1891 / 45 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 20 Feb 1891 18:00:01 GMT) scan diff

odann nach, daß die Einwendung, die Vorlage hegründe eine 3 . Angelegenheit, nicht stichhaltig sei. Die Vorlage entspreche vollkommen dem Ausgleiche vom Jahre 18657. Die Fortfetzung der Berathung wurde schließlich auf heute vertagt.

Großbritannien und Irland. .

Die Königin Victoria hat sich, nachdem sie die ge⸗ plante Reise nach Florenz aufgegeben, wie schon gemeldet, enischlossen, den Frühling in dem zehn englische Meilen von Cannes gelegenen Städtchen Grasse an der Riviera zuzubringen. Ihre Majestt wird dort. im Grand Hotel de Graff? wohnen, das für ihre ausschließ⸗ uche Benutzung gemiethet worden ist. Dicht neben dem Hotel steht die der Baronin Alice von Rothschild gehörige Villa Vickoria, in der voriges Jahr die Prinzessin Luise und der Marquis bon Lorne wohnten. Die Königin gedenkt der „A. C.“ zufolge am 26. März in Grasse einzutreffen; der Prinz und die Prinzessin Hänrich von Battenberg werden die

onarchin begleiten. . .

6. 6. neufundländische Fischereifrage hat am ver⸗ flossenen Dienstag das Oberhaus beschäftigt Es bot sich hierbei ber Regierung Gelegenheit, die zahlreichen umhergehenden Ge⸗ rüchte, welche namentlich von Paris aus in die Welt geyetzt wurden, richtig zu stellen. Lord Dunraven interpellirte die Regierung über den Stand der Unterhandlungen mit Frankreich, Und der Minister für die Kolonien Lord Knutgföord gab die gewünschten Erklärungen ab. Er be⸗ merkte, es bedürfe kaum eines Dementis des Ge⸗ rüchlts, daß die Regierung vorgeschlagen habe, irgend einen Theil Neufundlands Frankreich abzutreten. Der amt⸗ liche Schriftwechsel über die allgemeine Frage würde dem Parlament in Bälde vorgelegt werden. Gegen den Abschluß einer Sonderkonvention zwischen Neufundland und den Ver⸗ einigten Staaten habe die canadische Regierung Protest erhoben, und die Reichsregierung sei zu dem Entschlusse ge⸗ langt, daßz diese Konvention vorläufig nicht ratifizirt werden könne. . .

Im Unterhause gaben die neuesten Vorgänge in Canada dem konservativen und schutzzöllnerischen Abg. Horace Vincent Veranlassung, die Aufmerksamkeit des Hauses auf die großen britischen Kolonien hinzulenken. Vincent stellte einen Antrag, dahin lautend, daß die sich selbst ver⸗ waltenden Kolonien sobald als möglich, eingeladen werden sollten, mit der Reichsregierung über die besten Mittel zur Entwickelung des Reichshandels zu berathschlagen. Ein ähn⸗ sicher Antrag bildete ganz kürzlich Gegenstand einer Erörterung im Oberhause. Ganz im Sinne der damals vom Marquis von Salisbury ertheilten Antwort erklärte der Schatzkanzler Goschen: die Regierung sympathisire lebhaft mit dem Wunsche, nach einer engeren? Verbindung mit den Kolonien, aber dieselbe müßte gänzlich frei von schutzzöllnerischen Tendenzen sein. Die Kolonien dürften durchaus nicht zu der Annahme verleitet werden, daß das britische Volk sich die Besteuerung von Roh— stoffen oder eine wesentliche Vertheuerung der Lebensmittel gefallen lassen würde. Vincent wollte hierauf seinen Antrag zurückziehen, aber da die Opposition ihre Zustimmung dazu verweigerte, ging auf den Antrag Smith's das Haus über den Autrag zur Tagesordnung über. k

Aus Elonmel wird gemeldet, daß O' Brien im dorti— gen Gefängniß eine gewöhnliche Zelle bewohnt und bei guter Gesundheit ist, während Dillon wegen Unwohlseins nach per Krankenanstalt des Gefängnisses gebracht werden mußte. Bei— den Gefangenen wurde gestattet, ihre eigenen Kleider zu tra— gen, auch werden sie von den gemeinen Sträflingen abgeson—⸗ dert gehalten.

Frankreich.

Paris, 20. Februar. Ihre Majestät die Kaiserin . begab Sich, wie „W. T. B.“ meldet, gestern Vor⸗ mittag 11 Uhr zu Fuß, begleitet von dem deutschen Bot⸗ schafter Grafen Münster und dem Ober⸗Hofmeister Grafen Seckendorff, nach dem Panorama du XIX. Siscle im Tuilerien Garten und von da nach dem Cercle de LUnion artistigue in der Rue Boissy d'Anglas, woselbst Ihre Majestät die Ausstellung besichtigte. Allerhöchstdieselbe wurde daselbst durch den Sekretär des Cercle empfangen. Ihre Majestät verweilte insbesondere längere Zeit vor einem Gemälde des Schlachtenmalers Detaille, welches einen Husarengn griff. aus dem Jahre 1807 darstellt. Hierauf kehrte Ihre Majestät in die Botschaft zurück, wo das Frühßück eingenommen wurde. Um 1 Uhr begab sich Ihre Königliche Hoheit die Prinzessin Margarethe in einem offenen Wagen, welchen Ihre König—⸗ liche Hoheit selbst lenkte, in Begleitung des Grafen Münster nach dem Jardin d' Acelimatation. In einem offenen Landauer folgte Ihre Majestät die Kaiserin Friedrich mit der Comtesse Münster und der ofdame Gräfin Perponcher; in einem dritten Wagen folgten Graf Seckendorff und Legations Rath von Schoen. Während Ihre Königliche Hoheit eingehend den Jardin d Acclimatation besichtigte, machte Ihre Majestät einen längeren Spaziergang im Bois de Boulogne. Vor dem Diner machte Ihre Majestät noch einen Spaziergang auf den Boulevards. An dem Diner in der deutschen Bötschaft nahm das gesammte Botschaftspersonal Theil. Der Minister des Auswärtigen Ribot, der Chef des Militärstaats des Präsidenten Carnot, Heneral Brugäre, und zahlreiche Mitglieder des diplomatischen Corps schrieben sich auf der deutschen Botschaft ein. Heute wird Ihre Majestät den englischen Botschaster und dessen Ge— mahlin, 3 36 . Eytton, sowie die Mitglieder der englischen Botschaft empfangen. . (

; Ihre Majestät gedenkt etwa acht Tage in Paris zu ver— bleiben. n

Die vielfach verbreiteten Meldungen von dem unmittelbar bevorstehenden Rücktritt des General⸗Kouverneurs, von Algier, Tirm an, bestätigen sich nicht. Wie verlautet, hat Tirman vielmehr in einer Unterredung mit dem Minister des Innern, Constans, den Wunsch ausgesprochen, anläßlich der im Senate erfolgten Interpellation über Algier seine Amtsthätigkeit zu vertheidigen, und er soll die Funktionen eines Regierungskommissars ad hoe erhalten haben.

Der heute zur Vertheilung gelangte Bericht der Kommission betreffs des Gefetzentwurfs über die Rennwetten beantragt, die Einrichtung der Bookmaker aufzuheben, die übrigen Wetten aber zu gestatten.

Wie die gestrigen Abendblätter melden, beabsichtigt der General⸗Postdirektor de Selves eine Reor ganisation der Depeschenzu stellung, wobei die bezüglichen deutschen Einrichtungen als Richtschnur dienen sollen.

troffen. Der Großfürst-⸗Thronfolger von Rußland wird am 12. März dort erwartet.

Rußland und Polen. Zur Reform der Städteordnung schreibt die „St. Pet. Ztg.“: ; ; Unter den verschiedenen Aenderungen in der bestehenden Stãdte · ordnung wurde, wie in den russischen Blättern mitgetheilt worden ist, vom Ministerium des Innern unter Anderem für nothwendig erachtet, den Einfluß der Regierung auf die städtischen Angelegenheiten zu ver⸗ stärken, sowie auch die Sache des Volksunterrichts, die von den städti⸗ schen Inftilutionen geleitet wird, ferner die Verfügung über das stãdtische Eigenkhum der Kontrole und der Macht der Regierung unterzuordnen. Um diefe Kontrole über alle Angelegenheiten in einem Organ zu konzentriren, beabsichtigt man, beim Ministe rium des Innern nach dem Muster der Abtheilung für Angelegenheiten der Semstwo eine Abtheilung für städtische Angelegeheiten zu errichten. Diese Abtheilung könnte aus Vertretern des administrativen, des finanziellen und anderen Ressorts bestehen und von sich aus Be⸗ ziehungen zu den höchsten Regierungsiastitutionen in Angelegenheiten, welche Fragen des Volksunterrichts, der Finanzen ꝛc. betreffen, unter balten. Italien.

In einem am 18. d. M. abgehaltenen Minister rat h bezifferte der Finanz⸗Minister der „Köln. Ztg.“ zufolge die Ersparnisse, welche in allen Ressorts durchzuführen find, um das Gleichgewicht des Budgets herzustellen, auf 50 Millionen Lire. . . K An Bord des deutschen Panzerschiffs „Fräedrich Carl“, welches gegenwärtig in der Bucht von Messina vor Anker liegt, fand, wie „W. T. B.“ aus Rom meldet, am Donnerstag eine Festtafel statt, an welcher die Spitzen der Militär- und Civilbehörden von Messing theilnahmen. Bei der Tafel wurden Toaste auf den Kaiser Wilhelm und den König Humbert ausgebracht.

Luxemburg.

Am Mittwoch Vormittag wurde, wie die „aur, gig mittheilt, der spanische Minister-Resident aus dem Haag Hr. de Villaurrutia von dem Großherzog in seiertichr Audienz empfangen. Terselbe überreichte die ihn als außerordentlichen Gesandten beim Großherzoglichen Hofe akkreditirenden Briefe. Am Abend fand dem Gesandten zu Ehren im Palais ein Galadiner von 22 Gedecken statt.

Belgien.

Die Kammersektionen haben sich dem „Hamb. Corr.“ zufolge zu Gunsten der Anträge Coreman's und des von der Regierung eingebrachten Entwurfs, betreffend die Err ichtung eines vlämischen Gexichtshofes erster Instanz sowie eines vlämischen Appellhofes bei dem Brüsseler Gerichtshof, entschieden. Die Majorität sprach sich dahin aus, daß auch bei dem Lütticher Appellhofe, zu dessen Jurisdiftionsbezirk viele Vlämen gehören, eine vlämische Kammer errichtet werde.

Türkei.

Die nach Tripolis entsandte Kommission hat nun⸗ mehr ihre Arbeiten abgeschlossen. Wie nach „W. T. B.“ ver⸗ lautet, sind die von Seiten der Kommission in Konstantinopel eingesandten Berichte befriedigend. Die Kommission hatte bereits ihre Heimreise angezeigt, welche indessen auf tele— graphischen Befehl wieder aufgeschoben wurde. ö

Die Mittheilung, die Pforte beabsichtige demnächst den Posten eines, ottomanischen Kommissars in Sofia definitio zu besetzen, wird an unterrichteter Stelle als nicht zutreffend bezeichnet.

Serbien.

Belgrad, 18. Februar. Zwischen den Mitgliedern der zur Regelung des Besitzstandes an der serbisch-bulgarischen Grenze entsandten Kommission ist nach einem Telegramm der „Köln. Ztg.“ ein grundsätzliches Einvernehmen zu Stande gekommen.

Der Minister Gruitsch wird die Interpellation Garaschanin's (siehe Nr. 43 d. Bl.) als gegenstandslos bezeichnen, da der Regierung das Vorhandensein geheimer Verträge mit dem König Milan unbekannt sei.

Amerika.

Vereinigte Staaten. Das Comité des Reprä⸗ sentantenhauses, welchem die Berathung der Münz⸗ frage obliegt, hat einem Telegramm des „W. T. B.“ aus Washington zufolge beschlossen, die Vernehmung der Sach— verständigen heuteé abzuschließen. Das Comité wollte heute Miltag über den Vorschlag der freien Silberprägung abstimmen. Man hält den Vorschlag für wenig aus— sichts voll. . . .

JIrNew-⸗York hat gestern das Leichenbegängniß des Generals Sherman unter außerordentlicher Belheiligung der gesammten Bevölkerung stattgefunden. Gegen 20 000 Sol— daten waren zu der Trauerfeier aufgeboten. Ein imposanter Leichenzug, in welchem neben dem Präsidenten Harri— son die vormaligen Präsidenten Hayes und Clewe— tand schritten, geleitete den Sarg vom Wohnhause des ver⸗ storbenen Generals nach dem Bahnhof, von wo derselbe nach St. Louis zur Beerdigung überführt wurde. Alle Geschäfte waren Nachmittags geschlossen. In den Straßen, durch welche der Zug sich bewegte, hatten sich Hunderttausende von Menschen angesammelt.

Afrika.

Aus dem Umstande, daß fortan alle von Sansibar nach Deutsch-Ostafrika importirten Waaren 5 Prozent Zoll zahlen müssen, folgert die „Bombay Gazette“, daß dadurch der Handel Sansibars, welcher 2 Millionen Pfd. Sterl. jährlich betragen habe, ruinirt werde: Britisch⸗Ostafrika könne dem Handel der Indier nicht viel nützen, da es nur einen einzigen Hafen (Mombasa) habe und das Hinterland schwer zugänglich sei.

Egypten. Ueber die Expedition gegen die Der— wische wird dem „R. B.“ aus Cairo vom 17. Februar berichtet:

General Sir F. W. Grenfell, Sirdar der egyptischen Truppen, begab sich heute nach Sua kim wo er an Stelle des die Expedition gegen Tokar befehligenden Obersten Holled Smith das Kommando über die dortige Garnison übernehmen wird. Die zur Besetzung von Tokar ausgerüstete Expedition, bestehend aus etwa 165060 Mann egyptischer und sudanesischer Infanterie mit einer Batterie Artillerie und einer Schwadron Kavallerie, setzte sich gestern früh von Trinkitat in Marsch. Kleine Abtheilungen berittener Derwische wurden von der Kavallerie um 10 Uhr erblickt, aber es kam zu keinen Scharmützeln. Acht:Meilen von Trinkitat wurde ein Waffendepot gebildet, woselbst die Bagage und die Kameele zurückgelassen wurden. Die übrige Streitmacht rückte sodann in der

Wie der „Temps“ aus Saigon meldet, ist der Contre⸗ Admiral Bernard mit drei Kriegsschiffen dasel bst einge⸗

Richtung auf El Teb vor, welches (wie schon gemeldet) um 2 Uhr

50 Minuten Nachmittags ohne Widerstand besetzt wurde. Der sich nach Tokar zurückziehende Feind verstopfte die Brunnen, die jetzt wieber ausgegraben werden. Die Truphen rücken nach Zurücklassung einer Befatzung in El Teb am 18. d. M. auf Tokar vor.

Parlamentarische Nachrichten.

In der heutigen (71) Sitzung des Reichstages. welcher der Staatssekretär Br. von Boetticher und der Staats⸗Minister Freiherr von Berlepsch beiwohnten, stand auf der Tagesordnung die Fortsetzung der zweiten Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend die Abänderung der Gewerbedrdnung auf Grund des Berichts der VIII. Kom⸗ mission. . f Die Berathung wurde fortgesetzt mit 8. 107, welcher autet: j . Minderjährige Personen dürfen, soweit reichsgesetzlich nicht ein Anderes zugelaffen ist, als Arbeiter nur beschäftigt werden, wenn sie mit einem Arbeitsbuche versehen sind. Bei der An⸗ nahme solcher Arbeiter hat der Arbeitgeber das Arbeitsbuch ein; zufordern. Er ist verpflichtet, dasselbe zu verwahren, auf amtliches Verlangen vorzulegen und nach rechtmäßiger Lösung des Ärbeitsverhältnisses wieder auszuhändigen. Die Aushändigung er⸗ folgt an den Vater oder Vormund, sofern diese es verlangen, oder ber Arbeiter das sechszehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, anderenfalls an den Arbeiter selbst, Mit Ge⸗ nehmigung der Gemeindebehörde des im S. 108 bezeichneten Ortes kann die Aushändigung des Arbeitsbuches auch an die Mutter oder einen sonstigen Angehörigen oder unmittelbar an den beiter erfolgen. * Auf . welche zum Besuche der Volksschule verpflichtet sind, finden rorstehende Bestimmungen keine Anwendung.

Der Abg. Auer beantragte: .

Im ersten Abfatz erste Zeile statt der Worte Minderjährige Personen‘ zu setzen: „Personen unter 16 Jahren“

Dle Abgg. Dr. Gutfleisch und Genossen beantragten: Zeile J statt: Minderjährige Personen? zu setzen: ö „Personen, welche das 18. Lebensiahr nicht vollendet haben.“.

Die Abgg. Winterer, Br. Schaedler und Genossen

besten,, z ö 8 atz 2 einzufügen: . . hat 9 Arbeitgeber von der erfolgten Kündigung. eines Arbeitsverhältnisses vor dessen Lösung den Vater oder Vor⸗ mund zu benachrichtigen, sofern derselbe am Arbeitsorte wohnt; Abg. Dr. Hirsch befürwortete den Antrag Gutfleisch. Bis 1858 habe man ein Arbeitsbuch nur für Fabrikarbeiter bis zu sechszehn Jahren gehabt. Die Grenze von achtzehn . genüge vollständig und entspräche auch den gesetzlichen Bestimmungen anderer Staaten wie England und der Schweiz. Abg. Win terer begründete seinen Antrag mit dem Hinweis auf den immer mehr um sich greifenden Verfall des Aibeiterfamilienlebens. Ohne eine Anzeige an den Vater über die bevorstehende Lösung des Arbeits verhältnisses seines Sohnes nütze das Arbeitsbuch nichts, Im Gegentheil, es werde nur als Legitimation benutzt, um sich ungehindert der Vagabondage hinzugeben. Schließlich zog Redner seinen An⸗ trag zurück, indem er sich vorbehielt, denselben event. in dritter Lesung in verbesserter Fassung wieder einzubringen. Bei Schluß des Blattes nahm Abg. Freiherr von Stumm das Wort.

In der heutigen (38.) Sitzung des Hauses der , welcher der Finanz⸗Minister Dr. Miguel bei⸗ wohnte, wurde die zweite Berathung des Entwurfs eines Einkommensteuergesetz es fortgesetzt, und zwar bei 5§. 40.

Die 85§. 40 = 42 wurden ohne Debatte angenommen.

§. 43 lautet: ; ö Die Berufungskommission entscheidet über alle gegen das Ver⸗

fahren und die Entscheidungeg der Veranlagungskommissionen an⸗

gebrachten Beschwerden und Berufungen. . .

Behufs Prüfung der Berufungen können die Beru— fungskommission und deren Vorsitzender eine genaue Fest⸗ stellung der Vermögens⸗ und Einkommensverhältnisse der Steuer⸗ pflichtigen veranlassen. Dabei sind sie befugt, von den zu diesem Zweck den Veranlagungskommissionen und deren Vorsitzenden zu⸗ stehenden Hülfsmitteln (8. 35 Absatz 4, 5/ und 6, 5§. 38 Gebrauch

zu machen. 3 . Die Berufung kommission und deren Vorsitzender können ferner

die eidlichs Bekräftigung des Zeugnisses oder Gutachteng der ver— nommenen Zeugen bezw. Sachverständigen vor dem zuständigen Amts⸗ gericht erfordern. . . J

Abg. Schlabitz beantragte, nach dem dritten Absatz die von der Kommission gestrichenen Absätze 4 und 5 der Regie⸗ rungsvorlage, welche lauten: ö

Endlich ist die Berufungekommission in Ermangelung anderer Mittel zur Eraründung der Wahrheit berecktigt, den Steuerpflich sigen oder dessen gesetziichen Vertreter zur Bekräftigung der von ihin felbst gemachten Angaben durch Versicherung an Eidesstatt innerhalb einer zu bestimmenden Frist aufzufordern.

In diesem Falle ist die der Kommission schriftlich einzureichende oder vor ihr mündlich abzugebende eidesstattliche Versicherung wörtlich vorzuschreiben, mit der Verwarnung, daß, falls dieselbe nicht rechtzeitig abgegeben werde, die Berufung als unbegründet werde zurückgewiesen werden. .

wiederherzustellen und als sechsten Absatz einzuschalten:

„Wenn die Berufung von dem Voisitzenden der Veranlggungè⸗ kommiffion eingelegt ist und dabei die thatsächlichen Angaben der Steuerem klärung angezweifelt sind, ist der Steuerpflichtige auf seinen Antrag zur eibesstattlichen Bekräftigung der in Zwelfel gezogenen thatsächlichen Angaben nach Maßgabe der vorstehenden Bestimmun⸗ gen zuzulassen.“

Regierungs⸗Kommissar Geheimer Finanz-Rath Wallach empfahl die Wiederherstellung der Regierungsvorlage, weil kein Grund vorliege, daß von dem Eide übermäßiger Gebrauch gemacht werden würde; dies könne aber der Fall bei Annahme des Antrages Schlabitz sein, den er deshalb abzulehnen bitte.

Die Abgeg. Fritzen (Borken), Dr. En neccerus und Dr. Windthorst traten aus Furcht vor Vermehrung der Meineide für den Kommissionsantrag ein, während die Abgg. von Buch und Freiherr von Xr lit für die Wieder⸗ herstellung der Regierungsvorlage, Letzterer zugleich für den Antrag Schlabitz, sprachen, weil es manchem Censiten schwer sein würde, andere Beweise zu erbringen als seinen Eid. Der General⸗Steuer⸗Direktor Burghart be⸗ zeichnete den Eid als äußersten Nothbehelf zur Feststellung des Einkommens. Wenn dieses Mittel versagt werde, so würden nicht fiskalische Interessen getroffen, sondern die Ver⸗ theidigung des Steuerpflichtigen gegen Irrthümer der Kom⸗ mission geschwächt. Bei Aunahme der Regierungs vorlage werde die Zahl der Eide keine erhebliche sein; der Antrag Schlabitz gebe ihr allerdings einen beträchtlichen .

Der Antrag Schlabitz auf Einschaltung eines 6. Absatzes

wurde zurückgezogen, der auf Wiederherstellung der Regierungs⸗

vorlage abgelehnt und die Kommissionsfassung unverändert angenommen. §. 44 lautet:

Gegen die Entscheidung der Berufungskommission stebt sowohl den Steuervflichtigen, als auch dem Vorsitzenden der Berufungs⸗ kemmissien die Beschwerde an den Steuergerichtsbof zu. Die Be⸗ schwerde ist innerhalb der im §. 40 bestimmten Frist Seitens des Vorsitzenden der Berufungskommission bei dem Steuergerichtshof, Seitens der Steuerpflichtigen bei dem Vorsitzenden der Berufungs⸗ kommission anzubringen und kann nur darauf gestützt werden:

1) daß die angefochtene Entscheidung auf der Nichtanwendung oder auf der unrichtigen Anwendung des bestehenden Rechts, ins—⸗ besondere auch (in der Regierungsvorlage auf) der von den Be— hörden innerhalb ihrer Zuständigkeit erlassenen Verordnungen be⸗

uhe;

2) daß das Verfahren an wesentlichen Mängeln leide.

Der Abg. Dr. von Gneist beantragte:

I. Im 5. 44 zu setzen: Zei. e 3 und 4statt „den Stenergerichts⸗ of das Ober Verwaltungsgericht“, Zeile 6 statt . Steuergerichts⸗ hof“ „Ober ⸗Verwaltungsgericht'; sodann als letzter Absatz (gleich⸗ lautend mit 5§. 47) hinzuzufügen:

In der Beschwerde ist anzugeben, worin die behauptete Nicht⸗ anwendung oder unrichtige Anwendung des bestehenden Rechts, ö. worin die behaupteten Mängel des Verfahrens gefunden werden.“

Der Antragsteller wandte gegen die Errichtung eines Steuergerichtshofes ein, daß die Bildung solcher Sonderbehörden innerhalb der sestgeschlossenen preußischen Verwaltung stets vermieden worden sei, daß die nur im Nebenamt beschaͤftigten Mitglieder schwerlich ihr volles Interesse der Sache widmen würden. Das Ober⸗Verwaltungsgericht bestehe aber als Steuergerichts⸗ hof bereits für das ganze Gebiet der Kreis- und Provinzial⸗ abgaben, und es liege kein Grund vor, nicht auch die oberste Entscheidung in den Einkommensteuersachen dem Ober-Verwal⸗ tungsgericht zu übertragen.

Finanz⸗Minister Dr. Miquel bemerkte, daß lediglich aus Zweckmäßigkeitsgründen die Staatsregierung die Ein⸗ setzung eines besonderen Steuergerichtshofes vorgeschlagen habe. Man habe eine unabhängige Entscheidung der steuer⸗ lichen Rechtsfragen unter Heraushebung derselben aus dem Verwaltungsgebiet ohne Einwirkung der Regierung a,, wollen. Ein besonderer Gerichtshof werde achkundiger, konstanter und rascher entscheiden als das Ober⸗ Verwaltungsgericht. Dies sei namentlich für die Uebergangs⸗ zeit von Bedeutung. Indeß hänge von der Entscheidung über den Antrag Gneist nicht die Stellungnahme der Regierung zur ganzen Vorlage ab. (Schluß des Blattes.)

Dem Reichstage ist das zwischen dem Deutschen Reich, Belgien, Frankreich, Italien, Luxemburg, den Nieder— landen, Oesterreich⸗ Ungarn zugleich für Liechtenstein —, Rußland und der Schweiz am 14. Oktober v. J. in Bern abgeschlossene Internationale Uebereinkom men über den Eisenbahnfrachtverkehr nebst der dazu ge⸗ hörigen Liste, dem Reglement, betreffend die Errichtung eines Centralamts, und dem (Schluß-) Protokoll im deutschen und im französischen Urtext zur verfassungsmäßigen Beschluß— nahme, ferner die Ausfüͤhrungsbestimmungen zum Ueberein— kommen nebst Anlagen und erläuternder Denkschrift ur Kenntnißnahme vorgelegt worden.

Der Patentkommission des Reichstages ist auch das Gebrauchsmusterschutzgesetz zur Berathung überwiefen worden. Die Kommission trat zu diesem Zweck gestern zu— sammen. Der Referent Abg. Samhammer berichtete über die eingegangenen Petitionen sowie über die Verhandlungen der Konferenz betreffend den Schutz des gewerblichen Eigen thums. Die Kommission sah von einer Generaldiskussion ab und wandte sich sofort zu §. 1. Abg. Sam⸗ hammer beantragte Hinzufügung der Kurz. und Spielwgaren und legte zur erläuternden Begründung dieses Antrages eine Reihe von Erzeugnissen der Spielwaarenindustrie vor, die den Beweis liefern, daß auch dicse Industeie auf den Schutz ihrer Muster Anspruch machen könne. Der Regierung skommissar bekämpfte diesen Antrag, nach dem Wortlaut des Gesetzentwurfts fielen die Spielwaaren bereitt unter die zu schützenden Gegenstäade. Abg. Sam hammer zog seinen Antrag zurück. Der Paragraph wurde einstimmig mit Ein fügung des Wortes Anordnungen“ auf Antrag des Abg. Abt an— genommen. Die Berathung des 5. 2 wurde mit der des §S. 8 verbunden. Die Abgg. Samhammer⸗ Münch be— antragten eine Ermäßigung der Gebühren von 20 ½ auf 10 46 Abg. Freiherr von Buol beantragte zu §. 8, daß auch die Löschungen eines Musters im „Reichs- Anzeiger! bekannt gemacht würden. Der Regierungskommissar Geheime Regierungs-Rath Wermuth trat dem Antrage Buol bei, während er den frei⸗ sinnigen Antrag bekämpfte. Abg. Hultzsch beantragte Er— mäßizung der Gebühren auf 15 0, während sich der Abg. Goldschmidt gegen jede Ermäßigung erklärte. Nach längerer Debatte wurde der Antrag Samhammer mit 7 gegen 7 Stimmen ab— gelehnt, dagegen der Antrag Hultzsch mit allen gegen 2 Stimmen an— genommen. Ebeaso der ganze Paragraph und S§. 3.

In der heutigen Sitzung wurde die Diskussion über die 55§. 4—- b zusammengefaßt. Abg. von Bu ol beantragte, zu 5§. 4 folgenden Absaß 2 anzufügen: ‚Das durch eine spätere Anmeldung begründete Recht darf, soweit es in das Recht des auf Grund früherer An meldung Eingetragenen eingreift, ohne Erlaubniß des Letzteren nicht ausgeübt werden“, und als Abs. 3 den jetzigen . 5h zu setzen. Der obige Zusatz entspricht der Umgestaltung des Patentgesetzes bei §. 3. Abg Stadthagen wollte 5. 4 überhaupt gestrichen wissen, derselbe werde nur die Kleinindustrie schädigen. Diese Auffassung wurde von allen Seiten bekämpft und der Antrag von Buol mit allen gegen zwei Stimmen angenommen. Ebenso die Anträge desselben Antragstellers zu 8. 5. und eginstimmig dessen An— trag zu 8 6 Löschungsklage. Diese Anträge bedürfen keiner weiteren harakter isirung, da sie den bezüglichen Anträgen zum Patentgesetz entsprechen. 5.7 wurde gleichfalls angenommen. Bei §. 8 berichtete Abg. Sam hammer über mehrere Petitionen, die eine weitere Verlangerung der Schutzfrist anstreben. Dazu be antragte Abg. Abt, die Frist gegen Zahlung einer Ge— bühr von 100 M um weitere funf Jahre zu verlängern. Geheimer Regierungs⸗Rath Wermuth sprach sich gegen jede Verlängerung der Frist aus. Bei dem bestehenden Musterschutzgesetz sei fehr selten eine längere Schutzfrist als drei Jahre verlangt worden. Abg. Kauffmann beantragt diese Verlängerung auf drei Jahre. Abg. Hultz sch wollte, wenn eine Verlangerung angenommen würde, die Gebühren erhöht haben und zwar beim Antrag Abt von 100 46 auf 150 66, beim Antrag Kauffmann von 30 M auf 60 S Der Antrag Abt wurde abgelehnt, der Antrag Kauffmann ange— nommen, damit der Antrag Hultzsch mit 8 gegen 2 Stimmen, ebenso der ganze Paragraph. Hiermit war die erste Lesung erledigt.

Die Vol ksschulgesetz⸗Kommission des Hauses der Abgeordneten nahm vorgestern die 55. 136 138 (Bienstwohnung betreffend) unverändert an. 139 der Regierungs vorlage erlitt insofern eine Veränderung, als die Feststellung der Miethsentschädigung von der Bezirkgregierung im Einvernehmen mit dem Bezirksausschuß, und Falls ein Einvernehmen beider Behörden nicht erreicht wird, durch den Ober ⸗Präsidenten erfolgen soll. 5. 140 erhielt nach dem Antrage des Abg. Brüel folgende Fassung: „Wo eine Dienstwohnung auf dem Schulgrundstuͤcke gegeben wird, kann von den Schulaufsichtsbehörden die Gewährung freler Feuerung für den Lehrer

verlangt werden. In §. 141 wurde auf Antrag des Abg. Freiherrn von Plettenberg der erste Absatz wie folgt gefaßt: Wo auf dem Lande eine Dienstwohnung gegeben wird, ist daneben ein Hausgarten zu gewähren. Wo die örtlichen Verbältnisse es gestatten, soll für einen alleinstehenden Lehrer eine Landnutzung gewährt werden, welche dem Wirthschaftsbedürfniß einer Lehrerfamilie ent⸗ spricht. Die §S§. 142 —· 146 (Naturalbezüge, Anrechnung von anderweitigen Bezügen auf das Grundgehalt, allgemeine Vorschriften über das Diensteinkommen) blieben unverändert. In 5. 147 wurde auf Antrag des Abg. Zelle der letzte Satz folgendermaßen gefaßt: „Den vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes angestellten Lehrern und Lehrerinnen verbleiben die ihnen nach den Anstellungsurkunden recht- lich zustehenden Ansprüche, soweit die Lehrer und Lehrerinnen sich nicht freiwillig den neuen Ordnungen unterwerfen.“

Die Einkommensteuer⸗Kommission des Hauses der Abgeordneten hat gestern den Rest des Erbschaftssteuer⸗ Gesetzentwurfs mit unwesentlichen Abänderungen nach der Regie rungsvorlage angenommen.

Entscheidungen des Reichsgerichts.

Eine stempelpflichtige Punktation liegt nach einem Urtbeil des Reichsgerichts, ITV. Civilsenats, vom 8. Dezember 1890, im Gebiete des Preußischen Rechts nur dann vor, wenn durch diese Punktation für jeden kontrahirenden Theil ein klagbares Recht auf Erfüllung des Vertrages oder Errichtung eines förmlichen Vertragsinstruments begründet ist. So ist beispielsweise eine Punk tation uͤber einen Immobilienkauf, durch welche sich Verkäufer definitiv bindet, während der Kaufsreflektant den seinerseitigen Ab— schluß des Kaufs sich eine bestimmte Zeit lang vorbehält unter Zusicherung einer Entschädigungssumme für den Fall seines Nichteintritts in den Kauf, nicht dem Immobilienkaufstempel, sondern . nur dem allgemeinen Vertragsstempel von 1,50 6 unter⸗ worfen.

Theater und Musik.

Deutsches Theater.

Die erste Aufführung des dreiaktigen Schauspiels: Das alte Lied‘ von Felix Philippe findet nächsten Mittwoch, den att.

25. d. M, statt Lessing⸗ Theater.

Gestern Abend gelangten zwei Novitäten Das Gnadenbrot“, ein Drama in zwei Akten von J. Turgenjew, und ein Schauspiel . Aufzügen „Fortuna“ von Hermann Faber zur Dar—

ellung.

Das erstgenannte Stück, welches Eugen Zabel aus dem Russischen übersetzt hat, fand in Folge des dramatischen Gehalts, des eigentlichen Kerns der Handlung und durch die saubere natürliche Zeich nung der Charaktere eine wohlverdiente freundliche Aufnahme. In zwei verhältnißmäßig kurzen Akten wird das marklose, zertretene Leben und das tragische Ende eines verarmten Edelmanns mit Namen Kusofkin vorgeführt. Kusofkin erhält das Gnadenbrod auf einem Landgute, dessen längst verstorbener Besitzer einst Vergnügen an seinen Gesangs und Tanzkünsten gefunden hatte und ihm dafüͤr den Aufenthalt in seinem Hause gestattete. Die einzige Tochter dieses Landedelmanns kehrt nach mehrjähriger Abwesenheit vermählt in ihre Heimath zurück; der alte Kusofkin wird gleich am Tage der Ankunft des jungen Paares durch einen übelwollenden, zu rohen Späßen geneigten Gutsnachbar in Gegenwart des neuen Hausherrn berauscht gemacht und enthüllt im Rausch sein bis dahin streng behütetes Geheimniß, daß die junge Gattin. Olga Petrowna, seine Tochter sei. Kusofkin, welcher mehrere Jahrzente in dem Hause gelebt hatte, soll dasselbe nach diesem Auftritt verlassen; Olga Petrowna erfährt vorher von ihm, daß die im Rausche gesprochenen Worte auf Wahrheit beruhen, und nachdem Kusofkin die hohe Freude gehabt hat, sein Kind in seine Arme zu schlteßen, stirbt er glücklich und zu rechter Zeit, ehe die Welt den Makel erfahren hat, welcher das Andenken der Matter Olgg Petrownag's trübt.

Die Exposition im ersten Akt zieht sich etwas in die Breite, da ein großer Theil dieses Aktes von den für die eigentliche Handlung überflůssigen Anordnungen zum festlichen Empfange des jungen Paares, und später von der allmählich sich steigernden Trinkseene in Anspruch genommen wird; den Schlüssel zu diesen Vorgängen findet man erst in dem Schlußwort des alten Kusofkin, daß Olga seine Tochter sei. Der zweite Akt setzt gleich lebendiger und auch klarer ein; die Scene zwischen der Tochter und dem neu gefundenen Vater erwies sich sehr wirksam; hier enthüllte Turgenjew seine Meisterschaft in der Wiedergabe warm empfundener Vorgänge des Seelenleben, besonders in dem scheuen Zurückschrecken der Tochter vor Kusofkin bei der Enthüllung des Ge— heimnisses und in der spaäter durchbrechenden Kindesliebe. Die Dar stellung des Dramas fand ihren Höhepunkt in der Leistung Adolf Klein's als Kusofkin; er brachte die Schwächen und Vorzüge dieses Charakters, die widerstandslose Schwäche und rührende Geduld des Greises allen Schicksalsschlägen gegenüber und das echte warme Vatergefühl, welches sich nicht durch Geld oder Gut bestechen läßt, mit erschütternder Naturtreue zum Ausdruck. Den auf⸗ dringlichen achbar mit dem eynischen Wohlgefallen an rohen Späßen spielte Hr. Molenar mit treffender und maßvoller Charakteristik. Frl. Groß als Olga Petrowna entfaltete Anmuth der Bewegungen und Wärme der Empfindung in der großen Scene mit Kusoskin. Den Darstellern, vor Allen Hrn. Klein, wurde reicher Beifall gezollt.

Weniger freundlich gestaltete sich der Erfolg des zweiten Stücks. Das Schauspiel Fortuna spielt auf deutschem Boden in der Gegen⸗ wart. Der Verfasser, welcher aufs Neue den alten Kampf zwischen Liebe und Pflicht zur Darstellung bringt, hat in der Wahl der dra— matischen Persönlichkeiten und der Vorgänge, welche die Handlung einleiten, ein anerkennenswertheg Geschick bewiesen; aber bei der Durchführung und in der Lösung der selbst gestellten Aufgabe hat er in dem Bestre en, den feinsten Seelen und Gedankenregungen nachzuspüren, das eigentliche Ziel verfehlt. Die natürliche einfache Empfindung macht einem erkünstelten Spiel der Kräfte, einer vlötz⸗ lich neu auftauchenden und ebenso schnell bei Seite geworfenen Frage Platz und findet einen bizarren Abschluß Der Dichter verkettet das Schicksal eines jungen Staatsanwalts mit dem einer jungen Banquiers⸗ tochter, Antonie Winter. Beide lernen sich kennen und lieben, erst aus der Entfernung im Theater, dann auf einem Maskenball, auf welchem Antonie als Fortuna erscheint. Gerade dieser Staatsanwalt muß die Verhaftung des wegen betrügerischen Bankerotts verklagten Banquiers Winter vornehmen. Antonie schlägt die Werbung eines reichen Mannes aus, welcher ihren Vater um den Preis ihrer Hand retten will; sie muß ihren Vater ins Gefängniß wandern seben, da izr Geliebter schließlich mit ihrer Zu stimmung die Pflicht über die Liebe stellt und dem alten Winter den erhofften Weg zur Flucht verspertt. Nun kommt der überraschende Abschluß des Schauspiels. Der Staatsanwalt hat, damit Antonie ihm angehören könne, seine Entlassung aus dem Staatsdienste gefor dert; er will um ihreiwillen auch die Heimath verlassen, und sie ol ligt endlich ein, die Seine zu werden, um das sorgen volle Alter ihres Vaters zu verschönen. Als sie aber den Tod ihres Vaters erfährt, weist sie alle Opfer des Geliebten zurück und opfert ihr Leben fernerhin in selbstloser Wirk— samkeit fremdem Glück. Durch diesen seltsamen Schluß versetzt der Verfasser die Zuschauer in Zwiespalt mit den Empfindungen, welche er Anfangs erregt hat. Man weiß nicht, ob er die Pflicht eines Kindes, welches den Eltern sein Lebensglück opfert, oder die Liebe des Weibes, welches sich für entehrt hält, wenn sie einem ungeliebten Manne die Hand reicht, höher stellt. Jedenfalls unterliegen die Helden des Schauspiels dem Konflikt zwischen Liebe und Pflicht, denn sie geben

alle Ansprüche an Lebensglück freiwillig auf.

Stückes fehlt es nicht an dramatischem Leben, aber in der Durch⸗ führung spürt man den Hauch eines zwar strebsamen, aber noch nicht ausgereiften Talentß. Im Dialog und in der Gestaltung der Charaktere macht sich zuweilen ein Anflug von Alltäglichkeit bemerkbar, welche durch die Nüchternheit der Darstellung noch verschärft wurde.

Die weibliche Hauptrolle, Antonie Winter, gab Frau Klein mit anerkennerswerthem Bemühen; doch fehlt ihr für tragische Momente sowobl die Kraft der Stimme wie die Tiefe der Empfindung. Als Staatsanwalt Hagen trat Hr. Ranzenberg auf; man konnte mit seiner Leistung, welche des Feuers und der Leidenschaft nicht entbehrte, wohl zufrieden sein. In kleineren Rollen thaten sich Hr. Molenar, (Paul Buchner) und Hr. Stägem ann durch ruhige und vor⸗ nehme Darstellung hervor. Einen lustigen, überschwänglich edelmüthigen Maler, welcher aber ebenso reichen Lohn für seine Entsagungsfreudigkeit findet, spielte Hr. Schönfeld mit harmlosem Gemüth. Hr. Höcker war als Banquier Winter gar nicht an seinem Platze; er, der als Charakterdarsteller sonst Vorzügliches leistet, wußte mit dein farblosen betrügerischen Banquier nichts anzufangen. Dem Beifall, welcher dem Stück wie den Darstellern zu Theil wurde, mischte sich häufig eine heftige Opposition bei; doch mußten der Dichter nach dem zweiten Akt und die Darsteller nach allen Auf— zügen wiederholt vor der Gardine erscheinen.

Am Sonntag findet eine Wiederholung von Henrik Ibsen's Schauspiel ‚Ein Volksfeind“ statt, das bei seiner letzten Aufführung in Gegenwart des Dichters wiederum eine enthusiastische Aufnahme gefunden hat und auch schauspielerisch zu den trefflichsten Darbietungen des Theaters gehört. Iwan Turgeniew's Charakterbild „Das Gnadenbrod“ wird in nächster Woche wiederholt werden.

Wallner ⸗Theater.

In Folge mehrfacher Anfragen nach bildlichen Darstellungen aus dem neuesten Erfolgstück Miß Helyett“ fanden bei dem hiesigen Photographen Hrn. François Cornand sowohl Einzel- als Gruppen aufnahmen aus dem pikanten Vaudeville statt, welche in äußerst ge— lungener Ausführung schon in den nächsten Tagen im Kunsthandel er

scheinen werden. ; Vietoria Theater.

Zwischen der Internationalen elektrischen Ausstellung in Frank— furt a. M. und dem Direktor des hiesigen Victoria Theaters, Hrn. Emil Litaschy, ist soeben ein Vertrag abgeschlossen worden, der für die Leistungsfähigkeit dieses Kunstinstituts einem glänzenden Zeugniß gleichkommt. Danach verpflichtet sich Or. Litaschy, während der Zeit der Ausstellung, also vom 15. Mai bis 15. Oktober d. J, täglich zwei Vorstellungen auf dem Frankfurter Ausstellungsterrain, wo zu diesem Zweck eigens ein Theater errichtet wird, mit seinem Ballet— personal zu veranstalten. Hr. Litaschy hat, wie er uns mittheilt, unter allen Bewerbern sämmtlicher Hauptplätze Europas den Sieg davongetragen.

Sing Ata demie. .

Die Sopranistin Frl. Anng Voges, durch ihre künstlerischen Leistungen bereits vortheilhaft bekannt, gab gestern ein Concert, in welchem sie außer einer Arie aus Wagner's ‚Tannhäuser“ mehrere Lieder von E. C. Tauber, Eichberg, Brahms, Lazarus und Anderen zu Gehör brachte. Ihre klangvolle und umfangreiche Stimme ist auf das Sorgfältigste ausgebildet und läßt zugleich eine sehr empfindungs—⸗ volle und leidenschaftliche Ausdrucksweise erkennen. Nur möchten wir vor Uebertreibungen des Gefühlsausdrucks warnen, da dieselben mit— unter den Wohlklang ihrer höchsten Töne beeinträchtigen. Der bereits öfter gehörte Pianist Hr. Lazarus, der sich mit der Sängerin zu diesem Concerte vereinigt hatte, bewährte in seinem gediegenen und fein schattirten Spiel wiederum die gründliche Ausbildung seines Talents, die er unter Leitung des Professors Seiß in Köln genossen. Der Vortrag einiger Klavierstücke von Scharwenka, Gernsheim und Moszkowski gelang dem Künstler vortrefflich. Auch zeigte er ein recht erfreuliches Kompositionstalent, das in vier Phantasiestücken mit Violinbegleitung, in drei Vortragsstücken für Klavier, zwei Liedern und fünf Stücken zu vier Händen zur Geltung gelangte. In allen Kompositionen zeigt sich Sinn für melodische Erfindung und Form gestaltung. Der junge Violinist Hr. Prill, der sich an der Aus— führung der Phantasiestücke betheiligte, erfreute noch durch einige Solo—⸗ vorträge; auch Hr. W. Berger unterstützte Hrn. Lazarus im Vor— trag der Stücke zu vier Händen sehr wirksam. Dem Frl. Voges und ihren Kunstgenossen wurde reicher Beifall zu Theil.

. Philharmonie.

Zu dem zweiten Concert des Hrn. Pablo de Sarasate hatte sich gestern eine ebenso zahlreiche Zuhörerschaft eingefunden wie zu dem ersten, doch war der Eindruck seines Spiels ein noch bedeutend erböhter, was zum Theil auch der sinnreichen Auswahl der Concert stücke zuzuschreiben ist. Die in der geistreichen Durchführung schottischer Volksmelodien böchst interessant gehaltene Phantasie von M. Bruch, in] deren? Andantesatz die zarte Tonbehandlung des Künstlers zur Geltung gelangte, während das kriegerisch gehaltene Finale in den sehr schwierigen Variationen über das marschartige Hauptmotiv seine unübertreffliche Bravour erkennen ließ, wurde mit Begeisterung auf⸗— genommen. Eine gleich günstige Theilnahme wurde auch der Sulte von Raff zu Theil, dessen Perpetuum mobile“ im letzten Theil zündend wirkte. Das dritte größere Werk bestand in einer Phantasie Sarasate's über Motive aus „Carmen“ von Bizet. Daß die Ausführung dieser interessanten und zugleich höchst schwierigen Phantasie eine in jeder Beziehung vollendete war, bedarf kaum noch der Bestätigung. Unter den den Künstlern gespendeten Ovationen befand sich eine aus weißen Blumen geformte Geige. Der unermüdliche Spieler dankte durch fünf Zugaben. Fr. Bertbe Marx unterstützte auch diesmal wieder das Concert in sehr wirksamer Weise, und zwar durch das mit be⸗— wundernswerther Grazie und Virtuosität vorgetragene zweite Concert von St. Sasns, sowie durch zwei brillante Rhapsodien von Liszt, denen sie gleichfalls noch ein kleines Salonstück hinzufügte. Der aus gezeichneten und beliebten Künstlerin wurde sehr lebhafter Beifall zu Theil, welcher auch den vortrefflichen Leistungen des Philharmonischen Orchesters unter Führung des Hrn. Kogel galt. Am Don nerstag findet das dritte Concert des Hrn. Sarasate statt.

Im Meininger Hof⸗Theater bereitet sich dem „Hann. Cour. zufolge ein interessantes künstlerisches Ereigniß vor. Es handelt sich um eine Aufführung von Beethoven's „Fidelio“ unter Mitwirkung der Hofkapelle, hervorragender Solisten und auserlesener Chorkräfte. Der Herzog widmet einer würdigen Darstellung das größte Interesse; die Anordnung des ganzen seenischen Apparats geschiebt auf Grund seiner bis ins Einzelne gehenden Direktiven. Hofrath Chronegk leitet die Inscenirung, Hofkapellmeister Herrbach die Aufführung. Die Rollen der Choristen haben je fünfzig Damen und Herren aus den ersten Kreisen übernommen. Die Kostüme sind nach Zeichnungen von Gustave Dors neu angefertigt, und namentlich die letzte Seene, bei der auch das gesammte Schauspiel⸗Personal mitwirkt, wird ein buntes, reich belebte Bild mit spanischen Trachten aller Gesellschafts klassen vorführen. Vorläufig sind zwei Aufführungen für den 22. und 23. Februar angesetzt. Der Ertrag dieser beiden Abende soll dem Beethoven⸗Hause in Bonn zufallen.

Mannigfaltiges.

Bekanntlich ist für den von dem Thiergarten, dem Schloßgarten von Bellevue und der Spree umschlossenen Stadttheil, das fogenannte Thiergartenfeld, der Bau einer Kirche für die von der Dorotheenstädtischen Kirchengemeinde abzuttennende und neu zu bildende Kirchengemeinde in Aussicht genommen. zu welcher Se. Majestät der Kaiser bereits als Bauplatz einen gegenüber der Einmündung der Lessingstraße in die Händelstraße belegenen Theil des Thiergartens zur Verfügung gestellt hat. Die für den Bau dieser Kirche von dem Königlichen an, Spitta und dem Architekten Vollmer entworfenen Projekte liegen, wie die N. A. 3. hört, zur Zeit dem Magistrat, als Patron der Dorotheenstädtischen Kirche, vor. Die Enischeidung darüber,

Der Grundidee des!

ob eins und event. welches von beiden Projekten dem Bau zu Grunde zu legen ist, liegt bei St. Majestät. Da bis zur