Verhältnissen ist es sicher viel richtiger, der Sache eine wohl⸗ geordnete gesetzliche Grundlage zu geben.
Abg. Freiherr von Stumm: Ich habe die Ausführungen des Abg. Miquel so bekämpft, wie er sie eben gemeint hat. Für meine persönlichen Verhältnisse trete ich hier nicht ein. Ich bin Abgeordneter des Deutschen Reichstages und Vertreter des deutschen Volkes.
(Schluß 5/4 Uhr.)
— Schlußbericht der gestrigen (62) Sitzung des Hauses der Abgeordneten. Fortsetzung der Berathung des Nach⸗ trags zum Staatshaushalts⸗Etat.
Unter⸗Staatssekretär Meinecke: Die Regierung hat durch den Vorschlag, die Stellenzulage in das Ordinarium aufzunehmen, nur das Prinzip der Stellenzulage anerkannt wissen wollen. Merkmale für die Gewährung der Stellen⸗ zulagen sind die Theuerung der Orte, an denen die Beamten leben müssen, Abgelegenheit der Orte und die dadurch hervorgerufene Unbequemlichkeit des Dienstes, wie es z. B. bei. Oberförstern und Förstern der Fall ist, die schon seit längerer Zeit Stellen⸗ zulage erhalten. Ferner würden hier die Steueraufseher an der Grenze in Betracht kommen. Zum Grenzbewachungsdienst gehören rüstige, junge Leute, die Tag und Nacht auf dem Posten sein müssen, zumal die Schmuggelwege sich ändern wie die Handelswege. Für diesen besonders anstrengenden Dienst ist eine Zulage erforderlich, und das ist die Stellenzulage. Wenn dieselben Beamten, die später in den bequemeren Abfertigungsdienst übergehen würden, wegen ganz besonderer Qualifikation im Grenzdienst behalten werden, so gehört auch dafür eine Stellenzulage. Aehnlich steht die Sache bei dem schwierigen Dienste in der Huckerindustrie. Für die Regierung handelt es sich um die Stellen und nicht um die Personen, und darum bitte ich, dem Vorschlage der Regierung zu ent— sprechen. 4
Abg. Bachem ist für den Vorschlag der Budgetkommis— sion, aus dem Niemand ein Recht herleiten kann, die Stellen— zulage auch künftig zu erhalten.
Der Regierungs-Kommissar Geheime Ober⸗Finanz⸗Rath Lehnert spricht sich gegen den Antrag des Abg. Dr. Sattler aus, der bei Weitem zu eng gefaßt sei. Die Regierung beab— sichtige, die Stellenzulage nicht bloß solchen Unterbeamten zu gewähren, welche diesmal eine einmalige Gehaltszulage erführen; auch die mittleren und übrigen Unterbeamten seien für Stellenzulagen ins Auge gefaßt.
Abg. von Tiedemann (Bomst): Ich befinde mich mit den Ausführungen des Abg. Rickert im Einverständniß, komme aber zu ganz anderen Schlußfolgerungen. Ich halte es über— haupt für Silbenstecherei, über die etatsmäßige Behandlung der Bestimmung eines Nothgesetzes in so umfassender Weise zu verhandeln. Auch ich will den Beamten klarmachen, daß es auch einmal mit den Zulagen anders werden kann, dazu genügt aber die Fassung der Kommission. Die Theuerungszulagen, wie es der Abg. Bachem will, weiter aus— udehnen, möchte ich entschieden ablehnen; es würde sonst jeder kleine Ort kommen, um uns zu demonstriren, daß er der theuerste sei. Der Wohnungsgeldzuschuß gleicht die Theuerungsverhältnisse genügend aus, und die für Frankfurt a. M. und Berlin ausnahmsweise bewilligten Zulagen dürfen nicht auf weitere Städte ausgedehnt werden. Ich bitte, die Fassung der Budgetkommission anzunehmen.
Abg. Bödiker ist aus etatsrechtlichen Gründen gegen die Anträge der Abgg. Rickert und Dr. Sattler.
Abg. Knauer (Altona) bittet, bei der Vertheilung der Stellenzulagen die Altonaer Beamten zu berücksichtigen.
Unter Ablehnung aller Abänderungsanträge wird der Titel nach dem Vorschlage der Budgetkommission mit dem Vermerk „Bewilligungen aus diesen Fonds sind nur für das Etats jahr 1890 91 zulässig“ angenommen.
Zu Dienstalterszulagen, sonstigen persönlichen Zulagen und Unterstützungen für Lehrer und Lehrerinnen werben 3 000 000 S6 gefordert.
Abg. Broemel weist auf die unangenehmen Konsequenzen des gegenwärtigen mechanischen Modus der Zuwendung der Dienstalterszulagen hin und bittet, sobald weitere Mitten ver— fügbar sind, die Dienstalterszulagen allen Gemeinden ohne Rücksicht auf die Einwohnerzahl und Bedürftigkeit zuzuwenden. Die Leistungen der Kommunen, die heute keine Dienstalters— zulagen erhalten für ihre Schulen, werden durch die Ge— währung derselben in keiner Weise herabgemindert werden.
Abg. von Sczaniecki bittet die Regierung, die Ver— kürzungen, welche die Lehrer durch unfreiwillige Versetzung gus dem Osten nach dem Westen an Dienstalterszulagen er— litten haben, auszugleichen.
Abg. Dr. Arendt hebt hervor, daß 2 aller Lehrer aus den geforderten drei Millionen eine Erhöhung ihres Gehalts nicht erhalten werden. Es seien ausgeschlossen alle Lehrer in Städten über 190090 Einwohner und alle, die das 15. Dienst— jahr noch nicht überschritten haben; das sei die Hälfte sämmt⸗ licher Lehrer, die überhaupt Dienstalterszulagen erhielten.
Abg. von Jagow erklärt, Bedenken tragen zu müssen, den Kommunen ihre Lasten wieder zu erhöhen, nachdem sie vor Kurzem erst erleichtert worden seien. Im Namen seiner Fraktion richtet er an die Königliche Staatsregierung die Bitte um genauere Präzisirung dessen, was sie zu thun gewillt sei. Gegenüber dem Abg. Broemel erklärt er, daß die frei⸗ sinnige Partei es leicht habe, jeder Zeit geben zu wollen, h sich klar zu machen, woher die Mittel genommen werden
ollen.
Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Dr. von 36 3 , .
Meine Herren! Es sind die Ausführungen des le Redners, welche mich zu einer kurzen Erroit ce ang . . Erklärung, welche mein Kommissarius in der Berathung der Budget—⸗ kommission abgegeben hat, erkenne ich als durchaus zutreffend und von mir gebilligt an. Es ist richtig, und' das Fäbe ich, glaube ich, (schon bei einer anderen Angelegenheit anerkannt, daß Lurch Erhöhung der Dienstalterszulagen! die Gemeinden etwas höher bei der Pensionirung von Lehrern getroffen werden können insofern dieselben die auf die erhöhte Dienstalterkzulagen enthaltenden Beträge der Pension zu zahlen haben. Es tritt dieser Fall ein, wenn die 500 6 Staatszuschuß zur Deckung der Pension nicht ausreichen, und das Stelleneinkommen nicht zu derselben herangezogen werden kann. Aber wie es schon heute geschieht, so liegt es auch für die Zukunft in meiner Absicht, diejenigen Gemeinden, welche irgend⸗ wie hart getroffen werden sollten durch die Nothwendig⸗ leit, erhöhte. Pensionsbeträge zu zahlen und zwar Fo hart, daß sie eben in ihren Leistungsfähigkeitsverhältnissen alterirt werden könnten, aus dem Fonds Kap. 121 Tit. 34 zu unter- stützen. Das geschicht schon heute, Wir dürfen daran festhalten, daß, nachdem das Gesetz von 1888 über die Erleichterung der Volkz— schullasten für die Leistungsfähigkeit der Gemeinden gewisse Grenz⸗
linien gejogen hat, nicht mit ausdrücklichen Worten, aber durch die Voraussetzungen, aus denen das Gesetz herausgegangen ist, — fortan die Unterrichtsverwaltung einen anderen Maßstab an die Beur⸗ theilung des Unvermögens und der Leistungsfähigkeit der Schul— verbände anlegt, als das früher der Fall war. Ich kann also nur versprechen, daß ich, soweit irgend meine Mittel reichen und soweit ich irgend ein praktisches Bedürfniß bierfür erkenne, auf dem in der Kommission von meinem Kommissar erwähnten Wege fort— schreiten werde.
Auf eine Anregung des Abg. Dr. Mithoff erklärt der ,, , , Geheime Dber⸗Finanz⸗Rath Germar, daß aus dem in Rede stehenden Fonds an Gemeinden über 10 000 Einwohner, auch wenn das Bedürfniß nachgewiesen sei, keine Zahlungen erfolgen sollen.
Der Titel wird bewilligt, damit sind die dauernden Aus— gaben erledigt.
Zur Schiffbarmachung der Fulda von Münden bis Kassel werden als erste Rate 106 000 S gefordert.
Die Budgetkommission beantragt die Bewilligung und die Annahme folgender Resolution:
„Die Regierung aufzufordern, eine eingehende Untersuchung anzustellen, ob bei der Kanalisation der Fulda die Wahl des west— lichen oder des östlichen Fulda⸗ Armes den Vorzug verdient.“
Abg. Dr. Mithoff plädirt dafür, daß die Schleuse des kanalisirten Flusses nicht in dem westlichen, sondern im öst— lichen Arm der Fulda angelegt werden soll.
Die Position für die Vorarbeiten des Dombaus und der Fürstengruft, sowie für den Interimsdom hat die Kommission abgelehnt. Das Haus tritt diesem Beschlusse ohne Debatte bei.
Die Einnahme wird ohne Debatte bewilligt, ebenso das Etatsgesetz.
Damit ist die zweite Berathung des Nachtrags-Etats beendet.
Zahlreiche Petitionen von Beamten und Lehrern werden durch die gefaßten Beschlüsse für erledigt erklärt, Petitionen von Eisenbahn-Betriebssekretären, Bureau⸗Assistenten, tech⸗ nischen Bureau⸗Diätareu, Bahnwärtern, Hülfsbremsern und Hülfsweichenstellern der Regierung als Material überwiesen.
(Schluß 35/9 Uhr.)
Statiftik und Volkswirthschaft.
Zur Arbeiterbewegung.
Wie der „Elberf. Ztg. aus Hagen geschrieben wird, sind die Lohnstreitigkeiten zwischen den dortigen Tischlermeistern und JTesellen in einer Sitzung der beiderseitigen Kommissionen am Sonnabend vollständig ausgeglichen worden. Die Meister bewilligten 1500 Lohnerhöhung bei Tagelohn und 100 bei Akkordarbeit, ferner wurde die 11 stündige Arbeitszeit auf 103 Stunden her abgesetzt.
Aus Hamburg wird der „Madb. Ztg.“ gemeldet, daß die Strikelust daselbst zum Stehen gekommen sei: man höre nicht mehr von weiterem Umsichgreifen. Wenn auch die Zahl von 30 090 Feiernden um mehrere Tausende zu hoch gegriffen sei, fo dürfe das Lob doch nicht unausgesprochen bleiben, daß das Verhalten der— selben bis auf einzelne Ausnahmen ein ruhiges gewesen sei. Die Kehrfeite der ganzen Strikerei sei aber, daß die Hamburger Sparkasfen seit dem 1. Mai über 600 000 1 auf Arbeiterbücher zurückgezahlt haben. — Einer Meldung der gestrigen Hambh. Börs. H.“ zufolge ist der Strike der Hamburger Eifenindustrie (d. h. der Arbeit. geber) beendet. Der Verband der Eisenindustrie Hamburgs giebt nämlich bekannt, daß, nachdem das Verlangen auf Wiedereinstellung sämmtlicher wegen des 1. Mai Entlassenen von den betheiligten Arbeit ern zurückgenommen ist, von den Firmen des Verbandes gestern mit der Wiedereinstellung begonnen werden sollte.
Aus Hannover meldet W. T. B.“, daß die Spinner der Hannoverschen Spinnerei und Weberei trotz ihrer schriftlich gegebenen Zusicherung, zur Arbeit zurückzukehren, gestern nicht zur Arbeit erschienen sind; nur ein Theil der Spinnerinnen arbeitet. Ber Strike dauert daher fort; die Strikekasse hat von auswärts neuen Zuschuß erhalten. — Eine Versammlung von Seifenfabrikanten aus der Provinz Hannover und den angrenzenden Landestheilen be— schloß einstimmig eine wesentliche Erhöhung der Fabrikate, ent⸗ sprechend der Preissteigerung des Rohmaterials und der Erhöhung der Arbeitslöhne.
In Köln und Umgebung ist, wie der ‚Voss. Ztg.“ telegraphirt wird, in allen Bierbrauereien der Betrieb wieder aufgenommen worden. Alle Ausständigen sind entlassen und ducch auswärtige Ge⸗ sellen ersetzt Die Brauereibesitzer verpflichteten sich außerdem, binnen Jahresfrist keinen der jetzt im Ausstand befindlichen Brauer anzunehmen.
.Der Strike der Schuhmacher in Frankfurt a. M. ist, wie in einer Versammlung am Sonnabend mitgetheilt wurde, als beendet anzusehen Die seit dem 21. April unterbrochene ÄÜrbeit sollte, dem „‚Frkf. Journ. zufolge, heute wieder aufgenommen werden. Im Ganzen waren ea. 560 Gesellen im Ausstande, davon lösten Strikekarten 345, abgereist ohne Karte sind 150. 50 Meister er⸗ kannten den neuen Lohntarif an, gegen 100 Gehilfen haben sich nicht an dem Strike betheiligt und arbeiteten weiter.
Am letzten Sonntag fand in Breslau eine Versammlung der dortigen Kupferschmiede statt, welche, wie die Schlef. 3tg.“ mittheilt, sich im Allgemeinen nicht gewillt zeigte, in eine Lo hn⸗— bewegung einzutreten.
In Gera faßte eine Versa mmlung von Bürgern und
Geschäftsleuten eine Resolution, welche von der Mgdb. Ztg.“ mitgetheilt wird, und die entschieden gegen die Großfabrikanten für die ausständischen Arbeiter Partei ergreift. — Die letzte Verfam m lung der Weber sprach sich nach längerer Debatte einstimmig dahin aus, die Arbeit unter den von den Fabrikanten gestellten Be— dingungen auf keinen Fall wieder aufzunehmen. Da die Schädigung des ganzen Industriebezirks eine so Überaus große sei, so soll das Ausstandscomits bei dem Fürstlichen Ministerium persönlich vorstellig werden, damit eine beide Theile zufriedenstellende Verein“ barung herbeigeführt werde. „Aus Pilsen wird der ‚Voss. Ztg. telegraphirt, daß gestern früh auf der Pankraz-Zeche, im Hum boldtfchachté und bei den Schachten der Prager Eisenindustriegesellschaft die Arbeit eingestellt wurde. Im Zieglerschacht fuhr die Beleg⸗ schaft ein, schloß sich aber kurz darauf dem Ausstand an. Bei den Schachten der Pankraz Zeche rissen feiernde Arbeiter das Feuer unter den Dampfkesseln heraus.
In Kopenhagen beschloß gestern, wie ‚W. T. B. meldet, eine von allen dortigen Schiffsrhedern abgehaltene Ver“ sammlung einstimmig, die von den Heizern und' einer größeren Anzahl von Matrosen gestellten . abzulehnen und an den bisherigen Lohnbedingungen festzuhalten.
Der Stzike in Bilbao scheint, nach einer Meldung des ge f scen Bureaus‘ aus Madrid, beendet; es herrscht Überall
tuhe.
Evangelische Arbeitervereine.
Der Centralvorstand des Erangelischen Bundes hat an die Haupt— und Zweigvereine ein Rundschreiben gerichtet, worin er die Begrün⸗ dung (vangelischer Arbeitervereine empfiehlt, deren Statuten folgende fünf Punkte enthalten sollen: 1) Treue zu pflegen gegen Kaiser und Reich; 2) sittliche Hebung und allgemeine Bildung seiner Mitglieder anzustreben; 3) feine Mitglieder in Krankheits. und Sterbefällen zu unterstützen; ) unter den Glaubensgenossen das evangelische Be⸗ wußtsein zu. wecken und zu fördern; 5) Wahrung und Pflege eines fried= lichen Verhältnisses zwischen Arbeiter und Arbeitgeber. In dem Rund⸗
schreiben heißt es: Insbesondere ist darauf hinzuweisen, daß bei dem Taumel, welcher heut zu Tage einen großen Theil unseres Volkes ergriffen hat, es vor Allem darauf ankommt, vorbeugend zu wirken, und Diejenigen, welche den Lockrufen der sozialdemokratischen Versucher bisher noch kein Gehör geschenkt haben, zu sammeln, vor moralischer Ansteckung zu bewahren und in den religiös, sittlichen Grundsätzen, welche das Evangelium predigt, von Neuem zu be—⸗ festigen. Diese Arbeit darf nicht bloß den Fabrikarbeitern, Hand werksgehülfen und Tagelöhnern in den Städten gelten, sondern wird sich auch auf die ländliche Bevölkerung, einschließlich der Kleinbauern, überhaupt aber gar nicht auf den im engeren Sinne sogenannten Arbeiterstand allein, sondern auch auf andere Berufekreife, wie namentlich auch auf die zahlreichen Unterbeamten zu erstrecken
Bei diesem seinem an die Haupt- und Zweigvereine des Bundes gerichteten Ersuchen verkennt der Centralvorstand allerdings nicht, daß dem bezeichneten Vorgehen, sofern dasselbe ausdrücklich Namens des Bundes erfolgen würde, eine ernste Schwierigkeit im Wege steht. Evangelische Arbeitervereine, welche sich lebenskräftig entfalten und eine Erfolg versprechende Anziehungskraft üben sollen, können nicht umhin, auch die sozialen Fragen selbst zum Gegenstande der Be⸗ sprechung zu machen. Auch wenn man es, wie bisher in Rheinland und Westfalen, vermeidet, ein bestimmtes sozialpolitisches Pirogramm an die Spitze zu stellen, so-müssen doch nothwendig diejenigen Fragen materieller Art, welche erfahrungsgemäß die sozialdemokratifche Bewegung hervorgerufen haben, in den Versammlungen der evan— gelischen Arbeitervereine zum Gegenstand einer klärenden und belehren— den Erörterung gemacht werden. Denn es handelt sich um materielle Nothstände der ernstesten Art, deren Abhülfe die Arbeiterkreise mit Recht begehren, Nothstände, welche auch in der unvergeßlichen Bot— schaft Kaiser Wilhelm's J. und in den jüngsten Erlaffen des j tzt regierenden Kaisers ausdrücklich als solche anerkannt sind, und auf deren fortschreitende Linderung unsere staatliche Gesetzgebung feit Jahren be—⸗ dacht ist. Aber gerade dieser Umstand legt der Thätigkeit des Bundes eine Beschränkung auf. Der Bund als solcher kann und darf, ohne die ihm gezogenen Grenzen zu überschreiten, ebenso wenig ein sozial · volitisches Programm verkünden, als in die sozial ⸗politische Arbeit selbst und in die zahlreichen mit ihr verbundenen und oft so schwierigen und ver— schiedener Beurtheilung fähigen technischen Fragen sich einlassen. Seine Aufgabe kann nur sein, die großen religiös ⸗sittlichen Gesichtspunkte zu verfolgen, ohne welche alle Bestrebungen für das materielle Wohl der arbeitenden Klassen der einzig gesunden Grundlage entbehren würden, und in diesem Sinne unter feinen Mit⸗ gliedern für die Sache der evangelischen Arbeitervereine anregend und fördernd zu wirken. Gelegenheit, die rechten Mittel hierzu zu be⸗ denken, wird theils in den Besprechungen, der Vereinsvorstände, theils auch in den Mitglieder ⸗Versammlungen in mannigfaltiger Weise ge—⸗ boten werden können.
Hierzu kommt aber schließlich noch eine weitere Erwägung, welche dringend zu besonnenem und vorsichtigem Vorgehen mahnt. Es ist nicht bloß wünschenswerth, sondern geradezu nothwendig, daß überall, wo evangelische Arbeitervereine ins Leben treten, die Geistlichen an der Leitung derselben einen hervorragenden Antheil nehmen. Aber die Geist⸗ lichen sind mit verschwindender Ausnahme nicht in der Lage, über die zahl⸗ reichen, bei Besprechung der sozialen Nothstände in Betracht kommenden technischen Fragen sich ein sachkundiges Urtheil zu bilden. Sie müssen diese Seite der Thätigkeit in den AÄrbeitervereinen anderen erfahrenen Männern, namentlich auch aus den Kreisen der Arbeitgeber und Ge⸗ werbetreibenden überlassen, und ihre eigene Wirksamkeit auf die Pflege echt christlicher und evangelischer Gefinnung unter den Vereinsgenossen beschränken. Sie können nicht dringend genug gewarnt werden, den Arbeitern Ziele vorzuhalten, deren Berechtigung sie nicht zu beurtheilen, deren Tragweite sie nicht zu ermessen im Stande sind; und geradezu verderblich würde ihre Mitarbeit an jenen Vereinen werden, wenn sie sich dazu fortreißen ließen, sei es auch nur durch nicht gehörig erwogene Aeußerungen, eine falsche Begehrlichkeit zu wecken oder zu steigern.
Handel und Industrie.
Die Lage des Handels und der Industrie im Regierungsbezirk Köln während des ersten Quartals kann, wie von dort geschrieben wird, zum großen Theil als günstig bezeichnet werden, wenn auch in einzelnen Industriezweigen die allgemeine Aufwärtsbewegung zum Stillstand gekommen und bereits ein kleiner Rückschlag nicht zu ver— kennen ist. Die großen maßgebenden Industriezweige sind fast fämmt— lich mit ausreichenden Aufträgen versehen, die gegenwartig hohen Preise der Rohstoffe aber, sowie die seit einem Jahre um über 100 0ͤ0 gestiegenen Preise der Kohlen führen eine gewisse Beeinträchtigung der Rentabilität herbei. In dem verflossenen Kalenderjahre sind bereits in einigen Aktiengesellschaften geriagere Ueberschüsse wie früher erzielt worden. Die allgemeine Geschäftslage bleibt jedoch, getragen von dem Vertrauen auf eine ungestörte Forteauer friedlicher Verhält— nisse, nach übereinstimmenden Nachrichten nach wie vor eine gute—
Erfreulicherweise ist das Verhältniß der Arbeitgeber und Arbeitnehmer ein recht zufriedenstellendes gewesen. Die Löhn haben in vielen Fällen Aufbesserungen erfahren und sind größere Arbeits einstellungen gar nicht bekannt geworden.
Die bedeutenderen Unternehmungen fangen auch bereits an, durch Errichtung von Arbeiterwohnungen das Loos der Arbeiter in dieser Hinsicht zu verbessern. Große und praktische derartige Anlagen hat die Drahtzieherei und Kabelfabrik von Felten und Gullleaume in Mülheim a. Rhein, welche über 2000 Arbeiter beschäftigt, gemacht. Im Kreise Gummersbach haben sich mehrere größere Firmen zusammengethan und bei der Landesbank ein Kapital für gleiche Zwecke aufgenommen.
Auch in der Stadt Köln hat die Firma Felten u. Guilleaume für ihre Arbeiter 2 große Familienhäuser und 5 Arbeiterwohnhäuser ge— .
baut. Ebenso sind aus der vom Rath'schen Stiftung auf Arnolds—
höhe bereits über 20 Arbeiterwohnhäuser gebaut und bezogen worden, ihre Zahl soll auf 80 gebracht werden. Die Häuser werden an .
ordentliche Arbeiter der Stadt Köln vermiethet.
Metall⸗In dust rie. Man schreibt aus Köln: In der Weiterentwickelung der Metall⸗ Industrie, welche zu den größten Erwartungen berechtigte, ist in
einzelnen Zweigen in letzter Zeit ein gewiffer Stillstand eingetreten,
welcher jedoch von den meisten Eisengewerbtreibenden nur als eine vorübergehende Erscheinung betrachtet wird. Für einen guten Theil dieses Jahres ist überall reichlich Arbeit vorhanden, und die schwierigen Arbeiterverhältnisse, mit welchen die einheimischen Werke zu rechnen haben, bestehen zum Theil auch in den entsprechenden Industriezweigen des Auslandes, sodaß mit denselben noch erfolgreich in Wettbewerb getreten werden kann. Was die einzelnen Geschäfts—
zweige anbetrifft, so ist der Verkehr im Roheisengeschäft ziemlich still. indem die Produzenten und Konfumenten mit Ab
schlüssen zurückhalten, um die weitere Geschäftsentwicke⸗ lung noch abzuwarten. Die Walzwerke haben zwar für die nächste Zeit noch genügende Beschaͤftigung, doch stockt bereits die Nachfrage und das Geschäft ist ebenfalls stilker geworden. Die aller dings noch hohen Preise für die fertigen Fabrikate sind. von dem Walzeisenverband, welcher übrigens erst kürzlich auf weitere drei Jahre verlängert worden ist, noch nicht herabgesetzt und wird gegen⸗
wärtig nur der dringendste Bedarf genommen. Bei der ferner im
Eisenbahn ⸗Etat vorgesehenen nicht unbedeutenden Vermehrung des .
Wagen und Lokomotivparks erfreuen sich auch die betreffenden Fa— briken einer sehr regen Thätigkeit zu guten Preisen und manches Unternehmen hat seinen Betrieb bis in das nächste Jahr gesichert.
Handfertigkeitsunterricht. ;
Mit, Beginn des laufenden Jahres ist bei den Volksschulen der Stadt Mülheim der Knaben-Handfertigkeitsunterricht mit vorlãusig zwei, Klassen eingeführt worden. Jede Klasse zählt zur Zeit 26 Schüler, und sind die Fortschritte der Kinder recht erfreuliche?
zum Deutsch
M 121.
en Reichs⸗Anze
Zweite Beilage
Berlin, Dienstag. den 20. Mai
iger und Königlich Preußischen Staats⸗-Anzeiger.
1890.
Centralblatt für das Deut im Reichs amt des Innern. Telegraphenwesen: Abänderun und Steuerwesen: Aenderung Terminpreise werden; — Umtausch der Loose der österrei Anleihe von 1860; — Ab Konsulatwesen: Ernennungen — Polizeimesen: Ausweisung — Bankwesen: Status der deutschen Notenbanken Ende
Nr. 20. — Inhalt: Zoll und Steuerwefen: dem Stande der Zuckersteuerstellen. Exequatur-Ertheilung. — Post.« die Einrichtung und den Betri dampferverbindung mit Ost / Af Stalistische Uebersicht über die deutschen Fischerfahr der Nordsee außerhalb der Küstengewässer Fischere dem Bestande am 1. Januar 1890. — von Ausländern aus dem Reichsgebiet.
Amtsblatt des Reichs-Postamtst. vom 2. Mai 1896. Einführung des Postauftrags. mit dem Deutschen Postamt in Konstantinopel. — Vom 1830. Herausgabe eines Berichtigungsbogens und eines Er— gänzungsheftes zur Zusammenstellung über dienstes im innern Verkehr der Vereinslän Hinausschiebung des Zeitpunkts, von welchem ab Nachnahme auf Postyacketen nach Rumänien zulässig ist.
Amtliche Nachrich Nr. 10. — Inhalt: die Vorstände der gewerblichen Berufsgenossenschaften, betreffend die Statistik der entschädigungspflichtigen Unfälle für das Jahr 1887. Vom 10. Mai 1890. R. schädigungspflichtigen Unfälle für das Jahr 1887.
BVeröftenttichungen des Kaiserlichen Gesundheits— a mts. Nr. 19. — Inhalt: der Berichtswoche. — Infektionskrankheiten in Moskau. — Cholera in Ostindien. — Gelbfieber in Vera⸗Cruz 1887/89. — Sterbefälle in deutschen Stäßten von 490000 und mehr Einwohnern. — Desgl. in größeren Städten des Auslandes. — Erkrankungen in Berliner Krankenhäusern. — Desgl. in deutschen . ö — Krankenbe wegung in den Krankenhäusern in Oesterreich 1889, 2. Halbjahr. — Aus dem 6. Generalber:cht über das öffentliche Ge⸗ sundheitswesen im Regierungsbezirk Köln. — Sanitäre Verhältnisse in Schwaben und Neuburg, 1888. Maßregeln gegen Volkskrankheiten ; 1. Vierteljahr. — Veterinär polizeiliche Maßregeln. — Medizinal⸗ gesetzgebung u. J. w. (Deutsches Reich. ᷣ n erkennung der Leichenpässe — (Preußen.) Fingergeschwüre⸗ —Lauf⸗ übungen im Turnunterricht. — (Spanien.) Sanitätsdienst in Küstenorten. — Rechtsprechung. Vermischtes. Aerztliche Prüfungen, 1888/89.
Ministerial⸗ Blatt für die tung in den Königlich preußis im Bureau des Ministeriums des Innern. Nr. 4. — Inhalt: A. Behörden und Beamte. n Beschäͤftigung der Reservejäger der Klasse A. im domänenfiskalischen Fischerei⸗Aufsichtsdienst. — B. Staatshaushalt, Kassen⸗ und Rech—= Cirkular, betreffend die Deckung der Reisekosten und Portoauslagen der Regierungs⸗-Kommissare bezw. Regierung Prã⸗ sidenten in Enteignungssachen der Staatsverwaltung. — C. Geschãfts⸗ Cirkular, betreffend die Bereisung der Ströme ꝛc. durch technische Kommissarien. — II. Veterinärwesen, Cirkular, Maßregeln zur Vermeidung unnützer Thierquälereien bei Verwaltung der Kommunen,
sche Reich. Herausgegeben Inhalt: Post und osterdnung vom 8. März 1879. in dem Verzeichniß derjenigen Waaren notirt chischen Staats Prämien—⸗ berufung eines Stations- Contreleurs. — — Bestellung eines Konsular⸗Agenten. von Ausländern aus dem Reichsgebiet.
Nr. 19. —
an welchen
April 1890. Veränderung in — Konsulatwesen:; Todesfall; und Telegraphenwesen: Vertrag über eb einer regelmäßigen deutschen Post— und Schiffahrt: zeuge, welche i betreiben,
Polizeiwesen: Ausweisung 21. — Inhalt: Verfügungen:
die Handhabung des Post⸗ der — Vom 4. Mai 1890.
des Reichs -⸗Versicherungs⸗
Amtlicher Theil. Rundschreiben an
V. A. J. 11888. — Statistik der ent⸗
Gesundheitsstand. Volkskrankheiten
Stadt. und Landbezirken.
Witterung. — Zeitweil ige — Thierseuchen in Sesterreich,
Oesterreich Ungarn)
Butterverfälschungen. (Fortsetzung.) (Brasilien. ) Gesundheits rath. — (Deutsches Reich.)
esammte innere Verwal— en Staaten. Herausgegeben
I. Organisations⸗Sachen. Verfügung,
nungssachen. gang und Ressortverhälmmisse.
dem Schlachten des Viehs. Korporgtionen und Institute. C fffend nalen Verhältnisse der in Bezirken früherer Domänenämter gelegenen fis kalischen Grundstücke. — IV. Polizeiverwaltung. n Verfügung, betreffend die Bescheinigungen in den Dienst-Journalen der Gendarmen über die darin verzeichneten mündlichen Anzeigen. — Verfügung, betreffend die Verpachtung der Jagd auf Gemeindefeldmarken und den Abschluß des bezüglichen Vertrages bezw. die Festsetzung des Pachtgeldes. — 8.1 . Polizei. Verfügung, betreffend die Ertheilung von Pässen an Reichs- Polizei der öffentlichen Ordnun einbarung zwischen dem Deutschen Reich und Oe die gegenfeitige Anerkennung von Leichenpässen.
der öffentlichen Arbeiten.
A. Gendarmerie.
B. Jagdpolizei. C. Paß⸗ und Fremden⸗
— Cirkular, Ver⸗ sterreich⸗Ungarn über V. Verwaltung Cirkular, betreffend die Regulirung des Verhältnisses zwischen Landrath und Amtsvorsteher bezüglich Erthei⸗ VI. Verhältnisse zu fremden Staaten. Cirkular, betreffend die Uebernahme ⸗Grenzorte für aus Deutschland ausgewiesene hülfsbedürftige Niederländer. .
Zeitschrift für Bauwesen. Herausgegeben im Ministerium Jabrgang 40. Heft 4 bis 6. Ber Verlag von Ernst und Korn. — Inhalt: Neubau des physiologischen Instituts der Universität Marburg, vo Zölffel in Marburg. — Haus Wesendonck in Berlin, vom Architekten C. Heidecke in Berlin, — Baugeschichte des Domes und Klosters vom General -⸗Direktions⸗Rath Georg. Friedrich Seidel München. — Die Kirche San Lorenzo in Mailand, vom Regierungs⸗ Baumeister Julius Kohte in Berlin. — Die Straßenbrücke über die Norder - Elbe bei Hamburg, erbaut in den Jahren 1884 bis 188 von dem Ingenieurwesen der Baudeputation des hamburgischen Staats (OberIngenieur F. Andreas Meyer). Nach amtlichen Quellen dar— gestellt von den bauleitenden Ingenieuren C. O. Gleim, Abtheilungs⸗ Ingenieur in Hamburg, und H. Engels, jetzt Professor an der tech nischen Hochschule in Braunschweig. — Die Höh, e Hochwasser liegenden Strecke der Bahnlinie Troisdorf — Niederlahn⸗ stein und die Anlage des zweiten Geleises derselben. Veuerungen an Schiffahrtsschleusen, vom Regierungs⸗Baumeister Th. Janssen in Pillau. — Ueber den Einfluß der Stromregulirungen auf die Wasser⸗ stände in den Flüssen, vom Regierungs« Und Baurath Kröhnke in Gumbinnen. — Statistische Nachweisungen, betreffend die in den Jahren 1881 bis einschließlich 1885 vollendeten und abgerechneten preußischen Staatsbauten aus dem Gebiet des Hochbaues. (Fortsetzung). Geschäftshäuser für Gerichte. Ministeis der öffentlichen Arbeiten zusammengestellt vom Land. Bau⸗ inspektor Wiethoff in Berlin.
ausländer. — PB.
lung der Bauerlaubniß.
der öffentlichen Arbeiten.
vom Regierungs⸗Baumeister
Höherlegung der unter
Im Auftrage des Herrn
Entscheidungen des Reichsgerichts.
Ein Gerichtsvollzieh er, welcher die Gingangs ver merke, mit denen er nach einer Verfügung des preußischen Justiz : Ministers vom 23. Februar 1885 die bei ihm eingehenden amtlichen Auf träge zu versehen hat, fälscht, macht sich, nach einem Urtheil des Reichsgerichts, JV. Straffenats, vom 10. Januar 1890, nicht der Urkundenfälschung im Amt (5. 348,1 Str. G. B. schuldig. ö
Die Bedrohung mit dem Begehen eines Verbrechens ist, nach einem Urtheil des Reichsgerichts, J. Strafsenats, vom 23. Januar auch dann aus dem 5. 241 Strafgesetzbuchs zu bestrafen, wenn fügung des angedrohten Uebels an eine künftige Handlung drohten geknüpft ist.
Ein nach civilrechtlichen Grundsätzen in seiner andlungsfähigkeit beschränkter Minderjähriger, welcher als r, ,,,, über Vermögensstücke feines Auftraggebers absichtlich zum Nachtheil desselben verfügt hat, ist, nach einem Urtheil des Reichsgerichts, J. Strafsenats, vom 59. Januar 1890, wegen Un⸗ treue zu bestrafen, soweit er seinem Alter und seiner Einsicht nach überhaupt strafrechilich verantwortlich gemacht werden kann.
Hat ein Pächter gegen das Verbot des Verpächters seine für die nicht gezahlten, fälligen Pachtgelder verpfändeken Illaten fort⸗ geschaf ft und sich dadurch des strafbaren Eigennutzes (5. 289 Str. G. B) schuldig gemacht, so macht sich, nach einem Urtheil des Reichsgerichts, II. Strafsenats, vom 31. Januar 1890, ein Dritter, welcher seines Vortheils wegen vom Pächter die fortgeschafften Sachen übernommen, der Hehlerei schuldig.
Die Strafbestimmung des §. 173 Abs. 2 Strafgesetz B., betreffend Verschwägerte auf und absteigender Linie findet, nach einem Urtheil des Reichsgerichts, JV. Strafsenats, vom 31. Januar 1890, auch Anwendung auf die Verschwägerung durch außereheliche Geburt, beispielsweife auf den Ehemann und die außereheliche Tochter der Ehefrau.
Nach §. 288 des Strafgesetzbuchs wird Derjenige, welcher bei einer ihm drohenden Zwangsvollstreckung in der Absicht, die Befriedigung des Gläubigers zu vereiteln. Bestandtheile feines Ver— mögens veräußert oder bei Seite schafft, mit Gefängniß bis zu 2 Jahren bestraft. In Bezug auf diefe Bestimmung hat das Reichk— gericht, III. Strafsengt, durch Urtheil vom 13. Februar 1890 aus— gesprochen, daß die Fälligkeit einer Forderung und die bloße Mahnung des Schuldners an Zahlung nicht zhne Weiteres den Zustand der dem Schuldner drohenden Zwangsvollstreckung“ im Sinne der angezogenen Bestimmung herbeiführt.
Der Eid des vom Gericht vernommenen Sach verständigen bezieht sich nach einem Urtheil des Reichsgerichts, J. Strafsenats, vem 17. Februar 1899, nur auf das von ihm abgegebene Gutachten, nicht aber auf seine Beantwortung der vom Gericht an ihn“ gestellten Per sonalfrggen; die unrichtige Beantwortung dieser Fragen ist demzufolge nicht als Falscheid zu bestrafen. Hält das Gericht die Beeldigung der Aussage des Sachverständigen über seine persön— lichen Verhältnisse für erforderlich, fo muß es ihn auch als Zeugen beeidigen.
Hat der Anstifter einer Strafthat vor der Ausführung
derselben seine Anstiftung durch Widerruf feiner Aufforderung zurückgenommen, so ist er, nach einem Urtheil des Reichsgerichts, III. Strafsenats, vom 20. Februar 1890, dennoch als Anstifter zu bestrafen, wenn der Widerruf auf den Thäter keine Wirkung äußert und dieser die That in Folge der Anstiftung ausführt. Die gegen einen Offizier gerichtete wissentlich falsche Be— schuldigung der Verletzung einer Dienstpflicht ist, nach einem Urtheil des Reichsgerichts, II. Strafsenats, vom 21. Februar 1890, aus 8 164 des Strafgesetzbuchs (falsche Beschuldigung der Verletzung einer Amtspflicht) zu bestrafen.
Ist ein Darlehn an die Bedingung geknüpft worden, daß der Darlehnsnehmer dem Darlehnsgeber gleichzeitig Lotterielo ose käuflich gegen Baarzahlung oder unter Kreditirung des Kaufpreises abnimmt, so hat nach einem Urtheil des Reichsgerichts, II. Straf⸗ senats, vom 25. Februar 1890, der Richter behufs Feststellung des strafbaren Wuchers (wofür nach 5. 3023 a des Str. G. B. erforder⸗ lich ist daß nach den Umständen des Falles die Vermögensvortheile in auffälligem Mißverhältniß zu der Leistung stehen) die für das Darlehn bewilligten Zinsen und den im Loose⸗Kaufgeschäft ver— schleierten Geschäftsgewinn zusam menzurechnen und zu
dem gewährten Darlehnsbetrage in Vergleich zu stellen. Die Befugniß des Gerichts, bei einer Strafperhandlung den An- eklagt en, wenn zu befürchten ist, daß ein Mitangeklagter oder ein . bei seiner Vernehmung in Gegenwart des Angeklagten die Wahrheit nicht sagen werde, während dieser Vernehmung aus dem Sitzungszimmer abtreten zu lassen (5. 246, 1 Str. Pr. Ordn.) be⸗ darf, nach einem Urtheil des Reichsgerichts, III. Straffenats, vom 28. Februar 1890, eines diese Maßregel anordnenden förmlichen Gerichts beschlusses.
Ein in solventer Schuldner, welcher, obwohl er seine Zahlungsunfähigkeit kannte, einem Gläubiger in der Absicht ihn vor den übrigen Gläubigern zu begünstigen, eine Urkunde gewährt, aus welcher nach §. 702 3. 5 der Civilprozeß⸗Ordnung die sofortige Zwangsvollstreckung stattfindet, ist, nach einem Urtheil des Reichsgerichts, II. Straffenats, vom 14. Marz 1856, nicht wegen Gläubigerbegünstigung aus 5. 211 der Konkurs⸗Ordnung' zu bestrafen, wenn der beguͤnstigte Gläubiger von der Urkunde keinen Gebrauch gemacht hat.
Literatur.
Politische Geschichte der Gegenwart von Professor Wilhelm Müller. XXIII. Das Jahr 1889, nebst einer Chronik der Ereignisse des Jahres 1889 und einem alphabetischen Verzeichniß der hervorragenden Personen. Berlin, Verlag von Julius Springer. — Die praktische Brauchbarkeit der von Professor Wilhelm Müller herausgegebenen Bearbeitungen der politischen Geschichte der Gegenwart, die alljährlich erscheinen und immer die Er— eignisse eines Jahres behandeln, ist längst bekannt und an⸗ erkantst. Der Geist, in welchem sie gehalten, sichert jedem neuen Bande in allen Kreisen, welche der nationalen Entwickelung Deutschlands und den daraus naturgemäß resultirenden Anschauungen nicht grundsätzlich widerstreben, gute Aufnahme. Das ist auch bezüglich des vorliegenden Bandes zu erwarten. Er enthält, wie die früheren, eine auf fleißiger Zeitungslektüre beruhende, sehr detaillirte Zusammenstellung der Begebenheiten des Jahres 1889, in welcher der die Ereignisse durchziebende Faden klar und deutlich her— vortritt. So manches, was selbst dem Gedächtniß eines Politikers von Beruf entgangen ist, findet sich hier in das rechte Licht gerückt, das Bedeutendere in den Vordergrund gestellt, das weniger Bedeutende, was oft Tage lang mit unnöthiger Breite in den Spalten der Tagesblätter behandelt wurde, nach Gebühr gewürdigt. Werthvoll sind die Sammlungen, und so auch die vorliegende, durch Wiedergabe der politisch bedeutenderen Aktenstücke, welche im Laufe des Jahres bekannt geworden sind; dasselbe gilt von bedeutenderen Parlamentsverhandlungen und Zeitungs ⸗ artikeln. Der Darstellung liegt das Bestreben nach Objektivität zu Grunde, und soweit es überhaupt möglich ist, als Politiker den Er— eignissen gegenüber, in denen man selbst lebt, objektiv zu sein, wird man. dem Verfasser das Zeugniß nicht ver— agen, können, daß er sich redlich bemüht hat, dieses Ziel im Auge zu behalten. Das Resums der Ereignisse in den aus— wärtigen Staaten darf stets, und so auch in diesem Bande, besonders willkommen geheißen werden, da sich diese im Allgemeinen noch weit schnellet in dem Gedächtniß der Politiker verflüchtigen. Zur Brien— tirung über die politische Entwickelung leistet das Werk selbst Denen gute Dienste, welche die Ereignisse in einem anderen Lichte zu be⸗ trachten gewöhnt sind.
— Bismarck, Moltke und Goethe. Eine kritische Ab— rechnung mit Dr. Georg Brandes von Max Bewer, Berfasser der
Broschüre Bismarck wird alt“. Düsseldorf, Verlag von Felir Bagel. —Ob der Essay des dänischen Literaten Pr. Brandes über den Feldmarschall Grafen Moltke, welcher mit verschwindenden Ausnahmen von der deutschen Presse überhaupt nicht beachtet worden ist, es ver dient, daß man sic mit ihm so eingehend beschäftigt, bleibe dahinge⸗ stellt. Hielt der Verfasser aber eine scharfe Abfertigung jenes Mach⸗ werks für nöthig, so hätte dies wohl in einer vornehmeren, weniger persönlicken Art und. Weise geschehen tönnen, namentlich wäre der dem Bädeker'schen Reisebuche entnommene Paffus befser fortgeblieben. Was der Verfasser sonst über Bismarck Moltke und Goethe sagt, insbesondere der Nachweis, daß Bismarck wie Goethe keinen Zwiespalt des deutschen Geistes darstellen, wie Hr. Brandes meint, vielmehr sich gegenseitig ergänzen und zusammengenommen erst die rechte deutsche Einheit bilden, ist ganz vortrefflich und verdient wohl in weiteren Kreisen gelesen und beachtet zu werden.
— Schwarz-weiß roth. Eine Ethik des Patriotismus. Von Th. Brecht. Halle a4. S., Verlag von Eugen Striem. 1890. — Der Verfasser, welcher sich bereits auf anderen Gebieten bewährt hat, erörtert zuerst die Frage, ob wir in Deutschland, wo wir zufolge unserer äußeren und inneren Lage ein Doppelmaß von Vaterlands— liebe nothwendig hätten, genug wahren Patriotismus haben, und prüft sodann die sittliche Tragkraft und Belastungsfähigkeit der seitherigen sitt⸗ lichen Prinzipien. Aus einer geschichtlichen Üebersicht über die Entwicklung des patriotischen Gedankens und in Anlehnung an die großartigen Ge' danken und Thaten von Männern wie Stein, Scharnhorst, Boyen, Jahn, Fichte und Arndt wird die Idee des Patriotismus gewonnen und'in Anwendung auf unsere neudeutsche Gegenwart gezeigt, wie sich aus dieser Idee eine individuelle Pflichtenlehre, eine Neubelebung des deutschen Familienlebens und eine befriedigende Antwort auf alle jene Probleme, welche uns eben jetzt unter dem Namen der „sozialen Frage' sobiel zu schaffen machen, ergeben. — Das eigen. artige Werk, von dem das erste Heft (Preis 1 6) vorliegt, wird ungefähr fünf Lieferungen umfassen, welche in vierzehntägigen Zwischen— räumen erscheinen werden.
— Handbuch des Rechts hülfeverfahrens im Deutschen Reiche und gegenüber dem Auslande. Von Ferdinand Böhm , Ober ⸗Landesgerichts⸗Rath. Ergänzungsheft. Erlangen 18539, Verlag von Pali u. Enke. 1064 S. — Der Verfasser des vor— stehend bezeichneten Handbuchs, von welchem der erste Band, be— treffend die Rechtshülfe in bürgerlichen Rechtsstreitigkelten und in Konkurssachen, bereits im Jahre 1886, der zweite, die Rechtshülfe, in Strafsachen behandelnde Band aber Anfangs 1888 erschienen ist, hat sich zur Herausgabe eines beide Bände ergänzenden Nachtragsheftes hauptsächlich mit Rücksicht darauf entschlossen, daß seit der Veröffentlichung des zweiten Bandes mehrere wichtige, das Rechtshülfewefen regelnde Staatsverträge und Gesetze in Kraft getreten sind. Hierher gehören, abgesehen von den mit verschiedenen außereuropäischen Staaten abgeschloffenen Freund schafts,, Handels“, Schiffahrts. und Konfularverträgen, insbesondere die seit dem 1. Mai 1888 in Geltung befindliche internationale Konvention zum Schutz der unterseeischen Telegraphenkabel. (Reichs⸗Gesetzblatt für 1888 Seite 151 ff.), ferner das Reichsgesetz vom 15. März 1888 wegen Abänderung des Gesetzes, betreffend die Rechtsverhältnisse der deutschen Schutzgebiete, vom 17. April 1386. Zugleich hat der Verfasser diese Gelegenheit benutzt, um auch sonstige sachdienliche Ergänzungen des Buches voriunehmen, namentlich die inzwischen veröffentlichte, auf das Rechts hülfewefen bezügliche Literatur und Rechtsprechung nachzutragen. Durch diese Ergänzungen, welchen ein ausführliches Sachregister beigegeben ist, wird die praktische Brauch⸗ barkeit des gleich nach seinem Erscheinen allseits sehr günstig auf— genommenen Buches nicht unwesentlich erhöht. 8k.
— »‚Geschichte der Stadt Königshütte in Ober⸗ schlesien?. Aus Urkunden und amtlichen Aktenstücken bearbeitet bon Hugo Mohr. (Selbstverlag des Verfasfers,. 1896. — Dieses Werk, geschöpft aus reichem „magistratualischen⸗ Akten= material, aus Fachzeitschriften sowie den Mittheilungen kompetenter Behörden, bietet auf etwa 300 Seiten (80) die Geschichte der erst 20 jährigen Stadt Königshütte in Oberschlesien. Unter Beigabe eines sehr sorgfältig hergestellten farbigen Plans dieser Stadt bespricht es in Abschnitt 1: die natürlichen Schätze des oberschlesischen Induftrie⸗ bezirks, in Abschnitt IL: den Betrieb des Bergbaues und der Hütten⸗ industrie in Oberschlesien bis zum Jahre 1750, in Ab— schnitt UI: die neue Aera des oberschlesischen Bergbaues und Hüttenbetriebes, in Abschnitt IV: die geschichtliche Entstehung Begründung und Entwickelung der Stadt Königshütte und fügt dem Abschnitt V, welcher kulturhistorische Betrachtungen anstellt, als An⸗ hang 20 Verzeichnisse und Uebersichten zur Veranschaulichung der behördlichen, schulischen und Steuerverhältnisse bei. Ein zweckmaͤßiges Inhaltsverieichniß sowie ein alphabetisch geordnetes Sachregister sorgen für schnelle Orientirung. Die Sprache des Werks ist einfach und klar, auch an Vollständigkeit läßt es nichts zu wünschen übrig. Dabei bekundet es auf allen seinen Blättern das Bestreben, verständniß⸗ innige Heimathsliebe zu erwecken sowie die gedeihliche Entwickelung des Gemeinsinns und des Gefühls der Zusammengehörigkeit zu fördern. — Hauran. Reisebilder aus Palästina von Henrik Schar⸗ ling, Professor der Theologie an der Universität Kopenhagen. Mit Genehmigung des Verfassers aus dem Daͤnischen übersetzt von P. J. Willatzen. Bremen, Druck und Verlag von M. Heinsius Nachfolger. — . In dem vorliegenden Buche wird die Landschaft Hauran im östlichen Palästina geschildert. Diese Landschaft ist durch zahlreiche architektonische Denkmäler merkwürdig, die von nicht zu unterschätzender Bedeutung für das rechte Verständniß der abend⸗ ländischen Kulturentwickelung sind. Hauran sst ein neues Pompeji nicht unter der Erde, sondern über der Erde. Was dort die Asche des Vulkans bewirkt hat, das bewirkte die Wildheit der Bewohner und die Einsamkeit der Wüste hier, so daß das Land viele Jahr— hunderte unberührt und unbekannt gelegen hat. Ganz sicher und völlig so gut wie Pompeji ist Hauran freilich nicht erhalten, aber es ist doch immerhin so viel ührig, daß es leicht in Gedanken fich zu einem Ganzen zusammenfügen läßt. Ein nicht minderes Interesse bietet die große Anzahl von Inschriften, welche an Gebäuden oder auf einzelnen Steinen sich finden. Dieselben sind theils in arabischer, theils in griechischer und lateinischer Sprache verfaßt; sie enthalten meist An—= aben über die Aufführung von Bauwerken oder die Einweihung von
empelgeschenken, dann auch Gebete oder fromme Segenswünsche; viele andere sind Gräberinschriften. Sie haben zum Theil große Bedeutung, sofern sie für die Zeitrechnung feste Stütz punkte bieten. Noch wichtiger sind in dieser Hinsicht die vielen Münzen, welche in Hauran gefunden wurden und fortwährend noch gefunden werden.
— Der gelehrten Welt wird es von Intereffe sein zu erfahren, daß don dem seit Jahren vergriffenen Werke des verstorbenen Professors Dr. C. G. Homeyer „Die Haus, und Hofmarken“ durch R. von Decker's Verlag in Berlin ein anastatischer Neudruck der Ausgabe von 1870 veranstaltet ist, dem die „Nachzügler der
ausmarken“ nach dem Bericht des Autors in der Königl.
kademie der Wissenschaften vom August 1872 beigegeben sind. Der starke Lexikon Oktavband (Pr. 8 M) enthält XXIV. und 437 Seiten Tert und 44 Tafeln. Derselbe wird allen Forschern auf dem interessanten Gebiete der Haus und Hofmarken nach örtlicher Ordnung, Volks- sitte, nach der äußeren Er . der Zeichen, der Rechts ordnung und dem Schwinden der Marken aller Länder, höchst will ⸗ kommen sein. Die Auflage konnte, dem Druckverfahren nach, nur eine sehr geringe sein.