1891 / 92 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 18 Apr 1891 18:00:01 GMT) scan diff

Gesetzgebung zu gebrauchen, um den Lohn künstlich zu steigern. Man sei allerdings in dieser Beziehung von der Gesetzgebung nicht verwöhnt. Die wirthschaftliche Gesetzgebung der letzten zehn Jahre habe vielfach zu Ungunsten der Arbeiter und zu Gunsten des Kapitals Partei er griffen. So sebr seine Partei aber dies bekämpft babe und eine möglichst baldige Befeitigung dieser protektionistischen Politik wünsche, fo wolle sie auch nicht eine Parteinahme der Gesetzgebung zu Gunsten der Lohnarbester und auf Kosten Anderer. Dieser prinzipielle Standpunkt mae es ihr unmöglich, auf den Boden des Antrages zu treten. Sie sehe allerdings in einer Ermäßigung der Arbeitszeit einen großen Kulturfortschritt, und wünsche, daß man zu einer immer kürzeren Arbeitszeit komme und der Arbeiter einen möglichst hohen Lohn erziele; aber durch gesetzgeberische Maßregeln werde dies Ziel nicht erreicht, sondern cher verlangsamt. Die Wirkung des Maximalarbeilstages in der Schweiz und in Oesterreich werde durch die große Zahl der Ausnahmen beeinträchtigt, und außerdem handele es fich da um einen elfstündigen Tag, der viel weniger Be⸗ deutung habe. Das österreichische Elfstundengesetz sei gar nicht mit diefer Maßregel, die hier beantragt sei, zu gergleichen. Die Sozial, demokraten argumentirten, daß, wenn die Arbeitszeit z. B. auf acht Stunden gesetzlich herabgedrückt werde, die jetzt in elf Stunden geleistete Arbeit dann in acht Stunden nicht geleistet werden könne; deshalb würden aus der sogenannten industriellen Reservearmee neue Kräfte zur Produktion hinzugezogen, werden müssen; diese Argu⸗ mentation sei nach jeder Richtung hin irrig. Man gehe von der falschen Vorausfetzung aus, daß das zu leistende Arbeitsquantum Überhaupt fixirt sei, aber dasselbe sei absolut variabel, es hänge ganz von den Bedingungen ab, unter welchen überhaupt gearbeitet werden könne. Aber angenommen, daß die Gesammtarbeit sich nicht vermindere, so würden infolge der Verkürzung der Arbeitszeit rund 20 5 Arbeitskraͤfte mehr zu beschäftigen sein. Nun meinten die Sozialdemokraten, daß der erforderliche Mehrbetrag an Lohn einfach dadurch aufgebracht werde, daß der Unternehmer in seinen großen Beutel greife und die Differenz entrichte, das sei doch eine naive Auffassung von dem ganzen Wesen der wirthschaftlichen Entwickelung. Für das Prinzip sei gleichgültig, ob sie annähmen, daß der Unter— nehmer aus seinem Beutel die gesammte Differenz oder nur einen Theil bezahle. Der Unternehmer richte sich aber nicht nach den Produktionskosten, sondern nach den Konkurrenzverhältnissen zwischen dem Kapital des Inlandes und Auslandes. Die Unternehmer wür⸗ den doch einen soschen Betrag nicht aus ihrer Tasche nehmen, ohne sich auf das Aeußerste zu sträuben. Die Sozialdemokraten meinten ja selbst, man müfse dem Unternehmer erst Alles abringen. Gewiß, mit Sentimentalität würden überhaupt Geschäfte nicht gemacht. Es komme also darauf an, ob durch die Natur der wirthschaftlichen Verhältnisse gezwungene Lohnsteigerungen ein⸗ träten. Der Ansicht, daß mit einer Verkürzung der Arbeits⸗ zeit eine Erhöhung der Arbeitsleistung Hand in Hand gehe, liege ein Körnchen Wahrheit zu Grunde. Die ganze Entwickelung der Kultur gehe dahin, die Arbeitsleistung im Verhältniß zu der aufgewendeten menschlichen Arbeitskraft immer mehr zu erhöhen. Die Interessen der Arbeitgeber und Arbeiter fielen auf diesem Gebiet zusammen. Auch der Arbeitgeber sei stark interessirt, daß die zu leistende Arbeit in möglichst kurzer Zeit geleistet werde. Aber deshalb nun gleich ein Gesetz zu machen und eine Schablone herzustellen, unter welcher, ganz gleichgültig wie die Verhältnisse in den einzelnen Betrieben i. Alles in gleicher Weise gemacht werde, liege durchaus nicht im nteresse der Allgemeinheit. Ber Glaube an die seligmachende Kraft des achtstündigen Maximalarbeitstages sei auch in Arbeiterkreisen noch nicht vollständig durchgedrungen. Auch der Abg. Bebel habe früher einmal hier eine Ausführung gemacht, die ihn (Redner) davon über⸗ zeugt habe, daß er bei seinem Scharfsinn auf diesem Gebiet längst erkannt habe, daß bei dieser Maßregel schließlich nicht viel für die Arbeiter herauskomme. Er nehme es den Herren ja nicht übel, daß sie aus praktischer, agitatorischer Politik, die auch ihre Berechtigung habe, es vorzögen, ihre Bedenken zurückzuhalten, wie sie die Bedenken von Karl Marx zurückgehalten hätten, die er in sehr scharfsinniger Weise vor 15 ahn gegenüber dem sozialistischen Programm ent—

wickelt habe. Es werde eben nicht Alles gesagt, was in einer url vorkomme, auch nicht in der sozialdemokratischen Partei. In

rankreich habe man unter den Arbeitern eine Enquete über den actstündigen Arbeitstag, veranstaltet, und von 22000 Antworten hätten sich nur 7 GοG für ihn ausgesprochen, ein Viertel dieser Ant⸗ worten habe sich gegen jede gesetzgeberische Beschränkung der Arbeitszeit erklärt. Auch in England sei der Gedanke eines obligatorischen Maximal arbeitstages von acht Stunden noch keineswegs jo vollständig durch— gedrungen, wie ihm Thomas Burt, der Führer der englischen Bergarbeiter, versichert habe. Die „Reservearmee;, die jetzt immer als Schreckgespenst hingestellt werde, sei in früherer Zeit viel größer gewesen und sie werde nie ganz verschwinden. Selbstverstänblich sei in großen Betrieben immer ein Reservefonds da, beim Kapital und bei den Arbeitern auch. Man könne doch nicht nach Art der sozialdemokratischen Utopien von Staatswegen den letzten Mann bei der Industrie beschäftigen. Trotz dieser Reservearmee hätten sich die Löhne gradatim von Jahr zu Jahr gesteigert und zwar in allen Ländern. Der Preis der Bedarfsartikel habe sich nicht in demselben Maße gesteigert. Die Verbesserung der Lage der Ar⸗ beiter werde um so sicherer herbeigeführt werden, je mehr die Gesetz⸗ gebung sich von derartigen Quacksalbereien, wie sie vorgeschlagen würden, freihalte.

Abg. Dr. Hartmann: Er bestreite dem Vorredner auf das Be⸗ stimmteste, daß die Wirthschaftspolitik des Reichs für die Arbeiter nachtheilige Folgen gehabt habe. Uebrigens habe der Vorredner selbst zugegeben, daß die Lage der Arbeiter in allen Kulturstaaten, also auch in Deutschland, sich in den letzten Jahren verbessert habe; er habe die letzten 10 Jahre nicht ausgenommen. Was nun den vorliegenden Gegenstand betreffe, so erkläre er im Namen seiner pelitischen Freunde, daß sie Mann fuͤr Mann gegen den sozialdemokratischen Antrag stimmen würden. Die konserbative Fraktion habe eine grundsätzlich gegnerische Stellung zu der Frage des Maximalarbeitstages niemals eingenommen. Allerdings hätten früher die konservativen Abgg. Wagener und von Brauchitsch Anträge, auf Einführung eines gesetzlichen Maximalarbeitstages auch für erwachsene männliche Arbeiter eingebracht. Die Partei sei aber heute nicht in der Lage, zu erklären, daß sie geschlofsen für eine gesetzliche Regelung dieser Angelegenheit eintreten werde. An sich fei die Frage ja keine Fraktionssache, man wolle und könne in dieser Sache keinen Fraktionszwang üben. Seine Partei halte es aber nicht an der Zelt, gegenwärtig die Frage in Angriff zu nehmen. Persönlich müsse er die Behauptung des Äbg. Grillenberger zurück weisen, als. ob er (Redner) ein Gegner der gesetzlichen Regelung dieser Frage sei. Ein prinzipielles Bedenken, eine solche gesetzliche Bestimmung zu erlassen, also den Arbeiter zu bevormunden, bestehe nicht mehr, nachdem man durch die Ver sicherun gsgesetzgebung den Arbeiter in die Versicherung gebracht habe. gleichviel ob er wolle oder nicht. Die Bestimmungen über das Trucksystem, die Sonntagruhe enthielten ja auch eine Beschrän— kung der persönlichen Freiheit. Er halte dies für eine Zweckmãßig⸗ keitßfrage und meine, daß man nicht alle Industrien in dieser Sache über einen Kamm scheeren dürfe. Allerdings bestehe in Oesterreich der elfstündige. Maximalarbeitstag ohne Unterschied der Industrie, er stehe aber nur auf dem Papier wegen der vielen Ausnahmen. Auch die Schweiz habe ihn, dort sei aber die Industrie bei Weitem nicht so mannigfaltig wie in Deutschland. Aber warum spreche man nicht von Belgien, von Frank⸗ reich? Frankreich habe einen 12 stündigen Maximalarbeitstag. Da: gegen würde Niemand ein Bedenken haben. Der würde nicht viel schaden, aber auch nichts nützen. England, sonst ein Muster für Deutschland, habe einen Maximalarbeitstag mit Bestimmtheit zurück

ewiesen. Cine zweckmäßige Regelung dieser Dinge könne nur er⸗ olgen auf dem Boden des einzelnen Gewerbes und der einzelnen Industrie. Arbeitgeber und Arbeiter müßten die Sache unter sich regeln und die Gesetzgebung sollte erst subsidiär eintreten. Man habe bereits einen Vorgang in England und Deutschland selbst; vor allen Dingen in der Drganisation des Buchdrucker

5 *

ewerkez und im Centralverband der deutschen Maschinen⸗

ickereien, Hand in Hand müsse aber damit gehen die Regelung des Minimallohnes, wie es auch ron Seiten der eben genannten Betriebe geschehen fei. Das Centrum babe sich in den letzten Jahren mit der Frage des Maximalarbeitstages beschäftigt und auch Anträge gestellt, in welchen der Maximalarbeitstag für alle Gewerbe gefordert werde, und nebenher solle eine Spezial bestimmung erlassen werden, welche nur die Textilindustrie betreffe. Man über⸗ lasse es aber den betheiligten Industriekreisen, in dieser Richtung vor⸗ zugehen. Die Anregung daju habe man gegeben durch die Gesetz . gebung, welche man jetzt mache. Man werde es bei der Beschrän= kung der Arbeitsseit der jungen Leute auf 10 Stunden, welche bereits Gesetz sei, lassen; der Reichstag habe gestern die Kinderarbeit unter 14 Jahren so gut wie aufgehoben; man werde alsbald einen Maximalarbeitstag von 11 Stunden für alle erwachsenen weiblichen Ar= beiter haben. Man werde dem Kaiser unter Zustimmung des Bundegraths das Recht einräumen, diese Bestimmungen auch auf einzelne andere Gewerbe auszudehnen. Dies alles werde nicht ohne Einfluß bleiben auf die gute Sitte und auf die geschästlichen Einrichtungen besonders in denjenigen Industrien, in welchen gerade die weiblichen und jugend⸗ lichen Arbeiter stark vertreten seien, wie z. B. in der Textilindustrie. Hier seien die geschützten Personen die Mehrheit. Man werde später auch dazu kommen, die erwachsenen männlichen Arbeiter mehr zu schuͤtzen. Auch in England sei die Arbeitszeit für diese Letzteren überall heruntergegangen, und jetzt sei sie sogar kürzer als hier. Der Abg. Grillenberger bemerke, die englischen Arbeiter hätten diese Erfolge ihrem freien Koalitionsrecht zu danken und füge hinzu, die deutschen Arbeiter besäßen das Recht nicht; das sei nicht richtig, wie der F§. 152 der Gewerbeordnung beweise. Die deutschen Arbeiter seien zum Kampf für ihre Jnteressen sogar noch weit gerüsteter als die englischen, denn sie hätten das allgemeine, geheime, gleiche Stimm⸗ recht, was die Letzteren nicht besäßen. Daß Ausschreitungen ausstän⸗ discher Arbeiter gegen ihre arbeitenden Kollegen und gegen die Arbeit⸗ geber niedergehalten würden, geschehe hier wie in England mit vollem Recht, nur mit dem Unterschied, daß die englische Gesetzgebung diefe Ausschreitungen sehr viel strenger bestrafe, als die deutsche. Der Reichstag gebe dem Bundesrath das Recht, den Maximalarbeitstag für einzelne bestimmte Gewerbe einzuführen, und auch das werde die Entwickelung der Dinge wesentlich fördern, und wenn die jetzt ge⸗ schaffenen Verhältnisse eine Zeit lang gewirkt hätten, werde man an die ihatsächliche Regelung der Sache gehen. Zur Zeit sei seine Partei wie die Mehrheit des Kommission gegen den Antrag der Sozialdemo⸗ kraten. Der Abg. Grillenberger habe die Dinge so dargestellt, als hülfe die Mehrheit den Industriellen in dieser Sache, damit sie dann wieder die Mehrheit in der Bekämpfung des öster⸗ reichischen Handeltzvertrages unterstützten; aber seine Partei haben ihren gegenwärtigen Standpunkt schon eingenommen, bevor an diesen Handelsvertrag zu denken gewesen sei, und über letzteren, dessen Bestimmungen man noch gar nicht kenne, enthalte seine Partei sich jedes Urtheils, bls sie ihn kennen lerne. Sie urtheile über den Antrag der Sozialdemokraten wie über jede andere Sache, rein sachlich, ohne Beachtung von Interessenfragen, und er persönlich sei weder Groß⸗ industrieller, noch Großgrundbesitzer, er sei zur Unparteilichkeit förmlich veranlagt. Die Sozialdemokraten sagten, wenn ihr Antrag abgelehnt würde, solle man abwarten, was in Jahresfrist geschehe; thäte es ihm nicht um die armen Verführten leid, so würde er sagen: Nur heran, je eher, je lieber. (BVize⸗Präsident Graf Ballestrem fordert den Redner auf, sich mehr an den vorliegenden Paragraphen zu halten. Wenn die Sozialdemoktaten ihre Anhänger zum Ansturm wider Staat und Gesellsckaft aufriefen, so würden auch alle Anhänger von Kirche, Staat und Familie sich zusammenthun, um diesen An⸗ sturm abzuwehren. (Beifall rechts.)

Staats⸗Minister Freiherr von Berlepsch:

Meine Herren! Ich habe mir bereits in der Generaldiskussion der ersten Lesung gestattet, die Gründe kurz auseinanderzusetzen, welche die verbündeten Regierungen dazu geführt haben, in ihre Vor⸗ lage eine Bestimmung über den Maximalarbeitstag nicht aufzunehmen. Ich wiederhole sie in Kürze.

Es war wesentlich die Erwägung, daß in dem Augenblick, wo wir eine Einschränkung der Kinder und Frauenarbeit vornehmen, das Verbot der Nachtarbeit der Frauen und das Verbot der Sonntags⸗ arbeit aussprechen wollen, wir es nicht für angezeigt erachten können, noch weiter zu gehen, noch weitere Maßnahmen vorzuschlagen, die dazu führen können, die Produktion zu vermindern und zu vertheuern und damit für die Konkurrenzfähigkeit unserer Industrie mit dem Auslande, für ihre Sicherheit und Existenz einen bedenklichen Schritt zu thun. Die Frage der Konkurrenzfähigkeit unserer Industrie mit dem Auslande, namentlich mit England, Frankreich und Belgien, ist ja als eine berechtigte auch von den Herren Sozialdemokraten anerkannt worden. Der Hr. Abg. Grillenberger hat gestern bemerkt, daß die soanial⸗ demokratische Fraktion die Abstufung in ihren Vorschlägen vor— genommen habe, weil auch sie der Meinung sei, daß man nicht plötz⸗ lich den achtstündigen Arbeitstag einführen könne, ohne Rücksicht auf die Arbeitsverhältnisse in anderen Ländern zu nehmen. Sie schlage deshalb zunächst einen zehnstündigtn, nach zwei Jahren einen neun— stündigen, nach vier Jahren einen achtstündigen Maximalarbeitstag vor, und Hr. Grillenberger war der Meinung, daß in der Zwischenzeit die deutsche Regierung sich mit den in Frage stehenden anderen Re— gierungen über die Regelung des Maximalarbeitstages würde ver— ständigen können. Meine Herren, die Behauptung, daß die internationale Betrachtung dieses Moments nicht abzuweisen sei, hat ja auch die Kaiserlich deutsche Regierung dazu geführt, in einer internationalen Konferenz die Regelung der Arbeitsverhältnisse in Betracht zu ziehen, und dabei hat sich von vornherein ergeben, daß diejenigen Staaten, deren Arbeits verhältnisse für uns wesentlich von Bedeutung sind, absolut abgeneigt waren, auf eine gesetzliche Regulirung der Arbeitszeit für den männ— lichen Arbeiter einzugehen. Das ergab sich nicht nur aus den Er— klärungen der betheiligten Regierungen, das ergab sich noch viel deutlicher aus den Erklärungen der Delegirten, die mit uns zusammen hier in dieser Konferenz gesessen haben. Inzwischen ist ia längere Zeit vergangen, und es sind, wie ich glaube be⸗ baupten zu dürfen, auf Grund der Verhandlungen in der internationalen Konferenz eine Reihe von Gesetzentwürfen in anderen Staaten vorgelegt worden. In keinem dieser Gesetz entwürfe ist aber die Rede von der Regelung der Arbeitszeit der männlichen erwachsenen Arbeiter. In England liegen augenblicklich vier solche Gesetzentwürfe verschiedener Art dem Hause vor, keiner beschäftigt sich, wie gesagt, mit dem männlichen erwachsenen Arbeiter. Kinderarbeit, Arbeit der jugendlichen Personen, Frauenarbeit, Be— schaffenheit der Werkstätte, Lüftung und ähnliche Dinge sind die Gegenstände dieser Gesetzgebung, nicht der Maximalarbeitstag für die erwachsenen männlichen Arbeiter.

Datselbe ist der Fall in Frankreich. Auch da liegt z. 3. ein Ge⸗ setzentwurf vor, der sich mit Frauen und Kinderarbeit, mit Sonntags⸗ arbeit oder vielmehr nicht mit Sonntagsarbeit, sondern mit der Freiheit von Arbeit an einem Tage in der Woche beschäftigt. Den Ausdruck „Sonntagsarbeit' perhorreszirt die französische Gesetzgebung.

Es ist erwähnt worden, daß in Frankreich ein altes Gesetz existire, in dem der Maximalarbeitstag für die männlichen Arbeiter

geregelt sei. Das ist richtig, Jedermann weiß aber, daß dieses Gesetz

. .

absolut nicht jur Anwe ung kommt, und die Delegirten der französischen Nation, di sich in unferer Mitte befanden, haben uns das aufs Allerklarste dadurch dargethan, daß sie den Grundsatz aus⸗ gesprochen haben: Frankreich lehnt es ab, die Arbeitsbedingungen der erwachsenen männlichen Arbeiter überhaupt zu reguliren'. Frankreich beschränkt sich darauf, die sogenannten geschützten Personen in den Kreis seiner Gesetzgebung zu ziehen, d. h. die Kinder, jugendlichen Arbeiter und Frauen. Dementsprechend sind auch die Gesetzentwürfe, die jetzt vorliegen, gestaltet worden, und ich bemerke, daß nicht einmal die Frage der Rube an einem Tage der Woche oder die Sonntagsruhe für die erwachsenen männlichen Arbeiter in diesen französischen Gesetzentwurf aufge—⸗ nommen worden ist.

In Belgien ist, wie Ihnen Allen bekannt ist, von einem Maximal⸗ arbeitstage für die männlichen Arbeiter nicht die Rede.

Neben der Frage der Konkurrenzfähigkeit der Industrie kommt weiter bin die Wirkung des Maximalarbeitstages auf die Höhe des Ein⸗ kommens des Arbeiters in Betracht. Auch in dieser Richtung haben die Regierungen Bedenken, Ihnen jetzt vorzuschlagen, auch den er⸗ wachsenen männlichen Arbeiter in seiner Erwerbsfähigkeit durch das Gesetz zu beschränken. Es ist ja doch außer jedem Zweifel, daß durch die Bestimmungen, Lie wir jetzt schon aufgenommen haben bezüglich der Kinder und Frauenarbeit, eine nicht unerhebliche Einschränkung mancher Arbeiterbudgets, wenigstens zeitweise, eintritt. Wenn wir noch weitergeben und auch den erwachsenen männlichen Arbeiter hin— dern, seine Arbeitskeaft nach seinem Willen und Bedürfniß auszu⸗ nützen, so entsteht in der That die Frage, ob wir damit nicht zu weit gehen, nicht einen empfindlichen Einschnitt in das Einkommen der Arbeiterfamilien vornehmen, und auch diese Vorsicht muß meines Erachtens dahin führen, daß wir im gegenwärtigen Augenblick von einer Regulirung der Arbeitszeit für männliche erwachsene Personen absehen. Mir ist es auch gar nicht zweifelhaft, daß ein großer Theil unserer männlichen Arbeiter nicht wünscht, daß eine derartige Be⸗ stimmung in das Gesetz eingeführt werde. Ich selbst habe in dieser Richtung Erfahrungen gemacht; es stellte sich heraus, daß auf der Grube in Saarbrücken ein Theil der Arbeiter, die Maschinenwärter beim Schichtwechsel, eine übermäßig lange Arbeitszeit hatten, so lang, daß sie sich meines Erachtens mit der Gesundheit der Ar⸗ beiter und mit der Erhaltung ihrer Arbeitskraft nicht verträgt, ob—⸗ gleich sie an und für sich als eine leichte angesehen werden muß. Trotz der Leichtigkeit der Arbeit entschloß ich mich daher, Anordnungen zu treffen, diese Schichtdauer erbeblich abzukürzen auf das Maximal—⸗ maß von zwölf Stunden, einschlitßlich der Pausen. Die Folge war eine Eingabe von Maschinenwärtern, in welcher ich ersucht wurde, von diesen völlig unüberlegten und übereilten Schritten abzusehen. Ich habe den Maschinenwärtern diesen Gefallen nicht gethan, ich habe diese angeblich unüberlegte und unausführbare Maßregel aufrecht erhalten und bin der Ueberzeugung, darin recht gehandelt zu haben. Die Beseiti⸗ gung der Bedenken der Arbeiter wird zweifellos erfolgen, und ich bin über zeugt, daß sie nach einiger Zeit völlig zufrieden sein werden. Sie sehen aber daraus, daß doch auch Arbeiter sich gegen die Beschrãnkung ihrer Arbeitskraft auf das Allerentschiedenste aussprechen.

Nun, meine Herren, dieser Maximalarbeitstag, den wir ja für diskutabel halten, dem wir prinzipiell nicht abgeneigt sind, ebenso wie die Mehrheit der Parteien dieses Hauses nach den Aeußerungen, die wir heute gehört haben, ist ein sanitärer. Er hat die wesentliche Aufgabe, die Ausnutzung der Gesundheit und der Arbeitskraft der Arbeiter zu verhindern, und unterscheidet sich in dieser Be— ziehung, wie meines Erachtens Hr. Dr. Barth sehr richtig ausgeführt hat, sehr wesentlich von dem Maximalarbeitstag, den die Herren Sozialdemokraten in ihren Anträgen im Auge haben. Den Standpunkt des sanitären Maximalarbeitstages, der unter den Begriff des Arbelterschutzes fällt, haben auch alle diejenigen Anträge ein genommen, die bisher aus dem Hause hervorgegangen sind. Schon vor längerer Zeit ist ja ein Antrag der konservativen Partei gestellt worden, welcher einen zwölfstündigen Normalarbeitstag bezweckte; die Herren vom Centrum haben wiederholt den elfstündigen Maximal⸗ arbeitstag beantragt. Immer ist der Gesichtspunkt hervorgekehrt worden, daß es sich darum handelt, einer übermäßigen Aus⸗ nutzung der Arbeitskraft des einzelnen Arbeiters entgegen zutreten. Auch der Hr. Abg. Barth hat, wie ich wohl annehmen darf, im Namen seiner Fraktion erklärt, daß er einer derartigen Regelung der Arbeitszeit des männlichen Arbeiters nicht entgegen sein will, daß man von Fall zu Fall zu untersuchen habe, ob in einem Betriebe die Ausnutzung eine über⸗ mäßige sei, und daß, wenn das der Fall wäre, allerdings eine Legiti⸗ mation für die Gesetzgebung oder für die betreffenden Organe der Verwaltung gegeben sei, gegen diese übermäßige Ausnutzung vorzu— gehen. Meine Herren, ich befinde mich in dieser Beziehung in Ueber- einstimmung mit dem Hrn. Abg. Barth und bedaure, an dieser Stelle gleich erwähnen zu müssen, daß ich einigen seiner Ausführungen im Namen der verbündeten Regierungen auf das Bestimmteste wider⸗ sprechen muß. Hr. Dr. Barth hat nämlich bemerkt, daß die Schutzzoll⸗ gesetzgebung eine bewußte Stellungnahme zu Gunsten der Unternehmer oder Kapitalisten gegenüber den Arbeitern bedeute. Ich hoffe, meine Herren, daß er diesen Ausdruck „bewußte Stellungnahme zu Gunsten der Unternehmer oder Kapitalisten gegenüber den Arbeitern“ nicht so gemeint hat, wie es dem Wortlaut nach den Anschein haben müßte. Ich würde sonst fürchten müssen, daß die Nachbarschaft, die ihm nahe sitzt, eine gewisse Ansteckung auf ihn ausübt. (Heiterkeit Denn, meine Herren, dem Wortlaut nach enthielt dieser Ausspruch be wußte Stellungnahme“ nichts Anderes als den Vorwurf des so⸗ genannten Unternehmerzeistes, welcher uns ja von den Bänken der Herren Sozialdemokraten täglich entgegengetragen wird. Ich hoffe, wie gesagt, daß seine Ausführungen diesen Sinn nicht haben sollten und daß die Ansteckung, die ich für ihn befürchten müßte, wenn diese Hoffnung nicht zuträfe, doch nur eine sehr oberflächliche, eine Art von Hautkrankheit ist. (Heiter eit.)

Also, meine Herren, ich meine, daß, wenn wir überhaupt zu einem Maximalarbeitstag kommen, es sich nur darum handeln kann, in jedem Betrieb zu untersuchen, in wie weit die Arbeitskraft des Einzelnen durch die Länge der Arbeitszeit gefährdet ist. Es wird sich darum handeln, festzustellen: wie groß ist die Gefährlichkeit des Betriebes ? Wie groß ist die Anstrengung, der der Einzelne sich unter ziehen muß? Und weiter: ist die Arbeit eine kontinuir— liche, eine unausgesetzt die Arbeitskraft in Anspruch nehmende, oder kommen lange Unterbrechungen im Lauf des täglichen Betriebs vor? Es liegt auf der Hand, daß, wenn letzteres der Fall ist, auch eine längere Arbeitszeit ertragen werden kann. Nun berufen sich die

Herren Sozialdemokraten für die Möglichkeit der Einführung dieses

sanitären Maximalarbeitstags a'f die Vorgänge in anderen Ländern und auch auf Beispiele aus unserem eigenen Vaterland. Der Hr. Abg. Grillenberger hat gestern unter Anderem auch erwähnt, daß es in England eine große Zahl von Betrieben giebt, in denen 9, 8 Stunden und darunter gearbeitet wird, und er hat uns vor⸗ geführt, daß nach einem Buch, welches von zwei preußischen Berg⸗ beamten in meinem Auftrag veröffentlicht worden ist, die durchschnitt liche Arbeitszeit der englischen Grubenarbeiter7 Stunden 26 oder 35 Minuten betrage. Nun, meine Herren, solche Betriebe, in denen nicht länger als 9 Stunden, in denen 8 Stunden und darunter ge⸗ arbeitet wird, giebt es in Deutschland zweifellos auch. Ich will nicht untersuchen, ob es in England mehr solche Betriebe giebt als bei uns, aber in der Berliner Groß—2— industrie wenigstens wird meines Wissens nur wenig über 9 Stunden gearbeitet. Sie würden ganz gewiß eine Menge Be— triebe finden, wo dieses Maß noch unterschritten wird. Was die Arbeltszeit der Bergarbeiter in England betrifft, so hat der Hr. Abg. Grillenberger aus den in dem eitirten Buche befindlichen Angaben nur eine angeführt, und zwar diejenige, die seiner Beweisführung am Meisten dienen kann. In diesem Buche befindet sich nun aber ein Abschnitt, der überschrieben ist: Ueber die Schichtdauer in sämmt— lichen Bezirken, erstens nach den Erfahrungen der Verfasser. Nach den Erfahrungen der letzteren, auf deren Urtheil sich der Hr. Abg. Grillenberger beruft, stellt sich die Arbeitszeit in den englischen Gruben folgendermaßen:

Tifeshire 8 Stunden, Glasgow ⸗Bezirk 10 Stunden, Northumber⸗ land und Durham für die Arbeiter bei der Kohlengewinnung 7 bis 73 Stunden, für die Förderleute auf der Hälfte der Gruben 10 Stunden, auf der anderen Hälfte 11 Stunden, Vorkshire 8 bis 8t Stunden, Derbyshire 8z Stunden, Lancasbire 975 Stunden, Nord⸗Staffordshire 9 Stunden, Süd⸗Staffordshire 9 Stunden, Cleveland 8 Stunden, Nordwales 10 Stunden (wenn nur auf einer Schicht gearbeitet wird), 8 Stunden (wenn auf 2 oder 3 Schichten gearbeitet wird), Bristol⸗ Bezirk 10 Stunden, Südwales 10 bis 107 Stunden.

Das sind Angaben über sämmtliche Bergwerksbezirke in England.

Dann, meine Herren, kommt jweitens die Uebersicht über die Schichtdauer nach den Angaben eines Mr. Th. Ashton, Sekretärs der Miners Federation von Großbritannien. Derselbe stellt fest, daß die Arbeitszeit des Hauers vor dem Ortsstoß sich belief:

In 1 Falle auf 12 Stunden, 2 Fãällen 11 ö 10 bis 104 Stunden, 38 . 8 = * 5 * *. 71 * 1 valle ö Die Schicht der jugendlichen Arbeiter unter 15 Jahren war: auf 1 Grube 108 stündig, 63 Gruben 10 ö , 9 bis gz stündig. In PVorkshire: auf 6 Gruben 9 Stunden, 368 „81 bis 83 Stunden, 38 8 Stunden, 65 J] bis 7 Stunden.

Die Arbeitsschicht der jugendlichen Arbeiter unter 16 Jahren ist meikwürdigerweise zum Theil länger als die der Erwachsenen, was doch charakteristisch für eine Vergleichung zwischen den englischen und unseren Arbeitsverhältnissen in den Gruben ist. Die Schichten der jugendlichen Arbeiter betrugen:

auf 16 Gruben 10 Stunden, 48 9 bis 94 Stunden, 51 8 bis 8 Stunden.

Dann kommt in dem eitirten Buch in einer dritten Rubrik eine Angabe über die Schichtdauer nach dem Parlamentsbericht vom 8. Juli 1890, die das enthält, was der Pr. Abg. Grillenberger uns gestern vorgeführt hat. Nach diesem Bericht hat für die unter Tag beschäftigten Arbeiter die Zahl der täglichen Arbeitsstunden vom Verlassen der Oberfläche bis zur Rückkehr an dieselbe im Durchschnitt für das Königreich 8 Stunden 36 Minuten, die der wirklichen Ar⸗ beitszeit vor dem Ortsstoß 7 Stunden 25,8 Minuten betragen. Meine Herren, gegenüber diesen Ausführungen muß ich darauf hinweisen, daß in einem großen Theil unserer Gruben die achtstündige Schicht exklusive der Ein und Ausfahrt im Gebrauch ist, und daß junge Leute unter 16 Jahren bei uns unter Tag heute überhaupt nicht beschäftigt werden. Ich glaube also, unsere Verhältnisse können einen Vergleich mit den Arbeiterverhältnissen auf den englischen Gruben wohl aushalten. Dann, meine Herren, hat der Hr. Abg. Grikllen⸗ berger unter Anderem auch bezüglich der westfälischen G rubenarbeiter gestern gesagt: sie seien heute gezwungen, für die Regelung der Arbeitszeit, unter der sie Jahrhunderte lang sich glücklich befunden bätten, in er⸗ neuten Kampf einzutreten. Er ist der Meinung, daß die achtstũndige Arbeitsschicht inklusive der Ein und Ausfahrt der seit Jahrhunderten überlieferte ererbte Zustand sei.

Meine Herren, diese Ansicht ist völlig unrichtig: die Arbeitszeit unserer westfälischen Arbeiter war bis zur Mitte dieses Jahrhunderts, ehe die preußische neuere Gesetzgebung eingeführt wurde, in den alten elevisch⸗märkischen Bergordnungen geregelt. In diesen Bergordnungen ist besätimmt Sie gestatten mir, daß ich das kurz verlese:

Die Schichten sollen anf denen Werken und nach deren Be— därfniß vom Berg ⸗Meister und Gesckworenen reguliret und dergestalt eingerichtet werden, daß die vollen Schichten zu Acht Stunden, die Neben⸗Schichten aber Vier Stunden lang dauern.

Es ist also zulässig, daß neben einer achtstündigen Schicht eine vierstündige Nebenschicht eintritt.

Es sollen aber auf denen metallischen Bergwerken die Berg⸗ leute und Berg ⸗Arbeiter allezeit früb um 4 Uhr die erste Schicht bis 12 Uhr Mittags anfahren

Nun kommt eine Zeitbestimmung darüber, wann sie antreten müssen. Dann heißt es weiter: und also sollen sie acht Stunden beständig in der Arbeyt seyn und auch nicht eher ausfahren, bis diese acht Stunden verflossen, und sie ausgeklopfet werden. (Heiterkeit) Das ‚Ausklopfen“ bedeutet, daß ein Zeichen dafür gegeben wurde, daß die betreffende Arbeitsschicht beendet war. Der Bergmann mußte, ehe er ausfuhr, seine auf ein bestimmtes Quantum

begrenzte Arbeitsleistung erfüllt haben. Es war sonach zweifellos der gesetzliche unde übliche, der Jahrhunderte alte Zustand, in dem unsere Bergleute sich vollständig glücklich fühlten, daß acht Stunden vor Ort gearbeitet wurde, ausschließlich der Ein und Ausfahrt.

Meine Herren, es ist ganz interessant, einige andere Bestim— mungen in Betracht zu ziehen, die in diesen clevisch⸗märkischen Berg⸗ ordnungen stehen, um zu zeigen, daß unsere heutige Gesetzgebung sich nicht zu Ungunsten der Arbeiter verändert hat. So ist z. B. die Bestimmung darin enthalten, daß die Arbeiter ihre Arbeit im Ge⸗ dinge aushalten und nicht davon entweichen sollen:

Welcher Hauer oder Arbeiter aber seine Arbeit oder Gedinge auflassen, und sich weiter versuchen wollte, der soll selbiges 14 Tage vorher dem Berg⸗Meister und Geschwornen anlagen, und nach Ver⸗ lauf dieser Zeit sein Lohn und einen Abkehr -⸗Zettel erhalten, nach erhaltenem Abkehr⸗Zettel aber sich von Stund an fortmachen, des Bergwerks enthalten, und nicht durch sein Feyern und Müßiggang andere von ihrem Anfahren und Arbeit hindern, widrigenfalls das Berg ⸗Amt einen solchen Abgelegten oder Ab— gekehrten, der sich über drey Tage (es geschehe denn solches wegen Krankheit) aufhalten, und mit den Bergleuten konversiren wird, an eine Pönitenz⸗ Arbeit stellen, und durch Zwangs⸗-Mittel dazu an— halten soll. (Heiterkeit)

Meine Herren, ich bin weit entfernt, derartige Vorschriften in unsere Gesetzgebung wieder einführen zu wollen; ich will nur zeigen, wie der Jahrhunderte alte Zustand gewesen ist, unter dem unsere Bergleute nach der Ansicht der Herren sich bis dahin ganz wohl be— funden haben.

Vornehmlich aber exemplifiziren die Herren auf die Schweiz, und führen an, daß so gut wie in der Schweiz auch bei uns der 1IIstündige Normalarbeitstag hätte eingeführt werden können. Ich muß mir gestatten, mit wenigen Worten hierauf einzugehen, weil ich der Meinung bin, daß der Vergleich zwischen der Schweiz und uns nach verschiedenen Richtungen hin nicht zutrifft.

Zunächst, meine Herren, kann man meines Erachtens den 11stündigen Maximalarbeitstag der Schweiz unmöglich mit dem 8stündigen vergleichen, den die Herren Sozialdemokraten im Auge haben. Und wenn die Herren behaupten, einer der bekanntesten Fabrlkinspektoren der Schweiz habe nachgewiesen, daß die Produktion bei einer Arbeitszeit von 11 Stunden nicht ab— nehme gegenüber einer Arbeitszeit von 12 Stunden, so will ich das nicht in Abrede stellen; das trifft namentlich für denjenigen Arbeitezweig zu, der hier in Frage ist: für die Textilindustrie. Ganz anders aber das ist doch außer Zweifel würden sich diese Ver— hältnisse gestalten, wenn man von einem elfstündigen Arbeitstag auf einen achtstündigen überspränge, und auch der Uebergang, der von den Herren für 4 Jahre vorgesehen ist, kann unmöglich dazu führen, die Arbeitsleistungen von 8 Stunden anf die Höhe der Arbeitsleistungen von 11 oder 12 Stunden zu bringen. Das ist meines Erachtens für Jeden, der die Verhältnisse unserer betreffenden Maschineneinrichtungen kennt, völlig ausgeschlossen.

Dann, meine Herren, kommt in Betracht, daß es in der Schweiz überhaupt nur zwei große Betriebe giebt, die hier in Frage kommen: die Textilindustrie und die Maschinenindustrie. In der letzteren ist heuse behaupte ich bei uns der Arbeitstag des ständigen Arbeiters fast durchweg höchstenz auf 11, meist auf 10 Stunden festgesetzt; in der Textilindustrie wird es ganz noth2 wendig zur elfstündigen Arbeitszeit kommen in dem Augenblick, wo wir für die Frauen die Hauptbeschäftigten in der Textilindustrie den elfstündigen Maximalarbeitstag einführen. Wir haben also entweder schon den Zustand, wie er in der Schweiz durch die dortige Gesetzgebung eingeführt ist, oder werden ihn erhalten auf Grund der Bestimmungen, die wir in unsere Vorlage auf— genommen haben.

Dann, meine Herren, muß ich auch noch darauf hinweisen, daß auch die Handhabung eines Gesetzes außerordentlich entscheidend für die Frage ist, ob es wirklich nach allen Richtungen zur Durchführung kommt oder nicht; und ich habe einigen Zweifel darüber, ob der Maximalarbeitstag von 11 Stunden wirklich so in der Schweiz zur Ausführung gekommen ist, wie die Herren uns das vorhalten. Sie berufen sich mit Vorliebe auf ein Buch, das von dem Hrn. Ge— heimen Regierungs⸗Rath Koenigs herausgegeben ist und in dem allerdings der Satz enthalten ist, daß das Fabrikgesetz der Schweiz vom Jahre 1877 in Fleisch und Blut der dortigen Bevölkerung übergegangen ist; das heißt doch nach meiner Auffassung, meine Herren, das Gesetz und seine Handhabung sind in Fleisch und Blut der Bevölkerung übergegangen; die Leute fühlen sich mit dem Gesetz und seiner Handhabung zufrieden. In dieser Be— ziehung ist nun doch zunächst zu bedenken, daß, wie in einer Bemer kung, die im allgemeinen Theile seines Buches enthalten ist, Hr. Ge— heimer Regierungs⸗Rath Koenigs anführt, in der Schweiz die Gesetze überhaupt nicht in dem Maße nach ihrem Wortlaut zur Ausführung kommen, wie das bei uns der Fall ist, daß nach der allgemeinen Anschauung der schweizer Berölkerung weniger der Wortlaut, der Buchstabe, als der zeitige Volkswille den Interpreten für die Ausführung des Gesetzes abgiebt. Nun, meine Herren, nach den Angaben, die sonst in diesem Buch enthalten sind, ist es mir gar keinen Augenblick zweifelhaft, daß der zeitige Volkswille in der Schweiz noch nicht dahin geht, den Maximalarbeitstag von 11 Stunden Überall durchzuführen; es enthält das erwähnte Buch eine ganze Reihe von Einzeldarstellungen, die mir dafür einen über zeugenden Beweis geben.

In dem Kapitel über die Organe der Ausführung und ũber die Darchführung des Gesetzes in den einzelnen Kantonen finden sich diese einzelnen Darstellungen. Darnach finden die Behörden, welche mit der Ausführung und Ueberwachung des Gesetzes beauftragt sind, eine wesentliche Handhabe für eine laxe Praxis darin, daß es weder zeitliche Schranken für die Bewilligung der Ueberarbeit vorschreibt, noch daß es Gesichtspunkte giebt, nach denen diese Ueber arbeit zu bewilligen ist. Es liegt ja auf der Hand, daß, wenn von so und so viel Behörden ohne diese Beschränkung der Maximalarbeitstag durchgeführt werden soll, sich nothwendiger⸗ weise ganz auffallende Verschiedenheiten ergeben. Der Bundesrath hat zwar versucht, die wiederholt auf unbestimmte Zeit Seitens der schweizer Behörden ertheilte Genebmigung der Ueberarbeit für un— zuläfsig zu erklären. Nach den Berichten der Fabrikinspektoren der Schweiz dauern aber diese Bewilligungen fär unregelmäßige Zeiten beständig fort. Daju kommt, daß die Ortsbehörden sich für befugt halten, diese Genehmigung auf Ueberarbeit zu wiederholen.

* 1

Dazu kommt Alles nach den Ausführungen dieses Buches —, daß oft nicht kompetente Behörden diese Genehmigung ertheilen, und daß diese von nicht kompetenten Behörden ertbeilte Genebmigung bereit- willigst von den Fabrikanten acceptirt wird. Noch im Jahre 1888 hat sodann eine Kantonsregierung der Schweiz die NUeberarbeit für ein Etablissement auf ein Jahr bewilligt. Auf Grsuchen des Bundesraths ich sage: Ersuchen! da der Bundesrath in der Schweiz nicht in der Lage ist, in dieser Beziehung einen Zwang auszuüben wurde diese Frist allerdings herabgesetzt, immerhin aber noch auf einen Zeitraum von drei Monaten.

Ferner ist aus den Berichten der Fabrikinspektoren ersichtlich, daß zwei Drittel der Bewilligungen aller Ueberarbeit lediglich in geschäft - lichen Rücksichten ibren Grund haben. Das könnte meines Erachtens doch nicht der Fall sein, wenn man in der That ernst— haft an der Grenze des Maximalarbeitstages festhielte; denn die geschäftliche Rücksicht zum Grunde nehmen, von der Vorschrift abzugehen, das heißt mehr oder weniger sie auf- heben.

Endlich, meine Herren, muß ich darauf hinweisen, daß die Frage der Hülfsarbeiten und der Notharbeiten bei den Ausnahmen, die von dem Maximoalarbeitetag gemacht werden, in der Schweiz eine sehr erheb⸗ liche Rolle spielt. Im Jahre 1886 und 1887 berichten die Fabrik⸗ inspektoren der Schweiz, daß die Sxinner für jeden Tag eine halbe Putzstunde zu dem elfstündigen Arbeitstag eingeführt, d. h. die Ge⸗ nehmigung erhalten haben, eine halbe Stunde täglich über 11 Stunden hinaus zu putzen. Es wurde aber nur ein Mal in der Woche geputzt, und nichtedestoweniger an allen Tagen 113 Stunden durchgearbeitet, (hört, hört! rechte), das ist alles aus dem von mir erwähnten Buche zu ersehen.

Kurzum, meine Herren, es geht für mich daraus hervor, daß die Durchführung des elfstündigen Maximalarbeitstages auch in dem Lande, auf dessen Beispiel die Herren von der Sozial demokratie mit Vorliebe sich berufen, doch noch nicht eine vollständig perfekte ist; und soviel steht für mich fest, daß, wenn in Deutschland ein Maximal⸗ arbeitstag durch das Gesetz eingeführt würde, die Ausführung dieser Bestimmung eine ganz andere sein würde, als sie nach den von mir gegebenen Beispielen in der Schweiz ist. Das basirt ich mache daraus den Herren in der Schweiz durchaus keinen Vorwurf —, wie ich mir bereits zu bemerken erlaubte, darauf, daß rach der Volksanschauung die Gesetze nicht so stricte dem Buchstaben nach ausgeführt werden. Bei uns ist das anders; unserer Anschauung nach muß ein Gesetz seinem Wortlaut und seiner Ablsicht nach unbedingt und streng durchgeführt werden, und diese unbedingte und sirenge Durchführung wird erleichtert durch die straffe Organi⸗ sation eines Berufsbeamtenthums, welches man in der Schweiz nicht kennt, und die Wirksamkeit dieses Berufsbeamtenthums wird durch die intendirte starke Vermehrung der Fabrikinspektoren ganz außer— ordentlich erhöht.

Ich meine hiernach, die Beispiele, welche uns immer vorgeführt werden, können die Bedenken, die wir gegen eine sofortige Einführung des Normalarbeitstages haben, nicht beseitigen.

Nun ist aber der Grundgedanke des Antrages der Herren Sozialdemokraten nicht nur der Schutz des Arbeiters der steht für die Herren erst in iweiter Linie —, sondern der wesentlichste Grund für sie ist die Frage der Lohnregulirung. Ich theile darin die Anschauung des Hrn. Dr. Barth voll⸗ standig. Die Herren Sozialdemokraten sind der Meinung, daß, wenn der achtstündige Normalarbeitstag eingeführt wird, dann die Fabri⸗ kanten, die Unternehmer gensthigt sein werden, eine größere Zahl von Arbeitern einzustellen. Es würde die Zahl der beschäftigten Arbeiter vergrößert, die der unbeschäftigten vermindert und damit der Lohn nothwendigerweise gesteigert werden. Also Lohnregulirung, Lohn⸗ erhöhung bei Verminderung der Arbeitsleistung ist das Ziel des sozialdemokratischen Antrages, ein Ziel, welches ich mit dem Abg. Dr. Barth für ein durchaus erstrebenswerthes halte. Ich bin überzeugt, daß die Entwickelung unserer industriellen Verhältnisse dahin führen wird, daß eine kürzere Arbeitsleistung besser, als heute die längere bezahlt wird.

Meine Herren, wenn ich das als die Richtung unserer Ent- wickelung bezeichne, und sie als eine wünschenswerthe bezeichne, so muß ich doch sehr erhebliche Bedenken dagegen aussprechen, im Wege der Gesetzgebung eine solche Lohnregulirung in Aussicht zu nehmen. Denn, meine Herren, wenn wir auf den Boden treten, mit Einführung des Maximalarbeits tages eine Lohnerböbung zu bezwecken, so erwächst daraus die Verpflichtung, einer Lohnverminderung entgegenzutreten, wenn die Erwartungen, die sich an die Erlangung des Normalarbeitstages knüpfen, nicht in Erfüllung gehen, wenn durch diese Beschrãnkung der Arbeitszeit nicht eine Vermehrung, sondern eine Ver minderung des Lohaes eintritt. Daß das möglich ist, das ist in keiner Weise in Abrede zu stellen, es ist sehr wohl denkbar, daß der Ersatz, den die Fabrikanten gegenüber dem Ausfall an Arbeitszeit suchen müssen, nicht in einer erhöhten Einstellung von Arbeitern, sondern in einer Bermehrung der Maschinen nach Zahl und Leistungsfähigkeit gefunden wird. Es ist also durchaus nicht gesagt, daß die nothwendige Folge des acht— stündigen Arbeitstages wenigstens auf die Dauer eine erhebliche Vermehrung der Zahl der Arbeiter sein wird. Dann würde für ie verbündeten Regierungen zweifellos, nach⸗ dem sie sich einmal auf den Boden der Lohnregulirung gestellt hätten, die Verpflichtung entstehen, durch Gesetz den Minimal- lohn zu regeln, und das ist ein Standpunkt, auf dem wir den Herren keineswegs folgen werden, der unausführbar ist, und der meiner An= sicht nach zur allerempfindlichsten Schädigung unserer Industrie sowie unserer Arbeiter führen würde. .

Hiernach, meine Herren, kann ich nur erklären, daß die verbündeten Regierungen sich gegen den sozialdemokratischen Antrag unbedingt ab⸗ lehnend verbalten müssen, und von dieser Erklärung kann es mich auch nicht abbringen, wenn gestern hier der Hr. Abg. Grillen berger erklärt hat, er sei bereit, wenn die Regierung oder dieses Haus diese Kardinalpunkte ihrer Forderung erfüllte, uns eine ganze Menge anderer Sünden, die wir seiner Auffassung nach auf dem Gewissen haben, zu vergeben. Nebenbei gesagt, meine Herren, glaube ich ihm das nicht, er würde uns keine dieser Sünden vergeben. (Heiterkeit) Mit dem Augenblick, wo wir den Maximalarbeitstag in unsere Gesetzgebung aufgenommen hätten, würde Seitens der Herren Sozialdemokraten beantragt werden, die Regulirung des Lohnes in das Gesetz aufzunehmen, und Hr. Grillenberger würde mit dem Wohlwollen, das ihn gegenüber den Parteien dieses Hauses und der Regierung beseelt, dann auch wieder sagen: