1889 / 261 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 01 Nov 1889 18:00:01 GMT) scan diff

ht, es fragt sich also, oh der Anschlag von 13 Millignen i e . Schiffe richtig ist. Und wie ve4hält sich in Folge des rauchschwachen Pulvers die artilleris: iche Wirkung der Flotte? Das „Militär⸗Wochenblatt sas , daß die Be⸗ deutung der Feldartillerie, welche erst im r origen Jahre ver⸗ mehrt ist, durch das neue Pulver erheblich herabgemindert sei. Der ganze neue Gründungsplan ze gt ein Verlassen des bisherigen Stendpunktes. Noch zwei Jahren versicherte der General von Canrtvi, daß mit 8 Mil- lioneß;! Mark jährlich für Schiffer auten die Flotte auf der erforderlichen Höhe erhalten wexben könne. Jetzt werden 44 Millionen für Schiffsbauten in einem Jahre verlangt. Im vorigen Jahre kat man sich bei der Trennung von Marine⸗ OCe Kommando und Marine⸗Amt auf den Wunsch Sr. Majestät des Kaisers berufen, und für einen Theil ist das bestimmend g'wesen. Gerade Fei dieser Frage ist unser ab⸗ lehnendes Betum im vorigen Jahre gerechtfertigt worden, Im neuen Etat steht, daß Marine-Amt und Marine⸗-Obher⸗-Kom— mando in Hren Funklionen so auf einander angewiesen sind, deß dasser de Aktenmaterial bald hier, bald dort gebraucht wird und die Boten hin and her laufen müssen. Nun soll, um die Unzuträglichkeiten hieraus zu vermindern, ein neues KRommandogebäude in der Nähe des Marine-Amts für! Million Mark gebaut werden. Die Ausdehnung der Marine steht in mancher Beziehung in engem Zusammenhang mit der Kolonial⸗ politik. Die Abkehr von dem früheren beschränkten Kolonial⸗ prograrim tritt in diesem Etat noch schärfer hervor als früher. Was ift aus dem seefahrenden Kaufmann geworden, mit dem allein man früher die Kolonien regieren zu können erklärte? Anschzinend übt überhaupt keine der Kolonialgesellschaften mehr Regie⸗ rungsrechte aus, viclleicht abgesehen von der kleinen Witu⸗ gesellschaft, wenn es in Witu für sie etwas zu regieren giebt. Nicht besser steht es bezüglich der Aufwendungen des Reichs für militärische Kräfte in den Kolonien. Noch Mitte Sep⸗ tember wurde in der südwest⸗afrikanischen Gesellschaft ein Be⸗ scheid des Reichskanzlers vorgelesen, wonach es nicht Aufgabe des Reichs sein könne und außerhalb des Programms der deutschen Koloniahpolitik liege, für die Herstellung staat— licher Einrichtungen unter uncivilisirten Völkerschaften einzutreten und den Widerstand eingeborener Häupt⸗ linge gegen noch nicht fundirte Unternehmungen zu brechen. Aber schon im Oktober wird uns im gegenwärtigen Etat ein ganzer Militär Etat für Südwest-Afrika vorgelegt! Was haben denn die Herren von der Ost-Afrikanischen Gesell⸗ schaft außer ihrem Enthusiasmus für die Zukunft Ost⸗ Afrikas in diesem Jahre geleistet? Nicht einen Tausendmarkschein mehr haben fie geopfert, sie haben überhaupt nur noch einige Hunderttausend Mark übrig. Noch vor ganz Kurzem hieß es Fr ver „Noedde Allg. Stg.“, deß —wir schen viel zu vel Kolonien hätten, daß wir keine weiteren Flaggenhissungen mehr brauchen könnten; und nun lesen wir, daß man in Witu eine neue Flaggenhissung auf englischem Gebiet von hier aus genehmigt hat. Künftig soll nun für die Kolonialsachen eine eigene Registratur eingerichtet, ein neuer vortragender Rath gestiftet werden; das soll aber nur der Anfang für eine voll— ständige Lostrennung des Kolonialressorts vom Auswärtigen Amt sein. So sehr ich sonst für Dezentralisation bin, so halte ich solche Lostrennung nicht für angezeigt

vor

bei den vielfachen Gefahren von Verwickelungen mit anderen

sächten, man braucht nur an Samog und die Karolinen zu erinnern. Die Verbindung zwischen kolonialpolitischer Leitung und Leitung des Auswärtigen Amts kann nicht eng genug sein. Wäre die außerordentliche diplomatische Geschicklichkeit des Reichskanzlers im Einlenken und Zurückweichen nicht, wir wären mit dem blauen Auge und den empfangenen Nasen— stübern nicht davongekommen. Nun hat Herr von Bennigsen einen verantwortlichen Reichs-Finanz-Minister verlangt. Was wird der Neichskanzler zu dieser Forderung sagen? Als wir 1884 die Fusion machten, da ver— langten wir in unserem Programm auch ein verant— wortliches Reichs-Ministerium. Da ließ der Reichskanzler feierlich am 5. April 1884 den Bundesrath antreten, um gegenüber diesem Programm eine Erklärung zu beschließen, welche im „Reichs-Anzeiger Jedermann zur Warnung und Nach— achtung publizirt wurde. Es heißt darin, viel schärfer als gestern Hr. Windthorst es accentuirte, daß in dieser Forderung ein Ueber— schreiten der Bedürfnißgrenze des erforderlichen Maßes politischer Einheit in unitarischer Richtung vorhanden sei ein Mittel zur Unterwerfung der Regierungsgewalt im Reiche unter die Mehrheitsbeschlüsse des Reichstages; nachher ist noch von Ein⸗ richtungen die Rede, durch welche bisher noch jedes Wahlreich seinem Verfall und seinem Untergange entgegengeführt ist. Sollte aber Hr. von Bennigsen die Anregung nicht blos als Ornament auffassen, dann bitte ich ihn, einen Antrag einzu⸗ bringen; wir sind sehr gern berei, ihn zu unterstützen, und sollte er bei seiner eigenen Partei Schwierigkeiten finden, so bringen wir ihm den Antrag entgegen, um uns dann seiner Führung zur Ausführung unseres Programms unterzuordnen. Hr. von Bennigsen sucht in dieser nicht geheuren finanz— Politischen Situation Mitschuldige und weist uns die Schuld für die gesammten Ausgabe⸗Etats zu, die Erhöhung der Aus⸗ gaben und damit auch die Erhöhung der neuen Steuern. Damit kenn man doch nur Eindruck machen auf Jemand, der die ganze Art unserer Etat festsetzung absolut nicht kennt. Das Charakteristische der neueren Finanzgeschichte ist doch, daß die neuen Steuern immer vorhergegangen sind den Ausgabe— Erhöhungen, daß man neue Steuern auf Vorrath, auf Lager Dewilligt ha, weit mehr, als die Ausgabeerhöhungen irgend— wie erforderten. Das weiß doch Jeder, daß eine Etatsfest— setzung nicht in jedem Jahr die Finanzen des Staats von Grund aus neu aufbaut. Die Etatsfestsetzung ist nur eine Konseguenz eller vorausgegangenen Gesetze, und selbst Diejenigen, welche den Gesetzen nicht zugestimmt haben, müssen sich den finanziellen Konseguenzen dieser Gesetze fügen. Allein die Kornzälle belasten die Naturalverpflegung des Heeres um 14 Millionen. Sind wir an dieser Erhöhnng des Militär⸗Etats schuld? Sollten wir nun etwa die Rationen für Mann und Pferd entsprechend verringern? Wenn die Steuer⸗ und Zoll⸗ gesetzgebung darauf hinausläuft, den Lebensenterhalt zu ver⸗ theuern, können wir es nachher ablehnen, die Gehälter, Pensisnen, Theuerungszulagen zu bewilligen, die die noth⸗

belastung wieder zu neutralistren? Und wenn die Gelder zu Ausgabeerhöhungen in Preußen verfügbar sind, sollen wir

uns dagegen sträuben, sie etwa für Schulen zu verwenden,

wenn ir auch an sich eine Ueberweisung für unzweck⸗

mäßig halten, auf die Gefahr hin, daß diefe. Gelder nächstens

für neue Kirchenbauten bewilligt werden? Wir haben vor drei

Jahren vorgeschlagen, die Deckung für die neuen Militãr⸗

Rasgaben in' der Forin der Reichs⸗-Kinkommensteuer zu decken.

Die Meinung aber, daß diese neue Steuer nothwendig sei, um

jene Kosten zu decken, hat sich alsbald als eine irrige heraus⸗

gestellt. Der preußische Etat hat nicht mit einem Defizit ab⸗

geschlossen in den ersten Jahren der Heeresverstärkung, sondern

mit einem Ueberschuß mit der ganzen Belastung, die aus der

Heeresverstärkung hervorgegangen ist, und zmar auch ohne Erhöhung der Matrikularbeiträge, auch ohne Reichs-Einkommen⸗

steuer, nicht einmal unter Aufhebung der ganzen Ausfuhr⸗

prämie auf Zucker. Nun hat Hr. von Bennigsen noch den

Verfuch gemacht, uns des Widerspruchs zu zeihen,

indem er die K 2. ö . ö.

maßen gegenübergestellt hat der Haltung der freisinniger

Haren, 24 wenn sie hier Beschlüsse faßt, nicht souverän ist in der Umgestaltung der Steuerverhältnisse in

Berlin. Er weiß, daß die Steuerverhältnisse Berlins festgelegt sind durch Spezialgesetze, die nicht abgeändert werden können

ohne Zustimmung des Landtages und der Negierung, und daß

solche Abänderungsanträge verschiedentlich zurückgewiesen worden sind. Er kennt auch die Befugnisse der Aufsichts⸗ behörde. Ich nehme vollständig den Vergleich auf, und dann ziehe ich die folgende Schlußfolgerung aus den Ausführungen bes Hrn. von Bennigsen. Er hat anerkannt, daß die Stadt Berlin voll und ganz ihren kommunalen Verpflichtungen hat nachkommen können, trotz des Wachsens der Bevölkerungs⸗ ziffer, und sie hat es fertig gebracht, in derselben Zeit, in welcher das Reich seine Steuereinnahmen verdoppelt hat, mit denselben Steuern, die sie vor 10 Jahren hatte, diese Aufgabe durchzuführen. Hr. von Bennigsen hat die Einführung des Schuldentilgungsfonds vorgeschlagen. Das ist ein rein mechanisches Hülfsmittel. So lange die Reichs-Finanzverwaltung in der Lage ist, jährlich Anleihen aufzunehmen, und das wird in absehbarer Zeit der Fall sein, hat es wirklich wenig Zweck, mit der einen Hand neue Con⸗ sols zu verkaufen und mit der andern alte Consols für ein Billiges zurückzukaufen. Das ist ein Beruhigungsmittel für harmlose Leute. Hr. von Bennigsen hat an der Spitze ge⸗ standen, als wir diese veraltete Einrichtung in Preußen auf— hoben. Der drohenden Vermehrung der Schulden wird nur vorgebeugt durch eine ganz rigorose Ausgabepolitik. Unser Etat wird immer künstlicher. Hr. von. Vennigsen sehnt sich nach einem waantwort lichen Neichs⸗ Finanz ⸗Minister. Nun, als Vorsitzender der Budgetkommission hat er gewissermaßen diese Funktion ad interim wahrzunehmen. Er kann auf eine um so strengere Prüfung aller der Ausgaben halten, die absolut nicht, nothwendig sind. Ich mache auch kein Hehl daraus, daß ich die Einnahme⸗Etats, die unter der Wirklich⸗ keit veranschlagt sind, nach ihrem wirklichen, voraussichtlichen Ergebniß erhöhen würde. Man kann im Ernste nicht be— streiten, daß die Einnahme- Etats um viele Dutzende von Millionen künstlich zu niedrig veranschlagt sind. Es wird den Einzelstaaten zugemuthet, in diesem Etat mit 24 000 000 t. weniger Ueberweisungen aus dem Reich vorlieb zu nehmen, als im vorigen Jahre. Sie sollen sich um diese Summe in ihren Budgels knapper halten. Darauf sind sie gar nicht vor—⸗ bereitet, das ist unmöglich. Diese Sätze müßten höher be— messen werden, und ich halte es auch für nothwendig und möglich, daß sofort gewisse Steuer- und Zollreformen Platz greifen. Ich meine, daß die Rübensteuer aufzuheben ist, ohne das weitere Ergebniß der Konvention abzuwarten. Es ist nur ein dilatorischer Einwand, wenn uns der Schatzsekretär heute auffordert abzuwarten, was bis zum August 1890 in London herauskommen wird. Nein, die Aufhebung der Exportprämie liegt in unserem eigenen deutschen Interesse und Hr. von Bennigsen wird mir nicht bestreiten, daß selbst ein großer Theil der Zuckerinteressenten vollständig einver— standen ist mit der Aufhebung dieser Prämie aus folgendem einfachen Grunde. Auch in dem Augenblicke, wo die Rüben— steuer wegfällt, entsteht eine Minderbelastung des Zuckers um 10 6 pro Doppelceniner. Um diesen Betrag wird sich der Preis in Deutschland ermäßigen und aus dieser Preisermäßi— gung folgt eine starke Steigerung des deutschen Konsums. Die deutschen Produzenten finden darin einen Ersatz, selbst wenn sie einen Theil des ausländischen Marktes verlieren. Das geht doch nicht, daß 300 Zuckerfabriken mindestens 16 Millionen an Prämien auf Kosten des Reichs erhalten, um es zu ermöglichen, daß England billiger den deutschen Zucker ißt als wir. Die Zuckerindustrie selbst würde endlich aus dem ewigen Provisorium herauskommen und der ungesunden Ueber— produktion in Deutschland ein Ende gemacht werden. Ich würde auch gar kein Bedenken tragen, die sogenannte Liebesgabe bei der Branntweinsteuer alsbald zu beseitigen. 1887 wurde ja ge— sagt, daß nach drei Jahren die Sache erwogen werden solle. Dieser Termin läuft 1890 ab. Die 40 Millionen gereichen nicht der Landwirthschaft und den Brennereien zum Vortheil, sondern sie sind weiter nichts als eine Erhöhung des Werthes der Güter für den augenblicklichen Besitzer. Weshalb hat man diese 40 Millionen bewilligt? Man schilderte, wie der Kartoffel⸗ bau zurückgehen müsse in einem Lande, dessen armer Sand— boden zu anderem nicht geeignet sei. Nun, lesen Sie den heutigen amtlichen Bericht über das erste Jahr nach dem Erlaß des Branntweinsteuergesetzes. Danach bat allerdings die Branntweinproduktion an Umfang abgenommen. Das mußte umsomehr der Fall sein, als im Jahre vorher eine starke Ueberproduktion stattgefunden hat. Aber es hat keine Schwierigkeit gehabt, die für die Brennereien weniger ver— wendeten Kartoffeln theils zu sehr lohnendem Preise zu verkaufen, theils zu Fütterungszwecken zu verwenden. In dem Augenblick. wow man das Geschenk der 10 Millionen rückgängig macht, wird eine ebenso große Summe verfügbar zu einer Steuerreform. Ich weiß sehr wohl, daß der Zolltarif nicht mit einem Schlage auf⸗ gehoben werden kann, aber der Anfang kann gemacht werden. Die Theuerung können Sie nicht bestreiten, die empfindet jede

wendige Konsequenz dieser Politik sind? Wir haben eine große Zahl von Gesetzen, die die Verwaltungsbefugnisse des Reichs erhöhen, nicht genehmigt. Gleichwohl sehen mir uns gezwungen, in der Ausführung dieser Gesetze der großen Zahl von neuen Beamten zuzustimmen. Die neuen Steuern, die Sie einmal bewilligt haben, können wir nicht durch einen PVarlamentsbeschluß wieder rückgäng machen. Oder sollen wir

Haushaltung. Hr. von Bennigsen sagte, in früheren Jahren wäre das Korn noch theurer gewesen wie jetzt. Aber damals war es in Folge einer ungünstigen Ernte. Es hat keine un⸗ günstigere Ernte gegeben, als gerade 1879 80. Damals war das eine natürliche Theuerung, dies Mal aber ist es eine durch die Wirthschaftspolitik herbeigeführte künstliche Vertheue—⸗ rung. Dazu kommt, daß das Volk außerdem mit indirekten

nicht einem Steuererlaß in den Einzelstaaten, so geringfügig „r guch ist, zustimmen, um wenigstens einen Theil der Mehr-!

Steuern und Zöllen belastet worden ist, die früher garnicht de waren, und daß die damaligen Preise in Uebereinstimmung

waren mit den Weltmarktoreisen, während man iet in England den Weizen um 50 4 billiger kauft, als in Danzig. Hr. von Bennigsen hat in Bezug auf die Kornzölle eine eigene Stellung eingenommen. Im rn f sagt er, habe er ste auch nicht bewilligt, er habe nicht dafür gestimmt. Auf der anderen Seite hat er wiederum so vie le dilatorische Einwendungen gemacht in Bezug auf die Auf⸗ hebung derselben, daß seine ganze Rede auf eine Beschönigung der Kornzölle hinausläuft. Hr. von Bennigsen hat emeint, wir hätten früher die Agrarzöͤlle nicht ohne die Industriezölle aufheben wollen. Unser Standpunkt ist heute derselbe wie früühGer, aber eine Thatsache hat sich verändert. Man hat 18587 einseitig die Agrarzölle erhöht, ohne jede Erhöhung der Industriezölle. Ich halte es deshalb jetzt für zu⸗ läfsig und angebracht, mit einer theilweisen Aufhebung der Agrarzölle den Anfang zu machen. Die Agrarzölle können aber nicht aufgehoben werden, wenn jetzt nicht auch eine Ermäßigung der industriellen Schutzzölle eintritt. Die Verwohlfeilungspolitik muß an Stelle der Vertheuerungs⸗ politik treten in Bezug auf das, was der Gutsbesitzer kauft, wie das, was er verkauft. Wenn Hr. von Bennigsen sagt, wir stehen jetzt vor einer Erneuerung der Handelsverträge und können unmöglich vorher das Behandlungsmaterial aus der Hand geben, so thut er gerade so, als ob die Regierung mit einer Revision der Handelsverträge in freihändlerischer Hinsicht vorgehen wollte. Mir ist davon nicht das Mindeste bekannt. Hat er etwas davon erfahren, etwas dazu gethan oder war das auch nur eine vorläufige Aeußerung? In seiner Partei sind die Industriezöllner zahlreicher vertreten, als die Agrarzöllner, und von einer Anregung aus diesen Kreisen ist uns nichts bekannt geworden. Es sieht auch nichts nach einer Revision aus. Und wenn das auch wäre, wir können immer einen tüchtigen Schritt in die industriellen Zölle machen und sind sicher, noch immer hinreichendes Behandlungematerial für Ab⸗ änderung der Handelsverträge zu haben. Gerade die gegen⸗ wärtige Lage von Handel und Industrie eignet sich zu einem Anfang der Reform. Der Aufschwung ist aber noch immer nicht so bedeutend, wie man es darstellen will. Der Unter⸗ nehmungsgeist hat lange wegen befürchteter Krisen darnieder—⸗ gelegen; jetzt, wo die Regierung selbst Friedensaussichten er⸗ öffnet, regt er sich wieder und die Preise steigen. Die großen Bestellungen des Eisenbahn-Ministers, des Kriegs- und Marine⸗ Ministers thun das Ihrige dazu. Das kann die Industrie verführen, eine Konjunktur, die nur eine vorübergehende ist, für eine dauernde zu halten. Bei der stattfindenden Preis⸗ steigerung versorgt sich der Zwischenhandel in Erwartung weiterer Steigerung mit Vortäthen, das veranlaßt weiteres Steigen. Es ist der Schaden der Schutzzölle, daß die Preise im Inlande höher. steigen können, weit üher das Nivegu. des Welsmarktes. Die Industrie dernachlässigt Veshalb ihrẽ Rus⸗ wärtigen Absatzgebiete, denn unser Ausfuhrhandel ist that— sächlich zurückgegangen. In jeder Preissteigerung nun, die nicht hervorgerufen ist durch Prosperität, durch Ansammlung des Kapitals, sondern durch einen weniger günstigen Ausfall der Ernten, liegt ein gefährliches Moment. Der Vertheuerung der Lebensmittel kann die Erhöhung der Löhne nur bis zu einem gewissen Grade gerecht werden. Viele werden sich ein⸗ schränken müssen, können weniger als Käufer auftreten, und das muß auf die Industrie schädlich zurückwirken. Die Prxeis⸗ steigerung darf nie durch Abhaltung der ausländischen Ken⸗ kurrenz hervorgerufen werden; das sind die Erscheinungen, die wir jetzt an der Börse erleben. Ein rapider Preisrückgang wird nach alledem die schließliche Folge sein. Wirthschaft⸗ liche Erscheinungen lassen sich zwar nie nach mathe— matischen Formeln berechnen, denn sie sind das Pro— dukt verschiedener gegen einander wirkender Kräfte. Aber in unserer Schutzzollpolitik liegt ein unverkennbares Moment der Gefahr. Es ware nützlich, wenn jetzt die Industrie selbst daran gemahnt würde, wenn sie angewiesen würde, mit der ausländischen Konkurrenz zu rechnen, die Preissteigerung nicht zu weit zu treiben. Es wäre schon viel gewonnen, wenn eine bestimmte Ankündigung einer zukünftigen Reform erzielt würde.

Nachdem Redner eine Charakteristik der augenblick lichen Zustände im Deutschen Reich von seinem Standpunkt gegeben, warf er einen Blick auf die Zukunft, indem er sagte: Weit schwerer aber bedrückt uns die Sorge über die Gestaltung des Reichs in einer Zukunft, die vielleicht Wenige oder Keiner von uns erleben wird, in Folge der Unzufriedenheit mit den persönlichen privaten Verhältnissen, die durch das gegenwärtige Regierungssystem geradezu großgezogen wird. Die Aera der neueren Politik des Reichskanzlers, die vor 19 Jahren eingeleitet worden ist, hat mit einem Appell an die Sonderinteressen begonnen. In Wahrheit ist diese Sozialpolitik des Reichskanzlers die eigentliche Nährmutter der Sozialdemokratie. Ich weiß wohl, daß die Sozialdemokratie international verbreitet ist, aber ihre Eigenart in Deutschland ist gewissermaßen ein Nebenprodukt der Regierungskunst des Reichskanzlers. Die falsche Behandlung derselben Seitens des Reichskanzlers von Lassalle's Zeit an hat in erster Reihe die Sozialdemokratie großgezogen; und je mehr sich auf allen Seiten die Unzufriedenheit steigert, desto größer müssen die Versprechungen werden, um noch eine Mehrheit zu sich herüber⸗ zuziehen.

Staatssekretär Dr. von Boetticher:

Meine Herren! Es würde vermessen sein, wenn ich die Rede des Hrn. Abg. Richter so eingehend beantworten wollte, wie er sie uns vorgetragen hat. Es ist eben nicht möglich, auf alle die Schilderungen, Bemerkungen und Wünsche, die er vorgebracht bat, des Näberen sich einzu lassen. Ich glaube auch, daß dies ven meiner Stelle aus um⸗ somehr entbehrlich ist, als Sie Alle den Eindruck gehabt haben werden namentlich aus den Schlußbetrachtungen des Herrn Ab⸗ geordneten —, daß es ihm in der Hauptsache darauf ankam wahr⸗ scheinlich, um einem lange verhaltenen Groll Rechnung zu tragen —, den Abg. von Bennigsen möglichst herabzusetzen, seine Politik als eine unrichtige und gefährliche hinzustellen und dadurch im Lande den Glauben zu nähren, daß (6 bei den bevorstehenden Wahlen besser sei, sich der Fortschrittspartei als der nationalliberalen Partei zuzuwenden. Daß die Rede für unseren Etat keine besondere Ausbeute geliefert hat, das, glaube ich, wird mir Niemand bestreiten können, um so weniger,

bat, ob es preußische, bayerische oder Reichsangelegenheiten gewesen sind, über die er gesprochen hat. Die Schilderungen aber, die er von den Zuständen im Deutschen Reich gemacht hat, haben in mir den Gedanken hervorgerufen, daß es ein außerordentlicher Heroismus von seiner Seite ist, wenn er in diesem tyrannischen, brutalen und knech⸗ tisch gearteten Staatswesen auch nur noch eine Stunde länger verweilt. Meine Herren, wenn man so über sein Vaterland denken und sprechen kann, wenn man solche Schilderungen entwerfen kann, auch nur mit dem Schimmer von Hoffnung, daß sie draußen im Lande auch nur auf den blödesten Menschen irgend welchen Eindruck machen, dann, sage ich, wende ich diesem Lande den Rücken, wo nicht Recht und Gerechtig⸗

keit sondern Willkür und Brutalität herrscht, dann gebe ich es auf,

pertretungen im Reich und in den Einzelstaaten ihre Entstehung ge⸗

ehen, die der Hr. Abg. Richter vorgebracht bat, und zwar wesentlich

Ren, daß die Maul- und Klauenseuche über die östliche Grenze

als in der Hauptsache der Abg. Richter gar keinen Unterschied gemacht

u nur den Verfuch zu macken, an diesen Zuständen eiwas zu bessern, ie a nicht bloß von den Regierenden im Lande geschaffen sind, die hielmehr unter der Zstimmung und dem Beifall geordneter Volks

onnen haben.

Sr. Richter wird schwerlich darauf rechnen können, daß diese

2 Rede irgend welchen Eindruck hervorruft. Dazu war sie auch ang.

Der Dertsche ist im Allgemeinen ein arbeitsamer, vielbeschäftigter ann und hat als solcher keine fir so lange Reden zu lesen. Wollen Sie Eindrrick machen, dann müssen Sie kurz und präzis sagen, was nd warum sie es wollen. Das ist viel besser als solch lange Reden.

Meine Herren, nun muß ich aber doch auf einige Punkte ein⸗

'm deswillen, weil diese Punkte ihrer Natur nach sachlich wohl ge⸗ ignet find, nach außen hin einen Eindruck hervorzurufen, und jwar inen Eindruck, der, wenn der durch denselben ausgestreute Same ufgehen sollte, ein gänzlich unzutreffendes Bild ron unseren Zu ständen hervorrufen würde. .

Meine Herren, es ist ein in neuerer Zeit in der gegnerischen breffe mit besonderer Vorliebe angewendetes Mittel, die Dinge so sarzustellen, als ob wir augenblicklich in den ungünstigsten wirth⸗ chaftlichen Verbältnissen lebten. Ich bemerke übrigens bei dieser Felegenbeit, daß, wenn der Hr. Abg. Richter gemeint hat, daß drei Viertel der Presse die Regierung lobt und preist, meine Wahr ehmungen mit den seinigen nicht übereinstimmen. Die zahlreichen Beitungsausschnitte, welche ich täglich zu bewältigen babe, lassen viel nehr in der Mehrzahl erkennen, daß die oppositionelle Presse, die ja chon an und für sich weit entfernt davon ist, die Regierung zu loben nd zu preisen, alle möglichen Gründe hervorsucht, um der Regie⸗ ung etwas anzuhängen und die von ihr befolgte Politik als eine chädliche darzustellen.

So macht es diese Presse denn auch jetzt mit dem Schweine— Einfubr verbot, mit den Getreidepreisen und den Lohnverhältnissen. Ille diese drei Punkte, zumal in ihrer Zusammenfassung, sind sehr wobl eignet, Unzufriedenheit im Lande zu nähren, wenn man die Dinge o darstellt, wie es von der oppositionellen Presse geschie ht, vorausgesetzt, diese Darstellung auch den thatsächlichen Verbältnissen entfwricht. Ullein, meine Herren, ich bin glücklicher Weise in der Lage, Ihnen rz und bündig, und deshalb auch mit mehr Aussicht darauf, daß eine Rede gelesen wird, den Nachweis zu führen, daß die Dinge icht so liegen, wie sie dargestellt werden.

Was zunächst den allgemeinen Gesichtspunkt einer ungünstigen irthschaftlichen Lage anlangt, die man daraus herleiten will, daß nsere Handelsbilanz eine negative sei, so habe ich darauf zu er idern, daß negative Handelsbilanzen keineswegs ohne Weiteres für igünstige wirthschaftliche Zustände, für einen Mangel an Prosperität es betreffenden Landes sprechen. Wenn beispielsweise, wie das für eutschland nachzuweisen ist, die negative Handelsbilanz dadurch ervoragerufen wird, daß eine größere Anzahl von Rohstoffen km Lande zugeführt wird, welche durch vaterländische Arbeit redelt, höher verwerthet und als solche konsumirt oder ieder ins Ausland ausgeführt werden, und wenn eiter der . geführt . ö die k Einfuhr feine größere Konsumtignsfähigkeir des Inlandes zurückzuführen ist, kann eile *olche negarffe Handelsbilckf e m, f als eine günstige und als eine solche erscheinen, welche einen Rückschluß auf nen Niedergang der nationalen Wirthschaft zuläßt. Nun steht aber e Sache für uns gar nicht so, daß wir diesen Nachweis nicht zur and hätten; im Gegentheil, wir vermögen diesen Nachweis zu führen.

Es ist richtig, daß die Einfuhr gegenüber der Ausfuhr für das ahr 1888 um 83 Millionen höher gewesen ist und daß sie obesondere bei den Robstoffen und Fabrikaten um 67 Millionen her gewesen ist als die Ausfuhr. Wenn, man dagegen cse Ziffern zerlegt und wenn man namentlich untersucht, auf welche tel die Mehreinfuhr kommt und sich dann Lergegenwärtigt, daß sie sentlich auf das Conto der Rehstoffe zu setzen ist, welches im Jahre 88 2250 Millionen Mark beträgt, also üm 387 Millionen mebr e in dem von mir hier gewählten Vergleichsjahre 1880, und wenn

dann weiter ergiebt, daß der Mehrwerth dieser Einfubr über die sfuhr zwar 1416 Millionen beträgt, daß demselben aber gegenüber⸗ ht ein Mehrwerth der Ausfuhr an Fabrikaten von 1348 Mil- nnen, kann man daraus irgend welche Sorge entnehmen?

Meine Herren. die mir vorliegende Tabelle über die Entwickelung seres Ein und Ausfuhrhandels ergiebt, daß der Ausfuhrhbandel an brikaten seit dem Jahre 1880 ein fortgesetzt steigender gewesen ist, d daß nur das Jahr 1888 gegen das Jahr 1887 eine verhältniß— Eßig kleine Minuz-Differenz zeigt, Solche Erscheinungen sind och vorübergebender Natur und stehen mit allen möglichen ihrer natur nach veränderlichen Umständen im Zusammenhang. Beispiels« ise hängt die Einfuhr von Robstoffen, namentlich von Getreide, n dem Ausfall der Ernte im Inlande ab, und es ist daraus also n ungünstiger Schluß zu ziehen.

Nun, meine Herren, komme ich auf den zweiten Gegenstand,

ich besprechen möchte, das Schweineeinfuhrverbot. Es ist nicht Abrede zu stellen, daß die Preiserhöhung, welche in Folge des von Majestät dem Kaiser im Einvernebmen mit dem Bundesrath assenen Schweineeinfuhrverbots über die östliche Grenze eingetreten ist, vielen Kreisen recht sd wer empfunden wird, und wir haben uns die sen, die mit diesem Schweineeinfuhrverbot verbunden sein würden. ch ihren finanziellen, nach ihren moralischen Seiten durchaus bei laß des Verbotes vergegenwärtigt. Wir sind damals, im Juni D Juli, als das Verbot vorbereitet wurde, sehr sorgfaͤltig gewesen

der Untersuchung dieser Folgen, und wenn wir gleich⸗ dazu übergegangen sind. das Verbot zu beschließen

den Erlaß desselden Sr. Majestät dem Kaiser zu empfehlen, lag der Grund hierfür darin, daß so überwiegende Gründe für das yerbot sprachen, gegenüber denen, die dagegen geltend gemacht werden nten, daß ich glauben darf, eine Darlegung dieser Gründe wird selbst in den Kreisen der Opposition einiges Verständniß sinden. Die Ausbreitung der Maul und Klauensenche, einer ich ver⸗ ise in dieser Beziehung auf die gestrigen Bemerkungen des Hrn. n Kardorff sehr schädlichen und perniziösen Krankbeit, war im til d. J. in Deutschland geradezu eine schreckenerregende. Der sundheitszustand unseres Rindviebs, unserer Schafe und Schweine war außerordentlich ungünstiger. Alle veterinärpolizeilichen Maßregeln, ron den Regierungen getroffen wurden, verfingen dagegen nicht, sie Hhtten nicht zu einer so schnellen und so wirksamen Abnahme der tuche, wie wir das wünschen mußten. Es würde schon aus diesem fande allein der Gedanke haben entstehen müssen: Sollen wir t diejenigen Quellen, aus denen uns die Maul und Klauenseuche seführt wird, verstopfen? Aber zu dem Entschluß auf diesem Wege zugehen, mußte uns außerdem noch der ganz jweifelsfreie Beweis

sendaft eingeschlepyt wurde. Der wirthschaftliche Vortheil, den wir uns von dem Erlaß eines ben Verbots versprachen, war in der Pauptfache zunächst die sederherstellung und Erbaltung des Gesundt eitszuftandes unseres nen Viehstapels; und, meine Herren, daß die Erhaltung des Ge⸗ Vbeitẽ zustandes des eigenen Viehstapels auch im Interesse der Kon enten liegt. das kann füglich Niemand bezweifeln. Denn die Folge einem Gehenlassen auf diesem Gebiete würde unkeugbar die ge— en sein, daß unsere Schweinezucht, und nicht allein diese, sondern E unsere Schaf⸗ und Rindviebzucht außerordentlich zurückgegangen e; und ob uns hierfür die Deff nung aller unserer Grenzen einen DPtechenden, oder auch nur einen annähernd gleichwerthigen Ersatz baffen haben wärde, das, meine Herren, war denn doch mindestens

stark in Zweifel zu ziehen. eiter aber kam es darauf an, die Märkte wieder zu gewinnen, Ce wir für den Abfatz unferes Viehes im Weslen haben, die uns aber olge der Einfuhrver note der großbritannifchen, der französischen der belgischen Regie rung verloren gegangen sind Die Ver— rpung der Seuche aus dem Osten durch Deutschland nach Eng—⸗

welche in früheren Jahren eine besondere Ausnahme bewilligt zu werden pflegte, keine weitere Ausnahme mehr machte.

Um welche Beträge es sich dabei für uns handelt, welche erheblichen Werthe dabei in Frage stehen, das, meine Herren, werden Sie leicht ersehen, wenn ich Ihnen mittheile, daß allein die Ausfubr von Schafen nach Großbritannien im Jahre 1888, und zwar auf direktem Wege, aus Deutschland 319 600 Stück und über Hamburg ⸗Altona noch 66 700 betragen hat, daß daneben an Ochsen direkt nach Großbritannien 8821 Stück transportirt worden sind. Es handelt sich da also um so bedeutende Werthe, daß die Regierung auch aus diesem Grunde, obwohl ich wiederhole es zunächst der veterinärpolizeiliche Grund der Erhaltung der Gesundheit unseres Viebhstapels entscheidend war, zu dem Erlaß eines Einfuhrverbotes zu schreiten genöthigt war.

Die Preiserhöhung, meine Herren und das spreche ich hier ganz offen aus —, die in Bezug auf das Fleisch eingetreten ist, ver dankt nicht allein diesem Umstande ihre Entstebung. Ich entnebme dies unter Anderem aug Nachrichten über die Steigerung der Fleisch— preise in angrenzenden Ländern. Ich kann Ibnen zum Beispiel mit— ibeilen, daß nach einem Konsularbericht, der mir heute zugegangen ist, die Preise auch in den Niederlanden, einem Lande, in welchem es keine Fleischjölle und kein Einfuhrverbot giebt, im Laufe dieses Jahres zeitweise nabezu um 100 υ in die Höbe gegangen sind. Ich kann Ihnen weiter mittheilen, daß auch in Oesterreich die Fleisch= preise eine Steigerung erfahren haben, und es ist daher nicht richtig, zu behaupten, daß lediglich unser Einfuhrverbot die Erhöhung der deutschen Fleischpreise veranlaßt hat.

Es kommt etwas Weiteres dazu, und fär die Richtigkeit dieses Arguments spricht der Umstand, daß die Preise sich augenblicklich wieder in einer absteigenden Tendenz bewegen. Dieises Argument ist das, daß sich unser Viehhandel man kann ja sagen leider Gottes in verhältnißmäßig wenig Händen befindet. Die Viehhändler sind durch das Einfuhrverbot und das derdenke ich ihnen weiter gar nicht unangenehm berübrt worden. Bequeme ihnen lieb gewordene Bezugsquellen sind verstopft. Sie haben an deren Stelle neue aufsuchen müssen, und der direkte Verkehr zwischen Konsumenten und Produzenten, wie er im Intereffe der Konsumenten sehr zu wünschen wäre, hat sich leider noch nicht in ausreichendem Maße herstellen lassen.

Die Regierung ist nun aber keineswegs dabei stehen geblieben, das Einfubrverbot zu beschließen und im Uebrigen die Dinge gehen zu lassen, sondern hat vielmehr gleichzeitig auch darauf Bedacht ge— nommen, daß an Stelle der verstopften Quellen ergiebige Quellen aus dem Inlande in erleichterter Weise sich öffnen möchten. Dazu gehörten die Tarifbegünstigungen, die in Bezug auf den Viehvrrkehr auf den Eisenbabnen eingeführt sind; dazu gehört ferner die Ftablirung von Märkten. Wenn Jemand aber bebaupten wollte, daß Deutschland nicht im Stande sei, diejenige Zahl von Schweinen zu züchten, welche notbwendig ist, um das Bedürfniß der Bevölkerung zu befriedigen, so würde er sich in einem großen Irrthum befinden. Die Statistik über die Ein- und Ausfuhr des rorigen Jahres ergiebt, daß wir rund annähernd 80 000 Schweine mehr aus— wie eingeführt haben. Daraus ist der Schluß berechtigt, daß wir unsern Schweinebedarf im Inlande selbst zu decken vermögen.

Aehnlich wie mit der Agitation, die sich an den Erlaß des

gitation, welche auf Abschaffung der Getreidezöke gerichtet ist, und welche eine unerträgliche Erhöhung der Getreidepreise behauptet. Man hat in verschiedenen Zeitungen es läßt das auf einen ge— meinsamen Ursprung schließen Haarsträubendes von der Ver— theuerung der nothwendigen Nahrungsmittel gelesen, aus denen dann zu entnehmen sein soll, daß der Weizen, während er im Juli 1888 nur 165 Æ im Durchschnitt gekostet hat, im Juli 1885 auf 186 4 gestiegen sei, und daß der Roggen im Juli dieses Jahres 152 46 gegenüber 127 im Juli des Vorjahres gekostet habe. Man hat sich da aus den Nachweisen über die Preisverbältnisse und man kann dies den Herren vom Standpunkte ihres agitatorischen Be— dürfnisses nicht gerade verdenken einen Monat ausgesucht, der wunderschön in den Kram, den man an den Markt bringen wollte, paßt.

Man hat den Juli des vorigen Jahres und den Juli dieses Jahres genommen und wenn man die beiden Preise aus dem Juli des vorigen und dem Juli dieses Jahres zusammenstellt, fo hat man ganz richtig die Zahlen gegeben, wie ich sie joeben genannt habe.

Allein, meine Herren, jeder einigermaßen Sachverständige, und dazu sollte man, doch auch eigentlich die Jeitungsredacteure rechnen, die über diese Dinge schreiben, weiß, daß die augenblicklichen Preis⸗ verkältnisse eines Monats sich aus einer Reihe der verschiedensten Faktoren zusammensetzen, und daß es ganz falsch wäre, sich nur an einen Monat zu halten und zu sagen: weil in diesem Monat das Getreide höher gegangen ist als in dem betreffenden Monat des vorherigen Jahres, desbalb ist eine totale Preissteigerung für das betreffende Jahr zu konstatiren. Da kann ich denn zur Belebrung der Herren sagen, daß es im vergangenen Jahre eine ganze Reihe von Monaten gegeben hat, in denen der Preis sehr viel höher gewesen ist, als der Julipreis, und wenn man daraus das Facit ziebt, dann kommt man eben zu der Ueberzeugung, deß die ganze Berechnung keine Beweiskraft besitzt.

Außerdem aber und, meine Herren, das ist das Interessanteste dabei, denn die Zahlen, die ich jetzt geben werde, beziehen sich auf eine Periode, in welcher wir noch keine Getreidezölle batten ergiebt sick aus der Zufammenstellung, die ich aus den Preisnachweisungen mir habe machen lassen, daß der Julipreis dieses Jahres, vor allem aber der Weizenpreis, der also als ein so exorbitanter hingestellt wird, keineswegs ein solcher ist, der zu den Ausnahme— preisen gehört, daß er im Gegentheil, und zwar nament. lich der Weizenpreis von den Durchschnittspreisen einer Reibe von Jahren weit übertroffen wird, die, wie gesagt, vor Ein— führung unserer Getreidezölle liegen. So bat im Jahre 1860 der Berliner Durchschnittspreis des Weizens im Juli 228 betragen, im Jahre 1861 2109, im Jahre 1862 220, im Jabre 1863 251, im Jahre 1867 261, 1868 264, 1869 211, was soll ich Sie ermüden, die Geschichte geht weiter bis zum Jahre 1833, da hat er noch 185 betragen. Mit dem Roggen, alfo einem für die Volks ernãhrung noch wichtigeren Produkt, steht es auch keines wegs so ungünstig wie man uns glauben machen will. Es hat der Berliner Roggen im Juli des Jahres 1875 166 4 gekostert, im Jahre 1874 163, im Jahre 1873 161, im Jahre 1869 1299, im Jahre 1857 165, während der letzte Berliner Juli⸗Preis für Roggen nur 152. 43 06 betragen bat. Alsö, meine Herren, die ganze Deduktion mit den Getreideprelsen ist, wenn man an frübere Zeiten denkt, ver— fehlt. Wenn die Herren darauf zurückkommen sollfen, fo kann ich mit weiteren Zahlen dienen, mit denen ich zur Zeit das Haus nicht ermüden will.

Ebenso verkebrt ist die Bebauptung, der kleine Mann könne die gegenwärtigen Preise nickt bezahlen, weil sein Verdienst zu schlecht fei. Meine Herren, ich gönne Jedem im Lande ein reichliches, gutes, seinen Be—= dürfnissen und Wünschen entsprechendes Auskommen, so gut freilich werden wir unsere Arbeiter nie stellen können, wie die höheren Klassen gestellt sind, und der verständige Arbeiter wird das auch gar nicht wollen. Man soll sich aber andererseits doch hüten, aus einer vollständig falschen Darstellung Material zu entnehmen, um die vorhandene Un— zufriedenheit Unzufriedenheit wird sein, auch selbst, wenn Hr. Abg Bebel seinen Staat durchsetzt, und dann vielleicht erst recht um die vorhandene Unzufriedenheit noch zu nähren. Meine Herren, es ist garz unleugbar, dafür sprechen sehr viel Momente. daß die Ein nahmeverhältnisse unserer arbeitenden Klassen sich gebesfert haben. Eine allgemeine Lohnstatistik haben wir nicht, ich habe dem Reichstage schon früher auseinandergesetzt, weshalb wir sie nicht haben und weshalb wir sie wabrscheinlich sobald auch nicht bekommen werden; allein, wenn inan den Berichten trauen darf, einmal den Berichten der Fabrikinspektoren, zweitens den Berichten der Handelskammern, drittens den Berichten, welche verschiedene industrielle Bilanzen Über ihre Geschäftsverhältnisse geben und ich möchte bier einschalten, ich wünschte sebr, daß darin dir Lage der Arbeiter etwas

war der Grund, weshalt die englische Regierung uns ihre Häfen 3 und auch zu Gunsten der Provinz Schleswig ⸗Holstein, für!

eingebender behandelt würde, als diefes vielfach geschieht —, ich sage, wenn man sich aus diesen Berichten ein Bild macht,

Schweineeinfuhrverbots ig verhält 5 sich nun aher auch mit dez a

so kann man gar nicht anders. man muß zugeben, daß sich die Einnahmen und die Lebenshaltung unserer arbeitenden Klassen wesentlich gehoben haben. Mag man diesen Zuwachs der Einnahmen für nicht ausreichend halten, mag man dem Wunsche Ausdruck geben, daß die Aufbesserung noch eine größere, eine stärkere sein möge, ge⸗ wiß, ich gebe diesem Wunsche auch Ausdruck, aber die Behauptung, daß die arbeitenden Klassen die gegenwärtig vorhandenen Lebensmittel— preise nicht ertragen könnten, ist um deswillen falsch, weil diese Ge—⸗ treidexreise. wie ich soeben nachgewiesen habe, niedriger sind als in den 60er Jabren, und weil die Löhne gegenwärtig böber sind als in den 60er Jahren. Nun, meine Herren, damit will ich für jetzt meine Betrachtungen schließen. Sollten Sie mir später noch Veranlassung geben, eine Bemerkung zu machen, so werde ich das gerne thun. Ich babe zum Schluß nur zu sagen, daß die Darlegung des Hrn. Abg. Richter weit entfernt davon gewesen ist, uns in dem pflichtmäßigen und vaterländischen Bestreben, fär die intellektuelle und materielle Wohlfahrt des Vaterlandes zu sorgen, zu beirren.

Abg. Dr. von Bennigsen: Meinen Ausführungen über line andere Anordnung der Reichs-Finanzverwaltung hat Hr. Richter einen wesentlich persönlichen Charakter gegeben, ob⸗ wohl so wichtige Fragen doch rein sachlich und nicht vom persönlichen Standpunkte zu betrachten sind. Von den Ver— handlungen, die ich hierüber mit dem Reichskanzler früher ge⸗ halten habe, weiß der Abg. Richter offenbar mehr, als ich selbst. Bezüglich der Getreidezölle bemerke ich, daß so wichtige Fragen, wie der Niedergang der Landwirthschaft durch die Konkurrenz der billiger produzirenden Länder in Folge der Verbesserung der Transportmittel, nicht so leicht behandelt werden können, wie der Abg. Richter es über sich bringt. Nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa leidet unter dieser Konkurrenz, und da muß jeder ernstliche Politiker nach Abhülfe suchen. Mit der Mehrzahl meiner Freunde meine ich, daß die Form der Schutzzölle für die Landwirthschaft nicht die beste Art der Abhülfe sei, da dadurch auch andere Interessenten leicht geschädigt werden können. Als die Frage den Reichstag zum ersten Male beschäftigte, habe ich denselben Standpunkt ver— treten, wie die ganze Zeit nachher bis heute. Ich möchte keine Verdunkelun gen zulassen. Ich habe damals ausgeführt, daß die niedrige Abgabe, die der Zolltarifentwurf vorschlug, eigentlich nur eine statistische Gebühr sei, wie sie ähnlich in England 20 bis 25 Jahre nach der Abschaffung der Kornzölle auch bestanden hat, trotzdem damals die Aufhebung der Zölle in England eine so große Aufregung hervorgerufen und die Aufmerksamkeit auf diesen Punkt namentlich hingelenkt hat. Diese Meinung vertrete ich auch heute noch. Für den Zoll— tarif habe ich damals nicht gestinmt. Was nun die De ung der Ausgaben im Reich betrifft, so ist bei den Mehrbedürs⸗ nissen von 270 Millionen, die wir seit 12 Jahren haben, oder wenn man die 90 Millionen Matrikulärbeiträge ab— zieht, von 180 Millionen, nicht daran zu denken, die Mehr⸗ berräge Srech eine Reich⸗-Einkommensteuer - und-Abschafftnng- der Zuckerprämien zu decken, denn das ergab nur etwa 460 Millionen. Damit glaubt der Abg. Richter seine Schuldigkeit gegen die unerhört hohen Bedürfnisse des Reichs gethan zu haben. Und im Augenblick, als der Abg. Richter diese Summe anbot, stand sie gar nicht zur Verfügung. Die Aufhebung der Zuckerprämien konnten nicht einmal seine Freunde damals vertreten. Für diese Maßnahmen bedarf es jahrelanger Vor— bereitungen im Reich und in den Einzelstaaten. Das ist der ganze Versuch der Fortschrittspartei, den Bedürfnissen des Reichs gerecht zu werden. Ich verstehe es, daß eine Oppo⸗ sitionspartei sich einer solchen Verpflichtung nach Möglichkeit zu entziehen sucht. Es ist ja viel bequemer, wenn man Ausgaben nicht ablehnen kann, die Verantwortung für neue. Steuern anderen Parteien und der Regierung zu— zuschieben. Sonst würde man ja einen Angriffspunkt gegen die Regierung verlieren und müßte sich in den Zeitungen die Klagen Üüber die ewigen neuen Steuern und größen Be— laslungen gänzlich entgehen lassen. Deshalb befaßt man sich damit, dem Volke einzureden, daß neue Steuern gar nicht nöthig wären für die Ausgaben, wenn man die Vorschläge der Oppositionsparteien annähme. So sagt man, wir bewilligen zwar die Ausgaben zum Schutze des Vaterlandes, aber die neuen Steuern körn nen wir sparen. Wenn man die indirekten Steuern im Reich und in Preußen als völlig ungerecht hin— stellt, so vermag doch selbst die Stadtverwaltung von Berlin ohne indirekte Steuern nicht auszukommen. Der Abg. Richter sagt, mit Gas und Wasser sei es dasselbe, wie mit den Ueberschüssen aus Post-ͤ und Eisenbahnverwaltung. Darum handelte es sich ja gar nicht, sondern nur um die Frage, ob direkte oder indirekte Steuern. Im Großen und Ganzen läßt sich der Unterschied dieser so defi— nien: Die direkten Steuern werden auf die Einnahmen gelegt und die indirekten auf die Ausgaben. Auf die Ein— nahmen in Berlin sind ungefähr 20 Millionen durch die Haus— und Einkommensteuer gelegt. Ebenso viel etwa sind auf die Ausgaben in der Form der Ueberschüsse der städtischen Ver— waltung an Gas und Wasser, und endlich bei dem wichtigsten und theuersten Bedürfniß, bei dem Wohnungs— bedürfniß, in der Form der Miethssteuer gelegt. Die Mieths— steuer ist einfach eine indirekte Steuer. Die Miethssteuer ist auf das Wohnungsbedürfniß gelegt, also nicht die Einnahme aus dem Hause, sondern das Bedürfniß, Unterkommen zu finden, wird besteuert. Berlin hat also auch nicht lediglich direkte Steuern. Sie werfen uns vor, daß wir die indirekten Steuern stärker herangezogen haben für die Bedürfnisse des Reichs. Der Abg. Richter ent— wirft dann von unseren Zuständen ein Bild, wie wir es selbst in radikalen Blättern seit Jahr und Tag nicht gelesen haben. Wenn die Zustände thatsächlich so wären, würde nicht nur nicht der Abg. Richter, sondern überhaupt kein Mensch darin aushalten. Wir müßten Alle unser Bundel packen und nach einem anderen mit den gewünschten Freiheiten ausgestatteten Kulturstaat übersiedeln. Radikale Parteien stellen in allen Ländern die Zustände als verkehrt und schlecht dar, so lange sie nicht die Zügel in der Hand haben. Weil sie unzufrieden sind, bilden sie sich ein, alle Anderen müßten es auch sein. Von der Verkommenheit aller unserer Zustände hat Hr. Richter ein Bild entworfen, von dem man ssich mit Schaudern abwendet. Die Gesetzgebung hat seit 1867 Alles, was in allen großen europaäischen Ländern das Er— gebniß von Wissenschaft und Erfahrung gewesen ist, also das gesammte Ergebniß der abendländischen Kultur, niedergelegt, sod man sie vielfach mit liberal bezeichnet hat. Gerade deshalb ist diese Gesetzgebung später vielfachen Angriffen von konservativer Seite und vom Centrum ausgesetzt gewesen, weil sie in der Niederlegung der gesammten europaischen Entwickelung zu weit gegangen wäre. Der Abg. Richter vermißt noch immer die Landgemeinde- und die Städteordnung in Preußen. Allerdings ist die Land— gemeindeordnung sehr wünschenswerth, ebenso wie eine Reform

der Städteordnung; Hr. Richter vergißt aber die außerordent—