geringste Bedenken haben, im Gegentbeil, ich würde es mit auf— richtiger Freude begrüßen, wenn es der Verwaltung gelänge, auch Personen, die aus dem Arbeiterstande hervorgegangen sind, in diese Stellung unter den gegebenen Voraussetzungen zu bringen.
Nun, meine Herren, ist ein wesentliches Bedenken gegen die ge—⸗ plante Organisation geltend gemacht worden Seitens des Hrn. Abg. Dürre, nämlich bezüglich der Kombination der Dampf⸗ kesfelrerision mit der Stellung der Fabrik Inspektoren. Er hat selbst die Gründe bezeichnet, die für die Regierung maßgebend ge— wesen sind bei diesem Vorschlage, nämlich erstens den finanziellen Grund — es handelt sich etwa um eine Summe von 450 000 M' —, zweitens die technische Befähigung der betreffenden Beamten, drittens die Zeitersparniß, die durch die Verbindung dieser beiden Funktionen erzielt wird, und endlich die Verminderung der Aufsichts⸗· instanzen für die betreffenden Gewerbtreibenden. Meine Herren, mir will doch scheinen, als ob diese Gründe wenigstens heute, wo wir im Begriff sind, diese Neuorganisation vorzunehmen, als ausschlaggebend anzusehen sind. Es ist ja gar nicht gesagt, daß, wenn sich im Laufe der Zeit herausstellt, daß die Ver⸗ einigung dieser Funktionen in der That zu großen Mißständen führt und namentlich die richtige Handhabung des Amts des Fabrik · Inspek⸗ tors erschwert, man dann von dieser Gestaltung nicht wieder abgeht. Eine Loslösung wird nicht die allermindeste Schwierigkeit haben; Sie können sie in jedem Augenblick ebenso gut machen, wie heute. Ich möchte aber erwähnen, daß das Interesse an dieser Gestaltung der Dinge weniger das der Gewerbeverwaltung als das der Finanzverwaltung, und besonders das der Gewerbtreibenden, die an dieser Frage doch sehr lebhaft betheiligt sind, ist. Denn so wird die Sache sich doch nicht gestalten, daß die Fabrik⸗Inspektoren nur alle zwei Jahre eine Fabrik revidiren und alle zwei Jahre auch nur Dampfkess elrepisionen vorgenommen werden; es kann vorkommen, daß eine Zabrit noch seltener inspizirt wird, aber auch, daß eine Fabrik nicht einmal in zwei Jahren, sondern fünfmal in einem Jahre revidirt wird und vielleicht noch öfter.
Also diese Frage der Kombination dieser beiden Funktionen hat für den Gewerbtreibenden in der That doch meines Erachtens einige Bedeutung. Für die Fabrik⸗Inspektoren selbst ist sie doch aber auch nicht ohne jede Wichtigkeit. Ich meine, es ist in hohem Grade wünschenswerth, daß derjenige Beamte, der den Arbeiterschutz aus⸗ zuüben und zu überwachen hat, mit dem Faktor, der sebr wesentlich dabei in Frage kommt, mit dem Dampfkessel, auf das Intimste ver⸗ traut ist, und das wird demjenigem Fabrik -⸗Inspektor, der die Aufgabe hat, den Kessel zu revidiren, selbstverständlich leichter sein, als dem, der mit der Kesselrevision garnichts zu thun hat. Die finanzielle Seite der Frage ist auch nicht zu unterschätzen, und ich glaube, der Herr Finanz⸗Minister würde wenig geneigt sein, dem zuzustimmen, daß die Einnahmen, die immerhin beinahe eine halbe Million betragen, gestrichen werden und statt deren eine neue Kategorie von Beamten geschaffen wird die vielleicht noch theurer sein werden, als diese halbe Million. Damit ist ja der Hr. Abg. Dr. Dürre auch einverstanden, daß nicht der Kreisbaubeamte die Kesselrevision vor⸗ nehmen soll. Es bleibt also nichts weiter übrig, als daß spezielle Techniker bestellt werden, die nichts weiter zu thun haben, als die Dampfkesselreviston vorzunehmen. Dieser Gedanke hat bereits dieses hohe Haus früher beschäftigt; wenn ich nicht irre, ist im Jahre 1887 eine Vorlage von der Staatsregierung dem Hause vorgelegt worden, wonach die nur mit der Kesselrevision betrauten Beamten erheblich vermehrt werden sollten, und ich glaube, es handelte sich um eine Zahl von etwa 40 Beamten. Damals war dieses hohe Haus mit diesem Gedanken absolut nicht einverstanden, man lehnte ihn ab und betonte namentlich dabei, daß diese Zahl von 40 eine viel zu kleine sei, um die Kesselrevisionen überall in genügender Weise vorzunehmen. Sie mögen sich daraus ein Bild machen, daß es sich hier um eine gar nicht unerhebliche neue Ausgabe handelt; ich möchte behaupten, daß, wenn die speziellen Beamten für die Kesselrevisionen angestellt würden, sie auf die Zahl von 120 bis 150 kommen würden, wenn das als hinreichend anzusehen ist.
Ein weiteres Bedenken ist zwar nur gestreift worden, ich möchte ihm aber doch einige Worte zuwenden; das ist die Stellung der Dampfkessel ⸗Revisions vereine. Die preußische Staats⸗Regierung hat diesen Vereinen von Anfang an mit der größten Sympathie gegen⸗ übergestanden und thut es auch heute noch. Sie ist der Ueberzeugung, daß sich in diesen Dampfkessel⸗Revisionsvomreinen ein außerordentlich glückliches Institut herausgebildet hat, das namentlich den großen Vorzug hat, eine Reihe von rorzüglich ausgebildeten Spezialtechnikern erzogen zu haben. Das erkennen wir voll an. Und aus dieser Anerkennung mögen Sie schließen, meine Herren, daß der Gedanke uns völlig fern liegt, den Dampfkessel⸗ revisions⸗Vereinen zu nahe zu treten. Bis auf den heutigen Tag ist die Verbindung zwischen Dampfkesselrevisions Vereinen und dem Handels ⸗Ministerium eine außerordentlich lebendige, und ich kann zu meiner Freude konstatiren, daß vor nicht langer Zeit der Vorsitzende dieser Vereine mit mir verhandelt hat über eine Frage, die für die Industrie von der allergrößten Bedeutung ist, über die Frage der Rauchverbrennung, die diese Vereine zum Nutzen nicht nur unserer Industrie, sondern vor allen Dingen unserer Mitbürger, die in der Nähe einer industriellen Anlage wohnen, energisch in die Hand nehmen wollen. Ich erwähne dies nur, um meiner Achtung vor diesen Vereinen Ausdruck zu geben.
Ich glaube sonach, meine Herren, daß die Bedenken, die gegen die Neuorganisation der Gewerbeinspektion geltend gemacht worden sind, nicht als ausschlaggebend angesehen werden können. Ich habe dann nur noch dem Hrn. Abg. Ritter auf seine Frage eine kurze Antwort zu geben. Eine Rangerhöhung ist nur in Frage bezüglich der Gewerberäthe, nicht bezüglich der Gewerbe⸗Inspektoren, nur be⸗ züglich derjenigen Beamten, die am Sitz der Regierung arbeiten, die dem Präsidenten als Hülfsarbeiter beigegeben werden sollen, wie jeder andere Regierungsbeamte in der sogenannten Präsidialabtheilung und die wie andere technische Räthe Mitglieder des Regierungskollegiums werden sollen.
Die Gewerbeinspektoren werden erst das bekommen, was die Rerier⸗ beamten heute schon haben. Also meine ich, daß die Frage der Er⸗ höhung des Ranges für die Rexierbeamten augenblicklich nicht vor⸗ liegt. — Habe ich vielleicht falsch verstanden? Dann bitte ich um Entschuldigung, ich kann ja nachher korrigirt werden.
Die Frage der Abnahme der Kesselrevision von den Revierbeamten und die Uebertragung derselben an andere Stellen beschäftigt das Landels⸗Ministeriam auch schon seit längerer Zeit, zu einem Abschluß
sind wir aber noch nicht gekommen. Sie erfordert noch weitere Er⸗ wägungen. Vorbebaltlich derselben kann ich es aber nicht für unbedenklich balten, den Gewerbe⸗Inspektoren die Re⸗ vision der Dampfkessel auf der Grube zu übertragen; ob das richtig ist für einen Beamten, der mit den bergbaulichen Ver- hältnissen sonst gar nichts zu thun hat, der mit der Arbeiterfrage der Grube nicht beschäftigt ist, scheint mir doch recht zweifelhaft zu sein. Ich möchte heute nicht näher auf diese Frage eingehen, sie hat in der That eine sehr weittragende Bedeutung, ich beschränke mich daher auf die Bemerkung, daß die Abnahme der Dampfkesselrevision von den Revierbeamten und ihre Uebertragung an andere geeignete Kräfte in Erwägung genommen ist. Es könnte ja vielleicht so kommen, daß unter Aufsicht der Revierbeamten eine Kategorie von hervorragenden Maschinentechnikern herangezogen wird, die gewisse Funktionen bei der Kesselrevision, z. B. die innere Revision, vornehmen, während der Revierbeamte nur die äußere vornimmt. Ich glaube, daß ich damit die Fragen des Herrn Abgeordneten zur Genüge beantwortet habe. (Lebhaftes Bravo.)
Abg. Bachem giebt der Zustimmung des Centrums zu der Neuorganisation Ausdruck und spricht besonders den Wunsch aus, daß nicht Leute zu Fabrikinspektoren gemacht würden, die nicht auch Autzsicht hätten, Gewerberäthe zu werden; es würden sonst Fabrik- inspektoren ersten und zweiten Ranges bestehen.
Abg. Hitze spricht für die Vereinigung der Dampfkesselrevision
mit der Fabrikinspektion.
Abg. Porsch bringt den Nothstand der Weber im Eulengebirge zur Sprache und erwähnt, daß nach den eingehenden Erhebungen Seitens der Regierung der Handels⸗Minister mit den Abgeordneten der betreffenden Kreise die dortigen Verhältnisse genau erörtert habe. Der Minister habe die wohlwollende Berücksichtigung aller Wünsche zugesagt, und hoffentlich werde es gelingen, bezüglich der Weber verhältnisse zu einem gedeihlichen Resultat zu kommen.
Minister für Handel und Gewerbe Freiherr von Berlepsch:
Meine Herren! Einige wenige Worte halte ich mich doch für verpflichtet, dem hinzuzufügen, was der Herr Vorredner soeben aus— geführt hat, um nicht auch nur von Weitem den Anschein aufkommen zu lassen, als ob der Handels⸗Minister nicht die Verpflichtung fühlte, dieser sehr ernsten Weberfrage näher zu treten und alles das zu thun, was in seinen Kräften steht, um hier abzuhelfen.
Auf die Einzelheiten der Lage der Weber im Eulengebirge möchte ich heute nicht näher eingehen; die Presse hat sie ja reichlich be⸗ handelt. Ich möchte nur eins erwähnen.
Sowohl die örtlichen Behörden, wie die Provinzialbehörden, wie das Ministerium und wie endlich die sämmtlichen Herren Abgeord⸗ neten der betheiligten Kreise, die die Freundlichkeit hatten, meiner Einladung zu einer Besprechung zu folgen, befinden sich in der Auf⸗ fassung über die Situation in vollkommener Uebereinstimmung. Diese Uebereinstimmung geht dahin, daß die Aufwendung von Staatsmitteln zur direkten Unterstützung der schlesischen Weber nicht angezeigt ist (sehr richtig); sie geht weiter dahin, daß es Aufgabe der Staatsregierung ist, Mittel und Wege zu suchen, nicht, um einem außerordentlichen akuten Noth⸗ stand abzuhelfen, sondern dem chronischen Darniederliegen der Lebens verhältnisse eines größeren Kreises unserer Mitbürger. (Sehr richtig! Es handelt sich darum, neue Verkehrswege zu schaffen (Bravo!), es handelt sich darum, neue Nabrungsquellen ins Leben zu rufen, um einem zweifellos dem Tode entgegengehenden Industriezweig, dem der Handweberei, das Absterben möglichst zu er— leichtern. Wir gehen von der Auffassung aus, daß es erforderlich sein wird, wenn wir uns nicht dauernd einen solchen Nothstand konserviren wollen, dahin zu wirken, daß die Handweberei nach und nach in den dortigen Gegenden überhaupt aufhört. (Sehr richtig!
Drittens waren wir in Uebereinstimmung darüber, daß, bis es gelingt, diese nothleidenden Weberkreise in andere Berufsarten — auch die Landwirthschaft kommt dabei sehr stark in Frage — hinüberzuführen, dahin gestrebt werden muß, ihnen eine Be⸗ schäftigung zu schaffen, welche diese Leute heute allein verrichten können nach Lage ihrer Erziehung und der Entwickelung ihrer engeren Lebens⸗ verhältnisse.
In dieser Auffassung, daß diese drei Wege die gegebenen sind, daß sie nicht von heute zu morgen erledigt werden können, sondern Sie erst, wenigstens zum Theil, im nächsten Jahre eingehend beschäftigen werden, — in dieser Uebereinstimmung befinden sich alle Diejenigen, auf deren Urtheil in dieser Frage ein hervorragender Werth zu legen ist. (Bravo!)
Die Erhöhung des Gehalts der Aichungsinspektoren von durchschnittlich 2700 auf 3600 S6 beantragt die Kommission abzulehnen.
Referent Abg. Graf zu Lim burg-Stirum führt aus, daß die Gründe, welche für eine höhere Dotirung der Gewerbeinspektoren gesprochen hätten, hier nicht platzgriffen. Die Regierung möge im nächsten Jahre eine Gehaltserhöhung, wenn auch nicht im Umfange der hier beabsichtigten, vorschlagen.
Abg. Boediker tritt demgegenüber für die Bewilligung ein.
Minister für Handel und Gewerbe Freiherr von Berlepsch:
Meine Herren, ich bin dem Herrn Vorredner außerordentlich dankbar für die warmen Worte, die er im Interesse einer Beamten klasse gesprochen hat, die meines Erachtens einer Aufbesserung ihres Gehalts durchaus würdig und bedürftig ist. Ich bitte Sie mit ihm den Antrag der Budgetkommission abzulehnen und die Regierüngs— vorlage wieder herzustellen. Ich glaube, daß die Stimmung, die dazu geführt hat, den Antrag der Regierung auf eine Gehaltserhöhung der Aichungs⸗Inspektoren in Ihrer Kommission abzulehnen, im Allge— meinen auf der Auffassung beruht, daß es sich hier um eine Klasse von Subalternbeamten handle, die in ihren Leistungen nicht weit über das Maß dessen hinaus gehe, was man eben von einem technischen Subalternbeamten zu verlangen hat. Meine Herren, diese Auffassung ist meines Erachtens völlig unzutreffend. Der Aichungs ⸗Inspektor ist ein Provinzialbeamter; er untersteht direkt der Centralinstanz; zwischen ihm und dem Minister besteht keine Zwischeninstanz; er wirkt an dem Orte, an den er gestellt ist, obne jede Kontrolle, und aus dieser That⸗ sache geht für die Regierung die Nothwendigkeit hervor, in der Aus—⸗ wahl der betreffenden Personen sich außerordentlich zu beschränken, und nur solche Personen auszusuchen, die nicht nur technisch und wissenschaftlich genügend befähigt sind, sondern auch in ihrer ganzen Person eine absolute Garantie dafür bieten, daß sie auch ohne spezielle Auf⸗ sicht in der Erfüllung ihrer amtlichen Pflichten keiner anderen Be⸗ amtenkategorie nachstehen.
In welcher Weise, meine Herren, in anderen deutschen Staaten
die Stellung der Aichungs⸗Inspektoren aufgefaßt wird gestatte ich
mir, Ihnen klar zu stellen an dem Beispiel von Sachsen, Württem⸗ berg, Baden und Elsaß Lothringen. In Bayern sind besondere Ver⸗ hältnisse; dort ist die ganze Organisation der Behörden eine andere. Ich bin nicht in der Lage, das Nähere über dieselbe Ihnen mit⸗ zutheilen. In Sachsen besteht eine sogenannte Ober⸗Aichungs⸗Kom⸗ mission. Diese hat dieselben Funktionen wie bei uns der Aichungs⸗ Inspektor. Der Vorstand derselben ist ein Professor an der Technischen Hochschule; dann hat sie zwei Mit- glieder, ein juristisches und ein technisches, welches früher Gewerbe⸗Rath gewesen ist. Alle drei fungiren im Nebenamte. Die Gehaltsverhältnisse dieser Persönlichkeiten sind mir nicht bekannt, aber es unterliegt keinem Zweifel, daß von einem Gehalt von 2700 M im Durchschnitt nicht die Rede ist. Ich führe das Beispiel nur an, um zu charakterisiren, daß man in Sachsen an die Fnnktionen eines Aichungs⸗Inspektors doch erheblich höhere Ansprüche richtet, als sie von Subalternbeamten erfüllt werden können. In Württemberg hat der Aichungs⸗Inspektor als Techniker die Staatsprüfung abgelegt, er ist zugleich Mitglied der Centralstelle für Gewerbe und Handel, sein Gehalt beträgt 5040 M mit einem Wohnungsgeld⸗Zuschuß von Ao M Allerdings ist er in einem Nebenamt noch anderweitig be⸗ schäftigt. In Baden fungirt als Aichungs⸗Inspektor der Vorsteher der Münzverwaltung, welcher dort nicht voll beschäftigt ist, mit einem Gehalt von 52060 M und 620 ½ Wohnungsgeld ⸗Zuschuß, er rangirt mit dem Vorstand der Bezirksämter, — das sind die Landräthe bei uns — mit den Gymnasialdirektoren, den Landgerichtspräsidenten u. s. w. In Elsaß ⸗Lot hringen bezieht der Aichungs⸗Inspektor, welcher nichts weiter zu thun hat, als dieses Amt auszufüllen, 4800 M als Gehalt.
Meine Herren, Sie können doch daraus schließen, daß die Auf⸗ fassung, daß die Funktion eines Aichungs⸗Inspektors weit über den Funktionen steht, die von einem Subalternbeamten verrichtet werden, in unseren Nachbarstaaten vollauf anerkannt wird, und ich möchte den Wunsch aussprechen, daß wir uns in Preußen nicht auf den Stand punkt stellen, daß die Stellung und Aufgabe des Aichungs⸗Inspektors die eines Subalternbeamten ist.
Meine Herren, die Aufgaben der Aichungs⸗Inspektoren sind ja dreierlei; sie haben zunächst eine ständige Ueberwachung der im Veikehr befindlichen Maße, Gewichte und Waagen auszuüben, sie haben dann die Beaussichtigung der kommu⸗ nalen Aichungsämter vorzunehmen, und haben drittens die Lei⸗ tung des am Sitze der Inspektion befindlichen Haupt ⸗Aichungsamtes. Die Beaufsichtigung der Gemeinde ⸗Aichungsämter ist eine hervor⸗ ragende Aufgabe dieser Beamten, und das ist nicht eine so einfache Sache, wie es im ersten Augenblick erscheint. Die Zahl der Aichungs⸗ Aemter ist in einzelnen Bezirken außerordentlich groß; so hat z. B. der Aichungs-Inspektor in Köln 133 Aichungs ⸗Aemter zu revidiren, in Dortmund 63, in Kassel 62, in Breslau 48, in Berlin 42, in Magdeburg 41, in Königsberg 26. Bei diesen Revisionen hat der Aichungs⸗Inspektor fortgesetzt mit den städtischen Kommunal⸗ behörden zu verkehren, mit denen gemeinsam er die Aufsicht über das Aichungsamt führt. Die Interessen, die er zu vertreten hat, stimmen nicht immer mit den Interessen der städtischen Verwaltung, nament⸗ lich auf finanziellem Gebiete überein; es gehören daher zur richtigen Ausübung des Amts Personen, die es verstehen auch mit den Kommunal⸗ behörden großer Städte in richtiger Weise zu verhandeln. Sie müssen nicht nur die nöthige, administrative Vorbildung, sondern auch den nöthigen Takt und das nöthige Geschick haben. Das sind alles Dinge, die wir von einem Subalternbeamten mit einem Gehalte von 2700 S meines Erachtens nicht wohl verlangen können. Wie der Herr Vorredner erwähnt hat, existiren für die technische Vorbildung der Aichungs ⸗Inspektoren bestimmte Vorschriften nicht. Inzwischen bitte ich Sie, zu berücksichtigen, daß die betreffenden Beamten nicht nur eine technische, sondern auch eine wissenschaftliche Vorbildung haben müssen; auch der Herr Referent hat zugegeben, daß sie dieselben auf gewissen Gebieten nicht entbehren können, sie müssen in den Naturwissenschaften, in der Mathematik eine wissenschaft⸗ liche Vorbildung haben, ohne die sie nicht im Stande sind, ihres Amtes zu walten. Die Aichungs⸗Inspektoren haben die Aufgabe, die Aichmeister in ihrer Amtsführung zu kontrolliren, sie müssen denselben die technischen Vorschriften verständlich machen, daher auch deren wissenschaftliche Grundlage kennen, sie haben die Aich meister zu prüfen und die Bewerber für die betreffenden Stellen aus zusuchen. Ich behaupte, daß auch diese Funktionen nicht solche sind, die man von Subalternbeamten verlangen kann. Dann, meine Herren, liegt den Aichungs⸗Inspektoren die periodische Vergleichung der in den Händen der Aichungsämter befindlichen Aichungsnormale mit den Rormalmaaßen und Gewichten ob; über diese Ver⸗ gleichung müssen sie der Normal ⸗Aichungskommission ein⸗ gehenden Bericht erstatten, das sind zeitraubende und schwierige Arbeiten, die eine wissenschaftliche Vorbildung absolut er⸗ fordern, denn die Normal ⸗Aichungeskommission muß sie benutzen, um ihre weiter gehenden Aufgaben zu erfüllen.
Nun, meine Herren, die Gehaltsverhältnisse, wie sie jetzt be⸗ stehen, sind Ihnen bereits vorgeführt. Wir haben einen Beamten, der 3600 ½ bezieht, und von den sieben, die den Durchschnitt von 2700 S beziehen, steht einer auf der niedrigsten Stufe von 2400 ½ : einer auf der höchsten von 3000 S. Die Beamten stehen lange Jahre auf diesem Standpunkt, einer von ihnen bereits seit 1873, ohne vor⸗ wärts kommen zu können. Was jetzt von der Regierung gefordert wird, meine Herren, scheint mir weder über das Maß des Noth⸗ wendigen, noch über das Maß der Billigkeit hinauszugehen, und ich wiederhole die dringende Bitte, bewilligen Sie die hier erbetene Gehaltserhöhung für die Aichungs⸗Inspektoren. Wenn auch das Maximalmaß von 4800 S hoch erscheint gegenüber dem, was sie bisher gehabt haben, so bitte ich doch zu berücksichtigen, daß auf das höchste Maß immer nur einer dieser Beamten kommt, daß sie lange Jahre brauchen, ehe sie es erreichen, daß außerdem dieses Maximal⸗ gehalt nicht gegeben werden muß, sondern nur die äußerste Grenze dessen andeutet, was die Verwaltung geben darf, und die Bewilligung dieses Gehalts immer noch von Umständen abhängt, von der Anciennetät und von der Leistung des Beamten. Die Auffassung, daß mit der Bewilligung der erwähnten Erhöhung die Aichungs⸗ Inspektoren mit den Gewerbe⸗Inspektoren gleichgestellt werden, — die Beamten, welche selbständig an der Spitze eines großen Bezirks stehen, gegenüber Lokalbeamten, die unter Aufsicht eines Gewerberaths und eines Regierungs⸗Präsidenten stehen — ist nicht zutreffend. Sie sollen zwar das gleiche Maximalgehalt beziehen, im Durchschnitts⸗ gehalt steht aber der Aichungs ⸗Inspektor auch nach unserem Vorschlage
um 600 „ jährlich schlechter als der Gewerbeinspektor. Eine Gleich⸗
stellung liegt also nicht vor, und ich kann nur meine Bitte wieder⸗ holen, bewilligen Sie die hier erbetenen Gehaltsverbesserungen.
Die Abgg. von Stüve und Ludowieg treten ebenfalls für die Bewilligung ein.
Die Position wird darauf unverändert nach der Re⸗ gierungs vorlage genehmigt.
Der Etat des Ministeriums für Handel und Gewerbe ist damit erledigt, mit Ausnahme des Kapitels „Gewerbliches Unterrichtswesen“, welches bis zum Eingang der bezüglichen Denkschrift zurückgestellt wird.
Schluß 4 Uhr.
Parlamentarische Nachrichten.
Dem Herrenhause ist folgender Gesetzentwurf, be⸗ treffend die Ergänzung des Gesetzes bezüglich der ev an— gelischen Kirchen verfassung, nue ngen,
Artikel . An die Stelle der Bestimmungen unter Nr. 2 und 3 im Artikel 8 des Gesetzes, betreffend die evangelische Kirchen; verfassung in den acht älteren Provinzen der Monarchle, vom 3 Juni 1876 über die Rechte der vereinigten Kreissynoden der Haupt und Residenzstadt Berlin, treten nachstehende Vorschriften:
2) Anleihen aufzunehmen. Die Anleihen dürfen nur zur Errichtung neuer kirchlicher Gebäude ver— wendet werden. Zur Aufnahme bedarf es der Ge— nehmigung des Staats⸗Ministeriums.
3) Allgemeine Umlagen autzuschreiben und zwar; a. Behufs Ersatz für die Stolgebühren, b. zur Verzinsung und Abtragung der Anleihen, zur Gewährung von Beihülfen an ärmere Parochieen Behuftä. Befriedigung dringender kirchlicher Bedürfnisse. Soll die Umlage für die beiden letzteren Zwecke zehn Prozent der Summe der von den pflichtigen Gemeindegliedern jährlich an den Staat zu entrichtenden Personalsteuern (Klassen⸗ und Einkommensteuer) über ⸗ steigen, so bedarf es der Genehmigung des Staats Ministeriums, d. Behufs Berichtigung des Antheils aller Gemeinden an den Kreis, Provinzial, und General-Synodalkosten, sowie an den im Wege kirchlicher Gesetzgebung festgestellten Umlagen für provinzielle und landeskirchliche Zwecke. Die Umlagen muͤssen gleichzeitig in allen Gemeinden nach gleichem Maßstabe erhoben werden, und gilt für den Repartitionsfuß die Vorschrift des §. 31 Nr. 6 der Kirchen—⸗ gemeinde und Synodalordnung vom 10. September 1873. Auf die Beschlüsse über solche Umlagen findet Artikel 3 Absatz 3 und 4 des Gesetzes vom 25. Mai 1874 Anwendung.
4. Eine Synodalkasse für die Einnahme und Verwendung der ausgeschriebenen Umlggen und aufgenommenen Anleihen zu entrichten.
Artikel 2. In dem Regulativ für die vereinigten Kreis— synoden der Haupt ⸗ und Residenzstadt Berlin ist zu bestimmen, wie die von denselben zur Ausübung ihrer Rechte erforderlichen Be⸗schlüsse gefaßt werden, und ihre ordnungsmäßige Fassung Dritten gegenüber festgestellt wird.
Artikel 3. Weigern sich die vereinigten Kreissynoden, ge⸗ setzliche Leistungen, welche aus der Synodalkasse zu bestreiten sind, auf den Etat zu bringen, festzusetzen oder zu genehmigen, so findet Artikel 7 Absatz 2 und 3 des Gesetzes vom 3. Juni 1876 sinn—⸗ gemäße Anwendung.
Artikel 4. Mit dem Tage des Inkrafttretens dieses Gesetzes tritt das Gesetz vom 6. März 1882 außer Kraft.
In der Begründung heißt es:
Wiederholt schon haben die vereinigten Kreissynoden der Haupt⸗ und Residenzstadt Berlin auf Beilegung der Befugniß zur Aufnahme von Anleihen angetragen, um dadurch in den Stand gesetzt zu werden, dem vorhandenen kirchlichen Nothstand der Stadt nicht nur durch Gründung neuer Pfarrstellen, sondern auch durch Errichtung neuer kirchlicher Gebäude wirksamer abhelfen zu können. Nachdem auch das Haus der Abgeordneten beschlossen hat, eine Petition des Propstes und. Ober⸗Konsistorial-Raths D. Freiherrn von der Goltz um Be— willigung von Staatsmitteln zu gleichem Zweck der Staatsregierung mit dem Ersuchen zu überweisen, das Geeignete zu veranlassen, um die finanziellen Kräfte der evangelischen Kirchengemeinden und der evangelischen Bevölkerung Berlins in vollem Umfang für die Be⸗— seitigung der kirchlichen Nothstände nutzbar zu machen, hat die König⸗ liche Staatsregierung geglaubt, den früher gegen die Beilegung der Darlehnsfähigkeit an die vereinigten Kreissynoden Berlins hervor— ,, Bedenken keine weitere, Folge geben, vielmehr in vor— tehender Gestalt einen dahin gehenden Gesetzentwurf vorlegen zu sollen. Zum Nachweis des Beduͤrfnisses wird ausgeführt:
Der Voranschlag der vereinigten Kreissynoden für 1890,91 weist als Einnahmequelle neben einigen Ersparnissen aus den Vorjahren eine Umlage von 19 0,½ des Veranlagungssolls der klassifizirten Ein⸗ kommen⸗ und Klassensteuer ausschließlich der sechs untersten Stufen der letzteren mit einem Ertrage von rund 750 000 S6 auf. Dem gegenüber stehen Ausgaben im Gesammtbetrage von 775 100 4MÆ Die evangelische Bevölkerung in den 16 Außengemeinden Berlins wird gegenwärtig auf 8 — 900900 Seelen geschaͤtzt. Es sind dort zur Zeit vorhanden 44 geistliche Stellen. Werden als Maximalzahlen für die Seelsorge eines Geistlichen 5000, 8000 oder 10 000 Seelen angesehen, so würden in diesen Gemeinden 173, 108 oder 86 Geistliche vorhanden sein, also, da die Zahl der geistlichen Stellen in denselben zur Zeit 44 beträgt, 129, 64 oder 42 Stellen neu begründet werden müssen. Wenn diese Stellen zunächst auch nur nach dem Minimalsatz für Berlin mit 3600 S Gehalt und 1209 ½ Miethsentschädigung ausgestattet würden“), so ergiebt sich ein jährliches Erforderniß von 619 200 4A, 307 200 M oder 201 500 SM Diese Summen entsprechen etwa. 8 0so, 4 oso oder 2, C des für die Umlage der vereinigten Kreissynoden maßgebenden Veranlagungesolls der klassifizirten Einkommen und Klassensteuer. Hierzu treten noch die Bedürfnisse, die durch den weiteren Zuwachs der evangelischen Bevölkerung entstehen, welcher auftjährlich etwa 44 000 Seelen anzunehmen ist, und allerdings auch einen Zuwachs an Steuerkraft bedeutet.
Soll die Vermehrung der geistlichen Kräfte ihren Zweck erreichen, so muß, bis sich die Einrichtung einer entsprechenden Anzahl neuer Parochieen ermöglicht, zugleich eine Zerlegung der bestehenden Pa— rochieen in Seelsorgebezirke erfolgen. Die finanziellen Anforderungen, welche sich aus der Bildung solcher Seelsorgebezirke ergeben: für Miethe eines Bet und Konfirmandensaales, für die Anstellung eines Kirchendieners, für Orgelspiel belaufen sich auf 2300 „„, also für 129, 64 oder 42 Stellen auf 296 700 M1, 147 200 υ. und 96 660 , d. h. etwa 40lMo, 2 Co oder 13 G des für die Umlage der vereinigten Kreissynoden maßgebenden Vergnlagungssolls der klassifizirten Ein⸗ kommen und Klassensteuer. Diese Nebenkosten vermehren sich bei . neuer Parochieen statt der Seelsorgebezirke um noch etwa
M6
Es folgt daraus, daß schon allein durch die unumgänglich noth—⸗ wendige Vermehrung der Geistlichen die Steuerkraft der evangelischen Einwohnerschaft Berlins derart angespannt werden muß, daß von
dem jährlichen Umlageertrage für die Erbauung neuer Kirchen nur wenig übrig bleibt. ;
Es sind bis jetzt von den vereinigten Kreissynoden zu Neubauten von Kirchen flüssig gemacht: 1887/88 50 000 „M, 1888/88 1090 009 M, 1889/90 95 000 Sε,, 1890/91 180 000 M, im Ganzen 425 000 (. Daran sind erst fünf Kirchen — Emmauskirche, Gethsemanekirche in der Zionsgemeinde, Auferstehungskirche in der Markusgemeinde, die zweite Kirche in der Nazarethgemeinde und die zweite Kirche in der St. Johannesgemeinde (Moabit) — betheiligt, und werden für diese voraussichtlich noch ⸗ bis 600 600 M erforderlich werden.
) Anmerkung: Der Minimalsatz für jeden ersten Prediger (Pfarrer) beträgt sogar 4600 M.. Gehalt und 1500 M. Mieths⸗ entschädigung. Außerhalb erhält jeder Geistliche nach dem 15. Dienst⸗ jahre eine Zulage von 300 S, nach dem 20. Dienstjahre eine Zulage von 600 M und nach dem 25. Dienstjahre eine Zulage von 900 M
Außerdem ist eine Reihe von Kirchenbauten in Aussicht oder auch schon in Angriff genommen — nämlich die Himmelfahrtskirche in, der Elisabeth⸗Gemeinde, Lie Gnadenkirche in der Invalidenhaus Civilgemeinde, die Lutherkirche, sowie die Kaiser. Wil helms. Ge⸗ dächtnißkirche in der Zwölfapostel ⸗ Gemeinde — (über 80 000 Seelen), und je eine jweite Kirche in der Dorotheenstädtischen und in der Bartholomäusgemeinde — für welche zum größten Theile auf die Anregung von Allerhöchster Stelle durch Privatvereine und Sammlungen, durch Bewilligung aus den wohlhabenderen Kirchenkassen, durch Mithülfe der Stadt, sowie durch Gnaden geschenke aus dem Allerhöchsten Dispositionsfonds bei der General Staatskasse die Mittel soweit bereits beschafft sind oder noch beschafft werden, daß die vereinigten Kreissynoden entweder gar keine oder nur verhältnißmäßig geringe Beiträge von je 50 000 bis 75 (00 M werden zuschießen müssen. Soll indessen auch zunächst nur erreicht werden, daß zu keiner Kirche mehr als 40 000 Seelen ge— hören, so müssen ferner noch erbaut werden: in der Heilig⸗Kreuz⸗ Gemeinde mit 130 — 140 000 Seelen drei neue Kirchen, ia der Zionskirchen⸗ Gemeinde mit 130 000 Seelen eine vierte Kirche, in der Markus ⸗ Gemeinde mit 120 009 Seelen wenigstens eine dritte Kirche, in der St. Johannes⸗Gemeinde (Moabit) mit über 0 000 Seelen eine dritte Kirche, in der Emmaus⸗Gemeinde mit 246000 Seelen eine zweite und dritte Kirche, in der Thomak— Gemeinde mit 70 06560 Seelen eine zweite Kirche, in der Andreas⸗Gemeinde mit 65 000 Seelen eine zweite Kirche. Die Kosten jeder dieser neuen Kirchen sind einschließlich des Bauplatzes auf mindestens 509 000 M zu veranschlagen. Endlich werden für die Erweiterung, bezw. den Neubau der nach ihrem Umfange gänzlich unzureichenden Philippus Apostel⸗ kirche (720 Sitzplätze bei 16— 20 000 Seelen), Simeons kirche (6500 Sitz⸗ plätze bei 41 006 Seelen), Golgathakirche (323 Sitzplätze bei 36 0600 Seelen), Johannes ⸗Evangelistkirche (600 Sitzpläße bei 10 000 Seelen), St. Paulskirche (363 Sitzplätze bei 40 600 Seelen) auch noch erhebliche Beträge nöthig werden, sodaß schon, hiernach im Ganzen auf einen Bedarf von 8 — 10 Millionen Mark mit Sicher— heit gerechnet werden kann.
Es leuchtet aber ein, daß dieser Zustand, bei welchem in den Außengemeinden erst auf 30-40 000 Seelen eine Kirche entfällt, bei Weitem noch kein befriedigender sein würde, also die Aufgaben der vereinigten Kreissynoden damit noch nicht abgeschlossen sind. Ferner wird auch hier allmahlich für den konstanten Zuwachs von jährlich etwa 44 000 evangelischer Einwohner gesorgt werden müssen. Endlich tn Bedarf an Pfarr⸗ und Küsterhäusern noch gar nicht berück—
igt.
Jedes Prozent einer Erhöhung der Kirchensteuer bedeutet eine Mehreinnahme von 76 000 M.
Ob die Mitheranziehung der 5. und 6. Stufe der Klassenstener, deren Bruttoertrag bei 106 auf etwa 40000 M geschätzt wird, einen entsprechend hohen Reinertrag abwerfen würde, erscheint bei der damit verbundenen wesentlichen Erhöhung der Unkosten zweifelhaft. Jedenfalls kann auch hierdurch nicht der genannte Bedarf für die Neubauten beschafft werden, wenn nicht überhaupt die Vermittelung einer Anleihe ermöglicht wird.
Statiftik und Volkswirthschaft.
. Wagengestellungen.
Die Förderung der Kohle, des im Regierungsbezirk Oppeln wichtigsten Minerals, wurde durch den außergewöhnlich starken Schneefall, der gerade in einer Zeit eintrat, zu welcher die Nachfrage am Größten war, zeitweise nicht unwesentlich behindert. Bei den durch Wochen andauernden Schneeverwehungen war die Eisen—⸗ bahnverwaltung ungeachtet größter Anstrengungen an ein⸗ zelnen Tagen außer Stand gesetzt, die dem erhöhten Bedarf entsprechende Anzahl von Eisenbahnwagen zur Abfuhr der Kohlen voll zu gestellen. Die Grubenverwaltungen wurden hierdurch stellen- weise genöthigt, die Kohlen auf die Halde zu stürzen, während es auch vereinzelt vorgekommen ist, daß der Betrieb in Folge des augenblick⸗ lichen Mangels von Kohlen reduzirt werden mußte. Die im Werke befindliche Erweiterung der Bahnhöfe im Industrie—⸗ bezirk wird dazu beitragen, in der Folge die rechtzeitige Ge⸗ stellung der Wagen auch dann zu ermöglichen, wenn so außer ⸗ ordentliche elementare Störungen, wie in diesem Winter, wieder ein⸗ treten sollten. Im Uebrigen haben letztere einen wirklichen nach— theiligen Einfluß auf, die Lage der Industrie nicht auszuüben ver— mocht. Namentlich gilt dies auch von den Arbeitern, bei denen der bezogene Gesammtlohn sich eher erhöht als vermindert hat.
Export.
Bei sonst allgemein matterer Geschäftslage hat das Export- geschäft aus dem Regierungsbezirk Oppeln nach den Vereinigten Staaten von Nord-Amerika trotz der nach Erlaß der Mae Kinley⸗Bill ent⸗ standenen Befürchtungen nicht nur befriedigenden Verlauf genommen, sondern auch genügend Aufträge für die nächsten Mongte gebracht.
Im Regierungsbezirk Liegnitz trat in letzter Zeit eine wenn auch kleine Verringerung des Exports von Industriewaaren, nament⸗ lich von Lauban aus, nach Amerika ein in Folge der Mac Kinley⸗ Tarifbill, sodaß die Exporteure der Zukunft mit einer gewissen Be— sorgniß entgegensehen.
Zur Sachsengängerei.
Der Zug der Arbeiter nach dem Westen hat im Regierungsbez rk Gumbinnen bei der letzten Volkszählung zu dem Ergebniß geführt, daß in vielen dortigen Kreisen die Bevölkerung gegen das Jahr 1885 theils zurückgegangen ist, theils sich nur unwesentlich vermehrt hat.
Arbeiterkolonien.
Der „Verein für die Berliner Arbeiterkolonie nimmt jetzt, wie wir hören, die Begründung einer Filiale in einem anderen Stadttheil in Auesicht. Von vornherein war bei Beginn seiner Thätigkeit im Jahre 1883 der Name: „Verein für Ber⸗ liner Arbeiterkolonien! gewählt und somit die Begründung mehrerer Kolonien ins Auge gefaßt worden. Nachdem sich jetzt herausgestellt hat, daß die bestehende Kolonie in der Reinickendorferstraße 36a trotz ihrer verhältnißmäßig schnellen Er⸗ weiterung auf 200 Betten dem Bedürfniß bei Weitem noch nicht genügt, da in den Wintermonaten mehr als tausend Aufnahme— begehrende zurückgewiesen werden mußten, hat man sich entschlossen, mit der Begründung einer Filiale vorzugehen, wozu die einleitenden Schritte bereits geschehen sind.
Zur Arbeiterbewegung
In Bochum sand vorgestern eine zahlreich besuchte Versamm⸗ lung von Vertretern der Zechen statt. Zweck derselben war der „Rh.⸗Westf. Ztg.“ zufolge eine Besprechung der von den Berg arbeitern gestellten Forderungen, die in Gemäßheit der von dem Delegirtentage am 15. v. M. gefaßten Beschlüsse durch ein so⸗ genanntes Exekutiv⸗Comits sämmtlichen Grubenverwaltungen unter⸗ breitet worden sind, mit dem Ersuchen, bis zum 20. März die Antwort darauf zu ertheilen. Die Versammlung erklärte die beiden Haupt. forderungen, die achtstündige Schicht inkl. Ein. und Ausfahrt und den Minimallohn, für vollständig una nnehmbar. Auch ent⸗ schied man sich einmüthig dahin, daß diesen ungerechtfertigten Forde rungen der entschiedenste Widerstand entgegenzusetzen sei. Eine Antwort wird man dem Comits nicht ertheilen, weil man das⸗ selbe nicht für eine kompetente Vertretung der Bergarbeiter ansieht. Wie ein Wolff'sches Telegtamm aus Hamburg berxichtet, fand in einer zablreich besuchten Versammlung der strike nden Cigarren⸗ Arbeiter und Cigarren⸗Sortirer vorgestern die Konstituirung einer Produkti- Genossenschaft für Tabackfabrikate von Hamburg, Altong und Umgegend statt. In einer gestern Abend dort abgehaltenen Versammlung des Unterstützungsvereins der Tabackarbeiter wurde beschlossen, in Rücksicht auf den Mangel
an Unterstützungsgeldern den Strike für beendet zu erklären.
Aus Obersteęin wird geschrieben:; Vor einigen Tagen weilte hier ein allem Anschein nach der Sozialdemorratie angehöriger Agitator, um einen Zweigverein der Hamburger Hülfskasse der Gold, und Silberarbeiter zu gründen. Einige junge Leute, meist von auswärts Zugezogene, sammelten sich um ihn, und die Vereinssatzungen wurden festgesetzt. Dieselben mußten der Polizeibehörde zur Durchsicht vorgelegt werden, und da stellte sich, nach dem „Kr. Gen.⸗»Anz.“, heraus, daß der Zweck des Vereins auf die Erringung einer Normalarbeitszeit und eines Norm alarbeitslobnes und Abschaffung der Stück- und Akkordarbeit hinzielt. In einer Fabrik sind in Folge dessen drei Arbeiter, die dem Verein beitraten, entlassen worden, und andere Fabrikanten wollen dem Beispiel folgen, sobald Arbeiter ihrer Fabriken dem Verbande beitreten.
In Leipzig fand am Donnerstag unter dem Vorsitz des Innungs⸗Obermeisters eine von ca. achtzig Personen besuchte Versammlung der bei Innungsmeistern beschäftigten Barbier und Friseurgehülfen statt, in der es sich um die Neuwahl des Innungs⸗ Gehülfenausschusses handelte. Dieses Vermittelungsorgan zwischen Arbeit⸗ gebern und Gehülfen kam aber nur unter dem Widerspruch eines nicht unerheblichen Theils der Versammlung zu Stande. — Eine aus Innungsmeistern, sonstigen Arbeitgebern und Gehülfen des Schneidergewerbes gemischte Versammlung verhandelte über die in der Gehülfenversammlung vom 10. März erhobenen Beschwerden, betreffend die Beschaffung gesunder Arbeitsräume, Einschränkung der Hausindustrie, Lieferung der Zuthaten durch die Arbeitgeber u. s. w. Sämmtliche Arbeitgeber erkannten die Berechtigung dieser Beschwerden an. Der Vertreter der Nichtinnungs— meister versprach in dieser Namen Abhülfe, sobald dieselbe Zusage von der Innung abgegeben werde. Da die Innung dazu noch keine Gelegenheit gehabt hatte, konnten ihre anwesenden Mitglieder eine gleiche Erklaͤrung nicht abgeben, indessen hatte es den Anschein, als werde die Angelegenheit zur Zufriedenheit der Gehülfen erledigt werden.
Wie der ‚Köln. Ztg.“ aus Paris geschrieben wird, hat die vor bereitende Kommission fuͤr die Kundgebung am 1. Mai am Mittwoch eine Abordnung gewählt, welche der Kammer eine Petition über⸗ bringen soll. Die Kammer wird darin gebeten, zu beschließen, daß die Staatsbetriebe am 1. Mai feiern, um so die feste Absicht der Einführung des achtstündigen Arbeitstages in den Staats— betrieben auszudrücken. Am Sonntag veranstaltet die Kommission eine große Versammlung.
Nach Mittheilung des Statistischen Amts der Stadt Berlin sind bei den hiesigen Standesämtern in der Woche vom 1. März bis inkl. 7. März er. zur Anmeldung gekommen: 251 Ehe— schließungen, 1077 Lebendgeborene, 34 Todtgeborene, 664 Sterbefälle.
Gesundheitswesen, Thierkrankheiten und Absperrungs⸗ Maßregeln.
Cypern.
Zufolge Verfügung der Lokalregierung der Insel Cypern ist die gegen Ankünfte von der Küste zwischen Adalia und Beirut s. Zt. verhängte Quarantäne zu Gunsten derjenigen Schiffe, welche in einem Zwischenhafen reine Gesundheitspässe erlangt haben, durch eine äczt— liche Besichtigung ersetzt worden. (Vergl. R. A.“ Nr. 296 vom 9. Dezember 18960.)
Griechenland.
Die Königlich griechische Regierung hat die Aufhebung der Quarantänemaßregeln verfügt, welchen bisher die von der zwischen Seleucia und (einschließlich Alexandrette gelegenen klein— asiatischen Küste kommenden Provenienzen unterworfen waren. Die von diesem Küstenstrich auslaufenden Dampf⸗ und Segelschiffe haben fortan, nach Vornahme einer ärztlichen Visitation, freien Zugang.
Anstatt einer elftägigen, unterliegen ferner fortan nur einer fünf— tägigen Quarantäne die Dampf⸗ und Segelschiffe, welche von der zwischen Alexandrette und Beirut (ausschl) gelegenen kleinasiatischen und syrischen Küste auslaufen. Die Quarantäne kann in allen Häfen des Königreichs abgehalten werden, in welchen Gesundheitsämter errichtet sind. Für Dampf und Segelschiffe dieser Kategorie, welche . . in Quarantäne befinden sollten, dauert dieselbe noch ünf Tage.
Handel und Gewerbe.
Mit der vom 1. November d. J. bis zum 31. Mai k. J. in Palermo stattfindenden nationalen italienischen Ausstellung wird eine internationale Ausstellung von Betriebs- und Arbeitsmaschinen, sowie von Werkzeugen, welche Zwecken der Kleinindustrie dienen, verbunden werden. Unter Betriebsmaschinen für die Zwecke der Kleinindustrie sind solche zu verstehen, welche eine Ent⸗ wicklung von fünf Pferdekräften nicht überschreiten und außer— dem die Gewähr völliger Sicherheit bieten, sodaß ihre Ver⸗ wendung in der Hausindustrie ohne Anlage besonderer und kostspieliger Vorrichtungen möglich ist.
Arbeitsmaschinen im Sinne des Ausstellungsprogramms sind solche, welche mit der Hand oder mit Motoren, und zwar direkt oder auch durch Uebertragung betrieben werden und selbst in engen Geschäftsräumen und in bewohnten Räumen verwendbar sind. Das Ausstellungs-Comits hat sich das Recht vorbehalten, in einzelnen Fällen Arbeits- und Betriebsmaschinen, auf welche die obigen Definitionen nicht zutreffen, je nach dem Ausfall einer besonderen Prüfung ausnahmsweise zuzulassen. Ausgeschlossen sind Damnpfmaschinen, sofern fie nicht ganz besondere Vorzüge auf⸗ weisen, z. B. größere Sicherheit, Ersparnisse beim Betrieb und leichtere Handhabung. Für die Dauer der Ausstellung können die auszustellenden Betriebs- und Arbeitsmaschinen zollfrei in Italien eingeführt werden. Die Gesuche um Zulassung sind von den Ausstellern an das Exekutiv-⸗Comits in Palermo zu richten.
Tägliche Wagengestellung für Kohlen und Koks an der Ruhr und in Qberschlesien. An der Ruhr sind am 13. März gestellt 10 901, nicht rechtzeitig gestellt 7 Wagen. . In Oberschlesien sind am 12. d. M. gestellt 4773, nicht rechtzeitig gestellt 9 Wagen.
Berlin, 13. März. Amtliche Preisfeststellung für Butter, Käse und Schmalz.) Butter: Pof⸗ und Genossen⸗ schaftsbutter Ia. 110-112 1, Ha 1097-1069 M, IIIa. —, do. abfallende 100-106 1, Land, Preußische 87 - 92 0, Netzbrücher 87 - 90 S, Pommersche 88 — 93 M, Polnische 88 — 91 . Baver. Sennbutter 102 — 108 66, do. Landbutter 85 — 90 , Schlesische S88— 92 MS, Galizische 75— 78 4 — Margarine 40 - 70 M — Käse: Schweizer, Emmenthaler 93— 98 „M, Bayerischer 75 — 80 ½, do. Ost⸗ und Westpreußischer Ia. 72 — 78 A6, do. Ha 65 — 70 „S, Holländer S0 - 90 4M, Limburger 40 - 46 M, Quadratmagerkäse a 22 — 26 , do. IIa. 12-16 M — Schmalz: Prima Western 1700 Ta. 39 4, reines, in Deutschland raffinirt 42 — 44 „S, Berliner Bratenschmalz 44 — 48 S Fett, in Amerika raffinirt 37 „M, in Deutschland raffinirt 40-42 S — Tendenz: Butter: Bei fester Stimmung konnten sich Preise für feine Butter voll behaupten. Landbutter höher bezahlt. Schmalz: Bei lebhaftem Geschäft Preise rapide steigend.
— In der Generalversammlung der Deutschen Grundschuld⸗ Bank vom 13. Mäcz d. J. waren 14 Aktionäre mit 9g00 000 4 und 900 Stimmen vertreten. Nach Bekanntgabe des Geschäftsberichts der Direktion und des Berichts der Revisionskommission wurde die
mit einem Reingewinn von 236 45398 S abschließende Bilanz