1889 / 273 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 15 Nov 1889 18:00:01 GMT) scan diff

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Anmerkung. Die Namensunterschriften der Mitglieder des Vorstandes können mit Lettern oder Fa simile⸗Stemreln gedrudt werden, dech muß jede Anweisung mit der eigenbändigen Namens ˖ unterschrift eines Kertrelbeamten verseben werden

Die Arweinnng ist zm Unterschiede auf der ganzen Slatibreite unter den beider letzten Zinsscheinen mit davon abweichenden Lettern in nachstehender Art abzudrucken:

ter Zinsschein. . ter Zinẽschein.

Anweisung.

Parlamentarische Nachrichten.

Schlußbericht der gestrigen (15.) Sitzung des Reichs— tages; Fortsetzung der Etatsberathung. .

Bei dem Etat des Reichs amts des Innern, Titel 1 der Besoldungen „Staatssekretär 50 0090 6“, kommt Abg. Frohme auf seine neuliche Kontroverse mit dem Staatsz⸗ ekretär von Boetticher über die Berichte der Fabrik— inspektoren hinsichtlich der Lohnbewegung zurück. Ein Urtheil wie das des Herrn Staatssekretärs, sagt er, ist sehr ernst zu nehmen, weil die Behörden im Lande nur zu sehr geneigt sind, sich danach zu richten. Wo liegt die Grenze zwischen berechtigten Bestrebungen der Arbeiterkoalitionen und den sogenannten umstürzlerischen, zu verhindernden Bestrebun—⸗

M

gen, welche die Fabritinspektoren gerügt haben? Wenn der Staatssekretär mit den Fabrikinspektoren überzeugt ist, daß es sich bei der Lohnbewegung der Arbeiter in der Hauptsache vielfach um die Erregung von Unzufriedenheit, um das Ver⸗ folgen agitatorischer Zwecke zu Gunsten der Sozialdemokratie handle, so muß er im Stande sein, die Beweise da—⸗ für zu erbringen. Die sozialdemokratischen Bestrebungen haben an sich mit der Lohnbewegung, mit den Strikes garnichts zu thun. In erster Linie ist der Arbeiter sensch, und als solcher den Gesetzen der herrschenden Sekonomie, allen Fährlichkeiten der modernen Produktions—⸗ weise unterworfen, ünd als Arbeiter, nicht als Sozialdemokrat hat er dagegen zu kämpfen. Die Forderungen der Sozial⸗ demokratie gehen weit über das hinaus, was durch die Strikes erreicht werden kann. Ich weise es entschieden zurück, die Strikes mit den Bestrebungen der Sozialdemokraten irgend— wie zu identifiziren. Der amerikanische Arbeits kommissar in New-⸗Hork denkt, über die Strikes ganz anders, als unsers Gewerberäthe. Es müsse ein großes und starkes Motiv sein, das einen Mann bewegen könne, die Arbeit einzustellen und sich selbst alles Erwerbes zu berauben. Selbst. wenn er eine Unterstützung erhalte, so sei das nur eine Hülfe, nicht ein Lohn für seine Bedürfnisse. Die Strikes hätten geholfen, die Löhne zu er— höhen, die Arbeitszeit zu verkürzen und überhaupt die Lage der Menschen zu verbessern. Diese objektive und unparteiische Beurtheilung der Strikes fällt gegenüber den- Berichten unserer Fabrifin pefioren sehr vortheilhaft auf. So spricht z. B. der Fabrikinspektor des Hamburger Aufsichtsbezirkes von „ver— meintlichen“ Beschwerden in den Arbeiterversammlungen und Fachvereinen. Andererseits sucht man die Gutachten der Handels— ammern und Berufsgenossenschaften für die Aufsichtsbeamten zu erlangen, als wenn diese brauchbarer wären, als die Urtheile der Fachvereine. Der Staatssekretär ha meine Aus— führungen über das Trucksystem angegriffen. In dem von ihm citirten Bericht heißt es, es seien nur vereinzelte Fälle der Anwendung des Trucksystems wahrgenommen worden. Drei ganze Fälle werden angeführt! Nun beweist aber die neuestẽ amtliche Justizstatistik für 1388, daß ungefähr 150 Fälle von strafbarem Truckunfug vorgekommen sind. Haben die Fabrikinspektoren die übrigen 147 Fälle nicht „wahrgenommen“? Auch in anderer Beziehung lassen die Berichte der Fabrikinspektoren Objektivität vermissen. Ich gebe zu, daß eine ganze Anzahl von Wohlfahrts⸗ einrichtungen verdienstlich ist, wenn sie nicht gebraucht werden, um den Arbeiter in eine um so größere Abhängigkeit von dem Unternehmer zu bringen. Leider ist dies sehr vielfach bei den Arbeiterwohnungen der Fall. In Nienburg wurden die

dem ihr Arbeitsvertrag sich in Folge des Umstandes geendigt

Gercralberichts über das Truckspstem durch die Lektüre des folgenden

Frage selber haben geben können und würde nicht genötbigt gewesen

wendung kommt. Das ist hier in dem Generalbericht ausdrücklich ausgeülrt, und da die Hausindustrie, soweit es sich nicht um Be— triebe handelt, in welchen eine regelmäßige Benutzung von Dampf- kraft staltfindet, nickt unter der Kertrole der Fahrikaufsichts beamten stebt, so folgt bieraus die Richtigkeit meiner Bebauptung, daß die Angeben der Berichte der Fabrikinspektoren welche sich lediglich auf die Fabrikindustrie erstrecken, ein im Wesentlichen rollständiges Bid ren der Anwendung des Truckspstems in der Fabrikindustrie ergeben. Also, meine Herren, die größere Zahl der Kriminalstatistit kommt in der Hauptsache auf das Konto der Hausindustrie. Daneben will ich ja gar nicht leugnen, daß die Fabrikinspektoren nicht von allen Fällen der Ueberttetung der Vorschriften gegen das Truckspstem Kerntni erlangt baben, allein die Thatsacke sieht fest, daß das Truck⸗ frstem in immer geringeren Umfange in Anwendung kommt. Diese Tratfacke ergiebt sich erfrenlicker Weise auch aus der Kriminal staͤtinik Es sind beisrieisweise im Jatr 1886 205 rechtskräftige Entscheidungen in Sachen bezüglich der Anwendung tes Truckspstems ergangen, im Jahre 1887 dagegen rur 133; im Jabre 1886 sind 194 Verurtbeilungen vorgekommen, im Jahre 1887 dagegen nur 2, und wenn ich die Zabl des Herrn Abgeordneten, die er aus dem Jahre 1888 angegeben bat und die mir hier nicht vor⸗ liegt, recht derssanden babe, so ist auch für das Jahr 1888 ein weiterer Rückgang dieser Vestrafungen zu konstatiren. Nun, meine Hereer, kat mich der Herr Vorredner gefragt, wo die Grenze zwischen den erlaubten Bestrebungen der Arbeiter, ins⸗

besondere den erlaubten Bestrebungen der sonaldemokratischen Partei und zwischen den verbotenen umftürzlerischen Bestrebungen zu finden sei. Wenn er der letzten Sitzung Ihrer Sozialistenkommission bei⸗ gewobnt bätte, so würde er auch diese Frage nicht zu ftellen nõthig gebabt baben. dann würde er aus den dorligen Verbandlungen erseben baben, daß diefe Frage eine sogenannte quaestio facti ist. Es lassen sich näãmli die umstũrzlerischen Bestrebungen nicht so definiren, daß eine über jeden Zweifel erhabene Anwendung Les Sozialisiengcfetzes in jedem Falle gesichert erscheint, sondern dr Vorlie en ist eben eine Tbaifrage. Wir baben solcker Be⸗ flimmungen in unscrer Kriminalgeseggebeng mehrere, bei denen die ftrafbare Handlung sich nicht durch fee Grenzen bestimmen läßt, und da bekanntlich die Praxis sebr vielfältig ist und eine umstũtilerische Bestrebung, die heute als solche anerkanzt wird, morgen durch eine andere, bis dahin noch unbekannte, neu erfundene ersetzt werden kann, so werden Sie die erforderliche Belebrung darüber., was erlaubt und was unerlaubt ist, lediglich aus den Sprüchen der Behörden und Ge richte, welche für diese Sachen berufen sind, entnehmen können.

Dann bat der Herr Vorredner uns einen Extrakt aus einem Bericht eines amerikanischen Fabrik ⸗Aufsichtsbeamten verlesen und bat uns namentlich zu Gemütbe geführt, daß dieser Beamte anerkannt babe, daß die Strikes dazu geführt baben, die Löhne zu rerbessern. Meine Herren, das will ich ja gar nicht in Abrede stellen, das Arbeiter- foalitionen, die zum Zweck des Strikes eingegangen werden, auch damn führen konnen, die Lohne zu verbessern, und wenn diese Strikes zu einer gerechtfertigten Lohngufbesserung führen, so ist dagegen nicht das Mindeste zu erinnern. Wie der Herr Abgeordnete dazu kommt, aus meiner neulichen Aeußerung, daß Niemand das Koalitionsrecht der Arbeiter bischränken wolle, die Befürchtung zu entnebmen, daß diese Acußerung die Bebörden dazu fübren werde, ihre Thätigkeit aun noch mehr gegen die Arbeiter und zu Gunsten der Arbeitgeber zu entwickeln, das ist mir in der That unverständlich; im Gegentheil, glaube ich, könnten die Bebörden doch höchftens daraus entnehmen, daß bei der Reichs verwaltung der Wunsch besteht, der Koalitionsireihecit in ibren berechtigten Grenzen den weitesten Spielraum zu lassen. Nun weiß ich aber, daß in der That die Koalitionsfreiheit nicht blos zur Ver⸗ solgung berechtigter Arbeiterbestrebungen, sondern daß sie auch zur sozialdemokratischen Propaganda, zur Aufrei zung der Arbeiter gegen die Arbeitgeber benutzt wird, und, meine Herten, in dieser Beziehung steben wir nach wie ror auf dem Standpunkt, daß eine folcke unberechtigte Ausnutzung der Koali⸗ tionsfreibeit allerdings unterbunden werden muß.

Wenn der Herr Vorredner sich weiter darüber beklagt bat, daß die Fabrikinspektoren sich nicht, wie das in anderen Ländern geschieht, der Arbeiter annehmen und ibnen in ihren berechtigten Forde rungen gegenüber den Arbeitgebern ibren Schutz angedeiben lassen, so liegt da, wo dies der Fall ift, diese betrübende Ericheinung lediglich an' dem Verhalten der Arbeiter selbst. Auch darüber giebt der Bericht, wie er Ikren vorliegt, einigen Aufschluß. So sagt beispielsweise der Aufsichtebeamte in Hamburg: .

Im Auffichtsbeirke Hamburg war die Stellung der Aufsichts. beanmten ju den Arbeitgebern auch in diesem Jabre eine recht beiriedigende. während der Verkebr mit den Arbeitern nicht vor geschritten ist. Diese scheinen es vorzuziehen, vermeintliche Be⸗ schwerden in den Versammlungen der Fachvereine zur Sprache zu bringen. h

Alfo die Arbeiter baben sich in diestr Beziehung mindestens in keinem böberen Srade wie früher der Vermittelung der Fabrik— inspektoren bedient, und ich kann nur wünschen, daß das Vertrauen der Arbeiterwelt zu den Fabrikinspektoren zunebmen möge. Ich halte dicse Bermittelunß und dafür sprecken nicht blos die in anderen Ländern, fondern auch die bei uns gemachten Erfahrungen ich jage, ich halte diefe Vermittelung für eine im beiderseitigen und auch im allgemeinen Interesse außerordentlich nützliche und jedenfalls für wünscherewertber als die Vermittelung der Fachvereine, die mindesten? eine gewifse Vermuthung dafür in sick tragen, daß in ibnen nicht bloß die kerecktigten Intereffen der Arbeiter verfolgt werden, sondern daß dort auch von Ägitatoren im sozialdemokratischen Sinne Propaganda getrieben wird. ;

Weiter babe ich den Ausführungen des Abg. Frohme zur Zeit nichts entgegen zu halten.

Die Abgg. Baumbach und Schrader beantragen:

„Die verbündeten Regierungen zu ersuchen dem Reichstage den Entwurf eines Reichsgesetzes vorzulegen, betreffend die weitere Aus bildung der Arbeiterschutzzesetzgebung in Ansehung der Frauen⸗ und Kinderarbeit .

Hierzu beantragt Abg. Freiherr von Stumm: Hinter den Worten „in Ansehung“ einzuschalten: „der Sonntagsruhe, sowie “.

Die Anträge werden mit zur Debatte gestellt.

Abg. Baumbach: Die Vorlegung der einzelnen Berichte der preußischen Fabrikinspektoren neben dem Genera bericht ist ein Fortschritt, über den ich mich umsomehr freue, als der Minister von Boetticher im Abgeordnetenhause sich früher ent— schieden dagegen erklärte und die Tendenz des Antrags Hitze⸗ Lieber, der diese Vorlegung wünschte, eine Kontrolmaßregel gegenüber der Regierung nannte. Die Lohnfrage kann aller⸗ zings von den Fabrikinspektoren kaum erschöpfend behandelt werden, da namentlich in Preußen die Aufsichtsbezirke derselben zu groß find. Während in Sachsen auf 14000 Arbeiter ein Aufsichtsbeamter fällt, kommt in Berlin und Charlottenburg auf 134000 Arbeiter ein Fabrikinspektor mit einem Assistenten. Da können die Fabrik⸗ inspektoren die Verhältnisse und namentlich die Lohnverhält— nisfe nicht gründlich prüfen. Das Trucksystem findet sich hauptsachlich in der Hausindustrie, namentlich in Oberfranken, und ich selbst habe die bayerische Regierung darauf auf⸗ merksam gemacht. Aber auch die Frage der Anwendung des Trucksystems in der Fabrikindustrie haben die Fabrik. inspektoren nicht erschöpfend behandelt. Der Fabrikinspektor meiner Heimath verwaltet dieses Amt nur als Neben⸗ amt und kann nicht Alles überwachen, und ich selbst habe einzelne Fälle der Anwendung des Trucksystems zur Anzeige gebracht. Die Hauptfrage ist, ob aus den Erhebungen der Fabrikinspektoren über die Lohnzahlungen sich gesetzgebe⸗ rische Maßnahmen herleiten lassen. Zur Abschaffung des blauen Montags sind verschiedene Experimente gemacht worden. Man hat am Freitag die Löhne bezahlt, dann aber einen blauen Sonnabend gehabt. In einzelnen Bezirken hat man die Löhne der verheiratheten Arbeiter nicht an sie selbst, son⸗ dern an ihre bessers Hälfte gezahlt. Aber daraus folgten Mißhelligkeiten, da sich die verheiratheten Arbeiter ihren un⸗ verheiratheten Kollegen gegenüber in ihrer wirthschaftlichen Unabhängigkeit beeinträchtigt fühlten. Die Frage der Aus⸗ zahlung der Löhne an die jugendlichen Arbeiter direkt ist sehr schwierig. Man kann aber nicht gleich den Schutz der Gesetzgebung dafür anrufen. Ich meine mit dem Fabrik⸗ inspektor von Baden, daß die Auszahlung an die jugendlichen Arbeiter direckt gesetzlich nicht v-arboten werden könne, sondern die Arbeitgeber zu Gunsten der jugendlichen Arbeiter handeln müßten. Arbeiterausschüsse können eine wohlthätige Wirkung ausüben. Thatsächlich nimmit die Zahl, der jugendlichen Arbeiter in Deutschland erheblich zu. Sie ist von 155 642 in 1885 auf 192 165 in 1835 gestiegen. In Sachsen allein ist die

ahl von 34 713 in 1887 auf 33 06 in 1888 gestiegen. Die Zahl der Kinder, welche in sächsischen Fabriken arbeiten, ist von 10 652 in 1887 auf 1 000m in 1888 gestiegen. Wenn nun der Abg. Dr. von Frege behauptet, daß in Sachsen das Verhältniß zwischen

Arbeitgebern und Arbeitern ein so vorzügliches sei. so eh gegen diese rosige Auffassung die Zunahme der . schen Stimmen, welche von 35 285 in 1871 auf 1492

gestiegen ist. (Zwischenrufe rechts: Darin sind auch die Stimmen der Freisinnigen enthalien) Ich denke, es giebt in Sachsen gar keine Freifinnigen? Bei dieser Zahl sind noch nicht einmal die nicht wahlberechtigten erwachsenen Arbeiter einbegriffen. Der Abg. Dr. von Frege sollte also in der Schilde rung der vorzüglichen Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitern in Sachsen etwas vo er sein. Die Zunahme der Kinderarbeit sollte, doch die ver= bündeten Regierungen veranlassen, endlich einmal mit der gefetzlichen Beschränkung derselben vorzugehen. Gegen über vorgekommenen Mißverständnissen erkläre ich, daß ich von Anfang an gegen die Kinderarbeit in Fabriken gewesen; bestritten war nur, ob die gewerbliche Arbeit der Kinder überhaupt, auch in der Hausindustrie, untersagt werden soll Bezüglich der Frauenarbeit waren die verschiedenen Parteien des Reichstages über eine ganze Reihe wichtiger Fragen ein— verstanden, fo daß hier ebenfalls als Wunsch des Reichtagez wohl ausgesprochen werden darf, die verbündeten Regierungen möchten einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen Auch in sächsischen Fabriken kommt noch vor, worauf

ich wiederum den Abg. Dr. von Frege ganz besonders aur

merksam mache, daß Arbeiterinnen in den Fabriken übernachten, namentlich in den Blumenfabriken an der böh⸗ mischen Grenze. Eine Verordnung für den Regierungabezit Köln giebt ebenfalls zu Betrachtungen Anlaß, darin wird vor geschrieben, daß die Schlafräume der weiblichen Arbeiter von denen der männlichen gesondert sein und daß die weiblichen . bei ihrer Beschäftigung auf den Ziegelfeldern eine leidung tragen müssen, welche wenigstens bis zu den Knieen reicht und die Brust vollständig bedeckt. Daraus, daß diese Vorschrifst für nothwendig erachtet wurde, kann man en nehmen, wie die Zustände vorher gewesen sein mögen Gegen die Ergänzung des freisinnigen Antrags durch den Ankrag von Stumm über die Sonntagsarbeit haben an fich nichts einzuwenden, obgleich da die Dinge doch ander= liegen. Der Antrag ist von freisinniger Seite trotz de detaillirten Gesetzentwurfs des Centrums eingebracht worden, weil bei dem Hochdruck, mit dem gegenwärtig dahin gearbeita wird, die Sesslon noch vor Weihnachten zu schließen, de Centrumsantrag voraussichtlich nicht zur Berathung kommen wird. Der Abg. Kühn hat neulich in einer Wählerversamm— lung die Freisinnigen und namentlich mich des Mangels ar Arbeiterfreundlichkeit geziehen, weil der Rormalarbeitstaz nicht in den Antrag aufgenommen ist. Wenn das die ganz Arbeiterfreundlichkeit ist, für den elfstündigen Normal arbeitstag mit feinen Ausnahmebestimmungen für die Be hörden, wie er von dem Centrum und den Sozialdemokraten vorgeschlagen wird, zu stimmen, dann ist die Arbeiterfreun⸗ lichkeit billig zu kaufen. Ein elfstündiger Normalarbeitstuz könnte sogar schädigend wirken, weil wir vielfach bereits ein kürzere Arbeitszeit haben. Wenn man etwas auf diesen Gebiet thun will, dann muß man die verschiedenen Arbeiter branchen getrennt behandeln. Bei dem großen westfälische Kohlenstrike war die Forderung der Deputation an Re Kalser die achtstündige Normalschicht. Was wollen Si da mit Ihrem elf⸗ oder zehnstündigen Normalarbeitstaz! Eine absolute Arbeitszeit ist allerdings durchaus wünschen⸗ werth, aber ich glaube, daß durch Ausübung des Koalition⸗ rechts, das ich den Arbeitern vollständig gewahrt wünsch und auch schließlich durch den Strike, die ultimo ratio de Arbeiters, das auf diesem Gebiet Erreichbare auch erreist werden kann und wird. In Bezug auf den Strike führte is im vorigen Jahre aus, daß die österreichischen Fabrikinspektorer es verstanden hätten, große Strikes auf e , beizulegen Der Staatssekretär von Boetticher entgegnete damals daran, die Instruktion der deutschen Jaspektoren stimme wörtlich m der der österreichischen überein; Strikes können doch nicht ble zu dem Zweck geschaffen werden, damit die Fabrikinspektore darin eine große Rolle spielen; man müsse sie abwarten. D Strikes haben nun nicht lange auf sich warten lassen; wo ü aber der deutsche Fabrikinspektor in den deutschen Strikes 9 blieben? Die Instruktion mag ganz ausgezeichnet sein, wäre nur erfreulich, wenn man ersehen könnte, daß sie aus , n. wird. Hr. von Boetticher hat mit Stolz auf de Bestrafungen von Uebertretungen der Gewerbeordnun Seitens der Fabrikinspektoren hingewiesen; interessanter wan mir zu hören, daß sie bei den Strikes gewirkt und eim Vertrauensstellung bei den Arbeitern gewonnen hatten Rach den Berichten der Inspekioren sieht es aus, als ob dieselben ihre Hauptaufmerksamkeit daran gerichtet hätten, ob Sozialdemokraten bei dem Strike bete ligt find oder nicht. Die Betheiligung von Sozialdemokrat am Strike ändert doch an der Frage garnichts, ob der Strih⸗ gerechtfertigt ist oder nicht. Bei der großen Zahl da Sozialdemokraten in Sachsen ist es ja natürlich, dat wenn in Dresden ein Strike ausbricht, Sozialdemokrate⸗ dabei sind; da braucht sich der Fabrikinspektor nicht weiter de Kopf zu zerbrechen. Die Regierungen betonen stets, nur au den Umsturz gerichtete sozialdemokratische Bestrebungen umer drücken zu wollen: wie reimt sich das damit? Bei dem we faͤlischen Strike ist übrigens nicht nachgewiesen, daß sozic demokratische Arbeiter es waren, die den Strike geleitet bra an ihm betheiligt waren. Die Ansprüche der westfalische Kohlenarbeiter waren keine unberechtigten. Die Abkürzun der Arbeitszeit, der Wunsch, über die achtstündige Schi hinaus nur nach vorausgegangener Vereinbarung zu arbeiten und das Verlangen eines Arbeiterausschusses waren keine un berechtigten Forderungen der Strikenden. Die Art und Wein wie die Arbeiter ihre Forderungen geltend machten, war eben falls durchaus maßvoll. Deswegen will ich aber de Strike keinesweas empfehlen und als wünschenswerth hin gestellt haben. Jeder Strike ist an sich ein Unglück. Ich war auf die wirthschaftlichen Folgen, die verlorenen 3 der ungeheuren Produktionsverlust für die betheiligte Indusm uns die mitbetheiligten Industrien hin. In der Regel haben die Strikes noch dazu sfaft gar keinen Erfolg für die Ar beiter, denn die Arbeitgeber haben einen gewichtigen Bunder⸗ genossen, den Hunger. Der Arbeiter besonders, der enn Familie zu unterhalten hat, wird sich schließlich imme fügen mässen, und deshalb sind Sirikes möglicht verhüten. Anläßlich des westfälischen Kohlenstrikes sin die merkwürdigsten Vorschläge gemacht worden. Wenn nicht irre, war es ein Mitglied der freikonservativen Parte das sogar eine Verstaatlichung der Kohlenbergwerke in Aut sicht nahm. Einige haben eine Beschränkung der Koalition eiheit, andere, wie die Dortmunder Handelakammer, eine e

g des Kontraktbruchs gefordert. Ich erbitte mir voa

O in 1887

. Staats sekretaͤr eine Antwort, ob wirklich nach diesen ichtungen hin Erwägungen stattfinden, ob man inabesondere an eine Beschränkung der Koalitionsfreiheit und an eine Be⸗ strafung der Anstifter eines Strikes denkt. Zu meiner Ver⸗ wunderung ist der Abg. Dechelhäuser, dessen Arbeiterfreundlichkeit

außer Zweifel ist, in seinem Buche über die sozialen Tages⸗ fragen nicht direkt für eine Bestrafung des i rr er.

eingetreten; er hat aber die Frage besonders bei Berufs⸗ kategorieen, in denen Strikes tief in das wirthschaftliche Leben der Nation einschneidende Folgen haben, doch für diskutabel

erklärt. Für mich, und, wie ich annehme, auch für meine

eunde ist sie es nicht, denn die Bestrafung des Kontrakt⸗ ruchs würde ein Sonderrecht für die 2 bedeuten, da in lausend anderen Lebensverhaltnissen ein solcher straflos ist, wie 32. B. bei den Handwerkern, die den Besteller im Stiche lassen. Eine Vorlage über Einführung der gewerblichen Schiedsgerichte ist immer nicht zu Stande gekommen. Die Bedenken, welche egen das von der Stadt Berlin vorgeschlagene Statut Seitens 3 Dber⸗Prãsidenten geltend gemacht sind, zeigen, daß sich der statutarische 3 überhaupt nicht empfiehlt, sondern daß eine reichsgesetzliche Regelung wünschenswerth ist. Was der Oher⸗ Präsident für die Stadt Berlin als unannehmbar bezeichnete, ist in verschiedenen anderen Orten in Kraft. Daß das Schiedsgericht Zeugen vereidigen kann, ist weder in der Civilprozeßordnung noch im Gerichts⸗ verfassungsgesetz untersagt. Wenn eine Berufung auf den Rechtsweg noch für zulässig erachtet werden sollte, würde die Bedeutung und daz Ansehen des Schiedsgerichts über⸗ haupt in Frag gestellt sein. Die Ausdehnung des Wahlrechts auf alle über 21 Jahre alten Arbeiter ist in Frankfurt a. M., Stuttgart, Leiprig und Nürnberg statutarisch festgesetzt, und wäre der Abg. Miquel hier anwesend, würde er zugeben müssen, daß auch das Frauenstimmrecht in Frankfurt a. M. sich gut bewährt hat. Warum sollte sich das nicht auch in Berlin durch⸗ führen lassen? Ich bitte auch um Auskunft, wie weit die in Aussicht gestellte Vorlage über die gewerblichen Schieds⸗ gerichte gefördert ist. Zwar wird mit ihrer Einführung nicht jeder Strike und jeder Zwist zwischen Arbeiter und Arbeit— geber beseitigt, denn der vollständige soziale. Friede ist ebenso— wenig, wie der politische zwischen den verschiedenen Völkern, für immer herzustellen, aber zu einer Abschwaächung der Gegen— sätze sind die Schiedsgerichte wohl geeignet, und die ver— bündeten Regierungen sollten wohl ihre Verantwortlichkeit bedenken, wenn sie sich ihnen gegenüber ablehnend verhalten, nachdem der Reichstag ihnen bereits mit großer Majorität zugestimmt hat.

Staatssekretär von Boetticher:

Meine Herren! Der Herr Vorredner hat eine so große Fülle von Gegenständen zur Sprache gebracht, daß es mir nicht möglich sein wird, auf alle einzeln einzugehen. Aber ich werde gerne seine Wunsche, namentlich soweit sich dieselben auf eine Aeußerung über die schweben⸗ den Angelegenheiten erstrecken, zu befriedigen jucken und deshalb zu rächst meine Bemerkungen auf die angeregte Frage nach der Vorlage eines Sesetzes über die Emrick tung von Gewerbegerichten richten. Meine

Herren der Herr Vorredner ist eiwas zu stürmisch in dem Verlangen, daß die vorjabrige Rejolution des Reickstages bereits jetzt einen Gesetz= entwurf gezeitigt haben müsse, und er ift etwas ungerecht gegen den Bundesrath, wenn er in dieser Beziebun behauptet, daß derselbe jener Resolution kein Entgegenkemmen gezeigt habe. Das Gegentheil ist vielmebr der Fall: der Bundesrath hat die Resolution des Reichs⸗ tages den kompetenten Ausscküßsen zur Vorberathung übergeben. Diese Ausichüsse baben bereits einen Gesetzentwurf über die

Errictung ron Gewerbegerichten ausgearbeitet, sie sind jetzt damit beschäftigt, die Frage zu erörtern, inwieweit es an— gejeigt sein möckte, den Gewerbegerichten auch die Funkticnen von Einigungsämtern zu übertragen, und ick darf erwarten, daß dem Reichstage in nicht zu ferner Zeit auch ein Gesetzentwurf zugehen wird, der das Sebnen des Hrn. Abg. Dr. Baumbach zu befriedigen verspricht. Daß das in dieser Session des Reichstages gescheben werde, kann ich allerdings nicht in Aussickt ftellen, und selbst wenn der Gesetzentwurf fertig rorläge, so würde ich doch Anstand nebmen müssen, mich noch für eine Einbringung desselben arszusprechen, nackdem auch schon der Hr. Abg. Dr. Baumbach über große Ueberlastung geklagt bat und über die Nöthigung zu einem so anzestrengten Arbeiten, daß es hier nicht mebr auszubalten wäre.

Damit kann ick wohl diesen Gegenftand verlassen, indem ich nicht allein nochmals das Entgegenkommen des Bundesratks konstatire, sondern auch wiederholt hervorhebe, daß die Sache in der Bearbeitung begriffen ist.

Was sodann die Resolution, die ja das Hauptthema in der Rede

des Hin. Dr. Baumbach war, anlangt, die an die verbündeten Re— gierungen zu rickhtende Aufforderug zur Förderung der Arkeiterschut gesetzgeburg, so bin ich allerdings zu meinem Bedauern nichi in der Lage, etwas Anderes sagen zu können, als was ich in längerer Rede im vorigen Jahre im Reichs tage ausgefübrt habe. Der Bundesrath kat damals nach meinen Ausführungen aus den in denselben eingehend dargelegten Gründen den Arbeiterschutzanttägen gegenüber eine ablebnende Haltung ange⸗ nommen, und es ist inwischen nichts eingetreten, was den Bundes rath bätte veranlassen können, sich von Neuem mit der Frage zu be— schäftigen und von seiner ablebnenden Haltung abzugeben. Sonach bin ich also auch beute nicht im Stande, in Aussicht zu stellen, daß eine erneute Anregung von Seiten des Reichstages einen anderen Erfolg als den der früheren Anregung haben wird. DVann, meine Herren, hat der Herr Vorredner die Thätigkeit der Fabrikinspektoren auck seinerseits in den Bereich seiner Kriti gezogen und insbesondere beklagt, daß sich aus den Berig ten derselben nicht ergebe, daß unsere Fabrikaufsichtsbeamten sich in derselben nützlichen und gedeiblichen Weise wie die österreichischen der Vermitttlung von Streitigkeiten zwischen den Arbeitgebern und Arbeitnehmern unter iieben. Die Berichte es letzten Jabres, miinte er, enthielten wenigstens in dieser Beziekung richts, und so müsse angenommen werden, daß auch namentlich zur Vorbeugung von Strikes die Ver mittelung von Fabrikaufsicktsbecmten nicht eingetreten wäre. Das mag richtig sein, meine Herren, allein worin liegt der Grund? Der Grund liegt darin, daß die Thätigkeit der Fabrik - aufsichtsbeamten für diesen Zweck nickt in Anspruch genommen worden ift. Es ist nicht die Aufgabe der Aufsickisbeamten, und sie besteht auch nicht in Oesterreich darin, sich ex officio zwischen die Parteien zu drängen und eine von denselken gar nicht gewollte Vermittlerrolle zu übernebmen, die Sache entwickelt sich vielmehr auch in Desterreich so, daß eine der streitenden Parteien die Vermittelung des Fabrik inspektors begehrt. Darüber ist gar kein Zweifel, und es liegt dies auch innerbalb der durch die betreffenden Vor⸗ schriften geregelten Befugniffe der Fabrikinspektoren, daß sie sich Sieser Vermittelung zu unterziehen haben, wenn Tieselbe von Seiten der Interessenten erbeten wird. Man kann es ja beklagen, daß sich aus dem Umstand, daß die Fabrikinspektoren nicht zur Bei⸗ legung von Arbeiterausständen in ArsFruch genommen werden, noch nicht dasjenige Maß von Vertrauen ergiebt, welches wir dem Institut der Fabrikinspektoren wünschen müssen. Vielle cht kommt dabei aber guch, wenn man den Unterschied erwägt, der in dieser Bezie⸗ bung in Defsterreich gegenüber Enseren Verhältnissen sich zeigt, die Neigung und die Stimmung der Bevölkerung, und vielleicht auch das Maaß sozialistischer Einwirkung mit in Betracht, welches bei uns stärker ift als in Oesterreich.

Der Herr Vorredner glaubte nun, aus einer Aeußerung, welche ich dem Hrn. Abg. Frobme gegenüber gethan babe, entnehmen ju müßen, daß es in der Absicht der

e die Koalitionafreiheit der Ick bin mir nicht bewußt, dazu die Ver anlaffung gegeben zu haben. Ich babe dem Hrn. Abg. Frohme viel

verbündeten Regierungen liege, Arbeiter einzuschtãnken.

mehr vorgestein und heute gesagt, daß Niemand daran denke, die oalitionsfreiheit der Arbeiter zu beschränken, und daraus würde also sinngemäß und wortgemäß der Schluß zu zieben sein, daß in dieser Belebung bei den rerbündeten Regierungen keine Absicht auf Ein⸗ schrãnkungen besteht.

Wenn nun der Herr Vorredner ferner ars meiner Bemerkun Veranlaffung genommen hat, die Frage zur Erörterung zu ziehen, o es angezeigt sei, auf dem Wege des Gesetzes eine Bestrafung des Kontraktbruchs einzuführen, so kann ich ihm in dieser Beziebung die beruhigende Mittbeilung machen, daß kis jetzt weder bei der 1 noch bei der Reichsregierung eine Neigung dazu hervor- getreten

Endlich, meine Herren, möchte ich noch mit ein paar Worten auf die Zunahme der Kinderarbeit kommen. Es ist ja gewiß unzweifelhaft kein günftiges Zeichen, wenn die Kinderarbeit, d. b. die Arbeit jugendlicher Arbeiter unter 14 Jahrer, in größerem Umfange zunimmt. Anders liegt dagegen die Frage der Zunahme in der Beschäftigung der jungen Leute, also der jugendlichen Arbeiter über 14 Jahre. Man wird jugeben müssen und es ist für das vergangene Jahr zu konstatiren, daß diese Auffafsung, die ich sogleich aussprechen werde, auch in den Kreisen der Fabrikaufsichtsbeamten getheilt wird man wird zegeben müssen, daß es keineswegs ein unerfreu⸗ liches Zeichen für die Lage unserer Industrie ist, wenn jugezdliche Personen, abgeseben von den Kindern, in erhöhtem Maße besckäftigt werden, vorausgesetzt, daß dadurch den erwachsenen Arbeitern keine schädigende Korkurren; geschaffen wird. So lagen aber die Dinge für die beiden letzwergangenen Jahre; denn, meine Herren, während wir im Jabre 1886 gegenüber dem Sahre 1884 eine Verminderung in der Zabl der beschäftigten jungen Leute um rund etwa 10090 Köpfe zu verzeichnen hatten, hat im Jabre 1883 gegenüber dem Jahre 1886 die Beschäftigung der jungen Leute um 31 663 Köpfe zugenommen. Die Periode von 1884 1886 wies zur eine Zunabme der Kinderbeschäftigung, dagegen eine Abnabme der Besckäftigung junger Leute nack. Demgegenüber ist das Ergebniß der Periode von 1886, 83 ungleich günftiger, da nicht allein die Kinder arbeit., also die Beschäftigung der Kinder von 12 bis 14 Jahren, eine um 130i geringere Zrnahme erfahren bat, als in der vorhergebenden Periede, sondern auch die Zunabme in der Beschäftigung junger Leute eine erbeblich größere gewesen ist, als bei der Kinderarbeit. Von sämmtlichen beichäftigten jugendlichen Arbeitern waren nämlich im Jabre 18865 13,5 o, dagegen im Jahre 1888 nur 11.9 0,0 Kinder. Sie sehen also, daß die Beschäftigung der Kinder, wenn auch die absolute Zahl derselben zugenommen, doch relativ sich ermäßigt hat. Wir seben und ich glaube mit Recht in dieser Zunahme der Beschäftigeng junger Leute ein erfreuliches Zeugniß für den Auf. schwung der Industrie; denn man kann nicht behaupten und nicht nachwersen, das diese Beschäftigung jugendlicher Personen dazu geführt babe, daß erwachsenen Arbtitern damit die Arbeit entzogen worden ist.

Abg. Freiherr von Stumm: Eine so breite Behand⸗ lung der Resolutionen, wie sie gestern und heute hier statt— gefunden hat, ist geradezu unerhört. Ich bin acht Jahre lang nicht Mitglied des Reichstages gewesen, aber das muß ich sagen, die damalige Majorität hatte sich das nicht gefallen

lassen, ohne mit Schlußanträgen zu kommen, und doch waren

die Verbandlungen nicht weniger interessant. Der Abg. Baum⸗ bach hat die Frage der Fabrikinspektoren, den Normal⸗ arbeitstag, den westfälischen Strike, die Bestrafung des Kontrakt⸗ bruchs, die gewerblichen Schiedsgerichte nicht blos ge—⸗ streift, sondern mit der größten Ausführlichkeit behandelt. Ich wundere mich nur, daß er nicht auch die Samoafrage angeregt hat. Die Frage der Fabrikinspektoren könnte ich nach den Ausführungen des Herrn Staatssekretärs für erledigt halten. Diese Beamten haben die Aufgabe, zur Harmonie der Gesell⸗ schaftsklassen beizutragen, während die Sozialdemokratie gerade von der Disharmonie derselben lebt. Deshalb die Angriffe Frohme's gegen diese Beamten. Der Abg. Baumbach sollte bei seinen Angriffen gegen die Fabrikinspektoren doch bedenken, daß wir nur mit ihrer Hülfe und im Vertrauen auf sie seinem Antrage zustimmen können. Wir können diesen Beamten für ihren Fleiß bei Abfassung ihrer Berichte nur dankbar sein. Ich kalte die Sache fuͤr spruchreif, aber nicht im Sinne der Arbeiterschutzanträge, die weit über das Ziel hinausschießen. Den richtigen Weg hat allein die Gewerbenovelle von 1878 betreten, indem sie den Arbeiter vor Ausbeutung aber auch vor dem theoretisch wohlgemeinten, aber praktisch gefährlichen Bestreben schützte, ihm statt Brot Steine zu geben. Das Letztere geschah durch eine Modifi⸗ kation des Trucksystems dahin, daß die Abgabe von Lebens—⸗ mitteln unter dem Kostenpreise in Zeiten der Noth statt des Lohnes straflos bleiben solle. Auch die Aufhebung des abso— luten Verbots der Nachtarbeit der jugendlichen Arbeiter und die Zulassung der Kinder über 14 Jahre zur Arbeit hat sich als heilsam erwiesen, nicht nur in Rückficht auf die Erwerbs⸗ fähigkeit, sondern auch als Schutzwehr gegen Zuchtlosigkeit und Vagabundage. Die Nachtarbeit der Frauen ist in gesundheitlicher und sittlicher Beziehung bei Weitem nicht so gefährlich, als man ge⸗ wöhnlich annimmt. Ein totales Verbot dieser Arbeit halte ich jedenfalls für bedenklich. In der Hausindustrie und selbst in der Landwirthschaft werden die Frauen bei Nacht sehr viel angestrengter beschäftigt, als in manchen Zweigen der Industrie. Beschränkt man den Frauen aber diese Erwerbsthätigkeit, so treibt man sie geradezu der Prostitution in die Arme. Ich für meinen Theil halte die Regelung der Sonntagsarbeit für noch wichtiger, als die der Frauen- und Kinderarbeit, aber auch hier schießen die Anträge über das Ziel. 1878 ließen wir die Feiertage, vollständig aus dem Sonntags⸗ schutz heraus, weil die konfessionellen Feiertage in einzelnen Landern verschieden sind, und weil wir die Feiertags⸗ ruhe vom rein menschlichen Standpunkte aus regeln wollten. Jetzt macht das Centrum zwischen Sonntags- und Feiertags⸗ ruhe gar keinen Unterschied und will den Dispens von der absoluten Arbeitsruhe von dem Belieben des Bundesraths abhängig machen. Dagegen muß ich vom Standpunkt meiner Industrie entschieden Verwahrung einlegen. Mit so weit— gehenden Anträgen ist dem Arbeiter nicht gedient; und ich konstatire vor dem Lande, daß gerade die Arbeiter⸗ kreise dem Bundesrathe dankbar sind für seine ablehnende Haltung zu diesem Antrage. Ich will lieber die heutigen Zu— stände aufrecht erhalten, als die Arbeiter unter die Zwangs⸗ jacke solcher Anträge bringen. Ich bitte auch das Centrum für den Antrag Baumbach zu stimmen; es präjudizirt dadurch seiner Abstimmung nicht, zumal der Antrag des Centrums, der vorauesichtlich in eine Kommission verwiesen werden wird, in dieser Session unerledigt bleiben wird.

Abg. Freiherr von Franckenstein: Wir sind nicht in der Lage, für den Antrag Baumbach zu stimmen, weil wir bereits am 25. Oktober einen formulirten Antrag, betreffend die Frauen- und Kinderarbeit, eingebracht haben. Damit haben wir nicht eingeräumt, daß wir kein Interesse an der Regelung dieser höchwichtigen Angelegenheit haben. Meine politischen Freunde haben seit . langen Jahren hier bewiesen, für wie dringend sie diese Sache en. enn auf

allen Seiten des Hauses der dringende Wunsch besteht, in dieser rage eine Regelung herbeizuführen, so wird man im daufe ieser Session, mag sie auch noch so kurz sein, diese Frage regeln können.

Abg. Oechelhäuser: Zunächst danke ich dem Abg. Baum⸗ bach für die Ehrenerklärung, die er mir gegeben hat. Was seinen Antrag betrifft; so erkläre ich im Namen meiner politischen 1 daß wir es für geradezu selbstverständlich halten, daß wir ganz auf der Seite seines Antrages stehen. Wir können uns auch dem Bedenken des Hrn. von Francken⸗ stein nicht anschließen, daß wir eine formelle Inkonsequenz begingen, wenn wir diese Resolution befürworteten, während wir im vorigen Jahre einen formulirten Gesetzentwurf an— genommen haben und während auch in diesem Jahre von ihm und seinen Freunden der Antrag wieder eingebracht worden ist. Eine Lösung dieser Frage können wir nur von der Initiative des Bundezraths unter Mitwirkung des Reichs⸗ . erwarten. Um so bedauerlicher ist die Antwort des Staats⸗ sektetärs von Boetticher für das Gefühl weiter Kreise, vor Allem dieses Hauses, welches unter seiner Führung an der sozial— politischen Gesetzgebung mitgearbeitet hat, eines Mannes, der sich das höchste Verdienst um das Zustandekommen dieser Gesetze erworben hat, die erst in der Folge vollständig werden gewürdigt werden können, ich meine die Erklärung, es sei seit dem letzten ablehnenden Votum der verbündeten Regierungen nichts vorgekommen, was sie veranlassen könnte, die Frage von Neuem wieder aufzunehmen. Gerade die großen Arbeiterbewegungen der letzten Zeit jollten dazu auffordern, losgelöst von gelehrten Schul— meinungen, Leben und Gesetzgebung in Kontakt zu bringen. Gerade ich will die Lohnfrage der Strike ist nur ein Symrtom ohne jede Einmischung der Beamten geregelt sehen, und zwar durch eine Einigung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Aber in diese Lohnfrage spielen unendlich viele andere wichtige Fragen hinein, vor Allem der Arbeiter— schutz. Geschieht hier nichts von den verbündeten Regierungen, dann, muß ich sagen, werden ganze Strömungen des öffent— lichen Lebens von der Gesetzgebung losgelöst. Ich wünsche und hoffe, daß bei den nächsten Wahlen nicht ein einziger Kan— didat sich seinen Wählern präsentiren darf, der nicht das Ver⸗ sprechen abgiebt, auf der Bahn dieser Anträge unentwegt fort— zuschreiten.

Abg. Dr. von Frege wendet sich gegen die von dem Abg. Baumbach gegen ihn gerichteten Angriffe. Hr. Baumbach habe bei seinen Ausführungen die Zunahme der Bevölkerung übersehen, ebenso die Zunahme der jugendlichen Arbeiter außerhalb der Fabriken. Die Zunahme der Hausarbeit be— klagen wir auch, können sie aber nicht mit einem Gesetzes⸗ paragraphen beseitigen. w es, zumal in Thüringen, besser geworden. Was die Zunahme, der sozialdemokratischen Stimmen be— trifft, so erklärt sie sich auch aus der Dichtigkeit der Bevölkerung, aus der Einwanderung fremder Sozialdemokraten, der größeren Wahlbetheiligung und der Stimmabgabe solcher Wähler, welche auf dem Boden der Freisinnigen stehen und aus taktischen Gründen für die Sozialdemokraten eingetreten find. Hoffentlich werden die Kartellparteien bei den nächsten Wahlen um so fester zusammenhalten. Die Fabrikinspektoren haben sich sehr wichtige Verdienste um den sozialen Frieden erworben. Ich erinnere nur an die Beilegung des Strikes im Zwickauer Kohlenrevier. Ein Hauptübelstand ist es, daß die jugendlichen Arbeiter, sobald sie die Schule verlassen haben, in die Städte gehen, während unsere Landwirthschaft sich ihre Arbeitskräfte weither aus dem Osten holen muß. Es ist dem jugendlichen Arbeiter viel zuträglicher, wenn er auf dem Lande arbeitet und ein tüchtiger Landwirth oder Handwerker wird, anstatt Fabrikarbeiter zu werden. Darin wird uns Hr. Baumbach allerdings nicht unterstützen, weil er dies für eine agitatorische Forderung ansieht. Dadurch würden aber die Uebelstände der Verhältnisse der jugendlichen Arbeiter am Besten gehoben werden. Auf dem Lande kann auch das sittliche Verhalten der jugendlichen Arbeiter überwacht werden, was in den großen Städten ganz unmöglich ist. Hier liegt also eine soziale Frage vor, an deren Lösung alle Parteien mitarbeiten sollten. Unsere alten erprobten Arbeiter auf dem Lande sind keine Sozialdemokraten, aber die jungen Leute, denen aus der Zeit des wirthschaftlichen Aufschwungs in den siebziger Jahren die Genußsucht anhaftet, bilden die Elemente der Sozialdemokratie. Als wir neulich in der Budget— kommission im Interesse der kleinen Eisenbahnbeamten die Einschränkung der Sonntags⸗-Extrazüge beantragten, schrieb die freisinnige Presse: Die Abgg. von Frege und Hahn haben sich wieder als die richtigen Mucker erwiesen, sie wollen den armen Leuten die Sonntagsfreude verkümmern. Das wollen wir keineswegs. Wir wollen gerade die armen kleinen Beamten schützen. Namens meiner Freunde erkläre ich, daß wir dem Antrage Baumbach, trotzdem uns die Annahme durch die heutigen Ausführungen des Abg. Baumbach sehr erschwert ist, im Intexesse der Sache zustimmen werden, daß wir uns aber vorbehalten, die Arbeiterschutzgesetzgebung gründlich anzufassen. Der Reichs⸗ kanzler hat das Haus einmal aufgefordert, selbst mit Initiativ— anträgen vorzugehen. Das ist auch geschehen; bei der jetzigen Geschäftslage des Hauses sehen wir aber in dieser Session davon ab.

Staatssekretär von Boetticher:

Ich bedaure sehr, mich noch mit einigen Worten gegen eine Aus führung des Hrn. Abg. Oechelbäuser wenden zu müßen, der mir und dem Bundesrath einen, wie ich glaube, nicht gerechtfertigten Vorwurf gemacht hat. Ich babe in meiner früberen Auslassung gesagt, daß die Gründe, welche den Bundesrath bestimmt hätten, in der Arbeiter schutrage biber eine von der Auffassung des Reichstages abweichende Stellung einzunehmen, von mir des Längeren im Januar dieses Jahres entwickelt seien, und ich babe hinzugefügt, daß inmittelst nichts eingetreten sei, was eine Veränderung der Stellungnahme des Bundesratbs hätte herbeiführen müssen. Diese Aeußerung hat Hr. Oechelbäuser zum Ausgangspunkt seines Angriffs auf den Bundesrath und mich genommen, und wie recht ich mit meiner Behauptung habe, das wird mir gestattet sein, in wenigen Worten auszufũbren.

Hr. Oechelbänser bat gemeint, daß die große Arbeiterbewegung, insbefondere am Rhein, in Westfalen und in Schlesien, die Strikes wobl eine Veranlaffung für den Bundesrath hätten bilden können und müffen, um der Arbeiterschutzfrage aufs Neue die Aufmerksamkeit zuzuwenden.

Ich könnte mich gegenüber dieser Ausfübrung auf den formellen Stand punkt zurũckꝛieben. 39 nicht der Bundesrath der Berufene ist die Initiative zu ergreifen, sondern daß im Bundesrath die einjelnen Regierungen es sind, welche von ihnen für nützlich erachtete Anträge zu stellen haben. Ich ziehe mich aber auf diesen Standpunkt nicht jurück, sondern will materiell daran erinnern, daß die Strikebewegun⸗ gen mit demjenigen Theil des Arbeiterschutzes, welcher bisher in diesem Hause in Beschluüfsen geführt hat, und welcher