nicht Alles im Gesetz vorsehen, wohl aber leicht Schaden durch das Gesetz anrichten. J J V
Abg. Freiherr von Pfetten: Mein Antrag will ja nur eine Ausnahmebestimmung treffen. Bei schwierigen Sachen wie bei der Interpretation von Verträgen, bei einer schwierigen Beweisführung oder in dem Falle, wo eine rechtskundige Partei einer rechtsunkundigen gegenübersteht, ist es wünschens— werth, dem Vorsitzenden das Recht einzuräumen, darüber zu entscheiden, ob der Fall die Zulassung von Rechtsanwalten angezeigt erscheinen läßt. Wird diese Ausnahmebestimmung abgelehnt, so kann man den §. 25a überhaupt nicht in das Gesetz aufnehmen.
Unter Ablehnung der Anträge Bachem und von Pfetten wird der 8. 25 a. unverändert angenommen, ebenso ohne wesentliche Debatte die 8§. 26 bis 63.
Nach 8§. 63a. sollen die Gewerbegerichte verpflichtet sein, Gutachten auf Ansuchen der Staatsbehörden abzugeben; zur Vorprüfung können sie Ausschüsse aus ihrer Mitte bilden.
Abg. Eberty beantragt, daß die Ausschüsse nicht bloß zur Vorbereitung der Gutachten gebildet werden können, son— dern daß sie auch die Gutachten sofort abgeben können, damit nicht erst das Plenum des Gewerbegerichts, welches in großen Städten sehr umfangreich sein könne, in Bewegung gesetzt werden müsse.
Der Antrag wird angenommen.
Zum 8§. 69 (Ausschluß der Militär- und Marineverwal— m erklärt Abg. Dr. Hirsch, daß die Freisinnigen diesem Aus— schluß nach wie vor widersprechen, aber wegen der Aussichts— losigkeit auf die Einbringung von Anträgen verzichten.
Nach §. 72 soll die l ef, der Innungsschieds⸗ gerichte durch die Zuständigkest eines Gewerbegerichts nicht ausgeschlossen werden. .
Abg. Au er beantragt, diesen Paragraphen ganz zu streichen, Denselben Antrag stellt Abg. Eb erty, welcher für den Fall der Ablehnung die Innungsgerichtsbarkeit auf die Streitig⸗ keiten der Arbeitgeber mit ihren Lehrlingen beschränken, die in ng des Innungsschiedsgerichts durch Erhebung der
lage vor dem Gewerbegericht ausgeschlossen wissen will. Die Berufung gegen die Enitscheidungen der Innungsschiedsgerichte soll an das Gewerbegericht und, wo ein solches nicht besteht, an die ordentlichen Gerichte gehen. Falls dies abgelehnt werden sollte, also falls die Innungsschiedsgerichte in vollem Umfange bestehen bleiben, soll die Berufung ebenfalls an das Gewerbegericht bezw. an die ordentlichen Gerichte gehen.
Abg. Eberty: Mein Antrag ist nicht von Antipathie gegen die Innungen eingegeben und 233 auch nicht vom Standpunkt einer einzelnen Partei aus, sondern allein vom Standpunkt der Zweckmäßigkeit und von Rücksichten auf das Wohl der betheiligten Arbeiter. Hr. Micsuel hat nach seinen reichen Erfahrungen mit Recht die jetzige Bestim— mung der Vorlage als ein privilegium odiosum der Innungen bezeichnet, das andererseits die größte Unzufriedenheit in weiten gewerblichen Kreisen hervor⸗ rufen müsse und das drittens die ganze Institution der Gewerbegerichte desorganisirt. Wenn Sie wünschen, daß dieses Gesetz mithilft, den großen Riß zwischen Arbeitern und Arbeitgebern zu überbrücken, dann können Sie nichts Besseres thun, als eine einheitliche Kompetenz des Gerichtshofes zu schaffen. Die Absicht der Schonung der Innungsgerichte — dieselben sind im Reichstage stets nur mit anz geringer Majorität angenommen worden — muß federleicht wiegen gegenüber den schädlichen Wir⸗ kungen, welche diese Bestimmungen hervorrufen müssen. Eine ungeheure Verwirrung über die jedesmalige Kompetenz eines . oder Gewerbegerichts müßte die nothwendige
onsequenz sein. Jedem, der eine Klage in Gewerbesachen anbringt, muß es unbeschränkt bleiben, sie beim ordentlichen Gericht anzubringen. Für denjenigen, der gezwungen ist, vor den Innungen Recht zu nehmen, j die Entscheidung nur eine vorläufige. Ob eine sofortige oder nur eine vorläufige Ent⸗ scheidung erfolgt, hängt rein von dem Zufall ab, ob die Klage an ein Innungsgericht oder an ein Gewerbegericht kommt. Die Entschei⸗ dung der Innungsgerichte unterliegt der Nachprüfung durch den ordentlichen Richter; wo das der 3 ist, dauert der Prozeß nicht Wochen, sondern Monate. Ich empfehle deshalb auf das Dringendste, der Partei wenigstens die Möglichkeit zu lassen, diejenige Gericht barkeit anzugehen, die ihr rasch Recht schafft und weit mehr Garantien giebt. Es wird Niemand dann im Zweifel sein, welche i nt er anrufen soll. Es ist ja bekannt, wie die uffn en etzung des Innungsgerichts zu Stande kommt. Fast alle Versammlungen der Gesellen zur Wahl für dieselben waren in Berlin vergeblich, und es bedurfte erst des Eingreifens der Regierung, um eine Wahl zu Stande zu bringen. Schon bei den Wahlen zum Innungsschiedsgericht wird die Rechtsgleichheit der Parteien außer Acht gelaffen, Die Einführung der Berufung vom Innungsgericht an das Gewerbegericht will Denen, die gezwungen sind, an das Innungsgericht zu gehen, wenigstens die Möglichkeit geben, nach⸗ dem dieses gesprochen, zu schneller endgültiger Entscheidung zu kommen, Burch Annahme meines Antrages werden Sie weiten Kreisen die Wahl lassen, an welches Gericht sie gehen wollen. Sie werden die Innungen in ihrer Prärogative nach keiner Richtung hin schäbigen und werden für die Einheit— lichkeit der Jurisdiktion, deren Bedeutung viel zu wenig ge⸗ schätzt wird, sorgen. Fassen Sie keine Beschlüsse, von denen man nachher sagt, der Reichstag hat zwar einen Gesetzentwurf über die Gewerbegerichte gemacht, derselbe ist aber nichts als eine Begünstigung der Innungen.
Abg. Bachem hält es für falsch, die erst vor wenig Jahren eingerichteten Innungsschiedsgerichte jetzt schon wieder zu beseitigen, man müsse ihnen Zeit lassen, sich erst zu be— währen, er bitte deshalb, bei den Beschlüssen zweiter Lesung stehen e bleiben.
Abg. Metzner; Die Innungen haben allerdings bisher nicht besonderen Erfolg gehabt; sie sind nicht im Stande ge— wesen, den Verfall des Handwerks aufzuhalten. Ich bin des— . nicht ein so begeisterter Anhänger des §. J2.
enn ich ug he , ger denselben aufrecht zu er⸗ halten bitte, so geschieht es, weil die Rechtsprechung in den Innungen konzentrirt bleiben muß, wenn 1 über⸗ haupt lebensfähig sein soll. In kleineren Städten hängen die Gesellen mit Lust und Liebe an den Innungen. 91 Eberty schejnt nur aus seinen Erfahrungen in Berlin zu schließen. Eine gewisse Kraft muß in dem 8. 72 doch ent— halten sein, wenn gerade diejenigen Parteien, die keine Freunde der Innungen sind, dagegen eintreten. Die Beschlüsse zweiter Lesung sind wohl nicht so schwer ausführbar, wie Hr. Eberty es darstellt, sonst würde wohl in der Kommission und im Plenum die Mehrheit sich nicht dafür ausgesprochen haben.
Abg. Grillenberger: Dieses Gesetz enthält eine solche Anzahl fonderbarer Bestimmungen, daß sie nicht etwa bloß von den Arbeitern nicht werden begriffen werden. Der Abg. Eberty hat bereits auf die Zerfahrenheit in der Recht⸗ sprechung hingewiesen, welche durch diese Bestimmungen hervor⸗ gerufen werde. Es wird nicht bloß die Einheitlichkeit des ge⸗ werblichen Rechtswesens überhaupt gestört, es wird auch einfach von der Laune einer verschwindenden Minorität von Innungs⸗ brüdern abhängen, ob man überhaupt eine Rechtsprechung auf gewerblichem Gebiet haben wird. Es kann jeden Tag die Zuständigkeit der Schiedsrichter wechseln. Die verbündeten Regierungen können unmöglich dieses Gesetz mit diesem Paragraph annehmen, weil diese Bestimmungen absolut un⸗ durchführbar sind. Unser Antrag ist ja aussichtslos. Es war ein wahres Gaudium zu sehen, wie Konservative, Centrum und vor allen Dingen die gewerbefreiheitlichen Manchestler oder staatssozialistischen Freihändler und Schutzzöllner, die Nationalliberalen Hand in Hand und kaltlächelnd unsere Anträge niederstimmten. Diese neue Kartellmehrheit bot einen reizenden Anblick. Wir wollen sehen, ob es die Nationalliberalen fertig bringen, auch für diesen Paragraphen zu stimmen. Der 36 Metzner giebt zwar nicht viel auf diesen Paragraphen, um so vorsichtiger müssen wir sein. Mit einer solchen Bestimmung ist das Gesetz für die Arbeiter werthlos
72 wird unter Ablehnung aller Anträge nach den Be⸗ schlüfsen zweiter Lesung angenommen. ;
Nach 8. Ta sollen die bestehenden Gewerbegerichte 9 Rheinland und in de menen, von dem Gesetz unberührt bleiben, wenn sie sich in Bezug auf ihre Zusammensetzung 2c. den Vorschriften dieses Gesetzes anbequemen.
Abg. Porsch beantragt, den 8. 2a dahin zu fassen, daß die bestehenden Gewerbegerichte zum 1. April 1892 aufgehoben werden sollen, wenn sie sich nicht den Bestimmungen dieses Gesetzes in Bezug auf die Zusammensetzung (gleiche Zahl der Beisitzer aus beiden Klassen) gefügt haben.
Abg. von Cunm schließt sich diesem Antrage an, beantragt aber seinerseits, um alle Zweifel auszuschließen, hinzuzufügen, daß bei Anpassung an die Vorschriften des Gesetzes die Zu⸗ ständigkeit dieser Gewerbegerichte in vollem Umfange aufrecht erhalten werden soll. Der Antrag Tutzauer, wonach die Gewerbegerichte sich auch den Bestimmungen über den Vor⸗ sitzenden, daß derselbe weder Arbeiter noch Arbeitgeber sein soll, unterwerfen sollen, ist seiner Meinung nach unzweck— mäßig, denn gerade die Vorschrift, daß ein Arbeitgeber Vor⸗ sitzender sein soll, wird von den rheinischen Gewerbegerichten als ein großer Vorzug betrachttt. ,
Abg. Tutz auer: Wenn man hier ein Gesetz im Interesse der Arbeiter erlassen will, muß man doch den Wünschen der Arbeiter selbst Rechnung tragen. Es ist aber gegen den Wunsch der Arbeiter, daß in dem Gewerbegericht die Arbeit⸗ geber den Vorsitz führen können, wie es nach dem Antrage von Cuny der Fall sein wird. Mein Antrag bezweckt das Gegentheil, daß die rheinischen Gewerbegerichte sich den Be⸗ stimmungen dieses Gesetzes auch in dieser Beziehung an— schließen sollen.
§. 12a wird unter Ablehnung des Antrages Tutzauer in der Fassun der Anträge von Cuny⸗Porsch angenommen; desgl. ohne Debatte die letzten 8§. J3 bis 76.
Damit ist die dritte Berathung des Gesetzentwurfs er⸗ ledigt; die Gesammtabstimmung wird ausgesetzt, da der Abg. . . (Berlin) gegen die sofortige Abstimmung Widerspruch erhebt.
Schluß 41 Uhr.
— Der dem Reichstage zugegangene Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Feststellung eines dritten Nach— trags zum Reichshaushalts-Etat für das Etats⸗ jahr 1800,91 lautet:
„Der diesem Gesetz als Anlage beigefügte dritte Nachtrag zum Reichshaushalts⸗Etat für das Ctatssahr 1880,91 wird in Ausgabe auf 73 283 333 ½, nämlich auf 8 409 595 „ an fortdauernden und auf 64 873738 ο an einmaligen Ausgaben des außerordentlichen Etats, und in Einnahme auf 73 283 333 „ festgestellt und tritt dem durch das Gesetz vom 1. Februar 1899 (Reichs⸗Gesetzbl. S. 25) festgeftellten Reichshaushalts ⸗Etat für das Etatsjahr 1890 91 hinzu.“
Den Anlagen entnehmen wir Folgendes:
Von den in dem vorgenannten Gesetzentwurf erwähnten for t— dauernden Ausgaben entfallen auf die Verwaltung des Reichsheeres für Preußen und die übrigen Bundesstaaten aut— schließlich Bayern im Ganzen 7436 776 66; davon auf die Militär- geistlichkeit 290 t; auf höhere Truppen⸗ Befehlshaber 5274 M; auf das Ingenieur und Pionier-⸗Corps 31 524 S6; auf Geldverpflegung der Truppen 3718889 6; auf Naturalverpflegung 1 909 692 4; auf Bekleidung und Ausrüstung der Truppen 446 765 M; auf Gar⸗ nisons: Verwaltungs, und Serviswesen 660 795 „; auf das Militär- Medizinalwesen 51 538 ; auf die Verwaltung der Traindepots und die Instandhaltung der Feldgeräthe 10 860 S; auf Ver— pflegung der Ersatz und Reservemannschaften u. s. w. 25 800 4M; auf den Ankauf von Remontepferden 158214 , auf die Verwaltung der Remontedepots 33 980 „M, auf Reisekosten, Tagegelder, Vorspann⸗ und Transportkosten 40 700 „, auf das Militär Erziehungs. und Bildungswesen 9509 , auf Artillerie und Waffenwesen 294 350 , auf den Bau und die Unterhaltung von Festungen 9g0 M, auf Wohnungsgeldzuschüsse 37 816 , und auf Unterstützungen an aktive Militärs und Beamte 659 Æ Die außerdem für das bayerische Militär ⸗Kontingent auf Grund des Bündnißvertrages mit Bayern vom 25. November 1870 bemessenen Ausgaben berechnen sich auf 72 8Ig , sodaß sich die Gesammtsumme der für die Verwaltung des Reichsheeres erforderlichen fortdauernden Ausgaben auf 8 409 595 4 stellt.
Von den einmaligen Ausgaben kommen im außer ordentlichen Etat auf die genannte Verwaltung für die Ver vollständigung des deutschen Eisenbahnnetzes im Inter⸗ esse der Landes vertheidigung 10 305 000 M6 und zwar sollen nach⸗ stehende Ergänzungtanlagen vorgenommen werden: Die Herstellung zweier Geleise auf den Strecken Lissa—-Posen, Neunkirchen — Schleif⸗ mühle Saardamm und Ruhnow — Neustettin — Konitz; die Herstellung von besonderen örtlichen Anlagen (Ladevorrichtungen, Kreuzungsgeleise u. s. f.) an verschiedenen Punkten; der Umbau der schiefen Ebene zwischen Neuenmarkt und Marktschorgast und der Bau einer festen Brücke über die Weichsel bei Fordon im Zuge einer prenßischerseits geplanten Bahn von , über Kulmsee etwa nach der Station Schönsee der Thorn⸗Insterburger Eisenbahn. Von den weiteren Ausgaben kommen auf Preuß en an besonderen Zulagen u. s. f. 8 O76 225 4 für das Magazinverwaltungswesen 14 506 „M; für Bekleidungs⸗ und Ausrüstungswesen 3 612 242 ½ ; für das Garnifonderwaltungs⸗ wesen 2375 060 M; für das Militär Medizinalwesen 291 000 M; für das Trainwesen 1 286 00 „M; für das Remontewesen 4 679 250 4; für Umzugs- und Trangpoꝛ tkosten 498 000 ƽ; für das Militär⸗ Erziehungs. und Bildungswesen 1250 6; für Artillerie ⸗ und en⸗ wesen 15710341 Æ; für das Ingenieur- und Pioniersgesen 180 0090 ; mithin zusammen 33 623 398 M Dazu treten noch für Garnisonbauten u. s. w. in Glsaß. Lothringen 4774 700 46, fodaß sich der Gesammtantheil Preußens an den einmaligen Ausgaben im inn ,. Etat auf 45 398 008 4 stellt. Für Bayern be⸗ rechnet sich der Antheil für die gleichen Zwecke wie in Preußen auf
wir es an
5514 015 M; für Württemberg auf 1 463 6560 4 und für Sachsen auf 2 065 525 4 u eisernen Vorschüssen für die Verwaltung des Reichs heeres sind außerdem 1877 510 * erforderlich.
Von der Reichs ⸗Post⸗ und Telegraphenverwaltung werden an einmaligen Ausgaben im außerordentlichen
Gtat 1250 000 Sς zur Herstellung einer unterirdischen Telegraphen⸗
linie von Hof über Chemnitz bis Dresden verlangt, nachdem der bayeriscken Regierung von dem dortigen Landtage kereits die Mittel zur Herstellung einer derartigen Linie von München bis Hof be— willigt worden sind. .
Die Gesammtsumme der einmaligen Ausgaben beträgt somit 64 873 738 S, welche durch eine Anleihe gedeckt werden soll, während der Betrag der fortdauernden Ausgaben in Höhe von 8 409 595 4 durch Matritularbeiträge aufgebracht werden soll.
Neuere Fortschritte der wissenschaftlichen Elektrizitäts⸗ lehre.
Von Professor Dieterici in Breslau.
Die außerordentlich vielseitigen Anwendungen, welche heut im wirthschaftlichen Leben von der Elektrizität gemacht werden, bringen eine ungeheure Fluth von technischen Entdeckungen mit sich. Wohl keine Naturkraft, welche je nach ihrer wissen⸗ schaftlichen Erforschung Eingang in das praktische Leben ge⸗ funden, ist mit einer solchen Lebhaftigkeit und Schnellig⸗ keit in ihren Anwendungen entwickelt worden, wie der Elektrizität in den letzten zwanzig Jahren beobachten konnten und noch jetzt beobachten; denn jeder Tag fast bringt neue Formen der technischen An⸗ wendung, die den Ansprüchen des wirthschaftlichen Lebens zu genügen streben, und wohl nicht mit Unrecht hat der größte Förderer der Elektrotechnik, Werner von Siemens, das kom⸗ mende Zeitalter als das der Elektrizität bezeichnet im Gegen⸗ satz zu dem jetzigen Zeitalter des Dampfes.
Hinter diesem rauschenden Treiben der schnellen Ent— wickelung der Elektrotechnik geht die wissenschaftliche Erforschung des Wesens der Elektrizität ihren ruhigen methodischen Gang. Hier begegnen wir nicht jener überhasteten, durch das Streben nach materiellem Gewinn bedingten Entwickelung, sondern in sorgfältigem jystematischen usammenarbeiten be⸗ theiligen sich die Forscher aller Länder an der Lösung des großen wissenschaftlichen Problems. Nur selten wird dieser langsame Gang unterbrochen durch geniale Entdeckungen ein⸗ zelner Forscher, Entdeckungen, die dann allerdings Riesenschritte bedeuten, die einerseits geeignet sind, die nachfolgende Forschung in neue Bahnen zu lenken und ihr neue Probleme zu stellen, andererseits schon erforschte, aber theils unvollkommen theils falsch verstandene Thatsachen richtiger zu erklären im Stande sind.
Einen solchen Riesenschrite hat die wissenschaftliche Elektrizitätslehre in den letzten Jahren gethan; wir verdanken ihn den Untersuchungen von H. Hertz, jetzt Professor an der Universität in Bonn, über die Ausbreitung der elektro⸗ dynamischen Wirkungen.
Es soll versucht werden, den Sinn und die Bedeutung dieser Entdeckungen in Kürze hier darzulegen.
Wenn ein Leiter der Elektrizität, etwa ein gerade aus— d,, metallischer Draht, von einem — Strome
urchflossen wird, so bemerken wir an ihm wesentliche Ver— änderungen. Zunächst wird derselbe warm und die in ihm entwickelte Wärme kann bei hinreichender Stärke des Stromes so weit gesteigert werden, daß der Draht zum . kommt. In unseren Glühlampen begegnen wir diesem Phänomen; in den in ihnen enthaltenen Kohlenfäden bringt der elektrische Strom eine so grsße Hitze ervor, daß der Faden zur Weißgluth und damit zum euchten gebracht wird. Wir müssen uns zur Erklärung dieses Vorganges vorstellen, daß die Elektrizität sich im Leiter mit einer gewissen Reibung bewegt, daß diese Reibung gegen die Molekulen des Leiters so stark werden kann, daß ebenso wie bei der Reibung der Axen der Räder eines Eisenbahnwagens in ihren Lagern, eine Wärme entwickelt wird, hinreichend, um ein Glühen hervorzubringen. Die besprochene Erscheinung ist also eine Wirkung des elektrischen Stromes in seiner Strombahn, in den vom Strome durchflossenen Leitern. Mit diesem Phänomen haben die weiter zu besprechenden Entdeckungen von 9. jedoch Nichts zu thun, und das ist von vornherein klar festzuhalten, um nicht die vielfach fälschlich ausgesprochene Anschauung auf— kommen zu lassen, als sei durch die neuen Entdeckungen das Wesen des elektrischen Stromes erklärt.
Außer der besprochenen Wirkung in der Strombahn 6 wir aber auch außerhalb derselben Wirkungen wahr, und diese zeigen sich, wenn wir in die Nähe des vom Strom durchflossenen Leiters einen Magneten bringen. Es wird dann der Magnet aus seiner Ruhelage abgelenkt. Ersetzen wir den Magneten durch einen zweiten Leiter der Elektrizität, also wiederum durch einen gerade ausgespannten Draht, welcher aber nicht von einem Strom durchflossen ist, so bemerken wir trotzdem in diesem zweiten Leiter jedesmal dann eine Be⸗ wegung von Elektrizität, wenn in dem ersten Leiter Schwan— kungen in der Stärke des ihn durchfließenden Stromes hervor⸗ gebracht werden, also dann, wenn im ersten Leiter plötzlich der elektrische Strom unterbrochen wird, oder wenn er plötzlich wieder zu strömen beginnt. Trotzdem also der zweite Leiter von dem ersteren durch eine beträchtliche Luftstrecke getrennt, ein direkter Uebergang der Elektrizität also völlig unmöglich ist, zeigt sich doch stets ein elektrischer Strom im zweiten Leiter.
Allerdings tritt diese Bewegung der Elektrizität im zweiten Leiter nur momentan auf und dauert nur so lange, als die erregende Stromschwankung im ersten Leiter andauert; sie be⸗ steht nicht, während der Strom in diesem konstant fließt, aber keen, kann sie bei hinreichender Länge der beiden Drähte kräftig genug werden, um zwischen den beiden zusammen⸗ gebogenen Enden des zweiten Drahtes Funken von beträcht⸗ licher Länge hervorzubringen. Dasjenige, was wirkt, ist also offenbar die erste Fluth des beginnenden und die letzte des abfließenden Stromes.
Das geschilderte Phänomen ist dem Physiker bekannt unter dem Namen der Induktion; die in der Hand eines jeden Mediziners sich befindenden Induktion gapparate, bei denen die auf einander wirkenden Drähte * Rollen . werden, sind Beispiele der praktischen Verwerthung der Induktions⸗ wirkungen.
Bleiben wir bei dem einfachen Bilde zweier neben einander ausgespannter Drähte, so tritt die Frage auf, wie kommt es, daß sich eine Wirkung vom ersten auf den zweiten Draht äußert? geht diese Wirkung momentan vor ö oder gebraucht sie eine gewisse Zeit, um die Entfernung vom ersten zum zweiten Draht zu durchmessen? breitet sie sich nach allen Richtungen rings
um den ersten Draht gleichmäßig aus, oder bevorzugt sie be⸗ stimmte Richtungen? pflanzt sie sich gradlinig, etwa wie das Licht, fort oder nicht? ist ihre Richtung beeinflußt durch die Natur des Zwischenmediums, also der Luft oder anderer Stoffe oder nicht? Kurz, es tritt die Frage nach dem Vor— gange der Fortpflanzung der Induktionswirkungen auf.
Diese Fragen durch finnreiche Experimente klar gelegt zu haben, ist das Verdienst von Hertz; ihm verdanken wir einen klaren Einblick in die Mechanik der Fortpflanzung der Induktionswirkungen. Gestützt auf seine Entdeckungen können wir heut aussprechen, daß diese Wirkungen in genau derselben Weise sich durch den Luftraum fortpflanzen, wie das Licht.
Die aufgeworfenen Fragen waren nicht neu, vielmehr hatten sie schon seit Entdeckung der Induktionsströme, also seit mehr als einem Menschenalter, das Nachdenken der Physiker in Anspruch genommen, und namentlich war es Faraday, der ohne jede mathematische Ueberlegung, lediglich gestützt auf eine staunenswerthe intuitive Anschauung, vorhergeahnt hatte, daß die Induktionswirkungen sich ebenso ausbreiten, wie das Licht. Die Anschauung . wurde allerdings von seinen Zeit⸗ genossen als eine underlichkeit betrachtet, und dieselbe würde in das Reich der Phantasie verbannt geblieben sein, hätte nicht ein Mann von derselben Tiefe und Selbständigkeit der Einsicht, der zugleich mit hervorragendem mathematischen Scharfsinn begabt war, dieselbe hervorgezogen. Dieser Mann war J. Clerk Maxwell. Mit großer Kühnheit machte er die Voraussetzung daß der Alles erfüllende Lichtäther der Träger der Induktionswirkungen sei, und stellte die Frage, welche Eigenschaften müßte dieser haben, damit er alle die Induttionswirkungen so vermittele, wie wir es beobachten. Die mathematische Analyse ergab, daß Die⸗ selben Eigenschaften, die wir dem Aether beilegen müssen, damit er die Lichtschwingungen übertrage, auch hinreichend sind, um die Erscheinungen der Induktion zu erklären. Eine einzige Stütze erhielt diese Theorie durch die Erfahrung.
Die Induktionswirkung des ersteren induzirenden Drahtes auf den zweiten tritt, wie wir oben bemerkten, nur auf bei Beginn des Strömens oder beim Aufhören, also bei einer Aenderung des elektrischen Zustandes des induzirenden Drahtes; diese Aenderung ist bedingt dur Be⸗ wegung der Elektrizität, und die Bewegung geschieht mit einer gewissen Geschwindigkeit. In die Wechselwirkung des ersten auf den zweiten Draht tritt also als mitbestimmend eine gewisse Geschwindigkeit auf, und diese ließ sich aus der Stärke des wirkenden Stromes und aus der ebenfalls der Messung zugänglichen Stärke des im zweiten Leiter hervor⸗ gerufenen Stromes berechnen. Sie ergab sich als eine Ge— schwindigkeit von außerordentlicher Größe, und zwar gleich der Geschwindigkeit des Lichts, wie wir diese aus astronomischen, wie auch optischen Beobachtungen ermitteln können.
Aber trotz dieser auffälligen Uebereinstimmung blieb die Faraday⸗Maxwell'sche Theorie ein Phantasiegebilde; sie glich einer Brücke, welche zwei weit auseinanderliegende Gebiete, das des Lichts und das der Elektrizität zu verbinden strebte; aber die Spannung dieser Brücke blieb zu groß, es fehlten, wie Hertz es ausdrückt, die Strebepfeiler, welche in der Mitte die Brücke stützen.
Diese Pfeiler zu bauen, gelang Hertz mit einem ver⸗ hältnißmäßig sehr einfachen Werkzeug. Er beobachtete nämlich, daß in dem zweiten Drahte dann die Bewegung der Elektri⸗ ität besonders stark wurde, wenn man ihm eine ganz be— . je nach den Versuchsbedingungen abzumessende Länge ab; die Elektrizitätsbewegung zeigte sich in ihm dann so räftig, daß, wenn wir den Draht zu einem Kreise zusammen⸗ biegen und die Enden einander nähern, zwischen diesen Enden
unken übergehen; allerdings Funken von e,, .
einheit, von nur hundertstel Millimeter Länge, aber dennoch deutlich sichtbar im verdunkelten Zimmer. Diese Beobachtung erinnert unmittelbar an die in der Akustik als Resonanz bekannte Erscheinung. Nehmen wir eine aus⸗ gespannte Saite von beliebiger Länge und stellen sie an dem einen Ende eines Zimmers auf, während an dem anderen eine Schallquelle zum Tönen gebracht wird, so wird diese Saite dann tönen, wenn die erregende Schallquelle genau den Ton angiebt, auf den die Saite abgestimmt ist. Ganz analog zeigt e . elektrischer Resonator dann Funken, wenn seine Länge genau abgestimmt ist auf die elektrischen Oscillationen, welche wir in dem ersten Draht durch periodisches Oeffnen und Schließen des Stromes hervorbringen. . —
Dieser Resonator ist unser Werkzeug; mit ihm führen wir dieselben Versuche, wie Hertz, aus. 7 )
Wir bringen ihn zunaͤchst in verschiedene Entfernungen vom ersten Draht und bemerken, daß er auch in Entfernungen von 5— 10, ja 20 m resonirt, und dabei erweist es sich als gleichgültig, ob wir nach vorn oder hinten, nach oben oder unten vom ersten Draht uns entfernen. Also die Ausbreitung der Wirkungen erfolgt nach allen Seiten hin, sie bevorzugt nicht eine bestimmte Richtung.
Wir bringen zwischen den ersten und den zweiten Leiter eine Wand, schließen etwa eine Thür, die Wirkung ist unver— mindert da; wir schieben ein dünnes Metallblech vor, die Wirkung ist aufgehoben; wird der Versuch mit Wänden aus verschie denen Materialien wiederholt, so zeigt sich, daß alle diejenigen Stoffe, welche Nicht-Leiter für die Elektrizität sind, die Wirkung hindurchlassen, während alle Leiter die Wir— kung vernichten. .
. fragen wir weiter, heben die Metalle die Wirkung auf, weil sie dieselbe absorbiren, wie etwa eine undurchsichtige Substanz das Licht absorbirt, oder lassen sie die Wirkung nicht hinter sich gelangen, weil sie, wie ein Spiegel, dieselbe reflek⸗ tiren? Wir machen den entsprech enden Versuch und sehen, daß die Metalle wie ein Spiegel wirken, der die elektrische Wirkung in andere Bahnen lenkt, und zwar reflektixen sie die Wirkung unter dem gleichen Winkel, unter dem sie einfällt. Wir beobachten dasselbe Gesetz der Reflexion, wie beim Licht.
Diese Beobachtung führt uns ofort einen großen Schritt weiter: wir stellen 6. elektrische Tonquelle, unseren ersten Draht an das eine Ende des Zimmers, überziehen die gegen- überliegende mit Metallblech und beobachten im Raum zwischen beiden. An bestimmten Orten bemerken wir jetzt sehr starke Wirkung, an anderen keine. Es kann nicht zweifelhaft sein, daß die kodten Stellen dadurch hervorgebracht sind, daß die von der Wand reflektirte Wirkung aufgehoben wird durch eine andere später abgegangene, welche auf einem kürzeren Wege zum gleichen
iele gelangt ist. Wenn ein kürzerer Weg weniger Zeit er⸗ ordert als ein längerer, so ist die Ausbreitung eine zeitliche
ie Frage ist 90 die Ausbreitung der Wirkung geht mit einer gewissen Geschwindigkeit vor sich; die beschriebene Er= scheinung ist das Analoge zu dem Interferenzphäͤnomen des Schalls und des Lichts.
Schon ist kein Zweifel mehr, wenn überhaupt eine solche
Erscheinung auftreten kann, so muß die Bewegung eine Wellenbewegung sein; der von der Felswand reflektirte Wellen⸗ berg gleicht das Wellenthal einer später sich heranwälzenden Welle aus und erhöht den Wellenberg, der dem Thale folgt; dadurch entstehen die todten und die kräftig wirkenden Stellen. Wir bestimmen die Entfernungen von der Wand, in denen Aufhebung, und diejenigen, in denen Verstärkung auftritt, die todten Stellen folgen einander in bestimmten und gleichen Abständen, die Entfernung zwischen beiden muß gleich der Länge einer Welle sein. Diese Wellenlänge können wir je nach der Zahl der elektrischen Bewegungen, die wir im ersten Leiter hervorbringen, variiren, wir können sie 5 m lang machen, können sie aber auch verkürzen bis auf 50 em Länge. Wir multipliciren die für den ersten Leiter berechnete Zahl der Schwingungen mit der gemessenen Wellenlänge und er⸗ halten für die Ausbreitungsgeschwindigkeit eine Geschwindigkeit, . des Lichts von 40 000 Meilen in der Sekunde gleich ist. Man wirft die Frage auf, welcher Art die Wellenbewegung ist: ob sie so erfolgt, wie die Wasser⸗ und Lichtwellen, sodaß die Hebungen und Senkungen senkrecht sind zur Fortpflan⸗ zungsrichtung der Welle, oder so wie die Schallwellen, bei denen Verdichtung und Verdünnung der Luft erfolgt in Rich— tung des Fortschreitens. Wir entscheiden die Frage, indem wir unseren Draht in verschiedene, Lagen an dieselbe Stelle der Welle bringen; das eine Mal spricht er an, das andere Mal nicht. Mehr bedarf es nicht; die Frage ist entschieden, es sind Transversalwellen, Wellen, in denen die Hebungen und Senkungen senkrecht zur Fort⸗ pflanzungsrichtung erfolgen, und wir können die Lage der Ebene, in der die Oseillationen erfolgen, genau fixiren.
Wir sind am Ziel; unsere Untersuchung hat mit unum— stößlicher Sicherheit bewiesen, daß die Fortpflanzung der In— duktionswirkung nicht momentan, sondern mit der bestimmten und meßbaren Geschwindigkeit von 40 000 Meilen in der Se— kunde erfolgt, derselben Geschwindigkeit, mit der auch das Licht sich ausbreitet; sie hat weiter gezeigt, daß sie eine Wellen—⸗ bewegung ist, und zwar eine solche, bei der die Oscillationen senkrecht erfolgen gegen die Fortpflanzungsrichtung, genau wie beim Licht, bei dem auch die Schwingungen senkrecht zum Strahl erfolgen.
AUnd doch, welch ein Unterschied hesteht zwischen beiden in ihrer Größe! Denn während die Lichtwellen eine Länge von 4 —8 Zehntausendstel eines Millimeters haben, sind die elektrischen Wellen einhalb bis fünf Meter lang; sie gleichen der majestätischen Ozeanwelle, welche in ihren Thälern die 1 Schiffe aufzunehmen vermag, während die ichtwellen vergleichbar, sind den zarten, kurzen Wellen, welche ein sanfter Windstoß auf der Oberfläche eines Teiches hervorruft. Und dennoch sind beide Arten von Wellenbewegungen in ihrer Qualität dieselben, beide haben dieselbe Geschwindigkeit des Fortschreitens. Müssen wir da nicht beide Arten der Bewegung ein und demselben Medium n,. dem hypothetischen Lichtäther? Wir wissen ja och schon, daß dieser fähig ist, außer den Lichtwellen noch andere zu übertragen, kürzere von 4 bis 2 Zehn⸗ tausendstel eines illimeters Länge, deren Existenz zwar nicht unser Auge, wohl aber die photo⸗ graphische Platte kund thut, und längere von 8 Zehn⸗ tausendstel bis etwa 3 . Millimeter Länge, welche die Uebertragung der ärme durch Strahlung vermitteln. Sollte es nun so schwer sein, noch diejenigen Wellenzüge zu entdecken, deren Größe die noch fehlende Lücke zwischen 3 Hundertstel eines Millimeters uns einem halben Meter ausfüllt? Gesetzt, es sei dies geschehen, so sehen wir im Geist den hypothetischen Aether Wellenzüge durch⸗ ziehen von verschiedener Länge; für die ganz langen Wellen haben wir kein Organ, welches uns ihre Wahrnehmung girekt gestattete, wir können sie nur künst⸗ lich auf elektrischem Wege erkennen; die kürzeren kommen zur Wahrnehmung als Wärme durch unseren Tastsinn, ihnen folgen dann diejenigen, die das Auge als Licht wahrnimmt; für die kürzesten fehlt uns wiederum ein Organ, wir können sie nur durch die Photographie entdecken.
Die Lichtschwingungen, die bisher durch die Mannigfaltig—⸗ keit ihrer Farbenpracht unser . im hohen Grade in Anspruch genommen, verlieren fast an Interesse, sie sind nur ein kleiner Theil der allgemeinen im Aether erfolgenden Schwingungen; sollten sie nicht vielleicht auch, wie die längeren Wellen, elektrischer Natur und damit unser Auge ein Organ zur direkten Wahrnehmung elektrischer Wirkungen sein?
Eine Fülle von Fragen drängt sich uns auf; Vieles ist durch die neuen Entdeckungen gewonnen, aber mit jeder Stufe, die wir in der Erkenntniß der Natur erklimmen, mehren sich die Fragen, weil die Umschau eine weitere wird. Die Wissen⸗ schaft steht nie still, jeder Fortschritt bringt neue Fragen. Glück auf zu ihrer weiteren Entwickelung!
Statiftik und Vöolkswirthschaft.
Zur Arbeiterbewegung.
In Hamburg fand am 26. Juni laut Mittheilung des Hamb. Corr die konstituirende Versammlung des evangelisch⸗sozialen Arbeitervereins statt, zu der sich etwa 80 — 100 Personen ein gefunden batten. Nach einem Hinweis des Vorsitzenden auf die Ziele des Vereins erstattete Prediger Dr. von Schubert einen Bericht über den evangelisch-sozialen Kongreß in Berlin und die damit verbundene Spezialkonferenz von Vertretern der evangelischen Arbeitervereine, scwie über den gegenwärtigen Stand und das Wachsthum der Vereins bewegung. Die Anwesenden wurden hierauf befragt, ob sie dem neuen Verein beitreten wollten; sie erklärten fast sämmtlich, mit nur ein paar vereinzelten Ausnahmen, ihren Beitritt. Alsdann wurde der noch übrige Theil des Statuts durchgegangen und von der Versamm⸗ lung angenommen und endlich der aus 11 Personen, worunter s Arbeiter, (nach dem Statut muß die Mehrjahbl der Vorstands⸗ mitglieder aus Arbeitern bestehen) zusammengesetzte Vorstand gewählt.
Aus Elmshorn schreibt man der „Kiel. Ztg.“ unterm 26. d.: Die vereinigten Gerber und Lederzurichter hierselbst haben in einer gestern Abend stattgehabten Versammlung auf das Anerbieten der strikenden Gerbergesellen, die Arbeit wieder aufnehmen zu wollen, beschlofsen, mit den letzteren erst dann in Verhandlungen treten zu wollen, wenn dieselben in denjenigen Blättern, in welchen sie früher den Strike angezeigt haben, erklären, daß der Strike durch Nachgeben ihrerseits hin aufgehoben sei. ;
Der Wupperthaler Zim mermeister⸗ Verein hielt am 25. Juni, laut Mittbeilung der „Elb. Ztg.“, eine zahlreich besuchte Versammlung in Elberfeld ab, in welcher der Vorsitzende die An- wesenden ermahnte, an dem Beschluß, nur nach Leistung zu bezahlen, festzuhalten und jeden Versuch der Ausständigen, noch arbeitende Gefellen von der Arbeit abzuhalten, sofort zur Anzeige zu bringen.
Es sind zwei solcher Anzeigen bereits erfolgt. In Barmen fand am 26. Juni wieder eine Versammlung der ausständigen Zimmer⸗ gesellen und zu gleicher Zeit in Elberfeld eine Zusammenkunft sämmtlicher Bauunternehmer des Wupperthals statt.
Zum Feilenhauerstrike in Remscheid wird der Elbf. Ztg. geschrieben: Am 25. Juni weilte der Gewerbe⸗Rath Theobald aus Düsseldorf im Auftrage der Königlichen Regierung in Remscheid, um über die Frage des Feilenhauerstrikes nähere Erkundigungen bei den . sowohl als auch bei den betheiligten Arbeitern ein—⸗ zuziehen.
Die Vertrauens männer -Versammlung des Rechts schutzvereins der pfälzischen Bergleute hat, dem „Frkf. Journ.: zufolge, beschlossen, Falls der von ihr gewäblten Arbeiter⸗ deputation die erbetene Audienz beim Prinz ⸗ Regenten versagt werden sollte, sich mit einer Petition an den im Herbst wieder zusammen⸗ tretenden baperischen Landtag zu wenden, um einen der bekannteren und einflußreicheren Parlamentarier für die Sache der Bergleute zu interessiren.
Die Uhrmachergehülfen, die, wie die „Staatsb. Ztg.“ schreibt, bisher eine Organisation nicht batten, haben sich nunmehr eine solche geschaffen. Nach den von Seiten des Frankfurter Uhr⸗ machergehülfen Vereins getroffenen Vorarbeiten traten am 22. Juni etwa 20 Vertreter der größeren Städte in Frankfurt a. M. zu⸗ sammen, welche die Gründung eines Deutschen Uhrmacher⸗ gehülfen ⸗ Verbandes! beschlossen und nach eingehender Berathung die Satzungen annahmen. Zweck des Verbandes ist unter anderem Stellenvermittelung, Unterstützung Arbeitsloser, Gründung von Ge— hülfen Vereinen. Zum Verbandsorgan wurde die zweimal monatlich in Jüterbog erscheinende Allgemeine Uhrmacher⸗Zeitung“ durch Ver⸗ trag bestimmt; jedes Verbandsmitglied erhält das nunmehr obligato⸗ rische Verbandsorgan.
Die Freie Vereinigung der Holzindustriellen Berlins hielt am 23. d. M. eine außerordentliche Generalversamm⸗ lung ab, auf welcher, wie die B. B. Ztg. schreibt, u a. besonders hervorgehoben wurde, daß die F. V. d. H. B. durch ihr energisches Vorgehen und getroffene Maßregel dazu sehr viel beigetragen habe, daß der 1. Mai außerordentlich günstig und wider Erwarten befriedi⸗ gend verlaufen und dadurch der Beweis geliefert worden ist, welchen moralischen Einfluß der Verein bereits gewommen hat. — Die anwesenden Vorstände von Arbeitgebern der Fräser, Jalousiemacher, Drechsler ꝛc. gaben Namens ihrer Kollegen dem Wunsche Ausdruck, sich der F. V. der H. B. anzuschließen. — Bereitwilligst wurde demselben gewillfahrt und soll bei demnäͤchst bevorstehenden Versammlungen der einzelnen Fach⸗ genossen das hierzu Erforderliche veranlaßt werden. — Der Schatz meister der F. V. d. H. B. theilte u. A. mit, daß Anbahnungen im Gange sind — analog dem Arbeitgeber ⸗Verbande in Hamburg, sowie dem Chemnitzer Verbande der freien Vereinigung dortiger Arbeit- geber, mit welchen der Berliner Verein bereits in Verbindung steht — um einen größeren Garantiefonds zu bilden.
In der demnächst ins Leben tretenden Berliner Central⸗ Strikekommission, welcher, aus je 2 bis 3 Vertretern aller Gewerke zusammengesetzt, die Entscheidung über alle Strikes unter⸗ stehen soll, glaubten, so schreibt die ‚„Staatsb. Ztg.“, die Arbeiter ein Allheilmittel gegen wirkungslose Strikes gefunden zu haben. In der allgemeinen Ernüchterung, die unverkennbar in diesem Jahre dem Rausch des vorigen Sommers gefolgt ist, tauchen indessen neuerdings mehr und mehr Stimmen auf, die erhebliche Zweifel an dieser Institution ausdrücken. Die Schuh— macher und die Former lehnten rundweg die Betheiligung an der genannten Kommission ab, anführend, daß sie nicht gesonnen seien, im Fall eines ihnen aufgedrungenen Strikes erst einen so schwerfälligen Apparat in Thätigkeit zu setzen. — Bei den Berliner Zimmer— leuten, welche sich am 26. Juni in einer öffentlichen Versamm⸗ lung unter Vorsitz des Gesellenausschusses mit der Frage der Wahl
von Vertretern der Central ⸗Strikekommission beschäftigten, war
für die genannte Institution gleichfalls wenig Neigung vor— handen. Vornehmlich von den älteren und des Längeren schon in der Gewerkschaftsbewegung als Berather thätigen Fachgenossen wurde die Haltlosigkeit des ganzen Gedankens und die Aussichtslosig keit der Verwirklichung desselben scharf betont. Es wurde aus—⸗ geführt, daß der Strike eine Sache sei, die naturnothwendig entstehe und sich nicht durch irgend eine, wenn auch noch so erleuchtete Kom⸗ mifston dekretiren oder aufhalten lasse. Den Strike der Bau handwerker im vorigen Jahre hätte keine Kommission aufzuhalten vermocht. Das, was noththue, werde jede Korporation in Bezug auf sich selbst am besten zu beurtheilen wissen. Die Strikes von sonst und in der Gegenwart seien kaum zu vergleichen. Man sei gegenwärtig zu schwach, dem allseitig geeinten Kapital erfolgreich gegenüberzutreten. Nur allgemeine Organisation könne helfen, nicht in der günftigen Arbeitsperiode unternommene Strikes, mit denen man wohl einen geringen Vortheil erringe, um ibn alsbald wieder zu verlieren. Trotz dieser und vieler anderen Ausführungen war die Mehrheit doch der Meinung, daß die Wahl zweier Vertreter nicht schaden könne, und nahm dieselbe vor. .
Der Londoner Gewerkverein der Docaarbeiter ist, laut Mittheilung der A. C.“, von den Dockarbeitern in Ham burg ersucht worden, ihnen bei der Gründung eines Gewerk vereins behülflich zu sein.
Aus New⸗Jork meldet die A. C unterm 2s. d.: Der Verkehr auf der Illinois Central, Eisenbahn ist durch den Ausstand ihres Bahnpersonals theilweise gelähmt. Die Strikenden verlangen die Entlafsung des Superintendenten, welcher es ablehnte, gewisse Beschwerden abzustellen. 1500 Bedienstete feiern. Chicago leidet ernstlich unter dem Strike, da der Babnverkebr zwischen den südlichen Vorstädten und der Stadt stockt. Die Ver— bindung wird nur durch Postkutschen bewerkstelligt. Wie indeß W. T. B.“ aus Chicago unterm 28. 88. meldet, ist der Strike schon beendet.
Ehen und Geburten in Frankreich.
Wie aus einem Vortrage des Hrn. Lagneau in der am 24. 8. M. abgehaltenen Sitzung der Pariser Acadẽmie de Medecine bervorgeht, nimmt die Zahl der Geburten in Frankreich in keunruhigender Weise ab. Im Jahre 1872 betrug sie noch 26,7 Jo, ist seitdem aber auf 23 o,o gesunken, während sie in Preußen 4220, in Rußland sogar 48 0600 beträgt. Andererseits ist das Verhältniß der unebelichen Ge— burten zu den ehelichen in den letzten sechzig Jahren von 5 0 auf 8, 5 Ho gestiegen. In einzelnen Garnisonorten stellt sich dasselbe auf 20 0Mο, in Paris erreicht es sogar 28 9. Auf 100 Ehen werden in Frankreich 10 kinderlose gerechnet. Die Zahl der Ehen nimmt überbaupt in hohem Maße ab, und war 1885 um 12707 geringer als 1881. Die Ursache für die Abnahme der Ehen findet Hr. Lagneau in dem Zuströmen der Bevölkerung zu den großen Städten und in den erschwerten Erwerbsverhältnissen, die für die Abnabme der Geburten in dem Wunsche der Eltern, ihren Kindern ein ebenso großes Ver⸗ 16 zu gewähren, wie sie selbst haben, und ihren Besitz ungetheilt zu lassen.
Land⸗ und Forstwirthschaft.
Saatenstand in Ungarn.
Den beim Königlich ungarischen Ackerbau .Ministerium in der Zeit vom I7. bis 23. Juni eingelaufenen offiziellen Berichten zufolge war die Witterung fortgesetzt eine küble und windige, mit Stürmen, Nieder chlägen und stellenweise großen Wolkenbrüchen verbunden, welcher Umstand nicht so sehr auf die Herbstsaaten als auf den Frübjahrs · anbau und ingbesondere auf den Maitanbau schädlich einwirkte
Von den Herbstsaaten haben sich die üppigeren in dielen Gegenden gelegt. Der Rost hat sich aber in der abgelaufenen Woche nicht mehr in dem Maße verbreitet wie vordem, und dies ist am so mebr als günstiger Umstand zu betrachten, als die Körnerbildung der vom Rost bisher verschont gebliebenen Aebren eine befriedigende war. Die Körner find schön, gefund, und Falls binsichtlich der Qualität der Roft keinen großen Schaden verursacht, werden Weizen, Roggen und