unsere Militärkraft noch weiter entwickeln als bisher? Und können wir die Mittel beschaffen, um das, was man an sich als militärisch nothwendig erachten mag, auch zu bezahlen? Leider können wir nur im Frieden leben, wenn der Nachbar auch es will. Darin liegen die Grundursachen unserer ganzen Misere, daß die Welt jetzt so gespannt ist in allen Verhält⸗ nissen, daß es mir vorkommt, als ob die ganze Thätigkeit der Nationen wesentlich darauf gerichtet sei, sich zu einem großen Kriege vorzubereiten. Könnte man nicht Vorbereitungen treffen, einen dauernden Frieden zu haben? n der Hin⸗ sicht könnte allerlei geschehen. Ich will darauf nicht eingehen, das wäre eine. Revue unserer ganzen, auswärtigen Be⸗ ziehungen, die hier zu erörtern nicht nützlich ist. Früher war ein solcher Militarismus nicht, erforderlich. Ich be⸗ antrage, die Vorlage an eine besondere Kommission von 28 Mitgliedern zu überweisen, denn Verhandlungen über die Vorbereitungen ur einen möglichen Krieg können nicht hier vor aller Welt stattfinden. In der Kommission wird sich die Regierung darauf gefaßt machen , . daß wir in dieser Kinfcht noch etwas mehr erfahren wollen. Wir müssen endlich larheit darüber gewinnen, wann denn dieses stete Fordern neuer Militärausgaben aufhört. Wenn wir dem Lande neue Lasten auflegen, dann müssen wir es auch in anderer Weise . erleichtern suchen. Es müßte eine ernste Gewissenserforschung arüber eintreten, ob denn in dem vergangenen Reichstage ge⸗ nügend Sparsamkeit gewesen ist. Die Regierung sollte sich bemühen, die noch zu machenden Ersparungen allmählich ins Auge zu fassen. Mit neuen Steuern geht es nicht mehr weiter. Der Abg. Richter hat dem Beispiel des Hrn. von Bennigsen folgend gemeint, daß eine neue Organisation der Reichsbehörden und der Finanzverhältnisse nothwendig sei. Ich glaube nicht, daß irgend welche Organisation der Reichsbehörden uns auch nur einen Groschen inbringen wird. Im Gegentheil, sie würde uns einen Haufen Geld kosten. Eine glücklichere und bessere Prüfung der Finanzverhältnisse ist auch nicht davon zu erwarten. Wir haben in anderen deutschen Ländern eine vollkommen geordnete Finanzwirthschaft mit angeblicher Ver⸗ antwortlichkeit Und doch geht es dort nicht besser wie im Reiche, und so kommt denn die ganze neue Organisation der Reichsbehörden darauf hinaus, daß man pielleicht eine Stelle schaffen will für sehr ausgezeichnete Finanzmänner. Ich erblicke in diesem ganzen Bestreben weiter nichts, als eine weitere Betonung des unitarischen Gedankens. Diese Organi— sation würde unzweifelhaft die einzelnen Städte in ihrer Be— deutung und in ihrer Einwirkung schwächen. Ich erkläre hautement, daß ich von der ganzen Geschichte nichts wissen will, denn sie durchbricht das föderative Prinzip. Auch der Fürst Bismarck schien der Sache nicht geneigt zu sein. Diese Vorlage hat ihrem Inhalte nach auf mich einen deprimirenden Eindruck gemacht, aber eine Freude hat sie mir doch bereitet; sie beweist uns recht, was es mit dem ganzen Septennat seiner Zeit auf sich gehabt hat. Etwas Beschämenderes konnte allerdings Denjenigen, welche so lustig in die Trompete der Reichsfeindschaft gestoßen haben, nicht vorgehalten werden, als diese Vorlage. Wir wollten damals auf drei Jahre jeden Mann und jeden Groschen bewilligen. Kaum sind diese drei Jahre verflossen und schon kommt die Regierung mit einer Aenderung. Die Regierung schlägt uns jetzt ein Quadriennium vor. Es wäre Zeit zu überlegen, ob wir nicht die Präsenzziffer jetzt jährlich festlegen müssen. Ich sage heute nicht, daß ich das heute unbedingt verlange, aber dieser Punkt muß nothwendig in der Kommission erörtert werden. Wenn die Regierung unter dem Druck der Berathungen des Reichstages steht, so wird sie nothwendig vorsichtig sein müssen. Wenn aber jetzt wieder neue Rekruten eingestellt werden, so wird gleichzeitig auch eine Erleichterung der Dienstzeit eintreten müssen und die jetzt schon vorhandene Erleichterung festgelegt werden, sodaß man darauf rechnen darf. Niemand im Deut— schen Reich wird, glaube ich, die Mittel versagen, welche zur Aufrechterhaltung der Unabhängigkeit und Selbstständigkeit von Deutschland nothwendig sind. Wir werden Denen, welche die Grundlagen unseres staatlichen und gesellschaftlichen Lebens angreifen, mit Energie zu jeder Zeit entgegentreten, und wenn sih auswärtiger Feind uns angreift, wie ein Mann zusammen— ehen.
Kriegs-Minister von Verdy du Vernois:
Meine Herren! Ich bitte nur noch eine kurze Bemerkung hier anknüpfen zu dürfen. Der Hr. Abg. Dr. Windthorst hat als Wunsch hingestellt, ins Klare zu kommen über die Forderungen und Pläne in Beiug auf das, was noch aussteht. Meine Herren, als erste Aufgabe, welcher ich mich hier in meinem Amt zu unterziehen hatte, erschien mir die, daß wir zunächst die vor— handenen Organisatioönen in die normalen Verhältnisse über— führten. Nur auf Grund solcher Bafis konnte ein weiterer Ausbau erfolgen. Unter diesen Umständen habe ich mir selber gesagt: Organi⸗ siren und womöalich so orgarisiren, daß man nicht jedes Jahr vor neuen Ueberraschungen stebt — wenn möglich, auf ein Menschenalter, sobald nichts von außen hinzukommt —, sei die erste Bedingung. In Folge dessen sind wir seit jenem Moment an der Arbeit. Ich muß diesen Wunsch. der hier autgesprochen ist, somit als berechtigt anerkennen. Für ans ist überdies seine Durchführung eine Noth— wendigkeit, auch für diejenigen Kollegen in den verschied enen Staaten, die mit den Finanzen sich zu besckäftigen haben. Es wird Ihnen daher über kurz oler lang ein derartig ausgearbeiteter Entwurf mit— getheilt werden. Ich werde sogar in der Kommissionssitzung bereits in der Lage sein, die Grundzüge, die wenigen Grundfäͤtze, auf welchen er sich bewegt, Ihnen vortragen zu können.
Die Bemerkungen über die zweijährige Dienstzeit werde ich jetzt nicht weiter berühren, weil ein bezuglicher Antag aus dem Hause selbst vorliegt. Ich glaube, daß dies in diesem Augenblick zu weit führt. Ich kann nur sagen — wir können ja auch in der Kommissions⸗ sitzung uns darüber unterhalten — daß, wenn irgend welche Erleichte— rungen für das Land. von unserem Stanz punkt aus dabei anerkannt orden wären, wir jedenfalls selbst mit diesem Vorschlage gekommen sein würden. Wir baben dies nicht gethan. Es geht daraus hervor, daß die verbündeten Regierungen nach reiflicher Prüfung dieser Frage auf dem Standpunkt stehen, daß sie in dieser Richtung keine Kon— zession machen können.
Abg. Payer: Wenn wir uns einmal auf die schiefe Ebene der Bewilligung begeben, so werden wir gar kein Ende finden. Der Kriegs⸗Minister hat gesagt, das Septennat würde durch diese Vorlage nicht alterirt. Ich bestreite dies. Das Septennat war eine Vereinbarung, in sieben Jahren an der Friedenspräsenzstärke nicht zu rütteln, weder von Seiten des eiche tages noch Seitens der Regierung. Wenn die Regierung sich nicht mehr an das Septennat gebunden hält, so sind wir es auch nicht. Ich gebe ja zu, daß wir dem Kriegs⸗Minister keinen Vorwurf zu 6 haben, er hat sich sehr vorsichtig aus— edrückt, und wenn wir ihn seiner Zeit falsch verstanden
ahen, so ist das unsere Schuld. Wenn die damalige Vorlage nicht die Krönung dieses ganzen Tempels, sondern nur des Doppelhofs von zwei Armee⸗Corps sein sollte, so haben wir uns eben geirrt. Wir wollen in Zukunft vorsichtiger
sein; das soll uns nicht mehr passiren. Wenn in den Motiven gesagt wird, daß diese Vorlage zur Erhaltung der europäischen Friedenspolitik nothwendig sei, so frage ich: wohin sollen wir mir derartigen allgemeinen Gründen kommen? Wir wissen doch Alle, daß von dem Heer allein die Gestaltung des Deutschen Reiches nicht abhängig ist. Gewiß sind auch wir bereit, jedes nur mögliche Opfer zu bringen. Aber wenn es damit nur gethan wäre: Glauben Sie denn, daß man auf der anderen Seite nicht auch das Letzte thun wird? Wenn jeder anderen Nation nicht jedes Opfer zu groß ist, dann sind wir gerade so weit, wie vor 16 Jahren. Diese Frage ist in erster Linie eine eminent wirth⸗ schaftliche. Das Volk selbst hat das allergrößte Interesse an der Erhaltung des Friedens. Niemand kennt aber besser die Grenzen der wirih cha tft Leistungsfähigkeit als das Volk selbst. Nachdem wir kolossale Summen auf allen möglichen Gebieten ausgegeben haben, können wir auf die Dauer kaum noch mehr ere. Das beweist die Zahl der Schulden, die wir im Laufe der letzten drei Jahre für Militärzwecke kontrahirt haben. Wenn wir reell sein wollen, dann müssen wir diese Schulden doch auch einmal bezahlen. Sollen wir unseren Nachkommen zumuthen, daß sie Schulden bezahlen für Dinge, von denen sie keinen Vortheil haben. Ich meine, daß wir thatsächlich an der Grenze unserer Leistungsfähigkeit angelangt sind. Das beweist schon die Verschlechterung der Lebens— haltung, diese zeigt sich am deutlichsten an dem Rückgange des Kleingewerbes. Man hat bei diesen Militärausgaben viel zu wenig den Umstand ins Auge gefaßt, daß der bei Weitem größte Theil der aufgewandten Mittel nach Lage unserer Steuergesetzgebung von den mittleren und kleinen Leuten getragen wird. Das ist nicht die Art, wie man den Wohlstand und das Wohlbefinden einer Nation zu heben und zu erhalten sucht. Um so vorsichtiger müssen wir jetzt bei der Bewilligung neuer Mittel sein. Denn es ist mir gar— nicht zweifelhaft, daß man zur Deckung der neuen Ausgaben auch neue Steuern auferlegen wird. Die letzten Wahlen sind ein deutlicher Ausdruck dessen, was das Volk über diese Steuer— gesetzgebung nicht allein, sondern auch über diese militärischen Bewilligungen der letzten Jahre denkt. Das Volk hat auf legalem Wege einen kräftigen Protest gegen diese ganze Politik einlegen wollen, und wir sind durchaus berechtigt und sogar verpflichtet, dem Protest des Volkes Ausdruck zu verleihen. Damit will ich nicht erklärt haben, daß unsere Partei gegen die einzelnen Theile dieser Vorlage Widerspruch erheben wolle. Wir sind z. B. der Meinung, daß es in der Hand der Reichs— Militärverwaltung liegen soll, wenn sie eine Vermehrung der Artillerie für nothwendig hält, diese Vermehrung vorzunehmen; aber mit der einzigen Kautele, daß sie sich bemüht, auf anderen Gebieten des militärischen Lebens diejenigen Ersparnisse zu machen, welche nothwendig sind, um diesen Mehraufwand zu decken. Ob die Verkürzung der Dienstzeit auf streng mili⸗ tärischem Gebiet vortheilhaft ist, vermag ich nicht zu beurtheilen, wirthschaftlich ist sie es sicher. Sie sind ja weit entfernt von dem Tage einer allgemeinen Abrüstung. Ich kann noch nicht beurtheilen, ob der nächste Krieg 7 oder 30 Jahre währen wird; wenn wir aber 3 Millionen im Kriege auf die Beine stellen, dann möchte ich sehen, wie lange ein Volk diese Armee überhaupt unterhalten soll. Ich bezweifle, daß selbst ein reiches Land dieses auch nur ein Jahr aushalten kann. Ich glaube auch, daß die Regierungen die ungeheure Verantworklichkeit für einen derartigen Krieg nicht werden übernehmen wollen. Die Völker wollen es auch nicht und die Parteien, denen der Graf Moltke dies doch zuzutrauen scheint, ebenfalls nicht. Ich glaube, daß wir am ersten in der Lage wären, Halt zu machen, und zwar weil wir im letzten Kampf Sieger gewesen sind, weil wir unbestreitbar die Stärksten sind und an unserer Friedensliebe kein ehrlicher Mensch in dieser Stunde zweifeln darf, ebensowenig wie an unserer Bereitschaft, uns auch im äußersten Falle gegen einen ungerechtfertigten Angriff zu wehren. Machen wir also hier Halt, so werden wir der Menschheit mehr nützen, als wenn wir von Neuem ein Wett— rennen aller Nationen auf diesem Gebiet hervorrufen und da auf ein halbes Jahr anderen Nationen um ein paar Kopf— längen voraus sind.
Abg. Buhl: Ich glaube, daß ein solcher Appell an die Friedenspolitik in anderen Ländern für uns außerordentlich gefährlich sein würde. Der Vorredner hat ihn an eine falsche Adresse gewendet. Wenn wir abrüsten, so würde nicht der Friede Europas erhalten, sondern im Gegentheil gefährdet werden. Es ist anzuerkennen, daß die Abgg. Richter und Dr. Windthorst den Schwerpunkt der Verhandlung in die Kommission verlegt haben. Wir werden der näheren Dar— legung der Regierung in der Kommission mit Aufmerksamkeit folgen, und wenn wir eine weitere Erhöhung der Friedens— präsenzstärke für nothwendig halten, nur um unseren Nachbarn zu folgen, dann werden wir uns gezwungen fühlen, die For⸗ derungen, soweit es nothwendig erscheint, zu bewilligen. Auch ich erkenne an, daß eine Verkürzung der Dienstzeit in Bezug auf die persönlichen Verhältnisse der Mannschaften von großer Bedeutung sein und eine gleichmäßigere Vertheilung der Lasten herbeiführen würde, wenn ich allerdings auch zugebe, daß jede Dienstzeit in erzieherischem Sinne von Vortheil ist. Wenn wir nach den Erklärungen, die wir in der Kommission zu er— warten haben, uns gedrängt fühlen, der Forderung nach⸗ zukommen, so werden wir dies thun, nicht um der Fürsten willen, sondern um der Sicherheit und des Friedens unseres Vater⸗ landes willen.
Staatssekretär Freiherr von Maltzahn:
Ich würde in die heutige Diskussion nicht eingegriffen haben, wenn ich nicht den Wunsch hätte, cinem Mißverständniß zu begegnen, welches aus einer Aeußerung des Hrn. Abg. Richter entstehen könnte. Die Feußtrung, welche ich meine, entsprach vollkommen dem that sächlichen Hergang; sie war aber in einer Form gegeben, daß Diejenigen, welche den Dingen nicht näher stehen, vielleicht zu einem irrthümlichen Schluß gelangen können. Der Hr. Abg. Richter wies auf die Schwierigkeit hin, welche die Beschaffung der Mittel für militärische Zwecke haben würde. Er erwähnte dabei, daß im Laufe der letzten Mongte ein Anleibebetrag des Reichs von 129 Millionen bei der Subfkription nicht vollgezeichnet sei Diese Thatsache ist, wie ich annehme, richtig; aber das Reich hat seine Anleihe voll von denjenigen Häusern ausgejahlt bekommen, denen es sie übergeben hat. Die Haͤuser ihrerseits haben die Anleihe zur Zeichnung aufgelegt, und bei dieser Zeichnung ist nur etwas über die Hälfte sofert übernommen worden von den Kapitalisten im Lande. Der übrige Theil des Anleihebetrages hat sich langere Zeit in den Bänden der Emissionsbäuzer befunden. b und inwieweit derselbe setzt untergebracht ist, vermag ich nicht zu sagen. Das aber möchte ich ausdrücklich feststellen, daß die 129 Millionen, welche für Rechnung des Reichs untergebracht werden mußten, um für eine Reihe von Monaten hingus das Bedürfniß zu decken, an den vereinbarten Terminen richtig zur Reichekasse eingezahlt sind.
Abg. Graf Stolberg⸗Wernigerode: Ich freue mich, daß der Abg. Richter nicht unbedingt sich gegen die Torlage erklärt hat, es steht also zu hoffen, daß die Vorlage
mit möglichst großer Majorität angenommen werden wird.
Daß das Septennat nicht jede Mehrforderung der Regierung über den Rahmen des Septennats ausschließen sollte, hat auch der Abg. Bamberger anerkannt. Kein Patriot, sagte er, würde es wagen, daß die Militärverwaltung sich mit einer geringeren Ziffer begnüge, als es noth⸗ wendig sei. Nun spitzt sich allerdings die Sache zu einer Vertrauensfrage zu. Es ist zwar notorisch, daß die französische Artillerie einen Vorsprung vor der unserigen hat, ob aber die Details in der Vorlage begründet sind, müssen wir der Re⸗ gierung glauben. Zur Kompensation dieser Neuforderungen fordert man die zweijährige Dienstzeit. Das Rekrutenmaterial hat sich allerdings in Bezug auf Intelligenz gebessert; in gleicher Weise hat sich das Ausbildungsmaterial, Offiziere und Unteroffiziere, gebessert, auch das ganze Ausbildungssystem ist rationeller geworden. Auf der anderen Seite sind aber auch die Anforderungen gestiegen; und zwar in stärkerem Ver⸗ hältniß, als sich das Material gebessert hat. Ein Vergleich des Gewehrs, wie es früher war und wie es heute ist — und alle Veränderungen der Taktik u. s. w. sind schließlich auf die Veränderung der Feuerwaffe, namentlich des Infanteriegewehrs urückzuführen — bildet einen richtigen Beurtheilungspunkt ier das, was früher verlangt wurde und heute verlangt werden muß. Zu der Frage des Septennats stehen wir noch so, wie wir immer dazu gestanden haben. Wir sind der Meinung, daß die dauernde Festsetzung der Friedenspräsenz den Bestimmungen der Verfassung entspricht; wir sind aber auf das Kompromiß von 1874 eingegangen und halten mach ib daran fest. Der Abg. Richter nimmt auf das französische Heer Bezug, welches er nicht mit Unrecht als Parlamentsheer bezeichnet. Es ist richtig, daß in Frankreich die Bewilligung jährlich ausgesprochen wird; aber gerade in Bezug auf militärische Verhaͤltnisse ö zwischen uns und Frankreich ein Unterschied, der nicht zu unseren Gunsten sprich. Wenn Sie die Debatten in den französischen Kammern verfolgen, so werden Sie finden, daß die Militärvorlagen dort nicht nur bereitwillig bewilligt werden, sondern daß die Kammern häufig noch über die ursprünglichen Forderungen hinausgehen, während bei uns das Gegentheil der Fall ist. Seit der Konfliktszeit hat sich bei uns leider die parlamentarische Sitte erhalten, daß wir gerade die Armeefrage als Kraftprobe im parlamentarischen Leben betrachten. So lange dies der Fall ist, halte ich es für bedenklich, die Armee auf diese Basis zu stellen. Ich schließe mit dem Antrage, die Vorlage an eine Kommission zu ver⸗ weisen, und dem Wunsche, daß es gelingen möge, dort eine möglichst große Uebereinstimmung herbeizuführen; denn dem Auslande gegenüber ist es nicht unwichtig, daß die Vorlage mit a ic! großer Majorität angenommen wird.
Gegen 5 Uhr wird die weitere Berathung auf Freitag 1 Uhr vertagt.
Literatur.
von E. S. Mittler und Sohn in Berlin ist eine von dem Major z. D. und Bezirks ⸗ Offizier zu Züllichau von Puttkamer herausgegebene Aneiennetäts-Liste der Offiziere des deutschen Heeres für das Jahr 1890 erschienen, welche nach dem Stande vom 12. April 1890 zusammengestellt ist und sich eng an die Ranglisten der einzelnen Armeen anschließt. Das mit vielem Fleiße und großer Sorgfalt hergestellte Werk führt sämmtliche Offiziere der preußischen, bayerischen, sächsischen und württem⸗ bergischen Armee auf, und zwar zunächst nach den einzelnen Ländern die Generalität, die nicht regimentirten Offiziere, die Offiziere von der Armee und A la suite der Armee, sowie die sämmtlichen Regimenter, wobei bei jedem Einzelnen das Datum des Patents der gegenwärtig bekleideten Charge und das der Ernennung zum Second ⸗Lieutenant aufgeführt ist. Außerdem enthält es eine durch die ganze deutsche Armee laufende Anciennetätsliste der Generalität und der Stabs— offiziere, welche bis zum April d. J. fortgeführt ist, der Hauptleute und Rittmeister bis ult. Dezember 1884, der Premier ⸗Lieutenants bis ult Dezember 1886 und der Second ⸗Lieutenants bis ult. Dezember 1883. Wie sich aus derselben ergiebt, ist der jüngste General (Preußen) Lieutenant von 1849, der jüngste General⸗Lieutenant (Preußen) Lieutenant von 1857, der jüngste General⸗Major (Preußen) Lieutenant von 1860. Andererseits giebt es in Preußen noch 27 Majors, welche im Jahre 1860 zu Lieutenants ernannt wurden. In Sachsen und Württemberg sind die Lieutenants von 1863 schon sämmtlich Oberst-Lieutenants, in Bayern sind noch vier Majors Offiziere von 18661. Unter den Hauptleuten befinden sich in Preußen noch 14 mit einem Lieutenantspatente von 1865, während in Bayern, Sachsen und Württemberg die Abarcemnents- verhältnisse sich, günstiger gestaltet haben. In der bayerischen Armee ist noch ein Premier-Lieutenant mit einem Second Lieutenants— Patente von 1871, in der preußischen sind noch zwei Premier ⸗Lieute⸗ nants, welche 1373 Offiziere geworden sind. In Bavern giebt es noch 17 Second-Lieutenants von 1879, während in Sachsen der älteste Second-⸗Lieutenant ein Patent von 1887 hat. Dem Werke ist ferner ein Verzeichniß der Standorte sämmtlicher Truppentheile der verschiedenen Armeen beigefügt. Für Jeden, der sich für die Avance⸗ mentsverhältnisse der deutschen Armee interessirt, ist das Buch als ein ganz unentbehrliches zu bezeichnen.
. — Aus dem Verlage von Georg Lang, Leipzig und Metz, er- hielten wir eine Neue Militärkarte des Deutschen Reichs“ zur Uebersicht des Quartierstandes und der Landwehr ⸗Inspektionts⸗ Bezirke vom 1. April 1890 ab, bearbeitet von Gustav Müller, Kartograph der Königlich preußischen Landesaufnahme; mit er läuterndem Textheft. Dieses letztere bietet unter der Aufschrift Das deutsche Reichsheer vom 1. April 1890 ab‘ ein alphabetisches Ver⸗ ʒeichniß des Quartierstandes, dann eine Uebersicht der Landwehr— bezirke des Deutschen Reichs, beides in militärischer Kürze, Knapp- heit und Klarheit. Die „Militärkarte des Deutschen Reichs“, im Maßstab 1: 1750 090 sorgsältig, genau und sauber hergestellt, veranschaulicht in deutlich hervortretenden Farbenbil dern die Gebiete der einzelnen Armee⸗ Corps: in rother Umsäumung die Bezirke der Infanterie⸗Brigaden und der Landwehr-Inspektionsbezirke, in kleinen mehr oder minder dunklen Quadrgten den Sitz der General -⸗Kommandos, des Infanterie⸗Divi⸗ sions⸗Stabes und des Infanterie ⸗Brigade⸗Stabes, sowie den Gar— nisonort, in kleinen rothen, blauen, grünen, roth« und blauen, und roth⸗ und weißen Monden die verschiedenen Bataillone Infanterie, Jäger oder Schützen, Pioniere oder vom Eisenbahn-⸗Regiment, die verschiedenen Escadrons Kavallerie, Train, die verschiedenen Abthei⸗ lungen Feld ⸗Artillerie, Bataillone Fuß⸗Artillerie und Detachements. In besonderer Lineatur sind die Eisenbahnen, Hauptrouten, 6. straßen und Kanaͤle angedeutet, auch die Höhenmessungen in Metern angegeben und der Ortölage Rechnung getragen.
= Von , den „Denkwürdigkeiten aus dem Leben des Fürsten Bismarck! des Verfassers von 12 Jabre deutscher Politik. (Leipzig. Verlag der Renger schen Buchhandlung, Gebhard und Wilisch!, ist soeben die zweite Lieferung erschsenen, welche die Zeit von 1848 bis zu der Thätigkeit des Herrn von Bismarck als Ge— sandten am Bundestage umfaßt. Wir werden nach Vollendung des Werkes noch einmal darauf zurückkommen.
Im Verlage
M 11S.
Zweite Beilage zum Deutschen Reichs⸗Anzeiger und Königlich Preußischen Staats⸗-Anzeiger.
1890.
Berlin, Freitag den 16. Mai
—
Parlamentarische Nachrichten.
Schlußbericht der vorgestrigen (59.) Sitzung des Hauses der Abgeordneten. Zur ersten Berathung steht der Antrag des Abg. Graf (Hohenzollern) auf Annahme eines Gesetz⸗ entwurfs, betreffend die Ent schädigung für am Milz⸗ brand gefallene Thiere in den Hohenzollernschen Fürsten⸗ thümern. .
Der Antragsteller Abg. Graf (Hohenzollern) führt in seiner Begründung aus, daß der Gesetzentwurf lediglich eine Nachbildung des 8. 2 des preußischen Gesetzes über die Aus⸗ führung des Reichs⸗Seuchengesetzes vom 12. März 1881 sei in seiner Anwendung auf an Milzbrand gefallene oder wegen dieser Krankheit getödtete Pferde oder Rinder. .
Minister für Landwirthschaft 2c. Dr. Freiherr Lucius von Ballhausen: ö
Meine Herren! Der Milzbrand ist eine Krankheit, die verhältniß mäßig nur örtlich beschränkt vorkommt in allen Provinzen der Mon— archie. Die Krankbeit ist offenbar an örtliche Schädlichkeiten ge— bunden. In den Ortschaften, wo Milzbrand vorkommt, sind die Verluste wiederkehrend sehr bedeutend; die Zahl dieser Ortschaften, die Zahl der getroffenen Viehstände aber ist eine geringe.
Diese Gesichtspunkte sind es wesentlich, welche die Königliche Staatsregierung bei der Reichs⸗Seuchengesetzgebung sowohl wie bei der preußischen Seuchengesetzgebung davon abgehalten haben, den Milzbrand unter diejenigen Krankbeiten zu subsummiren, für die Zwangs⸗ versicherungsverbände gebildet sind. Es handelt sich bier überhaupt nicht um eine Entschädigung, die der Staat als solcher dem Vieh— besitzer leisten würde, sondern es handelt sich um Bildung von Zwangsverbänden sämmtlicher Viehbesitzer, die denjenigen schadlos halten sollen, welcher von Seuchen betroffen wird.
Diesen Gesichtspunkt, daß verhältnißmäßig die Zahl der Ort schaften, in denen sie vorkommen, eine beschränkte ist, glaube ich be— gründen zu müssen durch die Mittheilung der statistischen Uebersicht der letzten 10 Jahre über die konstatirten Milzbrandfälle. Danach sind im Staat Preußen in den Jahren von 1884 bis 1889: 758 — 707 — 818 — 866 — 650 — 630 — 879 Gchöfte betroffen worden. Die Zahl des Rindviehes, was an Milzbrand eckrankt und gestorben ist — und das ist auch eine Eigenthümlichkeit dieser Krank— heit, daß sie fast immer tödtlich und sehr rapide verläuft, gewöhnlich innerba b 24 Stunden, häufig in noch kürzerer Zeit, sodaß der Fall, der bei den anderen Seuchen vorkommt, daß auf polizeiliche An= ordnung einmal der Charakter der Seuche festgestellt werden kann, und dann die polizeiliche Tödtung des Viehbestandes oder wenigstens des erkrankten und seuchenverdächtigen Viehes angeordnet werden kann, nicht vorliegt und praktisch unausführbar ist — ich sage also: die Zahl der gefallenen Stücke Rindvieh hat in dieser Zeit betragen: 116027, 1043, 1232, 885, 830, 1129 Stück per Jahr. Das repräsentirt noch nicht voll 1 Stück Vieh auf 10000; ein Beweis, daß die Verbreitung dieser Krankheit keine sehr zahl reiche ist. Ich gebe dabei zu, daß die konstatirten Fälle keineswegs alle umfassen, die vorgekommen sind, weil der Viehbesitzer in der Regel sehr verständiger Weise den Kadaver iligst vernichtet, tief
eingräbt, mit Säuren oder Kalk begießt und auf diese Weise die Quelle künftiger Ansteckung zuschüttet. Diese Zahl wird also wahr⸗ scheinlich thatsächlich überstiegen, — aber, ob in einem erheblichen Maße, das entzieht sich unserer Beurtheilung.
Diese Gesichtsvunkte sind es gewesen, welche dazu geführt haben, bei der Viehseuchengesetzzebung diefe Krankheit nicht mit einzubeziehen. Es handelt sich daher mehr um den Schutz der Majorität der Vieh besitzer gegen eine derartige pekuniäre Zumuthung, als wie um irgend ein Staatsinteresse, oder um fiskalische Rücksichten. .
Wenn nun diese Thatsachen auch so liegen, so kann ich doch demgegenüber nicht die Thatsache, die auch der Herr Vorredner an— geführt hat, in Abrede stellen, daß einzelne süddeutsche Staaten, in denen die Verhältnisse ähnlich liegen wie in Hohenzollern, gesetzlich den Milzbrand mit zu den entschädigungspflichtigen Seuchen gezogen haben, und daß auch dort nicht der Stagt, sondern der Verhand der Viehbesitzer eine Entschädigung leistet. In den süddeutschen Staaten wo es sich um sehr dicht bevölkerte Gegenden handelt, wo vielfach in den Gemeinden noch ein gemeinsamer Weidegang des Viehes statt— findet, wo die Veterinärbeamten leicht erreichbar sind, liegen die Ver= hältnisse allerdings derartig, daß die Durchführung eines solchen Gesetzes weniger Schwierigkeiten bietet wie in den östlichen Provinzen der Monarchie, welche durchaus verschiedene Verhältnisse bieten. Mit Rücksicht auf den Umstand, daß das Land Hohenzollern von den Staaten Württemberg und Baden eingeschlossen ist, die diese Entschädigungspflicht in ihre Gesetzgebung aufgenommen haben, würde ich daher Namens der Kö—
niglichen Staatsregierung keinen Anlaß haben, einem solchen Antrage, wie dem bier vorliegenden — also örtlich beschränkt auf eine be— stimmte Provinz oder einen Regierungsbezir? — entgegemutreten. Es würde allerdings darin ein Präjudiz liegen für eine Ausdehnung dieser Form der Entschädigungspflicht quf andere Provinzen, Falls deren Provinzialvertretang entsprechende Anträge stellen würde. Thatsächlich kann ich in dieser Beziehung konstatiren, daß von sämmtlichen Pro⸗ vinzialverbänden und landwirthschaftlichen Vereinen bisher nur von dem Provinzialverband der Rheinprovinz — wo ja ähnliche Verhältnisse obwalten: parzellirter Besitz, dichte Bevölkerung u. dgl. — ein analoger ähnlicher Antrag an die Königliche Staatsregierung gekommen ist, um auch dort die Möalichkeit, eine Entschädigung für Milzbrand seuchenfälle zu gewähren, einzuführen. Ich glaube, aus dieser That—⸗ sache ist zu schließen, daß von der Fakultät, die also hier für eine exklarirte Provinz von dem Umfange eines kleinen Regierungsbezirks gewährt wird, nicht ohne Weiteres generelle Konsequenzen für andere Provinzen gezogen zu werden brauchen. In jedem Falle würde ich
lauben, wenn die beiden Häuser des Landtags der Meinung sind, daß gi Hohenzollern dieser Gesetzentwurf annehmbar ist, daß Seitens der Königlichen Staats regierung der Sache keine besondere Schwierigkeiten entgegengestellt werden. ;
Abg. Fritzen (Borken) beantragt die Ausdehnung des Gesetzes auf die ganze Monarchie. In der Rheinprovinz trete die Milzbrandkrankheit nicht sporadisch, sondern geradezu epidemisch auf; der rheinische Provinzial Landtag babe in diesem Sinne schon mehrere Male resolvirt. Weshalb hätte man auch sonst diese Gesetze in Württemberg, in Baden, in Elsaß-Lothringen gemacht? Die Lungenseuche trete jeden⸗ falls in der Rheinprovinz viel sporadischer auf, als der Milz= brand; gleichwohl bestehe für jene längst die Entschädigungs⸗ pflicht. Aus allen Theilen des Hauses sei die Bitte an ihn n worden, seinen Ausdehnungsantrag nicht auf die
heinprovinz zu beschränken, sondern ihn auf den ganzen Staatsbereich zu erstrecken. ; ; . ö
Abg. von Jagow: Die konservative Partei wird für den Antrag Graf stimmen, dagegen muß sie Bedenken tragen, den Antrag Fritzen schon heute anzunehmen, so sehr er der allgemeinen Stimmung innerhalb der Partei entgegenkommt. Wollte man dem Antrag näher treten, so würze eine Kom⸗ missionsberathung unumgänglich sein, bei der Unsicherheit der Ge⸗ schäftslage aber sei die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß
dann aus der Sache in dieser Session nichts mehr werden würde. Der hohenzollernsche Kommunal-Landtag habe sich schon geäußert, die übrigen Provinzial-Landtage noch nicht.
Minister für Landwirthschaft ꝛc. Dr. Freiherr Lucius von Ballhausen:
Meine Herren, ich habe mich über den Antrag Fritzen vorher nicht geäußert, weil er erst zur zweiten Lesung gestellt war; nachdem er aber bereits diskutirt und begründet worden ist, glaube ich, im Anschluß an die letztgehörten Aeußerungen, meine vorherigen Aus⸗ führungen noch ergänzen zu müssen.
Die Versicherungspflicht für die anderen Seuchen ist keine kom⸗ munale Pflicht, sondern der Provinzial⸗Kommunalverband ist bloß der administrative Träger dieser Versicherung, und der Versicherer und die Versicherten sind eben lediglich die Rindviehbesitzer. Insofern ist auch jetzt schon der Provinzialverband nicht derjenige, wie bereits ausge⸗ führt, der die Schadloshaltung leistet, sondern er zieht nur die Beträge ein von den Viehbesitzern und vertheilt sie an diejenigen Viehbesitzer, die geschäꝛigt worden sind dadurch, daß auf polizeiliche Anordnung Thiere getödtet worden sind. Beziehungsweise ist Entschädigung auch zu leisten für Thiere, die in der Zwischenzeit zwischen der Anordnung der Tödtung und der Ausführung gefallen sind. Es ist also neu in dem vorliegenden Antrag, daß für Vieh, was an Krankbheit gefallen ist, überhaupt eine Entschädigung und Schadloshaltung dem Besitzer geleistet werden soll; das hitte ich festzuhalten. Es würde daher auch nicht thunlich sein, daß ein Kreis⸗Kommunalverband sich zu einem Versicherungsverband als solcher als Kommunalsache konstituirt, sondern ich würde nur glauben, daß innerhalb eines Kreises sich gerade so wie die Viehladen, die ja in der Rhein⸗ provinz und in Süddeutschland in großer Ausdehnung existiren, ein freiwilliger Versicherungsverband der Viebbesitzer bildet. In einer anderen Form halte ich das für den Kreis ⸗ Kommunalverband als solchen nicht für zulässig.
Dann möchte ich noch einen Irrthum, zu dem ich vielleicht Anlaß gegeben, aufklären. Es sind über diese Frage nicht sämmtliche Pro- vinzialverbände gehört worden, sondern ich habe gesagt: es sind bisher bloß Anträge von Seiten der Rheinprovinz gekommen und von Seiten er Hohenzollernschen Lande, die sich in der Richtung bewegt haben, wie hier der Antrag Graf Ich würde daraus aber allerdings die Schlußfolgerung ziehen, daß bisher in den übligen Provinzen eine Neigung zur Ausdehnung der Versicherungspflicht nicht vorliegt, sondern eher das Gegentheil. Insofern scheint mir auch der Antrag des Hrn. Fritzen verfrüht und, wie mir scheint, selbst übereilt. Es würde die Annahme desselben zur Folge haben, daß der Gesetzentwurf für die Hohenzollernschen Lande in dieser Session nicht zu Stande kommt. Das, glaube ich, würde der einzige praktische und unmittelbare Effekt sein. Er würde aber, meine ich, auch in anderer Richtung förderlicher handeln, wenn er diesen Antrag jetzt zurück ziehen wollte, um den Gesetzentwurf für die Hohenzollernschen Lande zu Stande kommen zu lassen. Denn das ist klar, wenn für einen Provinzialverband, wo allerdings homogentre Verhältnisse, wie in den meisten östlichen Provinzen, der Gesetzentwurf eingeführt würde, so würde die Konsequenz allerdings schwer abzulehnen sein für andere Provinzial verbände, welche ähnliche Gesetze beantragen. Es würde dann in der That schwierig sein und für die Königliche Staatsregierung auch meines Erachtens gar kein Anlaß vorliegen, sich dagegen zu wehren, wenn in anderen Provinzen diesem Vorgange gefolgt wird.
Ich möchte nur auf einen Punkt hinweisen, den ich vorher nicht näber ausgeführt hatte, daß nämlich bei dem Milzbrand ganz besondere Verhältnisse auch insosern vorliegen, als es in höchstem Maße un— erwünscht ist, den Milzbrandkadaver längere Zeit unverscharrt liegen zu laͤsfen, um durch Herbeiführung eines Sachverständigen konstatiren zu lassen, daß der Todesfall Milzbrand gewesen ist. Gerade der Kadaver in allen seinen Theilen und die Ausflüsse sind die Träger der Sporen, die sich in unglaublich schneller Weise vermehren und die an dem Orte, wo ein Kadaver gelegen hat, haften, wie man annimmt, Jahre lang, viele Jahre lang. Es ist die Pasteur'sche Theorie bekannt, der an— nimmt, daß selbst durch die Bewegung der Regenwürmer in dem Boden schon diese Milzbrandsporen wieder zum Vorschein kommen können, an Pflanzen und Futter haften, was von dem vorübergehenden Vieh wieder aufgenommen wird, so daß sich dadurch schädliche In— sektionsherde von fast unbegrenzter Dauer entwickeln können. Die Kehrseite der Sache liegt also für die nicht so eng bevölkerten Pro⸗ vinzen einmal darin, daß die Kadaver länger aufbewahrt werden, um den Seuchefall zu konstatiren, sodann auch darin, daß jeder Fall einer plötzlichen Erkrankung und schnellen Todes eines Thiereö von dem Betreffenden als Miljbrandfall liquidirt werden wird, daß also sehr wohl auch hierin Täuschungen vorkommen können zu Ungunsten der übrigen Viehbesitzer. Ich sage also, es liegen hier die Dinge pro⸗ vinziell avßerordentlich verschieden und das spricht für eine provinzielle Regelung, die in diesem Fall mehr angezeigt ist, wie bei irgend einer anderen Materie. . ; .
Dennoch kann ich nur wiederholt dazu ratben, die heutige Dis kussion auf den Antrag Graf zu beschränken und von der Ausdehnung auf andere Provinzen oder gar auf die ganze Monarchie abzusehen, denn einem solchen Beschlusse würden erhebliche Schwierigkeiten entgegenstehen.
Der Abg. Fritzen zieht hierauf seinen Antrag zurück,
In zweiter Lesung wird darauf, der Antrag des Abg. Graf angenommen, desgleichen eine von den Abgg. von Jagow und von Eynern eingebrachte Re solution, in welcher die Staatsregierung aufgefordert wird, den Provinzial— verbänden die Frage der eventuellen Ausdehnung dieses Ge⸗ setzes auf die gesammte Monarchie vorzulegen und dem Land⸗ tage in der nächsten Session eine bezügliche Vorlage zu machen. . ö
Es folgen Wahlprüfungen. .
Die Wahlen der Abgg. von Nathusius und Kiepert (3. Posen), von Oertzen, Gohlke und von Born⸗Fallois (2. Bromberg) werden ohne Debatte für gültig erklärt; die Wahl der Abgg. von Hergenhahn und Metz ler beschließt das Haus zu Deanstanden und eine Reihe von der Wahl⸗ prüfungskommission beantragter Erhebungen vornehmen zu lassen.
Die Beanstandung wird von der Wahlprüfungskommission auch bezüglich der Wahlen der Abgg. von Koerher und von Puttkamer (Gr. Nipkau) beantragt und Ermittelungen über einzelne Vorgänge bei diesen Wahlen gefordert.
Ueber diese Vorgänge entspinnt sich zwischen den Abgg. von Puttkamer (Plauth) und Rickert eine längere Dis⸗ kussion. h Abg. Strutz beantragt, die Wahl des Abg. von Koerber für gültig zu erklären und nur die Wahl des Abg. von Putt— kamer zu beanstanden.
Abg. Fritzen (Rees) ersuchte den Abg. von Puttkamer und den Abg. Rickert, ihre Stieitsache dort , , wohin sie gehöre, nämlich im Reichstage. Dem Antrage Strutz könne er nicht zustimmen, da die vorgeschlagenen Erhebungen
doch sämmtlich stattfinden müßten. fn reiherr von Zedlitz und Neukirch tritt für
die Gültigkeit der Wahl des Hrn. von Koerber ein.
Ein Schlußantrag wird angenommen.
In persönlicher Bemerkung weist der Abg. Rickert die während der Debatte von dem Abg von Puttkamer aufgestellte Behauptung zurück, daß er den Kaiser Friedrich für einen Freisinnigen . und erklärt habe. Er sei niemals dieses Glaubens gewesen. .
Abg. von Puttkamer (Plauth): Die freisinnige Partei und also doch auch der Abg. Nickert hat sich 1888 an der Verbreitung der Mythe im Volke betheiligt, daß Kaiser Friedrich Einer der Ihren sei. .
Abg. Rickert: Hiernach bleibt mir nichts Anderes übrig, als die Behauptung des Abg. von Puttkamer als eine bewußte Unwahrheit zu bezeichnen. .
Präsident von Köller ruft den Abg. Rickert wegen dieser Aeußerung zur Ordnung.
Abg. von Puttkamer (Plauth); Daß der Abg. Rickert das persönlich nicht gethan hat, bezweifle ich nicht. Aber die ganze Haltung seiner Partei und seiner Presse damals beweist, daß ich Recht habe. ( 36
Der Antrag Strutz wird verworfen, die Kommissions⸗ anträge gelangen mit großer Mehrheit zur Annahme.
(Schluß 4 Uhr.) .
— In der vorgestrigen Sitzung des Hauses der Ab⸗ geordneten bemerkte bei der. Berathung des Gesetz⸗ entwurfs, betreffend die Abänderung einiger Be— stimmungen wegen der Wahl von Stadtverordneten, der Minister des Innern Herrfurth:
Meine Herren! In den Ärtikel II. ist auf Antrag des Hrn. Abg. Zelle die Bestimmung aufgenommen worden, daß die Vorschrift des Ärtikels J. auch Anwendung finden solle auf diejenigen Städteordnungen und Gemeindeverfassungsgesetze, welche gleichlautende Bedingungen wie die Städteordnung vom Jahre 1853 enthalten. Jedoch ist in Betreff der 55 13 und 20 der Städteordnung für die Rheinprovinz eine Maßgabe hinzugefügt, welche dalin lautet: j
Diese Bestimmungen werden abgeändert, mit der Maßgabe, daß in der Rheinprovinz an die Stelle des Magistrats der Bürger meister tritt. ; .
Nun enthält die Städteordnung für die Rheinprovinz die Be— stimmung, daß unter gewissen Kautelen an Stelle der Bürger⸗ meisterverfassung die Magistratsverfassung eingefuhrt werden kann, und der 5§. 74 der Rbeinischen Städteordnung bestimmt, daß alsdann in einer Reihe von Fällen die Befugnisse, die der Bürgermeister nach dieser Städteordnung hat, auf, den Magistrat übergeht. Darunter sind auch genannt die §§. 13 bis 20. Ich glaube deshalb annehmen zu sollen — möchte allerdings aber auch gern Seitens des Herrn Antragstellers das Einverständniß hiermit konstatirt sehen, — daß, wenn nun in einer Stadt der Rheinprovinz, wo nach Maßgabe des Artikels II. an Stelle des Magistrats der Bürgermeister treten soll, von der Befugniß der Einführung der Magistratsverfassung Gebrauch gemacht wird, dann wieder ex lege an Stelle des Bürgermeisters der Magistrat eintritt.
Bei der Berathung des Antrages der Abgg. Lassen und Johannsen, betreffend die Wiederaufnahme e Angehbriger des Herzogthums Schleswig in den preußischen Unterthanenverband, erklärte der Minister des Innern Herrfurth: ö ; .
Der Antrag, den der Abg. Lassen im Verein mit dem Abg. Johannsen gestellt und den er soeben in einer mir leider größtentheils unverständlich gebliebenen langen Ausführung erläutert hat, ist nicht gerade ganz neu. Denn er ist fast wörtlich gleich⸗ lautend bereits in der vorigen Session gestellt worden, damals aber nicht zur Diskussion gelangt. Und das war eigent— lich für diesen Antrag recht günstig, denn die gründliche Prüfung, welche der Abg. Lassen für diesen Antrag verlangt, kann derselbe absolut nicht vertragen. Der Antrag enthält wenig Neues, Gutes enthält er aber überhaupt nicht. Was an dem Antrage neu ist, das ist das Wort „bedingungslos.“ Es ist das Glanzlicht, was die Herren ihrem Antrage aufgesetzt haben, indem sie fordern, daß jedem der dänischen Optanten, Jedem, der vor 1878 aus Nordschleswig nach Dänemark ausgewandert ist, auf seinen Antrag bedingungslos die Naturalisation ertheilt werden soll.
Meine Herren, das ist ein Glanzlicht, welches die Unzulässigkeit dieses Antrages noch viel schärfer hervortreten läßt. Es ist wirklich eine etwas eigenthümliche Zumuthung, welche die Herren Antragsteller und Diejenigen, welche den Antrag unterstützt haben, an die Königliche Staatsregierung stellen. Sie verlangen von ihr, daß sie an die Regierung in Schleswig — nebenbei gesagt eine falsche Adresse, denn die Ertheilung der Naturalisatlonen gehört nicht zur Kompetenz der Regierung, sondern des Regierungs⸗Präsidenten — eine Anweisung richten soll, welche nicht etwa nur mit den maß gebenden Verwaltungsgrundsätzen, sondern auch mit klaren Bestimmungen der in rechtlicher Giltigkeit bestehenden Gesetze in direktestem Widerspruch stehen würde. .
Meine Herren, nach dem Reichsindigenatsgesetz hat kein Aus- länder ein Recht auf Naturalisation. Die Frage, ob die Ehre und der Vortheil einer Aufnahme in den Staats— verband, einer Verleihung der Staatsangehörigkeit und damit einer Verleihung der Reichsangehörigkeit einem Ausländer zu Theil werden sollen, liegt in dem Ermessen der höheren Verwaltungsbehörden. Das Gesetz bestimmt aber gewisse Fälle, in denen sie von dieser Ermäch⸗ tigung nicht Gebrauch machen darf, in welchen die Aufnahme in den AUnterthanenverband geradezu untersagt wird. Der §. 8 des Indigenatsgesetzes untersagt die Ertheilung der Naturalisation an Personen, welche nicht dispositionsfähig sind, an Personen, welche bescholten sind, an Personen, welche sich kein Unterkommen zu verschaffen vermögen oder welche sich und ihre Angehörigen nicht zu ernähren vermögen. Ueber die beiden letzteren dregen soll die betreffende Gemeinde oder der Ortsverband gehört werden.
Und in direktestem Widerspruch mit diesen reichsgesetzlichen Bestimmungen verlangen die Herren Antragsteller, daß ohne Ruͤcksich: auf die Erklärung der Gemeinde, ohne Rücksicht, ob Jemand be⸗ scholten sei, ob er dispositionsfähig sei oder nicht, sofern er nur zu diesen Optanten gehört, sofern er nur vor 1878 ausgewandert ist — daß ihm die Naturalisation ertheilt werden müsse!
Meine Herren, nun kommt noch ein zweiter Punkt hinzu; die Antragsteller verlangen, daß alle militär⸗ pflichtigen Naturalisirten den Altersklassen gleichzustellen seien, denen sie angehören, und dies steht wiederum in direktestem Wider= spruch mit dem 8. 11 des Reichs ⸗Militärgesetzes und dem 5. l der Wehrordnung und ist für die innere Bedeutung dieses Antrages sehr bezeichnend. Denn gerade bon Denjenigen, welche vor 1878 aus gewandert sind, ist ein großer Theil nur aus dem Grunde aus gewandert, um sich der Militäͤrpflicht zu entziehen, und jetzt stellen die Herren den Antrag, diesen Personen eine Prämie dafür zu er theilen, daß sie sich der Militärpflicht entzogen haben.
Ber Antrag ist, so wie er gestellt ist, absolut unzulässig, denn