1890 / 70 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 19 Mar 1890 18:00:01 GMT) scan diff

so schaffe man die halbe, unterbrochene Bildung ab. Lieber eine ganze Bildung ohne jede fremde Sprache, als eine Bil— dung mit vielen Bildungselementen, die nicht zur Abklärung 2 Die Bemerkungen des Ministers über den

eligionsunterricht sind mir lieb und werth. Daß er hat sagen wollen, auf die kirchliche Korrektheit komme es dabei nicht an, kann ich nicht annehmen. Nur weil wir keine objektiven Wahrheiten mehr in unserm Volke haben, kann Lüge und Unwahrheit so festen Boden fassen. Von den Tausenden von Schulprojekten, die durch die Lust schwirren, erwarte ich nicht viel. Ein Schulwesen ist etwas Historisches, und seine Grundlagen können nicht so ohne Wei— teres verlassen werden. Es wird nur nicht genug Aufmerk— samkeit darauf verwendet, daß dem Wissen das volle chriftliche sittlich⸗religiöse Gegengewicht gegeben wird. Die Fälle, in denen die christliche Geschichte, christliches Geistesleben, christ⸗ liche Literatur hervortreten, müssen mit Betonung des christlichen Standpunktes gelehrt werden, sodaß der Schüler das Befühl hat: die Antike ist etwas und die Realien sind etwas, aber die Bewährung des christlichen Geistes ist mehr als Alles. Wir leben in einer Zeit auf— lodernden konfessionellen Streites; aber die evangelische Kirche hat den Hader nicht angefangen und kann dafür nicht verant⸗ wortlich gemacht werden. Der Ausspruch des Abg. Windthorst in einer Katholikenversammlung: „Der Papst regiert die Welt“ wiegt Alles auf, was auf allen evangelischen Bundesversamm— lungen gesagt ist. Auffassungen wie die, daß die Reformation identisch sei mit der Revolution, daß von der Reformation der Nihilismus und Atheismus herzuleiten sei, die in der ganzen katholischen Kirche getheilt und gelehrt werden, müssen auf das politische Leben geradezu vergiftend wirken. Solche Vorwürfe sind so unwahr, so kränkend für uns, daß nichts damit zu vergleichen ist. Von uns wird in dieser Beziehung lange nicht so gefehlt, wie auf katholischer Seite. Wir sind den Katholiken an Toleranz und Anerkennung hundertmal überlegen. Unter dem Eindruck der letzten Mo⸗ mate sollten wir uns zusammennehmen und versuchen, einen heilsamen Einfluß auf das Land zu üben. Aber wenn Sie so thun, als seien wir die Schürer und Sie die unschul⸗ digen Lämmer, so wird es nie etwas werden. Ich erinnere Sie nur an die unlängst erschienene Schrift Majunke's. Was liegt daran, die verruchte Lüge zu erneuern, daß Luther ein Selbstmörder gewesen ist? Ich erinnere auch an die Anschläge in der Brandenburger Delegatur in Bezug auf die gemischten Ehen, die geradezu skandalöser Natur waren. Verbinden sich die dunkeln Ge—⸗ walten in unserem Volksleben mit dem kirchlichen Hader, so könnte ich für die deutsche Nation fürchten. Aber ich will nicht fürchten; Deutschland hat sich aus schwereren Verhält⸗ nissen zurückgefunden. Der Abg. von Zedlitz schloß seine Rede mit dem Rufe: Vorwärts! Das Vorwärts genügt nicht. Gehen wir vorwärts, aber besinnen wir uns auch rückwärts auf die Grundlagen eines gesunden Volkslebens! In dem Forwãrts und diesem richtigen Rückwärts wird unsere Rettung liegen.

n Abg. Bachem: Die energische Betonung des christlichen Gedankens Seitens des Abg. Stöcker berührt uns durchaus sympathisch. Der Augenblick ist da, wo das uns Gemeinsame herausgekehrt und das Trennende zurückgedrängt werden muß. Ob aber die Ausführungen des Abg. Stöcker geeignet sind, dieses Ziel zu fördern, ist eine andere Frage; sie sind wohl dazu angethan, eine gewisse Erregung in die evangelischen Kreise zu tragen. Sie werden auf Ihre Auffassungen nicht verzichten, ebenso wenig können wir es auf die unsrigen; aber ich beklage die Behandlung dieser Gegensätze in großen Volksversammlungen in einer gehässigen und feind— seligen Weise. Behandeln wir die Gegensätze, aber nicht in verletzender Weise. Wenn der Abg. Stöcker nicht mit Unrecht über die Schrift Majunke's Beschwerde geführt hat, so ist andererseits zu berücksichtigen, daß die hervorragendsten Aeuße— rungen der katholischen Presse in ernster und entschiedener Weise sich gegen diese Publikation gewendet haben. Der Vapst regiert die Welt, ist unsere Ausfassung; Sie mögen sie bekämpfen, aber eine Beleidigung enthält ein solches Wort nicht. Ebenso ist die historische Auffassung der Reformation als Revolution eine solche, wie der Katholik sie haben muß. Was die Reform des Gesetzes über die Vermögens⸗ verwaltung der katholischen Kirche vom Jahre 1875 betrifft, so ist sie dringend nothwendig. Auch da handelt es sich um Fragen der kirchlichen Eintracht und des kirchlichen Friedens. Die Kirchengemeindevertretung, ein Parlament von 0 Mitgliedern, hervorgegangen aus geheimer direkter Wahl, hat in allen Ausgaben über 200 (6 zu entscheiden; das ist eine für die Verwaltung überflüssige und schädliche Einrichtung und führt zu Kompetenzkonflikten und Dispensen mit dem Kirchenvorstand. Das Wahlsystem für den Kirchenvorstand und die Kirchengemeindevertretung ist zu komplizirt. Dem Pfarrer, der der geborene Vorsitzende im Kirchenvorstand ist, muß der Vorsitz wiedergegeben werden. Die Initiative zu einer Abänderung dieses Gesetzes muß von der Regierung ausgehen, das Abgeordnetenhaus hat nicht die Kompetenz dazu.

Abg. von Eynern: Der Abg. Windthorst, der Führer der Centrumspartei, hat die Rede, die er heute halten wollte, Angesichts der politischen Lage zurückgestellt. Diese Lage erregt uns Alle auf das Tiefste. Der Abg. Windthorst hatte sonst die Absicht, über die unterdrückte katholische Kirche zu sprechen. Die zur Arbeiterschutz Konferenz hier versammelten Vertreter des Auslands werden ein eigenthümliches Bild von der Unterdrückung der katholischen Kirche bekommen Ange⸗ sichts der Thatsache, daß zum Vertreter Deutschlands auf Resem Kongreß ein römisch(katholischer Bischof berufen ist. Die evangelische Kirche hätte dieselbe Berechtigung verdient, denn sie ist in den sozialen Fragen ebenfalls nach ver⸗ schiedenen Richtungen bahnbrechend gewesen; ich erinnere nur an den hochverdienten Hrn. von Bodelschwingh. Mit der Mahnung des Abg. Stöcker zu größerer Duldsamkeit bin ich einverstanden. Ich wünsche aber, daß in dieser Beziehung der Abg. Stöcker die Bibelstelle von dem Splitter und Balken nochmals lesen möge. In einem Leitartikel des „Volk“ wird über die Gründung nationalliberaler Bezirksvereine mit Hohn und Verachtung gesprochen und gesagt, sie trügen von vorn⸗ herein den Leichenstempel an der Stirn. Die Klagen des Abg. Reichensperger über die Angriffe auf die katholische Kirche von Seiten des evangelischen Bundes hat der Abg. Stöcker schon beantwortet und das Wort Windthorst's angeführt, daß der Papst die Welt regiere. Bringen Sie dies in Verbindung mit dem Briefe, den der Papst an Kaiser Wilhelm J. ge— schrieben bat, daß Jeder, der die Taufe empfangen hat, ihm gehöre. Solche Anmaßungen haben die protestantische Bevbi—

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kerung in eine Vertheidigungsstellung gezwungen, die sie nöthigt, die Angriffe der Katholiken gegen den pro⸗ testantischen Glauben zurückzuweisen. Ich habe eine ganze Reihe von Angriffen auf die evangelische Kirche und deren Begründer gelesen, und ich könnte die Hamburger Briefe von 1882 über Luther in der Germania“ und aus dem Paulinusblatt des Abg. Dasbach Stellen an⸗— führen, die geradezu schauderhaft sind und die protestan⸗ tische Bevölkerung in Erregung bringen müssen. Ich unterlasse aber alles das anzuführen, um den Frieden nicht zu stören. Kommen Sie uns nicht mit Vorwürfen, wir können Ihnen schwerere entgegenhalten. Wir sind nicht die Angreifer, Sie aber haben unseren Glauben fortgesetzt beleidigt und haben keine Veranlassung zu klagen. Die revolutionären Strömungen haben sich hauptsächlich in katholischen Ländern kundgegeben, in protestantischen sehr wenig. Bezüglich der wichtigen Schulfrage stimme ich dem Abg. von Zedlitz zu. Wir werden uns bemühen, nach der Seite des Unterrichts⸗ gesetzes, des Schulunterhaltungs⸗ und Dotationsgesetzes alle Bestrebungen, die sich hier geltend machen, zu unterstützen. Wir wünschen aber lebhafte Unterstützung durch die Regierung dabei, damit die Thatenlosigkeit und Unentschlossenheit auf diesem Gebiet endlich ein Ende nehme. .

Abg. Dr. von Stablewski: Den eigentlichen Kern des Kulturkampfs bildet die Frage des Einspruchsrechts. Wie dieses Recht von der Regierung geübt wird, zeigt der Fall, in welchem gegen die Anstellung eines Pfarrers Einspruch er— hoben wurde, weil derselbe als Gymnasigst vor 35 Jahren einer Verbindung angehörte, die den wissenschaftlich-nationalen

weck hatte, die Mitglieder in der polnischen Literatur und

eschichte zu unterrichten. Gegen eine andere Berufung meines Fraktionsfreundes von Jazdzewski wurde Einspruch erhoben, weil er in seiner parlamentarischen Thätigkeit fort⸗ gesetzt in schroffer, sehr leidenschaftlicher Weise die polnischen Sonderinteressen vertreten habe. Nach der Verfassung darf kein Mitglied wegen seiner Aeußerungen im Parlament zur Rechenschaft gezogen werden. .

Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Dr. von Goßler:

Der Hr. Abg. Bachem hat mich mit Recht darauf aufmerksam gemacht, daß ich vergessen hatte die Frage des Abg. Freiherrn von Zedlitz u Neukirch in Beziehung auf das Gesetz, welches den Ssperr⸗ fonds betrifft, zu beartworten. Die Sache liegt augenblicklich so, daß ich hoffe, daß in nächster Zeit Ihnen der Gesetzentwurf vor— gelegt werden wird. Daz er noch nicht vorgelegt worden ist, hat seinen Guund in einer technischfinan ziellen Frage, die weder sehr bedeutend ist, noch irgend eine politische Bedeutung hat, die bloß mit der Abrechnung der Fonds und Kassen zusammenhängt. Ich hoffe, daß dieses Gesetz Ihnen in einer Fassung vorgelegt werden wird, welche Tie Annahme desselben in diesem hohen Hause mit über wältigender Majorität ermöglichen wird.

Was die Bemerkung des letzten Herrn Vorredners an— betrifft, so lann ich im Rahmen einer wirklichen Dis— kussion in eine Erörterung nicht eintreten; ich würde sonst die Frage ihm vorlegen müssen: was hat er urs für Schriftstuͤcke vorgelegt? Wie kommt er überhaupt dazu, uns über die intimsten Sachen, welche zwischen dem Ober-Präsidenten und dem Erzb.schof verhandelt werden, hier Mitteilung zu machen? Hat der Oker-Präsident ihrn die Verfügung gegeben, oder hat der Erjbischof sie ihm gegeben, oder wer sonst? (Der Abg. Dr. von Jasdzewski macht eine Bewegung.)

Ja, Hr. von Jardzewski zeigt auf sich; dann muß ich natür— lich erst sehen, inwieweit dasjenige, was Sie bekommen haben, durch den Weihbischof Likomski oder sonst irgend einen andern Herrn, (Abg. Dr. von Stablewski: General. Vikar! also inwieweit dasjenige, was Sie durch den General. Vikar bekommen haben, mit demjenigen nimmt, was der Ober ⸗-Präsident an den Erjbischof geschrieben und mit ihm besprochen hat.

Im Uebrigen, meine Herren, werden Sie als katholische Geist⸗ liche sich gegenwärtig halten, daß diese Fragen durch den Papst ge— regelt sind, daß, wenn der Erjbischof gegen die Ausübung des Ein— spruchsrechts Bedenken hat, er denjenigen Weg zu wandeln hat, welcher ihm vom Papst vorgezeichnet ist, und daß es jedenfalls den Intentionen des Papstes und des Erzbischofs nicht ent— spricht. wenn die Herren, welche als Geistliche dabei interessirt sind, hier Mittheilungen machen, welche ich, soweit ich es im Gedächtniß habe, in wesentlichen Punkten auch bestreite. Was Hrn. von Jasdzewski anbetrifft, so glaube ich, habe ich selbst schon gesagt: Hr. von Jasdlewski kann die schönste und fettste Pfründe im polnischen Theile der Provinz Posen erhalten die Regierung wird mit Vergnügen ihm dieselbe gönnen; was aber unbequem gewesen ist, das ist, daß Hr. von Jaidzewski sich in demjenigen Theile der Provinz in bervorragender Stellung befindet, wo polnische und deutsche Katholiken zusammenstoßen. Das sind politische Gründe, die derjenige beurtheilen kann und auch beurtheilen muß, der die Verantwortung trägt. Aber aus diesem Einspruche, der in fünf Fällen in der Erzdiszese Gnesen⸗Posen erfolgt ist, ein Fämmchen zu machen, welches einen Brand entzündet, das gelingt Ihnen nicht, wenn Sie auch mehrere Tage darüber reden.

Wie wir zum Papste stehen, wissen wir, und Sie können hier Angriffe gegen die Staatsregierung machen, wie Sie wellen, wir stehen auf ganz festem, sicheren Boden.

Wie die Regierung diese Frage handhabt, können Sie ja daraus ersehen, daß die Ünstellungen im Pfarramt stattgefunden haben erst seit dem Herbst 1883, wo in Folge eines päpstlichen Befehls der Bischof von Kulm die nöthige Anzeige machte ich irre mich, das betraf die Dispensation aber Sie wissen, daß seit dem Herbst 1883 die Anzeigen gemacht werden Nach meiner Nachweisung, die mit dem 7. Februar 1890 abschließt, sind Pfarrer angestellt worden unter erfolgter Anzeigepflicht in 2310 Fällen, und dem stehen gegenüber 5 polnische Fälle, wo aus eigenartigen, nationalpolitischen Gründen Einwendungen erhoben sind. Diese 5 Fälle spielen doch wohl nicht die Rolle, daß man sagen kann, die Regierung entspreche nicht den Intentionen, von denen der Papst bei den Verhandlungen aus— gegangen ist. k .

Ich darf, um diese Sache zum Alschluß zu bringen, noch an— führen, daß demnächst die Frage der Succursalpfarrer geregelt ist. Es sind bereits 804 Succurfalpfarrer auf erfolgte Anzeige an⸗ gestellt worden, die also auch die Pfarrzulage erhalten haben. Bei anderer Gelegenheit werden wir noch erörtern, welchen finanziellen Erfolg das hat. Es kommen allein 600 000 S aus Staatsfonds in Frage. ; . J

Ich kann eben nur sagen, wenn Sie wünschen, daß diese 5 Ein⸗ spruchsfälle hier zum Gegenstand des Streites gemacht werden, so kann ich Sie nicht hindern; aber ich versage mich Ihnen. Ich thue es aus Ruͤcksicht auf die kirchlichen Oberen, denen Sie meines Er— achtens zu gehorchen haben und deren Wünschen es nicht entspricht, diese Fragen hier vor einer politischen Versammlung so zu ver⸗ handeln, wie es geschehen ist. . .

Abg. Cremer (Teltow): Keine Konfession kann tolerant sein, das habe ich schon vor mehreren . gemacht. Eine Ausgleichung kann nicht auf dem konfesstonellen Gebiet, sondern nur auf staatsbürgerlichem Gebiet gefunden werden. Man sollte das mehr betonen, was die Christen eint, als was sie trennt. Wenn von der Presse gesprochen ist, so muß man bedenken, von welchen Leuten die Presse bedient wird. Für die geringsten Tehrerstellen verlangt man Examina, aber wer nichts gelernt hat, wer überall Schiff

bruch gelitten hat, ist gerade noch gut genug

zum Redacteur. In katholischen Ländern sind die revo⸗ lutionären Elemente stärker vertreten als in evangelischen und nirgends steht die katholische Kirche fester und angesehener da, als in Deutschland. Die polnischen Bestrebungen kann ich vollständig begreifen; warum sollen die Polen nicht ihrem nationalen Gedanken anhängen? Aber das Deutsche Reich hat andere Aufgaben als die ige des Polenthums zu lösen. Die Polen mussen jetzt dafür büßen, was ihre Vorfahren ge⸗ sündigt haben. Es ist viel zum Frieden gemahnt worden. Da muß ich daran erinnern, daß ich es abgelehnt habe, in die christlich⸗soziale Partei einzutreten, weil dieselbe zur Ab⸗ . aller Angriffe gegen die katholische Kirche ge⸗ worden ist. . .

Abg. Dr. Windthorst: Wenn die Regierung nach den Verhandlungen mit dem heiligen Stuhl in der Frage des Einspruchsrechts auf einem festen Boden steht, so wünschte ich nur, daß der Minister uns diesen Boden offiziell vorlegt. Dann könnte man beurtheilen, ob nach Maßgabe dieses Bodens gehandelt wird. Die Regierung hat dem heiligen Stuhl erklärt, von ihrem Einspruchsrecht nicht Gebrauch machen zu wollen wegen der seelsorgerischen Thätigkeit oder der Erfüllung bürgerlicher Pflichten Seitens des Be⸗ treffenden. Darauf würde ich mich als Geistlicher berufen. Wird diese Erklärung anders interpretirt, so müssen wir uns von Neuem mit der Frage des Einspruchsrechts be⸗ schäftigen. Warum sollen diese Sachen hier nicht erörtert werden? Das kann 2 den Intentionen des ö. Stuhls entsprechen. Oder bestehen geheime Abmachungen, welche mit den Polen eine Ausnahme machen? Darüber muß uns der Minister volle Klarheit geben, denn davon hängt die Selbständigkeit unseres ganzen Klerus und unserer Kirche ab. Die Revision des Gesetzes über das Kirchenvermögen habe ich immer verlangt, das Gesetz ist damals nur an⸗ genommen worden, weil sonst die Konfiskation des gesammten Kirchenvermögens der katholischen Kirche Seitens des Staats drohte. Das Gesetz widerspricht aber in seinen Grund⸗ prinzipien den vermögensrechtlichen Verhältnissen der katho⸗ lischen Kirche. Was den Vorsitz im Kirchenvorstand be— trifft, so ist der evangelischen Kirche gewährt, was uns ver⸗ wehrt ist. Man hat die Qualifikation für den Vorsitzenden des Kirchenvorstandes nur so weit gefaßt zu Gunsten der Alt⸗ katholiken. Der Minister Falk hat ja Alles gethan, um die Alt⸗ katholiken in die Höhe zu bringen. Die Qualifikation muß aber wieder auf die Katholiken beschränkt werden. Im Herren⸗ hause hat sich der Justiz-Rath Adams für die jetzige Fassung des Gesetzes erklärt, aber den können wir nicht als Vertreter des Katholizismus anerkennen, denn er hat Beziehungen mit den Altkatholiken. Mit den Friedensworten des Abg. Stöcker bin ich völlig einverstanden. Eine Polemik in anständiger wissenschaftlicher Form ist durch den Kulturkampf unmöglich geworden, und das wirkt noch nach. Der Kulturkampf ist nicht von den Katholiken heraufbeschworen, diese sind vielmehr in der Defensive. Wenn ich gesagt habe, der Papst regiere die Welt, so ist das eine Ansicht, und diese kann nicht belei⸗ digend sein, wenn sie nicht in beleidigender Form ausgesprochen ist. Ich bleibe dabei, daß die päpstliche Autorität über die Welt herrschen soll. Enthalten eiwa die symbolischen Bücher lauter Komplimente für die katholische Kirche? Die symbolischen Bücher sind Ihre Balken, Herr Kollege Stöcker! Die Zeit ist aber nicht dazu angethan, konfessionelle Polemik zu führen. Sprechen wir nicht nur in Worten zum Frieden, sondern handeln wir auch danach. Dann können wir uns fest zu⸗ sammenschließen zur Bekämpfung der destruktiven Ideen. Die sozialdemokratischin Tendenzen haben ganz andere Väter und erfreuen sich hoher Proteklion. Gegen das jetzige Kultus⸗ Ministerium kämpfe ich nicht, denn ich kämpfe nur gegen einen festen Gegner, und für fest halte ich das jetzige Ministerium nicht.

Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Dr. von Goßler:

Was die Bemärgelung meiner Bemerkungen über die Entstehung der letztes kirchenpolitischen Novelle im Herrenhause anbetrifft hin sichtlich der Bestimmungen, die auf die Ver mögensver waltung sich beziehen, so erkenne ich zwar an, daß im Plenum nur der Jastiz- Rath Adams gesprochen hat. Derselbe hat aber nicht als Katholik gesprochen, sondern als Berichterstatter, und hat getreu berichtet, daß innerhalb der Kommission die Vorschläge bezüglich Aenderung des Gesetzes von 1875, betreffend die Vermögens verwaltung, allseitig auf Widerspruch gestoßen sind.

Der Schwerpunkt lag damals bekanntlich in der Kommission des Herrenhauses. In dieser Kommissionssitzung find eben gerade von katholischen Laien erhebliche Einwendungen gegen Abänderungs⸗ vorschläge erhoben worden.

Was nun den Einspruch anbetrifft, so erkenne ich an. daß ich in keiner Weise dem Hause verschtänken will und verschränken kann, über die Handhabung des Einspruchsrechts hier sich zu unterhalten Das Ein⸗ spruchsrecht ist geregelt durch das Gesetz vom Jahre 1883. Selbstverständ ˖ lich kann die Ausführung eines solchen Gesetzes, welches durch den Landtag beschlossen ist, auch im Landtage diskutirt werden. Ich halte es nur nicht für nützlich, daß dieser Punkt, der meines Erachtens ein rein kirchlicher ist und im Wesentlichen von den kirchlichen Instanzen zu beachten und zu regeln ist, bier von meinem Standpuntt aus zum Gegenstand einer sehr eingehenden Untersuchung gemacht wird. Ich erkenne zunächst das Material nicht an, welches der Hr. Abg. von Stablewsli vorgebracht hat. Ich habe mein eigens Material nicht hier, und ich kann mir eben nicht denken, daß das Material, welches er vorgebracht hat, vollständig ist. Die Einspruchserhebung geschieht damals wie heute auf Grund mündlicher und schriftlicher Erörterungen zwischen dem Ober⸗Präsidenten und dem Erzbischof., und ich kann mir unmöglich denken, daß der Erzbischof alles dasjenige, was Gegenstand mündlicher und schriftlicher Erörterungen gewesen ist, dem Generalvikariat hat zugänglich machen können, mit dem Zweck und Auftrag, diese Mittheilungen an die be⸗ treffenden Betheilizten gelangen zu lassen. Die Sachen liegen über⸗ haupt einige Jahre zurück. Wenn der Hr. Abg. Windthorst sagt, er kenne genau dasjenige, was zwischen der preußischen Regierung und dem päpstlichen Stuhl über das Einspruchsrecht verhandelt worden ist, und daß mit diesen Verhandlungen im direkten Wider spruch das Verfahren der Regierung stehe, dann muß ich eben auch meinerseits den Beweis abwarten. Wenn er das so genau weiß, dann verstebe ich nicht recht, warum er von mir verlangt, ich solle den Schriftwechsel vorleg⸗n. Ich bin nicht im Besitz dieses Schrift⸗ wechsels. Was geschehen ist, weiß ich, glaube es voll⸗ ständig zu wissen. Sollten Sie Werth darauf legen, so bleibt nichts übrig, als einen Beschluß des Hauses zu extrahiren und die Regierung im Wege eines Beschlusses anzu⸗ gehen, sie solle diejenigen Sachen, die als Staatsgebeimniß behandelt werden, vor dem 646 Hause entwickeln. Ob die Regierung darauf eingehen wird, weiß ich nicht. Ich halte mich als einzelner Minister nicht für berechtigt, hier Erklärungen abzugeben. Ich habe nicht ein⸗ mal ein einziges Blatt als Material hier, das unter Umständen einem Ressort angehören würde, das ich als einzelner Minister zu respektiren habe, das Ressort des auswärtigen Amtes.

Wenn die Bemerkung daran geknüpft ist, die Einspruchsfrage betreffe die Selbständigkeit der katholischen Kirche, so erkenne ich das an, aber ich glaube, weil das eben der Fall ist, kann man das

Vertrauen haben, daß der Papst und die Bischöfe, den Eneykliken des FJapstes entsprechend, welcher für sich die Entscheidung in kirchlichen Fragen in Anspruch nimmt, und eventuell die Bischöfe mit der Wahr . nehmung dieser Rechte beauftragt, diese Frage selbst regeln würden. Bisber habe ich noch nicht gehört, daß der Papst irgendwie unzu frieden gewesen wäre über die Ausführung der erlassenen Gesetze.

Was nun die weitere Andeutung anbetrifft, als ob außer diesen 5h rolnischen Einspruchsfällen noch andere Fälle existiren, so babe ich diese Insinuation in der ultramontanen Prese vor einigen Jahren mehrfach gelesen. Das ist aber alles nicht richtig. Der Aber Prä⸗ sident, der die Mittheilung empfängt über die beabsichtigte Anstellung eines Geistlichen, ist, wenn er darüber Bedenken bat, verpflichtet, an den Minister zu berichten. Ich setze mich gewöhnlich mit dem Fürsten Bismarck in Verbindung. Wir sind immer einig ge— wesen, daß wir, abgesehen von diesen polnischen Sachen, niemals einen Einspruch erheben wollten, und wir haben jedesmal dein be⸗ treffenden Bischof und Erzbischof sagen lassen; der Ober-Präsident wird sich mit dir darüber unterhalten, aber nicht in der Absicht, Ein⸗ spruch zu erheben. Aber gerade den Anweisungen, welche der Papst hat an die Bischöfe ergehen lassen, entsprechend, sich friedlich und freundlich mit der Regierung zu benebmen, haben wir es ursererseits auch an diesem friedlichen und freundlichen Benebmen niemals feblen lafsen. Denn, meine Herren, die Interessen des Staats und auch der katholischen Kirche laufen, das werden Sie anerkennen, in vielen Punkten vollkommen zusammen. Es kann doch dem katholischen Bischof nicht angenehm sein, einen Geistlichen anzustellen, gegen den ernstliche Gründe vorliegen, vielleicht Sachen, die allein eben die Staatsbehörde kennen kann, und dadurch einen Mißgriff zu thun. Ich kann ver— sichern, daß wiederholt die Bischöfe dem Ober ⸗Präsidenten gedankt haben dafür, daß er ihnen Mittkeilung gemacht hat von Vorkomm. niffen, die ihnen völlig unbekannt geblieben waren. Dasselbe geschieht ja auch bei uns, meine Herren. Wenn der Ober ⸗Präsident Stellen landes. herrlichen Patronat befetzen will wir haben Soo, seitdem ich mein Amt angetreten habe, besetzt so passirt es uns sebr leicht. daß der Biscof sagt:; nekmen Sie es mir nicht übel, Excellen;, aber der FHeistliche paßt nicht hierher, zum Theil nicht einmal aus zwin⸗— genden Gründen, sondern nur ratione temporis und ratione loei- Dann hat der Ober-Präsident gar keine Bedenken, dem Wunsch des Bischofs, wenn es irgend angeht, nachzukommen. .

Alfo ich sebe gar nicht ein, warum auf diesem durchaus breit getretenen Wege friedlichen und freundlichen Benehmens zwischen den Ordinarien der Diözösen und dem Ober⸗-Präsidenten irgend ein Miß klang eintreten sollte. Ich kann nur versichern, daß die Ober— Präfidenten von mir eine. Instruktion bekommen, haben, dahin gehend: ein formeller Einspruch wird nicht er— boben, das ist den Bischöfen einfach zu sagen; aber du hast die Aufgabe, auf das, was der Bischof nicht weiß und nicht wissen kann, aufmerksam zu machen. In rielen Fällen hat der Bischof seinen Vorschlag zurückgezogen, in vielen Fällen ist er bei seiner Meinung geblieben. Das ist eben der Lauf der Welt, und wenn Meinungsverschiedenheiten auf diesem Gebiet bestehen, so liegt kein Grund vor, irgendwie an Streitsucht oder Unfriedfertigkeit zu denken, sondern das liegt in der Natur der Verhältnisse, Ich bitte dringend, aus dieser Erörterung nicht etwa den Wunsch ableiten zu wollen, daß in dem friedlichen Einvernehmen, welches zwischen Ober— Präsidenten und Bischöfen besteht, irgend eine Aenderung ein— treten möge. 3 . ö U ;

Die Diskussion wird geschlossen und das Gehalt des Ministers bewilligt.

Schluß 4 Uhe.

In der gestrigen Sitzung des Hauses der Ab⸗ geordneten erwiderte auf die Aeußerungen des Abg. Rickert der Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. von Goßler: ö

Meine Herren! Die beiden Fälle, welche der Herr Vorredner in der ersten Berathung vorgebracht hat, sind natürlich Gegenstand meiner Untersuchung gewesen, und ich will sogleich antworten, weil ich glaube, daß diese Sache außerbalb des Rahmens der großen Diskussion erledint werden kann. ö

Was die Anfrage anbetrifft, ob die Verfügung der Königlichen Regierung in Köslin aufrecht zu erhalten sei, so babe ich die Re— gierung angewiesen, die Verfügung aufzuheben.

Es liegt bier ein Irrthum der Regierung vor. In der Sache selbst konnte kein Zweifel sein. da in zahlreichen öffentlich bekannt gegebenen Verfügungen und Erlassen vom Jahre 18533 an und noch unter dem Minister von Mühler ausgesprochen ist daß die Regierungen nicht berechtigt sind, im Wege der Disziplin einen Lehrer von der Verheirathung abzubalten. Was die Regierung hat erreichen wollen, ist aber etwas Gutes und ist auch im hohen Daufe wiederholt als ein berechtigtes Ziel anerkannt worden, Einzel⸗ stehende Lehrer, wenn sie nicht durch eine Mutter, eine Schwester oder sonst eine nahe Anverwandte in ihrem Haushalt gestützt werden, thun gut, wenn sie die Ebe schließen. selbst wenn sie noch in ziemlich jugendlickem Alter sich befinden. Sie wissen, wie ich vom Volks⸗ schullehrerstand denke; ich wünsche, daß jeder Volksschullehrer als solcher ein Muster und Vorbild für seine Schulkinder sei, und ein guter und gesegneter Ebestand ist, glaube ich, im deutschen Volk immer noch das edelste und reizendste Vorbild.

Anders stebt die Sache mit den jungen Lehrern, welche sich in sog. unverheiratheten Stellen befinden. Da ist es allerdings immer der Wunsch der Schulverwaltung gewesen, die jungen Leute, welche mit 21, 22 Jabren in die Stellung kommen, möchten nicht zu früh den Ehebund schlizcßen; denn erfahrungsmäßig kommen sie dadurch sonst immer in Konflikt mit der Gemeinde. Zunächst ziehen sie in die nur für einen unverheiratheten Lehrer berechnete Wohnung, die Kopf sabl der Familien wächst und nun beginnt der Kampf mit den Schulunterhaltungspflichligen. Und in dieser Hinsicht zur Vorsicht zu mahnen, ramentlich diejenigen Lehrer, welche noch nicht die zweite Prüfung abgelegt haben und noch nicht definitiv angestellt sind das ist das Ziel gewesen, welches sich die Regierung in Köslin gesetzt batte. Dieses Ziel zu erreichen, hat sie allerdings einen Weg be⸗ schritten, den ich nicht billigen konnte.

Was die andern Anfragen betrifft,

1 so ist es erfreulich, daß nach der weitgehenden Einleitung des Herrn Vorredners seit 18355 kein anderer Fall vorzutragen war, in welchem es

sich um einen politischen Druck auf die Lehrer handelt, als die Instruktion der Regierung in Magdeburg vom Jahre 1886. Diese bedroht die Lehrer unter Hinweis auf die Folgen des Diszipli nargesetzes, daß sie sich der feindseligen Parteinahme gegen die König lichs Staatsregierung enthalten sollen. Der Erlaß Sr. Majestät des Kaisers Wilbelm J. vom 4 Januar 1882 erwartete von allen Be— amten. daß sie sich jeder Agitation gegen seine Regierung auch bei den Wahlen fernhalten. .

Es wird dort erwartet, daß alle Beamten, welche den Eid der Treue geleistet haben, gegen die zeitige Staatsregierung nicht agitiren. Wollen Sie zwischen den beiden von mir angeführten Ausdrücken einen Unterschied finden, so mögen Sie es thun; die Regierung be⸗ streitet, daß sie etwas Anderes habe anordnen wollen, als was Se. Majeftät Kaifer Wilbelm J. gebilligt bat. Es ist selbstverständlich, wenn Se. Majestät eine Anordnung trifft, daß die Beamten sich dar⸗ nach zu richten haben. Es wird den Herrn Vorredner beruhigen, wenn ich erkläre, daß in diesem Falle im Regierungsbezirk Magdeburg nicht ein einziges Mal Anwendung von diesem § 3 Litt. a der In- struktion gemacht worden ist. Sie werden daraus ersehen, daß jeden falls die . wie die Schulaufsichtsbehörden sich in korrekten Ver . bältniffen befinden, und die Absichten Sr. Majestät, die im Jahre i882 ausgesprochen sind, Seitens der Behörde wie Seitens der Lehrer zur Anerkennung gekommen sind. Damit schließe ich.

Lratistit und oltsswirthschaft.

Zur Arbeiterbewegung.

In der gestern bereits erwähnten allgemeinen Versammlung der Bergarbeiter auf den fiskalischen Gruben des Saar— reviers, welche am 16. d. M. in Dudweil er stattfand, wurde

beschlossen, eine Petition an das Abgeordnetenbaus zu

senden, worin Lie Wünsche und Forderungen der Bergleute prãzisirt werden. Dieselben verlangen, wie wir der Frkf. Ztg.“ entnehmen, neuerdings in der Hauptsache achtftündige Schichtdauer incl. Ein und Ausfahrtszeit, der Vertbeuerung der Lebensmittel und den gestiegenen Kohlenpreisen entsprechende Erböhung der Lbne, wobei für einen Hauer ein Mindestlohn von 4.50 M festgesetzt wurde und Aufbesserung der Löhne auch im Maschinenfach gewänscht wird, ungehinderte Ausfahrt nach verfahrener Schicht (Fortfall der eisernen Thüren?), Vorzug der Bergmannskinder vor denen anderer Berufeklaßsen bei der An⸗ legung, Wiederanlegung aller Bestraften mit Ausnahme noto⸗ rischer Messerhelden und Zuchthäusler, ein Schiedsgericht mit geheimer freier Wahl,. das auch bei Festsetzung der Normallöhne mitsprechen soll, freie Hand für die gesetzmäßige Thätig keit des Rechtsschutzbereins, sowie Ausarbeitung einer Arbeits ordnung im Rahmen dieser Forderungen. An Se. Ma je st t den Kaiser wurde telegravhisch der Dank der Bergleute übermittelt für das, was er in Wort und That zur Verbesserung der Lage der Arbeiter gethan. Mit dem Gelöbniß, treu am Rechtsschutzverein festhalten zu wollen, und einem Hoch auf den Kaiser ging die Versammlung, die in drei Sälen tagte, auseinander.

Am Sonntag versammelte der Geheime Kommerzien⸗Rath Freiherr von Stumm, der. Köln. Ztg. zufolge, die Arbeiter certre⸗ ter im Knappschafisvorstande, die Knappschaftsältesten und die Betriebs chefs feines Eisenwerks in Neunkirchen, um ibnen den Entwurf einer neuen Arbeitsordnung vorzulegen. Freiherr von Stumm betonte beim Beginn der Berathung: seine Stellung zu den Arbeiter⸗ ausschüssen sei nach wie vor die, daß er zur Behandlung bestimmter gemeinsamer Angelegenheiten stets gern Vertreter der Arbeiter hören werde, wie er das von jeher geihan babe; das persönliche Verhältniß jedes einzelnen Arbeiters zu ihm werde er seinen Arbeitern aber niemals durch Mittelspersonen verkümmern lassen. Das entspreche auch vollkommen dem vom Staatsrath eingenommenen Stand punkt. In der rorgelegten neuen Arbeitsordnung werden unter voller Aufrechterbaltung der Erfordernisse einer gesicherten Disziplin die Strafen erheblich berabgesetzt und den Arbeitern neue werthvolle Rechte zugesichert. Sie wurde, laut „Saar und Blies ⸗Zeitung“, Artikel für Artikel durchgegangen und erläutert, und fand mit unwesentlichen Abänderungen die einstimmige Billigung der Ver— sammlung. ;

Aus Bochum schreibt man der Köln. Ztg.“: Der 15. Mätz ist vorübergegangen, ohne daß die Belegschaften derjenigen Zechen, welche Masfsenkündigung beschlossen hatten, von diesem Recht Gebrauch gemacht hätten. Die verständigen Arbeiter scheinen demnach die . zu besitzen und ihren Einfluß auf die übrigen Leute geltend zu machen. . ;

Der „Voss. Ztg.“ wird über den inzwischen beendeten Aus stand und die Arbeiterbewegung auf den Braunschweigischen Kohlenbergwerken Folgendes berichtet: Der erste Ausstand wurde von der Grube „Caroline“ gemeldet, deren Direktion darauf nach kurzen Verhandlungen den Bergleuten eine Lohn— aufbesserung ron 30 3 für die Schicht zugestand. Die Ar⸗ beiten wurden in Folge dessen wieder aufgenommen; Gewalt- thätigkeiten kamen nicht vor. Auf der „Victoria, wo der Ausstand Donnerstag erfolgte, wurde ebenso schnell eine Einigung erzielt. Den Erdarbeitern, die den Ausstand mit Gewalt herbeiführten, wurde eine Lohnaufbesserung von 50 3 bez. 1 M pro Tag, den Bergleuten 20 mehr pro Schicht zu⸗ gebilligt. Die verheiratheten. Bergleute erhalten daneben hinfort jährlich 60 kl Kohlen unentgeltlich. Auf der Grube Treuer sind die Arbeiterunruhen durch Entgegenkommen der Direktion schnell beseitigt worden. Sämmtliche Grubenarbeiter, d. b. Bergarbeiter erhalten eine Aufbesserung ihres Lohnes um 10 3 pro Schicht, die Verheiratheten ebenfalls unentgeltlich jährlich 0 hl Braunkohlen. Von den im Tagebau beschäftigten Arbeitern erfahren die Vorarbeiter sowie „Kipper; gleich= falls eine Lohnaufbesserung um 10 5; sind die Arbeiter auf Tagelohn beschäftigt, so erhalten sie pro Stunde statt 25 jetzt 26 . Die Arbeitszeit währt 10 Stunden, von Morgens 6 bis Abends 6 Uhr, mit einer einstündigen und einer halbstündigen Frühstücks- bezw. Vesperzeit. Sonnabend Abend wurden ungefähr 100 fremde Arbeiter (fast ausschließlich Polen), die, wie mitgetheilt, den Aus rand gewaltsam erzwangen, entlassen. Starke Gendarmerieposten sorgen für Aufrecht erhaltung der Ruhe. In den Völpker Braunkohlen— Bergwerken haben noch keine Bewegungen bezeichneter Richtung stattgefunden.

Aus Hannover wird der Köln. Ztg.“ gemeldet, das im Berzamtsbezirk Obernkirchen, Grafschaft Schaumburg, sämmtliche Bergarbeiter eine Lohnerhöhung gefordert baben.

Ueber den, wie gestern telegraphisch kurz gemeldet wurde, in Stettin ausgebrochenen Strike der Schiffszimmerleute be— richtet die Osts. Ztg.“ Folgendes: Auf der Werft des Vulcan“ befindet sich seit vorgestern der größte Theil der Schiffszimmerleute im Ausstand. Direktion und Aufsichtsrath der Gesellschaft haben, wie aus der folgenden, an die Arbeiter der Werft gerichteten Ver⸗ öffentlichung hervorgeht, nichts unversucht gelassen, den Ausstand zu verhindern, und setzen in anerkennenswerther Weise ihre Bemühungen fort, ein friedliches Einvernehmen mit ihren Arbeitern aufrecht zu erhalten. Das Schreiben lautet: ; .

Nachdem die Zimmerleute der Werft bei der unterzeichneten Direktion unter dem 4. Mär; den Antrag auf Lohnerhöhung bis zu 40 3 per Stunde eingereicht hatten, haben verschiedene Aussprachen mit der gewählten Kommission der Zimmerleute stattgefund en, und ist derfelben am 5. März durch den mitunterzeichneten Hrn. Direktor Jüngermann im Beisein des Hrn. Ober⸗Ingenieur Steck zugesagt worden, daß alle Zimmerseute, welche einen Lohn von 33 3 pr. Stunde haben, auf 35 3 per Stunde erhöht werden sollten. Durch ein Schreiben der Kommifsion vom 7. März er. wurde darauf geantwortet, daß die zugefagte Lohnerböhung wie vorstehend von der am gleichen Tage abgebaltenen Versammlung der Zimmerleute abgelehnt und beschlossen worden fei, an den im Schreiben vom 4. März gestellten Bedingungen festzuhalten. Hieraus nahm die unterzeichnete Direkttion Ver⸗ anlassung, die Angelegenheit dem Aufsichtsrathe der Gesellschaft zu unterbreiten, und wurde in einer Sitzung am 12. 8. M, beschlossen, einen Vertrauens ⸗Ausschuß der gesammten Arbeiterschaft der Fabrik einzuberufen, um mit demselben wegen der allgemeinen Lohn. frage des Werkes in Berathung zu treten. Dieser Beschluß wurde der Kommisston der Zimmerleute am 15. d. M. durch den Vorsitzenden des Aufsichtsrathes Hrn. Geheimen Kommerzien Rath Schlutow im Beifein der unterzeichneten Direktoren mitgetheilt, und gleichzeitig die Kommission ersucht, die Zimmerleute zu veranlassen, von weiteren Maßnahmen in der Lohnfrage fo lange Abstand zu nehmen, bis der Vertrauens . Ausschuß des ganzen Werks zusammengetreten sei; letzteres sollte innerhalb 14 Tagen bestimmt erfolgen. Diesem angebotenen Ausgleich ist von Seiten der Zimmerleute aber nicht entsprochen worden, es haben diefelben vielmehr gestern Vormittag um 10 Uhr sämmtlich, mit Ausnahme von 20 Leuten, die Arbeit niedergelegt. Auf Grund des Vorstehenden richten wir nun an sämmiliche Arbeiter der Fabrik daz Erfuchen, zunächst aus jedem der nachstehend verzeichneten Dewerke, und zwar jedes Gewerk für sich, je 3 Del eg irt zu bestimmen, welche hierdurch am Donnerstag, den' 0. d. M, Nachmittags 4 Uhr, auf dem Speisesaale der oberen Fabrik zu einer Delegirtenversam mung ein- berufen werden. In der Delegirtenversammlung soll eine ein gebende Ausfprache über die allgemeine Lohnfrage des Werks statt . finden, und soll es fodann die Aufgabe der Delegirtenversammlung fein, einen Vertrauengaugfchuß von 10 bis 18 Leuten zu wäb— len, welcher mit der Direktion in nähere Berathung wegen der allge⸗ meinen Lohnfrage fofort einzutreten hätte. Bredow, den 18. Marz

. Die Direktion der Stettiner Maschinenbau⸗-Aktiengesellschaft Vulcan!) .

Die „Osts. Ztg‘ bemerkt zu diesem Schreiben: Es steht zu er⸗ warten, daß dieses Vorgehen der Verwaltung des „Vulcan“ bei den Arbeitern Verständniß und dankbares Entgegenkommen finden werde. Sum Riem endreberausstand in Barmen meldet W D B; ;. Die Kommission der Riemendreherei⸗Besitz er ver: öffentlicht in der. Westd. Ztg. eine Erklärung, welche besagt, daß bei fortdauerndem Ausstande der noch nicht wieder zur Arbeit juruckgekebrten Gesellen am 21. März eine allgemeine Betriebssperre verhängt werden würde. Die Strikenden werden aufgefordert, die Arbeit aufzunehmen, da sonst 1800 ruhige Arbeiter brotlos würden.

In Essen fand am letzten Sonntag der Rh. W. Ztg. zufolge eine Versammlung von Erd- und Bauarbeitern von Essen und Umgegend statt in welcher über die Arbeitszeit und die Lohnfrage berathen und folgender Beschluß gefaßt wurde: „Die Versammlung zieht in Erwägung, daß wegen der Theuerung der Lebensmittel der Minimallohn von den Unternehmern und Meistern bei zebnstündiger Arbeitszeit auf 3,50 ( festzusetzen sei. Es wurde eine Kommifsion e,, . den Arbeitgebern diesen Beschluß zur Annahme vor— egen soll.

Aus Magdeburg berichtet die Mgd. Ztg.“: Die Arbeits ein stellungen. in unseren Fabriken mehren fich mit jedem Tage. So haben die im Röhrenzug beschäftigten Arbeiter der Met alt waarenfabrik rerm. J. Aders in Neu stadt vorgestern Abend die Arbeit eingestellt; sie verlangen eine Lohnerhöhung, Verkürzung der Arbeitszeit und Abschaffung der Ueberstunden. Auch in der Starke—⸗ fabrik von A. Ernst u. Sohn in der Neustadt follen die Arbeiter Behufs Erzielung böherer Lohnsätze die Arbeit nieder gelegt haben. Die Arbeiter der Königlichen Haupt— werkstatt in Buckau haben sich in einer Bitt⸗ schrift um Aufbesserung ihrer Lage an die Eisenbahn— direktion gewandt; zum Strike dürfte es hier nicht kommen Ferner wird daron gesprochen, daß in noch zwei Fabriken Buckaus in den nächsten Tagen ein Strike ausbrechen werde. Die Vertrauenz« männer der im Ausstand befindlichen Arbeiter der Wolfsschen Majschinenfabrik in Buckau haben dem Besitzer, Kommerzten⸗ Rath Wolf gegenüber in einer Konferenz versprochen, bei ihren Auf traggebern dahin zu wirken, daß die Arbeit ohne Verzug wieder aufgenomm en wird.

Aus mecklenburgischen Städten berichten die, Meckl. Nr“ daß in Ludwigslust und Plau die Maurer- und Zimmer gesellen, in Grabow die Mauxergesellen, welche dem Fach— verein angehören, die Arbeit eingestellt haben. 5

Wie früher mitgetheilt wurde, verlangten die Tischler— gesellen in Bremen von ihren Meistern die Einführung der neunstündigen Arbeitszeit und drohten im Fall der Weigerung mit einem Strike. Zur Niederlegung der Arbeit haben, wie die

„Wes. Ztg.“ berichtet, nur einige wenige Gehülfen Anlaß gefunden, da, wie in einer öffentlichen Versammlung der Tischlergefellen be— richtet wurde, 138 Meister gegen 80 am 10. d. M. die neunstündige Arbeitszeit bewilligt haben. Nunmehr wurde ein an die Meister zu richtendes Cirkular formulirt des Inhalts, daß an den Sonntagen überhaupt nicht gearbeitet und an den Wochentagen für Ueberstunden ein Aufschlag von 50 9 auf den vereinbarten Wochen- oder Stunden⸗ lohn verlangt werden soll. In der Motivirung wird betont, daß die Bebülfen diese Forderungen nicht zur Erlangung eines übermäßig hohen Lobns, sondern nur darum stellten, weil das Heer der Arbeits—⸗ losen verringert und die Gesundheit der Gehülfen geschützt werden soll.

Zu der Arbeiterbewegung in Großbritannien berichtet das

Wolff'sche Bureau aus Leeds: Der Kohlenmangel verursacht schwere Unzuträglichkeiten für die Einwohner, große Störung in allen Ge⸗ schäften; mehrere Fabriken und Hüttenwerke sind genöthigt, mit der Arbeit aufzuhören. Die Befürchtung liegt nahe, daß, Falls der Strike nicht mit Ende der Woche rorüber ist, es auch an Gas mangel wird. Depeschen aus anderen Industriecentren in Porkshire und Lancashire geben ein Bild gleichartiger Lage. In Burnley sind 30 Fabriken geschlossen, 5000 Angestellte ohne Beschäftigung. Gleichwohl baben mehrere Fabrikbesitzer die Forderungen der Bergleute bewilligt, und man hofft, dies Beispiel werde Nachahmung finden. Ferner wird aus Liverpool ge⸗ meldet: Die Lage hat sich hier etwas gebessert; aus anderen Theilen des Landes sind gegen 13 000 Arbeiter bier eingetroffen, um die Strikenden zu ersetzen. In den Docks sind die neu ange kommenen Arbeiter bereits eingetreten. Die Strikenden hielten heute hier und in Birkenhend Versammlungen ab, in welchen beschlossen wurde, den Strike fort⸗ zusetzen. Der Sekretär der Arbeiter⸗Association Mac Hugh führte in seinen Ansprachen aus, daß die Arbeiter noch nicht Hungers zu sterben hätten; bevor dies einträte, könnten aber Akte der Ver⸗ zweiflung vorkommen. Das Unterhausmitglied Graham klagte in sehr heftigen Ausdrücken die Arbeitgeber und Kapitalisten an und er⸗ theilte den Arbeitern den Rath, sich nicht mit ihren Verhältnissen zufrieden zu geben.

Zand⸗ und Forstwirthschaft.

Vom linken Niederrhein, wird der Rh. u. R. Ztg.“ Über den Saatenstand geschrieben: Der Frühling zieht mit Macht ins Land und es lohnt sich wohl, auf den Stand der Saaten einen Blick zu werfen und über denselben zu berichten. Im Allgemeinen stehen die Wintersaaten vorzüglich, dank der nicht zu nassen Witterung im Herbste bei der Einsaat und des trockenen Frostes im Dezember und Februar; dieser trockene Frost ist dem Unkraute mehr verderblich gewesen, als er der Saatfrucht geschadet hat; obgleich eine Schnee⸗ decke nicht vorhanden war, steht letztere, wie bemerkt, gut. Der Roggen hat sich im Herbst kräftig entwickelt und zeigt ausnahms - los ein gesundes Aussehen; bezüglich des Weizens wollte man Be denken hegen, allein es zeigt sich doch, daß auch diese Frucht den Winter gut überstanden hat. Auch die bier wenig angebaute Wintergerftee ist kräftig aufgegangen. Nur der Raps, welcher ebenfalls nur vereinzelt angebaut wird, scheint in einzelnen Strichen gelitten zu haben, es wird aber auf die Witterung ankommen, in⸗ wiefern die gehegten Befürchtungen Grund haben; dasselbe ist von Inkarngt zu sagen, obschon man glaubt, daß diese Kleeart zum großen Theil eingegangen ist bezw. eingehen wird; einige Wochen günstiger Witterung kann aber auch bezüglich dieses, wegen des frühen Aufgehens fast unentbehrlichen Futtermittels, noch vieles zum Besten wenden. Auch im vorigen Jahre glaubte man, der Inkarnat sei vom Frost vernichtet und doch erzielte man, wenn auch etwas spät, einen reichlichen Futterertrag. So treten wir mit den besten Hoffnungen in den Frühling hinein.

Handel und Gewerbe.

In der gestrigen Generalrersammlung der National Hypotheken ⸗Kreditgesellschaft zu Stettin wurde der Jahresbericht vorgetragen; aus demselben ergiebt sich, daß am Schlusse des Jahres 1889 1214 Mitglieder mit 2223 volleingezahlten Geschãfts⸗· antheilen 666 00 M zur Gesellschaft gehörten. An Effekten in Reichganleihe, Preußischer konfolidirter Anleihe und Landschafts pfandbriefen waren vorhanden: 840 000 „6, Wechsel 35 000 , Depositen. und Spargelder 166 890 , an Hypothekendolumenten 36 oi3 760 46, an Pfandbriefen cirkulirten 35 116 180 6 Der Reserve⸗ fonds in Höhe von 442 00 M ist in Reichsanleihe, Pommerschen und Central Pfandbriefen angelegt worden. Im Laufe des Jahres hat die Gesenschaft 1 316 150 M Pfandbriefe mit 100½ Zuschlag aus der Eirkulation gezogen, die dadurch entstandenen Kosten wurden aus den laufenden Cinnabmen bestritten, und kommt der nun verbleibende Reingewinn von 57 109 zur Vertheilung, was für jeden Geschäfts⸗ anthell eine Dividende von 400 ergiebt. Die Generalversammlung

nehmigte diese Dividende und ertheilte dem Aufsichtsrath und dem

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