1890 / 122 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 21 May 1890 18:00:01 GMT) scan diff

und ob diese Bestimmungen auch überall den thatsächlichen Ver⸗ hältnissen entsprechen. Denn mur auf diesen kann eine verstandige soziale Reform sich aufbauen, soll sie nicht statt Segen Unheil und Verwirrung anrichten. Diese sorgfältige Prüfung hat Seitens der verbündeten Regierungen stattg funden, in Preußen nach Anbörung des Staatsratts unter Beachtung der vielfachen Erörterungen, die diese Frage in früberen Verkandlungen des Reichstags gefunden hat, unter Beachtung auch der Beschlüfse der internationalen Konferenz, die im März d. J. auf Einladung Sr. Majestät des Kaisers bier in Berlin tagte, und deren Verhandlungen eine werthvolle Bürgschaft dafür gegeben haben, daß die internationale Ausgestaltung des Arbeiterschutzes in den industriellen Staaten Europas in keiner Weise unmöglich erscheint. Ich möchte an dieser Stelle Hrn. Abg. Grillenberger mittheilen, daß eine deutsche Uebersetzung in kurzer Zeit erscheinen wird. Daß das bisher nicht geschehen sst, liegt daran, daß die Arbeit eine ziemlich umfangreiche und schwierige ist.

Das Resultat der Prüfung liegt Ihnen in dem Gesetzentwurf vor, der neben positiven Bestimmungen und Fragen, deren Löfung die verbündeten Regierungen für alebald ausführbar hielten, auch die Möglichkeit gewährt, durch Beschluß des Bundesraths oder durch Königliche Verordnung die beschränkenden Bestimmungen des Entwurfs auf andere weniger zweifelsfreie Gebiete auszudehnen, fobald die Noth⸗ wendigkeit und Durchführbarkeit solcher Anordnungen sich ergeben. Als zweifellos nothwendig und guzführkar erschien zunächst in Ueberein— stimmung mit den früheren Beschlüffen des Reichstages die Sicherung der Seonntagsruhe für die Arbeiter und die weitere Einschränkung der gewerblichen Thätigkeit der Kinder und Frauen. Die verbündeten Regierungen glauben in den Bestimmungen des Entwurfs, die sich auf diese Verhältnisse beziehen, überall den Boden der Sicherheit der Industrie und ihrer Arbeiter gewahrt und nirgends verlaffen zu haben. Wir wollen desbalb mit Ihnen dafür sorgen, daß die Ruhe von der Wochenarbeit, das Sammeln von Kräften zu der neuen Arbeit den Arbeitern an Sonn und Festtagen gewahrt, und ihnen die Möglich— keit gegeben werde, ihren religiösen Bedürfnissen gerecht zu werden, den Gottesdienst zu befuchen, daß ihnen die Möglichkeit gewährt werde, das Familienleben im Kreise der Ihrigen zu pflegen. Wir wollen mit Ihnen dafür sorgen, daß die körperliche und geistige Entwickelung der Kinder des Arbeiterstandes besser wie bisher geschützt werde, damit sie, wie wir Alle wünschen, dereinst kräftige und lüchtige Staats⸗ bürger, gesunde und sorgsame Mütter und Frauen werden. Wir wollen mit Ihnen dafür forgen, daß nicht nur der schwächeren Kon / stitution der Frauen die nöthige Rechnung getragen wird, daß nicht nur die Fkostbare Gesundheit der Frauen aut dem Arbeiterstande, auf der das Wohl der künftigen Generation und damit die Kraft des Vaterlandes beruht, besfer als bisher gewahrt werde, sondern wir wollen auch dafür sorgen, daß der veredelnde Geist des Familienlebens, der Segen des häuslichen Herdes, der heute ernstlich bedroht erscheint, dem Arbeiter und den Seinigen gesichert bleibt.

Ich nehme an, daß in allen diefen Beziehungen zwischen den Mitgliedern des hohen Hauses und den verbündeten Regierungen volle Uebereinstimmung besteht, und ich zweifle auch nicht, daß 'es in den Kommissionsberathungen gelingen wird, über das Maß der Ausnahmen, die zu gewähren sein werden, und Über die Stelle, welche diese Ausnahmen zu bestimmen haben wird, eine Einigung zu erztelen. Denn das sind nicht prinzipielle Fragen, am Allerwenigsten Fragen der Macht zwischen Reichstag und Bundezrath, das sind reine Zweck— mäßigkeitsfragen, und ich nehme deshalb an, daß sie in der FKommisston ihre Lösung finden können.

Es sei mir nun gestattet, ganz kurz auf einige Ausführungen des Hrn. Abg. Schrader mit einigen Worten einzugehen, der der Meinung war, daß es doch wohl außer Zweifel stände, daß die größere Sach verständigkeit zur Feststellnng dieser Ausnahmen innerhalb des hohen Hauses und nicht beim Bundesrath sei. Ich muß gestehen, ich bin nicht ohne Zweifel, ob er ganz Recht hat in dieser Beziehung. Wenn ich vor die Frage gestellt werde, wer von beiden der Sachverständigere ist, über die Gestaltung der Ausnahmen zu entscheiden, so wollen Sie mich entschuldigen, wenn ich sage: nach meiner Meinung an sich keiner von beiden. Denn es handelt sich hier nicht um eine Sach verständigkeit, die daraus hervorgeht, daß man die allgemeinen Lebenz— verhältnisse richtig beurtheilt, sondern um eine ganz spezielle technische Sachverständigkeit in einem einzelnen Fall. Nur der Mann, der im Betrieb einer Eisenhütte, einer chemischen Fabrik oder Textilfabrik ganz genau bekannt ist, wird in der Lage sein, festzustellen, welche Ausnghmen von dem Gebot der Sonnkagsruhe in den betreffenden Fabriken gemacht werden müssen. Ich habe einige Erfahrung in dieser Beziehung. Die Düsseldorfer Regierung, der ich fruher angehört babe, hat sich der Mühe unterzogen, eine Anweisung zu geben, in welcher diese Ausnahmen geregelt find. Ich will nicht etwa behaupten, daß ich in Folge dieser Arbeit irgendwie Sachver· ständiger bin, ich habe aber daraus eben erfahren, daß ich trotz einiger Erfahrung nicht Sachverständiger bin. Beide, sowohl Reichstag wie Bundesrath, würden in die Lage kommen, sachverständige Personen zu befragen, und da meine ich, ist der Bundesrath günstiger situirt sowohl in Bezug auf die Auswahl der Sachverständigen, als auch in Bezug auf die Zeit, die ihm dazu zur Verfügung steht. Indessen sind das Fragen, über die wir in der Kommüifsion Verständigung erzielen werden.

Nicht so leicht wie über diese Frage wird sich eine Einigung erzielen lassen über andere Bestimmungen des Entwurfs. Es sind das namentlich die ss. 125 und 153. Ich möchte hier nicht auf die Einzelheiten der Bestimm ungen eingehen und alle Einwürfe, die gemacht sind, zu widerlegen versuchen. Aber das wollen Sie' mir gestatten doch zur Erwägung zu geben, daß, wenn man in den Brenzen des Ausführbaren für das Interesse der Arbeiter und ihres Schutzes in diesem Entwurfe sorgk, es doch auch recht und billig erscheint, solchen Ausschreitungen gegenüber gesetzliche Bestimmungen zu treffen, die sich in der letzten Zeit, namentlich gelegentlich der großen Arbeitzeinstellungen in immer zunehmendem Maße und in einer das öfftntlich! Wohl gefährdenden Weife bei einem Theil der Arbeiter gezeigt haben. 8 meine die sichtbar zunehmende Zügellosigleit der jugendlichen Arbeiter, die Vergewaltigung der⸗ jenigen Arbeiter, die sich an einem Strike nicht betheiligen wollen, durch ihre ausständigen Genossen und die leider fast zur Regel gewordene völlige Nichtachtung der vertragsmäßigen oder gesetz lichen Kündigungsfrist bei Niederlegung der Arbeit. In letzterer Beziehung bin ich in der Lage, Ihnen einige Zahlen mitzutheilen. Ich habe ver' sucht. mir eine Uebersicht über die Arbeitseinstellungen seit dein 1. Januar v,. J. zu verschaffen. Die Uebersicht ist noch nicht vollständig, giebt aber immerhin ein Bild aus 35 Regierungezbezirken der preußischen Monarchie. In diesen 30 Regierungsbezirken haben seit dem 1. Januar 1839, bis Ende April 1286 im Ganzen große gewerbliche Arbeitseinstellungen stattgefunden, d. h. solche, bel denen mehr als 10 Arbeiter betheiligt waren; in diesen 574 Großbetriebe oder Handwerkszweige umfassenden Arbeitseinstellungen waren 234 965 1 Arbeiter ausständig, und von diesen waren 206 395 Arbeiter oder mehr als S7 o kontraktbrüchig. Ich meine, diese Zahlen geben zu denken, sie liefern den Beweis, daß die Heiligkeit des gegebenen Wortes und des Vertrages völlig außer Beachtung in weiten Kreisen unserer Arbeiterschaft gekommen sind, und zwar in so weitem Maße, daß das öffentliche Interesse in äußerstem Grade dadurch geschädigt er⸗ scheint. Und wenn das der Fall ist, so hat nach meiner Auffassung die Gesetzgebung dasselbe Recht und dieselbe Pflicht, solchen Aus⸗ schreitungen entgegenzutreten, wie sie das Recht und die Pflicht hat, den Ausschreitungen gegenüberzutreten, die sich auf die Ausnutzung der Arbeits⸗ kraft des Arbeiters beziehen.

Nun, meine Herren, gestatten Sie mir noch mit wenigen Worten auf einzelne Ausführungen zurückzukommen, die in ihren Anforde⸗ rungen über das hinausgeben, was der Gesetzentwurf bietet. Sie be— ziehen sich vor allen Dingen auf den Maximalarbeitstag. Meine Herren, der Maximalarbeitstag ist meines Eeachtens ein völlig diskutirbarer Gegenstand, und ich meine, auch am gestrigen Tage von einem unserer bedentendsten Arbeitgeber gehört zu haben, daß er auf demselben Standpunkte steht. In Deutschland besteht nicht die Auf⸗ fassung, daß die Regelung der Arbeitsvérhältnisfe des erwachsenen männlichen Arbeiters prinzipiell ausgeschlossen sei. Das geht schon

daraus hervor, daß wir auch die Regelung der Sonntagsrube auf den erwachsenen männlichen Arbeiter erstreckt wissen wollen, während das in denienigen Ländern, die prinzipiell auf einem anderen Stand— Punkte stehen, z. B. in En land, Frankreich und Belgien, nicht der Fall ist. Die Unterlassungssünde, deren die verbündeten Regierungen sich dadurch scheldig gemacht häben ollen, daß sie keine Bestim« mung über den Maximalarbeitstag in den Gesetzentwurf auf genommen haben, rechtfertigt sich durch die Erwägang, daß die augenblick lichen Verbältnisse es nicht durchführbar erscheinen laffen, die Arbeitszeil des erwachsenen männlichen Arbeiters auf eine be— stimmte Stundenzahl zu beschränken. Da die Forderungen in diefer Beziehung wesentlich auch von dem Herrn Vertreter der Sozial. demokratie gestellt worden sind, so gestalte ich mir, auch darauf eine Antwort aus Arbeiterkreisen zu geben. In Belgien hat die sozia— listische Arbeiteipartei vor dem J. Mal d. J. an die katholische Arbeiterpartei dieses Landes die Aufforderung gerichtet, sich an einer Demonstration für den achtstündigen Normalarbeitstag, oder wie es besser heißen sollte, Maximalarbeitstag, zu betheiligen. Die katho⸗ lische Arbeiterpartei, die nach meiner Kenntniß der Dinge der sozialistisc en weder an Zahl noch irgendwie sonst nachsteht, hat es ab—= gelehnt, sich an dieser Demonstratlon zu betheiligen, mit dem Be⸗ merken, daß die Frage der gleichmäßigen Einschränkung des Arbeitstages auf acht Stunden eine verwickelte fei und daß es erforderlich sei, sich durch eine eingehende Untersuchung über die Verhältnisfe der In dustrie Rechenschaft zu geben und zu erforschen, ob nicht durch die Festsetzung einer gleichmäßigen Dauer des Ärbeitstages nach allen Richtungen hin ein dem gewollten entgegengesetztes Resultat erzielt wird, indem die Existenz einer großen Zahl von industriellen Etablissements, in denen die Arbeiter Beschäftigung finden, bedroht wird. Aus dieser wichtigen Frage des achtstuͤndigen Arbeitstages entspringen zwei weitere:; die Frage der Anforderungen des Budgets des Arbeiterhaushalts und die Lage der gewerblichen Unternehmungen gegenüber der ausländischen Konkurrenz. Es ist klar, daß eine inter nationale Konferenz der erste Schritt sein müßte auf dem Wege der gesetzlichen Regelung des Arbeitstages. z

Meine Herren, Sie sehen, die belgischen Arbeiter stehen in dieser Beziehung ganz genau auf dem Standpunkte, den die verbündeten Regierungen bei Gestaltung dieses Entwurfs eingenommen, d. h. sie wonen nicht die Sicherheit verlieren, daß die Industrie in ihrem Lebensinteresse nicht auf den Kopf getroffen wird, sie wollen nicht die Sicherheit verlieren, daß das Budget des Arbeiters nicht in einer Weise geschmälert wird, die es nicht vertragen kann. Und nun meine ich, die letztere Erwägung ist auch für uns im gegenwärtigen Augen⸗ blick besonders ernst zu nehmen, da wir dazu übergehen wollen, durch Verbot der Sonntagearbeit, durch Einschränkung der Frauen und Kinderarbeit eine wenn auch nur vorübergehende Schmälerung des Arbeiterbudgets hier und da vorzunehmen. Die Sicherheit, meine Herren, die die verbündeten Regierungen für wünschenswerth halten müssen, ist namentlich auch der ausländischen Konkurrenz gegenüber nicht gewahrt, die Verhandlungen und die Entstehungsgeschichte der internationalen Konferenz haben auf das Deutlichste bewiesen, daß in denjenigen Ländern, mit denen Deutschland vor allen andern auf dem Weltmarkte konkurrirt weit mehr wie mit Desterreich und der Schweiz nämlich in Frankreich, England und Belgien z. 3. keine Neigung besteht, die Arbeitsverhältnisse des erwachsenen männlichen Arbeiters durch Gesetz zu reguliren. Dazu kommt ferner, daß wir in dem Gesetzentwurf Ihnen vorschlagen, den Maximal⸗ arbeitstag für die Frauen und zwar sowohl für die erwachfenen wie für die jugendlichen zu bestimmen. Warten wir doch ab, ob diese Bestimmung nicht dieselbe Wirkung haben wird wie in England. Es ist in diesem Haufe häufig auf die Verhältnisse in. England exemplifizirt und angeführt worden, daß die Verhältnisse der Arbeiter dort günstizere seien als bei uns. Man weiß sehr wohl, daß dort nicht ein Gesetz die Arbeits zeit der männlichen Arbeiter geregelt hat, sondern nur die der Frauen, der geschützten Personen, und daß sich hieraus durch die Gewohn⸗ heit und gute Sitte die Dauer für die Arbeitszeit des männlichen Arbeiters geregelt hat. Warten wir ab, ob sich nicht dies Resultat auch bei uns herausstellen wird. Mir scheint es richtiger, diefen Weg einzuschlagen, als den nicht unbedenklichen Weg, heute durch Gesetz einen Maximalarbeitstag der männlichen Arbeiter anzustreben. Unter diesen Umständen erschien es den verbündeten Regierungen nur möglich, in §. 120 ihres Entwurfs die Möglichkeit vorzusehen, der übermäßigen und gesundheitswidrigen Ausnutzung der Arbeitskraft des Arbeiters entgegen zu treten. Mir scheint, daß diese Bestimmung auf demselben Boden steht, wie die Beschlüsse, die der Reichstag früher in dieser Beziehung gefaßt hat. Er ist immer von der Erwägung aus⸗ gegangen, daß bei Begrenzung der Arbeitszeit des erwachfenen Arbeiters es sich darum handelt, die übermäßige Ausnutzung seiner Gesund⸗ heit zu schützen, und man ist weiter davon ausgegangen, daß es sich nicht empfiehlt, für alle Industriezweige eine gleichmãßige Arbeitszeit festzusetzen, sondern daß jeder Industriezweig sür sich an⸗ jusehen sei und für jeden Industriezweig das Recht der zulässigen Arbeitszeit besonders geregelt werde, In beiden Richtungen giebt der 5. 120 die vollständige Gewähr, daß dem vorhandenen Bedürfniß Rechnung getragen wird. Haben die Herren Bedenken, diese Befugnisse in die Hände des Bundesrgths zu legen, so glaube ich, daß auch in dieser Beziehung eine Verständigung in der Kommission sich erzielen lassen wird.

Dann, meine Herren, sind noch einige andere Aeußerungen ab⸗ gegeben, die ich mit einigen Worten behandeln möchte. Ber Hr. bg. Hartmann hat darauf hingewiesen, daß durch die Beschränkung der Kinderarbeit nothwendigerweise eine Anzahl von Kindern in di= Hausindustrie hinübergedrängt werden würden, und daß die Verhält⸗ nisse dieser Kinder sich dadurch nur unguünstiger gestalten würden, als sie augenblicklich sind. Er hat aber feine Bedenken gegen diese Vor— schriften in der Erwägung fallen laffen, daß in den Motiven des Gesetzentwurfs darauf hingewiesen ist, daß mit der Zeit es noth— wendig werden wird, auch die Verhältnisse der Hauzindustrie der Aufsicht durch die Fabrikinspektoren zu unterziehen, und er hat daran die Erwartung geknüpft, daß die Zahl der Fabrikinspektoren vermehrt werden würde. Meine Herren, für das Königreich Preußen kann ich Ihnen in dieser Beziehung in Aussicht stellen, daß eine Vermehrung der Fabrikinspektoren erfolgen wird; das Königliche StaatsMinisterium ist übereinstimmend der Meinung, daß nach Lage der jetzigen Ver— hältnisse zur Erfüllung der großen und vielfach neuen Aufgaben, die den Fabrikinspektoren gestellt sind, eine erhebliche Vermehrung des Fabrikinspektorats unerlaͤßlich sein wird. Daß das nicht von heute zu morgen geschehen kann, das wissen Sie, meine Herren; es handelt ch vor Allem darum, in der Auswahl“ der betreffenden Personen vorsichtig zu sein und keinen Fehlgriff zu machen. Das ist keine leichte Aufgabe, insbesondere deshalb, weil zur Zeit noch alle Vor⸗ schriften über die Vorbildung und Qualität dieser Herren fehlen; ob und wie in dieser Beziehung noch Wandel zu schaffen ist, das unterliegt weiterer Erwägung.

Dann, meine Herren, ist noch gesprochen worden über einzelne Bestimmungen der Arbeitsordnung, insbesondere auch darüber, daß es dem Arbeitgeber gestattet sein soll, in feine Arbeitsordnung die Be⸗ stimmung aufzunehmen, daß der Lohn des minderjährigen Arbeiters nicht an ihn, sondern an seine Eltern, seinen Vormund zu zahlen ist. Es ist die Besorgniß ausgesprochen worden, daß nach derartigen Vorschriften die jugendlichen Arbeiter aus solchen Fabriken hinaus—⸗ sehen und, an anderen Stellen ihre Arbeit fuchen würden. Meine Herren, ich glaube, Ihre Besorgniß ist unbegründet. Zunächst ist, Gott sei Dank, bei einer größeren Zahl der Eltern aus bem Fabrik arheiterstande der Wunsch vorhanden, ihre Kinder in diejenigen Fa⸗ briken zu schicken, wo auf Zucht und Ordnung gehalten wird; und dann hat bie Prarss gezeigt, daß deraktige Vestimmungen dein be— treffenden Fabriketab lissement in keiner Weise schädlich waren. Ich darf mich da auf die Äustunft des Srn. Abg. Hitze bezichen, Ter genau vertraut ist mit den Verhältnissen einer Fabrik, in der ähn— liche Bestimmungen seit langer Zeit und mit ausgezeichnetem Er— folge bestehen ich kann die Herren ferner darauf verweisen, daß vor einiger Zeit ein Verein von Arbeitgebern, der linksrheinische Verein für Gemeinwohl, der alle oder wenigstens eine sehr große Zahl von

Spulern und Webern des Gladbacher Handels kammerbezirks umfaßt, dazu übergegangen ist, ein Normalstatut für Arbeitsordnungen zu entwerfen, in dem Bestimmungen Aufnahme gefunden haben, die sich auf eine gewisse Disziplin der Jugend bejiehen, auch die Bestimm ung, daß der Lohn nicht an die jungen Arbeiter bezahlt werden soll; und alle diese Bestimmungen haben bei den Herren, die mitten im Leben steben, nicht das mindeste Bedenken Fervorgerufen; sie sind nicht der Meinung, daß dadurch ihren Fabriken irgend eine Schädigung er⸗ wachsen wird.

Dann möchte ich noch einige Worte sagen über die Besorg— nisse, die gegen die zu weiten Kompetenzen der Polizeibehörden in S8. 1202 ff. des Entwurfs vorgesehen werden. Sie gestatten mir, in dieser Beziehung darauf aufmersam zu machen, daß diese gesetzliche Bestimmung absolut keine Aenderung gegenüber dem bisherigen Zu⸗ stand bedeutet, Heut wird im 5. 120 der Gewerbeordnung bestimmt, daß die gewerblichen Unternehmer verpflichtet sind, befondere Einrich- tungen zu treffen zum Schutze der Gesundheit und des Lebens der Arbeiter mit Rücksicht auf die besondere Beschaffenheit des Be— triebes Der Bundesrath hat die Befugniß, allgemeine Anordnungen zu treffen, wie diese Einrichtungen herzustellen sind, und wenn der Bundesrath diese Anordnungen nicht trifft, so ist es den Landes“ Polizeibehörden überlassen, das zu thun. Meine Herren, genau so steht die Sache auch heute; der Bundesrath wird, wie bisher, allge— meine Anordnungen treffen, wie diese Einrichtungen herzustellen sind, und wenn er sie nicht unter seine Kompetenz zieht, wird dies die Landes⸗-Polizeibehörde thun und wird ihrerseits allgemeine Vor schriften machen. Auf Grund dieser allgemeinen Vorschriften werden dann die örtlichen Polizeiverwaltungen, sicher in der Regel in Folge einer Anregung des Fabrikinspettors, ihre Agordnung an dasz betreffende Fabriketabliffement richten. Eine Aenderung an dem bisherigen Zu—⸗ stand tritt nur insofern ein, als die Aufgaben der Polizei überhaupt, gegenüber den Etablissements, die für Leben und Gesundheit der Arbeiter bedenklich sind, näher und eingehender spezialisirt sind, und ich kann nur erwähnen, daß diese Bestimmungen wefentlich mit auch auf einer Anregung des preußischen Staatsraths beruhen, der es für dringend nothwendig gehalten hat, näher zu detajlliren, auf welche Weise den gesundheitsgefährlichen und lebensgefährlichen Einrichtungen in manchen Fabriketablissements entgegen zu treten ist.

Nun, meine Herren, schließe ich mit dem Wunsche, daß Sie, wie es auch der erste Herr Redner in der Generaldiskuffion gethan hat, den Entwurf einer wohlwollenden und sachgemäßen Prüfung unterziehen, damit das Resultat, welches den verbündeten Regierungen bei Aufstellung des Entwurfs vorgeschwebt hat das Resultat nämlich, daß ein friedliches Verhältniß jwischen dem Arbeit- geber und Arbeitnehmer, diesen beiden für das Vaterland so überaus wichtigen Klassen unserer Mitbürger, möglichst sicher, in möglichster Uebereinstimmung mit ihnen und das möchte ich doch besonders betonen möglichst bald erreicht wird.

Die verbündeten Regierungen sind der Meinung, daß sie in dem vorliegenden Gesetzentwurf sowohl den Interessen der Arbeiter, als auch der Arbeitgeber in vorsichtiger und objektiver Weise Rechnung getragen haben, daß deshalb beide, soweit sie Mitglieder diefes Hauses sind, gern und willig an der Ausgestaltung dieses Gesetz⸗ entwurfs mitarbeiten können, und daß Arbeitgeber sowie Arbeitnehmer, wenn demnächst die Bestimmungen dieses Gesetzentwurfts Gesetz geworden sein werden, an der Ausführung derselben sich mit voller Kraft betheiligen sollten, um sie in ruhiger, verständnißvoller und friedliebender Weise ins Leben überzuführen.

Die verbündeten Regierungen wissen sehr wohl und sie wissen es zu ihrem Bedauern —, , daß ein Theil unserer Arbeiterschaft ihren wohlwollenden Absichten, wie auch den wohlwollenden Äbfichten des Reichstags, mit Mißtrauen gegenübersteht; sie wissen auch, daß bei einem Theil unserer Arbeitgeber, namentlich in der letzten Zeit, sich die ernste Besorgniß gezeigt hat, die für das Wohl“ der Arbeiter geplanten Maßnahmen möchten zu weitgehend, zu Üüberstürzt und die Sicherheit der Industrie nicht genügend wahrende sein. Der Herr Abgeordnete Miquel hat auch feinerseits auf diese Besorgnisse hin⸗ gewiesen und bemerkt, daß sie weniger vor Thatfachen bestehen, als vor einer dunklen Sache, vor einem dunklen Etwag, aus dem alles Mögliche sich entwickeln könnte. Ich meine, in' diefe Dunkelheit ist Licht gebracht, und ich meine, die Bestimmungen des Gesetzentwurfs weisen nach, daß beide, Mißtrauen wie Besorgniffe, unbegründet sind. Ich glaube, Arbeitgeber wie Arbeitnehmer können sich ver— trauensvoll unter die Fahne schaaren, die in fester und entschlossener Hand in der sozialen Reform unserem Vaterland vorangetragen wird, und sie können, unter dieser Fahne geschaart, versuchen, besser sich zu vertragen, als sich zu schlagen, womit sie ihrem eigenen Interesse g em Interesse des Vaterlandes am besten Rechnung tragen würden.

Abg. Liebermann von Sonnenberg: Es liegt nicht in meiner Absicht, Ihnen eine lange Rede zu halten; ich be⸗ schränke mich auf einige Bemerkungen zur Frage der Sonn— tagsruhe. Die Partei, die mich gewählt hat, kann von keinem Mitglied dieses Hauses an Hochschätzung der Sonntagsruhe übertroffen werden. Aber wir können uns der Furcht nicht entschlagen, daß, wenn nicht zu den Bestimmungen der Vor⸗ lage noch gleichzeitig weitere reichs- oder landesgesetzliche Vor⸗ schriften und eine erweiterte Sonntagsfeier der Handelsgeschäfte eintritt, den Arbeitern von der ihnen zugedachten Sonntagsruhe nur wenig zugute kommen wird. Eine solche gesetzliche Er— weiterung der Sonntagsruhe der Geschäfte ist durchaus noth— wendig. Zu einer ordentlichen Sonntagsruhe gehört auch ein Sonnabend, an dem die Arbeit möglichst zeitig geschlossen worden ist. Wer um 6 Uhr Morgens nach langem Nacht⸗ dienst seine Sonntagsruhe antritt, wird wenig davon haben; er wird den Tag zum größten Theil verschlafen, wie es auch an einem Wochentag geschehen würde. Vielleicht ist es ein Druckfehler im Gesetzentwurf, daß die Ruhepause frühestens um 6 Uhr am Abend vorher zu beginnen hat. Es kann doch dem Arbeitgeber nicht vorgeschrieben werden, wann er den Ar⸗ beitern frühestens freigiebt; es kann sich höchstens darum handeln, wann er ihnen spätestens freizugeben hat. Ein zweiter Punkt, auf den wir die Aufmerksamkeit des Reichstages lenken möchten, sind die Bestimmungen über die Sonntagsruhe der Handlungs— gehülfen. Ich empfehle in dieser Beziehung die Petition des Verbandes der deutschen Handlungsgehülfen dem Wohlwollen der Kommission und der Reichsregierung. Aber selbst in dieser Petition sind die Verhältnisse der Detailgeschäfte zu wenig be— rücksichtigt. Die kleinen Geschäfte, die . Gehülfen arbeiten, können den großen Geschäften, für deren Gehülfen die Arbeits⸗ zeit 5 Stunden am Sonntag nicht überschreiten darf, eine sehr ere vielleicht nicht zu ertragende Konkurrenz bereiten, indem ie eventuell genöthigt sind, ganz zu schließen, während die Inhaber der kleinen eschäfte es nicht thun. Hier müßten alle Vorschriften getroffen werden, daß mindestens alle Geschäfte der gleichen Branche die⸗ selbe Geschäftszeit beobachten. Die rastlose Erwerbssucht der Einzelnen muß eingeschränkt werden zum Besten Derjenigen, welche die Sonntagsruhe dringender nöthig haben; und das geht nur durch die Gesetzgebung. Ich bin für diese For— derungen seit 10 Jahren ,. Eine größere geschäft⸗ liche Ruhe am Sonntag ist aber auch thatsächlich möglich. Zu verhungern und zu verdursten braucht Niemand; aber das Vaterland wird dadurch nicht in Gefahr gerathen, wenn Jemand, der vergessen hat, sich am Sonnabend mit Eigarren zu versehen. nunmehr bis zum Montag warten muß, oder sein grit hrt n n, durch eine Änleihe bei Be— kannten deckt. Die roße Agitation in der Presse gegen die Ausdehnung der geschäftlichen Sonntagsruhe geht wesent⸗

lich von den Inhabern jüdischer Geschäfte aus. Das ist ein rein sachliches Argument; denn die Inhaber dieser Geschäfte, welche Sonnabend ohnehin schließen, müssen befürchten, daß sie nun noch einen Tag für ihr Geschäft verlieren könnten, und da man ihnen doch nicht gut gestatten kann, daß sie Sonntags allein offen haben, so müͤssen die christlichen Ge⸗ schäfte nachfolgen. Entweder also berufen die Herren durch ihre Rabbiner einen Kongreß usammen, der beschließt, die Feier des siebenten Tages aut den christlichen Sonntag zu verlegen, oder sie bequemen sich unseren Staatseinrichtungen an. Das deutsche Volk aber erhebt den Anspruch an die Regierung und die Volksvertretung, daß man ihm seinen deutschen Sonntag möglichst ganz und voll zurückgiebt. Die Staatsbetriebe sollen nach einem Allerhöchsten Ausspruch Musteranstalten werden. Ich wünschte nur, daß kein Unter— schied gemacht würde zwischen den Staatsanstalten und den Beamten im sonstigen Staatsdienst. Letztere kommen hierbei immer noch etwas zu kurz. Der Postdienst könne z. B. noch erhebliche Einschränkungen erfahren; Hr. von Stephan würde bei seiner großen Iced nz auch in dieser Beziehung die Nothwendigkeit davon dem Publikum leicht klar machen. Der Packetverkehr könnte unterbleiben, Drucksachen und Kreuzbänder, soweit sie nicht bis Sonnabend Abend 10 Uhr bearbeitet worden, könnten bis Montag liegen bleiben, auch die Schalterstunden könnten beschränkt werden; nur Brief- und Geldsendungen wären zu bestellen. In Städten mit starker jüdischer Bevölke— rung werden die Postbeamten sehr überlastet dadurch, daß die jüdischen Empfänger von Geld und eingeschriebenen Sendungen am Sonnabend nichts annehmen, weil sie nicht schreiben. Da sollte doch angeordnet werden, daß diese Werthsendungen unter dieser Voraussetzung erst am Sonntag präfentirt werden. Zum Schluß noch einige Bemerkungen gegen die Ausführungen des Abg. Grillenberger. Seine freundliche Einladung zum nächsten Sozialistenkongreß hier in Berlin nehme ich für meine Person dankbar an. Ich hoffe aber, daß Sie dort unter anderen Formen tagen werden, als Ihre Anhänger im Lande sie handhaben, die in den letzten Wochen acht oder neun Mal unsere Ver⸗ sammlungen durch wüsten Lärm gestört und zum Theil ge— sprengt haben. Auch in einem zweiten Punkte stimme ich mit Hrn. Grillenberger vollständig überein. Es betrifft das die Betonung der unersättlichen Begehrlichkeit und Profit⸗ wuth der Arbeitgeber, die sogar für ihre Zwecke die Gesetz⸗ gebung mißbrauchen. Wir bitten Sie aber dringend, in dieser Beziehung keine Ausnahmen zu statuiren. Wir werden stets auf Ihrer Seite fechten, wenn es z. B. gelten sollte, arme Näherinnen vor Ausbeutung zu schützen und ihnen Ersatz an⸗ zubieten in einem Nebenerwerbe, den ich hier nicht näher Harakterisiren kann. Sehr überrascht hat mich schließlich der Ausdruck seiner großen Freundlichkeit für unsere Bauern. Es ist außerordentlich schön, daß er auch auf unsere Landwirth⸗ schaft die Schutzgesetze ausdehnen will, wenn auch unsere Bauern, Gott sei Dank, dieses Schutzes jetzt noch nicht so. bedürfen, wie andere Klassen. Ich weiß nur nicht, wie er mit dieser Anschauung zu seinem Parteigenossen Engels steht und zu dessen bekannter Aeußerung, daß das Kapital, welches mit dem Kleingewerbe, dem Bauern—⸗ stand u. s. wi, rasch aufräume, damit eigentlich eine Kultur— mission erfülle, Unsere Bauern bedanken sich fehr dafür, sie haben noch ein ganz bedeutendes Existenzbedürfniß. Aber dankbar sind wir Ihnen für solche Offenheiten; wir werden damit um so leichter erreichen, Ihnen große Klassen der Be— völkerung wieder zu entreißen, die diesmal für Sie aus Un— zufriedenheit gestimmt haben, und weil sich keine Partei fand, die ihnen auf dem Boden der Monarchie zu Hülfe kommen wollte. Unsere Partei wächst zu immer größerer Stärke, sie wird diese Aufgabe lösen. Ich hoffe, daß der Reichstag mög⸗ lichst einmüthig die Vorlage annehmen werde, welche nach der erforderlichen Umgestaltung wohl ein Eckstein zu dem Gebäude des sozialen Friedens werden kann.

Abg. Hirsch: Der Abg. Grillenberger hat die Forderung des achtstündigen Arbeitstages in einer Weise vorgetragen, deren Heftigkeit die guten Gründe nicht ersetzte. Der Stand punkt der plötzlichen Einführung einer verkürzten Arbeitszeit sieht von allen realen Verhältnissen, den Bedürfnissen und der Er⸗ tragsfähigkeit des industriellen Betriebes ab. Wenn es gleich— gültig ist, ob Tausende und Abertausende von kleineren Ünter— nehmern zu Grunde gehen, dann mag dieser Standpunkt gerechtfertigt sein; sonst ist aber Vorsicht in solchen Dingen geboten. Es ist nicht nachgewiesen, wie der kolossale un el von ungefähr 30 Proz. des Gesammtertrags der Arbeit in Folge der kürzeren Arbeitszeit gedeckt werden soll. Die Reserve⸗ armee der Arbeitslosen ist zwar sehr groß, beträgt aber nicht 30, noch nicht einmal 5 Proz. der Arbeitenden. Ferner ist nicht nachgewiesen, daß es den Arbeitern nicht möglich sein sollte, in Verbindung mit oder auch gegen die Arbeltgeber eine wünschens⸗ werthe Verkürzung der Arbeitszeit vermöge ihrer Koalitions⸗ freiheit herbeizuführen. Die Sozialdemokraten haben ja in den letzten Jahren manche Erfolge in dieser Beziehung gehabt. Und wenn erst das Puttkamer'sche System aufgehört hat und das Koalitionsrecht der Arbeiter wirksamer wird, können die Mißstände durch freiwillige Vereinbarungen beseitigt werden. Ich bestreite die Behauptung des Abg. Grillenberger, daß die große Masse der deutschen Arbeiter auf dem Standpunkt des Achtstundentages stehe. Nicht nur in England, sondern auch bei uns in Deutschland giebt es eine große Menge von Arbeitern, welche das Wort „Männerstolz vor Fürsten— thronen“ auch auf das Arbeitsverhältniß angewendet wissen und sich allein ihr Recht verschaffen wollen. Der Abg. Grillenberger ist in den alten Fehler verfallen, daß er unter den Arbeitgebern nur die Großkapitalisten und die großen Aktiengesellschaften mit ihren hohen Dividenden versteht, aber die große Masse der Kleinbetriebe unbeachtet läßt. Der Abg. Grillenberger ist ja selbst Unternehmer und wird keinen so großen Profit aus seinem Unternehmen ziehen, um so großen Luxus zu treiben, wie er es von den Unternehmern behauptet. Die Rede des Abg. von Stumm ließ das Gespenst des Feuda⸗ lismus vor mir aufsteigen. Der Grundsatz jener Herren ist: Rechte für die Unternehmer, Leibeigenschaft für die Arbeiter. Nach den heutigen Zeitungsberichten hat Hr. von Stumm in der Fabrikordnung der Neunkirchener Eisenwerke den Arbeitern sogar verboten, ohne Konsens des Unternehmers zu heirathen. Solche Verhältnisse grenzen doch an Leibeigenschaft und har— moniren in keiner Weise mit dem hochherzigen Geiste der Kaiser⸗ lichen Erlasse. Alle noch so wohlwollenden Pläne würden durchkreuzt werden, wenn diese Gesinnung nicht beseitigt wird. Hr. von Stumm will, den Arbeitern auch das Organisationsrecht ver⸗ wehren. Weiß er nichts von den zahlreichen Verbänden der Arbeitgeber, von den Ringen, Kartellen und Konventisnen, die in so ausgiebiger Weise das Koalitionsrecht für die Arbeit⸗ geber und häufig gegen die Arbeiter in Anwendung bringen?

Die Mächtigen dürfen sich vereinigen, die Schwachen müssen vereinzelt bleiben, das ist das divide et impera dieser Politik. Beklagen muß ich vie Verquickung zweier ganz verschiedener, ja entgegengesetzter Bestandtheile in diesem Gesetz; das eine ist der Arbeiterschutz, das andere der Arbeitertrutz. Ich billige durchaus nicht den Kontraktbruch, geschweige denn die weiteren Ungesetzlichkeiten bei der Ausübung des Koalitionsrechts, aber die vorhandenen gesetzlichen Mittel genügen, um solchen Miß⸗ bräuchen entgegenzutreten. Arbeitgeber und Arbeiter müssen vor Allem mit gleichem Maße gemessen werden. Es empört die Arbeiter am meisten, wenn sie sehen, daß bei der Einrich— tung der Justiz gegen die Arbeiter sehr viel schärfer vorge⸗ gangen wird, als gegen die Arbeitgeber, die sich ähnlicher Vergehen schuldig machen. Infolge weiterer Verschärfung der gesetzlichen Mittel werden die Arbeiter nicht von den Mißbräuchen ablassen. Wenn Sie aber die Koalition der Arbeiter frei werden lassen, dann wird eine Zeit der Reife eintreten, in welcher die Arbeiter ebenso gesetzlich verfahren werden, wie andere Theile der Bevölkerung. Die gestern er⸗ hobenen Vorwürfe gegen die englischen trades unions sind völlig unzegründet, wie das Urtheil aus den berufensten Kreisen über dieselben in England beweist. Ebenso verhält es sich mit dem Urtheil über bie deutschen Gewerk- und Fach⸗ vereine. Die bedeutendsten Strikes sind gerade da vorge⸗ kommen, wo keine Arbeiterorganisation bestand. Die Berg⸗ arbeiter waren noch nicht organisirt, und im Bauhandwerk ist die Organisation ebenfalls noch eine spärliche. Wo die Arbeiter sich rechtzeitig zusammengeschlossen haben, wo sie KLassenvermögen erworben und geschulte, vertrauenswürdige Führer sich herausgebildet haben, da werden Sie von solchen Dorgungen nichts wissen. Es giebt kein besseres Mittel gegen den Kontraktbruch, als die Anerkennung und Förderung der Gewerkvereine. Wenn ich mich gegen den Arbeitertrutz ganz entschieden wenden muß, so bin ich für den Arbeiterschutz, be= sonders in Bezug auf die Frauen- und Kinderarbeit. Auf diesem Gebiet müssen wir energisch und schnell vorgehen. Ich wünsche nicht, daß man bezüglich der Kinderarbeit bei dem 13. Lebensjahr stehen bleibt und sogar für das 13. bis 14. Jahr die zehnstündige Arbeitszeit ausnahmsweise zuläßt. Aehnlich verhält es sich mit den jugendlichen Arbeitern. Die zahlreichen Ausnahmebestimmungen in dieser Beziehung sind nicht nöthig und geradezu schädlich. Die Ausnahmen sind auch so zahlreich, daß man an das Gewand der Penelope denken kann, das am Tage genäht und in der Nacht wieder aufgelöst wird. Die Schutzzeit müßte bis zum 18. Jahre ausgedehnt werden, wie es auch in Frankreich und anderen Ländern schon durch⸗ geführt ist. Nach meiner Ansicht auf Grund langjähriger Erfahrungen hat sich in allen Ländern herausgestellt, daß die Gebote der Hygiene, Pädagogik und Sittlichkeit keineswegs im Widerspruch stehen mit den dauernden wirthschaftlichen Interessen. Es giebt für die Produktion kein höheres Interesse als die Erhaltung der Arbeitskräfte und Heranbildung der— selben durch die Stärkung der Jugend. Was die Frage der Aufsicht betrifft, so werden all' die schönsten Schutz— bestimmungen nur todte Buchstaben bleiben, wenn nicht eine richtige und energische Aufficht dahintersteht. Ich wünschte aber, daß nicht nur durch die einzelnen Regierungen, sondern durch Reichsgesetz eine genügende Aufsicht festgestellt werde. Unbedingt erforderlich ist eine wesentliche Vermehrung der Inspektions— kräfte. Es brauchen ja nicht Alles Inspektoren ersten Ranges zu sein, ja es könnten sogar befähigte Arbeiter und seibst Arbeiterinnen zu diesen Posten herangezogen werden, denn Keiner kennt die Verhältnisse besser, als der Arbeiter selbst. Ferner muß die Kompetenz der Fabrikinspektoren erweitert werden; sie können jetzt nur berichten, aber nichts anordnen. In dringenden Fällen muß der Fabrikinspektor das Recht haben, selbst zu verfügen, wogegen natürlich dem Arbeitgeber der Rekurs freistehen müßte. Die Organisation der Fabhrik⸗ inspektoren muß eine einheitliche für das ganze Reich werden, wie es in Oesterreich vortrefflich gelungen ist. Möge dieses Gesetz, vor Allem durch den Schutz der Frauen und Kinder, dazu beitragen, daß dem deutschen Volk das frühere Familien⸗ lehen wiedergegeben werde, von dem der Dichter der Glocke gesungen hat. Dann wird der Guß gelingen und der heiß ersehnte Frieden im Innern des Vaterlandes bei allen Klassen erzielt werden. . ;

Abg. Hitze: Die Hauptbestimmung des Gesetzes, die Re—⸗ gelung der Sonntagsruhe, knüpft an den Entwurf an, welchen der Reichstag seiner Zeit angenommen hat. Bedenklich ist nur, daß jetzt nur eine 24 stündige Sonntagsruhe angenommen ist. Soll der Sonntag wirklich zur Erholung, zur religiösen Er— bauung, zur Pflege des Familienlebens dienen, dann darf er nicht zum Schlaftag werden, sondern muß auf 36 Stunden ausgedehnt werden. Für die Tag- und Nachtschicht mag man eine solche Bestimmung treffen. Vielleicht empfiehlt es sich jetzt schon, ein Verbot der Nachtarbeit in das Gesetz einzufügen. Die Bestimmung in Bezug auf die Frauen- und Kinderarbeit unterscheidet sich dadurch von dem früheren y, ,. daß für die verheiratheten Frauen nicht der zehnstündige Arbeitstag, sondern ihnen als Ersatz eine 116stündige Mittagspause gewährt wird. Im Prinzip sind wir dafür, daß allmählich die Frau aus der Fabrik entfernt werde. Da dies aber nicht auf einmal möglich ist, so sind Uebergangsbestimmungen noth⸗ wendig. Es ist viel . wenn die Frau etwas früher in die Fabrik geht, als daß ihr Mittags eine solche Pause ge⸗ währt wird. Die freie Zeit für die Wöchnerinnen ist von drei auf vier Wochen erhöht worden; ich glaube, daß sie gewiß auf sechs Wochen erhöht werden muß. Die Begrenzung der Arbeitszeit der Arbeiterinnen auf elf Stunden wird dahin führen, daß auch die männlichen Arbeiter allmählich dieser Wohlthat theilhaftig werden. Es wird hier Gelegenheit ge⸗ geben zu einer Probe; läuft diese gut ab, so werden wir weiter gehen können. Deshalb tröste ich mich auch darüber, daß zunächst von einem allgemeinen Maximalarbeitstag ab⸗ gesehen wird. Die Mahnung des Abg. Grillenberger, wir möchten an dieser Forderung festhalten, ist überflüssig. Wir gcceptiren diese vorläufige Lösung Dankbar. Dem Bundesrath, wird jetzt schon die Befugniß eingeräumt, für einzelne Betriebe von vorne herein den Maximalarbeitstag einzuführen. Genügt diese Regelung nicht, so, können wir später zu einer gesetzlichen Regelung schreiten. Vielleicht kommen wir auch in absehbarer Zeit zu einer weiteren Herabsetzung der Arbeitszeit bis auf 10 Stunden, wie in England. Ob wir zu einem achtstündigen Maximal- arbeitstag kommen werden, wie die Sozialdemokraten ihn wollen, 1 mir sehr zweifelhaft; überlassen wir das ruhig der Zukunft. Gehen wir voreilig damit vor, so könnte sehr leicht eine Reaktion eintreten. i die jugendlichen Arbeiter werden Fortbildungsschulen vorgesehen und die Arbeitgeber verpflichtet, den jungen Leuten Zeit zum Besuch derselben zu gewähren.

Dagegen ließe sich an sich wenig erinnern. Wenn aber den Gemeinden das Recht gegeben wird, durch Ortsstatut diese Schulen obligatorisch zu machen, so können wir dem nicht folgen. Wenn Sie uns die Garantien geben könnten, daß diese Schulen stets allen Anforderungen, die wir stellen müssen, genügen, dann können wir die Sache in Er⸗ wägung ziehen; aber diese Garantien können Sie in keiner Weise bieten. Diese Garantien sind vor allen Dingen konfessioneller Art, insofern es wünschenswerth ist, daß die Haushaltungsschulen z. B. konfessionell sind und es nicht ge⸗ rechtfertigt ist, wenn evangelische Mädchen in katholische und katholische Mädchen in evangelische Schulen gehen oder gar in Schulen sozialdemokratischer Richtung. Sie statuiren nicht bloß einen Schulzwang, sondern eine Zwangsschule. Es giebt gewisse Humanitäts⸗ und Bildungsschwärmer, welche die Mädchen, wenn sie 11 Stunden in der Fabrik beschäftigt ge⸗ wesen sind, auch noch zwingen wollen, von 8— 10 Uhr Abends in die Haushaltungsschulen zu gehen. Dies hat schon sittliche Bedenken. Es ist aber auch, vom Standyunkt des Arbeiter⸗ schutzes nicht zu verstehen, daß man den Gemeinden einfach das Recht einräumt, einen Zwang in dieser Richtung hin auszuüben. Sehr wichtig sind. die Bestimmungen über die jugendlichen Arbeiter. Mit Recht wird auf die Auflösung des Familienlebens und auf die Unter⸗ grabung der elterlichen Autorität hingewiesen. Da auch die Arbeitgeber ihre Autorität nicht geltend machen können, weil die Fabriken in der Regel zu groß sind, so fehlt es oft an jeder Erziehung. Ich finde es ganz in der Ordnung, daß die Auszahlung des Lohnes der jugendlichen Arbeiter an die Eltern stattfindet. Der Widerstand des Abg. Grillenberger gegen diese Bestimmung ist höchst charakteristisch. Eine Partei, welche an die Stelle der Mutter den Beamten, an die Stelle der Familie und des Haushalts die Anstalt setzen will, muß konsequenter Weise lebhaft dagegen protestiren, daß der Vater in einem solchen . für den Sohn handle. Um so mehr Veranlassung haben die anderen Parteien, gerade hier den Hebel einzusetzen und durch eine starke Autorität der Eltern auch die Grundlagen aller Autorität zu schützen, wenn auch gegen die Sozialdemokratie. Für den Fall, daß die Eltern zu weit von der Fabrik entfernt wohnen, könnte ihnen vierteljährlich Mittheilung von dem Lohn des Sohnes gemacht werden; dadurch wird wenigstens eine allge⸗ meine Kontrole ermöglicht. Gewiß giebt es auch unwürdige Eltern, im Zweifelsfalle aber muß man stets für die Eltern Stellung nehmen. In Ausnahmefällen könnten an die Stelle der Eltern die Arbeiterausschüsse, oder die Krankenkassenvorstände, oder die Gemeindebehörden, oder die Vormundschaftsgerichte treten. Den Hinweis des Abg. Grillenberger auf die Studenten, die auch keiner Kontrole unterlägen, hat Hr. von Stumm zurückgewiesen. Ich füge hinzu, daß unsere jungen Leute in der Regel sehr stramm erzogen werden. Der Primaner darf nicht ins Wirthshaus gehen, er muß Abends zu einer be⸗ stimmten Zeit zu Hause sein und sein Arbeitsbuch, d. h. sein Zeugniß, den Eltern vorlegen. Die Sezigldemokraten könnten viel eher sagen: Man hat unsere, der besitzlosen Klasse, Söhne vergessen, während man für die ber besitzenden Sorge getroffen hat. Qb die Bestimmungen über den Kontraktbruch zweck— entsprechend sind, möchte ich bezweifeln. Es ist gewiß beklagenswerth, daß nach der Statistik des Ministers von Berlepsch soviel Kontrakt⸗ brüche vorkommen. Es möchte leicht dazu kommen, daß die bestraften Arbeiter sich erst recht verbeißen und zur Sozialdemokratie übergehen. Außerdem könnten durch diese Bestimmungen nicht die eigentlich Schuldigen, sondern solche getroffen werden, die vielleicht in einer Versammlung in einer Jeidenschaftlichen Erregung sich hinreißen lassen und hineinfallen. In vielen Fällen wird es auch den Arbeitern nicht möglich sein, den ertrag einzuhalten. Strikes brechen mit elementarer Gewalt

herein. Der einzelne Arbeiter kann nicht gut kündigen und die Strikechmités werden nicht als legitime Srgane anerkannt. Es wird nichts übrig bleiben, als den Arbeitern behülflich zu sein, sich legitime Organe zu schaffen. Ich lasse ganz dahin—

gestellt, ob die Gewerkvereine etwas werth sind und ob, sie sozialdemokratische Tendenzen verfolgen; ich meine aber, daß der organisirte Krieg viel eher zum Frieden führt als der unorganisirte. Die Bi dung von Arbeiter⸗ ausschüssen wäre sehr erfreulich. Solche Arbeiterausschüsse in jeder Fabrik würden die beste Unterlage bilden für die Ar⸗ beiterkammern. Was die Strafbestimmungen anbetrifft, so bin ich dagegen, daß die Arbeitgeber von einem Theil der Ver⸗ antworlichkeit entlastet werden. Der Arbeitgeber, der bloß reist, kann nicht eine soziale Mission ausüben, er gehört in die Fabrik. Vermag der Arbeitgeber den Nachweis zu führen, daß er unschuldig ist, so mag in zweiter Linie der Beamte die Verantwortung tragen. Alles Nähere zu erörtern, wird die Kommission Gelegenheit gaben. Ich hoffe, daß die Be⸗ rathungen der Kommission recht bald zu eineni positiven Re— sultat r, werden. Wir unsererseits werden es an der er e ern f. an der Erfüllung der großen Aufgaben, welche der Kaiser uns vorgezeichnet hat und die vom Lande mit Freude begrüßt worden sind, nicht fehlen lassen.

Abg. Kropatscheck: Unerwartet und überraschend schnell ist die Vorlage an uns gekommen, die man noch vor sechs Monaten bei Weitem nicht so nahe glauben konnte und die auf dem Wege der Arbeiterschutzgesetzgebung einen gewaltigen Schritt vorwärts bedeutet. Bei der Berathung der Gewerbe⸗ ordnung von 1869 sind ja auch Reden von sozialpolitischer Bedeutung gehalten worden, die bedeutendste vielleicht von dem konservativen Hermann Wagener; in dem Gesetz selbst kommen aber sozialpolitische Gefichtspunkte nicht zum Aus— druck, und auch in den Motiven der Novelle von 1875 wurde noch gerühmt, daß eine Verschärfung der Staatsaufsicht und Staatseinmischung in das Verhältniß zwischen Arbeitgeber und Arbeiter nicht nöthig sei. Dagegen durchzieht die Motive der jetzigen Vorlage ein warmer sozialpolitischer Ton; man hat ein klares Auge gewonnen für die unzweifelhaft vorhandenen Schäden. Bisher hatten wir nur eine Fabrik⸗ keine Arbeiter⸗ schutzgesetzgebung. Ich freue mich, daß mein Kollege Hartmann jetzt auch in der Frage der Kinderarbeit zu mir Übertritt, in welcher er bisher sich von mir getrennt hielt. Die Stellung zur Vorlage, welche er hier Namens der Fraktion begründet L. ist im Großen und Ganzen auch die meine; grundsãätzliche

erschiedenheiten bestehen zwischen uns nicht. Was ich an weitergehenden Wünschen etwa äußere, bitte ich demnach auf mein persönliches Konto zu schreiben. Zu einer weitgehenden Beunruhigung der Arbeitgeber liegt wirklich keine Veran⸗ lassung vor. Zu jeder Zeit, wo solche gesetzgeberische Versuche zur ,, , der freien Verfügung der Arbeitgeber über die Arbeitskraft der Arbeiter gemacht wurden, haben sich die⸗ selben Klagen erhoben, daß die Industrie aufs Aeußerste bedroht, ja dem Ruin nahe sei. So war es in England in