1891 / 59 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 09 Mar 1891 18:00:01 GMT) scan diff

Der Kaiserlichw Gesandte bei der Schweizerischen Eid— genossenschaft, Wirkliche Geheime Rath, Kammerherr von Bülow ist von dem ihm Allerhöchst bewilligten Urlaub nach Bern zurückgekehrt und hat die Geschäfte der Gesandt— schaft wieder übernommen.

S. M. Kanonenboot, Iltis“, Kommandant: Korvetten— Kapitan Ascher, ist am 6. März in Chefoo eingetroffen und beabsichtigte, am 7. nach Shangai in See zu gehen.

* Posen, 8. März. Die zum 26. Provinzial-Land— tage einberufenen Abgeordneten wohnten heute früh 10 Uhr dem Gottesdienst in der evangelischen Kirche St. Pauli bezw. in der katholischen Pfarrkirche ad St. Mariam Magdalenam bei und versammelten sich sodann um 121, Uhr Nachmittags in dem Sitzungs saale des Ständehauses. .

Nachdem der Königliche Kommissarius, Wirkliche Geheime Rath und Qber-Präsident Graf von Zedlitz-Trützschler durch eine Deputation benachrichtigt worden war, daß der Provinzial-Landtag versammelt sei, begab sich derselbe in die Mitte der Versammlung und eröffnete den Provinzial-Landtag mit folgender Ansprache:

Hochgeehrte Herren!

Der heute auf Allerbhöchsten Befehl zusammertretende Provinzial Landtag ist der erste, auf welchem die Wirkungen des Gesetzes vom 19. Mai 1888 über die allgemeine Landesverwaltung und die Zu⸗ ständigkeit der Verwaltungs- und Verwaltunge⸗Gerichts behörden in der Provinz Posen, sowie der Königlichen Verordnung vom 5. No— vember 1889, betreffend die Verwaltung des provinzialständischen Verbandes der Provinz Posen, in volle Erscheinung treten und zu

Ich bin überzeugt, daß Sie mit großer Befriedigung wahrnehmen werden, wie intensiv und erfolgreich die provinzialständische Verwaltung“ in allen ihren Theilen unter den neuen Formen gearbeitet hat, und in wie hohem Maße sich die Erwartungen bestätigt welche die Königliche Staatsregierung und Sie selbst an erwähnten Reformgesetze geknüpft hatten. ;

Die Aufgaben, welche den 26. Prorinzial Landtag be werden, sind zahlreich und beziehen sich auf alle Gebiete munalen Verwaltung. ö. .

Neben der eingehenden Prüfung und Feststellung des Haupt Etats und der zahlreichen Neben⸗Etats wird Ihre Zeit und Ihr Interesse vorzugs⸗ weise durch die zahlreichen Vorlagen in Anspruch genommen werden, welche sich auf die zweckmäßige Ausgestaltung der vorhandenen Dienst—⸗ zweige und Anstalten sowie auf die Neubegtündung ron Wohliahrts— einrichtungen bezieben. Unter diesen nehmen die Ihnen Seitens des Provinzigl⸗Ausschusses unterbreiteten Vorsckläge zur Begründung einer zweiten Irrenanstalt und zur erweiterten Fürsorge für die Zwangs— zöglinge und für die epileptischen Ortsarmen den ersten Rang ein.

Die Erfüllung dieser Aufgaben ist nur bei erweiterter Inanspruch— nahme der Steuerkraft möglich. Sie werden sich aber bei Prüfung der Vorlagen der Erkenntniß nicht verschließen können, daß jenen Anforderungen genügt werden muß, und ich verttaue, daß Sie mit der stets bewährten Opferwilligkeit das Erforderliche bewilligen werden. . .

Die Bitten und Anträge der zahlreichen freien Vereine und Wohlfahrtsanstalten, welche großentheils nur mit xrovinzieller Hälfe ihre Thätigkeit erfüllen können und dabei nach den verschiedensten Richtungen hin die gesetzlich geordnete Fürsorgepflicht unterstützen und ergänzen, empfehle ich wie früher Ihrer wohlwollenden Er— wägung. .

Der durch eine lange Reihe von Jahren im Provinzial— dienst thätige und durch drei Sessionen mit dem Amt des Stellvertreters des Marschalls betraute Graf Franz Kwilecki hat krankheitshalber auf fernere Mitwirkung verzichten müssen. Es wird Ihnen zu besonderer Freude gereichen, davon Akt nehmen zu dürfen, daß die verdienstliche Thätigkeit des genannten Herrn, welchen wir Alle heute an der ge— wohnten Stelle mit Bedauern vermissen, auch die Allerhöchste Aner⸗ kennung durch Verleihung einer hohen Ordensauszeichnung erhalten hat.

Meinerseits mit Ihnen gemeinsam und wie bisher in gegen— seitigem Vertrauen zum Wohle der Provinz arbeiten zu dürfen, wird mir eine Freude und ehrenvolle Pflicht sein—

Ich uͤberreiche Ihnen, Herr Landtags⸗Marschall, den Allerhöchsten Landtagsabschied vom 23. Februar d. J. und das Allerhöchste Propositionsdekret von demselben Tage und erkläre im Auftrage Seiner Majestät des Kaisers und Königs den 26. Provinzial Landtag der Provinz Posen für eröffnet.

Der Landtags-Marschall, Schloßhauptmann von Posen Freiherr von Unruhe-⸗Bomst entgegnete hierauf: HDochgeehrter Herr Landtags ⸗Kommissarius! Eurer Excellenz kann ich aus voller Ueberzeugung darin beitreten, daß die Erwartungen, welche die Mitglieder des 25. Provinzial-⸗Landtages und mit ihnen die ganze Prorinz an die damals vereinbarten Reformgesetze knüpften, sich in vollem Maße bestätigt haben, und so kann ich nicht unterlassen, beim Beginn des ersten Provinzial Landtages, auf welchem die Wir kungen des Gesetzes vom 19. Mai 1889 und der Königlichen Verord⸗ nung vom 5. November 1889 in volle Erscheinung treten, Eurer Excellen; Namens meiner Mitstände den aufrichtigsten Dank dafür auszusprechen, daß Euere Excellenz unserem zum Träger der Provinzial⸗Verwaltung von dem 25. Provinzial⸗Landtage ge⸗ wählten Provinzial ⸗Ausschusse bei der Uebernahme der ibnen ganz neuen Geschäfte unausgesetzt mit Hochderen Rath zu Seite gestanden und allen seinen Berathungen beigewohnt beben.

Das giebt mir die Zuversicht, darauf Excellenz auch unseren Berathungen in gl fördernd zur Seite stehen werden. . .

Je mebr sich das Gebiet der uns bez unsern aus der Selbst— verwaltung hervorgegangenen Organen uberwiesenen kommunalen Thätigkeit erweitert, je folgenreicher diese Thätigkeit auf die Be⸗ wohner der Provinz und je segensreicher dieselbe sich namentlich in der Fürsorge für die geistig oder körperlich Schwachen, überhaupt in der Ricktung der Wohlfahrt geltend macht, um so dankbarer sind wir auch den Männern, welche mit thatkräftigem Eifer sich der Aufgabe unterzogen haben, unsere Vertreter in das neue Arbeitsfeld einzu⸗ fübren und ihnen mit ihrer Kenntniß und ihrer Erfahrung zur Seite stehen. . ; 2. Die zahlreichen Vorlagen, die bereits seit mehr als vierzehn Tagen in unferen Händen sind, geben in ihrer klaren Sprache und durch die Fülle der Gedanken den besten Beweis, was Alles in der kurzen Zeit seit dem letzten Proxsinzial⸗Landtage geschehen ist. Es wird uns durch dieselben ein umfaffendes aber eben so interessantes Feld der Thätigkeit eröffnet, und ist es nicht allein die besonders unserer Ver waltung überwiesene Fürsorge für die Irren und Eyiley tischen, wie für die Zwangszöglinge, sondern namentlich auch die Mitwirkung bei der Ausführung der neuesten fozialen Gesetze in erster Linie der Alters und Invaliden ⸗Versorgung, welche unsere Zeit in Anspruch nehmen werden. .

Der Ueberzeugung, daß die Erfüllung solcher Aufgaben weitere Anforderungen an die Steuerkraft stellen muß, werden wir uns freilich nicht verschließen können; um so weniger, als die Beseitigung der Hochwasserschäden der Jahre 1888 und 1889, welche der 25. Pro- vinzial⸗Landtag, um die Steuerkraft zu schonen, beschlossen batte, möglichst durch Ersparnisse zu bewirken, doch mebr Mittel erfordert hat, als von vorn herein zu überseben war. . .

Ich kann versichern, daß wir es uns werden angelegen sein lassen, zwar den Bedürfnissen Rechnung zu tragen und das, was nothgedrungen in der uns obliegenden Fürsorge gescheben muß, zu bewilligen, daß wir aber, dem Beispiele des Provinzialausschusses folgend, der Pflicht

schäftigen der kom⸗

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der Sxparsamkeit im Interesse der Erhaltung der Leistungsfähigkeit der Provinz eingedenk bleiben werden.

Wenn wir demnach nicht werden umhin können, mehr als bisher verlangt wurde an Beiträgen auf die Provinz auszuschreiben, so werden wir im Hinblick auf die segensreichen Zwecke auf die Opferwilligkeit der Bewohner rechnen müssen.

Werden mit der Erweiterung des Arbeitsfeldes auch die An⸗ forderungen an die Leitung der Versammlungen steigen, so kann ich nicht umhin, auch meinerseits mein Bedauern auszusprechen, daß ich die bewährte Kraft, welche mir, auf früheren Landtagen zur Seite stand, den liebenswürdigen Vermittler zwischen einem Theile meiner verehrten Mitstände und mir vermissen muß. Doch hege ich die zu— versichtliche Hoffnung, daß der Herr, welcher in Folge Allergnädigster Berufung Seiner Mojestät des Kaisers und Königs an die Stelle des Hrn. Grafen von Kwilecki getreten ist, mich ebenso freundschaftlich als thatkräftig in der mir obliegenden Aufgabe unterstützen wird.

Die Bitte, mich zu unterstützen und mir mit Nachsicht zu be⸗ gegnen, rinte ich aber auch an Sie Alle, meine verehrten Mitstände. Wenn dies in derselben Weise wie bisher geschieht, dann, hoffe ich, werden die Berathungen auch dieses Provinzial ⸗Landtages unserer theuren Heimath zum Segen gereichen.

Die Arbeiten lassen Sie uns beginnen mit dem Dank für unsern Kaiser und König, unter dessen kräftigem und weisem Regiment wir im Frieden die Arbeiten des Friedens treiben können.

Seine Majestät der Kaiser und König Wilhelm II. lebe hoch! . .

Die Versammlung stimmte in das von dem Marschall ausgebrachte Hoch auf Seine Majestät den Kaiser und König begestert ein. . .

Der Königliche Kommissarius wurde hierauf durch die Deputation zurück begleitet, und es wurden sodann die Ver— handlungen der diesmaligen Session eröffnet.

Schleswig, 7. März. Heute Nachmittag 2 Uhr wurde der 25. Schleswig-Holsteinische Provinzial-Kandtag von Seiner Excellenz Wirklichem Geheimen Rath und DOber— Präsidenten von Steinmann geschlossen.

Nach sodann von dem Vorsitzenden Klosterpropst Graf von Reventlow-Preetz auf Seine Majestät den Kaiser und König ausgebrachtem, begeistert aufgenommenem dreimaligen Hoch trennte sich die Versammlung.

Der 25. Provinzial-Landtag hat sieben Plenar-Sitzungen abgehalten.

Drei Vorlagen sind demselben von der Königlichen Staats— regierung gemacht: Aeußerung über die Ausdehnung des für die Hohenzollernschen Lande erlassenen Gesetzes vom 29. Juni 1860, betreffend Entschädigung für an Milzbrand gefallene Thiere, auf den dies seitigen Provinzialverband; Vornahme von Ersatzwahlen für die Gewerbekammer; Voranschlag der Ge— werbekammer pro 1. April 1891,92.

Von dem Provinzialausschuß sind 16 Berichte und An⸗ träge eingegangen, darunter: Antrag auf Bewilligung eines Beitrags von 50 000 6 zur Herstellung des Kunstgewerbe— Museums in Flensburg, der fast einstimmig angenommen worden ist.

Von Abgeordneten sind sechs selbständige Anträge gestellt worden, darunter Antrag von dem Ober⸗-Bürgermeister Fuß-Kiel wegen Erbauung eines Landeshauses für die Pro— vinz. Dieser Antrag ist nach eingehender Verhandlung von dem Antragsteller zurückgezogen.

Drei Ausschüsse sind niedergesetzt worden; neunundzwanzig Petitionen sind im Ganzen eingegangen und erledigt, und haben zwei Wahlen stattgefunden.

Bayern.

München, 8. März. Das heute ausgegebene „Militär— Verordnungablatt“ veröffentlicht einen Gnadenerlaß Seiner Königlichen Hoheit des Prinz-Regenten für die Armee, welchem zufolge alle die Dauer von sechs Wochen nicht über⸗ schreitenden Disziplinarstrafen und militärgerichtlichen Frei heitsstrafen (Ehrenstrafen ausgeschlossen) vom 11. März ab erlassen sind.

Sachsen.

Dresden, 9. März. Der Präsident des Reichsgerichts von Oehlschläger wurde heute von Seiner Majestät dem König empfangen. Morgen nimmt derselbe, wie das „W. T. B.“ meldet, an der Hoftafel Theil, zu welcher zahlreiche Einladungen ergangen sind.

Baden.

Karlsruhe, 8. März. Ihre Königlichen Hoheiten der Großherzog und die Großherzogin haben sich der „Karlsr. Ztg.“ zufolge gestern zu achttägigem Aufenthalt nach Berlin begeben.

Mecklenburg⸗Schwerin.

Schwerin, 8. März. Auf eine Aufforderung Seiner Königlichen Hoheit des Großherzogs hat sich der Staatsrath und Vorstand des Finanz-Ministerirms B. von Bülow heute Nachmittag zum Vortrage nach Cannes begeben. Der Staats-Minister A. von Bülow wird in diesen Tagen Cannes verlassen und hierher zurückkehren.

In der verflossenen Woche ist der Ober-Jägermeister und Ober⸗Forstmeister Freiherr von Maltzahn nach längerem Kraänksein am Typhus zu Schelfwerder bei Schwerin ver— storben. Mit der Verwaltung der Forstinspektion Schelf— werder ist einstweilen der Forst-A1Assessor von Bülow beauf— tragt worden.

Schaumburg⸗Lippe.

Bückeburg, J. März. Seine Durchlaucht der Prinz und Ihre Königliche Hoheit die Prinzessin Adolf zu Schaumburg-⸗Lippe sind, wie dem „Hann. Kur.“ gemeldet wird, gestern hier eingetroffen und gedenken gegen die Mitte des Monats ihren dauernden Aufenthalt in Bonn zu nehmen.

Oefterreich⸗ Ungarn.

Wien, 9. März. Wie der „Politischen Correspondenz“ aus Pest gemeldet wird, empfing Seine Majestät der Kaiser und König am Sonnabend Nachmittag daselbst die rumänischen Delegirten Lahovary und Ducg, welche gestern bereits bei dem Minister-Präsidenten Szapary Audienz hatten. Die Unterhandlungen betreffen die Er— neuerung der ungarisch-rumänischen Eisenbahnkonvention und nehmen einen glatten Verlauf.

Der neuernannte Kaiserlich-Königliche Gesandte in Rio de Janeiro von Hengelmüller begiebt sich dem „Fremdenbl.“ zufolge in Begleitung des Legatione⸗Sekretärs Grafen Heinrich Coudenhove demnächst auf seinen Posten.

Mit den am Sonnabend stattgehabten 47 Reichsraths⸗ wahlen beträgt die Gesammtzahl 275; hierzu treten die

4 Wiener Stichwahlen. Bisher erreichten die Deutschliberalen S6 Sitze, die Deutschnationalen 9, die Konservativen 29, die Jungczechen 31, die Altczechen 10, die Czechen unbestimmter Parteistellung 4, die Polen 37, die Slovenen 13, die Ruthenen 8, der Coroniniklub 6, der böhmische konservative Großgrunsdbesitz 18, die mährische Mittelpartei 5, die Italiener 4, die Deutschkonservativen , die Rumänen 2 und die Anti⸗ semiten 15 Sitze.

Wie die „Zeitschrift für Eisenbahnen und Dampsschiffahrt der österreichisch-ungarischen Monarchie“ meldet, beabsichtigt das Reichs-Finanz⸗Ministerium die Fortsetzung der Bosnabahn von Janjici nach Dalmatien. Zur Verbindung mit den Dalmatiner Bahnen und zur Deckung der Baukosten soll ein Darlehn aus den gemeinsamen Reichsaktiven in An— spruch genommen werden. Wie das Blatt weiter meldet, werden in den nächsten Tagen zwischen den betheiligten öster— reichischen Ministern Vorberathungen wegen Subventionirung der Donau⸗Dampsschiffahrts-Gesellschaft stattfinden.

Im ungarischen Unterhause brachte am Sonnabend der Minister-Präsident Graf Szapary unter lebhaftem Beifall der Rechten einen Gesetzentwurf über die Regelung der Verwaltung und über die Autonomie in den Komitaten ein. Der Entwurf wurde nach Ablehnung eines auf die Verzögerung der Berathung hinauslaufenden Antrages der extremen Linken auf den Antrag des Minister-Präsidenten dem Verwaltungzausschusse überwiesen. Nach der Vor— lage übt der Staat die Verwaltung der Komitate durch Staatsorgane aus. An der Spitze jedes Komitats steht ein der Regierung unmittelbar unterstehender Ober—⸗ gespan, welcher als Vertreter des Gesammt⸗Ministeriums sämmtliche Verwaltungs-Agenden des Komitats überwacht und kontrslirt. Die Komitate besitzen auf ihren Territorien einen autonomen Rechtskreis und haben das Recht, sich mit öffent— lichen und Landesangelegenheiten zu befassen, unmittelbar an das Parlament zu petitioniren und gegen gesetzwidrige Ver—⸗ ordnungen der Regierung Verwahrung einzulegen. Das Munizipium verfügt in eigenen Angelegenheiten selbständig. Ein definitiv bestellter Beamter darf weder Reichstags-Ab⸗ geordneter sein, noch an einer politischen Zeitung betheitigt sein, noch überhaupt ein Amt bekleiden, welches mit seiner Beamtenstelle unvereinbar ist.

Großbritannien und Irland.

Im Oberhause brachte am Freitag Earl Wemyß den großen schottischen Eisenbahnstrike zur Sprache und richtete an die Regierung die Anfrage, ob sie in Zukunft die— jenigen Arbeiter zu schützen gedenke, welche Willens seien, zu arbeiten. Der Sekretär für Schottland, Marquis Lothian erklärte, daß die Regierung ihr Möglichstes gethan habe, um Ausschreitungen zu verhindern; welche Maßregeln sie aber in Zukunft ergreifen werde, hänge wesentlich von den Vorschlägen der Königlichen Kommission zur Untersuchung der Ar— beiter frage ab.

Viel Aufsehen macht in der politischen Welt das Wieder— auftreten von Sir Charles Dilke als Parlamentskandidat in dem vorwiegend von Grubenarbeitern bewohnten Wahl— distrikt Forest of Dean.

Die Wahlen in Canada haben, so schreibt die, Times“, dem canadisaen Premier Sir John Macdonald zum vierten Mal nach einander eine Mehrheit im Parlament gegeben. Weise dieselbe auch einen nicht unbedeutenden Rückgang, etwa um die Hälfte gegen das letzte Mal, auf, so sei sie mit 25 Stimmen immerhin stark genug, um der Regierung in einem Hause von 215 Abgeordneten in allen wichtigen Fragen zum Siege zu verhelfen. So verächtlich das Hauptblatt der kanadischen Opposition von diesem „mageren“ Gewinn spreche, so könne Sir John mit seinem Erfolge wohl zufrieden sein, besonders wenn man berücksichtige, welche Waffen die Mac Kinley-Bill und die scheinbare Bereitwilligkeit der republi⸗ canischen Partei in den Vereinigten Staaten zu dem Abschluß eines Gegenseitigkeitsvertrages mit Canada den Liberalen in ihrem Kampfe gegen die „nationale“ Partei geliefert hätten. Mit der Niederlage der Opposition dürfte, meint die „Times“, auch der Eifer erkalten, wel— chen die Freunde derselben in den Vereinigten Staaten an den Tag gelegt hätten. Senator Frye von Maine habe dies sehr offen in Washington ausgesprochen, indem er er— klärte: Die bloße Thatsache, daß die Liberalen Stimmen gewonnen haben, sei ohne jeden Belang. Wenn, was nicht unwahrscheinlich, die Härte des Mac Kinley-Tarifs sehr bald gemildert werde, so würden die Bewohner Canadas sich von der Meinung, daß sie Gegenseitigkeit um jeden Preis haben müßten, bekehren und die Reihen der Anhänger der Regierung dementsprechend verstärken.

Frankreich.

Paris, 9. März. Der kommandirende General des VII. Armee Corps hat der „Straßb. Post“ zufolge den Auftrag erhalten, einen Ordnungs- und Ehrendienst für die Zeit der Anwesenheit der Königin von England in Grasse anzu— ordnen. Der Dienst wird von einem Jäger⸗Bataillon ver⸗ sehen. Die in Antibes stehende Regimentsmusik geht nach Grasse, um zu Ehren der Königin Concerte zu geben.

Die russische Regierung hat die französische von der be— vorstehenden Ankunft des Großfürsten Georg in Algier unterrichtet.

Der Handels-Minister hat laut Meldung des „W. T. B.“ 60 000 Franes für die von kooporativen Arbeitern und Produktionsgenossenschaften projektirte Pariser Arbeits⸗ ausstellung bewilligt.

In den Bureaux der Kammern wurde am Sonnabend die Budgetkommission gewählt. Unter den Gewählten befinden sich Burdeaux, Pelletan, Casimir Périer, Sarrien, Brisson ꝛc. Die Rechte zählt 2 Vertreter, die Radikalen 10 und die Republikaner 21, Mitglieder nehmen das Budget an, insbesondere, den Gesetzentwurf, betreffend die Steuerentlastung, jedoch stimmen alle darin überein, neue Ersparungen herbeizuführen, nament⸗ lich in der Verminderung der Gerichtskosten. Casimir Perier wir) voraussichtlich zum Präsidenten der Kommission gewählt werden.

Der Deputirte Paulmier brachte am Sonnabend eine Interpellation ein Betreffs der Konsequenzen des Kammervotums für die Pferdezucht und wird heute die sofortige Berathung der Interpellation verlangen. Wie der „Temps“ meldet, dürfte die Regierung Betreffs der Renn⸗ wettfrage heute erklären, sie wolle den Totalisator und die Buchmacher auf den Turfplätzen dulden, die Ein⸗ hebung der zu Wohlthätigkeitszwecken entfallenden Abgaben solle aber nicht mehr dem Staate, sondern den Gemeinden ob⸗

Sämmtliche

liegen. Der Ackerbau⸗Minister solle durch ein Spezialgesetz ermächtigt werden, den Turfvereinen die Abhaltung von Rennen zu gestatten und deren Geldgebahrung zu kontroliren. Die gestrigen Rennen in Auteuil verliefen, nachdem bei Beginn zwei Personen, welche „nieder mit Constans“ gerufen hatten, verhaftet worden waren, ohne weitere Zwischenfälle.

Der Präfekt der Gironde empfing, wie aus Bordeaux gemeldet wird, zwei Abordnungen von Ar⸗ beitern in Oelfabriken, welche sich über die in dem Zolltarifentwurf vorgesehenen Zölle auf Erdnüsse und Sesam beschwerten, sowie eine Abordnung von Brennerei Arbeitern, die gegen die Zölle auf Mais, Reis und Melasse Verwahrung einlegten. Die Abordnungen erklärten, diese Zölle würden ihre Gewerbe zu Grunde richten. Nach einer Meldung des „Temps“ aus Bordeaux hat die große Spiritusbrennerei von Saint-Remi in Folge des von der Zollkommission vorgeschlagenen Zolles auf Mais die Arbeit eingestellt.

Aus St. Louis am Senegal wird von einem am 24. Fe—⸗ bruar stattgehabten Gefecht bei Dieua am Niger berichtet. Die Rebellen verloren 600 Todte, darunter deren Anführer. Von den Truppen wurden 11 Tirailleure getödtet und mehrere verwundet. Weitere Einzelheiten fehlen noch.

Italien.

Aus Rom vom 8. März wird der „Mgdb. Zig.“ be— richtet, daß der König sich bereit erklärt habe, auf 4 Mil⸗ lionen der Civilliste zu verzichten, daß der Ministerrath jedoch diesen Verzicht abgelehnt habe.

Dem Vertreter des Devpeschenbureaus „Herold“ in Rom wurde mitgetheilt, daß in Massovah schreckliche und schänd—⸗ liche Verbrechen gegen begüterte Eingeborene begangen worden seien. Die Regierung habe jedoch die Ueberzeugung gewonnen, daß diese Ungeheuerlichkeiten nicht der Verwaltung im All— gemeinen, sondern nur einzelnen Persönlichkeiten zur Last fielen, welche das Vertrauen des Militärkommandanten der Kolonie schwer mißbraucht hätten. Soweit bisher festgestellt werden könne, schienen die Schuldigen, außer einigen Arabern, Feinden Mussa⸗el-Akkads, ausschließlich der frühere Carabinieri Lieutenant Lipraghi und der bereits verhaftete Sekretär Cagnassi zu sein. Die Erklärungen, welche der Minister-⸗Prä— sident di Rudini aus Anlaß einer Interpellation Colajanni's von der äußersten Linken in der Kammer abgegeben hat, und die in dem Sinne lauteten, daß die Affaire äußerst schwerwiegend sei und thatsächliche Verbrechen vorgekommen seien, sodaß einige Italiener dort sich des itallenischen Namens unwürdig gezeigt hätten, vermehren den Eindruck der Enthüllungen, die Livrgghi in einer an den Kriegs-Minister gerichteten Denk— schrift gemacht hat. Rudini versprach unter scharfen, beifällig aufgenommenen Worten strenge Untersuchung.

Im Einverständniß mit dem Minister-Präsidenten hat der Abg. Plabano in der Kammer den Antrag eingebracht, es solle erklärt werden, daß die Kammer das Programm des Ministeriums billige. Die Debatte darüber muß mit einem Vertrauens- oder einem Mißtrauensvotum enden. Kommt es zu letzterem, so wird Rudini, wie es heißt, beim König die Auflöfung der Kammer erwirken. Der Antrag soll noch in dieser Woche zur Berathung kommen.

Portugal.

Eine von den konservativen Cortes-Mitgliedern abgehaltene Versammlung beschloß, wie dem „W. T. B.“ aus Lissabon vom Sonnabend mitgetheilt wird, das Kabinet de Serpa Pimentel auch ferner zu unterfstützen, und er— klärte, daß die Finanzoperation, die den Gegenstand der Berathungen der Cortes bilde, zwar eine nicht gerade besondere Befriedigung erweckende sei, daß sie gleichwohl aber, Falls sich nicht eine bessere Lösung finden sollte, von den Cortes ge— nehmigt werden müsse.

Luxemburg.

Luxemburg. 7. März. Heute Morgen überreichte, wie die „Luxb. ig. merdet, der Gesandte Rußlands in Brüssel, Fürst L. Urusoff in feierlicher Audienz dem Großherzog die ihn beim hiesigen Hofe akkreditirenden Briefe. Zu Ehren des Gesandten findet heute Abend im Palais ein Galadiner statt. Wie die „Ind. belge“ meldet, wird Baron d'Anethan, der belgische Minister im Haag, wahrscheinlich mit der Vertretung des Nachbarlandes beim Großherzoglichen Hofe betraut werden.

Danemark.

Zwischen der Regierung, der Oppositionspartei und der Rechten wurden am Sonnabend Abend Verein— barungen getroffen über die Errichtung eines Freihafens in Kopenhagen, die Aufhebung der Schiffahrtsabgaben, die theilweise Aufhebung bezw. Erleichterung der Steuer auf Zucker und Petroleum und über ein' Gesetz, die Altersversorgung mit einem Staatezuschuß von ährlich 2 Millionen.

Amerika.

; Vereinigte Staaten. Staatssekretär Blaine erklärte, dem N. B.“ zufolge, in einer mit einem Berichterstatter ge⸗ PFlogenen Unterredung, daß er nichts über den Ausfall der canadischen Wahlen zu sagen habe. Vielleicht aber sei das eine Wort angebracht, daß die Regierung des Präfidenten Harrison kein Interesse an den Wahlen habe und ihr das Er— gebniß völlig gleichgültig sei. Das Interesse der Minister an demselben sei noch geringer gewesen, als das der Canadier an den Wahlen in den Vereinigten Staaten.

. Kriegs sekretãr Proctor hat einen Armeebefehl er— lassen, worin er befiehlt, 2006 Indianer in das Heer der Vereinigten Staaten einzustellen.

Chile. Eine Depesche des, W. T. B.“ aus Iqui que meldet: die Truppen der Kongreßpartei hätten die Regierungstruppen bei Pozo al Monte, 25 Meilen von Iquique, geschkagen. Die ganze Provinz Tarapaca sei jetzt in der Verwaltung der Kongreßpartei. Die Ruhe in Iguique sei wieder hergestellt. Wie über Lima berichtet wird, sei eine große Menge von Lebensmitteln und Schlachtvieh von Callas nach Iquique gesandt worden. Der Hafen von Arica sei gegenwärtig blockirt. —⸗

San Salvador. Der National⸗Ko hat, wie man der „Frkf. tg.“ unter der die Wahl des Generals C. Szeta zum Präsidenten der Republik für vier Jahre und diesenig; feines Bruders Antonio zum Vize-Präsidenten best tigt. Lande herrsche Ruhe.

reß von Salvador 5. d. M. meldet,

Afrika.

Egypten. Nach einer Meldung des „R. B.“ aus Suakim verlas General Grenfell dort am Sonntag vor einer großen Versammlung von Scheikhs aus fast allen Theilen des Landes eine Depesche des Khe dive, in welcher eine allgemeine Amnestie verkündigt wird. Die Pro— klamation des Khedive warde von den Eingeborenen mit großem Enthusiasmus aufgenommen.

Varlamentarische Nachrichten.

In der heutigen (84) Sitzung des Reichstages, welcher die Staatssekretäre Dr. von Boetticher, Freiherr von Maltzahn, Freiherr von Marschall und Hollmann beiwohnten, theilte der Präsident zunächst mit, daß der Vertrag mit Dänemark, betr. die Aufhebung des Abschosses und Abfahrtgeldes, eingegangen sei.

Darauf fand die Abstimmung über den zu Titel 15, 17 und 26 gestellten Antrag von Manteuffel statt.

Die drei Positionen, welche die ersten Raten für zwei Panzerfahrzeuge „s“ und „U“ und für artil— leristische Ausrüstung derselben je 1 Million Mark verlangten, wurden an die Budgetkommission verwiesen, die erste Rate für das Panzerfahrzeug „L“ einstimmig abgelehnt. Im Uebrigen wurde ohne Debatte der Rest des Extragordinariums des Marine-Etats nach dem Vorschlage der Kommission erledigt, und zwar wurden folgende Ausgaben gestrichen:

500 000 M erste Rate zum Bau des Kreuzers F,

1 Million Mark erste Rate zum Bau des Avisos H,

S00 000 6 erste Rate zur artilleristischen Armi— rung der Kreuzerkorvetten J und K,

110090 „6 zur artilleristischen Armirung des Avisos H,

214 9000 6 von der Forderung von 1435 000 S als zweite Rate zur Ausrüstung und Armirung von Kriegsschiffen zum Gebrauch von Torpedos,

69 000 S zur Beschaffung eines eisernen Ver— schlußpontons für die Helling J auf der Werft zu Danzig.

100 000 46 erste Rate zur Herstellung einer elektrischen Beleuchtungsanlage auf der Werft zu Danzig.

Die Ausgaben für das Ober-Kommando der Marine, 1025000 6, werden unter folgender von der Kommission vorgeschlagenen Form bewilligt: Zur Erwerbung eines Dienst— gebäudes für das Reichs⸗Marineamt, das Marinekabinet und das Ober-Ksmmando der Marine 1025000 S (Die fettgedruckten Worte sind zugesetzt; (Schluß des Blattes.)

In der heutigen (52) Sitzung des Hauses der Ab⸗ geordneten, welcher der Minister des Innern Herrfurth und der Finanz-Minister Dr. Miguel beiwohnten, wurde die zweite Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend die Gewerbe—⸗ steuer, fortgesetzt, und zwar bei 8. 5, der nach dem Vorschlag der Kommission lautet:

Vereine, eingetragene Genossenschaften und Korporationen, welche nur die eigenen Bedürfnisse ihrer Mitglieder an Geld, Lebensmitteln und anderen Gegenständen zu beschaffen bezwecken, sind der Sewerbesteuer nicht unterworfen, wenn sie satzungs gemäß und thatsächlich ibren Verkehr auf ihre Mitglieder beschränken und keinen Gewinn unter die Mitglieder vertheilen, auch eine Ver— theilung des aus dem Gewinne angesammelten Vermögens unter die Mitglieder für den Fall der Auflösung ausschließen.

Falls Konsumvereine einen offenen Laden halten, unterliegen sie der Besteuerung, ebenso unter derselben Voraussetzung Konsum⸗ anstalten, welche von gewerblichen Unternehmern im Nebenbetriebe unterhalten werden.

Molkereigenossenschaften, Winzervereine und andere Vereini— gungen zur Bearbeitung und Verwerthung der selbstgewonnenen Erzeugnisse der Theilnehmer unterliegen der Gewerbesteuer nur unter denselben Voraussetzungen, unter welchen auch der gleiche Geschäftsbetrieb des einzelnen Mitgliedes hinsichtlich feiner selbst— gewonnenen Erzeugnisse der Gewerbesteuer unterworfen ist. WVersicherungsgesellschaften auf Gegenseitigkeit sind der Gewerbe⸗ steuer unterworfen.

Hierzu lagen Anträge der Abgg. Parisius, Robert— Tornow, von Itzenplitz und von Tiedemann (Bomst) vor.

Abg. vom Heede erklärte sich gegen die Gewerbesteuer der Konsumvereine, welche einen Gewinn vertheilen. Die Steuer würde die Konsumvereine veranlassen, um jeden Ge— winn zu vermeiden, so billig als möglich zu verkaufen, und hierdurch würden die kleinen Händler erst recht geschädigt werden.

Abg. Dr. Ham mache trat für den Kommissionsbeschluß ein und bezeichnete die Forderung der Steuerfreiheit für

betreffend!

Im ganzen

Konsumvereine als eine Uebertreibung des Grundsatzes, daß geme unühige Anstalten nicht steuerpflichtig sein sollen. Der Czaeral-Direktor der direkten Steuern Burghart

aer überhaupt nicht für etwas so Erhebliches, daß

sie auf de Entwickelung des Genossenschaftswesens von wesenll hem Einfluß wäre. Der Genossenschaftsbetrieb in seinem gegenwärtigen Umfang sei zumeist auf die Erzielung möglichst hoher Dividende angelegt, es handle sich also um reine . Im Uebrigen empfehle sich im ersten Absatz die Wiederherstellung der Regierungsvorlage und außerdem die Streichung des letzten Absatzes Betreffs der Ver— sicherungsgesellschaften auf Gegenseitigkeit.

Nachdem die Abgg. Parisius, Eberhard, Robert— Tornow und von Itzenplitz ihre Anträge begründet hatten und nach weiteren kürzeren Ausführungen der Abgg. Dasbach, . (Krefeld) und Lückhoff wurde die Diskussion ge—

ossen.

„ö wurde unter Streichung des letzten Absatzes mit den beiden von dem Abg. von Tiedemann (Bomst) beantragten redaktionellen Aenderungen:

Im er sten Absatz:

Der Gewerbesteuer sind ferner nicht unterworfen: Vereine, ein⸗ getragene Genossenschaften und Korporationen, welche nur die eigenen Bedürfnisse ihrer Mitglieder an Geld, Lebensmitteln und anderen Gegenständen zu beschaffen bejwecken, wenn sie u. s. w. wie in den Beschlüssen der Kommission.

Im zweiten ö

Konsumvereine mit offenem Laden unterliegen der Besteuerung ebenso u. s. w. wie in der Vorlage.

in der Fassung der Kommission angenommen.

Auf Antrag des Abg. Dr. Hammacher wurde mit Rücksicht auf die Reichstagsverhandlungen die Berathung vertagt. .

Schluß 2 Uhr.

Beim Reichstage ist durch den Abg. Gamp sol— gender Antrag eingebracht worden: die Petit ionen, welche gegen den börsenmäßigen Terminhandel mit Nah— rungs mitteln ec. gerichtet und von der Kommission für die Petitionen als zur Erörterung im Plenum nicht geeignet erachtet sind, zur Verhandlung im Plenum zu ziehen.

Die Budgetkommission des Reichstag es berieth heute die Resolution Richter, daß die Reisekosten der Beamten nicht nach Kilometeranzabl, sondern nach den Fahrkartenbeträgen be⸗ rechnet wärden. Als Referent fungirte Abg. Oabn. Nach längerer Debatte änderte Abg. Richter seinen früberen Antrag dahin: Der Reichstag wolle beschließen, die verbündeten Regierungen zu ersuchen, die Reglements in Betreff Vergütung der Reisekosten den ver änderten Verbältnissen entsprechend einer Revision zu unterzie ben und bierbei für die Dienstreisen, welche auf Eisenbabnen oder Damrf— schiffen zurückgelegt werden, an Stelle der Kilvmetergelder die Be— träge für die Fahrkarten zu vergüten. Dieser Antrag wurde ein— stimmig angenommen.

Dem Herrenhause ist der Entwurf des Einkommen—⸗ steuergesetzes in der vom Hause der Abgeordneten ange— nommenen Fassung zugegangen.

Theater und Mufik.

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rzog und Re

Das unter den Auspicien des Grafen von Hochberg von der Königlichen Kapelle vorbereitete Abend-⸗CKoncert zur Gedächtniß— feier für den verstorbenen Ober-Kapellmeister Taubert wird am 28. März im Opernhause stattfinden. Der Ertrag ist für ein Grabdenkmal des Komponisten bestimmt. Berliner Theater.

Das Schauspiel Arbeit“ (The Middleman) vo Arthur Jones, welches vorgestern in der Uebersetzun W. Wulff zum ersten Mal in Scene ging, ist ein auf Wirkungen berechnetes Theaterstück, das immerhin den Beifall ein anspruchslosen Publikums gewinnen kann. Die rorgestrige Aufführung fand faft widerspruchslosen Beifall des vollbesetzten Haufes, allerdings wohl nur um der meisterhaften Wiedergabe willen, welche die Hauxt— rolle des Stücks durch Hrn. Arthur Kraußneck erfuhr

Im Beginn des S daß der Verfasser es auf die Entwicklung eines ernsten Problems abgeseben habe. in welchem eine Erörterung der feinerer Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer das ausschlag gebende Moment bilden würde; aber zu einer solchen Auseinandersetzun läßt es der Verfasser überhaupt nicht kommen; nur der Kampf zwische Habsucht, Selbstsucht und Gewissenlosigkeit auf der einen Seite un der mit unermüdlichem Streben verbundenen Intelligenz eines prä

destinirten Erfinders auf der andern Seite gelangt dramatisch zu eine Entscheidung, bei welcher nach alten bewährten Recepten der endlich Sieg nach vielem Ungemach der Tugend und dem überlegenen Geist zufällt. Schon vom jweiten Akt ab konzentrirt sich das Intereffe de Zuschauer so ganz auf die Person des Erfinders Rober Duncan, daß alle kleinen Mittel, die Theilnabme die übrigen Personen durch einen launigen Dialog durch scenische Ueberraschungen zu erwecken, völlig versagen. Allerdings thut in dieser Beziehung der Mangel an Charakterisirungs— vermögen, welchen der Verfasser verräth, der Wirkung umsomehr Äb— bruch, als die Handlung sich in der Gestalt, wie wir sie vorgestern sahen, häufig sprungweise fortsetzt und wesentliche Mittelglieder durch die Phantasie der Zuschauer ersetzt werden muüssen. So kann man sagen, daß neben einigen wohlgelungenen Epissden viele ermüdende Tiraden den raschen Gang der Handlung aufhalten.

Joseph Foster ist durch die Erfindung einer neuen prachtrollen Porzellanglasur, die sein Werkmeister Robert Duncan erfonnen bat, zu großem Reichthum gelangt. Er schätzt den Erfinder als Arbeiter sehr hoch, hält ihn aber gesellschaftlich für nicht hinreichend würdig, um seine Einwilligung zu der nothwendig gewordenen Verbindung seines Sohnes mit der Tochter Duncan's zu geben. Der Sobn Alfred, ein Garde -Kapitän, soll vielmehr die Tochter eines ver— armten Lords heirathen, durch dessen Vermittlung Foster ins Parla— ment zu kommen gedenkt. Um der verhaßten Heirath zu entgehen, verläßt Alfred England und will heimlich im Auslande sich mit feiner Geliebten vermählen. Der Vater vernichtet einen Brief, der Duncan's Tochter zu seinem Sohn beruft; die Tochter flieht und Findet auf allerdings unklare Weise ibren Bräutigam, mit dem sie am Ende des Stückes vermäblt zurückkehrt. In der Zwischenzeit hat Duncan, der das Schicksal seiner Tochter erfahren und sich in dem Glauben befindet, die Tochter Mary sei in den Tod gegangen, als Werkjeug seiner Rache und mit Einsetzung der letzten Kräfte und letzten Mittel eine neue Erfindung gemacht, welche die frühere in den Schatten stellt. Jett wird Duncan reich, Foster verarmt; Duncan erwirbt den Landbesitz, das Schloß und die Fabrik Foster's, der bettelarm sein Heim verlassen soll. In diesem entscheidenden Moment kehrt natürlich der Kapitän mit Marx Duncan zurück und Alles endet in schönster Harmonie, zumal auch Duncan's zweite Tochter Annie, welche dem Vater in den trübsten Tagen zur Seite gestanden bat, in dem Former Pegg einen jungen und treuherzigen Gatten gefunden hat.

Die im Mittelpunkt der Handlung stehende Person des Er— finders Duncan wurde von Hrn. Kraußneck zu einer durchaus lebensvollen und glaubhaften Gestalt herausgearbeitet. Alle einzelnen Momente, welche ihr Eigenart und Farbe gaben, waren treffend. Die Zerstreutheit des Sinnenden, die Gleichgültigkeit gegen alle Vorgange um ihn, bis auf den Schmerz Über das herbe Un—Q— glück seiner Tochter, welcher seine Seele zerreißt, die beftigen Ausbruͤche dieses Schmerzes, wenn die Verschulder seines Unglücks sich ihm nahen, die Hast und Leidenschaft, welche in allen seinen Be— wegungen liegt, stellten einen Mann zusammen, dem man das un— überwindliche Streben zur Befriedigung seines Hasses zutrauen konnte. Alle übrigen Personen waren schaufpielerisch von bedeutend geringerem Interesse. Hr. Paul Nollet vermochte aus dem Fabrikbesitzer oster nicht mehr als eine Alltagsfigur zu machen; auch Hr Theodor Weiß hatte als Geschäftsführer bei Foster nur im ersten Akt Ge— legenheit, sich etwas mehr hervorzuthun. Außerdem können wir nur noch Frl. Odilon (Duncan's Tochter Annie) mit Anerkennung er wäbnen, welche sie in den kleinen Liebesscenen mit dem Former Pegg, den 8 Schindler recht wirksam darstellte, erwarb. .

er laute Beifall galt, wie erwähnt, fast ausschlieslich der Kunst⸗ leistung Kraußneck's, von der man nur bedauern kann, daß sie nicht als Theil eines werthpolleren Stückes zu einem ungestörten Kunst⸗ genuß führte. Schließlich mischte sich in den Beifall laute Orvosition, aber Hr. Kraußneck wurde wiederholt vor die Gardine gerufen.

Seine Hoheit der Erbprinz und Ihre Königliche Hobeit die Erb— vrinzessin von Sachsen⸗Meiningen beehrten am Freitag das Berliner Theater zur Vorstellung der Räuber“, sowie die erste Wiederholung des Schauspiels „Arbeit am Sonntag mit ihrem Besuch.

Friedrich ⸗Wilhelmstädtisches Theater

Ludwig Held, der Verfasser des „Vogelhändler“ ⸗Librettos, ist durch den großen hiesigen Erfolg der Operette von Wien nach Berlin gelockt worden und konnte sich gestern als Besncher des wieder auf sämmtlichen Plätzen besetzten Hauses persönlich von dem zündenden Eindruck des Werkes bei

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