtsPräsident hahe er die Erfahrung gemacht, daß das Geschäft des ersten Gerichtsschreibers ein recht unbequemes und dornenvolles sei. Es erscheine daher wohl geboten, diesen Beamten eine höhere Remuneration zu Theil werden zu lassen, als anderen Sekretären. Wenn man sage, daß auch anderen Beamten, insonderheit den Schreibern bei den Amtsgerichten, derselbe Vortheil zugewendet werden müsse, so erwidere er, zu⸗ nächst hätten diese Beamten nicht so viele Gefchäfte, sodann wären aber auch mit Berücksichtigung dieser Beamten die finanziellen Opfer so klein, daß sie wohl geleistet werden könnten.
Geheimer Ober⸗Justiz⸗Rath Schmidt verneint das Bedürfniß dieser Gehaltserhöhung. Der erste Gerichtsschreiber sei nur Bureaubeamter und keineswegs mit Verwaltungsbeamten, Rechnungsrevisoren, Rendanten gleichzustellen.
Abg. Krah: Er habe zen ersten Gerichtsschreiber nicht mit den Rechnungsrevisoren gleichstellen wollen, sondern nur mit anderen Sekretären.
Der Antrag Krah-Korsch wird abgelehnt; das Haus geht zur Tagesordnung über.
Auf dieselbe Weise werden zwei Petitionen erledigt, näm— lich die des Amtsgerichts-Sekretärs Lassahn in Berlin um Ge— währung einer Funktionszulage von jährlich 360 für jeden Einnehmer der Gerichtskasse l in Berlin“ und die der Gerichtsdiener des Landgerichts und der Amtsgerichte von Elberfeld und Barmen, Wilke und Genossen, betreffend Auf—⸗ besserung der Gehaltsverhältnisse der Gericht s⸗ die ner an Amts- und Landgerichten.
Die Petition des Amtsgerichts-Kassenrendanten Dittberner in Treptow a. d. R, betreffend Bewilligung einer Funk⸗ tionszulage für den Rendanten der Gerichtskassen bei Amtsgerichten mit weniger als drei Richtern, überweist das Haus der Regierung zur Berücksichtigung.
Schluß 31sz Uhr. Nächste Sitzung Montag 11 hr.
— In der heutigen (58.) Sitzung des Hauses der Abgeordneten, welcher der Minister der öffentlichen Ar⸗ beiten, von Maybach, der Minister der geistlichen, Unterrichts⸗ und Medizinal-Angelegenheiten, Dr. von Goßler, der Finanz⸗ Minister r. von Scholz, und mehrere Kommissarien bei— wohnen, wird der Gesetzentwurf, betreffend die Verleihung von Korporationsrechten an Niederlassungen geistlicher Ordez und ordensähnlicher Kongre— gationen der katholischen Kirche, in dritter Berathung unverändert angenommen.
Zweiter Gegenstand der Tagesordnung ist: Erste Be— rathung des Gesetzentwurfs, betreffend die Ver— besserung der Oder und Spree.
Abg, Letocha empfiehlt unter Hinweis darauf, daß der Verbrauch der englischen Kohle bei uns in stetiger Zunahme begriffen sei, im Interesse der oberschlesischen Kohlenindustrie die Annahme der Vorlage. Oberschlesien sei der Wohlthat der KLanalisation der obern Oder jetzt dringender bedürftig als je. Die Forderung der unentgeltlichen und lastenfreien Hergabe des Grund und Bodens Seitens der Interessenten sei aber unerwartet und werde schwer zu erfüllen sein. Nach allgemeinen Rechtsgrund— sätzen und nach dem Wortlaut des Allgemeinen Landrechts sei die Regierung zur Tragung sämmtlicher Kosten verpflichtet.
Abg. Dr. Freiherr von Schorlemer-Alst hebt hervor, daß nachdem durch das vorliegende Gesetz die Herstellung einer leistungsfähigen Wasserstraße von Oberschlesien nach Berlin gesichert sei, es eine berechtigte Forderung sei, daß auch die Wasserverbindung von Dortmund nach den Emshäfen verwirklicht werde. Das letztere Proj(kt habe bis— her, zur Ausführung deshalb nicht gelangen können, weil die Interessenten in Hannover und Westfalen die Grunderwerbskosten in der geforderten Höhe nicht hätten aufbringen können. Die Provinzen Hannover und Westfalen, die Städte Dortmund und Münster hätten aber 4 815 967 6 d. i. etwa „ der Gesammtkosten aufgebracht; mehr zu leisten seien sie nicht im Stande. Die Regierung sollte fich deshalb damit begnügen und nunmehr an die Ausfuhrung des Kanals herangehen.
Abg. Dr. Natorp bemerkt, daß auf den Rhein-Emskanal die rheinisch-westfälische Bergwerksindustrie ihre letzte Hoffnung setze; größere Leistungen zu übernehmen aber seien die Inter essenten in ihrer gedrückten wirthschaftlichen Lage nicht im Stande. Die gegenwärtige Vorlage möge durch eine Kom— mission von 21 Mitgliedern vorberathen werden.
Abg. von Risselmann erklärt sein volles Einverständniß mit den Vorschlägen bezüglich der Regulirung der untern Oder; den Wünschen der Anwohner, welche in jedem Jahre unter dem Hochwasser zu leiden hätten, sei damit genügt.
(Schluß in der Zweiten Beilage.)
M 121.
Zweite Beilage zum Deutschen Reichs⸗Anzeiger und Königlich
Berlin, Montag, den 7. Mai
Preußischen Staats⸗Anzeiger.
18SS.
(Schluß aus der Ersten Beilage.)
Finanz -Minister Dr. von Scholz erklärt, die Staats— regierung lege das größte Gewicht darauf, daß der Rhein⸗ Ems⸗Kanal zu Stande komme. Nicht zuzugeben sei, daß die Grenze der Leistungsfähigkeit der Interessenten erreicht sei; es stellten sich nur gewisse Schwierigkeiten der weiteren Auf⸗ bringung der Mittel entgegen. Eine einfache Reduktion der geforderten Summe werde wohl nicht möglich sein. Aber vielleicht lasse die Sache sich reguliren, indem man die Kanal⸗ abgaben später so festsetze, daß auch der jetzt nothwendig werdende Zuschuß gedeckt werde.
Abg. Dr. Windthorst widerspricht einer solchen Erhöhung der Kanalabgaben, weil dadurch der Nutzen des Kanals namentlich für die Landwirthschaft beeinträchtigt wurde.
Abg. von Liebermann hält es für bedenklich, die Inter— essenten von allen Beiträgen zu den Grunderwerbskosten bei solchen Verkehrsanlagen freizulassen; aber in diesem Falle dürfe man die Forderungen nicht zu hoch spannen.
Abg. Schmieding betont noch einmal, daß bei der schlechten Lage der Bergwerksindustrie, die durch die Bergwerkssteuer noch besonders belastet sei, die geforderten großen Beiträge nicht zu leisten seien. Man sollte diese Steuer beseitigen oder ihren Ertrag für diese Zwecke verwenden.
Minister der öffentlichen Arbeiten, von Maybach, bittet um baldige Erledigung der Vorlage, damit die Ausführung sofort begonnen werden könne. Üeber den Beitrag zu den Grunderwerbskosten für den Rhein-Ems-⸗Kanal werde sich eine Verständigung wohl erzielen lassen.
Abg. Dr. Hermes ist mit der Regulirung der Spree innerhalb Berlins einverstanden und giebt nur zu erwägen, ob man nicht die am Mühlendamm projektirte Schleuse in die Oberspree verlegen könne, um die Entwicklung eines Dampferverkehrs für Personen auf der Spree zu ermöglichen.
Die Vorlage wird darauf einer Kommission von 21 Mit— gliedern überwiesen. (Schluß des Blattes.)
— Dem Hause der Abgeordneten sind von den Abgg. Dr. Freiherr von Scho rlemer und Genossen nach— stehende Anträge zu dem Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Verbesserung der Oder und der Spree, zugegangen:
Das Haus der Abgeordneten wolle beschließen: ) In dem vorbezeichneten Gesetzentwurfe am Schluß des 5. zuzufügen:
Die Staatsregierung wird ferner 19., unter Abänderung des S3. 1 des Gesetzes vom 9. Juli 1886 (GesetzSamml. S. 207), be⸗ treffend den Bau neuer Schfffahrteékanäle und die Verbesserung vor⸗ handener Schiffahrtsstraßen, ermächtigt,
zur Ausführung der unter Nr. 1 daselbst näher angegebenen Wasserbauten statt 58 100 000 6 die Summe von 59 825 533. , mithin für die im 5§. 1 gedachten sämmtlichen Bauarbeiten statt 71 000 000 6 den Betrag von 72 425 033 S6 zu ver- wenden.
2) Am Schluß des §. 2 zuzufügen:
Mit der Ausführung des Projekts ad IV erst vorzugehen, wenn zu den Kosten des Grunderwerbs ꝛc. aus Interessentenkreifen ein Beitrag von 4 854 967 in rechtsgültiger Form übernommen und sichergestellt ist.
Der Sz. 2 des Gesetzes vom 9. Juli 1855 (Gesetz.Samml. S. 207) wird aufgehoben.
3) Die Ueberschrift, wie folgt, zu fassen:
Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Verbesserung der Oder und der Spree, sowie die Abänderung des Gesetzes vom 9 Juli Jos, betreffend den Bau neuer Schiffahrtskanäle und die Verbesserung vor— handener Schiffahrtsstraßen (Gesetz - Samml. S. 207.
— Gegen belästigende und schädigende Immissionen von Rauch aus dem Schornstein einer Schmledewerkstätte auf ein städtisches Nachbargrundstück hat nach einem Urtheil des Reichsgerichts, V. Civil, vom 3. März d. J., im Geltungsbereich des Preuß. Allg. Landrechts der Nachbar ein Klagerecht auf Beseitigung des Uebelstandes und auf Schadenersatz, selbst wenn der belästigende Schmiedebetrisb für die städtischen Bedürfnisse nützlich bezw. nothwendig ist.
— Der Königliche Gesandte in Karlsruhe, von Eisen— decher, hat einen ihm Allerhöchst bewilligten kurzen Urlaub angetreten.
— Der General-Lieutenant Graf von Alten, General à la suite Sr. Majestät des Kgisers und Königs und Com— mandeur der Garde⸗-Kavallerie-Division, hat sich mit Urlaub auf zehn Tage nach Aussee in der Ober-Steiermark begeben.
— Der Inspecteur der Kriegsschulen, General-Lieutenant Mischke, General-Adjutant Sr. Majestät des Kaisers und Königs, hat eine Dienstreise zur Inspizirung der Kriegsschule in Anklam angetreten.
Baden. Karlsruhe, 4. Mai. (Karlsr. Ztg) Der Erbgroßherzog und die Erbgroßherzogin sind gestern Abend in Genuan eingetroffen. .
Lübeck, 1. Mai. (Wes.⸗Ztg.) In der gestrigen Sitzung der Bürgerschaft wurde zunächst beschloffen, eine Kommission, bestehend aus drei Mitgliedern des Senats und drei Mitgliedern der Bürgerschaft, zu wählen, welche genauere Vorschläge bezüglich der Errich— zung eines Kaiser-Wilhelm-Denkmals machen soll. Der letzte Punkt der Tagesordnung betraf das neu ein- zuführende Vereinsgesetz. Der Senat hatte vor nun— mehr 9 Monaten der Bürgerschaft ein' nach Bremer Muster verfaßtes Vereins- und Versammlungsgesetz vor⸗ gelegt; die Burgerschaft hatte dasselbe dem Bürgerausschuß zu⸗ gewiesen, und hier hat eine Kommission sich Monate lang mit der Vorlage beschäftigt. Im Bürgerausschuß war das Gesetz mit 22 gegen 6 Stimmen angenommen worden. Auch von der Bürgerschaft wurde das Gesetz gestern mit geradezu überwältigender Majorität genehmi t, nachdem nur die eine Aenderung getroffen worden war, daß statt der Vereine, welche eine Einwirkung auf öffentliche „Angelegenheiten bezwecken“, gesagt werde, „politische und sozialistische Vereine“. ;
Oesterreich⸗ Ungarn. Wien, 5. Mai (Wien. Ztg) Im Abgeordnetenhause des Reichsraths gelangte ö der Bericht des sogenannten Mißbilligungs-ÄAussfchuffes anläßlich der Affaire Dr. Su eger-Swöboda zur Erörterung. Nach längerer Debatte wurde der Antrag des Aue schusses, dem Abg. Dr. Lueger wegen seiner Ausfälle auf den Abg. Swoboda die Mißbilligung auszusprechen, angenommen. Sodann, wurde die Debatte über den Voranschlag des Ministeriums für Kultus und Unterricht fortgesezt. Das Abgeordnetenhaus nahm auch die zu dem Budgettitel „Hoch⸗ schulen“ , Resolutionen des Budgetausschusses an, in welchen die Regierung wiederholt dringend aufgefordert wird, an der böhmischen Universität in Prag die theologische Fakultät ehebaldigst zu aktiviren und ein Gebäude für die chemische Lehrkanzel der böhmischen technischen Hochschule ehestens herzustellen. ;
Im Prozeß gegen Schönerer wurde um 10 Uhr Nachts das Urtheil verkündet. Schönerer wurde wegen Verbrechens der öffentlichen Gewaltthätigkeit Und wegen der Uebertretung der Wachebeleidigung zu viermonatigem schweren Kerker, verschärft durch Fast— tage und verbunden mit Adelsverlust, der Stenograph Gerstgrasser wegen des Verbrechens der öffentlichen Gewalt- thätigkeit zu zweimonatigem schweren Kerker verurtheilt.
Frankreich. Paris, 6. Mai. (W. T. B.) Die Patriotenliga, unter dem Vorsitz Déroulsde's, veröffent⸗ licht ein Manifest, in welchem Boulanger als „Führer und Fahnenträger der nationalen Partei“ anerkannt wird und in welchem ferner gegen den Parlamentarismus protestirt und für die Nation das Recht, die Verfassungsrevision vorzu⸗ schreiben, verlangt wird. — Boulanger beabsichtigt am nächsten Sonnabend sich nach Lille zu begeben und dort einem Bankett beizuwohnen.
Die erste Lieferung des Boulanger'schen Buchs „Die deutsche Invasion“, welche in 21 Millionen Exemplaren gratis zur Vertheilung gelangt, enthält einen autographischen Brief Boulangexr's, in welchem er sagt, daß seine Gegner ihn als Kriegsapostel hinstellten, daß aber die unparteiische Lektüre dieses patriotischen Buchs beweifen werde, daß er nur von den höchsten Gefühlen für die Nation inspirirt sei. Es sei sein lebhafter Wunsch, daß dem Lande die furchtbare Geißel eines Krieges noch auf lange Zeit erspart bleiben möge; aber es sei nothwendig, die nationale Vertheidigung zu organisiren, denn die Bestimmungen eines großen Volks seien oft unabhängig von den Wünschen und dem Willen seiner Kinder. Er glaube, der patriotischen Er— ziehung sei besser durch Vorführung von Thatsachen gedient, und deswegen habe er dieses Buch veröffentlicht, in welchem die Vorgänge und die Männer von 1876 mit Ünparteilichkeit studirt und beschrieben seien. Seine Landsleute möchten daraus gute Lehren ziehen.
Marseille, 5. Mai. (W. T. B.) Der Sergeant Chätelain, welcher vom Kriegsgericht schuldig befunden wurde, mit fremden Mächten Verbindungen unterhalten zu haben, um ihnen Waffen und die dazu gehörige Munition auszuliefern, ist zur Einschließung in einem befestigten Platz, zur Degradation und zum Verluͤst des Rechts, die Militär— medaille zu tragen, verurtheilt worden.
Algier, 5. Mai. (W. T. B.) Der König von Schweden, welcher in Philippeville gelandet war, traf gestern Abend in Constantine ein, wo er trotz seinem In⸗ kognito von dem Präfekten und dem Divifions-Commandeur empfangen wurde. Der König reiste heute nach Biskra weiter und wird am Montag hier erwartet.
Rußland und Polen. St. Petersburg, 6. Mai. (W. T. B.) Der „Regierungsbote“ meldet: Im Auftrage seiner Regierung übergab der deutsche Botschafter zur Behändigung an Se. Majestät den Kaiser Rlexander die vom Hochseligen Kaifer Wilhelm hinterlassenen Inu signien des St. Georgs- und Wladimir-Ordens erster Klasse. Hinsichtlich derselben hatte der Hochselige Kaiser die Verfügung getroffen, daß sie Sr. Majestät dem Kaiser von Rußland sofort zurückgestellt werden follten, zum Zeichen der Anerkennung für die Ihm gewordene hohe Aus—⸗ zeichnung. Der „Regierungsbote“ fügt hinzu, dieser Beweis herzlicher Zuneigung für Rußland habe Se. Majestät den Kaiser Alexander tief gerührt.
Italien. Rom, 6. Mai. (W. T. B.) Der König und die Königin mit dem Kronprinzen sind gestern in Bologna eingetroffen und bei der Ankunft auf dem Bahn⸗ hof von den Spitzen der Behörden und dem Konsular⸗Corps empfangen worden. Die zahlreich erschienene Bevölkerung begrüßte das Königliche Paar, welches im Stadthause Wohnung nahm, mit stürmischen Zurufen. Am Abend war die Stadt glänzend illuminirt. Die Eröffnung der Aus— stel lung erfolgt heute 36 .
Die Königin von Serbien begiebt sich demnächst von Florenz nach Baden bei Wien. .
Bologna, 6. Mai. (W. T. B. Die Eröffnung der Ausstellung hat heute Mittag in Gegenwart des Königs, der Königin, des Kronprinzen und ihres Gefolges stattgefunden. Nach der Begrüßungs-Ansprache des Bürgermeisters hielt der Vorsitzende des Ausstellungscomitäs eine Rede, auf welche der Minister-Präsident Erispi und der Handels-Minister Grimaldi antworteten. Der König und die Königin besichtigten darauf die Ausstellungsräume. Ihre Majestäten wurden bei der Fahrt durch die festlich geschmückten Straßen auf dem Hin- und Herwege mit enthusiastischen Zurufen begrüßt.
Mailand, 6. Mai. (W. T. 83 Der Kaiser von Brasilien, welcher sich seit dem 29. v. M. hier aufhält, war in den letzten beiden Tagen von einer leichten Unpäß— lichkeit befallen, befindet sich aber wieder besser und hat eine ruhige und gute Nacht gehabt. Die Gerüchte von einer ernst— lichen Erkrankung desselben sind unbegründet.
Türkei. Kon stantinopel, 7. Mai. 6. T. B.) Da es dem armenisch⸗-katholischen Patriarchen zarian gelungen ist, eine Wiederaussöhnung der Armenier mit den
sogenannten Antihas sunist en herbeizuführen, verlas der⸗ selbe in Anwesenheit zahlreicher Kirchengenossen ein Reskript, in welchem die Wiederaussöhnung feierlich bekräftigt wird.
Zeitungsstimmen.
Das „Deutsche Wochenblatt“ beschäftigt sich mit dem Kartell und widerlegt Befürchtungen, welche hinsichtlich des Bestandes desselben gehegt würden, in folgender a
Es besteht aber trotzdem eine einheitliche Grundauffassung bei allen Gliedern der drei nationalen Parteien, und diese ist es, die' das Bündniß derselben um so fester gestaltet, als alle Parteien außerhalb des Kartells in mehr oder minder schroffem Gegensaßz zu dieser Grund auffassung sich befinden. Das Ueberwiegen des nationalen Bewußtseins über alle Interessen des politischen und wirthschaftlichen Lebens muß das einigende Band und zugleich die trennende Grenze für unsere politi⸗ schen Parteibestrebungen sein. Das unbedingte Eintreten für die starke Monarchie im Gegensatz zu einem parlamentarischen Schatten— Königthum, die entschiedenste Bekampfung fowohl der sozialistischen Umsturzpartei, als des manchesterlichen Ausberterthums und die Förderung des großen Werks der soßialen Reform — das sind, wie sehr auch die Ansichten im Einzelnen auseinandergehen, doch die großen gemeinsamen Ausgangspunkte für alle Bestrebungen der drei nationalen Parteien. Bei einer solchen gemeinsamen Grund⸗ lage ist ein Zusammengehen in allen Fragen von ausschlag⸗ gebender Bedeutung nahezu selbstverständlich, eine volle Ver⸗ schmelzung der drei Parteien aber wird Riemand fordern, und eben deshalb wird ein gelegentliches Auseinandergehen in Nebenfragen die Festigkeit des Karkells wenig berühren. Nur aus taktischen Gründen muß ein solches Auseinandergehen auf möglichst feltene Fälle be— schränkt bleiben und überall da vermieden werden, wo eine Einigung der nationalen Parteien herbeigeführt werden kann. Aus diefem Grunde haben wir das Vorgehen der konservativen Partei bei der dritten Lesung des Volksschullastengefetzes bedauert, der Schaden indessen, der hierdurch thatsächlich angerichtet wurde, ist weniger erheblich als die gegenseitige Erbitterung, welche die Preßerörterungen über diese Vorgänge zur Folge haben müssen. Eine Klarstellung des Sachverhalts, ein Hinweis auf die bei Wiederholun— gen drohenden Gefahren mußte genügen. Die entstandene Kluft darf nicht durch Preßzezänk erweitert, sondern muß so schnell wie möglich überbrückt werden... Es ist dringend geboten, daß hüben und drüben der kleinliche Fraktionsstandvunkt den großen politischen und nationalen Bedürfnissen gegenüber in den Hinkergrund tritt. Allem Anschein nach gehen wir einer Zeit schwerer politischer Kämpfe ent- gegen; halten wir unser Pulver trocken, statt es untereinander zu ver⸗ schwenden.
— Der „Reichsbote“ enthält folgenden Artikel: Vom Konkurrenzgebiet“:
Es ist sehr begreiflich, daß man sich in neuerer Zeit von „volks— wirthschaftlicher Seite besonders angelegentlich mit den Verhält- nissen und wirthschaftlichen Beziehungen der Vereinigten Staaten von Nord-Amerika beschäftigt, obgleich das Triumphgefchrei, daß dort der „Freihandel! im Aufsteigen begriffen sei, nach und nach ver⸗ stummt. Die Kommission des Kongresses, welche berathen soll, in welcher Weise die Anschwellung des Staatsfchatzes der Ünion einigermaßen gemäßigt werden soll, ist ebenfalls zu weiter nichts als zum Vorschlag der Beseitigung des Wolljolls ge⸗ kommen. Mit dieser Beseitigung, bez. Ermäßigung wird aber that— sächlich nur bezweckt, für die überflüssig werdende amerikanische Eisen⸗ industrie ein Konkurrenzgebiet gegen die europäische Industrie in Süd— Amerika zu gewinnen. Aber so mächtige Intereffen dafür in Frage kommen, so stark sind auch diejenigen, welche den Wollschuß vertreten. Denn es sind neben den Farmern großkapftalistische und . schaftseinflüsse, welche sich geltend zu machen wisfen und es ist 'schon jetzt ziemlich sicher, daß die „große Aktion“, welche angeblich durch die Botschaft des Präsidenten in der Zoll und Finanzfrage eröffnet werden sollte, im Sand verlaufen wird.
Weit wichtiger als die „Stumps“ der amerikanischen Politiker ist aber die thatsächliche Entwickelung der industriellen und Handels⸗ verhältnisse der Vereinigten Staaten in ihrer Beziehung zum engli⸗— schen und überhaupt zum europäischen Kapitalismus und zur Stellung, welche der letztere zwischen der Konkurrenz der amerikanischen gegen die europäische Industrie einnimmt.
Diese Konkurrenz der amerikanischen Industrie ist freilich zunächst nur eine begrenzte, indem sie sich nicht sonderlich weit über die Grenzen der Vereinigten Staaten selbst hinaus erstreckt. Aber sie erstreckt sich doch bereits darüber hinaus; und es wäre dies noch nicht einmal nöthig, um die europäische Industrie zu berechtigen, ÜUnruhe über jene zu empfinden. .
Seit langer Zeit waren die Vereinigten Staaten das wichtigste Absatzgebiet der europäischen Industrie, auch der deutschen; wenn auch nicht immer ein erfreuliches und oft von Krisen mit großem Verlust für die betreffenden Industriezweige erschüttert. Die englische In⸗ Dustrie aber setzt noch jetzt das große Drittel ihrer Ausfuhr in den Vereinigten Staaten ab. .
Trotz eines verhältnißmäßigen Zurückbleibens der englischen Einfuhr in den Vereinigten Staaten gegen diejenige der übrigen europäischen Länder macht dieselbe doch noch fast die Hälfte der amerikanischen Gesammteinfuhr aus, und die englische Schiffahrt besorgt weitaus den größten Theil des internationalen Handels der Vereinigten Staaten. Allein man sieht in England bereits eine Veränderung dieses Verhältnisses mit großer Besorgniß. .
Der amerikanische Bedarf an Industrieerzeugnissen aller Art ist noch im stärksten Anwachsen. Aber die Ausfuhr dahin ist nicht entfernt in gleichem Maße gewachsen. Das große Konsumgebiet hat sich Jahr um Jahr vergrößert, aber für die großen industriellen Produktionsgebiete hat es sich nicht entfernt in gleichem Umfang ge⸗ . Umsomehr wird es bedenklich, daß auch die Ausfuhr von In⸗ dustrieerzeugnissen aus den Vereinigten Staaten merklich zu werden beginnt. Abgleich im Fahre 1887 der eigene Eisenverbrauch in den Vereinigten Staaten ungeheuer war und obgleich sich infolge dessen die europäische Ausfuhr dahin noch gehoben hatte, betrug doch bereits die industrielle Ausfuhr der Vereinigten Staaten über 60 Millionen Dollars; und s ist klar, daß dieselbe da, wohin sie ging, der europäischen Ausfuhr ⸗ Industrie entsprechende Absatzgebiete entriß.
Die Bedenklichkeit dieses Verhältnises ist, wie gesagt, klar, da man auch in Europa kein höheres wirthschaftliches Ideal“ kennt, als dasjenige, -den Export zu heben“ und da wenigstens die englische Industrie thatsächlich ohne Export gar nicht mehr bestehen kann. Eine Vertiefung der ohnehin vorhandenen Krisis ist damit ohne Zweifel, sehr nahe gelegt und dieselbe wird sicher nicht erleichtert durch die Seltsamkeiten, in welchen sich die wirthschaftlichen Berather der Nationen‘ diesen Verhältnissen gegenüber ergehen. .
Einer der meistgengnnten publizistischen Vertreter des Manchester⸗ thums hat nach dieser Richtung hin jüngst behauptet, daß die Kon kurrenz der Vereinigten Staaten gegen die europäische Industrie hauptsächlich durch die großen europaäͤischen Aufwendungen für Kriegs · zwecke verursacht würde; und diese Naivetät wird eifrigst durch die liberalen Blätter verbreitet. Man mag nun eine Stellung, welche