1890 / 123 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 22 May 1890 18:00:01 GMT) scan diff

den Werten an: „Du Lümmel, kannst Du nicht anständig stehen?“ Ein anderer Redacteur mußte in Bamberg Weiberröcke nähen. Der Redacteur der „Elberfelder Freien Presse“, Bölger, wurde in Herford glatt rasirt und ges horen und trug Gefängnißkleider, während andere wegen Körper⸗ verletzung bestrafte Gefangene Bart und eigene Kleidung trugen. Politische Gefangene werden zum Theil viel härter behandelt, als die wegen gemeiner Vergehen nhaftirten. Ein wegen Betrugs gleichfalls in Herford inhaftirter Herr von Born durfte eigene Wäsche tragen, konnte sich selbst be⸗ köstigen und Zeitungen lesen. Ein Sozialdemokrat Zuchalski wurde auf seinem Krankenlager in Berlin verhaftet und krank nach Posen ins Gefängniß transportirt; die Eltern durften ihn erst nach 8 Wochen besuchen. Er wurde, gestützt auf 6 Aufseher, vorgeführt, seine Mutter fiel bei diesem Anbli in Ohnmacht. Er bat seine Mutter, die Gerichte um seine vorläufige Ent⸗ lassung zu ersuchen, da er Wunden am Körper habe, die auf den harten Brettern, auf denen er liegen müsse, sich ver⸗ schlimmerten. Diese Bitten blieben aber von einem hohen Gericht und dem Staatsanwalt unberücksichtigt. Schließlich wurde er nach 14 Wochen nach dem Franziskanerkloster in Breslau gebracht, wo er bald darauf von seinen schweren Leiden durch den Tod erlöst wurde. Den politischen Gefangenen muß endlich eine bessere Behandlung zu Theil werden, und es muß zunächst festgestellt werden, was man unter einem pol tien Gefangenen versteht. In Frankreich wird denselben eine bessere Behandlung zu Theil. Professor von Holtzendorff schrieb einmal an die „Vossische Zei⸗ tung“, die heidnische, römische Republik habe die Gefangenen besser behandelt, als es von der hristlichen r nf des 19. Jahrhunderts geschieht; ein römischer Dichter habe sogar in den Gefängnissen Lustspiele verfassen können. Mir wurde in Zwickau auch die Selbstbeköstigung und Selbstbeschäftigung verweigert. Der Direktor fragte mich: „Wie heißt Du? was ist Dein Vater? was ist Deine Mutter?“ Als ich Diese Fragen bereitwillig beantwortet hatte, fragte mich der Herr: Und die Brut?“ Damit meinte er meine Ge— schwister. Was sollen dann erst die unteren Beamten thun, die, sich nach ihren Vorgesetzten richten? Solche boösen Beispiele verderben gute Sitten. Giebt die Regierung ein Strafvollzugsgesetz nicht, das den Geboten der Humanität entspricht und eine würdige Behandlung, der Gefangenen sichert, dann wird sie in weitesten Volkskreisen den Glauben nicht verwischen können, daß sie politische Gefangene mal⸗ trätiren will. ;

Abg. Dr. Windthorst: In der Kulturkampfszeit haben die Geistlichen und Redacteure unserer Partei die lebhaftesten Klagen über ihre Behandlung in den Gefängnissen gi führen gehabt. Damals fanden ihre Klagen nicht dieselbe Theil⸗ nahme, von der ich glaube, daß sie jetzt eintreten wird. Ich weiß nicht, ob wir jetzt mit der dankenswerthen Anregung des Abg. Bamberger sehr viel weiterkommen werden, als daß durch reglementäre Vorschriften Abhülfe geschaffen wird. Das wirksamste Mittel wird es immer sein, wenn seder einzelne Fall, der zur Kenntniß kommt, der Oeffentlichkeit übergeben wird, entweder in den Landtagen oder im Reichstage. Ob diese Gelegenheit zur Revision des Strafgesetzbuchs besonders günstig, ist mir sehr zweifelhaft, man könnte damit gar leicht bittere Ex⸗ fahrungen machen. Es ist auch zu bedenken, daß die Schaffung eines einheitlichen Strafvollzuges bedeutende Mittel für Ge fängnißbauten in Anspruch nehmen würde. Die Hauptsache ist, daß die unteren Beamten nicht Ausschreitungen begehen; die höheren Beamten gehen ihnen meist mit gutem Beispiel voran.

Abg. von Marquardsen: Man Follte das Eine thun und das Andere nicht lassen. Ich bin dem Abg. Bamberger für seine Anregung und Förderung eines deutschen Straf⸗ vollzugsgesetzes um so dankbarer, als wir in früherer Zeit gerade im Schooße unserer gemeinsamen Partei ein Straf⸗ vollzugsgesetz als Ergänzung des Strafgesetzbuchs ins Leben rufen wollten. Bei allen guten Vorschristen in Bezug auf die Behandlung der Gefangenen liegt die Gefahr vor, daß den Gefangenen Unrecht . kann. Denn es werden den vollziehenden Beamten immer weitgehende Vollmachten gegeben werden müssen. Um so mehr sollte man sich be⸗ mühen, durch eine feste gesetzliche Schranke die Willkür“ ein— zuengen. Ich hoffe, daß nach den Aeußerungen des Herrn Staats selreiärs bei gegenseitigem guten Willen alle Hinder— 1 beseitigt werden, welche zur Zeit diesem Ziele entgegen⸗

ehen.

Die Diskussion wird geschlossen. In persönlicher Be— merkung verwahrt sich

Abg. Dr. Bamberger dagegen, daß die freisin e Partei erst durch das Vorgehen gegen einen freisinnigen Redacteur zu Beschwerden über die Behörden veranlaßt sei.

Damit ist die Interpellation erledigt.

Die Interpellation, betreffend den deu tsch⸗ schweizerischen Nieder lassungs vertrag, wird auf An⸗ trag des Interpellanten, Abg. Baumbach, von der Tages— 6 ener ö

3 jolgt der Antrag Rintelen, betreffend das ericht⸗ liche Zu st lun gane en ff 7

„Der Antragsteller weist darauf hin, daß sein Antrag bereits in der vorigen Session berathen worden sei und die Zustimmung der praktischen Juristen gefunden habe. Das jetzige ustellungs verfahren sei viel zu formalistisch, weitläufig und ko tspielig. Die Regelung des Zustellun sver fahrens sei gar nicht abhängig von einer generellen Revision der Prozeß— ordnung, sondern könne abgesondert behandelt werden. Etz komme vor allen Dingen darauf an, daß für die von Amts wegen zuzustellenden Schriftstücke Schreibgebühren und Zu— stellungsgebühren hei den Gerichtskosten nicht bere chnet werden. Der Antragsteller schlägt vor, seinen Antrag einer Kommission von 14 Mitgliedern zu überweisen.

Das Haus beschließt demgemäß.

Es folgt die Berathung des Antrages Rickert auf Ab⸗ 1 des §. 5 der Geschäftsordnung, Wahlprüfungen

etreffend.

bi Antragsteller weist darauf hin, daß von 1874—76 lediglich den Abtheilungen das Wahlprüfungsgeschaͤft obgelegen habe. Auf Antrag der Abgg. von Bernuth und GHennoffen sei eine besondere e rr fn m, , beschlossen worden. Eine schnellere Erledigung der Wahlprüfungsarbeit und eine festere sichere Grundlage für die Entscheidung, wie man ge⸗ hofft, sei aber trotzdem nicht eingetreten. Baraus solle den früheren Wahlprüfungskommissionen kein Vorwur gemacht werden; sie konnten eben nicht mehr leisten. n Folge dessen seien einzelne Wahlen erst am Schlusse der Legislaturperiode geprüft worden. Er beantrage nun, wie früher schon, daß im Bedürfnißfalle der Reichs- tag statt einer zwei Kommissionen niedersetze. In dieser

Session seien nicht weniger als 78 Wahlen angefochten. Es sei nicht abzusehen, wann dieselben noch geprüft werden sollen. Der Einwand, daß dann vielleicht die beiden nach verschiedenen Grundsätzen verfahren stichhaltig. Wenn die Wahlprüfungsfragen Parteifragen hehandelt würden, so könnten do der einzelnen Fraktionen, welche in beiden Ko sich leicht einigen. Soviel ste einmal auf seinen Vorschlag ni der Wahlen in den Abtheilunge Jedenfalls möge man doch wenigstens gelinge derselbe nicht, so könnte man i zu dem alten Verfahren zurückkehren.

Kommissionen rden, sei nicht auch nicht als ch die Mitglieder mmissionen sitzen, e aber fest, daß, wenn man t eingehen wolle, die Prüfung den Vorzug verdiene. einen Versuch wagen; n der nächsten Session

er⸗Marienwerder widerspricht diesem Antrage. hlen auf einem anderen Wege zu prüfen, sich als unpraktisch erwiesen. Die n haben durch ihre Thätigkeit in der Hause nachgewiesen, daß sie genau das— ü haben, wie die anderen gkeiten bei den Wahlen wirksam entg ; ; aber selbst zwei so erfahrene Parlamentarier, wie dthorst und von Heereman,

Abg. Müll Alle Versuche, als es jetzt geschieht, konservativen Parteie Kommission und im selbe Interesse Parteien, Unregel⸗ egenzutreten. haben sich die Abgg. prüfungs⸗Kommissionen demokratische

gegen zwei Wahl⸗

Abg. Liebknecht hat zugegeben, daß dadurch verschlimmert verlängert s Antrags, die Geschäftsordnungs⸗ ns mit viel mehr Recht ahlprotesten zu beklagen

werden. Prinzipiell bin ich also für Ablehnung de ell für Ueberweisung Kommission. Ich glaube, daß wir u über die kolossale Ueberhäufung mit W ; ätten. Das Parlament kann solche Angelegenheiten nicht ewältigen, ohne seine Mitwirkung an der Gesetzgebung in cher Weise zu vernachlässigen. e machen sich nicht klar, welches Unrecht sie dem sie ihn mit jedem lokalen Ereigniß, irgend eines Nachtwächters behelligen. einem Falle, wo es sich um die einfachsten auch nicht einmal der Versuch gemacht worden ist, auf dem Instanzenwege des Landes, in dem die Wahl stattgefunden hat, Abhülfe zu schaffen.

sollte doch erst dann angerufen werden, wenn de erschöpft ist und nichts geholfen hat.

also nicht etwa während des Kartell-Rei Wahl, die des Abg. Gottburger, kassirt worden.

dieser ganze Apparat? Wir brauchten mindestens 20 roteste zu erledigen.

unverantwortli Die Urheber solcher Protest Reichstage thun, wenn jeder Ausschreitung

Auffällig ist, daß in k Sachen handelte,

Der Reichstag r Instanzenzug Von 1884 bis 1887, chstages, ist nur eine Wozu also Sitzungen, Dazu hat der Reichstag Wir haben kaum Zeit, die Initiativanträge zu che Sie (links) doch so großen Werth legen, daß das Petitionsrecht fast Ueber die schwierigsten Gesetzes⸗ 3 4 Tagen schlüssig machen, und Wahlprüfungen zum Mittelpunkt Nein, gegen diesen Unfug der en Stellung genommen werden. Mit Erstaunen lese ich in freisinnigen Zeitungen, daß man hlprotesten herausfordert. Wer ist denn heute gend einer Weise in der Lage, eine Wahlbeein⸗ lich sollen alle Träger irgend⸗ n mundtodt gemacht werden, agitatorisch aufgehetzte, ver⸗ Durch solche masfenhaft vor⸗ z Unbegründeten, auf Unwahr⸗ kann man höchstens das all⸗

Vielleicht stellen die Herren von der nach diesem Vortrage den Antrag, daß n und Diejenigen, die den Reichstag auf Grund des Unfugsparagraphen zur Die Entrüstung über die Wahl⸗ iter als der Ausdruck des bösen ative Partei bei den Wahlen fich . letzten Tagen ist das Mandat serer Mitglieder einstimmig für ungültig erklärt, die scheidung aber durch Einreichung eines etzten Augenblick verzögert worben. Wenn ren so sehr am Herzen liegt, zu verhüten, daß das higen Wahlprotesten behelligt wird, fo genproteste unterlassen sollen.

um alle diese keine Zeit.

erledigen, auf und mit Recht bes illusorisch geworden ist.

vorlagen müssen wir uns in da sollen wir etwa die unserer Geschäfte machen? Wahlproteste muß entschied

chwert man sich,

geradezu zu Wa nicht in ir flussung vorzunehmen? Schlie welcher Autorität bei den Wa es bleibt dann nur übrig eine blendete und verführte Masse. gebrachten, in vielen Fällen gan heiten beruhenden Wahlproteste gemeine Wahlrecht ad absurdum Abg. Singer: konservativen Partei Wahlproteste verbote damit behelligen, Rechenschaft gezoge proteste ist für mich nichts we ens, welches die konserv Erst in den

n werden.

t der Ent Gegenprotestes im l es den Her

hätten sie diese Ge proteste entstehen übri welche viele Behörde len sich zu Schuld lproteste aus der Welt lbeeinflussung fort. zwungen der Ausfluß de daß der Reichstag die S gesühnt wird, und der Reichstag in dem Maße das Vertrauen des vativen haben in der vorigen Legis hrige gethan, Grundsãtze der Jahre Kartellmehrheit den Haufen geworfen, wendigsten Thätigkeiten dieses Reichstages sein, den ver gegangenen Glauben in dem große Schwierigkeit liegt in

Die Wahl⸗ gens nur in Folge der Beeinflussung, namentlich die Landräthe, bei den en kommen lassen. Wenn Sie die schaffen wollen, lassen Sie die Die Wahlproteste sind auch nur ge⸗ S Petitionsrechtes, der Ueberzeugung, an der das verletzte Recht sollte dankbar sein, daß er Volks besitzt. laturperiode allerdings das um dem Volk das Vertrauen auf Wahlfreiheit, errungen waren, Reichstage

Die Konser⸗

ö zu nehmen. in Bezug

Volke wieder wachzurufen. Eine der Langsamkeit, mit der die vom ge beschlossenen Erhebungen gemacht werden. nn würde der Reichstag seine Ent⸗ Ich betrachte den Antrag lle Schäden auf diesem der gemacht werden kann, zum gewünschten Ziele nicht führt, erpunkt der Entscheidung muß und Stage liegen, und deshalb sind d das Nebeneinander mehrerer Wah Praxis in der Ent⸗

Die Kommissionen

sserung einträte, da chließungen schneller fassen Rickert nicht als Heilmittel für a Gebiete, sondern als einen Versuch, wieder aufgiebt. Der Schw wird immer bei dem Reich Befürchtungen, daß durch prüfungs⸗Kommissionen ei scheidung entstehen wird, unbegründet. ge nur für den Beschluß des Reichstages

wird immer in der Lage sein, einige gen die Ueberweisung des AÄntrages ssion habe ich nichts einzu⸗ das, was der Antrag⸗ m Ausdruck zu bringen. ahlprüfung etwas geschehen liegen bereits etwa hat das größte lieder möglichst eberweisung an ommen werden, rt stimmen.

ne verschiedene

bereiten ja die Din vor; der Reichsta Grundsãätze festzuste an die Geschäftsordnungs⸗ wenden; vielleicht gelingt es ch in präziserer Form zu ezug auf die W

steller will, no Aber daß in B muß, scheint mir unzweifelhaft. ste vor, und der Reichst egitimation seiner Sollte der Antrag auf gs⸗Kommission nicht angen heute für den Antrag Ricke

80 Wahlprote sse daran, die estzustellen.

die Geschäftsordnun so werde ich schon

Abg. von Steinrück: Gegen den Vorwurf, daß die Konservativen einen Mangel an gutem Gewissen haben, pro⸗ testire ich ganz energisch. Wir nehmen für uns dasselbe gute Gewissen in Anspruch, wie die übrigen Parteien des Hauses hoffentlich mit uns. Von diesem Standpunkt aus theilen wir die Tendenz deg Antrages Rickert, die Feststellung über die Gültigkeit der Wahlen möglichst zu beschleunigen. Die haupt⸗ sächlichste Verzögerung der Entscheidung liegt aber in der

nstanz, in der die beschlossenen Beweiserhebungen erfolgen.

aran, daß diese Erhebungen so sehr als möglich beschleu— nigt werden, haben wir das lebhafteste Interesse. Die That⸗ sache, daß wir in der Kommission jüngst eine Wahl für un—⸗ gültig erklärt haben, ist richtig. Es ist nach diesem Beschlusse ein Gegenprotest eingegangen, und unter Zustimmung des Vor⸗ sitzenden der Kommission waren wir der Meinung, daß erst in eine Prüfung des Gegenprotestes eingetreten werden muß, ehe wir den schriftlichen Bericht feststellen. Der Vorwurf, daß wir aus parteipolitischen Rücksichten unrechtmäßig verfahren wären, ist also unbegründet. Der Antrag Rickert birgt die große Gefahr in sich, daß die beiden Wahlprüfungs⸗ Kommi sionen an demselben Tage über einen ungefähr gleichliegenden Fall zu verschiedenen Resultaten kommen könnten. Die Abtheilungen überweisen vielfach Proteste an die Wahlprüfungs⸗Kommissionen, während sie dieselben selbst erledigen könnten. 806 Wahlproteste sind auch im Jahre 18384 eingegangen und damals ohne be⸗ sondere Maßregeln erledigt worden. Dem Antrage auf Be⸗ rathung des Vorschlages Rickert in der Geschäftsordnungs⸗ . werden wir nicht widerstreben, sonst aber ihn ab⸗ ehnen.

Abg. Gröber: Wenn man über Unfug sprechen will, dann wird man über den Unfug sprechen müssen, der zu den Wahlprotesten Veranlassung giebt. Die Wahlproteste sind mit großer Mühe abgefaßt; das thut man doch nicht zum Privat⸗ vergnügen. In der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle spricht sich das Gefühl aus, daß, wenn auch nicht alle Punkte des Protestes nachgewiesen werden können, doch genügende Gründe für den Protest vorgelegen haben. Wenn die Kon— servativen das nicht empfinden, so erklärt sich das einfach daraus, daß in ihren Wahlkreisen, die sie von lange her be— sizen, derartige Dinge nicht vorkommen. Sie haben nicht das Gefühl wie andere Parteien, wenn von oben herab Wahl⸗ erlasse ausgegeben und Direktiven gegeben werden, welche Kandidaten der Regierung angenehm sind, und welche nicht. Weil das die Herren nicht am eigenen Leibe em— pfunden haben, reden sie von Unfug. Das Wahlrecht ist ein staats bürgerliches Recht, und wir sind Wächter dieses Rechts, und da wollen wir nicht kleinlich darüber urtheilen, ob ein⸗ mal ein Mißbrauch mit einem Wahlprotest gemacht wird. Uebrigens ist nicht die schnelle Erledigung, sondern die ge⸗ age und gründliche Erledigung der Wahlproteste die Haupt⸗ sache. Es ist ein Unding, daß Jemand hier großartige Reden hält, in Kommissionen sitzt, an Abstimmungen theilnimmt und dann einen Monat nachher seine Wahl kassirt wird. Wenn man nicht in die Geschäftsordnung die Bestimmung aufnehmen will, daß die Wahlprüfungen allen anderen Geschäften . dann bleibt nichts übrig, als das gegenwärtige Verfahren. Durch das Nebeneinanderbestehen mehrerer Kommissionen läßt sich absolut nicht ver⸗ meiden, daß selbst in grundsätzlichen ragen widersprechende n, . getroffen werden. Die Autorität der Kommis⸗ sion wird dadurch schwer geschädigt, das Volk kann aber ver— langen, daß alle Wahlen gleich behandelt werden. (Guruf links: Im Plenum Das trifft nur bis zu einem gewissen Grade zu, denn, wenn ein Antrag der Kommission an den Reichstag kommt, so hat es schon etwas für sich. Vor allen Dingen ol die Beweiswürdigung gleich sein. Es wird aber Niemand bestreiten können, daß je nach der Persönlichkeit des Vorsitzenden und der Zufammenfetzung der Kommission sich verschiedene Strömungen naturgemäß geltend machen und die Wahlen verschieden behandelt werden. Vielleicht empfiehlt es sich, der Wahlprüfungs⸗Kommission für ihre Arbeiten ähnlich wie für die Budgetkommission eine Pause zu lassen. Von' dem Antrage Rickert ist eine Besserung nicht zu erwarten.

Abg. Heine; Ich erkenne gern an, daß bei den letzten Wahlen eine Beeinflussung der Regierung nicht so sehr her⸗ vorgetreten ist, wie bei früheren Wahlen; um so mehr ist diesmal aber der Einfluß der Arbeitgeber . welche die Arbeiter scharenweise zur Wahl trieben und durch die Schnapsflasche zur Wahl veranlaßten. Eine solche Beein- flussung wird von der freisinnigen Partei nicht für eine solche angesehen, welche eine Ungültigerklärung nöthig machen könnte. Unser Wahlsystem müßte durch das sogenannte australische System ersetzt werden, welches sich in den einzelnen Staaten Nord⸗Amerikas vortrefflich bewährt hat.

Abg. von Maxquardsen: Ich bin mit dem Antrag Rickert nicht einverstanden, weil er das Ziel auch nicht an⸗ nähernd erreichen wird. Aber die Angelegenheit ist wichtig genug, um sie in der Geschäftsordnungs-Kommiffion zum Aus⸗ krag zu bringeß. Bei gutem Pbillen werden aber auch in einer Kommission von 14 Mitgliedern ersprießliche Resultate erzielt werden können. Wenigstens haben wir 1876, als die Wahl yrüfungs Kommission unt ersten Mal bestand, gleich in der ersten Session die Wahlen entweder für gültig oder un⸗ gültig erklärt oder die Beanstandung ausgesprochen, und nur die letzteren Fälle gingen in die nächste Seffion über. Wenn die Abtheilungen bereits üher manches entscheiden und es nicht der Wahlprüfungs⸗Kommission überlassen, wird auch in Zukunft eine raschere Erledigung ermöglicht fein.

Abg. Müller (Marienwerder): Ich habe nicht die Wahl⸗ proteste als Unfug bezeichnet, sondern nur die rein erfundenen, unwahren Protestbehauptungen. Zeitungs⸗Redacteure reichen 3. B. Proteste über Wahlen in ganz anderen Wahlkreisen ein. Ein Redacteur hat einen Protest eingereicht und sich vor— behalten, die Begründung nachzubringen, das ist eine Frivo⸗ lität. Das halte ich aufrecht.

Damit schließt die Diskussion.

Im Schlußwort bedauert Abg. Rickert, daß bei der Stimmung des Hauses nicht viel aus seinem Antrag heraus⸗ kommen werde. Die ,,, edenken der Juristen und ähnlicher Herren feien nicht stichhaltig. Es kämen viel mehr Wahlbeeinflussungen vor, als in den Protesten zum Ausdruck kämen, denn Froteste zu erheben sei nicht ungefährlich. Er bedauere, daß der Abg. Muller auch bei dieser Gelegenheit Parteipolitit getrieben habe. Wenn auch sein Antrag mit formalistischen Gründen [n n , werden würde, so habe er doch gegenüber den zahlreichen Klagen von allen Parteien über das Hinausziehen der Wahlprüfungen seine Pflicht gethan und werde mit seinem Antrag immer wiederkommen.

Der Antrag wird der gef n e enn mlifsian über⸗

wiesen.

Damit ist die Tagesordnung erledigt.

Der Präsident schlägt vor, die nächste Sitzung nach dem Pfingstfest erst am 9. Juni abzuhalten, in der Hoffnung, daß diese lange Zeit und namentlich die Woche vom 2. bis 9. Juni von allen Kommissionen zur sorgfältigsten Bearbeitung der ihnen übertragenen Geschäfte verwendet wird, auch von der Wahlprüfungs⸗Kommission.

Schluß 5i / Uhr. Nächste Sitzung Montag, den 9. Juni.

—Schlußbericht der geslrigen (64) Sitzung des Hauses der Abgeordneten.

Die Petitionen von Familienräthen aus dem Ermlande, betreffend die Schließung der Mädchen⸗ pensionate bei, der Kongregatin der Kath a⸗ rinerinnen, schlägt die Kommission vor, durch Tagesord⸗ nung zu erledigen; die Abgg. Krebs und Genoffen dagegen beantragen, die Regie rung zu ersuchen, der Kongregation der Katharinerinnen für das Mutterhaus in Braunsberg und die

,. zu Wormditt, Heilsberg und Rössel zu gestatlen, junge

ädchen in Kost und Logis zu nehmen. Nach längerer Dis⸗ kussion beschließt das Haus den Uebergang zur Tagesordnung.

Die Petition von Gemeinder äthen? der Lanb-= gemeinde Wietersheim, betr. die Anlegung eines kom⸗ munglen Begräbnißplatzes daselbst, sowie die der

arzellisten Jürgen Han fen u. Gen. in Düppel, betr. den

rsatz für Kriegsfchäben aus dem Jahre 1564, werden durch Uebergang zur Tagesordnung erledigt.

Die Petition des Direktors Pr— Schauenburg in Krefeld, betreffend die Berechtigung der Realgymnafien zu allen Studien und Staatsprüfungen, empfiehlt , der Regierung zur Berücksichtigung zu über— weisen.

Abg. Dr. Graf (Elberfeld) wendet sich gegen den Kom—⸗ missiongantrag. Es sei kein berechtigtes Verlangen, wenn den kaufmännischen und sonstigen wirthschaftlichen Kreisen zu Gunsten das Gymnasial⸗Monopol aufgehoben werden sollte. Die Realgymnasien müßten ihre Forderung aufgeben, zu⸗ nächst die Berechtigung zu erhalten und dann Reformen ein⸗ treten zu lassen. Er sage, erst die Reform und dann die Be⸗ rechtigung; denn sonst könnten die Reformen das Latein noch weiter beschränken.

Abg. Dr. Kropatscheck führt aus, daß er durch den Zudrang zu den gelehrten Studien, der nach Aufhebung des Berechtigungsmonopols der Gymnasien sicher eintreten würde, sich nicht würde bestimmen lassen, den Realgymnasien die Be⸗ rechtigung vorzuenthalten. Ob die Vorbildung auf den Real— , ausreiche oder nicht, darüber könnten Gymnasial⸗ ehrer so wenig wie Realgymnasiallehrer ein Urtheil haben, sondern allein die Staatsregierung, die sich aber bisher nicht geäußert habe. Wenn die klaffische Bildung nicht mehr nöthig sei für die Vorbereitung zum akademischen Studium, so könnten auch die Ober⸗Realschulen mit gleichem Recht wie die Realgymnasien die Berechtigung verlangen. Logisch richtiger wäre es dann, die freie Zulassung zu dem Üni⸗ versitätsstudium einzuführen. Der Minister von Kamptz habe bereits vor 30 Jahren diesen letzteren Standpunkt vertreten und im Jahre 18713 seien gelegentlich einer Konferenz im Kultus-Ministerium ähnliche Anschauungen geäußert worden. Das klinge aber leichter, als es sei. Die Dinge, die auf der Schule verhältnißmäßig leicht angeeignet würden, könnten nur schwer auf der Universität nachgeholt werden. Die Wissenschaft würde bei mangelhafterer Vorbildung der Hörer von der Höhe, auf der sie sich befindet, herabsinken; die Dozenten wurden ihren Vortrag ganz anders einrichten müssen, jeder einzelne unserer höheren Berufsstände würde darunter leiden. Die Mitglieder dieser Stände brauchten ja nicht Alle Gelehrte zu sein; aber es sei doch zu wünschen, daß sie Alle wenigstens einmal an der Quelle der Wissenschaft gewesen und die wissen⸗ schaftlichen Quellen des Faches kennen gelernt haben. Das Mehr an naturwissenschaftlichem und neusprachlichem Unterricht an den Realgymnasien wiege nicht das Mehr des klassischen Unterrichts an den Gymnasten auf; andererseits sei nur zu bedauern, daß die Gymnasien in neuerer Zeit mit Neben⸗ fächern immer mehr belastet worden seien. Redner empfiehlt mit Rücksicht auf die vom Kultus⸗Minister beabsichtigte Enquete, die Petition der Regierung als Material zu über⸗ weisen.

Das Haus schließt sich dem Antrage des Abg. Dr. Kro⸗ patscheck an.

(Schluß 31 ½ Uhr.)

Literatur.

Die Begründung des Deutschen Reichs durch Wilhelm J.

Von dem Sybel'schen Werk, dessen J. und II. Band wir in Nr. 286 des „Reichs⸗Anzeigers“ vom 29. November 1889, und dessen III. Band wir in Nr. 84 vom 2. April d. J. be— prochen haben, liegt jetzt der I9. Band vor. (Verlag von

. Oldenbourg in München und Leipzig) Dieser Band be— handelt die Zeit vom Abschluß des dänischen Krieges bis zum Ausbruch des österreichisch⸗deutschen Krieges.

v. Sybel, beginnt mit der Darlegung der allgemeinen Weltverhältnisss und der für die Politik Napoleon's gegenüber Italien und Oesterreich maßgebenden Motive und deckt dabei den inneren Zusammenhang dieser mit der Stellung Oesterreichs zur deutschen und zur schleswig⸗-holsteinischen Frage auf. Zugleich werden die sich immer mehr entwickeln⸗ den Gegensätze in den Auffassungen und Interessen Oesterreichs und Preußens in der schleswig-⸗holsteinischen Frage in ihren Fäden blosgelegt und scharf und deutlich charakterisirt. Der

wiespalt der beiden Großmächte, der schon über hundert Jahre bezüglich der Vormachtstellung in Deutschland bestand und durch das Bündniß gegen Dänemark nicht aus der Welt eschafft werden konnte, trat um so schäfer hervor, als es ich um das Schicksal des gemeinsam eroberten und befreiten Landes und demgemäß um eine Frage handelte, bei welcher beide Mächte ihrer traditionellen Politik und ihren namentlich in der Zeit der Bundesverfassung von jeher erhobenen An⸗ sprüchen Geltung verschaffen zu können glaubten. Wir sehen mit dramatischer Lebendigkeit die geschichtlich⸗ Nothwendigkeit einer endlichen Auseinandersetzung sich entwickeln und empfin⸗ den an der Hand des Sybel'schen Werkes um so mehr Theil⸗ nahme und Verständniß einmal für die Bemühungen, den Bruch vorzubeugen, und auf der andern Seite für die konsequente und planmäßige Vorbereitung aller Mittel, um zu dem einmal als richtig erkannten, den eigenen Interessen entsprechenden Ziel zu e . Mit steigendem Interesse verfolgen wir in dieser eziehung namentlich die Darlegung des preußischen Stand⸗

punkts, der sowohl in der Bundesfraͤge wie in der Frage über

6 . . . 1. , m,,

das Schicksal der Herzogthümer sehr bald große Festigkeit er⸗ kennen ließ. Die diplomatischen Vorstöße Sesterreichs konnten diesen Standpunkt nicht erschüttern: Preußen befand sich hierbei in der glücklichen Lage einer Vertheidigungsstellung, in der es zunächst nur die gegen sein Intereffe gerichteten Angriffe zu pariren brauchte. Herr von Bismarck wußte zu warten und konnte dies mit um so größerer Hoffnung auf Gewinn thun, Als weder Hesterreichs Wünsche, bezüglich der Zukunft Schleswig⸗Holsteins eine, feste Gestalt angenommen hatten, noch irgend welche Einmüthigkeit unter den deutschen Staaten bestand, die jedoch nach Preußens Auf⸗ fassung die Frage nichts anging. Das 3. Kapitel des IV. Bandes, welches sich „Die preußischen Februar⸗Forde⸗ rungen“ betitelt, enthält eine außerordentlich klare Darstellung und Charakteristik der hierbei zu Tage tretenden Gegensätze und insbesondere der preußischen Politik des Abwartens und ihrer Motivirung: in dieser Beziehung wirft namentlich das Gespräch Bismarck's mit Karolyi, welches nach einer von Herrn von Bismarck sofort niedergeschriebenen Aufzeichnung wiedergegeben wird, helles Licht auf die Staatskunst des Ersteren (Seite 5J— 51). Das Gespräch (8. Februar 1865) läßt den baldigen Bruch als bevorstehend erkennen; sein Inhalt wird von Sybel dahin resumirt: Karolyi erklärte, wenn Preußen nicht im Februar annehmbare Vorschläge macht, so tritt Oesterreich zu den Mittelstaaten und der Bundesmehrheit über, während Bismarck antwortete: wenn Oesterreich sich einem uns feindseligen Bundes⸗ beschlusse zugesellt, so ist der Konflikt vorhanden. Die am 22. Februar von Preußen endlich gestellten orderungen wegen der Garantien, welche Preußen von einem elbständigen Herzogthum verlangte, brachten den zwischen den beider⸗ seitigen Interessen und Anschauungen bestehenden Gegensatz klar zu Tage. An diesem Punkte der Entwickelung entwirft Sybel ein außerordentlich anschauliches Bild von der Politik Napoleon's, der fürchtete, eine Einigung Preußens und Oester⸗ reichs würde letzterem die Sicherheit verschaffen, Venetien zu behaupten, was Napoleon schon längst für Italien bestimmt hatte. Bismarck drohte seinerseits mit einer Verständigung mit Oesterreich, Falls Frankreich in der Frage der Elbherzog⸗ thümer eine Preußen feindselige Haltung einnehmen würde.

Es würde zu weit führen, die einzelnen Stadien der weiteren Entwickelung hier wiederzugeben. Sybel führt diese Entwickelung, in welcher die Gasteiner Uebereinkunft nur ein kurzer Ruhepunkt, war, Schritt für Schritt vor⸗ wärts, immer dabei die Stellung Frankreichs und die allgemeinen Weltverhältnisse scharf im Auge behaltend und zur Beleuchtung heranziehend. Als der Bruch wahrscheinlicher wurde, wurden am 21. April 1865 die ersten Be— ziehungen mit Italien angeknüpft, die im Juli von Neuem angeregt wurden. Italien wurde der andere Trumpf in dem diplomatischen Spiel. Die anfängliche Unentschlossenheit Italiens wie Frankreichs bewirkte die Verständigung Preußens mit Oesterreich in der Gasteiner Uebereinkunft, die in Frank⸗ reich sehr enttäuschte. Sie war kein Allheilmittel und die Gegensaäͤtze traten bald von Neuen hervor: das preußisch— italienische Bündniß wurde alsbald zur That gegen den Willen Napoleon's, der Italien von Preußen zu trennen suchte.

Die Ereignisse sind bekannt: je mehr man sie aber nur in ihrer äußeren Erscheinung sich vergegenwärtigt, desto größer ist der Genuß der Sybelsschen Darstellung aller einzelnen Phasen, welche die Ereignisse mit außerordentlicher Meister— schaft gruppirt und die Motive der einzelnen Handlungen aus den zes hr rr he, Urkunden mit scharfem Blick herausholt. Den IV. Band wird Niemand weglegen, ohne das dringende Bedürfniß zu empfinden, bald auch die e n lesen zu können.

Wie die Verlagshandlung uns soeben mittheilt, wird der V. Band bereits am 9. Juni in München und Leipzig zur Ausgabe gelangen. Er wird, wie es in der Mittheilung heißt, namentlich zur Katastrophe des Hannoverschen König— reichs, zur Geschichte der französischen Intervention nach der Schlacht von Sadowa, sowie der Friedensverhandlungen Über⸗ aft und endlich über die Beendigung des preußischen Ver— assungskonflikts, über die Begründung des Norddeutschen Bundes und über die Friedensverträge mit den süddeutschen Staaten die belangreichsten Aufschlüsse bringen.

Statiftik und Volkswirthschaft.

Zur Arbeiterbewegung.

In Dudweiler (Saarrevier) fand, wie die Saarbr. Ztg.“ berichtet, am Sonntag eine Versammlung der Aus schußm itglie⸗ der des Rechtsschutzvereins statt, in welcher hauptfächlich über die Stellung des Vereins zur Knappschaft verhandelt wurde; man verlangt, daß die Knappschaftsältesten nicht mehr Beamte sein sollen und daß die Arbeiterbeiträge zur Knappschaft von 3,50 auf 4,50 (S monatlich und der Pensionssatz von 30 auf 36 M erhöht werden ze.

Aus Hamburg theilt die „H. Börs. H.“ mit, daß auf den Werften am jenseitigen Elbufer gegenwärtig wieder die gewohnte Thätigkeit herrscht. Im Arbeitsnachweisbureau des Verbandes der Eisenindustrie suchten bereits so viele Leute um Beschäftigung nach, daß fast in allen Branchen die vorhandenen freien 5 besetzt werden konnten und eine . Anzahl wegen Mangels an Vakanzen

urückgewiesen werden mußte. r ;

e . Telegramm der „Voss. Ztg. stellten in Lübeck sämmtliche Schmiedegesellen, welche bei Innungsmeistern arbeitenten, wegen verweigerter Lohnerhöhung die Arbeit ein. Die Nichtinnungsmeister bewilligten theilweise die Forderungen der Ge— ellen. ; In Leipzig beschloß am Montag eine öffentliche Versammlung der Zimmerer, an Stelle der jetzt bestehenden l0 stündigen, auf die Einführung einer 9 stündigen Arbeitszeit hinzustreben sowie den zu Pfingsten d. J. in Frankfurt a. M. stattfindenden Zimmerer- kongreß durch zinen Vertreteter zu beschicken. In einer Ver— sammlung der Leipziger Feilenhauergehülfen wurde, dem Chemn. Tgbl.“ zufolge, heschlossen, Zuzug von auswärts fern zu halten, um den seit dem letzten Strike noch arbeitslosen Gebülfen den Wieder⸗ eintritt in die Arbeit zu ermöglichen. Am Dienstag fand dann eine von 50 Personen besuchte Maurerversamm lung statt, in welcher zunächst über den vom 27. Mai ab in Erfurt tagenden 7. Kon greß der deutschen Maurer verhandelt wurde. Die Verhandlungen ließen, wie wir einem Bericht der ‚Lpj. Ztg.“ entnehmen, erkennen, daß der auf dem letzten Maurerkongreß in Halle scheinbar bei gelegte Zwiespalt zwischen den beiden großen Parteien der deutschen Maurer, deren eine von Berlin, die andere von Hamburg aus geleitet wird, unter der Oberfläche immer fortgelebt haben muß und auf dem Erfurter Kongreß wieder auszubrechen droht. Der Berliner Partei wurde vorgeworfen, daß sie die jetzt in Hamburg befind⸗ liche Geschäftsleitung sowie die Verfügung über das Hauptorgan der Maurer, den „Grundstein “, an sich zu reißen und durch Entfendung von 15 oder noch mehr Delegirten den Erfurter Kongreß zu majorisiren beabsichtige. Um dem zu begegnen, wurde beschlossen, auch von Leipzig aus vier Vertreter auf den Kongreß zu schicken. Bei der Besprechung der Leipziger n , n, theilte der Vertrauensmann ein Schreiben des Leipziger Bauarbeitgeberbundes mit, in welchem die geforderte Festsetzung des Stundenlohns auf 48 3 abgelehnt

und mit Rücksicht auf den schlechten Geschäftsgang ein Höchstlohn von 45 4 geboten wird. Die übrigen Forderungen der Gehülfen werden dagegen bewilligt. Die Versammlung beschloß, einem früheren Be— schluß entsprechend, nunmehr die 9 stuͤndige Arbeitszeit und eine Er⸗

böhung des Stundenlohns zu verlangen und nöthigenfalls durch

Arbeitseinstellung zu erzwingen. Die Durchführung soll mit

Rücksicht auf die in Deutschland schon zahlreich ausgebrochenen Maurerausstände nicht sofort, sondern bei gelegener Zeit im Laufe des Sommers erfolgen.

Aus Spandau meldet W. T. B.“, daß in den Königlichen

Artilleriewerkstätten der Tageslohn um 15 bis 20 (eά erhöht worden ist.

Aus Berlin wird dem ‚„Hamb. Corr.“ über die in einer

Arbeiterinnen Versammlung erhobene Forderung der An stellung von weiblichen Fabrikinspektoren geschrieben: In einer von 2000 Personen besuchten Versammlung in der Wäsche—⸗ branche beschäftigter Arbeiterinnen ist die Forderung zuerst auf⸗ gestellt worden, und für sie soll nun weiter in Arbeiterinnen

Versammlungen nicht nur in Berlin, sondern auch in den übrigen

Städten Propaganda gemacht werden, Die Arbeiterinnen bewegung ist ir b hier ziemlich stark in Fluß, aber vollstän dig wieder in das sozialdemokratische Fahrwasser gerathen, zahlreiche neue Arbeiterinnen vereine sind entstanden resp. in Entstehung begriffen der Verein der PNlätterinnen soll bereits viele Hunderte von Mitgliedern umfassen. Die Versuche, neue sozialdemokratische Blätter ins Leben zu rufen, haben lange Zeit keinen rechten Fortgang gehabt, jetzt

scheinen dieselben auf etwas günstigeren Boden gefallen zu sein; denn

außer in Solingen sind neue Arbeiterblätter in Bremen,

„Bremer Bürgerzeitungt, im. Mannheim „Volksstimme“ ent⸗

standen.

Ueber den Zusammenstoß der Arbeitermassen in dem

Nürschauer Ausstandsgebiet mit dem Militär entnehmen wir dem . Abdbl. folgende Darstellung: Vorgestern Morgen drangen

gewaltige Arbeitermassen gegen den Marthaschacht in Nürschau vor, zu dessen Deckung ein Zug Infanterie aufgestellt war. Der Affizier forderte die tumultuirende Menge dreimal vergebens auf, den Schacht zu verlassen. Das auf das Aeußerste bedrãängte Militär war alsdann gezwungen, einige Salven abzugeben, wobei 7 Arbeiter ge⸗ tödtet, 7 schwer und 30 leicht verwundet wurden. In Nürschau selbst mußten später die sich dort ansammelnden Menschenmassen von 23 Gendarmen mit gefällten Bajonetten auseinander getrieben werden.

In Jolimont wurde vorgestern, wie, man der Köln. Ztg.“ berichtet, der internationale Bergarbeitertag in dem großen Saale der Bäckereigenossenschaft, der mit deutschen, belgischen, englischen und französischen Fahnen geschmückt war, eröffnet. Zum Vorsitz enden wurde das englische Parlament mitglied Burt. gewählt, der mit dem Kollegen Fenwick an der Spitze von 34 englischen Abgesandten die Trades Unions mit 395 000 Bergleuten vertritt. Daneben erschienen je vier Franzosen

und Deutsche. Die belgische Vertretung ist vollzählig. Bisher wurden

nur Förmlichkeiten erledigt. Das Programm ist rein wirthschaftlich. Die Engländer geben den Ausschlag. . Wie aus Stockholm mitgetheilt wird, haben die dortigen

Bäckergesellen, gegen 700 an der Zahl, am Montag die Arbeit eingestellt; die Bewohner der Hauptstadt konnten deshalb an diesem Tage kein frisches Brot erhalten. Die Bäckermeister ver⸗

öffntlichten eine Erklärung, daß sie eine höhere Löhnung und kürzere Arbeitszeit bewilligt haben, auf die sonstigen Forderungen der Gesellen aber unmöglich eingehen können. 86 einer am Montag Vormittag abgehaltenen Versammlung verpflichteten sich alle Bäckermeister durch Unterschrift und bei einer Strafe von 2605 Kronen, die eventuell den Ferienkolonien zufallen sollen, den Gesellen keine weiteren Zugeständnisse zu machen. Auch die Eisengießer Stockholms sind in die Aus stands bewegung eingetreten; eine Werkstatt nach der anderen soll bis zur Bewilligung der aufgestellten Forderungen gesperrt werden. Die Eisengießereibesitzer wollten am Montag Abend in einer Versammlung über gemeinsame Stellung⸗ nahme den Arbeitern gegenüber beschließen.

Zur wirthschaftlichen Lag e. ö

Einen Beitrag zur Beurtheilung der wirthschaftlichen Lage liefert der soeben erschienene Bericht der Handelskammer zu Frankfurt a. M. für das Jahr 1889. Wir heben daraus folgende Mitthei · lungen, welche für den wirthschaftlichen Aufschwung zunächst der Stadt Frankfurt a. M. von selbst sprechen, hervor: .

Der Gesammt-⸗Schiffahrts- und Eisenbahn Verkehr der Stadt Frankfurt g. M. betrug 1889; auf der Eisenbahn 1 334 148.0 t, mittels des Wasserverkehrs 10166994 t, also insgesammt 2350 847,4 t. Für das Jahr 1888 berechnete sich der Gefammt⸗ verkehr auf 2 ol6 obs, 56 t, (Eisenbahnverkehr 12319356 t, Wasserverkehr 784 63355 t). Gegen 1887 hat sich der Wasser— verkehr, im Jahre 1888 um, 45,5 (0 und im Jahre 1855 um 60,4 os9g. gehoben; gleichzeitig stieg der SEifenbahnverkehr um 31,6 90 gegen 1887 und 8,3 M gegen 1883. In Centnern aut gedrückt ergiebt sich für die letztvergangenen 3 Jahre folgende Pro= gression des gesammten Güterverkehrs: 1887 33 360 33 Ctr., 1888 140 331 370 Ctr, 1889 47016 948 Ctr. Frankfurt nimmt hiernach im Güterverkehr eine der ersten Stellen unter den Städten des Deutschen Reichs und unter den Rheinstädten die zweite ein, denn nur Mannheim geht von den letzteren mit 4170 009,0 t (im Jahre 1888) voran; dann folgt Köln mit 1956 423,5 t (1888).

Die in Frankfurt a. M. im Jahre 1885 zur Erhebung gelangten Fingangsabgaben berechnen sich auf 7 014 556, 657 M gegen 6 713 116,15 S im Jahre 1888.

Aus mehreren dem Bericht beigegebenen Tabellen über den Po st⸗ und Telegraphen-Verkehr in Frankfurt a. M. verglichen mit A anderen Städten des Reiches ergiebt sich, daß Frankfurk auch im Jahre 1888 seine erste Stelle behauptete, und zwar in Bezug auf die Höhe der Porto und Telegraphen⸗ Gebühren (pro Kopf der Bevölkerung nach der Zählung von 1885 27,55 6, dann Leipzig 19656 6, Mannheim, Hamburg, erst an 35. Stelle Berlin mit 17, 8 SM), den Brief⸗Verkehr (122,43 Stück pro Kopf, dann Mannheim, Leipzig, Köln und an 5. Stelle Berlin mit 27,78 Stück, die Zahl der aufgegebenen Telegramme (69 Stück pro Kopf, dann Mannheim 2,735, Hamburg, Bremen, Magdeburg und an 6. Stelle Berlin mit 2,13 Stück) und die der eingegangenen Telegramme (4.52 Stück pro Kopf, dann Mannheim, Bremen, Hamburg, Stettin, Magdeburg, Köln und an 8. Stelle Berlin mit 1,57 Stüch.

Die Lage der Industrie und des Handels hat sich auch im J. Quartal d. J. im Regierungsbezirk Pot sd am im All⸗ gemeinen günstig gestaltet. Fast in sämmtlichen Industriezweigen war reich liche Beschäftigung und befriedigender Absatz vorhanden. Verkürzungen der Arbeitszeit, größere Arbeiter ⸗Entlassungen und Betriebs. Einstellungen sind nur wenige vorgekommen. Ausstands bewegungen haben wieder mehrfach stattgefunden. Zur Zeit üben dieselben zwar noch leinen allgemeinen Einfluß auf die Industrie aus; nur die Ziegelstein⸗ Lieferungen nach Berlin wurden unter der Bedingung abgeschlossen, daß nicht ein allgemeiner Strike die Erfüllung des Vertrages verhindere. Im Einzelnen ist hervorzuheben, daß das Ziegelei⸗ g eschäft im Allgemeinen gut geht, da in Folge der milden Witterung die Bauthätigkeit eine rege blieb. Auch im vorigen Vierteljahre sind mehrere neue Ziegeleien errichtet worden. Die Glasindustrie war lebhaft beschäftigt, vorzugsweise in der Her—= stellung von Beleuchtungsgegenftänden. Hohlglasartikel gingen ziemlich gut, ler g; bei sehr gedrückten Preisen im Inlande, während durch die Ausfuhr nach England, Amerika, Ost-⸗Indien und Japan ver⸗ hältnißmäßig gute Preise erzielt wurden. Die opti sche Industrie in Rathenow war wie seither gut beschäftigt und nimmt nach wie vor eine der ersten Stellen auf dem Welt mgrkte ein. Die Maschinenbauwerke waren, ausreichend mit Neuanlagen von Fabriten beschäftigt. Erfreulicherweise hat sich der Dampfmaschinenbau gehoben. In n, tion, und Baugußartikeln zeigte sich große Nachfrage. Der Absatz