Ein im September des Jahres 1844 unternommener Ausflug nach Berlin zum Besuch der Kunst⸗ und Gewerhe⸗ Ausstellung und Anhörung von Vorlesungen am Gewerbe⸗ Institut boöt dem jungen Manne die Gelegenheit, die Aufmerk— samkeit einflußreicher Personen, besonders Beuth's, auf sich zu iehen, und dem vortheilhaften Eindruck, den er auf den . Förderer des Gewerbefleißes gemacht, hatte er es wohl zunächst zu verdanken, daß er auf seinen Wunsch für die nächste Zeit Behufs seiner technisch-gewerblichen Ausbildung in der damaligen Abtheilung für Handel, Gewerbe und Bau⸗ wesen des Finanz-Ministeriums beschäftigt wurde. .
, hatte der Aufenthalt in Marienwerder sein Ende erreicht.
Im Janugr 1846 wurde Dechend an die Regierung zu Arnsberg versetzt, um dort als Dezernent, in Gewerbe- . und Handelssachen die in Berlin erworbenen
enntnisse zu verwerthen. In dieses Jahr fällt auch seine Verheirathung mit der treuen Lebensgefährtin, welche jetzt am Sarge des Entschlafenen auf eine reich le ere fast 14jährige Ehe zurückblickt. Wie manche Berichte des damaligen Regierungs-Präsidenten Grafen Itzenplitz bezeugen, war er auch dort „mit ganz vorzüglichem Erfolge thätig“. Im Jahre 1847 vertrat er längere Zeit den Ober⸗Präsidial⸗ Rath in Münster. ; ;
Für sein ferneres amtliches Leben bestimmend war das Jahr 1848, welches ihn zuerst in Berührung mit dem Baͤnk— wesen brachte. Im Jahre 1848 nämlich wurde er durch den damaligen Finanz-⸗Minister Hansemann nach Berlin be— rufen, um die Einrichtung und Leitung der durch das Gesetz vom 15. April jenes Jahres angeordneten öffentlichen Darlehns⸗ kassen zu übernehmen. Während dieser Beschäftigung, der er sich mit voller Hingabe unterzog, und auf die er stets mit roßer Befriedigung zurückblickte, wurde er seit dem 14. Fe⸗— ö. 1349 gleichzeitig mit der Verwaltung der Darlehnskassen in der Etats- und Kassen⸗Abtheilung des . beschäftigt und am 39. Juli 1849 zum Regierungs-Rath er— nannt. Noch in demselben Jahre aber berief ihn der Minister von der Heydt als vortragenden Rath in das Ministerium für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten. Seine Ernen— nung zum Geheimen Regierungs-Rath datirt vom 11. Oktober 1849.
Aber auch diese Stellung, in welcher er die Bankangelegen⸗ heiten zu hearbeiten hatte, sollte nur von kurzer Dauer sein; sie bildete nur den Uebergang zu der Beschäfti⸗ gung, in welcher Dechend sein hervorragendes Ver— waltungstalent zur vollen Entwickelung bringen sollte. Schon durch seine Thätigkeit bei der Verwaltung der Darlehns— kassen war er mit dem Präsidenten der Preußischen Bank von Lamprecht in nähere Beziehung getreten, und hatte einen Einblick gethan in das Getriebe jenes großen Geldinstituts, welches sein Interesse von vorn herein in hohem Grade gefesselt haben muß. Er hatte den Boden gefunden, der seiner Eigenart am meisten zusagte. Durch Allerhöchste Kabinets-Ordre vom 1. November 1851 wurde er zum Hauptbank⸗Direktor und Mitglied des Königlich Preußischen Hauptbank-Direktoriums ernannt.
Von diesem Zeitpunkte an fällt seine Lebensgeschichte zu— sammen mit der Geschichte nicht bloß des Instituts, an dessen Spitze er zu treten bestimmt war, sondern der Entwickelung des Bank⸗ t in Deutschland überhaupt.
Zu der Zeit, als er in das Hauptbank-Direktorium eintrat, stand die Preußische Bank noch unter der Herrschaft der Bank— ordnung vom 5. Oktober 18463 sie arbeitete mit einem Privat⸗ kapital von nur 19 Millionen Thalern und mit einem sich auf weniger als 1 Million belaufenden Einschuß-Kapital des preußi⸗ schen Staats; ihre Befugniß zur Ausgabe von Banknoten war auf den Höchstbetrag von 21 Millionen Thaler beschränkt. Erst durch das unter Dechend's Mitwirkung entstandene Gesetz vom J. Mai 1856 wurde unter gleichzeiliger Erhöhung des Einschußkapitals der Bankantheilseigner um 5 Millionen Thaler die Bank ermächtigt, über den Betrag von 21 Millionen Thaler hinaus unter Beobachtung gewisser Deckungsvorschriften Banknoten nach Bedürfniß des Verkehrs auszugeben.
Nachdem Dechend im März 1864 Vize-Präsident und im Dezember desselben Jahres nach dem Tode von Lamprecht's Präsident des Hauptbank-Direktoriums geworden, erfolgte auf seine Veranlassung durch Gesetz vom 24. September 1866 eine abermalige Erhöhung des Stammkapitals der Bank um ,, Thaler, sodaß dasselbe nunmehr 20 Millionen
etrug.
Der Krieg des Jahres 1866, während dessen die Bank die schwierige Probe, welche die Zeitverhältnisse ihr auf— erlegten, vortrefflich bestand, hatte die Grenzen des preußischen Staats und damit des Gebiets erweitert, auf das die Bank ihre Thätigkeit zu erstrecken berechtigt war. Alsbald wurden in den neu erworbenen Landestheilen, den Provinzen Hannover, Schleswig-Holstein und Hessen⸗-Rassau neue Zweig⸗ anstalten errichtet. Der inzwischen in den Adelstand erhobene und von seinem König durch Ordensverleihungen wiederholt ausgezeichnete Präsident war unermüslich thätig, die Folgen des Krieges, soweit sie sich auf dem Gebiet des Handels und der Gewerbe fühlbar machten, durch weitgehende Hülfe Seitens der Bank zu beseitigen. Wieder wie im Jahre 1848 sah er sich an die Spitze der Hauptverwaltung öffentlicher Darlehns— Kassen gestellt, deren segensreiche Wirkungen vorzugsweise seiner sachkundigen Leitung zu danken waren.
In jener Zeit des Norddeutschen Bundes wurde auch auf des Präsidenten von Dechend Antrieb der Bau des neuen Dienft— gebäudes der Hauptbank in Berlin in Angriff genommen und wesentlich in Folge seines weiten Blickes und seines festen Vertrauens in die große Zukunft des Instituts von vorne herein auf eine erhebliche Erweiterung der bestehenden und auf die Einführung neuer Geschäftszweige berechnet. Das neue Gebäude, in dessen Bauzeit der Krieg von 1810/71 fiel, wurde gerade zur rechten Zeit fertig. Denn mit der Gründung des Deutschen Reichs begann eine neue Entwickelungsstufe für die Preußische Bank, welche am 1. Januar 18756 in die Reichsbank umgewandelt wurde. Die Ausdehnung des Netzes der Zweiganstalten, welche von Dechend bereits 1865 vergeblich angestrebt hatte, konnte und mußte nunmehr zur Ausführung gelangen. Bereits unmittelbar nach dem Kriege erhielten die bedeutendsten Städte Elsaß⸗ Lothringens Bankanstalten, andere außerpreußische Städte folgten nach, bis endlich die Reichsbank im Jahre i876 ihre Wirksamkeit über das ganze Reich ausdehnte—
Mit dieser räumlichen Erweiterung Hand in Hand ging die des Geschäftskreises. Bereits in Jahre 18735 war in Anlehnung an verwandte Einrichtungen der Bank von n,, das „Komtor für Werthpapiere“ eröffnet worden.
er Präsident von Dechend hatte stets ein offenes
Auge auch für die nützlichen Einrichtungen des Aus— landes und bestrebte sich, solche auch bei uns nicht bloß nachahmend einzuführen, sondern sie unseren Verhãltnissen und Bedürfnissen anzupassen und weiter auszubilden. Diese goffenen Depots“ hatten einen glänzenden Erfolg. Der Nominalwerth der der Bank zur Verwahrung und Verwaltung übergebenen Werthpapiere . schon im Jahre 1876 424 Millionen Mark und stieg bis zum Schluß des Jahres 1889 auf mehr als 2 Milliarden. Die Einführung dieser beim Publikum in hohem Grade beliebten Einrichtung ge⸗ reichte dem Verstorbenen stets zu besonderer Genugthuung. Noch weit wichtiger aber war die im hahre 1876 erfolgte Einführung des Giro⸗Verkehrs, ohne welche die Reichsbank ihre Aufgabe nicht hätte er⸗ füllen können. Mit der Preußischen Bank kamen die verzinslichen Depositen, zu deren Annahme dieselbe ver— pflichtet gewesen, in Wegfall; es galt nicht nur diese Lücke auszufüllen, sondern auch die durch das Bankgesetz vom 14. März 15375 der Reichsbank gestellte Aufgabe zu erfüllen: „den Geldumlauf im gesammten Reichsgebiet zu regeln und die Zahlungs -Ausgleichungen zu erleichtern.“ Die Art, wie dies mit Hülfe des Check- und Giroverkehrs ins Werk ge⸗ setzt worden, wird stets als ein Hauptverdienst des Ent— schlafenen anzusehen sein und ihm ein unvergängliches An— denken sichern. Nur Zahlen können von der Großartigkeit dieser Einrichtung Zeugniß ablegen. Gleich im ersten Jahre 1576 betrug die Summe, welche statt der Baarzahlung durch Giro⸗Uebertragung regulirt wurde, 10108193975 (6, bei einem Gesammtumsaetz im Giro⸗Verkehr von 16711245213 6. Im Jahre 1889 belief sich da—⸗ gegen der Gesammtumsattßz im Giro⸗Verkehr auf 5 6716 319 016 ½, wovon nicht weniger als 56 214 176 415 6 durch bloßen Buchungsprozeß ausgeglichen wurden. In der—⸗ selben Zeit sind die Guthaben von durchschnittlich 70 Millionen auf ca. 240 Millionen, die Zahl der Giro-Kunden von 3245 auf 8õ83 gewachsen. Dazu traten seit dem Jahre 1883 noch die auf von Dechend's Antrieb in den bedeutendsten Handelsplätzen des Reichs (z. Zt. ) nach dem Vorbild des englischen und amerikanischen Clearing⸗Systems ins Leben gerufenen Abrechnungsstellen, bei welchen die als Mitglieder betheiligten großen Bankhäuser im Jahre 1884 12130196 100 66, im Jahre 1889 aber
18 48963409 6 durch gegenseitige Abrechnung zur Aus—
gleichung brachten.
Aus diesen Zahlen ergiebt sich die gewaltige Bedeutung des Giro⸗ und Abrechnungsverkehrs für das Geldwesen im Reiche überhaupt. Ohne die dadurch herbeigeführte Erfparniß an baarem Gelde und Geldzeichen wäre die Ein- und Durch— führung der Goldwährung in Deutschland nicht möglich ge— wesen. Wenn auch ähnliche Einrichtungen schon vordem in anderen Ländern, besonders in England und Amerika, be— standen haben, so existirt doch in keinem Lande der Welt in ähnlicher Ausdehnung das mit unserm Giroverkehr verbundene System der kostenfreien Zahlungsleistung an jedem anderen Bankplatze, wodurch, wie der Verstorbene es zu bezeichnen liebte, „ganz Deutschland Ein Bankplatz geworden ist.“
Aber die Fürsorge des Präsidenten erstreckte sich nicht bloß auf, die Einführung neuer, den veränderten Zeit— verhältnissen entsprechender Einrichtungen, sondern er be— förderte durch sein überall rastlos vorwärts treibendes Wesen auch die rasche Entwickelung der alten, das hauptsächlichste Feld der Thätigkeit jeder Notenbank bildenden Geschäftszweige: des Diskonto⸗ und des Lombardgeschäfts.
Welche kolossale Veränderungen auch in diesen Geschäfts— zweigen seit dem Eintritt Dechend's in das Hauptbank— Direktorium sich vollzogen haben, ergeben folgende Zahlen. Die gesammten Wechselankäufe der Bank im Jahre 1851 beliefen sich auf ca. 2331, Millionen Mark, dagegen im Jahre 1889 auf 4697 Millionen.
Die Lombarddarlehen betrugen 1851: 107 Millionen Mark, dagegen 1839: 10451, Millionen. Die Gesammtumsätze ver— mehrten sich in denselben Jahren von 14171 Millionen Mark auf 997 709 Millionen. Die Zahl der Zweiganstalten stieg von 45 auf 239, die der Bankbeamten von 177 auf 1445.
Auch auf anderen Gebieten wurde von den Kenntnissen und Erfahrungen von Dechend's reicher Gebrauch gemacht. Königliches Vertrauen berief ihn schon im November 1872 in das Herrenhaus, im Juni 1884 in den Staatsrath, und in beiden Körperschaften hat er mit Auszeichnung und Erfolg gewirkt. Seiner evangelischen Kirche hat er als Mitglied der General-Synode und der Provinzial-Synode der Provinz Brandenburg mit Hingebung gedient. Zahlreichen gemeinnützigen Unternehmungen und Wohlthätigkeits-Instituten ist er ein treuer, an Erfolgen reicher Berather und Förderer gewesen. Das Wilhelmsstift in Charlottenburg ist sein Werk.
Wohl mag nach solchen Ergebnissen die Laufbahn des Verstorbenen als eine reich gesegnete bezeichnet werden, auf die er mit Stolz zurückblicken konnte, als er am 27. September 1886 in seltener körperlicher und geistiger Frische sein 50 jähriges Dienstjubiläum feierte, hochbeglüͤckt durch ein seine Verdienste in vollem Umfange anerkennendes Handschreiben seines Kaisers und Königs, mit welchem dem schon im Jahre 1876 zum Wirklichen Geheimen Rath mit dem Prädikate Excellenz ernannten und schon 1879 durch die Ver— leihung des Kronen-Ordens J. Klasse ausgezeichneten Jubilar der Rothe Adler-Orden J. Klasse mit Eichenlaub und dem Emaillebande des Kronen-Ordens verliehen wurde.. Auch andere Bundesfürsten, wie der Prinz-Regent von Bayern und der Großherzog von Baden sandten an jenem Tage ihre höchsten Orden. An hohen ausländischen Orden besaß der Jubilar bereits den Oesterreichischen Orden der Eisernen Krone erster Klasse und den Russischen St. Annen⸗Orden erster Klasse.
Die unverwüstliche Gesundheit und Geistesfrische, deren der Präsident von Dechend sich sein ganzes Leben hindurch zu erfreuen hatte, verblieben ihm bis in sein hohes Alter. Noch ist in Aller Gedächtniß, mit welcher Schlagfertigkeit und fast jugendlichen Lebhaftigkeit er sich an den Verhand— lungen des Reichstages betheiligte, welche dem Erlaß des Ge— setzes vom 18. Dezember v. J., betreffend die Abänderung des Bankgesetzes vom 14. März 1875, vorausgingen. Die Ver— ehrung weiter Kreise äußerte sich in rührender Weise, als er im Dezember v. J. sein 25. Dienstjahr als Bank-Präsident vollendete. Noch am zweiten Tage des Monats, dessen letzter sein Todestag werden sollte, feierte er in anscheinend voller Gesundheit und in heiterster Stimmung seinen 76. Geburtstag.
Ein bald danach plötzlich auftretendes Unterleibsleiden, welches leider noch in den letzten Tagen eine schwere Operation ig ef ic machte, setzte dem langen und glücklichen Leben ein Ziel.
Bapern.
München, 7. Mai. (W. T. B.) Se. Königliche Hoheit der Prinz⸗Regent genehmigte das Entlassungsgesuch des Kriegs⸗Ministers von Heinleth, unter Verleihung des Großkreuzes des Verdienst⸗Ordens der bayerischen Krone, und ernannte den General⸗Lieutenant von Safferling zum Kriegs-⸗Minister.
Sachsen.
Dresden, 6. Mai. (Dresd. Journ.) Se. Majestät der König wohnte in Begleitung des Kriegs-Ministers Grafen von Fabrice heute früh von s Uhr an den Bataillona besichti⸗ gungen des 1. und 2. Bataillons 2. Grenadier⸗Regiments Nr. 191. „Kaiser Wilhelm, König von Preußen“ auf dem Kavallerie⸗Exerzierplatz bei und kehrte um 10 / Uhr nach der Stadt zurück. Der kommandirende General, General⸗Feldmar⸗ schall Prinz Georg, Königliche Hoheit, und der Divisions— Commandeur, General Lieutenant von Reyher blieben auch noch weiter bei der Besichtigung des 3. Bataillons zugegen, welche um 11½ Uhr beendigt war.
Braunschweig.
(E,) Braunschweig, 6. Mai. Se. Königliche Hoheit der Regent Prinz Albrecht von Preußen nahm heute aus den Händen des Königlich preußischen außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Ministers Grafen zu Eulen⸗
burg dessen Abberufungsschreiben von dem hiesigen Ge—
sandtschaftsposten entgegen. Darauf fand Galatafel zu 25 Ge—
decken statt. Schwarzburg⸗Sondershausen.
Sondershausen, 6. Mai. (Reg⸗ u. Nachr-Bl.) Se. Durchlaucht der Fürst und Ihre Hoheit die Fürstin sind gestern hier wieder eingetroffen.
Deutsche Kolonien.
Ein heute aus Sansihar eingegangenes Telegramm des „W. T. B.“ meldet: „Der Reichs-Kommissar Major Wiss⸗ mann hat Kilwa genommen.“
Oefsterreich⸗Ungarn.
Wien, J. Mai. (W. T. B.) In der gestrigen Sitzung des Abgeordnetenhauses wies der Handels-Minister auf die große Bedeutung des Jahres 1892 sowie auf die handelspolitische Gestaltung Europas hin. In der Bewegung von 1892 sei Oesterreich⸗Ungarn nicht im Vordergrunde. In erster Linie stehe Frankreich mit den großen Tarifverträgen, dann jene Staaten, deren mit Frank— reich abgeschlossene Handelskonventionen umfassende Tarif— abmachungen enthielten. Angesichts der heute ungeklärten Verhältnisse könne er ein präzises Programm für 1892 nicht entwickeln, eine etwas aparte Stellung in dieser Be— ziehung nehme Deutschland ein, für welches Artikel 11 des Frankfurter Friedensvertrages maßgebend sei. Ueber die Arbeiterfrage sagte der Handels-Minister ferner: die Haltung der Staatsbetriebe gegenüber dem 1. Mai sei eine selbstverständliche gewesen. Die Staatsbetriebe hätten schon aus höheren prinzipiellen Gesichtspunkten gegenüber der Forderung des willkürlich diktirten Feiertages nicht anders handeln können. Von den Agitatoren werde es begreiflicher— weise unterlassen, den Arbeitern vor Augen zu halten, welche Fortschritte der Arbeiterstand hinsichtlich der wirthschaftlichen und soziglen Stellung in der letzten Zeit gerade in Oesterreich gemacht habe.
Das „Fremdenblatt“ bezeichnet die deutsche Thron—⸗ rede als ein großes und inhaltsvolles Arbeitsprogramm für die Reichsvertretung, welches klar die großen Gesichts— punkte kennzeichne, von denen die Politik des Monarchen ausgehe. Neben der Fürsorge für die Arbeiter, wodurch eine Stärkung und Sicherung des inneren Friedens erzielt werde, erkenne Se. Majestät der Kaiser Wilhelm ebenso den unermeßlichen Werth des äußeren Friedens. Nur dieser , . werde die unerschütterliche Stärke des Reichs dienen. Deutschland wolle auf diesem Gebiete nicht übertreffen, aber auch nicht übertroffen werden; dazu müsse das deutsche Reichs— heer auf der bisherigen Höhe erhalten werden, weshalb die Vorlage ohne Zweifel die Unterstützung aller deutschen Pa⸗ trioten erlangen werde.
Budapest, 7. Mai. (W. T. B.) Die gesammte ungarische Presse ohne Unterschied der Partei begrüßt die gestrige deutsche Thronxede sehr befriedigt. „Nemzet“ hebt hervor, es sei zweifellos, Deutschland werde im Verein mit seinen Verbündeten auch ferner offen und er— folgreich allen Bestrebungen entgegentreten, welche um den Preis der Störung des Friedens ihre egoistischen Ziele durchsetzen wollen. Europa bedürfe des Friedens mehr denn je, da uberall die Arbeiterfrage auf der Tagesordnung stehe. Der „Pest er Lloyd“ konstatirt, die Thronrede habe dem Glauben an die europäischen Friedensbürgschaften neuen Inhalt gegeben.
Großbritannien und Irland.
London, J. Mai. (W. T. B.) Alle Morgenblätter besprechen die Thronrede des Kaisers Wilhelm sehr beifällig, insbesondere die Stelle, in welcher die Auf⸗ rechterhaltung der Machtverhältnisse betont und eine Ver— schiebung der letzteren als eine Gefahr für das politische Gleichgewicht und die auf Erhaltung des Friedens gerichtete Politik bezeichnet wird. — Die „Morning Post“ sagt: Alles, was dazu angethan wäre, die Stellung des: entral-euro⸗ päischen Bundes gegenüber den übrigen Mächten des Kontinents zu schwächen, könnte in England nicht ohne Besorgniß be— trachtet werden. — Der „Daily Telegraph“ meint: Niemand könne es Deutschland übelnehmen, daß es, so mächtig es auch sei, seine militärische Macht noch weiter ver— größere. — Auch die „Daily News“ erblickt in den Aus⸗ lassungen des Kaisers Nichts, was geeignet wäre, zu beun—
ruhigen.
Stanley begab sich gestern zur Audienz bei der Königin nach Windsor und wurde in Königlichen Hofwagen nach dem Schlosse geleitet. Die Königin hat Stanley zur Abend⸗ tafel gezogen. Derselbe verbleibt bis morgen als Gast der Königin.
Frankreich.
Paris, J. Mai. (W. T. B. Das Dekret über die Befugnisse des Generalstabes und seines Chefs sowie die Ernennung des Generals Miribel zum Ehef des Generalstabes werden heute durch das „Journal officiel“ veröffentlicht.
Die Deputirtenkammer, welch: gestern wieder usammentrat, schob die Besprechung der Interpellation kin Abg. Laur über die wucherische Vert heuerung des Petroleums auf 14 Tage hinaus. Després interpellirte wegen der besonderen Umstände, welche bei der letzten Ausgabe des Pariser Stadt-Anlehens obgewaltet; er konstatirte, daß Unregelmäßigkeiten zum Nutzen von Gemeinderäthen statt⸗ gefunden hätten, und verlangt eine . Chau⸗ temps, ehemals Präsident des Pariser Gemeinderaths, rechtfertigte das Verfahren des Gemeinderaths und rügte hei dieser Gelegenheit, daß sich der Seine⸗Präfekt am J. Mai im Stadthause einquartiert habe. Der Minister des Innern Constans gab zu, daß bei der Ausgabe der Anleihe Mißbräuche von Seiten des mit der Ausführung betrauten Beamten stattgehabt hätten; der Beamte sei abgesetzt worden. Der Minister führte aus, daß der Seine-Präfekt berechtigt sei, seine Bureaux im Stadthause aufzuschlagen, und erklärte, dies Recht werde aufrecht erhalten werden und dem Gesetz müsse Folge geleistet werden. Trotzdem hoffe er, daß die Beziehungen zwischen dem Präfekten und dem Gemeinde— rath auf dem Fuße gegenseitiger Höflichkeit sich er⸗ halten würden. Der Minister theilte sodann mit, er werde nächstens ein Gemeinde⸗Gesetz einbringen. Després erklärte sich durch die Antwort befriedigt. Die äußerste Linke be— antragte die einfache Tagesordnung, dieselbe wurde mit 291 gegen 165 Stimmen abgelehnt. Darauf wurde eine von Péxier vorgeschlagene Tagesordnung; in welcher die Erklärungen des Ministers gebilligt werden, mit 413 gegen 55 Stimmen angenommen. Die Interpellation des Abg. Boissy d'Anglas über Dahomey wurde auf nächsten Donnerstag angesetzt.
Der „Temps“ meldet aus Kotonu: der Kreu zer Kerguélken“ sei gestern nach Whydah abgegangen, um die Antwort auf das Ultimatum wegen Auswechselung der europäischen Gefangenen zu erhalten. Im Falle der Weige⸗ rung würde Whydah von Neuem bombardirt werden. Die Behörden von Whydah hätten angeblich 10 Tage Aufschub für die Herausgabe der Gefangenen verlangt.
Italien.
Rom, J. Mai. (W. T. B.) Der Senat beendigte gestern die Berathung des Gesetz es, betreffend die O pere pie“, und genehmigte dasselbe in geheimer Abstimmung mit 1096 gegen 54 Stimmen.
Die „Agenzia Stefani“ ist zu der Erklärung ermächtigt, daß der König die Haltung Erispi's in der Sitzung des Ministerraths anläßlich der Senats⸗Abstimmung über die „»Opere pie“ vollständig gutgeheißen hat, und daß im Ministerra—th die Auflösung der Kammer in keiner Weise diskutirt worden ist.
Wie der „Köl nischen Volkszeitung“ aus Rom gemeldet wird, hatte der Unter-Staatssekretär Rampolla eine längere Audienz bei dem Papst Behufs Feststellung der Antwort auf die Adresse der deut schen Pilger. In dieser Antwort finde die soziale Frage besondere Berücksichtigung.
Rumänien.
Bukarest, 6. Mai. (W. T. B.) Zur Feier des Namensfestes der Königin wurden heute Kanonensalven abgegeben und ein Te deum abgehalten. Der Ministerrath sprach der Königin seine Glückwünsche aus; die Behörden und Notabilitäten zeichneten sich in die aufliegenden Listen ein.
Parlamentarische Nachrichten.
In der gestrigen (1) Sitzung des Reichstages ergab der Namensaufruf die Anwesenheit von 318 Mitgliedern. Der Reichstag war also beschlußfähig.
In der auf heute Mittag 2 Uhr anberaumten 2) Sitzung fand die Präsidentenwahl statt. Zum Ersten Präsidenten wurde der Abg. von Levetzow mit 336 von 340 gültigen Seimmen gewählt. Hierauf wurde zur Wahl des Ersten Vize⸗Präsidenten geschritten. (Schluß des Blattes.)
— In der heutigen (11. Sitzung des Herrenhauses, welcher der Minister⸗Präsident Reichskanzler von Caprivi und die Staats-Minister von Maybach, Dr. Freiherr Lucius von Ballhausen, Pr, von Goßler, Dr. von Scholz, Hexrfurth und Dr. von Schelling beiwohnten, ergriff vor Eintritt in die Tagesordnung der Minister-Präsident von Caprivi das Wort zu folgender Rede: Meine Herren! Ich be⸗ trete die Räume dieses hohen Hauses zum ersten Male, um mich Ihnen vorzustellen und mir Ihr wohl⸗ wollendes Entgegenkommen zu erbitten. Wenn ich recht sehe, ist der wesentlichste und charakteristischste Zug dieses Hauses die traditionelle Liebe und Hingebung zu Preußen und zu unserem Königlichen Hause. Es wird, wenn ein General vor Sie tritt, mehrerer Worte nicht bedürfen, um Ihnen die Ueberzeugung zu geben, daß er sich auf diesem Boden leicht zurechtfinden und in diesen Empfindungen sich mit Ihnen eins wissen und fühlen wird.
Das Haus trat hierauf in die Tagesordnung ein, deren einziger Gegenstand war der Bericht der Kommission für den Staatshaushalts-Etat und für Finanz-Angelegenheiten über den Staatshgushalts-Etat für das Jahr vom 1 April 1890,91, sowie über den die Feststellung desselben betreffenden Gesetzentwurf.
Der Bexichterstatter von Pfuel beantragte Namens dieser Kommission, das Herrenhaus wolle beschließen:
Das Herrenhaus wolle beschließen: .
L a den Staatshaushalts⸗Ctat für das Jahr vom 1. April 1890/91 in der Fassung, in welcher derselbe aus den Berathungen des Hauseß der Abgeordneten hervorgegangen ist, anzunehmen;
b) dem Gesetzentwurf, betreffend die Feststellung des Staats haushalts⸗Etats sür das Jahr vom 1. April 1890,91 in der Fassung, welche dieser Entwurf von dem Hause der Abgeordneten erhalten hat, die verfassungsmäßige Zustimmung zu ertheilen;
II. die im Nachstehenden aufgeführten Regierungsvorlagen:
a. die übersichtliche e , ,. der im Jahre 1889 statt⸗ gehabten Verhandlungen des Landes ⸗Eisenbahnraths;
b. die Denkschrift, betreffend die in der Zeit vom 1. April 1888 bis 31. März 1889 erfolgten Bauausführungen an denjenigen Wasserstraßen, über deren Regulirung dem Landtage besondere Vor lagen gemacht sind ö
durch Kenntnißnahme für erledigt zu erklären;
n über die Petitionen Nr. 1, 2, 10, 22, 47 und 57 in folgender
eise: . 6. über die Petition Nr. 1 des Freiherrn von Hammerstein, Königlichen Kreis -Hauptmannsz z. D. zu Lüneburg, und von Ge— nossen, althannöngrschen Verwaltungsbeamten, betreffend ihre Diensteinkommens⸗ bezw. Pensionsverhältnisse, zur Tagesordnung überzugehen;
b. die Petition Nr. 2 der Handelskammer zu Koblenz, be— treffend die Steuerfreiheit der auf Grund des Gefetzeß vom 15. Juni 1883 errichteten Krankenkassen bei der Annahme von Ge— schenken, der Königlichen Staatsregierung als Material für das in Ausarbeitung begriffene Gesetz, betreffend Abänderung des Erb— schaftssteuergesetzeß vom 30. Mai 1875. zu überweisen;
C. die Petition Nr. 10 des Magistrats und der Stadt— verordneten . Münster in Westfalen, betreffend den Sitz des westfälischen Ober Landesgerichts, durch den Besch luß unter 19 als ei ledigt zu erklären und demgemäß über die Petition zur Tages⸗ ordnung überzugehen;
d über die Petition Nr. 22 des geprüften Gewerbeschullebrers Pamp zu Dortmund, betreffend die Berücksichti ung feiner . Werk— meisterschule⸗ zur Tagesordnung überzugeben;
e. die Petition Nr. 47 des ersten Vorsitzenden des deutschen Fischereivereins, Kammerherrn von Behr, welche dabin geht, daß der im Kapitel 105 Titel 8 des Staatshaushalts. Etals zur Hebung der Fischerei mit 80 0909 „ eingestellte Zuschuß im nächstjährigen Etat auf 199 000 46 erhöht werde, der Königlichen Staatsregierung zur Berücksichtigung zu überweisen;
t. die Petition Nr 57 des Pfarrers Ziegler zu Würdenhain bei Liebenwerda, betreffend die Feststellung der Dienstjahre der Geistlichen bei Bemessung der Alterszulage, der Königlichen Staatsregierung zur Erwägung zu überweisen:
IV. folgende Resolutionen zu fassen:
a, an die Königliche Staatsregierung das Ersuchen zu richten, dem Landiage alsbald und, wenn irgend möglich, noch vor Schluß der gegenwärtigen Session den Entwurf eines Gesetzes, betreffend 291 Reform der Klassen« und klassifizirten Einkommensteuer, vor— zulegen.
b die Königliche Staatsregierung aufzufordern, Maßnahmen
zu treffen, durch welche es ermöglicht wird, daß das Etats— gesetz dem Herrenhause spätestens am 15. März jeden Jahres zu⸗ gestellt wird. . Der Berichterstatter sprach zunächst seine Befrie—⸗ digung über die heutige Rede des neuen Minister— Präsidenten aus und gedachte sodann der unsterblichen Ver— Rienste des bisherigen Reichskanzlers und Minister-Präsidenten, Fürsten von Bismarck, für den die Bewunderung und Dankbarkeit des Herrenhauses nie erlöschen „werde. Möchte es uns vergönnt sein, so schloß der Redner, hier sein Bild in irgend einer Weise zu haben, uns ein Porbild von Patriotismus, Treue und freudiger Pflichterfüllung. Und doch, wenn die ermüdende Hand das Steuerruder nach fast dreißigjähriger treuer Arbeit hat nieder— legen müssen, so ist das Staatsschiff, dessen sicherer Kurs von unserem jugendlichen Kaiser geleitet wird, in jüngere aber bewährte Hände gelegt worben. Vertrauen wir, daß die Führung Preußens auch ferner eine gesegnete und ruhmreiche bleiben wird.
Graf Hohenthal sprach unter Hinweis auf die hohe Bedeutung des Herrenhauses als Oberhauses einer großen Monarchie, dessen Standpunkt möglichst oft in den Vorder— grund gestellt werden müsse, seine Freude darüber aus, daß der Berichterstatter dem Herrenhause einen Vorsprung vor dem Abgeordnetenhause gegeben habe, indem er dem Fürsten Bismarck ein Denkmal gesetzt habe, das in den Annalen dieses Hauses fortleben werde. Des Weiteren ging Redner auf einige staatsrechtliche Fragen der jüngsten Ver— gangenheit ein, bejahte die Frage, ob der König zum Empfang der Bergarbeiter-Deputation im vorigen Jahre aus eigener Machtvollkommenheit befugt gewesen sei, und wandte sich dann den großen Ausstandsbewegungen und der Arbeiterfrage im Allgemeinen zu. Trotz des großen Fiasko's, welches die Demonstration des 1. Mai erlitten, müsse man der Arbeiterfrage fortgesetzt die eifrigste Aufmerksamkeit schenken. Grund zu Befürchtungen liege nicht vor. Der Sozialdemokratie könne ausreichend begegnet werden durch unverbrüchliches Festhalten an unseren gesammten Rechtsordnungen, deren moralische Kraft in Verbindung mit der erforderlichen eisernen Ruhe bei Krisen und Gährungen schließlich jede revolutionäre Bewegung zurückdämmen müsse. Besonders erfreulich sei es, daß die Arbeitgeber unnachsichtlich gegen den Kontrakibruch vorgegangen seien. Der erste Mai sei ein revolutionärer Fühler gewesen, ein Hohn auf eine zehnjährige Sozialreform. Schlimmer aber als der erste Mai könnte der 1. Oktober werden, an welchem sich das Deutsche Reich ohne Sozialistengesetz befinden werde. Das Gesetz sollte auch die Allexhöchste Person schützen. Trotz seiner Mängel sei es immer besser als gar keines, und es müsse ein Ersatz dafür geschaffen werden. Von Seiten der oppositionellen Parteien gehöre ein trauriger Muth dazu, durch die Ver— eitelung eines solchen Gesetzes die große Verantwortung für das Kommende auf sich zu nehmen. ö
Graf Mielzunski beschwerte sich über das seit einigen Jahren verfolgte System der Unterdrückung und Vernichtung der polnischen Nationalität, ein System, welches, von den russischen Behörden in den Ostsee⸗Provinzen gegen die dortigen Deutschen, ausgeübt, von allen Deutschen aufs Schärfste verurtheilt werde, und, bat den Minister⸗ Präsidenten, seinen Einfluß bei dem König. zu Gunsten einer gerechteren Behandlung der polnischen Unterthanen gellend zu machen.
Damit schloß die Generaldiskussion. K ĩ
Der Minister-Präsident von Caprivi verließ hierauf den Saal. (Schluß des Blattes.)
— In der heutigen (64) Sitzung des Hauses der Abgeordneten, welcher der Minister des Innern Hern surth beiwohnte, stand zunächst auf, der Tagesordung der Antrag der Abgeordneten Dr. Grimm und Genossen:
Das Haus der Abgeordneten wolle beschließen:
In Erwägung, daß die in den Städten Wiesbaden und Hom⸗ burg v. d. H. noch zu Recht bestehenden Gemeinde verfassungsgesetze den Verhältnissen dieser in raschem Aufschwunge befindlichen Städte in keiner Weise mehr entsprechen; ö
in weiterer Erwägung, daß die genannten Städte die Durch führung der in Aussicht genommenen Neugestaltung des Ver- fassungsrechts für die Stadt. und Landgemeinden der Monarchie nicht abwarten können, ohne die schwerste Schädigung maßgebender Interessen; .
die Königliche Staatsregierung zu ersuchen: .
In der naͤchsten Session eine Gesetzesvorlage einzubringen, durch welche vorläufig die Gemeindeverfassung der Städte Wiesbaden und Homburg v. d. H. in angemessener Weise neugestaltet wird.
Der Antragsteller Abg. Dr. Grimm wies darauf hin, daß eine solche Vorlage bereits im Jahre 1877 von dem Abg. Petri verlangt worden sei. Es handle sich um keine Parteifrage. Es sei auch einmal eine Vorlage gemacht, aber nicht mehr vom Hause berathen worden, nachdem die Kommission erhebliche Aenderungen vorgenommen, welche auch Seitens der Regierung nicht überall gebilligt worden seien. Die Regierung habe vielleicht Unrecht gethan, daß sie das Gute, was die Beschlüsse damals enthielten, nicht an⸗ genommen habe, weil sie das Beste habe erreichen wollen. Die
Regierung habe Bedenken gehabt, die Vorlage zu erneuern, weil sich ein gewisser Widerspruch gegen die frühere Vorlage in den Kreisen der Bürger von Wiesbaden n. gemacht habe. Hervorragende Einwohner von Wiesbaden wünschten aber jetzt in einer Petition eine Aenderung der Stadtverfassung. Nur ein Viertel aller Einwohner sei zur Theilnahme an den städtischen Geschäften berechtigt, die übrigen seien nicht befugt, zu wählen und im Kreisausschuß und Provinzial⸗Landtag mitzuwirken. Das Bürgerrecht zu erwerben, sei schwierig, weshalb viele kleine Leute darauf verzichteten. Wer Steuern zahle, müsse auch volles Bürgerrecht erhal⸗ ten. In der Kommunalverwaltung seien auch die Thatsachen über, die gesetzlichen Vorschriften längst hinweg⸗ gegangen. 60 Proz. Steuerzuschläge seien gesetzlich zulässig, 100 Proz. würden aber erhoben; dieser Zustand sei ungesetz⸗ lich, die Aufsichtsbehörde müsse ihn aber dulden, weil es eben nicht anders ginge. Die Gemeindebeamten seien nicht pensions— berechtigt, trotzdem habe der Gemeinderath im vorigen Sommer 150 Gemeindebeamten das Pensionsrecht eontra legem verliehen. Zur Wiederherstellung eines richtigen Rechtsbodens für die Stadt Wiesbaden genüge eine Novelle zu der jetzigen gänzlich unbrauchbaren Städteordnung für Nassau nicht, n sich vielmehr eine allgemeine Regelung der Sach??? :
Der Minister des Innern Herrfurth erklärte sich mit dem Antrage und dessen Begründung im Wesentlichen einver— standen und stellte eine wohlwollende Berücksichtigung desselben Seitens der Königlichen Staatsregierung in Aussicht. Gesetz und rechtswidrig seien die Zustände zwar gerade nicht, wenn auch, um aus der Noth eine Tugend zu machen, Einrichtungen praeter legem; aber nicht eontra legem geschaffen seien. Der frühere Versuch der Regierung, zu einer Besserung zu gelangen, sei an dem Widerspruch der Abgeordneten des Regierungsbezirks Wiesbaden gescheitert, weil die wichtigen Fragen der Gemeinde⸗ verfassung, Wahlrecht, geheime Abstimmung, Aufsichts- und Bestätigungsrecht, dabei mit entschieden werden sollten. Wenn er auf eine vorläufige Regelung jetzt einzugehen verspreche, so könne er doch für die nächste Session noch keine Vorlage zusichern, weil erst das Gutachten des Provinzial-Landtages eingeholt werden müsse. .
Abg., Cahensly erkannte das Bedürfniß an, hielt es aber nicht für so dringend. Die früheren Beschlüsse der Kommission, namentlich bezüglich des Wahlrechts, müßten bei der Vorlage berücksichtigt werden, die auch auf alle größeren Städte ausgedehnt werden müsse.
Abg. Heineken empfahl die Annahme des Antrages, da
gerade für Wiesbaden und Homburg das Bedürfniß drin— gend sei. ; Abg. Wirth lehnte den Antrag ab, weil dieser nicht die Sicherheit biete, daß die Vorlage den Wünschen der Inter— essenten entsprechen werde. Die Verhältnisse in Wiesbaden seien nicht so schwarz, wie sie der Abg. Dr. Grimm schildere. Manche kleinere Stadtgemeinden bedürften einer Abänderung der Gemeindeverfassung viel dringender.
Darauf wurde der Antrag Grimm gegen die Stimmen des Centrums und der Freisinnigen angenommen. (Schluß des Blattes.)
— Der Schlußbericht über die gestrige 5 des Herrenhauses sowie die allgemeine Begründung des Gesetzentwurfs, betreffend die Abänderun der
Gewerbeordnung, befinden sich in der Ersten Beilage.
Verkehrs ⸗Anstalten.
Im Postpacketverkehr mit Rumänien sind neuer⸗ dings mehrere Verbesserungen eingetreten. Die Gewichtsgrenze für Postpackete ist von 3 kg auf 5 kg erweitert worden, während der bisherige Portosatz von 1 S6 49 3 unverändert geblieben ist. Ferner sind jetzt sperrige Postpackete, sowie Postpackete mit Werthangabe bis 400 d zur Versendung zu⸗ gelassen. Vom 1. Juni ab kann außerdem auf Postpackete nach Rumänien Nachnahme bis 400 (S entnommen werden.
Dam burg, 6. Mai. (W. T. B.) Der Postdampfer Bohemia“ der Hamburg ⸗Amerikanischen Packetfahrt⸗ Aktiengesellschaft hat, von New⸗York kommend, heute Mittag Do ver passirt.
London, 6. Mai. (W. T. B.) Der Castle⸗Dampfer „Veniei“ ist auf der Ausreise heute in Durban (Natal) an— gekommen.
Theater und Musik.
Königliches Opernhaus.
Wie im verflossenen Jabre, so bat auch diesmal die Königliche General ⸗Intendantur dafür gesorgt, daß dem Publikum der hohe Genuß einer Gesammtaufführung des Wagner'schen Bühnen -⸗Festspiels „Der Ring des Nibelungen“ zu Theil werde. Nachdem bereits am Sonntag der Vorabend „Rheingold“ von dem sehr zahlreich erschienenen Publikum mit enthusiastischem Beifall aufgenommen worden war, ging gesten Die Walküre“ in Scene. Bewährte Kräfte unserer Vühne hatten sich an der Vorstellung betheiligt, die als eine der besten der letzten Jahre bezeichnet werden datf. Am bervorragendsten war die in Spiel und Gesang vollendete Darstellung des Wotan“ durch Hrn. Betz. Auch die „Brünnhilde“ der Fr. Moran-Olden, die ihm ebenbuͤrtig zur Seite stand, errang sich allgemeinen Beifall, der sich nach der Schlußseene des dritten Aktes bis zum Hervorruf beider Darstellenden steigerte. Die Rolle des „Siegmund“ hatte Hr. Sylva übernommen und brachte in derselben seine klangvolle und umfangreiche Stimme vortrefflich zur Geltung. Der Litbesgesang' am Schluß des ersten Aktes, bei dessen gutem Gelingen auch Fr. Pierson (als Sieglinde) einen wesent⸗ lichen Antheil hatte, erfreute sich lebhaften Beifalls. Fr. Staudigl (Fricka) und Hr. Biberti (Hunding) bewährten sich in ihren Rollen wiederum als tüchtige Kräfte unserer Oper. Die Chöre der Walküren, die mit frischem Wohlklang der Stimmen und mit höchster dramatischer Lebendigkeit vorgetragen wurden, gelangen vorzüglich, auch war in dem ganzen Musikdrama das Zusammenwirken mit dem von Hrn. Kapellmeister Sucher geleiteten Orchester ein höchst vr zises und des schönen Werks würdiges zu nennen. Ein sehr zahlreicher Besuch hatte sich zu dieser Aufführung eingefunden. — Für Donnerstag ist „Siegfried! mit dem Gastspiel des Hrn. Gudehus, und für Sonntag ‚Die Götterdämmerung“ angesetzt, an welchem Abend gleichfalls Hr. G. auftreten wird.
Berliner Theater. .
Die nächste Novität wird das Dumas'sche Schauspiel „Kean sein. Dasselbe geht in der Bearbeitung von Ludwig Barnay An— fangs nächster Woche an genannter Bühne zum ersten Mal in Szene. Selbstverständlich spielt Ludwig Barnay den „Kean“, eine der interessantesten Rollen seines Repertoices.
Wallner Theater. 3
Am Sonnabend geht der dreiaktige Schwank: „Hänschen“ zum ersten Mal in Scene, welchem die Vaudeville⸗Burleske: „Guten Morgen, Herr Fischer“ folgt. Nach den in dieser Saison mit den
Aufführungen älterer Stücke erzielten günstigen Erfolgen sah sich die Direktion des Wallner ⸗Theaters umsomehr veranlaßt,