1891 / 85 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 10 Apr 1891 18:00:01 GMT) scan diff

mit Kontraktbruch zur Regel wird, so ist die Sicherbeit und die Existenz unserer gesammten Industrie in einem Maße gefährdet, daß wir vor den ernstesten Folgen stehen. Die Produktion, die Preisverhält⸗ nisse sind einer beständigen Unsicherheit und Schwankung unterworfen; der Konsument wird geschädigt, und nicht zum Wenigsten wird ge⸗ schädigt derjenige Arbeiter, der nicht gesonnen ist, in den Strike ein⸗ zutreten. (Sehr richtig! Man braucht sich bloß klar zu machen, daß, wenn in einem Betriebe plötzlich und unvermittelt ein bedeu⸗ tender Bruchtheil der Arbeiter die Arbeit niederlegt, das sehr häufig die Folge hat, daß der Betrieb überhaupt geschlossen werden muß, und daß der vielleicht ganz große Theil der Arbeiter, der mit seiner Stellung zufrieden ist, gejiwungen wird, durch den plötzlich und unvermittelt eingeleiteten Strike seine Stellung aufzugeben und Tage, vielleicht Wochen lang ohne Verdienst zuzubringen. Nun sagen die Herren von der Sozialdemokratie: Wie kommt man denn dazu, nur den Kontraktbruch der Arbeiter in dieser Weise an—⸗ zufassen, wie das hier geschehen ist? Es steht ganz fest, und nach den scharfsinnigen Arbeiten des Dr. Löwenfeld, wie Hr. Singer sagt, ist nachgewiesen, daß in Arbeiterkreisen im Allgemeinen viel weniger Verträge gebrochen werden als in den Kreisen der sog. Bourgeoisie. (3Zwischenruf) Der Hr. Abg. von Puttkamer hat bereits darauf hin—⸗ gewiesen, daß doch hier ein erheblicher Unterschied vorliege. Hr. Dr. Löwenfeld spricht unter Anderem von dem Kavalier, der seine Weinrechnung nicht bezahlt, ein Fall, der sebr häufig vorkäme und nicht bestraft würde. Wenn ein Karalier seine Weinrechnung nicht bezahlt, meine Herren, so trifft das den, der ihm den Wein kreditirt hat, vielleicht leichtsinnigerweise, aber das öffent⸗ liche Wohl ist dabei in keiner Weise interessirt. Und so liegen sehr viele Fälle, in denen eingegangene Verbindlichkeiten nicht erfüllt werden, Falle, die sich täglich in unserem bürgerlichen Rechtsleben abspielen. Die Oeffentlichkeit ist dabei in keiner Weise interessirt, und deswegen hat auch die Gesetzgebung keine Veranlassung, gegen diese Art von Kontraktsbrüchen einzuschreiten. Ganz anders liegt die Sache aber, wenn gewohnheitsmäßig große Massen von Arbeitern gleichzeitig, in bewußter Absicht, durch dieses unerlaubte Mittel sich Vortheile zu verschaffen, den Vertragsbruch begehen. Dann kann man in der That von einer Gefährdung des öffentlichen Wohls sprechen. Hier liegt diese Gefährdung auf der Hand und damit die Legitimation der Gesetzgebung, hier helfend einzutreten.

Meine Herren, durch die Bestimmung des §. 125 wird der Frei⸗ heit des Arbeiters in keiner Weise entgegengetreten. Nur dem Kontraktbruch wird gesteuert. Der Arbeiter hat nach wie vor die Gestaltung seiner Arbeitsverhältnisse in der Hand, er wird nur, wenn er das Arbeitsverhältniß ohne die vorgeschriebene Kändigung löst, die nachtheiligen Folgen sich zuziehen, die der 5. 125 in der Fassung der Kommission ihm zudiktirt. Die Herren von der Sozialdemokratie behaupten ja auch heute ist das zwar nicht geschehen, aber, wenn ich mich nicht irre, in einer öffentlichen Versammlung in Berlin —, der Kontraktbruch sei eine unentbehrliche Waffe des Arbeiters, um seinen Strike wirksamer zu machen. Ich glaube sogar, die Worte stammen aus dem Munde des Hrn. Abg. Singer, der sie auch auf dem sozialdemokratischen Parteitage in Halle gesprochen haben kann. Ich werde in der Lage sein, wenn er daran zweifeln sollte, dies nachzuweisen. Der Kontraktbruch wird von den Herren ausdrücklich als ein unentbehrliches Mittel bezeichnet, um die Forderungen der Arbeiter durchzusetzen. Ich glaube, selbst diese Behauptung, so wenig sie zu billigen ist, ist nicht zutreffend. Ich möchte deshalb die Herren verweisen auf die Verhältnisse in England. England macht seit einem Menschenalter und länger Ausstände durch von einer Aus—⸗ dehnung, von der unser Vaterland, Gott sei Dank! keine Ahnung hat. Der englische Arbeiter hält als ehrlicher Mann in den meisten Fällen an seinem Worte fest, ein Kontraktbruch ist unbekannt, die Kündigungsfrist wird inne gehalten, und daraus können wir zweifellos die Lehre ziehen, daß es völlig möglich ist, daß der Arbeiter, wenn er seine berechtigten Forderungen im Wege des Ausstandes durch— setzen will, sie auch ohne Kontraktbruch durchsetzen kann.

Nun ist ja die Vorlage der verbündeten Regierungen abgelehnt worden und an ihre Stelle sind die Beschlüsse der Kommission, wie sie jetzt vorliegen, getreten. Ich kann nicht anerkennen, daß beide sich so ähnlich sind, wie Hr. von Puttkamer meinte. Ich bin der Ansicht, daß die Fassung der Kommission eine erhebliche Abschwächung der Regierungsvorlage bedeute. Das zeigt sich zunächst schon darin, daß in der Regierungsvorlage vorgesehen war, daß die dort so genannte „Buße“ für den Tag des Kontraktbruches und jeden folgenden Tag der vertragsmäßigen oder gesetzlichen Arbeitszeit, höchstens aber für sechs Wochen bis auf die Höhe des ortsüblichen Tagelohns sich belaufen darf. Schon in dieser längeren Zeit, sechs Wochen gegen eine Woche, liegt ein sehr erheblicher Unterschied. Ferner ist ein erheb⸗— licher Unterschied dadurch eingetreten, daß 5§. 125 sich durchaus nicht auf alle Fabrikarbeiter bezieht, sondern nur auf Arbeiter der kleineren Betriebe unter zwanzig Mann; auf alle Groß— betriebe, auf alle diejenigen Fabriken, die mehr als 20 Arbeiter beschäftigen, finden diese Bestimmungen keine Anwendung, sondern es tritt 5. 134 zweiter Absatz ein, der rorschreibt, daß den Unter⸗ nehmern von Fabriken untersagt ist, für den Fall der rechtswidrigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeiter als Schadens ersatz die Verwirkung des rückständigen Lohneßz über den Betrag des durchschnittlichen Wocheylohnes hinaus auszube⸗ dingen. Diese Bestimmung des 5. 134, die sich auf die bei weitem größte Zahl der in Frage stehenden Arbeiter bezieht, ist nicht etwa ein neues Geschenk, was dem Arbeitgeber ge— macht worden, oder eine neue Belästigung, die dem Arbeiter auferlegt worden ist, sondern auch hier ist von dem bestehenden Recht ein sehr erheblicher Theil dem Arbeitgeber zu Gunsten der Arbeiter abgezogen worden. In dieser Beziehung unterscheiden sich also die Kommissionebeschlüsse von der Regierungsvorlage sehr wesent— lich. Trotzdem sind die verbündeten Regierungen entschlossen, keinen Widerspruch gegen die Annahme der ersteren zu erheben, schon aus dem Grunde, weil die Majoritäteverhältnisse dieses Hauses die Annahme der Regierungsvorlage nicht in Aucsicht stellen. Hr. Singer hat vollständig Recht, daß dann für uns das Geringere, was hier geboten ist, immer noch werthvoller ist, als gar nichts.

Nun, meine Herren, haben wir ja auch heute wieder aus dem Munde des Vertreters der Sozialdemokratie gehört, was wir jeden Tag von den Herren zu hören bekommen, so lange wir mit den Arbeiten an der Gewerbeordnungsnovelle beschäftigt sind, daß die herrschende Klasse das Gesetz gemacht habe in ihrem Interesse, daß der Unternehmergeist es ist, der die einzelnen Bestimmungen

diktirt hat und dieser Unternehmergeist hat natürlich auch den §. 125, sowohl den der verbündeten Regierungen wie den der Kom mission diktirt. Meine Herren, es ist ja vollständig klar, daß man nach und nach gegen solche Behauptungen abgestumpft wird, wenn sie einem täglich wiederholt werden, und jwar nicht nur wiederholt werden bei den Paragraphen, die in der Vor lage stehen, sondern bei allen möglichen Paragraphen, die zu derselben beantragt werden. Wenn die Herren Sozialdemokraten z. B. irgend einen Antrag einbringen, möge er lauten, wie er wolle, und es wird diesem Antrage von irgend einer Seite widersprochen, so ist es selbstverständlich der Unternehmergeist, der das veranlaßt. Die Herren Sozialdemokraten sollten doch etwas vorsichtiger mit diesem Vorwurfe sein. Es giebt nämlich einen Standpunkt, von dem aus auch diesen Herren der Vorwurf gemacht wird, daß sie nicht ganz frei vom Unter⸗ nehmergeist sind. Es klingt das auffallend, ist aber Thatsache. Ich meine nicht etwa den Standpunkt derjenigen Personen, die sich so unharmonisch zur Philharmonie stellen (Heiterkeit), nein, ich meine einen viel böher stehenden Standpunkt, ich meine den Stand punkt einer Person, die die Herren Sozialdemokraten zweifellos als Autorität anerkennen werden, den des verstorbenen Karl Marx. Lesen Sie sich den Brief durch, der vor einiger Zeit veröffentlicht ist, der aus dem Jahre 1875 stammt, in dem Karl Marx das sozial⸗ demokratische Programm einer Censur unterwirft. Fast in jeder Zeile finden Sie den Ausdruck ‚Phrase“, „nichts wie Phrase“, hohle Phrase“. Und, meine Herren, weiter, es wird den Herren gesagt: euer ganzes Programm, die ganze Anschauung, in der ihr wurzelt, erhebt sich um nichts über das Niveau der bürgerlichen Anschauung. Der reine Unternehmergeist! Man kann kaum deut— licher in seinen Behauptungen sein. Ich gebe zu, daß das hart ist für die Herren, die sich einbilden, gute Sozialdemokraten zu sein, wenn sie solche Vorwürfe von ihrem Führer zu hören kekommen. Hr. Bebel bat uns in der Kommission einem wie dem anderen, wie wir da gesessen haben, Regierung wie Parteien, gesagt, Ihr Alle, möget Ihr auch gute Leute sein, möget Ihr auch das Beste wollen, aus den Unternehmerstiefeln kommt Ihr nicht heraus; unmöglich, Ihr seid darin geboren und Ihr kommt nicht daraus heraus. Was sagt nun Karl Marx zu Hrn. Bebel? Du magst ein ganz guter Sozialdemokrat sein, du unglücklicher Mensch bist in Unternehmer stiefeln geboren und du kommst da dein ganzes Leben nicht heraus, und da magst du sozialdemokratische Anträge stellen, so viel du willst, das hilft dir zu gar nichts. (Heiterkeit) Ich sage das nur, um zu zeigen, daß Sie alle Ursache haben, an das alte Sprich⸗ wort sich zu erinnern: Was du nicht willst, das man dir thu', das füg' auch keinem Andern zu!

Meine Herren, ich glaube mich mit dem Unternehmergeist ein für alle Mal abgefunden zu haben. Für mich bedeutet dieser Vor⸗ wurf eine Phrase ohne jeden Inhalt und ohne jede Berechtigung, und die verbündeten Regierungen sind nicht geneigt, durch solche Phrasen sich von der Erfüllung ihrer Pflicht abhalten zu lassen. Und darum handelt es sich hier. Es handelt sich um die Erfüllung einer Pflicht, wenn öffentliche Mißstände vorhanden sind, daß auf beiden Seiten gerecht abgewogen wird, wo ein Verschulden vor⸗ liegt, und dementsprechend mit der Gesetzgebung vorgegangen wird. Wenn die Arbeiter den Schutz des Staats gegen Mißstände, die sie drücken, die sie nicht selbst beseitigen können, verdienen und brauchen, so soll er ihnen zu Theil werden. Wenn aber die Fabrikanten, die Unternehmer ich spreche das deutlich aus in derselben Lage sich befinden, wenn sie den Schutz und die Unterstützung der Staats- regierung gegen Mißstände fordern, die sie aus eigener Kraft zu beseitigen nicht im Stande sind, so haben sie genau denselben Anspruch auf Einschreiten der staatlichen, gesetzgebenden Gewalt wie die Arbeiter. Dieser Standpunkt allein entspricht der Gerechtigkeit, und die ver⸗ bündeten Regierungen werden daran festhalten. (Bravo!)

Der Abg. Payer und Genossen beantragen die Streichung der auf die Entschädigung bezüglichen Bestimmung; Abg. Dr. Krause beantragt, den Satz, daß die Forderung der Ent⸗ schädigung an den Nachweis eines Schadens nicht gebunden sein soll, zu streichen. ;

Die Abgg. Dr. Hartmann, Letocha. Möller und Freiherr von Stumm beantragen, in 5. 125 eine Einschal⸗ tung zu machen, nach welcher in dem bezeichneten Umfange auch derjenige Arbeitgeber mitverhaftet ist, welcher einen Ge⸗ sellen oder Gehülfen, von dem er weiß, daß derselbe einem anderen Arbeitgeber zur Arbeit noch verpflichtet ist, während der Dauer dieser Verpflichtung in der Beschäftigung behält, sofern nicht feit der unrechtmäßigen Lösung des Arbeitsver— hältnisses bereits 14 Tage verflossen sind. .

Abg. Payer: Seine Partei, habe gegen den zweiten Absatz dieses Paragraphen wesentliche Einwände nicht zu erheben, um so mehr aber gegen den ersten Absatz, der von der Buße handele. Als charakteristisch trete beim Studium dieses Paragraphen in der Kommissionsfassung hervor, daß man nicht einmal genau benenne, was man darin anstrebe; viel besser sei die Regierungsvorlage, da wisse Jeder, woran er sei; jetzt aber sei statt der Buße“ ge⸗ setzt fixrirte Entschädigung“; diese Umschreibung lasse darauf schließen, daß das, waß man hier vorhabe, auf Wohbl⸗ gefallen in der öffentlichen Meinung nicht zu rechnen habe, darum habe man es vorgezogen, dem Ding ein schützendes Mäntelchen umzuhängen; wolle man aber das Kind beim rechten Namen nennen, so müsse man sagen, man wolle hier eine verschämte Buße einführen. Der Zweck dieser Buße sei nach den Aeußerungen des Abg. von Puttkamer und des Staats-Ministers Freiherrn von Berlepsch klar: Die Bestimmung solle sich richten als eine Ausnahmemaßregel gegen die überhandnehmenden Strikes, namentlich der Abg von Puttkamer habe zugegeben, daß es sich hier um eine Ausnahme maßregel handle gegen gewisse Auswüchse im gewerblichen Leben. Die Erfahrungen mit den früheren Ausnahmegesetzen sollten den Reichstag aber davor bewahren, jetzt schon zu solchen zurückzukehren. Man weise auf die vielen Strikes dieses Jahres hin, aber man sollte doch einmal abwarten, ob sich die Erscheinung in diesem Umfange wieder, hole, ob also das Bedürfniß nach der n,, ,,,, sich wirklich dauernd zeige. Der Abg. von Puttkamer bestätige als Mann, der mit Strikes Erfahrung habe, man solle sich nicht der Illusion hingeben, als ob man mit dieser verschämten Buße die Strikes beseitigen könne. Welche harmlose Auffassung wäre es auch, habe man gemeint, Bewegungen von so elementarer Gewalt, wie es die

Striketz nun einmal seien, aufhalten zu können durch die Einbehal⸗ tung eines sechstägigen Arbeitslohnes. Für den Unternehmer, der in einem Strike stehe, ständen so große Interessen auf dem Spiele, daß die Summe dieser einbehaltenen Löhne dagegen nur eine Kleinigkeit be deute. Der sittliche Makel“, den man damit dem Kontraktbruch anbängen wolle, sei keine neue Errungenschaft dieses Gesetzes, sondern er habe auch früher schon bestanden. Der Abg. von Puttkamer und der StaatsMinister Freiherr von Berlepsch sagten, es bestehe ein sachlicher Unterschied zwischen dem vom Abg. Puttkamer als „naiv“ bezeichneten Kontraktbruch und dem, der bei einem Strike zum Aus— druck komme. So lange der Strike mit Innehaltung der gesetz

lichen Kündigungsfrist ausbreche, sei nichts dagegen einzuwenden, wenn er aber mit Kontraktbruch verbunden sei, dann sei allerdings eine Rechtswidrigkeit vorhanden, gleichgültig, ob der Arbeitgeber oder der Arbeiter den Kontraktbruch begehe. Er (Redner) babe in der That in letzter Zeit von Fällen gelesen, in denen Arbeitgeber die Arbeiter von der Arbeit ohne Innehaltung der Kündigungsfrist ausgeschlossen hätten, weil andere Arbeiter ähnlicher Branchen zum Strike über gegangen seien. Die hier vorgeschlagene Maßregel werde nun vom Staats. Minister mit dem öffentlichen Interesse begründet, das an der Sache betheiligt sei. Schön, dann führe man diesen Grundsatz als allgemein gültigen Rechtsgrundsatz ein; so lange man das aber nicht thue, begebe man mit Einführung dieser einseitigen Buße an dieser Stelle eine große Ungerechtigkeit. Auch anderweite Kontrakibrüche, als die bei Strikes vorkommenden, könnten ein öffentliches Interesse verletzen: wenn ein Eisenbahnunternehmer z. B. die Eisenbahn durch Kontraktbruch der öffentlichen Benutzung entziehe, oder wenn ein Schienen⸗ werk die kontraktlich übernommenen Schienen nicht liefere und da—⸗ durch einen im öffentlichen Interesse liegenden Eisenbahnbau hindere das schädige das öffentliche Interesse mindestens so stark, wie der Fall, der von §. 125 getroffen werden solle. Es handele sich hier um eine lex specialis für gewerbliche und Fabrikarbeiter. Ein gewisses Studium gehöre allerdings dazu, um zu finden, daß die Vorlage einseitig gegen die Arbeiter gerichtet sei, aber wenn man das Studium darauf verwende, so werde man das finden im Gegensatze zu dem Kommissionsberichte, der, ebenso wie der Abg. von Puttkamer, im 5. 125 sogar noch eine den Arbeitern wohlwollende Bestimmung finde. Manches dem Buchstaben nach gleichmäßige Recht werde in der That zu einem einseitig wirkenden, und das sei hier der Fall. Zu wessen Nutzen der 8. 125 ausschlagen werde, folge ganz einfach daraus, wer sich seiner in Zukunft wesentlich bedienen werde. Bisher habe bei einer in Folge von Kontraktbruch angestellten Schadenersatzklage der entstandene Schaden nachgewiesen werden müssen, aber dieser Standpunkt sei hier aufgegeben worden, und schon dadurch werde die Bestimmung einseitig gegen die Arbeiter wirken. Komme nun noch die dem Arbeitgeber zustehende Einbehaltung des Lohnes dazu, so sei der Arbeitgeber immer im Besitz des streitigen Objektes, das der Arbeiter erst auf dem schwierigen und lang⸗ dauernden Peozeßwege erstreiten müsse. Er (Redner) glaube, daß die Einbehaltung des Lohnes in Zukunft in einem viel größeren Umfange eintreten werde, weil dieser 8 125 eine wahre Prämie auf sie setze. Wenn nun dieser §. 125 Gesetz werde, und Arbeiter würden durch Kontrakibruch des Arbeitgebers aus der Arbeit entlassen, so baben die Arbeiter die Wahl, den Entschädigungsanspruch eivilrechtlich einzutreiben oder die Buße zu fordern. Im Allgemeinen werden sie das erstere thon. Es werde ihnen sehr leicht sein, den Beweis für die Höhe des entstandenen Schadens zu führen; die Buße einzufordern werde ihnen viel schwerer sein. Nur in dem sebr seltenen Falle, daß der ibnen entgangene Lohn nicht die Höhe der Buße habe, würden sie diese Buße einfordern. Ver Arbeitgeber dagegen, der durch Kontraktbruch der Arbeiter geschädigt sei, werde die Buße einbehalten. Er werde das um so mehr, als er sonst bei Entschaͤdigungsklagen häufig die ihm zugesprochene Enschädigung nicht werde einklagen können, weil die Exekution fruchtlos ausfallen werde, während er bei Einbehaltung des Lohnes das zu exekutirende Objekt von Hause aus in der Hand habe. Daß bei einem Kontraktbruch der Arbeitgeber den Schaden ersatz im Prozeßwege im Allgemeinen nicht beitreiben könne, sei richtig, aber das sei eine Eigenthümlichkeit jedes Kontraktes, den ein wirtbschaftlich Starker mit einem wirthschaftlich Schwächeren abschließe. In Zukunft werde der Arbeitgeber durch Einbehaltung des Lohnes von vornherein dafür sorgen, daß er den exekutivisch einzutreibenden Schadenersatz in der Hand habe. Die neue Bestimmung des 5§. 125 werde also immer dem Arbeitgeber Nutzen bringen, dem Arbeiter fast nie. Die Machtverhältnisse in dem Lohnkampf würden durch den vorliegenden Paragraphen vollständig verschoben, er sei lediglich gegen die Arbeiter gerichtet. Nun sei man aber hier mit einem Arbeiterschutzgesetz beschäftigt, man habe sich dazu sich selbst gegenüber verpflichtet Angesichts der An⸗ schauungen vom modernen Leben im Interesse der Allgemeinheit und im Interesse des Staats, und trotz aller Angriffe von Seiten der Sozialdemokraten könne man sich sagen: Manches, was wir bier schufen, wird nützlich wirken, wenn auch nicht im ersten Augenblick, so doch in der Zukunft, wenn auch das, was wir schufen, hinter den im übertriebenen Maße erregten Erwartungen der Arbeiter erheblich

zurückbleiben wird. Vergleiche man aber das, was bisher den Ar⸗

beitern an Vortheilen zugewendet sei, mit dem Schaden, den ihnen F. 125 bringe, so fürchte er, daß der Schaden überwiege. Sein per⸗ sönlicher Eindruck sei der, daß er lieber das ganze Gesetz nicht haben möchte, als auch nur eine Bestimmung in das Gesetz auf⸗ nehmen, welche in Arbeiterkreisen den Anschein erwecken könnte, als wollte man den Arbeitern statt des Brotes, das man ihnen ver⸗ sprochen, einen Stein reichen. ĩ .

Abg. Dr. Gutfleisch: Solche Reden wären am Platze gegen⸗ über der Regierungsvorlage, die Kommissionsbeschlüsse rechtfertigten sie in keiner Weise. Jenem Versuch, die privatrechtlichen Ver⸗ hältnisse der Arbeiter mit strafrechtlichen Bestimmungen zu persetzen, habe er in der Kommission auf das Lebhafteste widersprochen, darum handele es sich aber hier nicht mehr. Es bestehe jetzt eine that⸗ sächliche Ungleichheit bei diesem Punkte zwischen den Arbeitgebern und den Arbeitern. Allerdings habe gesetzlich auch der Arbeitgeber das Recht, von dem Arbeiter, der den Vertrag breche, Entschädigung zu verlangen; in der Praxis aber sei es fast unmöglich, vor einem deutschen Richter in solchen Fällen den Schadensbeweis zu liefern. Hätte man in Deutschland die freiere Entwickelung der Praxis, wie in Frankreich, wo der Richter, ohne allzu subtilen Schadensnachweis zu verlangen, den Schaden anerkenne, so hätte man von jeder Ent— schädigung absehen können. Wie solle aber z. B. ein Schuhmacher, dem ein Geselle vertragswidrig aus der Arbeit gehe, einem deutschen Richter nachweisen, welchen Schaden er erlitten habe? Solle er nachweisen, wie viel Paar Schuhe er weniger fertig gestellt, um wie viel geringeren Absatz er gehabt habe? Man müsse die Schadensersatzpflicht so einrichten, daß ihr auch eine Folge gegeben werden könne. Es sei in der Kommission die Frage aufgeworfen, ob man sich nicht mit einer einfachen Rechts⸗ vermuthung begnügen solle dahin, daß der Arbeiter, der den Vertrag breche, den Arbeitgeber um den durchschnittlichen Tages verdienst schädige. Gegen diese Vertheilung der Beweislast seien große Bedenken geltend gemacht, namentlich, daß sie schließlich doch zu den Beweiserhebungen führen würde, die man gerade abschneiden wolle. Deshalb sei man zu der vorgeschlagenen Entschädigung übergegangen. Den Gegenbeweis habe man ausgeschlossen, nicht weil man Jemand, der gar keinen Schaden erlitten, habe ent⸗ schädigen wollen, sondern weil man eine Konstruktion wünsche, bei der Beweisverhandlungen und lange Prozesse abgeschnitten würden. Dabei sei nicht verkannt, daß die Möglichkeit vorliege, daß in einer gewissen kleineren Zahl von Fällen einmal ein Arbeiter eine Eut⸗ schädigung geben müßte, welche den Schaden des Arbeitgebers über—⸗ treffe. Diese Fälle würden aber nicht sehr häufig sein, namentlich deshalb nicht, weil die Betriebe mit mehr als 26 Arbeitern aus genommen seien. Ein Schaden liege zumeist selbst dann noch vor, auch wenn etz gelinge, gleich einen anderen Arbeiter zu bekommen. Denn es sei nicht einerlei, ob der alte eingelernte Arbeiter thãtig sei, oder ein neuer Arbeiter eintrete, bei dem eine Zeit des Cinarbeltens erforderlich sei; gegenüber der weitgehenden Bewegung sowohl in den Kreisen der Regierung als des Reichstagetz eine Buße' einzufsißr“ und statt des achttägigen Lohnes einen vierzehntägigen zu fordern, und satt des ortsüblichen den höheren durchschnittlichen Tagelohn einzuführen, habe er den gegenwärtigen Vorschlag der Entschädigung als annehm baren Vergleich angesehen. In mannigsacher Bezichung sei eine günstigere Gestaltung des Arbeite verhãltnisses für den Arbeiter durch das Gesetz herbeigeführt. Hierhin rechne er, daß künftig ein Arbeiter, wenn er von dem Arbeitgeber in dem guten Glauben angenommen sei, daß er nicht noch in einem anderen Arbeitsverhältniß gebunden . nicht entlassen zu werden brauche. Gegen den Antrag, biefe Bestimmung wieder in das Gesetz einzufügen, werde er stimmen Eine Verbesserung der rechtlichen Stellung des Arbeiters sei es auch,

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daß künftig bei Verträgen von mehr als vierwöchiger Dauer oder längerer als vierzehntägiger Kündigung aus triftigen Gründen das Vertrags verhältniß gelöst werden könne, ebenso daß die Möglichkeit der Lohneinbehaltung auf den Lobn einer Woche beschränkt sei. Er sei von dem Vortheil dieser Bestimmungen für den Arbeiter so überzeugt, daß er glaube, die Sozialdemokraten hätten sie selbst be⸗ antragt, wenn sie nicht von der andern Seite vorgeschlagen wären. Angesichts dieser Verbessexungen könnten auch etwaige Nachtheile, die durch die Entschädigungspflicht entstehen sollten, in den Kauf genommen werden. Durch die inn der Lohneinbehaltung solle, wie man einwende, ein etriebskapital ungerechtfertigter Weise in der Hand der Arbeitgeber angesammelt werden. Die betreffende Beflimmung gelte aber lediglich für Fabriken mit weniger als 20 Arbeitern, und da der tägliche Arbeitslohn in Deutschland im Durchschnitt 2 nicht erreiche, so könnte ja nur eine kleine Summe vielleicht in den Händen eines Handwerkers angesammelt werden. Der Gedanke der Entschädigung sei nicht erst in den Kom missions verhandlungen aufgetaucht. Zu einer Zeit, wo man noch nicht habe ahnen können, daß die Regierung ihren Standpunkt bezüg⸗ lich der Buße aufgeben werde, sei in der freisinnigen Presse die Frage in diesem Sinne bereits behandelt worden. Er verweise insbesondere auf einen Artikel der Freisinnigen Zeitung! vom 5. August 1890, wo Verhandlungen mit den Regierungen also noch gar nicht in Be tracht gekommen seien. Die Entschädigung bezwecke lediglich, den Beweis zu erleichtern und Prozesse zu vermeiden. Ein Ausnahmerecht für den Arbeiter solle damit keineswegs geschaffen werden. Eine große Anzabl von Arbeitern, mit denen er über diese Dinge ge— sprochen habe und die theilweise zur sozialdemokratischen Partei ge⸗ hörten, hätten sich mit den Paragraphen vollständig einverstanden erklärt. Er habe mit den Anträgen, die er in der Kommission gestellt und zum Theil gegenwärtig bier erläutert habe, mit dazu gewirkt, daß eine Rechtsgestaltung der Arbeiteroerhältnisse erzielt werde, die an nehmbarer sei, als die augenblicklich vorhandene. Wenn die Arbeiter selbst ihm dafür nicht Dank wüßten, so habe er in sich selbst wenigstens das Bewußtsein, ihnen gedient zu haben.

Abg. Dr. Schädler: Seine Partei stehe auf dem Boden der Kommissionsbeschlüsse und des Antrages Hartmann und Gen. Sie stehe auf dem Boden des freien Arbeitsvertrages, ziehe aber die Konsequenz daraus, die sich aus der Vertragsnatur ergebe, und diese Konsequenz sei zunächst die Pflicht, den geschlossenen Vertrag zu halten, sofern nicht Unmöglichkeit dazwischentrete. Hierin liege für seine Partei auch das sittliche Moment. Man stelle hier den Ver⸗ bindlichkeitsbruch unter Entfchädigung; wenn die Sozialdemokraten glaubten, es solle dadurch ein doppeltes Maß eingeführt werden, so stehe es ihnen ja vollständig frei, mit einem Entwurf hervorzutreten, welcher den Kontraktbruch auch auf anderen Gebieten gleich behandele; dann werde sich zeigen, ob sie mit diesem Entwurf allein ständen oder nicht. Seine Partei sei entschieden gegen den Kontraktbruch und wolle ihn nach Möglichkeit erschweren. Seine Fraktion erblicke in der für den Kontraktbruch festgesetzten Entschädigung durchaus keinen Eingriff in die Koalitionsfreiheit. Die Koalitionsfreiheit solle nur die wohlerworbenen Rechte Anderer respektiren. Es solle damit nur eine Waffe, die nicht ehrlich sei, aus dem sozialen Kampf herausgenommen werden. Dies sei auch kein Ausnahmegesetz, denn der Paragraph treffe den Arbeitgeber nicht leichter als den Arbeiter. Durch den Schutz von Treu und Glauben würden die Arbeiter nicht zu Staatsbürgern zweiter Klasse gemacht. Weiter erkläre er sich im Namen seiner Fraktlon für den AÄntrag Hartmann. Im Gegensatz zu dem Abg. Dr. Gutfleisch finde er es für recht und billig, daß der Arbeitgeber auch dann verhaftet sei, wenn er wisse, daß der Arbeiter einem anderen Arbeitgeber zur Arbeit noch verpflichtet sei. Damit wolle seine (des Redners) Partei gerade den Schwachen schützen. Die Fabriken mit mehr als 20 Arbeitern sollten ja unter diese Bestimmung überhaupt nicht fallen. Das Cen- trum sei bemüht, die wahre, echte Harmonie zwischen Arbeit und Kapital herzustellen. es glaube das gerade auch durch die Zu— stimmung zu den Kommissionsbeschlüssen zu thun. Die fixirte Ent- schädigung für den Vertragsbruch könne keine Herabwürdigung der Arbeiter sein. denn auch Brentano, der doch ein großer Freund der Arbeiter Assoziationen sei, erkläre den Kontraktbruch für verwerflich und habe gegen § 125 nichts einzuwenden. Seine Partei müsse des halb den Vorwurf, als ob sie innerlich anders denke, als sie es vertrete, entschieden zurückweisen. Sie habe aus ihrer Stellung zu dieser speziellen Frage nie ein Hehl gemacht. Ebenso unbegründet sei die Insinuation, als ob sie hinter dem Freisinn in dieser Frage Deckung suche. Sie wolle den Arbeiter schüßen und halte es für ihre Pflicht, die Wahrheit zu sagen, ohne . nach Popularität, ohne Rücksicht auf die Wahlen, nach rechts so gut, wie nach links.

Abg. Freiherr von Stumm zieht seinen Äntrag zu Gunsten des Antrages Hartmann zurück. Der Antrag Hartmann sei zur Durch⸗ führung des gesetzgeberischen Gedankens des 5. 125 unumgänglich nothwendig. Durch den Vorschlag der Kommission würde der Arbeitgeber in eine sehr prekäre Lage gebracht; wie solle er sich den Nachweis verschaffen, daß der Arbeiter, den er annehme, wirklich kontrakt. brüchig gewesen sei. Es müsse also der Arbeitgeber, der bona fide einen vertragsbrüchigen Arbeiter in Arbeit nehme, von der Haftung befreit bleiben. Wollte man den Arbeiter anhalten, von seinem früheren Arbeitgeber ein Zeugniß beizufügen, so würde man zu den so sehr perhorreszirten Arbeitsbüchern gelangen. Würde der Antrag Dartmann abgelehnt, so müßte sich der Arbeitgeber dadurch schützen, daß er in den öffentlichen Blättern die Liste der Kontraktbrüchigen veröffentliche, damit der neue Arbeitgeber gewarnt sei. Durch eine solche Maßregel werde die Zufriedenheit nicht vermehrt werden. Würde der Antrag Hartmann abgelehnt, so würde er (Redner) in der unangenehmen Lage sein, gegen den ganzen §. 125 zu stimmen; denn der bisherige Zustand wäre noch, immer vorzuziehen.

Um 4 / Uhr wird die weitere Berathung auf Freitag 1 Uhr vertagt.

Haus der Abgeordneten. 64. Sitzung vom Donnerstag, 9. April 1891.

Der Sitzung wohnten der Vize-Präsident des Staats— Ministeriums, Staats-Minister Dr. von Boetticher, der der Minister des Innern Herrfurth und der Minister der geistlichen ꝛc. Angelegenheiten Graf von Zedlitz—⸗ Trützschler bei.

Auf der Tagesordnung steht zunächst die zweite Berathung des Gesetzentwurfs, betreffend die Abänderung des Wahlverfahrens.

In der Generaldiskussion regt der Abg. Francke die Ausdehnung des Gesetzes auch auf Hohenzollern und Helgoland an und beantragt, das Gesetz in dieser Hinsicht zu ändern. Die Abgg. Se ier von Huene und von Rauch haupt schließen Iich diesem Antrage an, mit demselben wird das Gesetz definitiv angenommen.

Es folgt die zweite Berathung des Entwurfs einer Landgemeindeordnung für die sieben öͤstl ich en 66 . der Monarchie. .

s. 1, nach welchem die Landgemeindeordnung für OHst— und Westpreußen, Brandenburg, Pommern, Posen, Schlesien und Sachsen Anwendung finden soll, wird ohne weitere Debatte genehmigt.

; 6. 5. 2 sollen die jetzigen Landgemeinden und Guts⸗ bezirke bestehen bleiben. Landgemeinden und Gutsbezirke

sollen nach der Vorlage nach Anhörung der Betheiligten sowie des Kreisausschusses im öffentlichen Inkeresse auch gegen ihren Widerspruch vereinigt werden können durch Königlichen Erlaß. Die Kommission beantragt, die Auflösung von J

und Gutsbezirken durch Königliche Anordnung erfolgen zu

lassen, wenn sie ihre öffentlich rechtlichen Verpflichtungen zu erfüllen außer Stande find. Die Vereinigung von Land⸗ gemeinden und Gutsbezirken soll gleichfalls mit Königlicher Genehmigung nach Anhörung der Betheiligten erfolgen, wenn diese hiermit einverstanden sind. Dagegen soll die Vereini⸗ gung von Landgemeinden und Gutsbezirken bezw. von Theilen im Falle Widerspruchs der Betheiligten zunächst durch Beschluß des Kreisausschusses erfolgen. Hiergegen steht die Beschwerde an den Bezirksausschuß und an den Provinzialrath offen. Erachtet der Ober⸗-Präsident durch den Beschluß des Provinzial⸗ raths das öffentliche Interesse für gefährdet, so steht ihm die Beschwerde an das Staats⸗Ministerium offen. Ein öffentliches Interesse soll nur dann vorliegen; 1) wenn Landgemeinden oder Gutsbezirke ihre öffentlich rechtlichen Verpflichtungen zu erfüllen außer Stande sind; 2) wenn die Zersplitterung eines Gutsbezirks oder die Bildung von Kolonien in einem Guts— bezirke dessen Umwandlung in eine Landgemeinde, oder dessen Zuschlagung zu einer oder mehreren Landgemeinden nothwendig macht; 3) wenn in Folge örtlich verbundener Lage mehrerer Landgemeinden, oder von Gutsbezirken, oder Theilen derselben mit Landgemeinden ein erheblicher Widerstreit der kommunalen Interessen entstanden ist, dessen Ausgleichung auch durch Bildung von Zweckverbänden nicht zu erreichen ist.

Abg. Rickert beantragt die Wiederherstellung der Re— gierungs vorlage.

Abg. Rickert: Seine Partei bedauere, daß die Kommissions verhandlungen die Regierungsvorlage in mehreren wesentlichen Punkten verschlechtert und unzweckmäßig gestaltet hätten. Sie habe dort aber doch schließlich für das Gesetz gestimmt und werde auch hier wahrscheinlich dafür stimmen, wenn nicht wesentliche Ver— schlechterungen noch hineinkämen. Ihre Wünsche würden freilich durch die Vorlage, wie sie Gesetz werden solle, nicht erfüllt. Aber Preußen habe nicht länger Zeit, auf diese nothwendige Regelung der Basis aller Verwaltung zu warten. Einzelne Anträge werde seine Partei stellen, dabei aber die möglichste Enthaltsamkeit walten lassen. Sein Antrag auf Wiederherstellung der Regierungsvorlage sei nur gestellt, um den Standpunkt seiner Partei nochmals zu präzisiren, und das geschehe, obwohl der Minister dem Kompromiß zustimme. Hier seien zwei sich gegenüberstehende Anschauungen. Die Herren drüben meinten, es handele sich wesentlich um lokale Interessen. Seine Partei, und mit ihr die Regierung, sage, daß den großen staatlichen Interessen gegenüber, die bier in Frage kämen, das lokale Interesse zurückstehen müsse. Die Landesvertretung sei bereit, die Machtvollkommenheit, die ihr bei der Regelung dieser Angelegenheit naturgemäß zufalle, an die Staats— regierung zu delegiren, weil dies für die Durchführung der Sache zweckmäßig sei, aber die Landesvertretung bleibe darum doch immer ein wesentlich mitsprechender Faktor, weil sie die Stelle sei, bei der die verantwortlichen Minister ibre Maßregeln zu vertreten hätten. Er bedauere nun sehr, daß die Herren so weitschichtige Wege für die Durchführung der Gemeindegestaltung eingeführt hätten. Außer- dem werde durch die von der Kommission beliebte Ordnung der Sache die Stellung der Provinzialbeamten eine sehr schwierige. Foffentlich werde der Minister doch seine Ansicht zur Geltung zu bringen wissen, aber dann kämen eben die Beamten in einen Zwiespalt zwischen ihrer eigenen Meinung und dem, was ihnen befoblen werde. Die Hauptschwierigkeit liege für ihn in der Weitschweifigkeit des Verfahrens. Wenn übrigens kein anderer Weg offen sein sollte, so werde seine Partei schließlich für das Kompromiß stimmen. Er hoffe, daß der Minister, wenn die Vorlage Gesetz werde, im Einvernehmen mit dem Staats-Ministerium an die Ober-Präsidenten eine Instruktion erlassen werde, wonach sie in jedem Falle, in dem es im öffentlichen Interesse liege, das Staatsinteresse verträten. Abg. von Rauchhaupt: Er freue sich, daß der Abg. Rickert schließlich doch für die Beschlüsse der Kommission, die er als unweck⸗ mäßig und unvernünftig darstelle, selbst stimmen werde. (Heiterkeit). Hoffentlich werde die Regierung aus den Aeußerungen des Abg. Rickert ersehen haben, welcher Art die Bundesgenossen seien, auf die sie sich bei dieser Gelegenheit stütze. Er brauche die Kommissions beschlüsse nicht zu vertheidigen, seine Partei habe ein gutes Gewissen, und ihre Stellung zur Sache sei von vorn herein klar gewesen. Das Kompromiß, das sie geschlossen babe, gebe den Selbstver—— waltungs⸗ und Staatsbehörden gleichmäßg die ihnen zukommende Machtbefugniß. Was dem Abg. Rickert weitläufig erscheine, das nenne sie ein Vermeiden der rigorosen und überstürzten Form, in der die Landgemeindeverhältnisse sich entwickeln sollten. Seine Partei wolle eine organische Entwickelung haben. Ihr könne das Verfahren nicht weitlaͤufig genug sein. Sie wolle alle Interessen in der richtigen Form zur Geltung bringen; sie wolle einen vollständigen Instanzenzug haben, bei dem die Interessenten zu ihrem Recht kämen, während sie nach der Regierungsvorlage bloß gehört werden sollten. Nun sage der Abg. Rickert, der Minister könne ia die Beamten anweisen, in einem bestimmten Sinn zu verfahren aber er (Redner) hoffe, daß die Beamten selbstständig genug sein würden, die lokalen Interessen in der gebörigen Form wahrzu— nehmen und daß der Minister diese Berücksichtigung der lokalen Interessen nicht in den Hintergrund drängen werde. Das Mißtrauen gegen die Selbstverwaltung, das von jener Seite gehegt werde, sei böchst bedenklich. Damit säge man ja den Ast ab, auf dem man sitze, und schädige die Selbstverwaltung auch in den Städten. Auch die liberalen Landräthe (Heiterkeit) könnten es bestätigen, daß nirgends die Befürchtung aufgetreten sei, die Kreise könnten in der Verfügung der Bildung von Gemeindeverbänden zu weit gehen; nur das Gegen theil habe man immer gehört; es sei tief in das Bewußtsein der Kreiseingesessenen eingedrungen, daß das Staatsinteresse so häufig wechsele, daß ihm gegenüber schließlich das bleibende lokale Interesse zur vollen Geltung kommen müsse. Seine Partei wolle nicht, daß prästationsunfäbige Gemeindeverbände bestehen blieben. Er erkläre, daß die konservative Partei unter keinen Umständen da, wo Gutsbezirke und Gemeinden in der Gemengelage sich befänden und eine gemeinsame Interessensphäre hätten, sich weigere, an den Lasten dieser gemein⸗ samen Interessensphäre Theil zu nehmen Wenn gesagt sei, daß durch den vorgeschlagenen Instanzenzug das Abhängigkeitsverhältniß des Beamtenthums von dem Minister verschärft werde, da der Minister Anweisungen erlassen könne, welche die Beamten befolgen müßten, so denke er sich den preußischen Minister des Innern doch anders. Derselbe werde keine unzweckmäßigen Anweisungen erlassen, sondern nur solche, denen die Beamten mit gutem Gewissen folgen könnten. Wenn das korrumpirend auf das Beamtenthum wirken solle, so sei das auch eine falsche Vorstellung von dem preußischen Beamtenthum. Selbst wenn ein Beamter gezwungen würde, wider seine Ueberzeugung gegen einen Beschluß des Kreisausschusses Berufung einzulegen, so sichere doch das Zustaͤndigkeitsgesetz in seiner Form vollständig, daß nur wirklich Vernünftiges berauskomme. Schließlich sei noch dieses Haus da, und die Interessenten würden unangemessene Fälle in Petitionen zur Sprache bringen. Auch das Ministerium werde sich bei seiner Verantwortlichkeit wohl hüten, von den gesetz⸗ lichen Unterlagen bei seinen Entscheidungen abzuweichen. Die vom Abg. Rickert angeführten einzelnen Fälle seien nicht maßgebend. Im Osten sei der Kreisausschuß immer darauf bedacht, jede Dissonanz zwischen den Gutsbezirken und den Landgemeinden auszugleichen. Gerade in diesem Augenblick, wo die Sozialdemokratie einen Feldzug auf das Land machen wolle, sei das ganze Bestreben seiner Partei, den Landgemeinden und der ländlichen Bevölkerung eine Beruhigung zu verschaffen, daß ihre Interessen nach allen Seiten wohl erwogen und geprüft würden in allen Instanzen und dann erst über ihr Schicksal entschieden werde. Das ganze Haus habe ein Interefse, diesen Weg weiter zu gehen.

Abg. Freiherr von Huene: Er habe in der ersten Lesung ge⸗ wünscht, daß den Selbstverwaltungskörpern eine größere Entscheidung in wichtigen Fragen zugestanden werde. Er bedauere auch, wenn von

irgend einer Seite das Vertrauen der Bevölkerung zu den Selbst⸗

berwaltungskörvern erschüttert werde. Wenn hier oder dort einmal ein Selbstverwaltungskörper unjweckmäßig oder auch nicht ganz par= teilos verfahren sei, so sei das noch kein Grund zu einem allgemeinen Mißtrauen. Die Thätigkeit unserer Selbstverwaltungskörper babe überall gut und segensreich gewirkt. Nur kosteten die Selbst verwaltungskörper recht viel Geld. (Sehr richtig! rechts) Die Beschlüsse der Kommission befriedigten ihn in Bezug auf den von ibm geäußerten Wunsch nicht vollständig. Das Haus habe aber in den Kommissionsbeschlüssen einen Kompromiß vor sich und bei einem solchen dürfe man lovaler Weise den Einjelnen nicht für jede einzelne Aeußerung, die er früher gethan habe, verantwortlich machen. Das Kompromiß selbst bilde eine ganz eigenthümliche Konstruktion. Die Art, wie eine Ergänjzung der Beschlußbehörden da— durch stattgefunden habe, daß das StaatsMinisterium als vierte Instanz in den Organismus der Selbstverwaltungsbeschlusse eingefügt sei, sei ein vollständiges Novum; und er warne dringend davor, daß man dadurch für die Zukunft ein Präjudiz schaffe; es würde der Tod der ganzen Selbstverwaltungsorgane sein, wenn auch auf anderen Gebieten so vorgegangen würde. Das sel ein schweres Bedenken, das er im Namen seiner sämmtlichen politischen Freunde hervorhebe. Von einem Antrage nehme er Abstand, weil ein solcher aussichtslos sei; vielleicht sei bis zur dritten Lesung eine Verständigung möglich, welche dieses Bedenken gegen die Konstruktion des Instanzen⸗ zuges beseitige. Es sei hier des Guten ein Bischen zu viel gethan, und man könne auf kürzere Weise zum Ziele kommen. Er wolle eine beschließende Selbstverwaltungsinstam einfügen, und das sei der Provinzialrath. Dann habe man eine gleichartige, sachgemäße Be—⸗ handlung aller dieser Dinge in der Provinz. Er wolle die mangelnde Zustimmung der Betheiligten durch den Provinzialrath nach Anhörung des Kreisausschusses ersetzt wissen. Die wirkliche Bildung der Ge meinden finde natürlich auch dann nur durch Königliche Genehmigung statt. Daß irgend welche Kronrechte verletzt würden, könne er nicht anerkennen. Das eigentliche Wesen und der Inbalt dieses der Krone beziehungsweise dem Staat zustehenden Rechts liege darin, daß im Staat keine Gemeinde, keine Korporation entstehen solle, obne daß die Krone ihre Genehmigung dazu ertheilt habe. Die Vor bedingungen dazu seien von jeher verschieden gestaltet gewesen. Für die Bildung neuer Gemeinden habe bisher die Zustimmung der Be— theiligten gegolten, und an deren Stelle trete die Zustimmung einer Selbstverwaltungsbehörde. Bezüglich der Frage, die der Provinzialrath zu verantworten habe, ob ein öffentliches Interesse vorliege, babe die Kommission die Vorlage nicht verschlechtert, sondern verbessert, indem sie angebe, was vorhanden sein müsse, damit die Beschlußkörper ein öffentliches Interesse anerkennen könnten. Er würde sich aber sehr freuen, wenn die von ihm angeregte Frage nochmals einer Prü—⸗ fung unterzogen werden könne. Wenn einmal ein wirklich centrali— sationsbedürftiger Minister an der Spitze stehe, dann könne von dem n, in einem Umfange Gebrauch gemacht werden, den eigentlich Niemand recht wünsche. Dagegen möchte er in ganz ge— mäßigter Weise einen Riegel vorschieben. Er sei ein Freund der neuen Landgemeindeordnung, nicht weil er sie für vollkommen ideal halte, sondern weil ihm zweifelhaft sei, ob später wieder ein Haus hier sitzen werde, welches in konservativem Sinne soweit den Ausschlag geben werde wie heute. (Hört, hört! links.) Ja, meine Herren vom Freisian, wenn Sie die Majorität hätten, würden Sie uns das Fell über die Ohren ziehen. (Sehr richtig! rechts) Wenn seine Partei in der Aenderung bestehender Verhältniffe vorsichtig sei, so, entspreche das ihrer gesammten Auffassung über Schule, Kirche und Staat. (Sehr richtig! im Cen⸗ trum) Sie trage stets bestehenden Rechten Rechnung, und ihre Haltung sei ebenso konservativ wie bei allen anderen Fragen. Er werde eine besondere Abstimmung über die einzelnen Absätze des Paragraphen beantragen, und ein Theil seiner Freunde werde event. gegen den ganzen Paragraphen stimmen. Einig sei seine Partei darin, daß sie die von ihm hier vorgetragenen Aenderungen wuͤnsche. (Beifall im Centrum.)

Minister des Innern Herrfurth:

Ich folge sehr gern dem Beispiel der beiden geehrten Herren Vorredner, indem ich auf eine Erörterung der Vorgeschichte des 8. 2 verzichte, welcher von dem Hrn. Abg. Freiherrn von Huene sehr richtig im Eingang seiner Rede als ein Kompromiß charakterisirt worden ist, mit allen den Vorzügen und allen den Nachtheilen, die jedes Kompromiß zu haben pflegt. Meine Herren, ich gehöre per— sönlich auch zu denjenigen, von denen der Abg. von Huene gesagt hat, daß sie lovaler Weise an diesem Kompromiß zu rütteln nicht mehr berechtigt seien. Ich verzichte deshalb auch darauf, meine persönliche Auffassung in Betreff des Antrages des Abg. Rickert geltend zu machen. Ich kann ja das wird mir Niemand verdenken in meinem Innern der Regierungsvorlage den Vorzug vor den Beschlüssen der Kom mission geben, aber den Abg. Rickert möchte ich darauf aufmerksam machen, daß die Beschlüsse der Kommission einen sehr großen und durchschlagenden Vorzug vor der Regierungsvorlage haben, näm— lich, daß sie mit Sicherheit von dem Hause angenommen werden (große Heiterkeit), während die Regierungsvorlage mit gleicher Sicher heit abgelehnt werden würde.

Ich wende mich deshalb auch nur gegen die in Aussicht gestellten Abänderungsanträge des Abg. Freiherrn von Huene und glaube gegen diese einen entschiedenen Widerspruch erheben zu müssen. Meine Herren, ich verstehe nicht ganz, was eigentlich der Abg. von Huene mit seiner jetzigen Abstimmung bezweckt. Wenn er erklärt hat: wir werden gegen den Absatz 4 und 5 stimmen, dann aber eventuell, wenn diese Absätze fallen, für den 5§. 2, Einzelne vielleicht auch dann noch dagegen, ja, dann stimmt er für einen Torso, dann stimmt er für einen Paragraphen, der eine große Reihe von Fällen, welche geregelt werden müssen, überhaupt nicht regelt; er scheint überhaupt nur ein Vacuum schaffen zu wollen für die zweite Lesung, um dann eine Ergänzung bei der dritten Lesung herbei—⸗ zuführen, und zwar in einer Weise, welche ich für unzulässig erachten muß. Hr. von Huene will, in Kurzem gesagt, sowohl bei der Ver— einigung ganzer Gutsbezirke und Landgemeinden mit anderen Guts⸗ bezirken und Landgemeinden, als auch bei der Parzellenvereinigung im Falle des Absatzes 5 die Entscheidung darüber, ob eine solche Vereinigung gegen den Widerspruch der Betheiligten zulässig sein soll, in die Hand des Provinzialraths legen. Er hat ver— sucht auszuführen, daß darin eine Beschränkung der der Krone zur Zeit zustehenden Rechte nicht liege. Das trifft aber nur zu in Betreff des Absatzes 4, weil Hr. von Huene ausdrücklich die Beibehaltung des Absatzes 3 für zweckmäßig und nothwendig erklärt hat. Anders liegt es aber in Betreff des Absatzes 5. Zur Zeit hat die Krone das Recht, lediglich nach Anhörung der Betheiligten und der Selbst— verwaltungskörper, ohne eine Zustim mung derselben, im öffent— lichen Interesse die Abtrennung einzelner Theile von einem Guts— bezirke und einer Landgemeinde und deren Vereinigung mit einem anderen Gutsbezirk oder Landgemeinde anzuordnen. Diese Befugniß will der Hr. Abg. von Huene der Krone nehmen; also insofern trifft seine Deduktion nicht zu.

Aber, meine Herren, überhaupt ist das prinzipielle Bedenken, das ich gegen diese Konstruktion habe, darin zu finden, daß den Selbst—⸗ verwaltungsbebörden in allen ihren Instanzen, von der untersten bis

zur obersten, zwar in einer großen Reihe nicht nur von Angelegen—⸗

heiten der rein kommunalen Selbstve rwaltung, sondern auch in