1890 / 106 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 01 May 1890 18:00:01 GMT) scan diff

ädigten, die nicht die Empfangsberechtigten waren. Wenn ich auch 16 will, daß nicht alle Gemeinden allen ihren Geistlichen, die durch das Sperrgesetz gelitten haben, nun das Entzogene in vol lem Umfange erscht haben. so. werden die Herren doch zugehen, daß ein Ersaß von Ausfällen in sehr weitgehendem Umfange Seitens der Gemeinden für die Geistlichen bewirkt worden ist. ö

Erwarten Sie nicht, daß ich in dieser Hinsicht meine Akten öffnen werde; aber in Mein und Dein bört wirklich die Gemüthlichkeit auf, und innerhalb Ihrer Konfession, meine Herren, ist doch die Disziplin nicht dermaßen, daß die Gemeinden nicht bestimmt mit den Wünschen auftreten sollten, ihrerseits das Geld wieder zu erhalten, welches sie ihren Geistlichen geopfert haben. Ich will auf die Vereine u. s. w., welche die Priester unterstüͤtzt haben, nicht eingehen. ö

Meine Herren, ist die Autzantwortung an die sog. Empfangs- berechtigten rechtlich und phyfisch unmöglich, dann glaube ich, werden Sie mir auch ferner zugeben, daß eine sogenannte weitere restitutio in in- tegrum für andere Perfönlichkeiten und Zwecke politisch nicht möglich wäre. Die geehrten Herren Vorredner, welche anderer Meinung waren, als Br Windthorst und fein Fraftionsfreund, haben ja dieser Auf—= faffung Ausdruck gegeben. Glauben Sie doch nicht, meine Herren, daß die Staattzrenierung von den Gesichtspunkten abgewichen ist, die sie vom Jahre 1880 an mit Bestimmtheit verfolgt hat. Sie ist allermaßen bemüht gewesen, den Frieden wiederherzustellen, der in Folge einer früheren Gefetzgebung gestört war; aber einen Strom rückläufig zu machen, meine Herren, ist positiv unmöglich, und es giebt andere Fakloren im Staatsleben, welche auch zu berücksichtigen find. Und wenn Sie (zum Centrum) glauben, durch Ihre bestimmte, laute Opposition diejenigen Stimmen übertönen zu wollen, die sehr vernebmlich auch außerhalb der Thore dieses Hauseg ertönen, dann irren Sie sich, meine Herren; die Staatsregierung ist, glauben Sie mir, heute noch der fefleste Halt für Ihre (zum Centrum] Interessen.

Wenn die Staatsregierung nicht so bestimmt aufträte auf dem Gebicte des Ordenswesens und auch allen anderen Punkten, welche Ihre Intereffenkresse vorzugsweife berühren, und wenn die Regierung eben im Lande nicht noch das Vertrauen hätte, die epangelischen Interessen ö 6 dann würden Sie ganz anderen Bewegungen gegenüber tehen. . Das ist eine vertrauliche Bemerkung, die ich Ihnen mache, meine Herren. Ob Sie Folgerungen daraus ziehen wollen, überlasse ich Ihnen; aber ich gebe Ihnen die Versicherung: es ist heute nichts schwerer für einen' verantwortlichen Minister, als diejenige Mittel linie zu ziehen, die überhaupt heute noch, möglich ist. Ich glaube, daß ich mich nicht irre und was ich bisher von anderen Parteien diefes Hausetz gehört habe, bestärkt mich in der Auffassung: die Staatsregierung ist in dieser Vorlage an diejenige Linie herangegangen, welche überhaupt möglich ist, welche meines Erachtens nach als eine Diagonale zur Noth festgehalten werden kann. ;

Wenn sch nun von dem Gesichtspunkte ausgehe, auf welchem das Gesetz speziell sich aufbaut, so liegt es ja selbstverständlich, meine Herren, am nächsten, daß die. Regierung nicht von vorn herein von dem Gedanken geleitet war, eine Rente ohne eine gewiffe Zweckbestimmung, ohne eine bestimmtere gesetz= geberische Rerclung zu gewähren. Wir haben aus katho— sischen Kreisen seit Jahren, mündlich und schriftlich, durch Eingaben und in der Presse eine Fülle von Anträgen erhalten, wie wir das Kapital oder die Rente verwenden möchten. Es wäre da eine lange . zu machen; ich will nur einzelne Kategorien hervor-

eben.

Es richten sich die Anträge: auf Erhöhung der Bisthums; und Bisthumsinftitulsdofationen Aufbesserung der Gehälter der Dom herren, Domvikare, Seminar -⸗Professoren, Vermehrung und Aushesserung der Beamtengehälter, Vermehrung der Mittel für Kultuskosten bei Domkirchen, Bewilligungen zu Reubauten und zur baulichen Unter⸗ haltung der bischöflichen Residenzen, Domkurien, Emeriten⸗- und Demeritenanstalten, Seminare, Stiftung von Pensionsfonds für emeritirte Geistliche, Aufbesserung der Pfarrstellen und Succursal⸗ pfarrstellen, Erhöhung der Bezüge der Kaplane, Aust zahlung an die einzelnen Bischöfe pro rata des aus den einzelnen Diözesen zum Sammelkonto Geflossenen Behufs der Verwendung und Untervertheilung, Entschädigung der durch Schadloshaltung gesperrter Geistlicher betroffenen Kirchen und Civilgemeinden, Hergabe von Mitteln zur Gründung von Vikariaten in bevölkerten Parochien, Bewilligung von Fonds zu Stipendien für Studirende der katholischen Theologie, zur Aufhebung des Simulta⸗ neums am Oberrhein durch Bauten neuer Kirchen, zur Ablösung der Staatepfarrer, und manche andere Gegenstände. Es hat natürlich auch nicht an Anträgen gefehlt, das Aufgesammelte zu Gunsten der evangelischen Kirche zu verwenden, oder mindestens zu Gunsten der Schule.

Meine Herren! Nach es nicht schwer ich ; ̃ ; und die sehr zahlreichen Gesetzentwürfe, die, ich auf⸗ gestellt habe, enthalten von einer diskretionären Gewalt des Ministers nichts, enthalten vielmehr bestimmt bezeichnet diejenigen Zwecke, für welche die Rente zu verwenden wäre. Nur dem dringen— den Wunsche aus katholisch kirchlichen Kreisen ist es zuzuschreiben, daß der Entwurf diesenige Gestalt bekommen hat, welche vor Ihnen erscheint. (Abg. Dr. Windthorst: Was sind das für Kreise? Namen!) Meine Herren, rie Sache steht unter dem Geheimniß des preußischen Staats Ministeriums. Die beiden Konzessionen, welche von der Staatsregierung verlangt oder gewünscht wurden, betrafen einmal die Vertheilung der Rente an die einzelnen Diözesen nach Maßgabe des Einschlusses und zweitens die Zulassung einer Vereinbarung zwischen den Diözesanoberen und dem Minister. Es ist mir persönlich, weil ich ja durchaus nicht wünsche, mein Ministerium mit noch größeren Pflichten zu belasten, als es leider schon hat, sehr schwer geworden, mich zu dieser Auffassung bekehren zu lassen. Es wurde mir aber wiederholt versichert, daß es in den betheiligten kat ho⸗ lischen Kreisen sehr dankbar empfunden werden würde, einmal den Satz auszusprechen: was ihr eingeschossen habt, bekommt ihr in Rentenform wieder, und zweitens: habt das Vertrauen zu euren Bischöfen, daß die Rente richtig und zweckmäßig vertheilt wird. Von einer Diskretion des Ministers etwa nach der Richtung hin, wie sie geschildert wurde, kann und wird bei mir niemals die Rede sein. Sollte dieser Standpunkt von dem hohen Hause gebilligt werden, so bin ich überzeugt, daß zwischen den Bischöfen und mir sehr leicht eine Vereinbarung zu Stande kommen könnte; wir haben sehr viel schwerere Sachen schon erledigt, ohne sie gerade an die große Glocke zu hängen. Wenn Sie aber auf anderem Standpunkte stehen, meine Herren, so wollen wir in der Kommission berathen, wie wir die Verwendungszwecke festlegen können. Ich glaube, in dieser Beziehung wird die Regierung gern entgegenkommen; denn sie geht gern zu ihren alten Entwürfen zurück, nicht als Gegenstand ihrer Liebe, sondern als Gegenstand ihrer poli— tischen Einsicht. Hier handelt es sich um die Frage des Maßes oder Unmaßes der diskretionären Gewalt des Ministers. Die weitere Frage ist die, ob denn die Rentenbeträge überhaupt im Staatshaus— haltös-Etat erscheinen sollen, und bejahendenfalls in welcher Art? Meine Herren, ich glaube, die Beantwortung ist nicht schwercr: da es sich um Staatsgelder handelt, müssen sie im Staatshaushalt zur Erscheinung kommen, und zwar ihrer Natur nach, meines Erachtens, in Verbindung mit Kap. 115, wo es sich um Bisthümer und deren Institute handelt, und mit Kap. 116, wo es sich um katbolische Kirchen und Geistliche handelt. Gedacht haben wir uns das so: wenn zwischen den Bischöfen und dem Kultus⸗Minister eine Vereinbarung zu Stande kommt, so handelt es sich dabei einmal um den sachlichen Zweck und zweitens um die Frage der Zeitdauer. Davon ist ja gar keine Rede, daß mein Wunsch sein könnte, Vereinbarungen auf kurze Jahre, wodurch stete Erneuerungen bedingt würden, zu treffen; ich wünsche womöglich ein ewig dauerndes Uebereinkommen, genau so, wie unter Kap. 1189 und 116 Dotationen auf die Dauer enthalten sind. Nun erkenne ich an, daß der Rechtfgrund ein anderer ist als sonst im alle einer Dotation, da eine Vereinbarung zwischen dem Vertreter der Staatsgewalt und der Vertretung des Bisthums

diesem Verwendungszwecke

aktenmäßigen Material war zu konstruiren,

hinzukommt, und daß duch über die Torm zu befinden sein wird, unter welcher die neuen Renten im Staatshaushalt erscheinen sollen. Meine Auffassung gebt dahin: Wenn, wie ich annehme, beispielsweise die meisten Bischöfe wänschen, ihre in der That nicht zulänglichen Ver⸗ waltungskosten, die Gehälter ihrer zahlreichen Beamten erhöht zu sehen, fo wären die betreffenden Summen bei den Etatspositionen „Bischöflicher Stuhl“, zuzusetzen, wobei es sich fragen würde, ob die bisherigen Beträge der Position mit den neuen gänzlich zusammen zu zieben oder noch von denselben durch Buchstaben oder sonst getrennt zu kennzeichnen wären. Wenn ferner, was vielfach gewünscht wird, wogegen ich auch nichts ju erinnern habe, die Bezüge der Domkapitularien, der Domvikare, der Lehrer an den biscköflichen Bildungsanstalten, erhöht werden, so werden gleicher⸗ weife die betreffenden Positionen, welche wir im Etat haben, erhöht werden, sei es unter gänzlicher Zusammenziehung der Summen, sei es, wie ich angedeutet, unter Außeinanderhalten mittels einer Unter⸗ numerirung. Wünscht dagegen ein Bischof, was ich auch für möglich halte, die Gründung eines Emeritirungsfonds, so wird bei dem betreffenden Bisthum eine neue Littera dem Etatstitel hinzu gefügt werden können, und Sie würden dabei vollkommen in der Lage fein, das Neue zu erkennen. Welche Veränderung im Staatshaushalts⸗ Etat vorgeht, fehen Sie natürlich aus der Kolonne Bemerkungen im Etat des betreffenden Jahres. Wir sind ja verpflichtet, den veran— schlagten Jahres-Etat mit dem Etat des ablaufenden Jahres zu vergleichen, und Sie finden in gewissenhafter Weise jeden Pfennig, der mehr oder weniger eingesetzt worden ist, im Verhãltniß zum vorigen Jahre erläutert; also die volle klare Mitwirkung und Er- fenntniß des hohen Haufes wird meines Erachtens unter allen Um— ständen auch Betreffs der neuen Rente gewahrt sein. So haben wir uns die Sache gedacht; sollte sie komplizirter werden, meine Herren, fo würde ich selbst Abneigung haben. Ich bin ja ganz außer Stande, mich mit Bischöfen auf eine kurzfristige Verwendung zu einigen. Ich habe den dringenden Wunsch, daß auf eine, vielleicht absehbare, aber doch jedenfalls lange andauernde Zeit sowohl Bischof als Kultus- Minister in der Lage sein würden, im Inter effse einer gewissen Diözese diejenigen Aufgaben zu fin den, welche gefördert werden können, und diejenigen Summen richtig einzutheilen, welche der Bischof für nothwendig erachtet. Ich sehe bier also keine Schwierigkeit, welche nicht überwunden werden könnte. Wollen Sie in der Hinsicht besondere Kautelen, so wird es ja Ihrem Scharffinn vielleicht gelingen, solche zu erfinden; aber ich glaube, im Allgemeinen wird es genügen, wenn, wie ich angedeutet kabe, diese Summen nachher in dem Etat erscheinen.

Nun verlangt der Hr. Abg. . Windthorst, um, darauf

zurückzukommen, detaillirte Nachweisungen über die auf⸗ gesammelten Beträge. Ja, meine Herren, die Nachweisungen können ja natürlich gemacht werden; ob wir es aber inner— halb der Legislaturperiode erledigen werden, sie anerkannt zu sehen, das weiß ich nicht. Die ganze Frage über die Einstellunz und Auf. sammlung war für die Unterbehörden, für die Provinzialbehörden eine fehr schwierige; denn sie mußten bei jedem Titel, bei jeder Position sich darüber Klarheit verschaffen, ob diese Position auf Bedürfnißzuschuß oder auf rechtlicher Verpflichtung oder auf Dotatign beruhte. So sind denn selbstverständlich bei der Centralinstanz sehr verschiedene Berichte eingegangen; diese Berichte sind meistens vor meiner Zeit erstattet worden, und zahllose Entscheidungen getroffen; und nach der Art und Weise, wie die Angelegenheit behandelt ist, kann ich nur sagen: sie ist mit der nöthigen preußischen Gewissenhaftigkeit erledigt worden, und was nicht als Be— darf ni chuß aufzuführen war, wurde dem sogenannten Sammelfonds ugeführt. . a; ich nun die Ehre hatte, Minister zu werden, hatte ich den dringenden Wunsch, diesen Fonds nicht zu sehr anwachsen zu lassen, sondern, so weit ich es eben mit meinem Gewissen vertreten konnte, ihn nutzbar zu machen für die unmittelbarea Zwecke der Diözesen. Sie werden daher finden, daß unter Umständen der Fonds zurück gegangen ist. Ich habe, soweit es irgendwie ging, die aufgesammelten Gelder ausgezahlt. Einige der Herren werden sich vielleicht noch der Frage erinnern, ob der Dom in Frauenburg Gemeindekirchenqualität habe, wie der Dom in Köln; diese Frage wurde zu Gunsten der katholischen Bevölkerung bejaht, und die für den betreffenden Dom eiggestellten Beträge wurden voll zurückgegeben, Ich bin den Wünschen der Domkapitel, der Bischöfe, in Bezug auf ihre Bauten natürlich immer unter Zustimmung des Herrn Finanz- Ministers so weit entgegengekommen, als das irgendwie dem Gesetz gegenüber möglich war, Und Sie werden daher, glaube ich, finden, daß in dem einen Jahre der sogenannte Sammelfonds geringer war, als im vorhergehenden Jahre. 5

Wenn Sie hier sodann sehen, und das ist ja in einem gewissen Interesse mir schon zum Vorwurf gemacht —, daß hier noch ein An— spruch von rund 76 000 6 für das Sammelkonto herausgerechnet worden ist, so ist das nur ein Beweis für die obengedachte Gewissen⸗ haftigkeit der Verwaltung wir kommen vielleicht auf dieses Einzelne auch noch in der FKommission z es ist eine Fonds verwechslung vorgekom⸗ men, welche wir festgestellt haben, ehe der Herr Erzbischof von Gnesen⸗Posen eine seiner Anstalten eröffnete, und wir haben aus den Unterlagen eikannt, daß eine gewisse Summe nicht hätte als Bedürfnißzuschuß behandelt werden dürfen, sondern eben auch als auf rechtlicher Ver— pflichtung oder auf Dotation beruhend; in Folge dessen hat der Posensche Säkularisationsfonds es übernehmen müssen, zwischen 80 und 90 000 S an den Sperrfonds zu zahlen und darauf ist noch ein Rest von rund 76 9000 M rückständig. Derartige Angelegen⸗ heiten sind selbstverständlich von der Ober Rechnungskammer und, wenn Sie wollen, auch von Ihnen schon geprüft. Die Rechnungen haben Ihnen vorgelegen, und Sie haben in den EGxtraordinarien, Rechnungen der General = Staate kasse Alles gefunden oder finden können. Ich glaube, wir kommen mit der Detaillirung nicht weiter. Die Garantien, welche gegeben sind durch unsere ganze Finanzgebahrung, durch die Ober-Rechnungskammer und durch die Gewissenbaftigkeit, welche unsere Beamtenschaft auszeichnet, sollten meines Erachtens genügen. Das sind aber Fragen, die mich persönlich weniger interessiren, mag der Herr Finanz⸗Minister seine Entschließungen darüber fassen. .

Ich glaube, daß ich auf diese Weise die wesentlichsten Punkte erlediht habe, welche von dem geehrten Herrn Vorredner hier berührt worden sind. Der Abg Dr. Windthorst bemerkte nun, er wisse, daß die katholische Kirche weder in Rom noch die Diözesanoberen sich mit dem Gesetz einverstanden erklärt hätten. Ich kann ihm darauf er⸗ widern mit voller Zustimmung der Staatsregierung, daß nach unseren gewissenhaften Ermittelungen die Vorlage vom kirchlichen Stand puntte tolerirbar ist. Auf welchem Wege wir zu der Kenntniß ge— kommen sind, darüber lehne ich die Mittheilung ab. Die Staats— regierung ist aber optima fide in dieser Erklärung und ich stelle anheim, ob der Hr. Abg. Dr. Windthorst sich damit befriedigt erklären will oder nicht. Er wird ja wissen, daß es sehr verschiedene Wege giebt, auf denen man solche Ermittelungen anstellt.

Meine Herren, ich schließe, womit ich angefangen habe: ich hoffe, daß vielleicht einige Irrthümer oder Mißverständnisse, die eingetreten sind, durch meine Worte ihre Erledigung gefunden haben. Jedenfalls würde ich mich freuen, wenn ich innerhalb der Kommission oder im hohen Hause etwaige Mißverständnisse beseitigen könnte. Ich glaube aber darüber keinen Zweifel lassen zu dürfen, daß der Zweck, welchen die Staatsregierung mit diesem Gesetz erstrebt, nicht darin besteht, etwa 500 006 M jährlich zu verausgaben, sondern allein darin: durch Aufwendung dieser nicht unerbeblichen Summe zu Gunsten katholisch⸗ kirchlicher Zwecke dasjenige Maß von Beruhigung wieder zu erreichen, welches meines Erachtens erreicht werden kann, und diesen Dorn aus dem Fleische des öffentlichen Lebens zu ziehen, damit diese Frage aus der Diskussion verschwindet. Wenn dieser Zweck, diese Voraussetzung nicht in Erfüllung geht, dann legt die Staatsregierung auf das Zahlen von h60 000 M keinen Werth. Also ich bitte, das sich gütigst zu überlegen. Ich glaube, die Entschließungen werden wesentlich in den Händen des Herrn Abg. Pr. Windthorst beruhen. Ich stelle ihm anheim, sich darüber Gewißheit zu verschaffen, und seine Auffassung nach den Auffassungen der Königlichen Staatsregierung und der anderen Mehr

beitsparteien dieses Hauses, ich will nicht sagen einzurichten. aber diese Ansichten zu berücksichtigen und dann seine Entschließungen zu fassen. Vielleicht finden wir in der Kommission doch einen Weg, wie wir zufammen kommen. Das sollte mich freuen.

Abg. Graf zu Limburg-Stirum; Ich habe niemals angenommen, daß dem Staat die Verpflichtung obliegt, die Bischöfe mit Ländereien auszustatten. Es ist ja erklärlich, daß die Herren den Wunsch haben, schöne Wälder zu besitzen und darin Schnepfen schießen zu können. Jetzt wird nicht beschlag⸗ nahmt, wie die Herren vom Centrum ausführen, sondern, was geschehen ist, ist 1875 geschehen, und heute haben wir die freie Verfügung; daß die evangelische Kirche dabei auch ihre An⸗ spruͤche geltend macht, ist selbstverständlich. Haben wir formell hin⸗ sichtlich dieses Fonds freie Hand, so sind wir materiell dafür, daß er im Interesse der katholischen Kirche verwendet werde. 6 hätte gewünscht, daß das Centrum dies anerkannt und sich nicht den Anschein gegeben hätte, als handle es sich auch jetzt wieder um eine Diocketianische Kirchenverfolgung. Wenn jetzt auch von evangelischer Seite bei dieser Gelegenheit Wünsche geäußert werden, so sollten Sie das doch den Herren nicht ver⸗ denken. Ich gebe zu, daß die Epangelischen direkt einen Rechtstitel nicht herleiten können, es ist aber nur recht und billig, daß die ihnen gemachten Versprechungen realisirt werden. Der Minister hat die Zwecke bezeichnet, zu welchen diese Gelder verwendet werden sollen. Es kann nun keinem von Ihnen zweifelhaft sein, daß, wenn diese Vorlage Gesetz wird, in kurzer Zeit Vereinbarungen zwischen dem Minister und den Bischöfen darüber stattfinden werden, wie das Geld verwendet wird. Von einer Korruption durch diese Gelder kann da nicht die Rede sein. Sie haben keinen Grund, diesen Minister anzu—⸗ feinden, Sie würden auch schwerlich einen finden, der Ihnen so günstig ist. Ich bin auch der Meinung des Abg. Freiherrn von Erffa, daß wir das Gesetz einfach ruhen lassen, wenn das Centrum es durchaus nicht acceptiren will. Ich hoffe aber, daß wir in der Kommission zu einer befriedigenden Ver— einbarung gelangen werden.

Abg. von Eynern: Ein Recht auf die Rückerstattung dieser Gelder besteht nicht, und der Abg. Graf Strachwitz hatte kein Recht, von einer Verletzung des siebenten Gebotes zu sprechen. Der Abg. Dr. Windthorst hat sich denselben Ausdruck angeeignet, indem er von einem ungerechten Gut sprach, über welches die Regierung verfügen wolle. S. 8 des Sperrgesetzes und die Motive dazu lassen aber gar keinen Zweifel darüber, daß ein Rechtsanspruch der Kirche auf die Rück— gabe der gesperrten Gelder nicht besteht. Trotzdem stehen wir dieser Vorlage nicht unfreundlich gegenüber. Wir wollen, daß die angesammelten Fonds in dem in dem Gesetz bezeichneten Sinne verwendet werden, um so einen Frieden mit der katholischen Kirche zu finden. Dieser Glaube, den ich bis zum Eintritt in diesen Saal gehabt habe, ist aber durch die Rede des Abg. Dr. Windthorst wesentlich erschüttert worden. Er sagte, daß wir mit diesem Gesetz die Sozialdemokratie weiter züchteten. Das ist eine von den rhetorischen Floskeln, die der Abg. Dr. Windthorst bei jeder Gelegenheit anwendet. Wenn man nicht das thut, was er und seine Partei will, so ist das eine Züchtung der Sozialdemokratie. Er hat dann hinterher zum Schrecken der ganzen Bevölkerung gesagt, wer für dieses Ge⸗ setz stimme, stimme für die Sozialdemokratie. Es dürfte doch dem Abg. Dr. Windthorst nicht so schwer werden, für die Sozialdemokratie zu stimmen, nachdem er indirekt in Solingen die Wahl eines Sozialdemokraten befürwortet hat. Die ganze Haltung des Abg. Dr. Windthorst kommt mir nicht ganz glaubhaft vor. Er denkt wohl, wir würden ihm das Gesetz bringen, er könnte es ablehnen und schließlich käme es doch gegen ihn zu Stande. Wir werden ihm schwerlich den Ge— sallen thun. Lehnt das Centrum die Vorlage ab, so werden meine politischen Freunde sehr wahrscheinlich gegen das Gesetz stimmen. Nach der Haltung der konservativen Partei wird sich der Abg. Dr. Windthorst überlegen, ob er nicht doch in diesem Fall für die Sozialdemokratie stimmen wird. Die Kirche hat einen sehr guten Magen und sie wird wahrscheinlich auch das ihr hier Gebotene gut verdauen können, wenn sie auch nicht die 16 Millionen bekommt; hat sie doch ganze Länder aufgefressen und sich gut dabei befunden. Im Uebrigen sind wir gern bereit, uns an einer Verbesserung des Gesetzes auch in dem Sinne, daß für die Altersversorgung der Geistlichen aus diesem Fonds etwas geschieht, zu bethei⸗ ligen. Wenn das Centrum das Gesetz nicht annimmt, so bleibt nichts Anderes übrig, als mit diesem 16 Millionen⸗ Fonds überhaupt aufzuräumen. Wir wünschen diesen Zank— apfel, der in die Kirche und in die Verhandlungen dieses Parlaments hineingeworfen ist, in irgend einer Weise zu be— seitigen, wenn nicht mit dem Centrum, dann gegen das Centrum. Es ist ja gar nicht ausgeschlossen, daß bei der außerordentlich energischen Ablehnung des Centrums und bei der bei uns vorhandenen rechtlichen Anschauung, daß der katho⸗ lischen Kirche dieser Fonds gar nicht gebührt, wir uns damit begnügen, das Gesetz nur aus dem Art. 1 Abs. 1 bestehen zu lassen, wonach die Beträge u. s. w. zu Gunsten des allgemeinen Staatsfonds vereinnahmt werden. Ich denke aber, Sie werden dafür stimmen. Ich bin fest überzeugt, daß die Geschicklichkeit des Abg. Br. Windthorst schon einen Aus⸗ weg finden wird, um diese Abstimmung zu motiviren. Ich freue mich schon darauf. Wollen Sie dieses Friedensgesetz nicht, dann wollen wir es auch nicht. Der Abg. Dr. Windt⸗ hoörst ist jedenfalls ein bedeutender und großer Mann, aber er ist noch lange nicht katholischer Bischof, und nach den Er— klärungen des Kultus-Ministers über die Stellung der Bischöfe zu diesem Gesetz haben wir alle Aussicht, daß das Gesetz dennoch zu Stande kommt, denn der Abg. Dr. Windthorst hat doch nicht den Einfluß auf die Bischöfe, wie er es vorgiebt. Ich habe es lebhaft bedauert, daß ein Theil des Centrums die Worte des Abg. Freiherrn von Zedlitz und Neukerch, daß diese Vorlage eine große Beunruhigung in der evangelischen Bevölkerung hervorgerufen hat, mit höhnischem Lachen be— gleitete; es war das jener Theil des Centrums, der unter dem Kommando des Abg. Fuchs steht. Ich glaube, daß das die lebhafteste Aufregung wieder innerhalb der evangelischen Be— völkerung hervorrufen wird. Sie mögen es nun wollen oder nicht, wir werden in der Kommission erwägen, ob nicht auch eine größere Dotation der evangelischen Kirche Hand in Hand mit diesen Gesetzen wird gehen müssen. Wir berathen dieses Gesetz auf keiner anderen Grundlage, als auf der der Parität. Wir be⸗ trachten diese 16 Millionen als eine neue Dotation an die katholische Kirche, und wir halten uns deshalb in unserem Gewissen und vor der evangelischen Bevölkerung dieses Landes verpflichtet, zu prüfen, ob es möglich ist, der katholischen Kirche diese Zuwendungen zu machen, ohne daß gleichzeitig den be⸗ rechtigten Wünschen der evangelischen Kirche gleichmäßig eine

Befriedigung zu Theil wird.

Abg. Dr. Reichensperger: Diese Ausführungen sind nur zu sehr geeignet, den alten Kulturkampf wieder herauf⸗ zubeschwören. Zu meinem großen Bedauern hat auch der Minister die Meinung ausgesprochen, daß, wenn wir nicht zufrieden wären mit der hier vorgeschlagenen Lösung der Frage, alsdann der Grundsatz einträte, Wohlthaten werden nicht aufgedrängt. In korrektes Deutsch über⸗ setzt, würde das den Gedanken ausdrücken, daß, wenn ein Schuldner dem Gläubiger gegenüber, dem man jeden Rechtsweg versperrt, Anerbietungen macht mit Bedingungen, die der Gläubiger als unzulässig erklärt, der Schuldner erklärt, er werde nun gar nichts bezahlen. Der Minister hat darauf hingewiesen, daß diesem Gesetz die kirchliche . gegeben worden sei. Nach meiner Ueberzeugung iegt eine solche Zustimmung nicht vor. Wenn er aber seine Behauptung aufrecht erhalten will, dann muß er uns auch die Beweise ihn vorlegen. Denn wir sind durch unser Gewissen verhindert, über Kirchengut zu disponiren; thäten wir es, so würden wir uns eines Sakrilegs schuldig machen. Wäre wirklich eine Verständigung mit der Kirche erfolgt, dann würde allerdings die Situation für uns wesentlich verändert sein. Einen relativen Dank bin ich dem Minister schuldig, daß er die korrumpirenden Rathschläge, die ihm sogar von einer Seite gemacht worden sind, die sich christlich-⸗konservativ nennt, nicht befolgt hat und die in der That auf eine Ver— letzung des siebenten Gebo's des Dekalogs hinauskommen. Selbst der Minister Falk hat das kirchliche Eigenthum als solches respektirt. Es handelt sich hier um Leistungen aus rechtlichen Verträgen und Verpflichtungen, die auf Königswort beruhen. Die Einstellung der Staatsleistungen erfolgte, weil man die Kulturkampfgesetze nicht durchsetzen konnte. Nicht als Revolutionäre standen die Bischöfe und Geistlichen diesen Ge— setzen gegenüber, sondern auf Grund des Landrechts, welches ausdrücklich bestimmt, daß Niemand gezwungen werden kann, gegen seine religiöse Ueberzeugung etwas zu thun. Als man sah, wie die Gesetze unausgeführt blieben, da fiel aus den Reihen der freikonservativen Partei das Wort: man sollte den Geist— lichen nur den Brotkorb höher hängen. Das ist der Ursprung des Sperrgesetzes, welches schließlich überall angewendet wurde auch auf Geistliche, welche gar nichts gethan hatten. Die katholische Kirche wird durch solche Dinge nicht erschüttert, sie steht in Gottes Hand.

Abg. Rickert: Die Vorlage, wie sie ist, ist für uns aller— dings unannehmbar, namentlich wegen des §. 3. Wir haben aber die Hoffnung, daß in der Kommission, wo noch eine Menge Unklarheiten zu erledigen sein werden, es gelingen wird, über diesen Stein des Anstoßes hinwegzukommen. Auch wir betrachten die Vorlage als einen Weg zum Frieden. Wir machen unser Votum nicht abhängig von dem Votum einer anderen Partei; auch nicht dem des Centrums. Ich habe be⸗ dauert, daz der Kultus-Minister diese Reziprozität hier ver⸗ kündet hat. Dieser Standpunkt ist für den Gesetzgeber nicht zweckmäßig. Der Gesetzgeber soll urtheilen nach der Lage der Sache, nicht danach, wie ein anderer sich zu einer Vorlage verhält. Wir lehnen es ferner ab, die Frage der Dotation der protestantischen Kirche hineinzuziehen; sie steht mit dem vorliegenden Gegenstand gar nicht im Zusammenhang. Die Herren übertreiben, wenn sie behaupten, die Vorlage habe in protestantischen Kreisen lebhafte Beunruhigung hervorgerufen. Ich habe auch einige Fühlung mit diesen Kreisen, ich habe aber von einer solchen Aufregung, die sich an diese Vorlage knüpfte, nichts gemerkt. Diese Vorlage ist eine natürliche nothwendige Konsequenz der Vergangenheit und steht gar nicht im Zusammenhange mit der Stolgebührenfrage. Recht hat der Abg. Dr. Windthorst, wenn er eine genaue Rechnungslegung in der Kommission verlangt, und der Minister kann sich nicht auf die bewährte Gewissenhaftigkeit unserer Finanzverwaltung zurückziehen. Die Budget-Angelegenheiten sind einmal so geregelt, daß sie prinzipiell auf einem gewissen Mißtrauen beruhen, nicht gegen die Personen, sondern sachlich. Einer solchen Rechnungslegung würde auch der Finanz-Minister nicht im Wege sein können. Die Differenz, ob das Kapital oder die Zinsen vom Kapital zu Gunsten der katholischen Kirche in Zukunft verwendet werden sollen, scheint mir nicht von so erheblicher Bedeutung. Mir wäre es das Liebste, wenn das Kapital ausgeschüttet würde und wir mit der ganzen Sache nichts mehr zu thun hätten. Die Frage, ob die Diözesen oder die Gemeinden das Geld erhalten sollen, hat der Minister heute offen gelassen. Es für das eine wie für das andere Gründe. Knappheit der Motive zu §. 3 kann

Bei der sich die

Regierung nicht wundern, wenn bei jedem Theil der Mitglieder

des Hauses eine andere Anschauung herrscht. Was bedeutet Vereinbarung? Soll sie jährlich oder nur einmal, oder von Zeit zu Zeit stattfinden? Was geschieht, wenn die Kirchen— oberen mit dem Kultus-Minister nicht einverstanden sind? Kurz, man weiß nicht ein, nicht aus. Warum soll nicht eine defini— tive Vereinbarung für alle Zeiten stattfinden, an der auch die Faktoren der Gesetzgebung mitwirken? Ich halte es für das Allerbeste, wenn der Kultus⸗-Minister die Hand dazu bietet, in der Kommission eine Verständigung derart herbeizuführen, daß ein für alle Mal die Zwecke festgesetzt werden, für welche dieser Fonds Verwendung finden soll. Das scheint mir um so wünschenswerther, als wir über die Stellung der Kurie und der Oberhäupter der Kirche heute im Unklaren sind. Wir sind gern bereit, mitzuwirken zu einer Regelung, die in der That zum Frieden und zur Versöhnung führt, die das diskretionäre Ermessen des Ministers und den Weg zu Zank und Streit verschließt, und der katholischen Kirche die Beruhigung giebt, daß diese Fonds dauernd zu ihren Gunsten verwendet werden. Wir hoffen, daß eine solche Lösung durch die Kommission herbeigeführt wird, und dann werden wir freudig unsere Zustimmung geben.

Abg. Dr. Windthorst: Der Abg. von Eynern hat wieder einmal behauptet, daß ich indirekt oder direkt auf die Wahl eines Sozialdemokraten in Solingen eingewirkt hätte. Das ist eine bewußte Unwahrheit.

Präsident von Köller: Den Ausdruck „bewußte Un⸗ wahrheit“ in Bezug auf ein Mitglied des Hauses kann ich aber doch nicht zulassen.

Abg. Dr. Win dthorst (fortfahren): Das Comits in Köln hatte entschieden, daß die Centrumsstimmen nicht einem Katholiken gegeben werden sollten, der sich weigert, dem Centrum beizutreten. Ich habe dafür Peter Reichensperger vorgeschlagen.

st der etwa ein Sozialdemokrat? Die Centrumsleute haben für Reichensperger gestimmt, die Nationalliberalen haben das verweigert, und sind so die indirekten Urheber der sozialdemokratischen Wahl geworden. Sie bringen das immer wieder vor, um mir etwas anzuhängen. Bezüglich der Stellung der Kirche zur Vorlage muß ich den Minister auffordern, uns

sprechen

die Berichte des Hrn. von Schlözer vorzulegen. Wenn der Gesandte in Rom etwas von der Zustimmung der Kurie be— richtet hat, so hat er nach meiner Information Falsches berichtet. Ich behaupte, eine derartige Erklärung liegt nicht vor, und das behaupte ich so lange, bis der Minister uns Akten für das Gegentheil vorlegt. Durch solche Behauptungen will er uns und namentlich andere Parteien hestimmen, für das Gesetz einzutreten. Solche Geheimnisse bewahrt man oder legt sie offen dar. Dieses Clair-obscur gilt im parlamentarischen Leben nicht. Ich weiß nicht, welches die katholischen Kreise sind, welche diese Vorlage billigen. Die Sache, sagt der Minister, ist Geheimniß des Staats⸗Ministeriums. Das ist eine

neue Methode der Vertheidigung, immer neue Geheimnisse zu konstruiren. Ich leugne, daß in den in Betracht kommenden Kreisen eine Billigung der Vorlage erfolgt ist. Die in Fulda versammelten Bischöfe haben etwas Anderes verlangt, als diese Vorlage bewilligt. Was in Bezug auf die Rechtsfrage von unserer Seite gesagt ist, ist nicht widerlegt worden. Die Wünsche der evangelischen Kirche gehören nicht hierher.

Damit schließt die Debatte.

Die Vorlage wird, nach einigen persönlichen Bemerkungen der Abgg. Dr. Windthorst und von Eynern, einer Kom⸗ mission von 21 Mitgliedern überwiesen.

(Schluß 31½ Uhr.)

Statiftik und Volkswirthschaft.

nebersicht über die Stein- und Braunkohlenförderung Preußens im J. Vierteljahre 1890, verglichen gegen das IJ. Vierteljahr 1889.

(Nach vorläufigen Ermittelungen.)

Im I. Vierteljahr 1830. Betriebene Werke

Oberbergamtsbezirk ; Förderung

t

Arbeiterzahl

Im JI. Vierteljahr 1889.

Betriebene Werke

Absatz

t t

Förderung

Arbeiterzahl

IJ. Steinkohlen. Breslau. Halle.. Clausthal Dortmund Bonn.

5276918 7

153 500 9032158 2054 561

4828638 5268 143 618 9004451 1993734

4293 821 5004 106 417 8 708 874 2025121

64 452 134

3 352 124 446 35681

4778639 5959 115 736 8 756 225 2160354

33 766

Summe JI. 16 522 864 15975709

II. Braunkohlen,. 140 593 3 423 182 68 443 161 206

101485 2 966763 61148 130133

Hall.. Clausthal Bonn,

228 065 165 756 913 15 139 237 210195

1342 51 1166

747 1508

132 416 3061 160 47 840 147 381

97903 2586 473 39770 98990

Summe II. 404 3 798 424 3 249 529

Zur Arbeiterbewegung.

In Hamburg hat, wie W. T. B. vom 29. v. M. meldet, eine Massenversammlung der Schneider beschloffen, den 1. Mai durch einen Ausflug zu Gunsten des achtstündigen Arbeits tages zu feiern und diejenigen Genossen, welche wegen der Theilnahme an dieser Feier etwa von ihren Arbeitgebern entlassen werden sollten, zu unterstützen. Vom gestrigen Tage wird berichtet, daß in einer öffentlichen Versammlung der Bäcker beschlossen wurde, am 1. Mai theilweise zu feiern. Der Fachverein der Maurer hielt eine von ca. 4000 Personen besuchte Versammlung ab und beschloß, vom 1. Juli ab den Stundenlohn von 60 auf 65 3 zu erhöhen und einen neunstündigen Arbeitstag ein— zuführen.

In Lübeck sind sämmtliche Arbeiter in den Staats— betrieben einem Telegramm des „‚Wolff'schen Bureaus“ zufolge gewarnt worden, am 1. Mai die Arbeit auszusetzen; andernfalls würde ihre Entlassung aus dem Arbeittverhältniß erfolgen.

Der Magistrat der Stadt Hannover hat, wie W. T. B.“ mittheilt, allen in der städtischen Verwaltung beschäftigten Arbei tern, die am 1. Mai feiern, sofortige Entlassung angekündigt.

Ueber die Ausstandsbewegung in Mülhausen i. E. theilt die N. Mülh. Ztg.“ unter dem 28. April weiter mit, daß die vereinigten feiernden Zimmerleute und Schreiner in einer freien Zusammenkunft beschlossen haben, ihren Ausstand so lange fortzusetzen, bis ihre den Meistern schriftlich breiteten Forderungen von denselben schriftlich anerkannt Mit Ausnahme der vorgenannten Bauhandwerker haben jetzt alle Arbeiter, welche die letzte Woche noch feierten, ihre Be— schäftigung wieder aufgenommen. Am Montag waren die Fabriken von L. Bernheim und von Kullmann auch wieder in voller Thätig— keit; ebenso sind auch die Arbeiter der kleineren Geschäfte in der Metallbranche wieder an ihre Arbeit gegangen.

Aus Rappoltsweiler wird der Str. P.“ unterm 28 v. M. geschrieben: Auch unsere Stadt hat seit heute ihren Ausstand. Die Arbeiter, Männer sowohl wie Weiber, der mechanischen Weberei von Steiner, bei denen es schon seit geraumer Zeit gährte, ver— ließen heute Mittag ihre Arbeit. Aus einer Berathung der Arbeiter ergab sich, daß der Groll der Arbeiter nicht gegen den Fabrikanten gerichtet ist, der im Gegentheil in sehr hohem Ansehen bet denselben steht, sondern gegen einen der Direktoren sowie dessen Sohn. Man be— schwert sich namentlich über zu harte Strafen. Die Arbeiter, haupt⸗ sächlich aber die Arbeiterinnen, verlangen eine Mittagspause von 12 bis 13 Uhr, da die Fabrik fast eine Viertelstunde von der Stadt entfernt ist. Auch auf der Spinnerei von Hofer u. Co. drohte heute Mittag ein Ausstand auszubrechen. Dadurch aber, daß in anerkennenswerther Weise der Lohn sofort von 1 Fr. auf 1 erhöht wurde, also um 25 GG, wurde dem Strike vorgebeugt.

Aus Gebweiler theilt dasselbe Blatt unter dem 29. April mit: Wenn, wie gestern in sicherer Aussicht war, die noch ausstehenden 100 Spinner der Theodor Frey'schen Fabrik heute an ihre Plätze zurückgekehrt sind, so ist damit für Gebweiler der allge⸗ meine Arbeiterausstand vollständig beendet

In Stettin fand, wie wir der ‚Ostsee⸗Ztg.“ entnehmen, am Montag eine zahlreich besuchte Versammlung von Tischlermeistern und Arbeitgebern im Tischlergewerbe statt, in welcher folgende Beschlüsse gefaßt wurden: In allen Werkstätten und Fabriken, wo die Gesellen am 1. Mai ohne Erlaubniß von der Arkeit fortbleiben, werden dieselben auch am 2. und 32. Mai nicht zur Arbeit zugelassen; sollte über eine Werkstatt ohne Grund die Sperre verhängt werden, so ist jeder Meister verpflichtet, seine sämmttichen Gesellen nach beendeter gesetzlicher Arbeitslösung zu entlassen. Ferner wurde be— schlossen, um eine Einigung unter den Meistern herbeizuführen, einen Minimaltarif für Tischlerarbeiten ausarbeiten zu lassen, zu welchem Zweck eine aus achtzehn Tischlermeistern bestehende Kommission ge— wählt wurde.

Aus Barmen wird der „Voss. Ztg.“ geschrieben, daß fast sämmtliche Fachvereine des Wupperthales beschlossen haben, den 1. Mat nicht zu feiern. Dagegen sollen am kommenden Sonntag in Elberfeld und Barmen zwei große Volksver— sammlungen statifinden, an welche sich Kundgebungen zu Gunsten des acht stündigen Arbeitstages anschließen werden. Nur die Riemendreher haben sich dafür ausgesprochen, daß die unverheiratheten Arbeiter den 1. Mai als Festtag begehen sollten. In den umliegenden größeren Industriestädten wird ebenfalls nur ein verschwindend kleiner Bruchtheil der Arbeiterbevölkerung

feiern.

In Breslau haben die Schlossergesellen, Maschinen⸗ bauer und verwandten Berufsgenossen sich, wie die Schl. Ztg. berichtet, zur Gründung eines Fachvereins zusammengethan. Nach dem Statutenentwurf soll der Verein den Zweck verfolgen, die Interessen der Mitglieder zu wahren und möglichst günstige Lohn und Arbeitsbedingungen auf gesetzlichemn Wege zu erlangen; auch soll den Mitgliedern Rechtsschutz in gewerblichen Streitigkeiten gewährt werden u. s. w. Der Statutenentwurf wurde in einer Ver— sammlung unverändert angenommen und 500 der Anwesenden zeichneten sich in die ausgelegten Mitgliederlisten ein.

unter ͤ sind.

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zufolge, die Drechsler⸗

In Kiel haben, der „Kiel. Ztg.“ . Die Meister hatten

gesellen am Montag die Arbeit niedergelegt. sich, wie sie dem Blatt mittheilen, bereit erklärt, die gestellten Forderungen, 21 9 Minimallobn für zehn Arbeitsstunden, 10 bis 45 3 für Ueberstunden, zu bewilligen; die Gesellen waren aber mit der mündlichen Zusicherung nicht zufrieden, und als die Meister eine schriftliche Abmachung ablehnten, legten die Gesellen die Arbeit nieder

In München ist, wie W. T. B.“ meldet, der Strike der Stubenmaler vermieden worden, nachdem die Prinzipale nach— gegeben haben. Dagegen ist unter den Schuhmachern ein Strike ausgebrochen; nur 65 Meister haben nachgegeben. Der Strike der Schreiner ist anscheinend verhütet.

; Wie W. T. B.“ aus Dresden meldet, sollte heute in Loschwitz eine Vereinigung hiesiger Arbeiter stattfinden; auf den Vormittag sind mehrere große Arbeiterverlammlungen an— gesetzt Das Militär wird in den Kasernen konsignirt.

Der Verein der Fabrikanten in Reichenbach, Mylau, Netzschkau und Umgegend beschloß, wie ein Wolff'sches Tele⸗ gramm aus Chemnitz mittheilt, Arbeiter, welche am 1. Mat die Arbeit nicht antreten, oder dieselbe vorzeitig verlassen, bis zum 12. Mai nicht wieder einzustellen, auch in der Zeit vom 1. bis 11. Mai intl. keine neuen Arbeiter anzunehmen. In einer mecha⸗— nischen Weberei in Netzschkau ist die Arbeiterschaft seit gestern aus ständig.

In Braunschweig kaben, wie W. T vom Tage berichtet, die Sozialdemokraten beschlossen, um Konflitte zu vermeiden, heute von den beabsichtigten gemeinsamen Ausflügen abjzusehen. Die Polizeistunde ist für sämmtliche Wirthschaften der Stadt Braunschweig für morgen Abend auf 11 Uhr festgesetzt

Wie der ‚Mgdb. Itg.“ aus Gera gesckrieben wird, hat sich die Ablohnung von ungefahr 4000 Webern und Weberinnen nach einzelnen Angaben soll die Zahl noch weit höhere sein am 26 und 27 v. M. in aller Ruhe vollzogen. Leider werden nun auch noch die Fabriken, welche die Untecschrift der neuen Fabrikordnung gar nicht verlangt haben, in Mitleidenschast gezogen, indem ihre Arbeiter die Bewilligung einer 109stündigen Arbeitszeit fordern. Die Agitatoren dehnen nun auch auf andere Städte ihre Thätigkeit aus und haben damit bereits in Ronneburg, Weida und Pößneck begonnen Der Strike des größten Theils der Maler, Lackirer und Anstreicher dauert fert.

In Wiesbaden hielten die Sozialdemokraten gestern Abend eine starkbesuchte Versammlung ab, in welcher sie eine Petition an den Reichstag zu senden beschlossen. Für den nächsten Sonntag ist ein Ausflug beabsichtigt.

Hier, aus Berlin, berichtet die ‚Voss. Ztg.“, daß die Aktien gesellschaft für den Bau landwirthschaftlicher Ma⸗ schinen und Geräthe vorm. H. Eckert vorgestern den Betrieb vollständig eingestellt hat, nachdem die Mehrzahl der Ar— beiter im Hinblick auf die ihnen verweigerte Genehmigung zur Feier des 1. Mai die Arbeit niedergelegt hatte. Die 500 Arbeiter der GC. Bechstein'schen Flügel⸗ und Pianofabrik (GJohannisstraße) haben nach einem an den Besitzer der Fabrik gerichteten Schreiben beschlossen, heute zu arbeiten. In sämmtlichen Eisengießereien, welche den Beschluß des „Vereins Berliner Eisengießereien und Maschinen— fabriken zur Durchführung bringen wollen, nämlich die am 1. Mai feiernden Arbeiter zu entlassen, haben gestern die Arbeiter die Arbeit niedergelegt.

Ueber den Ausfall der für heute geplanten sonenannten Arbeiter⸗ feier liegen bereits folgende Telegramme des „Wolff'schen Bureaus“ aus deutschen Städten vor:

In Spandau wird in allen Königlichen Fabriken in vollem Umfang gearbeitet; daselbst ist eine Bekanntmachung angeschlagen, in welcher allen Arbeitern, die am Abend Belästigungen befürchten, Schutz zugesagt und außerdem auf §. 110 des Sirafgesetzes hingewiesen wird. Auf den Bauplätzen wird mit Ausnahme von dreien gearbeitet. Die Berliner Arbeiterzüge sind vollbesetzt hier eingetroffen.

Die Physiognomie der Stadt Stettin ist vollständig ruhig. Die Betheiligung an der Arbeiterfeier ist anscheinend sehr schw ach,

In Münster in Westf. ruhig gearbeitet.

In Wiesbaden herrscht völlige Ruhe; es wird allgemein gearbeitet.

Die Arbeiter des Eisenwerks von Gebr. Stumm in Neunkirchen sowie die Belegschaften der dortigen Kohlen gruben sind heute Morgen vollständig eingefahren und arbeiten wie gewöhnlich.

In dem Dortmunder Revier ist von einer Arbeiterfeier nichts zu bemerken; überall wird wie gewöhnlich gearbeitet.

In den Fabriken und auf den Bauplätzen der Stadt Zwickau sowie in den Kohlenbergwerken der Umgegend wird heute ruhig fortgearbeitet; auch hat eine Störung der öffent⸗ lichen Ordnung nirgends stattgefunden.

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wird in allen Betrieben der Stadt