1890 / 291 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 03 Dec 1890 18:00:01 GMT) scan diff

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berbeifübren könnten, siebt der Entwurf vor, daß der Kaiser in Ueber einstimmung mit dem Bundesrath gewisse Vorschriften des Gesetzes über die Reichs ⸗Kriegsbäfen schon jetzt zur Einführung bringen darf. Diese Vorschriften, meine Herren, sind lediglich ban und seepolizeiliche Natur, und ich mweifle garnicht. daran, daß sie den Einwohnern von Helgoland selbst nicht die geringsten Unbequemlichkeiten verursachen werden. Sie selber aber, meine Herren, indem Sie dem 8 8 Ibre Zustimmung ertbeilen, präjudijiren der Frage, ob künftig Helgoland Reichs ˖ Kriegsbafen werden

oll oder nicht. in keiner Weise. j Was nun endlich den . 6 anlangt, so bedarf der erste Absatz

keiner weiteren Motivirung. Sie werden ganz damit übereinstimmen, daß es zweckmäßig der Kaiserlichen Verordnung unter Zustimmung des Bundesrathd überlassen bleibt. den Zeitpunkt der Einfübrung der einzelnen Reichsgesetze ju bestimmen, und jwar nach Konkurrenz mit der preußischen Regierung, die, sofern das Gesetz Ihre Zustimmung findet, in dieser Beziehung ja die erste Stimme baben wird.

Bedenklicher könnte Ihnen der zweite Absatz erscheinen, insofern er Kaiserlicher Verordnung und der Zustimmung des Bundesraths es vorbehält, auch gewisse Modifikationen bei der Verkündigung der Reichsgesetze vorzusehen. Sie werden aber die Bedenken zurücktreten lassen, wenn Sie erwägen, daß nicht allein die Befugniß zum Erlaß solcher Modifikationen, sondern auch ihre Wirksamkeit zeitlich begrenzt ist und jwar bis zum 31. Dejember 1893. Der Zustand, welcher ber gestellt wird, ist der, daß solche Aenderungen, insoweit sie vor dem 31. Dezember 1883 durch Kaiserliche Verordnung erlassen worden sind, mit diesem Tage ihre Wirksamkeit verlieren, sofern sie nicht imwischen durch ein Reichgesetz sanktionirt worden sind. Eine derartige Be⸗ stimmung erscheint nothwendig; denn, wie Sie, meine Herren, wissen, ist im Artikel 12 des deutschrenglischen Abkommens den Helgoländern Schonung ihrer Gesetze, Schonung ihrer Gewohnheiten und Sitten zugesichert, soweit dies irgend angängig ist. Es bedarf einer gründlichen Prüfung, inwieweit zur Erfüllung dieser Verheißung gewisse Abänderungen solcher Reichsgesetze, die an sich zur Einführung reif und nützlich sind, erforderlich erscheinen, um die Helgoländer nicht in ihren wohl⸗ erworbenen Rechten zu kürzen. Bedenklich, wie gesagt, scheint die Vorschrift durchaus nicht, wenn Sie erwägen, daß mit dem 31. De⸗ zember 1893 die Wirksamkeit aller dieser abändernden Bestimmungen wegfällt.

Ich glaube hiernach, meine Herren, Ihnen die Annahme des Gesetzentwurfs empfehlen zu können. Sie werden damit wesentlich dazu beitragen, daß die Entwickelung Helgolands, von der ich hoffe, daß sie unter deutscher Flagge eine recht glückliche sein wird, sicher⸗ gestellt werde. (Bravo)

Abg. v. Benda: Er schließe sich zunächst dem Wunsche des Herrn Staatssekretärs an, daß diese Vorlage sich der ungetheilten Zu⸗ stimmung der hohen Versammlung erfreuen möge. Was ihn (den Redner) bestimme, das Wort zu ergreifen, sei der Umstand, daß er seit 0 Jahren diese Insel besuche, und daß er 20 bis 30 Mal auf ihr geweilt habe und mit den Verhältnissen einigermaßen vertraut sei. Er könne versichern, daß so oft und so lange er dort gewesen sei, unter den Deutschen vor fünfzig Jahren wie den gegenwärtigen nur der eine Gedanke vorherrschend und lebendig gewesen sei: Helgo⸗ land müsse wieder deutsch werden! Ueber die weeltgeschicht⸗ liche Bedeutung des Aktes der Uebergabe und über die Kompen⸗ sationen in Afrika, über welche er kein Wort weiter zu verlieren habe, werde nicht der geringste Zweifel herrschen. Er sei auch mit der Einverleibung in den preußischen Staat vollkommen ein⸗ verstanden, wenn er auch wisse, daß das ohne finanzielle Opfer nicht geschehen könne. Helgoland befinde sich aber, Dank der Verwaltung der früheren Gouverneure, in einer finanziell günstigen Lage. Ueber die Befreiung vom Militärdienst habe er mit Helgoländern viel⸗ fach gesprochen. Die Stimmung gehe dahin, daß mit Rücksicht auf eine große Anzabl von Helgoländern diese Bestimmung unvermeidlich sei. Vielfach sei ihm aber auch gesagt worden, wir wünschen und hoffen, daß unsere Söhne freiwillig in die deutsche Armee eintreten werden, und er selbst zweifle nicht daran, daß dies geschehen werde. Der Ausfall, der durch die Zoll befreiung bis zum Jahre 1910 für uns entstehe, werde sich jährlich un⸗ gefähr auf 40 000 M belaufen, eine Summe, die im Laufe der Zeit durch die Belebung des Handels und Verkehrs reichlich wieder eingebracht werden dürfte. Die Bestimmung über die Option, nach welcher die Bevölkerung sich binnen einer Frist noch erklären könne, ob sie die englische Staatsangebörigkeit vorläufig behalten wolle, werde, wie er hoffe, von keinem einzigen Helgoländer benutzt werden. Nur darauf werde von der Bevölkerung Werth gelegt, daß die bisherigen Rechts⸗ verhältnisse und Gewohnbeiten schonend behandelt würden. Die Trauung, dieses eigenthümliche helgoländische Produkt, werde sich auch vielleicht noch mit unseren Einrichtungen versöhnen lassen. Die drei oder vier Trauungen, die er dort erlebt habe, hätten zu den glück— lichsten Ehen geführt. (Heiterkeit; Er wünsche, daß man bei der Ordnung der anderen, immerhin eiwas schwierigen Verhältnisse thun⸗ lichst nach Anbörung und im Einvernehmen mit den Gemeinde delegirten verführe. Soweit er diese Delegirten kenne, seien es ohne Ausnahme verständige Leute, und man könne sehr gut mit ihnen fertig werden. Für Wohlfahrtseinrichtungen sei unter den beiden letzten Gouperneuren bereits viel geschehen, aber sowohl auf der Insel selbst, wie auf der Düne, wie im Verkehr zwischen beiden, sei noch Vieles zu thun. Nach seinen fünfzigiährigen Erfahrungen halte er es für absolut nothwendig, daß man die äußere Stellung des Gouverneurs so ordne, daß der Mann dort auch leben könne. Die geselligen Ansprüche, die man dort an ihn mache, seien sehr bedeutend. Er (Redner) hoffe und wünsche, daß der standard of life unter der preußischen Regierung sich noch weiter hebe. Mit 6 = 8000 4 werde der Gouverneur seine gesellschaftlichen Berpflichtungen nicht erfüllen können, wenn Helgoland wieder einer unserer vornehmsten Kurorte werde, was zu hoffen sei. Seit den letzten zwanzig Jahren habe sich von dort die vornehmste und reichste Gesellschaft etwas zurückgezogen; das werde unter der preußischen Regierung wieder anders werden. Gott sei Lob und Dank, daß wir endlich Helgoland wieder in unserem Be⸗ sitz haben!

Abg. Dr. Windthorst: Er hätte sich nicht zum Wort gemeldet, wenn er nicht geglaubt hätte, die Gelegenheit benutzen zu sollen, um die große Einstimmigkeit zu konstatiren, welche in Bezug auf Helgo⸗ land im Hause herrsche. Die Freude über den Wiedererwerb Helgo⸗ lands sei in dem ganzen Lande eine recht große gewesen, besonders in seiner Heimath, wo man der Insel näher sei. Daß sie unter Zu⸗ stimmung Englandz und der Bevölkerung der Insel vollzogen, sei von besonderer Wichtigkeit. Er wünsche, daß die Verwaltung zum Segen der Insel, ihrer Bewobner und auch des Deutschen Reiches sei. Die Gewohnheiten und Rechte der Insel möge man nach jeder Richtung hin schonen. Es sei ihm angenehm gewesen, daß man die Vorlage nicht mit Geldforderungen begleitet habe. (Heiterkeit; Abg. Bam berger; Kommt noch) Daß es nicht ohne alles Geld abgehen werde, sei kein Zweifel. Er wünsche aber, daß Alles möglichst billig eingerichtet werde, namentlich gelte dies von den militärischen und maritimen Einrichtungen. Den Appell von Benda's, den Gouverneur recht reichlich zu dotiren, unterschreibe er nicht. Die Regierung sei in ihren Forderungen für Gehalt gar nicht karg. Der Mann solle allerdings gehörig dotirt werden, aber er mochte die Regierung in dieser Beziehung nicht anfeuern.

Abg. Richter; Dieser Verwahrung gegen Hrn. von Benda könne er sich nur anschließen. Gegen die Vorlage der Regierung habe man nichts Wesentliches einzuwenden, ebensowenig gegen das deutsch⸗

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englische Uebereinkommen, welcheg die Voraussetzung dieser Vorlage sei. Die internationalen Beschränkungen der Kolonlalpolitik, welche das nn, . Uebereinkommen zur Folge habe, entsprächen seinen Wünschen. Kolonialentbusiasten möchten es vielleicht bedauern, daß in diesem Uebereinkommen die Zuerkennung des Protektorats über Sansibar an eine andere europässche Großmacht ausgesprochen sei. Indessen für die tbeilwelse Aufgabe eines Zukunftstraumes und einer mehr als broblematischen Reichsberrlichkeit in Afrika hätten wir den reellen Besitz einer Insel bekommen, welche nach Lage und Abstam— mung der Bevolkerung zu Meutschland gehöre. Wenn sich noch ein kleines Inselchen irgendwo in den europäischen Gewässern finden sellte, so würde ee es init Freuden begrüßen, wenn wir dafür noch einen anderen Lbdell unserer afrikanischen Besitzungen mit Anstand los—⸗ werden könnten. (Beifall links.)

Abg. v. an tenffel! Er spreche die volle Befriedigung der Konservativen über den Gesetzentwurf aug. Jeder Deutsche, wenn er die Karte angeseben bätte, mnie das Gefühl der Beschämung gehabt haben. dag dle Insel am Ausstaß der Elbe im Besitz Englands sei. (Beifall rechts) Die Priwaswinsche von Benda's gehörten theils in den Preußischen Landtag, theils würden sie bei der zweiten Lesung Erledigung finden können. Mit großer Freude und Genugthuung be⸗ grüße man die Vorlage, und wenn n der Proklamation Sr. Majestät gesagt sei: um so freudiger begrüßt leder Deutsche die Wleder vereinigung Helgolands mit dem deutschen Volke und Vaterlande, so stimme man dem mit voller Begeisterung zu. (Beifall rechts.)

Abg. Stadthagen: Er habe gegen die Vorlage juristische und staatsrechtliche Bedenken und beantrage deshalb, den 6. entwurf einer Kommission von 14 Mitgliedern zu überweisen. 8 sei nicht klar, wer denn eigentlich die Vertragschließenden seien. Auf der einen Seite zweifellos England, ob auf der anderen Seite die deutsche Regierung oder der Deutsche Kaiser, gehe nicht klar aus der Vorlage hervor. Nehme man an, der Vertrag sei Namens Deutschlands abgeschlossen, dann würde Artikel 11 der Reichsverfassung in Anwendung kommen müssen und die Genehmigung des Reichs- tages erforderlich sein. Daß die Helgoländer selbst die Zugehörigkeit zu Preußen wünschten, könne er nicht anerkennen. Der Geschichte nach sei Helgoland nicht mit Preußen resp. Schleswig = Hol⸗ stein, sondern vielmehr, namentlich in seinen wirthschaftlichen Interessen, mit Hamburg und Bremen verbunden, das werde ihm auch der alte Badegast aus Helgoland bestätigen. Die Helgoländer wollten Deutsche, aber nicht Preußen sein, ihre Vergangenheit weise vielmehr auf Dänemark zurück. Die Helgoländer hätten von dem Anschluß an das Deutsche Reich erwartet, daß ihre wirthschaftliche Lage erheblich ver bessert werde. Der größte Theil der älteren Helgoländer würde sehr dankbar sein, wenn Diejenigen, welche das Lootsenexamen abgelegt hätten und als britische Unterthanen dem Lootsengewerbe nicht hätten nachgehen können, wenigstens nachträglich die Genehmigung erhielten, als Lootsen etwas verdienen zu können. Denn die wirthschaftliche Lage der Helgoländer sei nichts weniger als glänzend. Wenn schon der helgoländer Gouverneur angeblich nicht in guten Ver— hältnissen lebe, wieviel weniger die Schiffer und Fischer. Ferner müßte den Fischern eine Subvention gegeben werden, damit sie sich größere Fahrzeuge für die Fischerei an⸗ schaffen könnten. Ebenso wäre es im wissenfceastlichen Interesse wünschenswerth, wenn ähnlich wie in Neapel in Helgoland eine zoologische Station zur Erforschung der Meeresfauna errichtet würde. Höchst bedenklich erscheine es ihm, daß in der Vorlage die Vertümmerung des Optionsrechts der Helgoländer erblickt werden könnte. Es sei nicht richtig, daß die Helgoländer ipso jure durch den Vertrag etwa Deutsche geworden seien. Die Helgoländer hätten weder Lust, Deutsche, noch Dänen, noch Engländer zu werden, sondern zu bleiben, wa sie seien, nämlich Helgoländer. Man habe sie gar nicht gefragt. Es müßte eine reichsgesetzliche Kautele geschaffen werden, daß die Helgoländer bis zu einem Zeitpunkt erklären könnten, ob sie Deutsche oder Engländer sein wollten, und daß nicht Diejeni⸗ gen, welche nicht für Deutschland optirten, aus ihrem Heimathland vertrieben würden. In der Befreiung von der Militär und Zolllast sehe er das Einzige, was auf die Helgoländer günstig gewirkt habe.

Staatssekretär von Boetticher:

Die Ausführungen des Herrn Vorredners nöthigen mich doch zu einigen Gegenbemerkungen. Ich glaube, im Allgemeinen wird er mit diesen seinen Ausführungen den Eindruck erweckt haben, daß er bier mit denselben sich nicht vor der rechten Schmiede befindet. Die Mehrzahl der Desiderien, die er aufgestellt hat und über die sich ja reden läßt, können erst erfüllt werden, wenn über die staatsrechtliche Zugehörigkeit der Insel eine definitive Bestimmung getroffen sein wird. Also, wenn es nach unserem Plane geht, ist es Preußen, welchem die Entscheidung hierüber zufällt. Dies trifft unter Anderem den Wunsch, daß den helgoländer Lootsen, welche eine Prüfung ab— gelegt und die Qualifikation zur Führung des Lootsengeschäfts er— worben haben, auch ohne Weiteres in Zukunft die Führung des Lootsengeschäfts gestattet wird. In dieser Beziehung ist das Lootsen— wesen Landessache und die preußische Regierung wird darüber zu be⸗ finden haben.

Was sodann die Subvention anlangt, für die der Herr Vor⸗ redner eintritt, so möchte ich darauf hinweisen, daß wir uns jetzt hin⸗ sichtlich der Insel überhaupt in einem Uebergangsstadium, und zwar in einem sehr kurzen Uebergangsstadium, gewissermaßen in einem Nothstadium befinden, d. h. das Reich mußte die Verwaltung führen, da augenblicklich noch kein anderes Staatswesen rechtlich da war, welches die Verwaltung übernehmen konnte. Das aber ist unzweifel⸗ haft, und die Helgoländer haben bereits das Vertrauen ge— wonnen, daß sie unter der neuen Regierung mag es nun eine Reichsregierung bleiben oder mag es die preußische werden —, eine wohlwollende Berücksichtigung ihrer Interessen zu erwarten haben werden, und ich zweifle gar nicht daran, daß, wenn überhaupt die Neigung, für England zu optiren, unter den Helgo— ländern bestanden haben sollte, sie jetzt schon bis zu einem Minimum zurückgegangen ist. Was diese Option anlangt, so ist im Art. 12 des Vertrages Alles, was nothwendig ist, vorgesehen. Art. 12 in seiner Nr. 2 sagt:

Die deutsche Regierung wird den aus dem abgetretenen Gebiet herstammenden Personen die Befugniß gewähren, vermöge einer vor dem 1. Januar 1892 von ihnen selbst oder bei minderjährigen Kindern von deren Eltern oder Vormündern abzugebenden Er— klärung die britische Staatsangehörigkeit zu wählen. ;

Dieser Art. 12 ist auf Helgoland publizirt, er ist jedem Helgo⸗ länder bekannt; es kann also jeder Helgoländer, der keine Neigung hat, Deutscher zu werden, bis zum 1. Januar 1892 mit der Erklärung hervortreten: Ich optire für England. Daß wie der Herr Vorredner zu wünschen scheint nun eine namentliche Abstimmung in der Gemeinde darüber herbeigeführt werde, wer Engländer und wer Deutscher werden will, das würde ich mindestens für kein Be⸗ dürfniß, im Uebrigen aber auch für höchst unjweckmäßig halten.

Nun sagte schließlich der Herr Vorredner, er sei mit der Ein⸗ verleibung in Preußen garnicht einverstanden; denn die historische Vergangenheit der Insel weise nicht auf eine Vereinigung mit Preußen hin. Ja, meine Herren, der Herr Vorredner befindet sich eben in einem historischen Irrthum. Auf eine Zusammengehörigkeit mit Hamburg weist überhaupt die Geschichte der Insel nicht hin; zu Hamburg hat Helgoland nie gehört, und wenn er die Zusammen

gehörigkeit mit Dänemark betont hat, so bedauere ich, ihm darin nicht bebülflich sein zu köngen, daß das Deutsche Reich ein Gesetz macht, welches die Insel an Dänemark überweist. (Heiterkeit)

Der Antrag Stadthagen wird abgelehnt; die zweite Berathung des Gesetzentwurfs wird im Plenum erfolgen.

Die Rechnungen der Kasse der Ober⸗Rechnungs⸗ kammer pro 1887/8358 resp. pro 1888.89 bezüglich derjenigen Theile, welche sich auf die Reichsverwaltung beziehen, werden der Rechnungskommission überwiesen.

Der Gesetzentwurf, betreffend die Kontrole des Reichs⸗ haushalts und des Landeshaushalts von Elsaß— Lothringen für 189091, wird in erster Berathung ohne . erledigt; die zweite Berathung wird im Plenum statt⸗

nden.

Schluß 33/4 Uhr.

Der Präsident beabsichtigt, in dieser Woche die Novelle zum Patentgesetz und zum Musterschutzgesetz und die Novelle zum Krankenkassengesetz auf die Tagesordnung zu setzen. Am nächsten Dienstag soll die erste Lesung des Etats beginnen.

Von dem Abg. 5 ist im Reichstage folgen⸗ der Antrag über den Erlaß eines Gesetzes, betreffend die Entschädigung für unschuldig erlittene Strafen, eingebracht worden:

. Wenn der Verurtheilte, gegen welchen die erkannte oder umgewandelte Strafe ganz oder theilweise vollstreckt ist, im Wieder aufnahmeverfahren freigesprochen wird, so ist der durch die Straf— vollstreckung entstandene Vermögensschaden nach Maßgabe der nach- stehenden Vorschriften zu ersetzen.

52. Berechtigt zum Schadensersatz sind der Freigesprochene, sowie nach seinem Tode dessen Ehegatte und dessen Verwandte in auf⸗ und absteigender Linie und seine Geschwister, sofern diese Personen nach Vorschrift des bürgerlichen Rechts von ihm zu unterstützen ge⸗ wesen wären. s

§. 3. Insoweit der Angeklagte seine Verurtheilung durch Vorsatz oder grobes Verschulden herbeigeführt hatte, ist ein Anspruch auf Entschädigung ausgeschlossen.

S. 4. Zum. Schaden szersatz verpflichtet ist die Staatskasse des Bundesstaats, dessen Gericht das aufgehobene Urtheil gesprochen hatte, und, wenn das Reichsgericht in erster und letzter Instanz er= kannt hatte, die Reichskasse. Die Staats bezw. Reischskaffe hat den Rückgriff an die Schuldigen,

S. b. . Der Klage auf Ersatz des Schadens muß die Entscheidung der betheiligten obersten Justizverwaltungs behörde vorhergehen. Zu dem Zweck hat der Berechtigte binnen einer Frist von sechs Monaten seit dem Tage der Rechtskraft des freisprechenden Urtheils bei der Staatsanwaltschaft des Gerichts, bei welchem das freisprechende Urtheil ergangen ist, die Gewährung des Schadentersatzes in Antrag zu bringen. Der Antrag muß von einem Rechtsanwalt unterzeichnet sein oder zu Protokoll des Gerichtsschreibers erklärt werden; er soll den Betrag der Entschädigungssumme und die den Anspruch begründenden Thatsachen und Beweise angeben. Gegen die Entscheidung des Chefs der Justizverwal—⸗ tung findet binnen einer Frist von sechs Monaten seit Zustellung der Entscheidung der Rechtsweg statt. Für die in diesem Paragraphen vorgeschriebenen Fristen sind die Bestimmungen der Civilprozeß⸗ ordnung über Nothfristen maßgebend.

§. 6. Für die Verhandlung und Entscheidung über den An— spruch ist die Civilkammer des Landgerichts, von welchem oder in dessen Bezirk das aufgehobene Strafurtheil gesprochen war, aus⸗— schließlich zuständig.

§. 7. Vor der endgültigen Festsetzung des Betrages der zu gewährenden Entschädigung kildet der Entschädigungsanspruch keinen Gegenstand des Arrestes, der Beschlagnahme oder Pfändung. Bis zu diesem Zeitpunkt kann der Berechtigte nicht über den Entschädigungs⸗ anspruch verfügen.

§. 83. Die vorstehenden Vorschriften finden entsprechende An⸗— wendung, wenn die Wiederaufnahme zur Anwendung eines milderen Strafgesetzes oder bei einer Gesammtstrafe zu einer theilweisen Frei⸗ sprechung geführt hat und die nunmehr erkannte Strafe geringer ist als die bereits vollstreckte.

Abg. Dr. Freiherr von Schorlemer⸗Alst ver⸗ öffentlicht in der Bochumer „Westf. Volksztg.“ folgendes Schreiben an seine Wähler:

„An meine Wähler im Wahlkreise Bochum!

Nachdem es zu meinem größten Bedauern mir unmöglich war, den Sitzungen des Reichstages im Frühiahr dieses Jahres bei⸗ zuwohnen, hatte ich gehofft, bei der nunmehrigen Wiedereröffnung des⸗ selben das Versäumte nachholen, meine Pflicht voll und ganz erfüllen zu können. Leider sollte sich diese Hoffnung nicht verwirklichen! Seit vierzehn Tagen hat mich ein schweces Herzleiden befallen, welches mich an jeder freien Bewegung hindert, dessen Heilung bisher nicht gelungen ist, auch nicht in baldiger Aussicht steht. Unter diesen Umständen ist es mir unmöglich, meinen Platz im Reichstage, wie ich so gern wollte, einzunehmen. Wenn schon die Behinderung im Frühjahr schwer auf mir lastete, muß ich mir jetzt umsomehr sagen, daß es absolut unzulässig ist, einen so großen und wichtigen Wahlkreis wie Bochum, dessen Lebensinteressen in Verhandlung stehen, noch langer unvertreten zu lassen. Ich mußte aus dieser Erwägung die Folgerung ziehen, das Mandat, welches Ihr Vertrauen mir übertragen hat, niederzulegen, damit baldigst eine Neuwahl statt⸗ finden und der Wahlkreig damit zur ungestörten Vertretung gelangen kann. Diesen Entschluß legte mir Pflicht und Gewissen auf. Ich habe in dieser Erkenntniß keinen Augenblick gezögert, denselben zur Aus führung zu bringen, und daher heute dem Herrn Präsidenten des Deutschen Reichstages die Niederlegung meines Mandats angezeigt. Indem ich Ihnen, meinen Wählern, für das mir erwiesene ehrenvolle Vertrauen von Herzen danke, darf ich die Versicherung hinzufügen, wie es mich tief schmerzt, daß ich demselben nicht so entsprechen konnte, wie ich es nach meinem warmen Interesse für den Wahlkreis, ins⸗ besondere auch für das Wohl der Arbeiter und für einen guten Frieden zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, so gern gethan hätte!

Alst, den 90. November 1890.

Dr. Freiherr von Schorlemer ⸗A lst.“

Nr. 47 der Veröffentlichungen des Kaiserlichen Ge— sundheitsamts vom 26. November hat folgenden Inhalt: Gesundbeitsstand. Volkskrankbeiten in der Berichtswoche. Cholera ⸗Nachrichten. Krankenbewegung in deutschen Hospitälern des Auslandes. Sterbefälle in deutschen Städten mit 400090 und mehr Einwohnern. . in größeren Städten des Auslandes. Erkrankungen in Berliner Krankenhäusern. Desgl. in deutschen Stadt⸗ und Landbezirken. Infektionekrankheiten in Oesterreich 1889. Erkrankungen und Sterbefälle im italienischen Heere 1888. 9. Jahresbericht des Gesundheitsamts des Staates New Jork. Witterung. Zeitweilige Maßregeln gegen Volks⸗ krankheiten. Thierseuchen. Rötz im Deutschen Reiche 1889. Schweinepest in Christiania. Maul und Klauenseuche und Rotz in den Niederlanden. Thierseuchen in Großbritannien, 29. Juni bis 27. September. Veterinärpolizeiliche Maßregeln. Medizinal⸗ Gesetzgebung u. s. w. (Preußen. Prov. Brandenburg.) Schweinefleisch⸗ Unterfuchung Benutzung der Hunde als Zugthiere. (Prov. Schle⸗ sien.) Viehschlachten. (Reg. Bez. Breslau.) Leichenbeförderung. Braunschweig.) Arjneibuch für das Deutsche Reich. Italien) Alkoholstärke der italienischen Weine. (Großbritannien.) Tollwuth. (Staat New⸗JYJork) Rauchen 3 Leute. Rechtsprechung. Ge⸗ würzfälschungen. (Schluß) ermischtes. ( Britisch Indien.) Bakteriologisches Institut in Puna.

Rekursentscheidungen des Reichs⸗Versicherungsamẽes.

(901.) In den Rekurgentscheidungen vom 16. Juni, vom 21. Juni und vom 7. Juli 1890 hat das Reiche⸗Versicherungsamt über die Bedeutung einer bei verschiedenen Berufggenossenschaften wiederkehrenden Statutvorschrift, wonach die Zuständigkeit für die Rentenfeststellung zwischen dem Genossenschaftsvorstande und den Sektionsvorständen derart getheilt ist, daß die Letzteren dann einzutreten haben, wenn es sich um die für die Dauer einer voraussichtlich vorübergehenden Grwerbtunfähigkeit zu gewährenden Rente handelt, und der Genossen⸗ , ,. in den übrigen Fällen der Rentenfeststellung zuständig st. Folgendes ausgeführt: Einem durch Unfall verletzten Arbeiter steht als Schuldnerin die verpflichtete Berufsgenossenschaft als solche, nicht aber was auch ihr Statut über die Zuständigkeit ihrer Organe zur Rentenfestsetzung bestimmen möge ein einzelnes berufs= genossenschaftliches Organ gegenüber. Ist statutarisch die gedachte Zuständigkeit, wie hier, in Uebereinstimmung mit dem Regelfall des 57 Absaß 1 des Unfallversicherungsgesetzes zwischen mehreren Or—⸗ ganen getheilt, so erreicht doch nicht etwa die Zuständigkeit des niederen Organes (Sektionsvorstandeß) mit dem Uebergange der für vorübergehend gehaltenen Erwerbsunfähigkeit eines Verletzten in eine dauernde etwa nach sechs Monaten Gu vergleichen Bescheid 334, Amtliche Nachrichten des R. V. A.“ 1887 Seite 1357) ihre Endschaft derart, daß von diesem Zeitpunkte ab die Zu⸗ ständigkeit des höheren Organes (Genossenschaftsvorstandes) einträte. Für die Regelung der Zuständigkeit ist vielmebr lediglich ent—⸗ scheidend, ob in dem Zeitpunkt, in welchem die Feststellung der Rente erstmalig in Frage steht, die Erwerbsunfähigkeit sich als eine „vor aussichtlich' vorübergehende darstellt oder nicht, Konnte der Sekflons⸗ vorstand bei pflichtmäßigem Ermessen ein Vorübergehen der Er⸗ werbsunfähigkeit annehmen waö z. B. im Falle des Verlustes eines für die Erwerbtfähigkeit wichtigen Gliedes ausgeschlossen fein würde —, so erlischt seine Zuständigkeit nicht, wenn sich seine ‚Vor⸗ autsicht? hinterher als irrig erweist. In einem solchen Falle ist die Berufsgenossenschaft durch, die Festsetzung des zuständigen Sektionsvorstandes gleichermaßen gebunden, wie in, dem umgekehrten Falle wenn veiständiger Weife vorüber⸗ gehende Erwerbsunfähigkeit nicht angenommen werden konnte, sich aber später dennoch herausstellt durch die Festsetzung des zu—⸗ ständigen Genossenschaftsvorstandes. In beiden Fällen hat die Ge⸗ währung der Rente ohne Endtermin zu erfolgen. (3u vergleichen Entscheidung 409, „Amtliche Nachrichten des R. V. A.“ 1887 Seite 351, sowie das Rundschreiben, betreffend die Feststellung der Entschädigungen, vom 11. Januar 1888 R. V.. A. J. 1461 Seite 8 §. 18, auszüglich abgedruckt in den „Amtlichen Nachrichten des R. V. A.“ 1888 S. 48 ff.) Der Verletzte erlangt durch die Festsetzung der Berufßgenossenschaft gegenüber ein selbständiges Recht, und nur der Eintritt der Voraussetzungen des 5. 665 des Unfall versicherungsgesetzes oder eines anderen ähnlichen besonderen gesetzlichen Berechtigungsgrundes (z. B. des 5§. 7 a. a. O.) kann dem höheren Organ die Befugniß geben, von der getroffenen Entscheidung wieder abzugehen (zu vergleichen auch das Rundschreiben vom 11. September 1886, „Amtliche Nachrichten des R. -V. A.“ 1886, Seite 159 zu Nr. 2 und Bescheid 643, „Amtliche Nachrichten des R. V.⸗A.“‘ 1888, Seite 350). Hiernach hat der Umstand, daß eine vom niederen Feststellungsorgan nach pflichtmäßiger Prüfung mit Grund für vorübergehend gehaltene Erwerbsunfähigkeit demnächst sich als eine dauernde erweist, beziehungsweise der Ablauf der nach den Statuten mancher Brufsgenossenschaften für diese Annahme maß⸗ gebenden Frist von sechs Monaten an sich nur die Bedeutung, daß alsdann die weitere geschäftliche Behandlung der Sache Führung der Entschädigungsakten, Kontrole der Rentenempfänger, Entscheidung über die Frage der Fortgewährung der Rente gemäß §S§. 7 und 65 des Unfallversicherungsgesetzes und dergleichen von dem niederen Organ auf das höhere übergeht. Nur durch diese Auslegung der Bestimmung des §. 57 Absatz 1 des Unfallversicherungs⸗ gesetzes wird der in der Praxis unleidliche, den Arbeitern unverständliche Zustand vermieden, daß, je nachdem die Statuten der einzelnen Berufsgenossenschaften die Rentenfestsetzung in allen Fällen den Sektionsvorständen zuweisen oder die Zuständigkeit hierfür nach den voraussichtlichen Folgen der Unfälle zwischen den Genossen⸗ schafts und Sektionsvorständen vertheilen, verschiedenes Recht für die bei den einzelnen Berufsgenossenschaften versicherten Arbeiter in dieser für sie höchst wichtigen Frage besteht. So wenig der einheitlich für die Rentenfestsetzung zuständige Genossenschaftsvorstand oder Sektionsvorstand von seinem einmal grundsätzlich, ins⸗ besondere in den Fragen des Betriebsunfalls, des ursächlichen Zu— sammenhanges oder der Entschädigungspflicht der Genossenschaft eingenommenen Standpunkte in einem zunächst nur voraussichtlich vorübergehende Folgen aufweisenden Entschädigungsfalle lediglich aus dem Grunde abgeben kann, weil sich demnächst die Erwerbs⸗ beschränkung als eine solche von Dauer erweist, so wenig kann bei Theilung der Zuständigkeit der die Behandlung der Sache von dem Sektionsvorstande übernehmende Genossenschaftsvorstand hierzu für be fugt erachtet werden. Anderenfalls würde man für die Berufsgenossen⸗ schaften mit Zuständigkeitstheilung in dem Genossenschaftgvorstande eine neue, frei entscheidende Instanz einführen und damit die in Betrieben dieser Berufsgenossenschaften beschäftigten Arbeiter formell benachtheiligen gegenüber denjenigen, welche bei den übrigen Berufsgenossenschaften versichert sind. Eine abweichende Beurtheilung ist nur dann gerecht⸗ fertigt, wenn die von dem Sektionsvorstande bei Erlaß seines Be⸗ scheides gehegte Voraussicht hinsichtlich der Dauer der Erwerbs⸗ unfähigkeit widersinnig oder sonst von vornherein unzutreffend war, der Sektionsvorstand mithin die ihm in diesem Falle nicht zustehende Zuständigkeit sich lediglich angemaßt hat.

Statistik und Volkswirthschaft.

Zur Arbeiterbewegung.

Der „Rhein. Westf. Ztg.“ schreibt man aus Saarbrücken unter dem 1. Dezember: In Saarkohlengebiet finden jetzt fast täg⸗ lich Versammlungen statt, in denen die Bergleute zum Eintritt in den Allgemeinen Bergarbeiter ⸗Verband' aufgemuntert werden. Die Bergleute kommen auch dieser Aufforderung zu vielen Hunderten nach. Als Eintrittsgeld werden 35 3 erhoben, der monatliche Beitrag ist auf 5 4 festgestellt. In einer dieser Versammlungen erklärte Bergmann Thoms, der Vorsitzende des Rechtsschutzvereins der Bergleute, ein Zweck des Verbandes, welcher sich durch ganz Deutschland erstrecke, sei der, strikende Kameraden da⸗ durch zu ,, daß die Sendung von Kohlen nach den striken⸗ den Gebieten verhindert werde. Einen allgemeinen Strike der Berg⸗ leute strebe der Verband jedoch nicht an.

Aus Erfurt theilt man der „Goth. Ztg.“ mit, daß die noch im Aus stande befindlichen Arbeiter (ꝰgl. Nr. 284 d. Bl) am 29. v. M. bei Empfang der Strikeunterstützung den Empfang der bisher bezogenen Gelder durch Unterzeichnung eines Wechsels an erkennen und zudem die Erklärung vollziehen mußten, daß sie, ohne den Strikeausschuß gehört zu haben, die Arbeit nicht wieder aufnehmen wollen, andernfalls sie gewärtig sein müssen, daß ihnen der ausgefertigte Wechsel zur Zahlung vorgelegt werde.

In Leipzig beschloß, wie die „‚Lpz. Ztg. meldet, eine Ver⸗ sammlung der Korbmachergehülfen, eine Lohn- und Tarif kommission zu wählen, deren Aufgabe es sein soll, ein weiteres Zurückgehen der Löhne zu verhindern und die Verkürzung der Arbeitszeit anzustreben, auch auf thunlichste Einschränkung der Einfuhr von aus⸗ wärtigen billigen Korbwaaren hinzuwirken. Der Kommission wurde aus⸗ err fi zur Pflicht gemacht, bei ihren Verhandlungen mit den Arbeitgebern die Forderungen nicht zu hoch zu stellen und auf eine gütliche Aus— einandersetzung bedacht zu sein. Eine Versammlung von etwa 1096 Wachstuch⸗ und Jutearbeitern, Formstechern, Segeltuch= machern, Kattundruckern hörte am 30. v. M. den Bericht des Leipziger Ver⸗

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treters auf dem Kongreß in Einbeck am 2. und 3. Nov. an. Der Kongreß bestand aus elf Delegirten. Nach dem auf dem Kongreß mit⸗ getbeilten Ergebniß der statistischen Erhebungen beliefe sich der Burch⸗ schnittswochenlohn je nach der Branche des Arbeiterds auf 15 21 0 und stiege im Akkordlohn auf 27 337 S an, während er im Mi⸗ nimum bei den Maschinendruckern auf 12 60 herabsänke. Der Kongreß hat beschlossen, eine centralirte Organisation zu schaffen, in jeder Filiale dieser Organisation einen Arbeits nachweis zu errichten, dem Lehrlingsunwesen zu steuern, die Akkordarbeit zu beseitigen, die Arbeitszeit zu verkürzen, für Ueber⸗ stunden⸗ und Sonntagbarbeit einen Lohnzuschlag von 25 C0 bez. 50 0so zu fordern. Der 4 der Organisation wird Einbeck sein. Die Versammlung beschloß, mit Rücksicht auf das sächsische Vereins⸗ gesetz sich in Leipzig zunächst mit einer örtlichen Organisation zu be⸗ gnügen.

Wie demselben Blatt aus Gera berichtet wird, hatte der Geraer Stadtrath vor einiger Zeit von der Vereinigung der Stuhl— arbeiter die Einreichung einer Mitgliederliste verlangt, da der Verein als ein politischer anzusehen sei. Dies unter ließ der Vorstand, wandte fich aber mit einer Beschwerde an das Fürstlich reußische Ministerium. Die Beschwerde wurde abschläglich beschieden, da in den Versammlungen des Vereins Vorträge über die Macht des Kapitals, die soziale Frage u. s. w. gehalten würden und der Verein mit politischen Vereinen in Verbindung stehe. Auf Grund des reußischen Vereins⸗ gesetzes vom Jahre 1852 sei der Verein als ein politischer zu be⸗ trachten. Am vergangenen Sonnabend nun sprach der Verein in einer stark besuchten außerordentlichen Versammlung seine Auflösung aus. Von dem gegen 280 M betragenden Kassenbestande wurden 100 MS Ausständischen in anderen Städten überwiesen.

Kunst und Wissenschaft.

Das Koch'sche Heilverfahren.

Wie der Kultus⸗-⸗Minister von Goßler am Sonnabend im Abgeordnetenhause bei Beantwortung der Interpellation Graf mittheilte, ist der mit der Erbauung des Koch'schen Instituts für Infektionskrankheiten betraute Land ⸗Bauinspektor Böttger im Auftrage der Regierung nach Paris gereist, um das Institut von Pasteur zu besichtigen und dort Anleitung für die Einrichtung des hiesbber Instituts zu gewinnen. Ein Privattelegramm aus Paris meldet der „Nat.⸗Ztg.“ nun: „Bauinspektor Böttger hat vorgestern in Begleitung des der deutschen Botschaft in Paris beigegebenen technischen Attachés Mathis das Pasteur'sche Institut besichtigt. Seitens Pasteur's fand Hr. Böttger dabei eine überaus zuvorkommende Auf⸗ nahme und hat dessen Musteranstalt bis in die kleinsten De⸗ tails studiren können.“

In der morgen erscheinenden Nummer der „Deutschen Medizinischen Wochenschrift“ (Verlag von Georg Thieme, Berlin⸗Leipzig kommt ein Artikel aus dem hygienischen In⸗ stitut des Geheimen Medizinal⸗ Raths Koch über das Zustandekommen der a,. ⸗Unempfänglichkeit und der Tetanus Unempfänglichkeit von Stabsarzt Dr. Behring und Dr. Kitasato zur Publikation; ferner: Weitere Mittheilungen über das Koch'sche Heilverfahren gegen Tuberkulose von Professor Dr. O. Rosenbach⸗Breslau, Dr. von Noorden⸗Berlin (aus der Klinik des Geheimen Medizinal⸗Raths Gerhardt), Privat⸗Dozent Dr. Kromeyer⸗Halle und Professor Dr. Oppenheimer⸗Heidelberg.

Der Fackelzug, welchen die Berliner Studenten⸗ schaft zu Ehren Robert Koch's veranstaltet, wird am 21. De⸗ zember stattfinden.

Der Direktor des Landes⸗Krankenhauses, Geheimer Sanitäts⸗ Rath Medizinal⸗Rath Petri in Detmold hat sich im Auf— trage der Fürstlichen Staatsregierung zum Studium des Koch'schen Heilverfahrens nach Berlin begeben.

In der chirurgischen Klinik in Rost ock unternahmen gestern in Gegenwart der Aerzte und der Hörer der Uni⸗ versität die Professoren Madelung und Thierfelder an 14 Tuberkelkranken Versuche mit dem Koch'schen Heilmittel. Das städtische Krankenhaus reservirt für solche Kranke 30, eine von den genannten Aerzten beaufsichtigte Privatklinik 15 Betten.

In der gestrigen Sitzung des englischen Unter— hauses theilte der Unter-Staatssekretär des Auswärtigen . mit, der Botschafter in Berlin habe auf Anweisung der englischen Regierung bei der preußischen Regierung um Ueberlassung Koch'scher Lymphe nachgesucht. Der Botschafter sei benachrichtigt worden, daß in Berlin genügend Vorrath vorhanden sei und dieser nicht unter der Kontrole der preu⸗ ßischen Regierung stehe.

In der Klinik des Professors Cornil in Paris, wo die Impfversuche mit Koch'scher Lymphe sonst die günstigsten Erfolge aufweisen, wurde, dem „Temps“ zufolge, bei einem Kranken, welcher 5 ig Lymphe erhielt, Albuminurie konstatirt, und Haematin mit Fragmenten von rothen Blutkörperchen vorgefunden.

Aus Rom sind nach Berlin entsandt worden: Dr. Quirico, Hausarzt der Königlichen Familie, und Dr. Celli, Vorsteher des Gesundheitsamts.

Im Königlichen Kunstgewerbe⸗Museum ist von heute ab die Ausstellung der Neu-⸗Erwerbungen für die Samm⸗ lung geöffnet. Das Hauptstück derselben, ein getäfeltes Zimmer in Weiß und Gold mit gemalten Wandfüllungen, eine höchst zierliche französische Arbeit der Zeit um 1720, ist in einen an die untere Galerie austoßenden Raum eingebaut. Die übrigen Erwerbungen haben im Lichthof ihren Platz gefunden. Hervorzuheben sind unter ibnen mittel alterliche Bronzen, zahlreiche Fayencen und Porzellane, spanische Eisen⸗ arbeiten, eine Reihe vonZinnschüsseln ein Schrank voller Gold und Silber⸗ arbeiten, darunter französische Stücke des 18. Jahrhunderts, ein Schrank mit Bucheinbänden, vier Schränke erlesener Stoffe und Stickereien, eine Wand farbiger Kacheln, die dem Museum als Geschenk Sr. Königlichen Hoheit des Prinzen Friedrich Leopold überwiesen wur⸗ den. und eine Reihe von Möbeln, unter denen ein mittelalterliches Buffet, Schränke des 16. und 18. Jahrhunderts und zablreiche Stühle verschiedener Form zu erwähnen sind. Zu gleicher Zeit sind ein als Geschenk für Se. Hoheit den Erbprinzen von Anhalt ange fertigter Bechstein' scher Flügel, der nach dem Entwurf des Pro= fessors Schütz ausgeführt und von Professor Koch bemalt wurde, fowie zwei Seidenmalereien von G. Schöbel, einem ebemaligen Schüler der Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbe⸗Museums, ausgestellt, ein Fächer, der mit einem von Putten ausgeführten Concert ge⸗ schmückt ist, und eine Violindecke, die für eine Concertreise nach Amerika bestimmt eine von launigen Beziehungen erfüllte alle⸗ gorische Schilderung der Reise über den Ocean und des Empfangs in Amerika zeigt. Der Flügel sowie die beiden Seidenmalereien werden nur bis zum 10. Dezember ausgestellt bleiben, während die übrige Ausstellung auf die Dauer einiger Wochen berechnet ist.

Der Verein für deutsches Kunstgewerbe beschloß in seiner Sitzung am vergangenen Mittwoch, zur Debung der Vereins- thätigkest während des Winters regelmäßig wiederkebrende Wett⸗ bewerbungen unter den Vereinsmitgliedern, deren Mitarbeitern und in Berlin lebenden Fachgenossen auszuschreiben, und die besten der

eingegangenen Arbeiten durch Vereins Andenken oder diesen entsprechende Geldpreise auszuzeichnen. Der Vorstand wurde mit der Ausarbeitung der weiteren Bestimmungen beauftragt.

In Sakrow bei Potsdam ist der Voss. Ztg. zufolge am 1. Dezember im 75. Lebensjahre der Schriftsteller Werner Hahn gestorben. Er ist durch seine Bücher aus der deutschen Götterlehre und namentlich durch seine Geschichte der poetischen Literatur der Deutschen' bekannt geworden.

Seitenz des Landtages des Großeherzogthums Sachsen⸗Weimar⸗ Eisenach waren auf Antrag der Regierung Mittel verwilligt worden zur Wiederherstellung des Langbaus der ehemaligen Klosterkirche zu Thalbürgel, welche aus dem 12. Jahrhundert stammt und im Baguernkriege zerstört ward. Der Bau ist jetzt der Th. Cor. zufolge vollendet. Am 30. v. M. ist die Kirche in feierlicher Weise ein⸗ geweiht worden. . ;

969) Auf dem Hofe Opedal in der Nähe von Bergen ist kürzlich bei einem schon früher zerstörten Hünengrabe ein Ru nen⸗ stein mit schön erhaltener Inschrift gefunden worden. Professor Sofus Bugge erklärte den Stein für einen außerordentlich inter⸗ essanten Fund; die Runen gehören der älteren Runenreihe an und die Sprache ist urnordisch, wie auf den ältesten Runensteinen.

CJ Aug dem Verlage von Franz Lipperheide (Berlin M., Pots - damerstr. 37) gingen uns zu: ‚Musterblätter für künstlerische Handarbeiten“, herausgegeben von Frieda Lipperheide, JI. Sammlung, 13—24. Blatt. (Pr. 3 M, einzelne Blätter 40 4.) Diese Mappe (in Grohoktap Format) enthält eine Reihe älterer Stickereien der verschiedensten Techniken, orientalischer, serbischer, bulgarischer, spanischer Herkunft, einzelne auch moderner Entstehung mit Benutzung älterer Muster, sämmtlich in kolorirten Photolithographien ganz überraschend wirklichkeit getreu wiedergegeben. Auch der in neuester Zeit in Damenkreisen beliebt gewordene Kerbschnitt mit Be⸗ malung ist in einer charakteristischen Vorlage vertreten. Sämmtliche Stick⸗ muster sind mit Geschmack gewählt und den verschiedensten Neigungen in Bezug auf Art des Stichs (Kreuzstich. Plattstich, Leinenstickerei, Aus näh · Arbeit, , des stofflichen Grundes und Stick⸗ materials, Farbenzusammenstellung 2. angepaßt. Die Ausführung der Tafeln ist von einer technischen Vollendung, die sich kaum über bieten lassen dürfte, und da nebenher ein instruktives, ebenfalls reich illustrirtes Textheft alle wünschenswerthen Aufschlüsse zur praktischen Ausführung der schönen Muster und über ihre Verwendung zum häus lichen Schmuck giebt, so dürfte diese Sammlung wie ihre Vor⸗ gängerin des Beifalls und der guten Aufnahme in der kunstfreund⸗ lichen Damenwelt sicher sein, zumal die mancherlei neuen, effektvollen Techniken, welche darin wörtlich und bildlich erläutert werden, dem Ganzen einen besonderen Anreiz geben. Den Abonnentinnen der „Illustrirten Frauen⸗-Zeitung“ sind die schönen Blätter allerdings , bekannt, denn sie erschienen dazu als monatliche Gratis⸗ zugabe.

Land⸗ und Jorstwirthschaft.

Prämtirung bäuerlicher Wirthschaften.

Aus Posen wird der Schweidnitzer „Täglichen Rundschau für Stadt und Land“ geschrieben:

Zum ersten Male wird im nächsten Jahre in der Provinz Posen eine Prämiirung ganzer bäuerlicher Wirthschaften statt⸗ finden. Der Vorstand des landwirthschaftlichen Provinzial vereins für Posen beabsichtigt, durch die in Aussicht stehende Auszeich⸗ nung und den materiellen Werth der Prämie sowie durch die Seitens der Prämiirungs⸗Kommission zu ertheilenden Rathschläge kleinere Landwirthe zu einer rationellen Wirthschaftsführung an⸗ zuregen sowie andererseits durch die Thätigkeit der Prämiirungs⸗ Kommissionen Wirthschaften zu ermitteln, welche für die betreffenden Verhältnisse mustergültig sind; durch genaue Beschreibung dieser Wirthschaften in allen ihren Einzelheiten ein historisch⸗stat stisches Material zur Beurtheilung späterer Aenderungen in der Wirth⸗ schaftsweise und in den volkswirthschaftlichen Verhältnissen zu geben, sowie durch diese Beschreibungen von Musterwirthschaften anregend und fördernd auf andere kleinere Wirthe zu wirken. Im nächsten Jahre werden sechs Konkurrenzen ausgeschrieben werden, und zwar für die Kreise Inowrazlaw⸗Strelno⸗Mogilno, Gnesen⸗Witkowo, Schrimm⸗ Schroda, Kosten⸗Schmiegel, Bromberg ⸗Schubin⸗Znin, Birnbaum⸗ Samter. Für jede Konkurrenz sind drei Prämien im Betrage von 300, 200 und 100 ½ν ausgesetzt. Zugelassen zur Prämiirung werden die Eigenthümer und Pächter bäuerlicher Wirthschaften, deren Grund⸗ besitz nicht höher als mit 600 M eingeschätzt ist, die auf ihrem Grund⸗ stücke wohnen und dasselbe selbst bewirthschaften.

In der Sitzung der französischen Akademie der Wissenschaften vom 25. November wurde, wie wir dem „Journal Offfciel“ entnehmen, ein Bericht des Herrn Aimé Girard über die Her⸗ stellung von Spiritus aus Kartoffeln in Frankreich zur Sprache gebracht. Dieser in Frankreich bis jetzt nicht eingeführte ländliche Industriezweig dürfte danach große Vortheile bieten. Rach den von Herrn Girard angestellten Versuchen eignen sich die in Frankreich gewonnenen Kartoffeln ganz vorzüglich zur Herstellung von Spirituß. Auf einem einem Herrn Michon in Crepy⸗ en ⸗Valois gehörigen Gute wurden in der Zeit vom 29. März bis zum 1. Juni d. J. 78 000 kg Kartosseln zu Spiritus verarbeitet, welche ver 100 kg 11,17 bis 11,20 1 100projentigen Al- kohol lieferten, obgleich der Stärkegebalt der Kartoffeln nur 16 060 betrug. In Folge dieses günstigen Resultats sind in neuester Zeit Versuche mit Kartoffeln von 20 d Stärkegehalt angestellt worden, welche per 100 g 14,33 1 Alkohol zu 190 ½ lieferten. Die Frage der Errichtung ländlicher Brennereien in Frankreich dürfte demnach als gelöst zu betrachten sein.

Gesundheitswesen, Thierkrankheiten und Absperrungs⸗ Maßregeln.

Der Gesundheitsstand in Berlin blieb auch in dieser Woche vom 16. bis 22. November ein günstiger und die Sterblich⸗ keit eine niedrige, wenn auch die Sterblichkeitsziffer (von je 1000 Ein- wobnern starben, aufs Jahr berechnet, 18.7) ein wenig höher als in der vorhergegangenen Woche war. Unter den Todesursachen kamen akute Entzündungen der Atbhmungsorgane etwas weniger zur ärztlichen, Kenntniß, doch war der Verlauf ein weniger milder als in der Vor⸗ woche. Auch akute Darmkrankheiten führten häufiger zum Tode. Die Theilnahme des Säuglingsalters an der Sterblichkeit war gleichfalls ein wenig größer als in der bergegangenen Woche; von je 10 000 Lebenden starben, aufg br berechnet, 60 Säuglinge. Unter den Infektionskrankheiten blieb das Vor- kommen von Unterleibstvyhus, Masern und ich ein be- schränktes, auch zeigten sich dieselben in keinem Stadttbeil in be—⸗ sonders nennenswerfher Zabl. Erkrankungen an Diphtherie wurden in verminderter Zahl zur Anzeige gebracht.! und zwar am bäufigsten aus der jenseitigen Luisenftadt, der Tempelbofer und Rofenthaler Vorstadt. Die Zabl der zur Kenntniß gebrachten Erkrankungen an Kindbettfieber blieb eine mäßig hohe. Dagegen baben rosenartige Entzündungen des Zellgewebes der Haut erbeblich mehr Erkrankungen veranlaßt; auch Erkrankungen an Keuchbusten waren zablreich, die Zahl der Todesfälle blieb aber die gleiche wie in der Vorwoche. Erheblich seltener kamen aber rheumatische Beschwerden aller Art, namentlich rheumatische Beschwerden der Mugkeln in ärztliche Be handlung.

Sandel und Gewerbe.

Wie bereitöz in den Zeitungen gemeldet wurde, ist der Baronin Albert von Rothschild aus Paris in der Nacht vom 19. zum 20. Qltober d. J. auf der Rückfahrt nach Frankreich vor der belgisch⸗französischen Grenze ein Reisesack mit Schmuck⸗ sachen im Werthe von etwa 60 00 Fr. entwendet worden.