und fuhren im Schritt unter dem stürmischen Jubel der zahllosen Menschenmenge durch die Stadt nach dem Schlosse. Im ersten agen saß Ihre Königliche Hoheit die Prinzessin-Braut mit Ihrer Majestät der Königin Olga; neben dem Wagen ritt rechts Se. Ma— tat der König Georg, links Se. Königliche Hoheit er Kronprinz von Griechenland; im zweiten Wagen fuhren Ihre Majestät die Kaiserin Friedrich, Ihre Majestät die Königin von Dänemart und Se. Königliche Hoheit der Prinz von Wales; dann folgte der Wagenzug mit den anderen Höchsten und Hohen Herrschaften. Dem Zuge voran und hinterher ritt Kavallerie. Das Musikcorps der auf dem Bahnhof auf⸗ estellten Ehrencompagnie intonirte die preußische Volkshymne. ie Spitzen der Civil- und Militärbehörden waren am Bahn⸗ hof anwesend. Im Schlosse erschien die Prinzessin⸗-Braut . auf dem Balkon und winkte der endlos jubelnden enge zu.
Der Staatssekretär, Staats⸗Minister Graf Bismarck, der Ober⸗Hof⸗ und Hausmarschall von Liebenau, der Ober—⸗ Hofprediger D. Kögel und die anderen zum Gefolge Sr. Majestät des Kaisers und Ihrer Majestät der Kaiserin gehörigen Herren sind gestern Nachmittag in Athen eingetroffen.
— Auf Veranlassung der Königlichen Gesandtschaft für Portugal wird am Donnerstag, den 31. Oktober, Vormittags 10 Uhr, ein Trauergottesdienst für weiland Se. Majestät den König Ludwig von Portugal abgehalten
— Die im Reichs-Eisenbahnamt aufgestellte, in der Ersten und Zweiten Beilage des Reichs und Staats-An— zeigers enthaltene Uebersicht der Betriebsergebnisse deutscher Eisenbahnen für den Monat September d. J. ergiebt für die 73 Bahnen, welche auch schon im entsprechenden Monat des Vorjahres im Betrieb waren und zur Vergleichung . en werden konnten, mit einer Gesammtbetriebslaͤnge von
5 120,32 km, Folgendes: Im September d. J. war die Ein— nahme aus allen Verkehrszweigen auf ein Kilometer Betriebslänge bei 57 Bahnen mit zusammen 34 121,90 km höher und bei 16 Bahnen mit zusammen 99842 kin (darunter 1 Bahn mit vermehrter Betriebalange) niedriger als in dem⸗ selben Monat des Vorjahres. In der Zeit vom Beginn des Etatsjahres bis Ende September d. J. war dieselbe auf ein Kilometer Betriebslänge bei 65 Bahnen mit zusammen 34245, 14 km höher und bei 8 Bahnen mit zusammen S75, I8 km . als in demselben Zeitraum des Vorjahres. Bei den unter Staatsverwaltung stehenden Privat—⸗ bahnen, ausschließlich der vom Staat für eigene Rechnung verwalteten Bahnen, betrug Ende September d. J. das ge⸗ sammte konzessionirte . 22 860 000 MM (l5 405 100 166 Stammaktien, 2 451 900 MS Prioritäts⸗-Stamm— aktien und 5 000 00S Prioritäts-Obligationen), und die Länge ö Strecken, für welche das Kapital bestimmt ist, 16,83 kim, sodaß auf je 1“ Em 195 669 * 6 entfallen. Bei den unter Privatverwaltung stehenden Privat— bahnen betrug Ende September d. J. das gesammte konzessio⸗ nirte Anlagekapital 593 917 529 6 (305 516 550 MM Stammaktien, 79 381 650 S9. Prioritäts⸗Stammaktien und 209 014 329 MS. Prioritäts⸗-Obligationen, und die Länge derjenigen Strecken, für welche dies Kapital bestimmt ist, 3837,95 km, sodaß auf je 1 km 154 747 υU entfallen. Eröffnet wurden am 3. September die über Langerfeld führende Anfangsstrecke der Linie kö nach Rons⸗ dorf 2.45 km (Königliche Eisenbahn⸗Direkrion zu Elberfeld), am 18. September Danzig (Olivaer Thor) nach dem Weichsel⸗ ufer bei Neufahrwasser 44 km (Königliche Eisenbahn⸗Direk— tion zu Bromberg). Außer Betrieb gesetzt wurde am 3. Sep— tember d. J. die bisherige Anfangsstrecke von Barmen⸗ Rittershausen nach Ronsdorf in einer Länge von 2,03 km (Königliche Eisenbahn⸗Direktion zu Elberfeld).
— Der Herzoglich sachsen⸗coburg und gothaische Bevoll⸗ mächtigte zum Bundesrath, Staats⸗Minister Br. von Bonin, ist von hier abgereist.
Bayern. München, 26. Oktober. (W. T. B.) Se. Königliche Hoheit der Prinz-Regent überwies anläßlich des 50jährigen Jubiläums seiner Inhaberschaft des ersten Feld-Artillerie-Regiments 20 000 MS zu einer Stiftung für Offiziere und Unteroffiziere.
Der von der Abgeordneten kammer zur Vorberathung der Vorlage über die Abänderung des Malzaufschlags ge⸗ wählte Spezialaus schuß nahm den Antrag des Abgeordneten Soden an; bei Brauereien mit einem jährlichen Malzverbrauch bis zu 2000 hl nur 5 M pro Hektoliter und bei Brauereien mit einem jährlichen Malzverbrauch bis zu 10000 hl den bisher für alle Brauereien gültig gewesenen Steuer⸗ satz von 6 S6 pro Hektoliter zu erheben. Ferner ich der Ausschuß mit 13 gegen 7 Stimmen den
orschlag des Regierungsentwurfs gut, wonach Brauereien mit einem jährlichen Malzverbrauch bis zu 40 0600 hl 61 M und mit noch größerem Malzverbrauch i / z S6 pro Hektoliter u bezahlen haben. Alsdann genehmigte der Ausschuß ein— fund die fortdauernde Erhebung des Malzaufschlags in der beschlossenen Höhe an Stelle der alljährlichen Neu⸗ Festsetzung und nahm schließlich das ganze Gesetz mit allen gegen 3 Stimmen an.
Württemberg. Ludwigsburg, 24. Oktober. Die KLudw, Ztg.“ veröffentlicht folgendes Handschreiben Sr. Königlichen Hoheit des Prinzen Wilhelm:
Martenwahl, 23. Oktober 1389. Lieber Herr Ober-Bürger⸗ meister! Ich glaube meinem Danke gegen Gott, der mein geliebtes Kind, wie mich selbst aus drohender Gefahr gnädig errettet und ung so sichtbar Seinen Schutz gewährte, keinen befferen Ausdruck verleihen zu können, als daß ich der Armen und Noihleidenden gedenke. Daher bitte ich Sie, die beiliegende Summe nach eigenem Er⸗ messen unter den ärmsten Familien der Stadt zur Vertheilung zu bringen. Damit möchte ich auch noch ganz besonders bekunden, wie ich neben dem Danke gegen Gott in Dankbarkeit der Stadt anhange, die mir zur Heimath geworden und in der ich so viele Bewelfe rührender und herzerfreuender Anhänglichkeit und Liebe in allen Ge⸗ schicken meines Lebens und so auch jüngst wieder erfahren durfte. Gewiß fühle ich mich mit ihr nur um so enger und wärmer verbunden durch die gemeinsam gemachte herbe . Mit den aufrich⸗ tigsten und ergebensten . lieber Herr Ober · Bürgermeister, getreulichst Ihr Wilhelm, Prinz von Württemberg.
Indem ich vorstebendes gnärigstes Handschreiben zur öffentlichen Kenntniß bringe, verbinde ich damit — zugleich im Namen der mit der reichen Gabe von Eintausend Maik bedachten Armen, aber auch zugleich im Namen der mit der Versicherung der huldvollsten Ge— sinnungen beschenkten gesammten Einwohnerschaft — auch den öffent⸗
lichen Ausdruck des tiefgefühltesten und ehrerbietigsten Dankes an Se. Königliche Hoheit Prinz Wilhelm von Württemberg. Ober ⸗Bürger · meister Abel.
Baden. Karlsruhe, 25. Oktober. (W. T. B.) Bei den heutigen heiden Landtagswahlen wurden 2 Liberale (wie bisher) gewählt. Damit sind die Ergän⸗ zungswahlen zum Landtage nunmehr abgeschlossen. Für zwei noch erforderliche Ersatzwahlen ist noch kein Termin anberaumt worden.
Mecklenburg⸗ Schwerin. Ludwigslust, 25. Oktober. Ueber das Befinden Sr. Königlichen Hoheit des Groß⸗ hberzogs erhalten die „Meckl. Nachr.“ folgende Mittheilung: Obwohl nach dem Ausspruche des Professors Gerhard der Lungenkatarrh Sr. Königlichen Hoheit des Großherzogs sich auf dem Wege langsamer Besserung befindet, so ist unter den jetzigen Temperaturverhältnissen auf eine vollständige Be⸗ seitigung desselben nicht zu rechnen, vielmehr die Befürchtung eines Rückfalls vorhanden. Professor Gerhard hat deshalb den Rath ertheilt, Se. Königliche Hoheit der Großherzog möge, sobald das allgemeine Befinden die Reise gestatte, den ge⸗ wohnten Winteraufenthalt in Cannes aufsuchen und sich den klimatischen Verhältnissen, die diesen Unfall veranlaßten, so bald wie möglich entziehen. Da das Wetter andauernd schlecht ist und in Folge dessen die Besserung im Befinden Sr. Kbnig⸗ lichen Hoheit des Großherzogs nur sehr langsam fortschreitet, der Zustand mithin immer noch ein besorgnißerregender ist, . der 9 sich entschlossen, dem Rath der Aerzte zu olgen, und wird Sonnabend Abend von Ludwigslust abreisen. Heute war Se. Königliche Hoheit einige Stunden in Schwerin anwesend, um die letzten Geschäfte zu erledigen. Gleichzeitig mit den Allerhöchsten Herrschaften reist Ihre ,. Hoheit die Großfürstin Wladimir nach Tannes.
Braunschweig. Braunschw eig, 24. Oktober. (Hann. Cour.) Von den einzelnen Wahlvorstehern werden jetzt, nach— dem die Wahlmännerwahlen stattgefunden 1 aben, die Land⸗ tagswahlen ausgeschrieben. Dieselben finden sämmtlich an zwei Tagen statt, nämlich am 31. Oktober und 7. November. Seitens der Stadt- und Landgemeinden sind am 31. Oktober, Seitens der Höchsthesteuerten ꝛc. am J. November die Ver⸗ treter zu wählen; erstere sind in der Landesversammlung durch 22, letztere durch 24 Personen vertreten.
Oesterreich⸗ Ungarn. Wien, 26. Oktober. (W. T. B.) Der Pxinz Ferdinand von Eoburg ist, von München kommend, hier eingetroffen und in dem coburgischen Palais abgestiegen. Dem Vernehmen nach wird der Prinz einige Tage hier verbleiben. Die Herzogin Clementine von Coburg ist gestern aus Ebenthal hier angekommen.
Nach einer Meldung der „Presse“ wird in kurzer Zeit jene Kommission zur Aufnahme ihrer Thätigkeit ein— gesetzt werden, welche in dem zwischen Oesterreich und Ungarn abgeschlossenen Zoll- und Handelsbündniß vorgesehen ist zu dem Zwecke, jene vorbereitenden Maßregeln zu be— rathen, die nothwendig erscheinen,, um beim Vorhandensein einer günstigen finanziellen Lage die Herstellung der Baarzahlung in der Monarchie zu ermöglichen.
9 der gestrigen Generalsitzung der helvetisch-evan—⸗
elischen Synode murde mit 11 gegen 10 Stimmen be— Eis sck über den böhmischen Verfassun e sentwurf, durch welchen Böhmen und Mähren eine selbständige reformirte Verfassung ertheilt werden sollte, zur motivirten Tagesordnung über— zugehen. Der Vize-Präsident Schack begründete den Antrag auf Uebergang zur Tagesordnung damit, daß in dem böh— mischen Verfassungsentwurfe eine Verkürzung der Majestäts— rechte vorliege.
Bu da pest, 26. Oktober. (W. T. B.) In der gestrigen Sitzung des Finanzausschusses erklärte der Ackerbau— Minister, Graf Szapary, daß die Regierung wegen der Auf— hebung des deutschen Schweine-Einfuhrverbotes die nöthigen Schritte gethan habe. Eine Hauptbedingung für die Aufhebung des Verbotes sei, daß die Steinbrucher Borsten⸗ viehmärkte seuchenfrei blieben. Dies sei bis jetzt gelungen, wodurch die inzwischen eingetretenen Erleichterungen ermöglicht worden wären. Die Regierung werde in dieser Richtung auch ferner das ihrige thun.
Heute brachte der Abgeordnete Iranyi im Unterhause den Antrag, ein, den Minister für Landesoertheidigung
(sjervaäry in Anklagezustand zu versetzen. In der itzung vom 6. November wird er seinen Antrag motiviren.
Großbritannien und Irland. London, 25. Oktober. (W. T. B), Die Gesandtschaft des Sultans von Zangihgr ist heute hier eingetroffen und hat im „Alexandra— . Wohnung genommen. Die Gesandtschaft sprach im
aufe des Nachmittags in Begleitung des großbritannischen Konsuls in Zanzibar, Evan Smith, im Auswärtigen Amt vor. Konsul Smith führte die Gesandten bei Lord Salisbury ein, der sich etwa eine Viertelstunde mit ihnen unterhielt. Morgen folgt ein Besuch des Schlosses Windfor, und am Dienstag fährt die Gesandtschaft zur Audienz bei der Königin nach Schloß Balmoral.
Lord Salisbury erklärt gegenüber den Gerüchten von Gewaltthätigkeiten auf der Insel Kreta: der dortige englische Konsul habe verschiedene Plätze der Insel besucht, um sich über den gegenwärtigen Stand der Verhält⸗ nisse zu informiren. Das Ergebniß seiner Nachforschungen zeige, daß die von den Blättern gebrachten Nachrichten stäark übertrieben und die Gerüchte über Vergewaltigung von Frauen ganz unbegründet sind. Der Gouverneur macht , n. um jede Art von Ausschreitung zu ver⸗
indern.
Bei der in Brighton stattgehabten Deputirten⸗ Nachwahl wurde Lo der (konservatiry mit 7132 Stimmen gewählt, Sein Gegenkandidat Sir Robert Peel (liberal) er⸗ hielt 4625 Stimmen.
Schweiz. Bern, 25. Oktober. Der „Bund“ schreibt: „Wie wir vernehmen, waren in die Untersuchung, betreffend das Anarchisten⸗Manifest, außer den drei Individuen, welche den Bundesassisen überwiesen werden sollen, fünf weitere Anarchisten verwickelt, die man indeß laufen ließ. Sie erschienen nicht derart belastet, daß man sie strafgerichtlich
ätte perfolgen können. Immerhin haben sich auch die fünf bei der
eschichte kompromittirt, und der Bundesrath würde wohl kaum zögern, sie auszuweisen, wenn nicht das Schweizer— bürgerrecht sie davor schützte. Die drei Anarchisten, die gemäß dem Anträge des Bundesanwaltes und des Unter⸗
suchungsrichters vor die Bundesassisen gestellt werden sollen, sind nicht verhaftet. Man nimmt an, sie werden sich der gerichtlichen Verhandlung und Aburtheilung nicht entziehen.“
Türkei. Konstantinopel, 26. Oktober. (W. T. B.) Der Sultan hat bestimmt, daß Marschall Ali Nizami Pascha, der Präsident des Staatsraths Aagrifi Pascha, der Unterrichts ⸗Minister Münif Pascha, die Generale Achmed Pascha, von der Goltz und Strecker Pascha Ihren Majestäten dem Kaiser Wilhelm und der Kalserin Augusta Victoria bis zur Insel Tenedos ent— gegenfahren. In der Entsendung Strecker Paschas erblickt man hier eine besondere Aufmerksamkeit des Sultans für den Kaiser Wilhelm, da General Strecker auch im Jahre 1869 dem damaligen Kronprinzen, nach⸗ maligen Kaiser Friedrich, bei dessen Anwesenheit in der türkischen Hauptstadt zugetheilt war. Die deutsche Kolonie nahm gestern eine von Julius Grosser und Musteschar Horn versaßte, Sr. Majestät dem Kaiser zu überreichende Adresse einstimmig an und beschloß, dem Kaiser mit drei Schiffen bis nach San Stefano entgegenzufahren und zu Ehren der dienstfreien Herren des Kaiserlichen Gefolges und der Marine— offiziere ein großes Diner, sowie am folgenden Tage einen Kommers zu veranstalten.
Dänemark. Kopenhagen, 25. Oktober. (W. T. B.) In der heutigen Sitzung des Folkethings beantragte der Abg. von Holstein⸗Ledreborg, das provisorische, ohne Ge— nehmigung des Reichstages erlassene Budget an einen Aus— schuß zu verweisen. Der Abg. Berg beantragte ein Miß⸗ trauensUvotum gegen das Ministerium. Der Antrag Berg's wurde jedoch mit 64 gegen 11 Stimmen abgelehnt.
Asien. Japan. Yokohama, 25. Oktober. (W. T. B.) Das japanische Kabinet hat seine Entlassung gegeben.
Afrika. Egypten. Kairo, 25. Oktober. (R. B.) Der Ueberschuß der Staats-Einnahmen beträgt gegen wärtig S620 900 Pfd. Sterl., übersteigt mithin den Ueberschuß des Vorjahres um mehr als 100 900 Pfund.
— Aus Zanzibar vom heutigen Tage meldet, W. T. B.“:
Von den Banden, mit welchen Buschiri die Landschaft Usaram a verwüstet hat, sind in den Kämpfen mit den dortigen Eingeborenen und der deut schen Schutztruppe 7oß Mann er= schlagen. Auf Seiten der Schutztruppe beträgt der Verlust 7 Mann, darunter kein Europäer.
Parlamentarische Nachrichten.
Dem Reichstage sind folgende Anträge zugegangen:
Von der sozigldemotratischen Partei ein Ankrag des Abg. Bebel und Genossen, welcher die Aufhebung der Zölle auf Getreide, Hülsenfrüchte, Material- und Spezereiwaaren, Butter, frisches und zubereitetes Fleisch, Geflügel, Wild, Extrakte ꝛc., für gesalzene Heringe, Oel, Schmalz, Stearin, thierische Produkte, lebendes Zug und Schlachtvieh zum 1. April 1890 verlangt.
Von der deutschfreisinnigen Partei ein Antrag der Abgg. Munckel und Lerche: die verbündeten Regierungen zu ersuchen, dem Reichstage einen Gesetzentwurf, betreffend die Einführung der Verpflichtung des Staats zur Vergütung des durch unschuldig er⸗ littenen Strafvollzug entstandenen Schadens, zur verfassungsmäßigen Beschlußfassung vorzulegen.
Weitere „Parlamentarische Nachrichten“ (der neue Gesetz⸗ entwurf über Bekämpfung der sozialdemokratischen Umsturjz⸗ bestrebungen und ein Auszug aus dem Rechenschaftsbericht über die Ausführung des bisherigen Gesetzes) befinden sich in der Ersten bezw. Zweiten Beilage.
Seitungsstimmen.
Der neue dem Reichstage , Gesetzentwurf zur Bekämpfung der gemmeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie (dessen Wortlaut wir unter „Par⸗ lamentarische Nachrichten in der Beilage bringen) findet in er. Berliner Politischen Nachrichten“ folgende Be—⸗ euchtung:
„Der Gedanke, das Sozialistengesetz anstatt auf bestimmte, regel⸗ mäßig kurze Frist zu bemessen, so zu gesftalten, daß es in Kraft bleibt, bis es durch einen Akt der Gesetzgebung aufgehoben wird, beraht keineswegs auf der Annahme, daß das Sozialistengesetz die sozial⸗ demokratischen Verirrungen heilen solle. Eine solche Er⸗ wartung ist niemals gehegt worden, vielmehr ist die Heilung der von den sozialdemokratischen Anschauungen ergriffenen Kreise immer nur von einer positiven Sozialreform im Inter sse der Wohlfahrt der arbeitenden Bevölkerung erwartet worden, zu welcher in der Kranken⸗, Unfall“, sowie in der Alters. und In⸗ validen versicherung bedeutungsvolle Bausteine geliefert sind. Bas Sozialistengesetz hat von Anfang an nur den doppelten Zweck ver⸗ folgt, die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung zu sichern und die Verbreitung der Sozialdemokratie über die eigentlichen Infektionsheerde hinaus mechanisch zu hindern. Wer sich der auf— reizenden Agitationsthätigkeit eines Most, Hasselmann, Bebel, Liebknecht und insbesondere ihrer vor Erlaß des Sozialisten⸗ gesetzes in Berlin gehaltenen Brandreden erinnert, wird an erkennen, daß damals die Gefahr schwerer Ruhestörungen und selbst blutiger Auftritte keineswegs abzuweisen war. Ebenso wird Derjenige, welcher der Anfänge eifriger und erfolgreicher Propaganda unter der Landbevölkerung, namentlich in der näͤchsten Nachbarfchaft der Großstädte, sich erinnert, die Dringlichkeit des Schutzes der noch gesunden Theile der Bevölkerung vor Änsteckung nicht bestreiten. Nach beiden Richtungen hat das , ,. den gehegten Er⸗ wartungen durchaus entsprochen. Die öffentliche Ruhe und Ordnung ist, erhalten worden und die Sozialdemokratie ist auf jene begrenzten Distrikte beschränlt geblieben, in welchen sie festen Fuß zu fassen vermocht hatte. Hier wird es einer langdauernden Zeit wirkung der positiven Sozialreform auf der Grundlage des praktischen Christenthums bedürfen, bis die Sozialdemokratie überwunden ist. Bis dahin bedarf et zweifelsohne besonderer Abwehrmittel, wenn anders die nämlichen Gefahren, zu deren Verhütung das Sozialistengesetz er⸗ lassen ist, nicht wieder herantreten sollen. Wird hiernach auf absehbare Zeit der außerordentlichen Vollmacht des Sozialistengesetzes nicht zu ent⸗ rathen sein, so ist es klar, daß die Beibehaltung des Systems der Be⸗ schraͤnkung der Geltungsdauer auf feste kurz emessene Fristen die Nothwendigkeit wiederholter Verlängerung dieser Frist in sich schließen und daher auf lange Zeit die Fortdauer derjenigen schweren Miß stände bedeuten würde, welche nach der bisherigen Erfahrung mit der jeweiligen Verlängerung des Sozialistengesetzes verknüpft sind. Wer sich der Reichtztagßverhandlungen aus diesen Anlässen erinnert und sich vergegenwärtigt, wie dabei nicht bloß von den Sozialdemokraten, sondern auch von allen Oppositionsparteien alle Register der Auf⸗ reijung und Verhetzung gezogen wurden, kann darüber nicht zweifel haft sein, daß diese Verhandlungen immer auf's Neue wieder tiefe Be⸗ unruhigung in die von den sozialdemokratischen Irrlehren berührte Masse tragen, und sie so den letzteren weiter zugänglich, den Heil⸗ mitteln der Sozialreform unzugänglicher machen. Die Verhandlungen über die Verlängerung des Sozialistengesetzes haben so erfahrungs⸗
gemäß gerade der Wirksamkeit des Sozialistengesetzes entgegenwirkt; sie sind aber auch geeignet, den Heilungsprozeß empfindlich zu verlang⸗ samen und so den Zeitpunkt hina uszuschieben, mit welchem außerordent liche Gebrauchsmittes zu entbehren sind. Die Beseitigung der kurzen Fristen empfiehlt sich daher sowohl unter dem Gesichts punkte voller Wirkfamkeit des Ausnahmegesetzes als unter dem der Beschleunigung der Ueber⸗ windung der Sozialdemokratie. Daß die verbündeten Regierungen, wenn dieser Zeitpunkt gekommen sein wird, nicht die Hand zur AÄuf⸗ hebung des Sozialistengesetzes bieten sollten, ist eine Unterstellung, welche wohl auf deutschfreisinniger und sozialdemokratischer Seite denkbar ist, welche aber bei ruhig und verständig denkenden Menschen keinen Platz finden kann. So sprechen denn alle sachlichen Gründe für die Beseitigung der festen Frist für die Geltungsdauer des Sozialistengesetz es.
Ueber die gestern erwähnten, im Reichstage eingebrachten freisinnigen Anträge bemerkt die „Deutsche volks⸗ wirthschaftliche Correspondenz“:
„Bei dem Antrage wegen Aufhebung des Schweineeinfuhrverbots handelt es sich um Fortsetzung der bereits seit Wochen betriebenen Hetze, welche wir sofort als Wahlmanöver gekennzeichnet haben. Daß beispielsweise im Verkehr mit Oesterreich⸗Angarn eine An⸗ steckungsgefahr bestand, bewies die Maßregel der galizischen Statt⸗ halterei, welche die Einfuhr von Schweinen, Rindvieh, Schafen und Ziegen von Ungarn nach Galizien neuerdings unterfagte; der Reichtkanzler hat, indem er das Schweineeinfuhrverbot er— ließ, zweifellos im Sinne der am 26. Februar 1886 vom Reichstage beschlossenen Resolution gehandelt: ‚Der Reichskanzler möge auf Grund der im Viehseuchengesetze ihm beigelegten Kompetenz dafür Sorge tragen, daß die Vorsichtsmaßregeln bei der Vieheinfubr in ein richtiges Verhältniß zu den auf die Verminderung von Vieh— seuchen gerichteten wo hlberechtigten strengen gesetzlichen Be⸗ stimmungen im Inlande gebracht werden.“ Es ist nicht der mindeste Grund vorhanden, daran zu zweifeln, daß, sobald die Verhaäͤltnisse die Aufhebung des Schweineeinfuhrverbots irgendwo gestatten, die Auf⸗ hebung desselben erfolgen wird; der Antrag kann daher nur agita— torische resp. Wahlzwecke verfolgen.
In Betreff der Aufhebung des obligatorischen Arbeitsbuches be⸗ ruft sich die freisinnige Partei auf die Gewerbe ⸗ Ordnung, wofelbst unseres Wissens eine Bestimmung über diesen Gegenstand nicht vor— handen ist. Derselbe findet Erwähnung in §. 84 des Prenußischen Berggesetzes vom 24. Juni 1865. Auch hier kommt nur ein Wahl mansver in Betracht.“
Ueber den freisinnigen Antrag betreffs des Reichstags⸗ wahlxrechts bemerkt die „Kölnische Zeitung“:
Die Deutschfreisinnigen haben soeben einen Gesetzentwurf über das Reichstagzwahlrecht eingereicht, der sehr geeignet ist, von dem deutschen Volke, von der Selbstbeherrschung seiner gebildeten und be sitzenden Klassen, von dem Unabhängigkeitssinn seiner Massen irrige und beleidigende Vorstellungen zu erwecken. Man kann über unsere . Sitten sehr verschieden urtheilen, jedenfalls sind unsere
ahlzustände im Vergleich zu den Verhältnissen der meisten parla⸗ mentarisch regierten Länder von einer naiven und gesunden Harm— losigkeit und Unschuld. Man braucht seinen Blick nicht nach Ga⸗ lizien, Ungarn, Rumänien, Serbien oder gar bis nach Amerika schweifen zu lassen, man braucht sich nur der englischen und französischen Wahlgepflogenheit zu erinnern, um, von vereinzelten Vorkommnissen abgesehen. Deutschland als eine grünende und blühende Dase der Wahlfreiheit erscheinen zu lassen. Und nun tritt diejenige Partei, in welcher die tꝛrroristische Ader und die Denunziationswuth am stärksten entwickelt ist, auf den Plan und unternimmt es, das deutsche Volk gegen die Folgen seiner Feigheit und des Uebermuths der besitzenden Kiassen zu schützen. Es galt bisher für einen Vorzug des Reichstagswahlrechts, daß sich im Gegensatz zu dem verwickelten Formelkram der Landtagswahlen das ahlgeschäft höchst einfach und in kürzester Frist abwickelte. Wenn es nach den Deutschfreisinnigen ginge, würde das künftig anders werden. Die Wähler sollen zunächst einzeln im Gänsemarsch durch einen der Be⸗ obachtung unzugänglichen ‚aum, eine Art Angstkammer. welche die Deutschfreisinnigen sich wohl sehr dunkel vorstellen, hindurchgehen, um doit den Wahljettel sorglich mit einem gleichmäßigen, unduich⸗ sichtigen Umschlage zu versehen. Der deutschfreisinnige Waͤhler, der in dem stillen umfriedeten Asyl der freien Meinungsäußerung zunächst jede Luke rerschließt, jedes Fenster verhängt, jedes Schlüsselloch ver klebt, jede Ritze vernagelt, durch welche die Sonne es an den Tag bringen könnte“, schließlich unter jedem Sopha und hinter jeder Tapete nach verraummten Kartellbeobgchtern siöbert, dann aber sich hochauf— richtet und mit feierlicher Miene heldenhaft den Wahlzettel irgend eines Radikalen oder Reaktionärs, irgend eines Sozial demo⸗ kraten oder Ultramentanen, irgend eines Welfen oder Polen in den verschwiegenen Umschlag versenkt — wahrhaftig, dieser Held. in der modernen Tarnkappe bietet ein Schauspiel fär Götter! Wie aber, wenn ein Spaßvogel oder ein böswilliger Mensch in dem Heiligthum der deurschen Freiheit, in welchem kein Sterblicher ihn beunruhigen darf, sich häuelich einrichtete und dadurch dir ganze Wahlhandlung verzögerte?“
Zu demselhen Gegenstand bemerkt der „Schwäbische Merkur“:
Die „Freisinnigen: haben vom ersten Sitzungstage des Reichs tages an eine Fruchtbarkeit an Anträgen entfallet, wie bisher noch in keiner Tagung, oh wohl man schon seit einiger Zeit gewohnt war, eine gewisse Anzahl von Anteägen in der ersten Woche der Tagung erscheinen zu sehen. Das pflegt auch vom Centrum und den Konser vativen (bezüglich der Sozialpolitik) zu gescheben und ist auch in dieser Tagung geschehen, aber die ‚Freisinnigen“ haben diesmal Alles überboten, was bisher dagewesen. Ihrer Anträge sind es bereits 10, und dabei fehlen noch einige, die noch kommen werden. Die große Mehrzahl dieser Anträge ist lediglich auf die kommenden Wahlen herechnet. Ihre Berathung im Hause soll an einer ganzen Reihe von Schwerinstagen Gelegenheit geben, den Wählern durch schöne „freisinnige! Reden zu zeigen, was den Deutschen Alles fehlt, und wie herrlich die Dinge gehen würden, wenn solche Männer das Heft in der Hand oder wenigstens die Mehrheit im Reichstage haͤtten, wie man sie da über die Bedürfnisse des Landes sprechen hört. Da muß denn zunächst die Frage der Lebensmittelvertheuerung herhalten. Das Schweineeinfuhrverbot soll zunächst blos an der dänischen Grenze aufgehoben werden,. Demnach scheint man doch auch im „freisinnigen⸗ Lager über die Viehsperre an andern Grenzen, wo die Schweineeinfuhr eine weit bedeutendere ist, nicht mehr fo schlechtweg absprechend zu urtheilen, wie noch vor Kurzem, vielmehr die Gefahr der Einschleppung der Klauenseuche und die Folgen davon für unsere Schweine und Viehaufuhr nach England und anderen Ländern etwas ernster aufzufassen. Wenn ferner die Aufhebung des Zolls auf Schweine, Spanferkel und geschlachtetes Schweinefleisch beantragt wird, so läßt sich gegen die Beseitigung des letztgenannten Zolls nichts sagen, aber den Zoll auf lebendes Schweinevieh abʒuschaffen, ohne die landwirthschaftlschen Zölle als Ganzes zu ändern, wäre doch eine seltsame und ungerechte Maßregel. Wo bleibt aher der Sturm gegen die Hauptzölle auf landwirkhschaftlichem Gebiet, gegen die Brotvertheuerung“ durch den Kornzoll? Will man vermeiden, mit einem solchen Antrag das Fentrum in eine unangenehme Lage zu bringen, oder absichtlich die Sozialdemokraten in diefer Richtung vorgehen lassen? (Ist hereits geschehen. D. Red.) Daß die Anträge, betreffend den Militärstrafprozeß und die Schaden- ersatzpflicht des Staats für den Fall der gesetzlich nicht begründeten Beschlagnahme von Druckschriften bezw. des unbegründeten Verbotes serneren Erscheinens periodischer Vruckschriften in diefer kurzen Tagung eben nur zu erregten Verhandlungen, aber nicht zu wirklichen Ergebnissen führen können, liegt auf der Hand. Andere Anträge be⸗ treffen die Ausübung des Wahlrechts (ungehinderte Vertheilung von Stimmzetteln und Flugblättern z In diefer Beziehung schafft aber
die Wahlprüfungskommisston des Reichstages, welche unrechtmäßig zu
tande gekommene Wahlen für ungültig erklären kann, hinreichend Abhülfe, wo solche nöthig ist.“
Aus Anlaß der in dem neuen Reichs haushalts⸗ Etat ent⸗ haltenen militärischen Forderungen schreibt der Londoner „Standard“:
Niemand kann der deutschen Regierung den Vorwurf machen, sie habe die Künste des Friedens vergessen oder unterlasfen, irgend etwas, das in ihrer Macht stand, zur Förderung des geistigen und materiellen Wohles ihres Volkes zu benutzen. Sas großartige Werk der vom Staate geleiteten Zwangsversicherung zur Unterstützung der Arbeiter, welche altersschwach, krank oder verunglückt sind, ist ein klarer Beweis davon, daß der Kaiser, der in dieser Hinsicht pietätvoll in die Fußstapfen seines erhabenen Großvaters trift, den brennenden Wunsch hegt, daß die Maßregeln zur Vertheidigung des Vaterlandes gegen äußere Feinde nicht die andauernde Förderung inneren Gedeihens und sozialer Wohlfahrt in den Schatten stellen oder verhindern. Und doch herrscht in der Brust eines jeden vater—⸗ landsliebenden Deutschen nur der Gedanke, seine Heimath völlig zu sichern gegen die Feinde, welche es im Kriege wie in den dipiomatischen Verhandlungen schon einmal bezwungen hat. Und dieses Ziel zu erreichen, giebt es kein anderes Mittel, als die deutsche zu einer noch vollkommneren Waffe für den Angriff wie für die Vertheidigung zu machen. Niemand und am wenigsten das deutsche Volk selbst wird daher überrascht sein, wenn der Reichstag wieder aufgefordert wird, Mittel zu bewilligen, um Deutschland eine unangreifbare Stellung zu sichern. Es liegt nicht in der Deutschen Absicht, hinter den Fran⸗ zosen auf militärischem Gebiete zurückzustehen, und der Friede kann einem so mächtigen und unermüdlichen Feinde gegenüber nur durch freigebigen Aufwand erhalten werden, der einigermaßen Über die Hülfsmittel des Landes hinausgeht.“
Centralblatt für das Deutsche Reich. Herausgegeben im Reichs amt des Innern. Nr. 44. — Inhalt: Zoll. und Steuerwesen: Aenderung in dem Verzeichniß derjenigen Börsen, an welchen Terminpreise für gewisse Waaren notirt werden; — Ver. änderungen in dem Stande oder den Befugnissen der Zoll⸗ und Steuer⸗ stellen. — Konsulatwesen: Todesfall; — Exequatur-Ertheilung. — Polizeiwesen: Ausweisung von Ausländern aus dem Reichsgebiet.
Entscheidungen des Reichsgerichts.
Hat der Käufer einer ihm von einem andern Orte über— sendeten Waare die im Art, za7 Abs. 1 des Handelsgesetz buches vorgeschriebene Untersuchung beim Empfange der Waare unterlassen, so verliert nach einem Urtheil des Reichsgerichts, J. Civilsenats, vom . Dezember 1888, der Käufer dadurch nicht das ihm durch Art. 349 Abs. 1. Handelsgesetzbuches hinsichtlich der bei der sofortigen Untersuchung nicht erkennbaren Mängel ein— geräumte sechsmonatliche Rügerecht. Die sechs monatliche Rügefrist des Art. 349 des H. G.⸗-B. nach der Ablieferung der Waagre an den Käufer ist nach dem erwähnten Urtheil des Reichs- gerichts, nach Maßgabe des Art. 378, Abs. 1 3 2 (wonach die Frist mit demjenigen Tage des letzten Monats abläuft, welcher durch seine Zahl dem Tage der Waarenlieferung entsprichth, und nicht nach den bezl. landrechtlichen Bestimmungen zu berechnen.
— Die Bestimmung des 5 163 L 5 des Preußischen Allgemeinen Landrechts, wonach bei formlosen Verträgen derjenige Kontrahent, welcher den mündlichen Vertrag zu erfüllen bereit war, in An sehung der an den Andern, welcher zurücktritt, zu leistenden Rück. gabe durchgehends die Rechte eines redlichen Besitzers hat, findet nach einem Urtheil des Reichsgerichts, V Civilsenats, vom 123. Dezember 1888, nicht nur auf lästige Verträge (3. h. auf Verträge, bei welchen beide Theile gegenseitige Verbindlichkeiten übernehmen), sondern auch auf wohlthätige Verträge Anwendung; es gebühren demnach auch dem Beschenkren bei Rückgabe der gefchenkten Sache an den Schenker, welcher von dem formlosen, aber durch Uebergabe vollzogenen Vertrage wegen der Formlosigkeit zurückgetreten ist, die Rechte eines redlichen Besitzeis. Hat beispielsweise Jemand auf einem ihm mündlich geschenkten Grundstück ein Wohnhaus errichtet, und nimmt sodann der Eigenthürner das Grundstück wieder an sich, so kann jener beanspruchen, daß der Eigen hümer ihm die auf den Bau verwendeten Auslagen ersetze.
Statistik und Volkswirthschaft.
Deutsche Reichs⸗Post ˖Statistik für 1888.
Nach der bereits erwähnten „Statistik der Deutschen Reichs Post ⸗ und Telegraphen ⸗Verwaliung für das Kalenderjahr 1888. waren von der Gesammtzahl der bestehenden Postanstalten (18508) Postämter 1. Ordnung bag (9 mehr als i887), Postämter 2. Ord⸗ nung 557 (7 mehr), 3. Ordnung 2737 (20 mehr). Ferner waren im Betriebe 5935 Postagenturen (3668 mehr als 1887), 142 selbständige, nicht etatsmäßige Stadtpostanstalten (1 mehr), 272 nicht selbständige Postanstalten, d. h. räumlich getrennte Zweigstellen am Orte vor— handener Postanstalten (6 mehr), 8221 Posthülfsstellen (742 mehr), 33 Bahnpostämter (sovieh wie im Vorjahre) und 19 Umspannorfte (UL wenigery. Gegen 1887 hat die Zahl der Postanstalten im deutschen Reichs ⸗Postgebiet (18 495) um 1157 zugenommen.
Im Auslande bestanden 13 Postanstalten (9 mehr als 1887, und zwar: in Konstantinopel ein deutsches Pestamt, in, Apia, Finsch⸗ hafen, Hatzfeldthafen, Jaluit, Kamerun, Kerawara, Klein⸗Popo, Kon stantinhafen, Lama, Otyimbingue,. Shanghai und Viktoria je 1 deutsche Postagentur. Nur während eines Theils des Jahres (an Kurorten ꝛc.) funktionirten 41 Postanstalten (2 mehr als 1887). Mit Tele? graphenbetrieb verbunden waren 9889 (604 er. mit Steuer⸗ stellen vereinigt 12 (6 mehr), mit Eisenbahn-⸗ Stationen vereinigt 383 (7 weniger als im Vorjahre).
Im Jahre 1888 kam im deutschen Reichs-Postgebiet je 1 Post⸗ anstalt auf 24,1 qkm und 2132 Einwohner (im Jahre 1887 je Lauf 265,7 dkm und 2274 Cinwohner). Die Zahl der Orte mit Postanstalten war 17 893; davon lagen an Eisenbahnen 4440.
Postbriefkasten waren aufgestellt in 44236 Orten. Die Gesammtzahl der Postbriefkasten war 66 360 (2510 mehr als 1887), 1917 Briefkasten waren an Bahnpostwagen und gemietheten Eisen⸗ bahnwagen ⸗Abtheilungen, 297 an auf Landstraßen verkehrenden Post⸗ , . 59 an auf Wasserstraßen verkehrenden Postfahrzeugen angebra
Das Gesammtpersonal der Reichs⸗-Post⸗ und Telegraphen⸗ Verwaltung umfaßte Ende 1888 34526 Beamte (i838 mehr), 52 490 Unterbeamte (17142 mehr), 994 Posthalter (12 weniger) und 4278 Postillone (14 mehr). Im Bahnvostdienst waren von obigem ö 16530 Beamte (46 mehr) und 2374 Unterbeamte (94 mehr).
Posthaltereien bestanden Ende 1388 1114 (15 weniger als 1887), darunter 3 reichseigene (wie 1887). Die Zahl der if rn, betrug 1046 (182 weniger). Postpferde waren 10 153 vorhanden (136 weniger), darunter 737 reichseigene (43 weniger).
Der Gesammtbestand an Postwagen und „Schlitten war 13 946 (126 mehr), darunter 44571 reichkeigene Postwagen für die Landstraße (10 weniger) und 1235 reichseigene Postwagen für die Eisenbahn (28 mehr) und 1806 reichseigene Schlitten (171 mehr).
Die Zahl der täglich zur Postbeförderung benutzten Eisenbghnzüge betrug nach der Aufnahme von Ende Dezember 1858 5972 (2z mehr als 1887). Die Gesammt - Postkurslaͤnge auf Eifenbahnen war 32 426 km (1887 31 597 Km).
Auf Landstraßen gingen 8821 Postkurse (1887 8594) mit einer Gesammtlaͤnge von 87 943 m (1887 87 618 km). Von diefen Postkursen waren 971 Personenposten. Für den Verkehr während der Sommermonate waren außerdem eingerichtet 166 Poften, davon
36 für Personenbeförderung (1887 166 bezw. 37). Ferner wurden abgelassen 1674 Extraposten (1887 17995, 4 Kuriere (3) und S1 Estafetten (5).
Auf Wasserstraßen innerhalb des Reichs⸗Postgebiets wurden zur Postbeförderung benutzt 63 Privat. Dampf⸗ und Segelschiffs⸗ Verbindungen (60) auf einer Gesammtlange der Poststrecken von 1546 km E2d4b Km).
Die Gesammtzahl der von den Posten zurückgelegten Kilometer war 191533 04 (1887 185 217311), und zwar auf Eisenbahnen 119 429 118 km (114 054 817 km), auf Landstraßen 71 261 015 km ( 70 320 597 km), auf Wasserstraßen 842 911 Km (841 897 km).
Zur Lage der Landwirthschaft.
Einer der bedeutendsten oberschlesischen Grundbesitzer, . von Tiele Winckler, hat, wie wir der . Schles. Ztg.“ entnehmen, seine Rittergüter Neuhof und Poldlowitz vollständig auf— geforstet und läßt jetzt die Wirthschaftsgebäude abbrechen. Zwei andere Güter derselben Herrschaft, Zawada und Orzesche, sollen in den nächsten Jahren in Forsten umgewandelt werden, da die gegen wärtigen Konjunkturen es kaum noch gestatten, von Natur geringen Boden landwirthschaftlich zu nützen.
Vermögens und Schuldenstand der Gemeinden in Bayern.
Das Königlich baverische Staats⸗Ministerium des Innern hat eine Bekanntmachung über den Vermögens ⸗ und Schuldenstand der Gemeinden erlassen, worin es heißt:
Die seitherigen jährlichen Erhebungen über den Schuldenstand der Gemeinden haben sich, namentlich was ihren statistischen Werth betrifft, insofern als einseitig und mangelhaft erwiesen, als sich die⸗ selben nur auf das Passivbermögen der Gemeinden beziehen und statistische Nachweisungen über das Aktivvermögen der Gemeinden fehlen. Erst aus dem Zusammenhalt von Aktiv und Passivvermögen und aus der Vergleichung, wie beide ab⸗ oder zunehmen und ob und inwieweit etwa der Schuldzunahme eine Vermehrung des Gemeinde⸗ vermögens, insbesondere des rentirenden Vermögens, entspricht, würde sich eine zutreffende Würdigung der gemeindlichen Vermögenslage er⸗ möglichen. Es ist daher veranlaßt, die erwähnten Erhebungen von nun an auf das gemeindliche Aktivvermögen auszudehnen.
Demnach haben die Gemeindeverwaltungen alljährlich auf Grund der rechnungsmäßigen Ausweise des Vorjahres eine Uebersicht Über den Schuldenstand und die Schuldentilgung der Gemeinde und eine solche über die Vermögensverhältnisse derselben herzustellen und bis zum 1. Oktober der vorgesetzten Aufsichtsbehörde (die Landgemeinde⸗ Verwaltungen und mittelbaren Magistrate dem Königlichen Bezirks amt, die unmittelbaren Magistrate der Königlichen Regierung, Kammer des Innern) vorzulegen
In der Schuldenstandsubersicht sind sämmtliche Schulden der politischen Gemeinde, gleichviel ob sie in der Gemeinderechnung oder in einer besondeten Nebenrechnung verrechnet sind, vorzutragen. Da⸗ gegen sind die Schulden der unter gemeindlicher Verwaltung stehenden ortlichen Stiftungen nicht aufzunehmen.
Die Vermögensübersicht hat sich auf das gesammte gemeindliche Vermögen an Kapitalien, Realitäten und Rechten, mit Ausschluß des örtlichen Stiftungs vermögens, zu erstrecken. Der Betrag der Kapi— talien ist nach ihrem Nennwerthe anzugeben. Die Realitäten und Rechte sind mit ihrem jeweiligen Werihe nach einer sorgfältigen Schätzung vorzutragen.
Zur Arbeiterbewegung.
Der Ausstaud im Pas de Calais läßt, der „Köln. Ztg.“ zufolge, nach; Löetzt feiern nur noch 7000 Arbeiter; auch im Depar— tement du Nond wird die Arbeit wieder aufgenommen.
Der Strike der Dockarbeiter in Bei stol ist, wie W; T. B.“ meldet, beendigt, da die Forderungen der Arbeiter be⸗ willigt worden sind.
Kunft und Wissenschaft.
Das Kupferstich⸗Kabinet des Königlichen Museums in Berlin hat, dem „Dtsch. Tagebl. zufolge, in jüngster Zeit eine sehr bedeutende Bereicherung erfahren. Den Haupttheil der Erwerbungen erlangte dasselbe durch Ankäufe bei der Versteigerung der dem Regenz⸗ burger Buchhändler Alfred Coppenrath gehörigen Sammlung. Es war der Verwaltung des Kabinets belonders darum zu thun, zur Er— gänzung der deutschen Abtheilungen Stiche und Holzfchnitte der deut⸗ schen Schule zu erwerben, und es ist ihr gelungen, eine ziemlich reiche Anzahl von Blättern des XV., TVI. und XVII. Jahrhunderts an
ch zu bringen. Von hervorragendem Werth sind darin einige herrliche Martin Schongauer'sche Stücke, ferner seltene Blätter von Israel von Meckenen in vorzüglichen Exemplaren, sowie solche von Alde⸗ greyer, den beiden Behams und von anderen Kleinmeistern. Von
chongauer wurden 10 Stücke erworben, Darstellungen der Madonna, der Apostel und verschiedener Heiliger; von Meckenen 159 Blätter, zu⸗ meist religiöse Darstellungen und Heiligenfiguren, von Bartel Beham 9 Blätter mit mythologischen Motiven, Kampfszenen und Genreflücken, von Hans Sebald Beham 19 Stück, in denen sowohl religiöfe als auch mythologische Gegeastände, sowie das reale Leben behandelt sind. Heinrich Aldegrever ist durch 17 Blätter vertreten mit biblischen, mythologischen und allegorischen Motiyen. Aus der Sammlung neu⸗ erworbener Holzschnitte sind Blätter von Lucas Cranach, Hans Hol. bein, Albr. Altdorfer und Hans Schäufelein hervorzuheben.
Das Gemeinde ⸗Kollegium von Nürnberg hat dem Beschlusse des Magistrats zugestimmt, 15 000 S zu den Kosten der Erwerbung der Sulkewski'schen Waffensammlung für das Ger“ manische Musenm zuzuschießen.
— Das britische Museum in London hat, der. Voss. Ztg.“ zufolge, ein wichtiges nestorianisches syrisches Manuskript käuflich erworben, welches die vollständigen metaphyfischen Werke Gregor's Bar Hebräug, eines orientalischen Prälaten des 15. Jahr— hunderts, enthält. Das Manuskript ist angeblich das einzige Exemplar, welches in England und möglicherweise in Europa vor⸗ handen ist, da es zweifelhaft ist, ob seibst der Vatikan eins auf⸗ weisen kann.
— In Paris ist am 24. Oktober der Dramatiker Emile Augier gestorben. Geboren war Augier im Jahre 1820 zu Valence und ursprünglich zum Advokaten bestimmt, doch wandte er sich schon im Alter von 24 Jahren der dramatischen Dichtung zu. Von seinen Stücken sind „Le mariage d'Olymper“, „Les sionnes pauvres“, „Les offrontes“, „Le fils de Giboyer“ die bekanntesten. In Deutschland ist 2 seinen Stücken Haus Fourchambault“ am häufigsten gegeben worden.
Sandel und Gewerbe.
Nach einer Bekanntmachung der Madrider Stadtver⸗ waltung werden der Zinsschein Nr. 55 der carpetas Rr. 40 bis * hne 165 der 1861er Anleihe und die noch nicht behobenen ginsscheine Nr. 53 und 54 derselben Anleihe, ferner auch der Zinsschein Nr. 20 der earpetas Nr. 2418 2444 der 1868er Anleihe jetzt eingelöst.
Berlin, 23. Oktober. Amtliche Preisfeststellung für Butter, Käse und Schmalz. Butter: Hof⸗ und Genossen⸗ schafts butter Ia. 113— 117 „S6, la. 109 - 112 ½, ia. 104 - 108 Mp, do. abfallende 946 — 99 M, Land, Preußische 88 — 93 M, Netzbrüͤcher 88 — 95 S, Pommersche 83 — 88 46. Polnische So - 85 S, Bayerische Sennbhutter job . 110416, do. Landhutier 80 4 85 6, Schlef. 7 — 85. A. Halizische 6570 ½ — Margarine 456 — 5 16 — Käse: Schweizer Emmenthaler 900 — 96 S, Bayerischer 70 - 75 M½, do. Ost⸗ und Wefst⸗ preußischer Ia. 70 - 75 16, do. a. 60-65 16, Holländer