1891 / 101 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 30 Apr 1891 18:00:01 GMT) scan diff

wäre oder zurückgehen müßte, dann stehen wir vor der Möglichkeit erneuter Einfübrung der Prämie. (Hört, hört! rechts. Hört, hört! links) Die verbündeten Regierungen und der Reichstag werden sich dann von Neuem zu prüfen haben, ob die Erfahrung Grund giebt, die Uebergangszeit zu verlängern oder höhere Prämien einzu— fübren. Zur Zeit aber glauben wit, daß es im Interesse der Reichs⸗ finanzen und im Interesse der deutschen Zuckerindustrie liegt, daß wir den Schritt thun, die Materialsteuer zu verlassen, das haben Sie mit überwiegender Majorität bewilligt, außerdem aber das System der Gewährnng von Prämien von einem heute zu bestimmenden Zeitvwunkte ab aufzugeben und sie nur etwa durch einen neuen Akt der Gesetzgebung eventuell wieder einzuführen, wenn es unbedingt

nothwendig ist.

Abg. Ulrich: Der Abg. Dr. Orterer verurtheile das System der, Exportprämien mit der größten Entschiedenheit und stelle zu gleicher Zeit einen Antrag, durch welchen die Frist, für welche die Prämien nach der Vorlage noch gewährt werden sollten, weiter ver⸗ längert werde. Einer solchen „positiven' Arbeit sönne seine Partei sich keineswegs anschließen. Sie wolle ernstlich die Beseitigung des jetzigen Zustandes; die Bevorzugung der großen industriellen Kapitalisten sei aber eben nur durch die Aufhebung der Prämien zu beseitigen. Das gehe nicht, sage das Centrum. Würde das Centrum für die sofortige Beseitigung der Prämien stimmen, so würde sehr leicht mit Hülfe der Linken diese Beseitigung beschlossen sein, und die Regierungen würden sich sehr besinnen, solchem Beschlusse nicht bei⸗ zutreten. Lehnten sie ihn ab, dann hätte der Reichstag nicht mehr die Verantwortung dafür, daß den Zuckerindustriellen weiter ungezählte Millionen in den Schooß geworfen würden aus den Mitteln der Steuerzahler. Gerade der Zustand, wie er bestehe, habe die Regierung ja gezwungen, ihre Vorlage zu machen. Das falfche System, welches bisher verfolgt worden sei, habe dazu geführt, daß die Engländer nicht nur den deutschen Zucker billiger hätten als die Dentschen, sondern daß sie auch ihre Konserven. und Zuckerwaarenfabrikat? in beträchtlich Mengen nach Deutschland einfuͤhren könnten. Seine . werde gegen jede Prämie und gegen jede Besteuerung des

uckers stimmen. ; .

Abg. von Koscielski lehnt aus den in der vorigen Sitzung vom Abg. von Staudy vorgebrachten Gründen die Vorlage ab, könne auch dem Antrage Orterer nicht bestreten, der für die Inter essen der Rübenzuglerindustrie im Osten kein genügendes Entgegen⸗ kommen biete. Die polnischen Abgeordneten wärden gegen die Vorlage und gegen alle eingebrachten Anträge stimmen—

Abg. Dr. von Bennigsen: Es könne sich nur darum handeln, wann das Todesurtheil an der Materialsteuer vollzogen werde Sei dieses System nicht zu retten, so sollten auch die Interess enten in ibren Anforderungen den Bogen nicht zu straff spannen. Selbst Bestimmungen über den Uebergang, welche nicht genügend erschienen, seien aanehmbarer, als die Ungewißheit, welche durch die Ablehnung jedes Vermittelungsvorschlages entstehen müsse. Was die Regierung vorgeschlagen habe, genüge nach der Meinung der Mebrzahl seiner Partei nicht; etwas mehr müsse dieser bedrohten Industrie geboten werden. Die Rübenpreise seien erheblich heruntergegangen in zahlreichen Distrikten Deutschlands, und sie würden durch die Herabsetzung der Export⸗ prämie noch weiter in dieser Tendenz bestärkt werden. Durch den Hinweis auf das Gnadeniabr habe der Schatzfekretär dies ausdruck, lich zugegeben. Die Anträge Hatzfeldt und Stolberg thäten des Guten zu vel. Der Antrag Hatzfeldt würde einfach die Konsequenz haben, daß die Frage der festen Exportprämien zu einer Wahlfrage gemacht würde, und das müsse man unter allen Umständen vermeiden. (GZustimmung links) Für seine Perfon könne er dem Antrage Orterer zustimmen.

Abg. Schrader: Die Erklärung, welche der Staatssekretär zwar nur für seine Person, aber doch nach seinen eigenen Worten als die wahrscheinliche Anschauung der Gesammtheit der verbündeten Re⸗ gierungen abgegeben, habe ibn (den Redner) aufs Aeußerste in Erstaunen

esetzt. Bisher habe seine Partei die Meinung gehabt, die Vorlage abe den Zweck, dem Prämiensystem ein Ende zu machen; jetzt werde gesagt, das sei keineswegs die Hauptfache, die Hauptsache sei die Erzielung größerer Erträge aus dem Zucker, und' man behalte sich vor, die Beibehaltung der Prämien oder ihre Neueinführung je nach dem Verlauf der Dinge in der Zuckerproduktion der verschiedenen Probuktionsländer ing Auge zu fassen. Wahrscheinlich werde sich nun eine Mehrheit für einen der gestellten Anträge ergeben, aber die von allen Seiten gewünschte Ruhe für die Zuckerindustrie felbst werde nicht eintrelken. Wir die Dinge lägen, könne seine Partei über ihren Antrag nicht hinaus gehen; unter anderen Umständen wäre sie dazu bereit gewesen. Die Prämien seien nach ihrer Meinung nicht nöthig für Deutschlands Stellung auf dem Weltmarkte; ob die in Aussicht genommenen Termine die richtigen seien, könne Niemand wissen; nehme man jeßt den Antrag seiner Partei nicht an, so werde der Augenblick kommen, wo sich Alle auf ihn vereinigen müßten

Staatssekretär Freiherr von Maltzahn:

Der Herr Vorredner hat gem int, ich habe gesagt, man werde, wenn am Ende der von den Regierungen vorgeschlagenen vierjährigen Periode unsere Nachbarstaaten uns in der Aufhebung der Prämien nicht gefolgt seien, die Frage von Neuem in Erwägung ziehen müssen, ob daraus ein Grund für eine neue Einführung von Prämien oder für eine Verlängerung der bestehenden entnommen werden könne, und der Herr Vorredner hat weiter gemeint, daß damit der Standpunkt der Vorlage der verbündeten Regierungen verlassen sei. Selbst wenn ich eine derartige Aeußerung gethan hätte, so würde der Standpunkt der Vorlage damit nicht verlass en sein. Ich habe die Aeußerung aber in dieser Form nicht gemacht.

Was ist der Standpunkt der Vorlage der verbündeten Regie⸗ rungen, den die verbündeten Regierungen noch heute einnehmen und den ich noch heute zu vertreten ausschließlich berufen bin und versönlich mit meiner Ueberzeugung vertrete? Es ist dieser: es ist Zeit, mit dem System der Materialsteuer zu brechen. Soweit hat der Reichstag den Anschauungen der verbündeten Regierungen bereits durch seinen Beschluß von vor— gestern seine Zustimmung gegeben. Es ist ferner geboten, mit dem System der Prämiengewährung zu brechen, es ist aber weiter geboten, dies nicht unvermittelt und plötzlich ju thun, sondern eine Uebergangsperiode eintreten zu lassen, nach deren Ende, wenn nicht ein neuer Akt der Gesetzgebung eintritt, die Prämien von selbst ausfallen. Wenn Sie das Gesetz, oder den Antrag Dr. Orterer, oder den Antrag Graf Stolberg annehmen, so wird immer ein Moment eintreten, wo die Prämien fortfallen, und über diesen Moment hinaus sie beste hen zu lassen, würde es eines neuen Aktes der Gesetzgebung, und zum Zu⸗ standekommen dieses Aktes der Gesetzgebung der Uebereinstimmung von Bundesrath und Reichstag bedürfen. Das ist eine wesentliche Verän · derung gegenüber der Fortdauer des jetzigen Zustandes, wo einfach die aus der Materialsteuer und ihrer Vergütung fließende Prämie bis auf Weiteres, bis zur gesetzlichen Abänderung, jährlich in steigendem Maße, weitergezahlt werden muß. Was ich nun gesagt habe, ist und ich glaube, in seiner überwiegenden Mehrheit wird und muß mir der Deutsche Reichstag darin beistimmen —: die verbündeten Regierungen sind der Meinung, daß nach einer Uebergangszeit von vier Jahren, die sie im Gesetz vorgeschlagen haben, soweit man heute die Ver⸗ hältnisse übersehen kann, die deutsche Zuckerindustrie in der Lage sein

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wird, ohne Prämiengewährung ihren Platz auf dem Weltmarkt zu behaupten, ganz abgesehen davon, daß ihr ja der inländische Markt ausschließlich vorbehalten bleibt. Ein Theil der Interessenten behauptet, es werde dies nur dann der Fall sein, wenn unsere Nachbarn in der Zwischen⸗⸗ zeit ibte Prämien wesentlich ermäßigt hätten; wenn dies nicht eintrete, so würde die deutsche Zuckerindustrie nothwendiger Weise wesentlich zurückgehen. Die verbündeten Regierungen das zeigt Ihnen die Vorlage sind nicht der Meinung, daß diese Befürchtung richtig ist; aber wenn sich entgegen ihrer jetzigen Meinung aus der Erfahrung ibnen die Ueberzeugung aufdrängen sollte (Hört! hört! rechts), daß ein derartiges wesentliches Zurückgehen der deutschen Zuckerindustrie eingetreten ist innerhalb der vier Jahre, und daß dieses Zurückgehen in dem Nichtfolgen unserer Nachbarn mit der Aufhebung der Prämien seinen Grund hat, meine Herren, dann glaube ich, ist für jede Volksvertretung und für jede Regierung die Noth⸗ wendigkeit gegeben, in eine neue Erwägung der Frage einzutreten, ob diese den früheren Annahmen widersprechende Erfahrung zu anderen Schritten zwingt oder nicht. Aber selbst, wenn man dann auf Seiten der verbündeten Regierungen zu der Meinung kommen sollte, daß man die Prämie verlängern müßte, so würde es eines neuen Gesetzes, einer neuen Uebereinst immung z vischen Bundesrath und Reichstag bedürfen, um solche Einrichtung ins Leben zu rufen.

Also, meine Herren, der Standpunkt der verbündeten Regierung ist heute derselbe, wie bei der Einbringung der Vorlage: die Material- steuer soll aufgegeben werden, von einem heute zu bestimmenden Zeit⸗ punkte ab soll überhaupt jede Prämiengewährung aufhören; aber wir wollen diese Prämien nicht sofort aufhören lassen, auch um des willen, weil wir unseren Konkurrenzländern nicht ohne Noth einen Vorsprung uns gegenüber vorzeitig gewähren wollen.

Abg, von Stau dv erklärt, für keinen der eingebrachten An—2— träge stimmen zu können Die Ablehnung jeder Veränderung des gegenwärtigen Zustandes würde nicht so verhängnißvolle Wirkungen haben, als die Annahme irgend eines der gemachten Vorschläge. Die ungünstige Wirkung einer Abnahme der Zuckerproduftion würde auch den preutzischen Eisenbahn Etat sehr unguͤnstig beeinfluffen.

Abg. Uhden beantragt, in dem Antrage Hatzfeldt die Worte „bis auf. Weiteres“ zu streichen. Diese Aenderung würde die Möglichkeit geben, ö durch übereinstimmende Beschlüsse des Reichstages und Bundesrathes die Prämien aufzuheben.

Der Antrag Uhden zum Antrage Hatzfeldt und der An— trag Hatzfeldt selbst werden abgelehnt.

Der Antrag des Grafen Stolberg wird in namentlicher Abstimmung mit 228 gen 16 Stimmen verworfen. Ueber den Antrag rterer⸗Spahn wird ebenfalls nament⸗ lich abgestimmt. Der Antrag wird mit 142 gegen 104 Stim— men abgelehnt.

Darauf mird auch der 8. in der Fassung der Regierungs— vorlage abgelehnt. .

Ueber die Exportprämien hat also keine Einigung statt— gefunden. Die Debatte wendet sich zu 5. 2, wonach die Kon— sumabgabe von 12 auf 22 S6 erhöht werden soll. Die An⸗ träge der Abgg. Graf Stolberg und Dr. Orterer wollen 18, der der Abgg. Dr. Wit te u. Gen. 16 6 bewilligen.

Abg; Dr. Witte: Es sei sehr bedauerlich, daß der Staats— sekretär Freiherr von Maltzahn die vorhin gehörte Erklärung ab— gegeben babe, wlche in der gesammten Zuckerindustrie nothwendig eine neue Beunruhigung hervorrufen müsse. Aus einer Erhöhung der Verbrauchsabgabe auf 16 M werde eine so erhebliche Mehrein' nahme für die Reichskasse sich ergeben, daß die Annahme des An trages durchaus in ihrem Interesse liegt.

Abg. Graf Hoensbroech: Nachdem die Prämien gefallen seien, könne seine Partöi trotzdem den Antrag Witte nicht annehmen. Im Centrum stehe man auf dem Standpunkt, daß eine Einigung über die Exportprämien bis zur dritten Lesung herbeigeführt werden müsse. Das Centrum sei schon in der Kommission bis auf 18 4 gegangen; es sehe darin keine Erhöhung des Zuckerpreises. Komme über' die Prämien endgültig keine Einigung zu Stande, dann würde das Centrum freilich an die 18 6 nicht mehr gebunden sein.

Abg. Graf Stolberg faßt den Beschluß zu F. 67 nicht als end⸗ gültig auf, sonst werde der Satz von 18 M erhöht werden müffen. Es würde sich bis zur dritten Lesung wohl eine Einigung ermög⸗ lichen lassen.

Abg. Richter: Mehr Geld zu bewilligen, als jetzt aus der Zuckerbesteuerung aufkomme, sei er nicht in der Lage. Eine Erhöhung der Verbrauchsabgabe von 12 auf 16 6½ς würde ein Plus von netto 11. Millionen, auf 18 66 ein Plus von 20 Millionen ergeben. Er halte Beides nicht für gerechtfertigt. Diejenigen Herren, welche 18 4 beantragt hätten, sollten Veranlassung nehmen, von diefem Satz zurückjutreten. Allerdings hätten einige Redner ihre Zustimmung zu dem Satz von 18 16 nur unter der Voraussetzung der Bewilligung von Prämien gegeben, aber darüber wisse Niemand etwas Gewisses, ob und was noch in diesem Jahre in dieser Hinsicht geschehe.

Staate sekretär Freiherr von Maltzahn:

Dem Hrn. Abg. Wisser möchte ich erwidern, daß bei der Ab⸗ fassung der Vorlage davon ausgegangen ist, daß unter den Begriff Rübe auch die Möhre fällt.

Was die zu §. 2 gestellten und noch aufiecht erbaltenen Abände⸗ rungganträͤge betrifft, so trifft auch in Bezug auf diese Abänderungẽ⸗ anträge das zu, was ich vorhin bezüglich der Amendements zu §. 67 gesagt habe, daß die beantragten Abänderungen der Regierungsvorlage für die verbündeten Regierungen um so bedenklicher werden, je weiter sich ir Inbalt von dem Inhalt der Regierungsvorlage entfernt. Die ver⸗ bündeten Regierungen sind, wie Sie wissen, der Meinung, daß eine erhöhte Einnahme aus der Zuckersteuer nothwendig ist und erreicht werden muß bei dieser Gelegenheit, wo fie erreicht werden kann, ohne höhere Be⸗ lastung des inländischen Konsumenten und gleichzeitig mit dem Ver⸗ lassen des bisherigen Besteuerungsmodus. Die verbündeten Regie⸗ rungen begründen ihre Ueberzeugung von dieser Nothwendigkeit der Beschaffung erhöhter Einnahmen auf das erhöhte Ausgabebedürfniß des Reichs und der Einzelstaaten, welches näher darzulegen ich in diesem Augenblick verzichte, näher darzulegen aber bereit bin, soweit ich es kann, wenn es gefordert werden sollte. Es ergiebt sich hieraus, daß für die verbündeten Regierungen der Satz von 18 S eher annehmbar sein würde, wenn der übrige Inhalt des Gesetzes ihre Zustimmung finden sollte, als irgend ein niederer Satz, und ich be⸗ zweifle persönlich, daß bei einem Peruntergehen unter den Satz von 18 die Beschlüsse des Reichstages Aussicht auf Annahme Seitens der verbündeten Regierungen haben.

In der Abstimmung wird nach Ablehnung der Regie⸗ rungsvorlage, der Antrag, die Konsumabgabe auf 18 S zu erhöhen, mit 112 gegen 198 Stimmen abgelehnt. Auch der Antrag Witte und schließlich der 8.2 werden abgelehnt.

§. 64, Erhöhung des Zuckerzolls auf 36 S6, wird nun⸗ mehr ebenfalls ab n, . dagegen 5§. 65, wonach das Gesetz am 1. August 189

in Kraft treten soll, unter Ablehnung des

Antrags Witte, als Termin schon den 1. August 1891 zu setzen, an gens mmen, und ebenso 5. 66. Damit ist die zweite Berathung des Gesetzentwürfs erledigt. Die Resolution des irn , Hatzfeldt, betreffend erneute inter⸗ nationale Verhandlungen Über die Abschaffung der Export⸗

prämien, wird bis zur dritten Lesung zurückgestellt, die ein⸗ eren 1019 Petitionen sollen durch die gefaßten Be⸗ a, für erledigt erklärt werden.

chluß 5 Uhr.

Serrenhaus.

16. Sitzung vom Mittwoch, 29. April.

Der Sitzung wohnten der Minister der öffentlichen Arbeiten von Maybach und der Minister des Innern Her rfurth bei.

Auf der Tagesordnung steht zunächst die Berathung des Entwurfs einer Wegeordnung für die Provinz Sachsen.

Graf von Frankenberg führt als Nicht⸗Sachse zu diesem Gesetzentwurf aus, daß auch die anderen Provinzen an demselben ein Interesse hätten, da dieser Entwurf nach und nach ausgedehnt werden olle. Der Entwurf stehe wegen feiner Kürze im wohlthuenden Gegensatz zum Entwurf der Landgemeindeordnung. Der Gntwurf lasse aber für zu viele Dinge die besonderen Poliiciverordnungen zu, die dann in jedem Regierungsbezirk verschieden ausfielen. Die Kunff⸗ straßen seien aus dem Besetz ganz weggefallen, weil die Regierung dafür ein besonderes Gesetz ansetzen wolle; ebenso fehle es an Vor' schriften über die Feldwege.

In der Spezialdiskussion werden die einzelnen Paragraphen mit den von der Kommission beantragten, zum Theil un— erheblichen Aenderungen angenommen, auch die Aenderung im

18, wonach auf die Wegeverbände die Vorschriften“ der

andgemeindeordnung Anwendung finden sollen. Schließlich gelangt auch das Gesetz im Ganzen zur Annahme.

In einmaliger Schlußberathung wird dann der Gesetz— entwurf, betreffend die Heranziehung der Fabriken z. mit Vorausleistungen für den Wegebau in der Rheinprovinz ohne Debatte angenommen.

Es folgt die Berathung der Landgemeindeordnung.

Der Präsident Herzog von Ratibor schlägt vor, die Vorlage einer besonderen Kommission von 20 Mitgliedern zu überweisen.

In der Generaldiskussion bezeichnet

Graf Hohenthal den Gesetzentwurf als einen großen Fehler; es werde darin ein frischer fröblicher Junkersport betrieben von der Bureau⸗ krati und dem Linksliberalismus zum Schaden des politischen Ansehens des Ministeriums Caprivi. Was nothwendig sei, hätte erreicht werden können durch eine Novelle zum Eesetz von 1856 über die Bildung von Zweckverbänden. Deshalb lehne er die Vorlage angebrachtermaßen ab. Mit der Kreisordnung sei die Reform der inneren Verwaltung in der Hauptsache zum Abschluß gekommen. Das habe der König selbst anerkannt nach Abschluß der betreffenden Gesetzgebung durch die Thronrede von 1888. Mit dieser Thronrede vertrage sich die Land— gemeindeordnung nicht. Es müsse vom Minister des Innern eine unumwundene Erklärung verlangt werden, wie er zu dieser Thronrede stehe. Im Einzelnen sei 5. 2 bedenklich wegen seiner Kompliztrtbeit und wegen des anomalen Instanzenweges. Es sei keine Arbeit für das Staats- Ministerium, mit Gründen versehene Beschlüsse zu fassen. Als oberste Instanz in diesem Falle hätte nur das Ober⸗-Verwaltungtz⸗= gericht gelten können. Durch solche Dinge würden die Blicke der Minister abgezogen vom Ganzen auf Einzelheiten. Nun zu §. 48. Er wohne wenige Meilen von Leipzig: auf seinen Dörfern wohnten Leute, die in Leipzig zur Arbeit gingen und sozialdemokratisch angehaucht seien. Wohin folle das führen, wenn diese Leute mit dem Stimmrecht ausgestattet würden? Die Verleihung des Stimmrechts an Jeden, der zufällig innerhalb Der Gemeinde wohne, sei eine demokratische Tendenz. Ein solches Vor⸗ gehen werde mit tiefstem Unwillen aufgenommen werden. Er ver— weise auf einen Aufsatz in der allgemeinen deutschen konservativen Monatsschrift, in welcher über diefe Landgemeindeordnung ein ab˖ fälliges Urtheil gefällt und der Minister auf seiner demokratischen Anschauung festzenagelt werde. (Heiterkeit, Der Gedanke dieser Landgemeindeordnung sei vom Minister des Innern gewiß seit einem Jahrzehnt gehegt und gepflegt und üter Nacht dem Lande auf⸗ oktroirt worden; er (Redner) halte es für nothwendig, diesen seinen Standpunkt hier darzulegen.

Herr von Bethmann-Hollweg: Die langwierigen Vor— verhandlungen im anderen Hause entbänden das Herrenhaus nicht der Verpflichtung, den Entwurf einer unabhängigen eingehenden Be⸗ rathung zu unterziehen. Er verwahre sich dagegen, daß er eine Verschleppung der Sache und ein Zufallbringen, des Gesetzes beab— sichtige. Er wünsche vielmehr, daß bald eine Einigung erzielt werde; denn der Entwurf fülle manche Lücken aus und bringe bessere Be⸗ stimmungen über die zwangsweise Zusammenlegung von leistungs⸗ fähigen Kommunalverbänden und über die Bildung von Zweckoerbänden. Vor einer gewissen Reformepidemie brauche er wohl in diesem Hause nicht zu warnen; hier werde die Grenze nothwendiger Neuerungen nicht über⸗ schritten werden. In manchen Fällen, das erkenne er an, sei die Aufhebung selbstäadiger Gutsbezirke im öffentlichen Intereffe geboten. Aber die Regierungsvorlage gehe darin zu weit, namentlich wenn es an der Einheitlichkeit des Besitzes mangele bei Anlage von Kolonien u. s. w. Wenn dieser Grundsatz gelten solle, werde die Einrichtung von Rentengütern nicht gefördert werden; denn die Anfetzung von Rentengutsbesitzern in größerer Anzahl werde dann die Auflösung des Gutsbezirks zur Folge haben. Er hätte gewünscht, daß man bei der Vorlage weniger vom Mißtrauen gegen die Selbft⸗ verwaltungskörperschaften geleitet v orden wäre. Tie Auslassung des Staats- Anzeigers“, daß die Kreisausschüsse nicht befäbigt feien ein unparteiisches Urtheil zu fällen, sei zu hart gewesen. ustimmung ) Er begrüße deshalb die Aenderung dieses Theiles der Vorlage im

2, worüber ja wohl eine Einigung erzielt werden werde. Viel weiter gehend ist die Aenderung des Stimmeechts in den Gemeinden. Er glaube sich in Uebereinstimmung mit der Staatsregierung zu be⸗ finden, daß dem Bauernstande der maßgebende Einfleß unter allen Umständen gelassen werden müsse. Er verstehe unter Bauernstand die gespannhaltenden Wirthe, welche die Hauptgemeindelasten trügen. Ibnen gegenüber stänten di Büdner oder Häusler und schließlich die Miether. Die Letzteren kämen wenig in Betracht, weil sie keine Kommunallasten zahlten und deshalb aach kein Stimmrecht hätten. Aber das Stimmrecht der Bübner sei bedenklich da, wo deren Zahl erheblich gewachsen sei; sie könne zu einer Majorisirung der gespannhaltenden Bauern führen. Er fei nicht in der Lage, zu über⸗ seben, ob die Kautelen des vermehrten Stimmrechts an die Bauern ausreichen würden. Das in zweiter Lesung von der Kommission des Abgeordnetenhauses Vorgeschlagene reiche nach seinen Berechnungen vielfach nicht aus, die Majorisirung der Bauern zu verhindern. Die Oeffentlichkeit der Verhandlungen der Gemeindepersammlung und Gemeindevertretung sei bedenklich. Er wolle nicht der Heimlichkeit das Wort reden, aber er wolle auch nicht dem Terrorismut Thür und Ther öffnen. Die Zweckverbaͤnde seien ja ganz hübsch, aber große Ziele würden dadurch nicht erreicht werden. Die zwangsweise Zu⸗ sammenführung von Kommunal verbaͤnden werde zu fteten Streitigkeiten fübren. Der naturgem äße und beste Zweckverband sei der Krreig Fustimmung., Es handele sich um die Schulbau⸗, Wegebau und Armenlast. Seit der Einführung der Kreisordnung sei der Wegebau erheblich gefördert worden, wo das nicht der Fall fei, liege Leistungs— unfähigkeit vor. Für die Schulbaulast könne anderweitig besser gesorgt werden, wenn den Kreisen die Mittel gegeben würden, um leistungs⸗ unfähige Gemeinden zu unterstützen.

Prinz zu Schönaich-Carolath: Er erblicke in der Vorlage nur eine Erfüllung von Versprechungen, welche die Königliche Staats. regierung gegeben habe. Weshalb der erste Redner sich auf ein Wort des Königs berufen habe, wisse er nicht. Glaube er, daß diese Vorlage gemacht sei ohne Zustimmung des Königs? In den Worten des Staats⸗Anzeigers' habe er einen so scharfen Tadel, wie der Vorredner, nicht finden können; er babe nur herausgelesen, daß gewisse staatliche Funktionen nicht ruhen könnten in den Händen einer gewählten Selbstverwaltungskörperschaft. Der Minister des Innern sei in erster Linie berufen, die Organe der Selbstverwaltung zu schützen, und er werde diese Pflicht nicht dadurch verletzen, daß er sie im Staats- Anzeiger“ angreife. Der Minister des Innern habe eine alte Auf⸗· gabe überkommen. Bei Vorlegung der Kreisordnung habe der Minister Graf Gulenburg erklärt, daß die Vorlage einer Landgemeindeordnung selbstverständlich folgen werde. Von der Schädlichkeit und Gefährlich⸗ keit der Bestimmungen des Gesetzentwurfs habe er sich nicht überzeugen können. Die zwangsweise Auflösung von Guts bezirken und Landgemeinden und die Vereinigung derselben mit ein · ander, wo diese ihre Pflicht nicht mehr zu erfüllen vermöchten, seien doch keine Gefahr, sondern eine Notbwendigkeit. In der Neuordnung des Wahlrechts, in der Wahl und in der Oeffentlichkeit der Ver⸗ handlungen der Gemeindevertretungen könne er keine Gefahr erblicken, zumal den Grundkesitzern in diesen Geineindevertretungen zwei Drittel der Stimmen gesichert seien. Daß der erste Redner dem Minister des Innern demokratische Tendenzen unterlege, sei wunderbar. Wie käme denn der Minister, der Jahre lang unter Herrn von Puttkamer Unter ⸗Staatssekretär gewesen sei, zu demokratischen Tendenjen. Die Vorlage sei eine durch und durch konservative, sie sichere das Uebergewicht des Grundbesitzes und schaffe eine Gemeindevertretung, die ein Segen sei für die größeren Gemeinden. Dem Ninister⸗ Präsidenten sei es verdacht worden, daß er erklärt babe, er sehe jede Vorlage darauf hin an, ob sie geeignet sei, die Sozialdemokratie zu bekãmpfen. Für diese Auslassungen müsse man dem Minister de, ,. dankbar sein. Dadurch werde der Sozialdemokratie eine übermäßige Bedeutung beigelegt, sondern es werde nur immer wieder darauf hingewiesen, daß alle anderen Elemente sich zusammentun müßten zur Bekämpfung der Sozial demekratie. Die Landgemeindeordnung nütze der Sozialdemokratie nichts, sondern schädige sie. Denn sie schaffe zufriedene Leute, ebenso wie die Kreisordnung dies gethan habe, Nach einer Reibe von Jahren werde man über die Landgemeindeordnung ebenso denken wie Redner heute. Wenn der Minister wegen seiner Vorlage ange— feindet werde, so tbeile er das Schicksal mit allen großen Staats— männern, welche große Reformen durchgefübrt hätten, mit dem Frei—⸗ herrn von Stein, dem Fürsten Hardenberg und auch dem Grafen Eulenburg J.

Graf Brühl: Wenn es schon konservativ sei, daß das Uebergewicht der Bauern in der Gemeindevertretung erhalten werde, dann sei es leicht konservativ ju sein; dann seien die Sozialdemokraten auch Konservative, denn ihr Brot wollten sie sich auch erhalten. Nur Der sei konservativß . der Bestehendes nur ändere, wenn die Aenderung auch konservativ sei. Er wolle das vorliegende Gesetz nicht als ein radikales bezeichnen, aber es bringe immerhin recht gefährliche Neuerungen. Es bringe den ersten Schritt zu einer Beseitigzung der Gutsbezirke. Wenn die Welt nicht untergegangen sein werde, nachdem einige Gutsbezirke beseitigt seien, dann werde man sagen, das Gesetz habe sich bewährt, also fort mit den Guts. bezirken. Die Einführung des Stimmrechts der Nichtangeseffenen sei an sich auch nicht gefäbrlich. Aber nach einigen Jahren werde man sagen: es gehe ganz gut, die nichtangesessenen Klassen seien jetzt viel sftärker geworden, man müsse ihnen mehr Stimmrecht geben. Der Oeffentlichkeit sei ja ein großer Riegel durch die Verhältnisse vorgeschoben; denn in der Schulzenstube werde keine öffentliche Versammlung stattfinden können. Wenn das Gesetz nicht wesentlich in konservativem Sinne verändert werde, werde er nicht in der Lage sein, dafür zu stimmen. Es sei innerhalb dieses Hauses gesagt worden, wenn das Gesetz nicht angenommen werde, könne ein Pairsschub kommen, es könne ein schlimmeres Gesetz als das jetzige kommen. Es seien Auflösungen vorübergegangen, man habe einen Pairsschub gebabt, der ihm nicht richtig erschienen sei; man möge sich aber die Listen der Fraktionen des Hauses ansehen und sehen, wie stark die konservative Fraktion jetzt jei, sie habe einen bedeutenden Fortschritt gemacht. Er bitte also, sich von solchen Befürchtungen nicht einschüchtern zu laffen. Gegen den Vorredner möchte er den Minister des Innern in Schutz nehmen. Jener habe gesagt, dieser sei verpflichtet, frührre Versprechungen auszurühren. Er sei kein Ver— götterer des parlamentarischen Sptems, aber wenn es einen Vorzug habe, so sei es der, daß mit dem Fall eines Ministers sein Nachfolger nicht gebunden sei, die Versprechungen des Vorgängers zu erfüllen (Heiterkeit) sonst käme man aus den Resolutionen gar nicht heraus. Daß der Minister des Innern Unter⸗-Staatssekretär des Herrn von Puttkamer gewesen sei, sei richtig; aber Herr von Puttkamer sei für die Erziehung des Ministers Herrfurth nicht verantwortlich. Die Vorlage sei ö sehr Viele in diesem Hause in ihrer jetzigen Form unan— nehmbar.

Wirklicher Geheimer Rath von Kleist- Retz ow: Die Vorlage, wie sie zuerst gemacht worden sei, babe die allergrößte Gefahr enthalten; etwas Anderes aber sei die Vorlage, wie sie jetzt an das Haus komme. Der Vorredner gehe mit seinen Ausführungen zu weit. Die Kodi— fikation sei ja allerdirgs bedenklich. da das Volk das Recht aus der Ausübung kenne und nicht aus einem Buche. Aber trotzdem sei er für das Gesetz, weil die Kodifikatzon so schwere Schäbigungen nicht bringe, wie man ursprünglich habe befürchten müssen. Der Inbalt der Regierungsvorlage sei aber so bedenklich gewesen, daß dadurch unsere glücklichen ländlichen Zustände beseitigt worden wären. Es sei dies nicht die Absicht gewesen, aber wohl der Eriolg der Vor- lage; Thür und Thor würden für jeden liberalen Doktrinarismus geöffnet worden sein. Die Vorlage gebe darauf aus, große Ge— meinden mit vielen Aufgaben zu schaffen, namentlich sollten Guts— bezirke und Gemeinden vereinigt werden, und nach der Vorlage habe das geschehen können in öffentlichem Interesse, auch wenn beide ein · zeln vollständig leistungssähig gewesen seien Die Zweckverbände sollten namentlich für die Armenpflege geschaffen werden. Es sei wunderbar, daß Angesichts der Alters und Invalidenversicherung für die Armenpflege nech besondere Verbände geschaffen werden sollten. Auf dem Lande, namentlich auch in den Gutsbezirken, gebe es keine Armen Für den Wegebau seien fast in allen Rezessen Bestimmungen enthalten. Einzig und allein die Schulverbände seien nothwendig, und diese könnten nach der Regierungs-Instruktien von 1817 Seitens der Bezirksregierungen gebildet werden nach besseren Grundsätzen als denen in der Landgemeindeordnung; denn danach müßten die Lasten nach den Steuern getragen werden. Aber wenn auch die Zweckoerbände nicht eingeführt würden, so müsse doch angenommen werden, was an nehmbar sei. (Beifall.)

Minister des Innern Herrfurth:

Seine Excellenz Herr von Kleist⸗Retzow hat zu Anfang seiner Rede mit Recht hervorgehoben, daß derjenige Entwurf einer Landgemeinde ordnung für die östlichen Provinzen, welcher der Beratung dieses hohen Hauses zur Zeit unterliegt, nicht allein und ausschließlich der ursprüngliche Entwurf der Staatzregierung ist, sondern daß er in mehr oder minder wesentlichen Punkten geändert und ergänzt, in dieser Fassung aber versehen mit der fast ein stim migen Zustimmung des anderen Hauses hier an den dritten Faktor der Gesetzgebung gelangt ist. Meine Herren, ich würde auf alle Ausführungen des Herrn Vor redners, welche sich gegen die ursprüngliche Regierungsvorlage richten, nur dann antworten müssen, wenn meine Absicht dahin ginge, Ihnen diejenigen Aenderungen, welche das andere Haus beschlossen hat, zur Ablehnung zu empfehlen. Das ist aber nicht der Fall. Die Herren werden vielleicht sich erinnern, daß ich bei der Schlußabsti mmung im anderen Hause ausdrücklich die Erklärung ab-

gegeben habe, ich sei bereit, den Entwurf, wie er sich nach den Be—⸗ schlüssen dritter Lesung gestaltet babe, voll und ganz im Herrenhause zu vertreten und dessen unveränderte Annahme zu empfehlen. Diejenige retrospektive Kritik, welche Seine Excellenz Herr von Kleist⸗ Retzow der ursprünglichen Vorlage hat angedeihen lassen, ist daher augenblicklich nicht von einer praktischen Bedeutung, sondern nur von einem historischen Werthe. Ich streife sie deshalb auch nur mit einigen Worten: Ich muß aber dabei hervorheben, daß diese Kritik fast in allen Punkten, jedenfalls in den wesentlichen Punkten auf Mißverständnissen theils der Absicht, theils des Inhalts der Regierungs vorlage beruht. Immerhin ist es mir ganz angenehm, daß diese Mißverständnisse bei ihm vorgewaltet baben; denn gerade da— durch ist er wiederum zu der mißverständlichen Auffassung gekommen, daß prinzipielle Abänderungen dieser Vorlage der Staatsregierung im anderen Hause beschlossen worden wären, und dieses doppelte Mißverständniß macht ihm ja die Vorlage an⸗ nehm bar, und in dieser Bezieh ung bin ich ja sehr befriedigt, wenn seine gewichtige Stimme demnächst auch der Vorlage zu Theil werden sollte. Aber was Seine Excellenz über die Absicht dieser Regierungsvorlage gesagt hat, sind Vermuthungen, die jeder thatsächlichen Grundlage entbehren. Es war darin eine Art von Konßekturalpolitik, die sehr weit ausschauend war, enthalten, indem er die Bildung von Zweckverkänden, und zwar in Verbindung mit der Ueberweisang der Hälfte von Grund- und Ge— bäudesteuer und der Aufhebung der les Huene als Ausgangspunkt einer Konstruktiion von Gesammtgemeinden als die Absicht der Regierungsvorlage errathen zu sollen geglaubt hat. Das sind lauter Sachen, von denen niemals die Rede gewesen ist und deren direktes Gegentheil aus der Vorlage, aus ihrer Begründnng und ihren An— lagen erhellt. Diese Annahmen sind ebenso unrichtig wie die von ihm angeführten Zahlen bezüglich der Gemengelage, wo er die Zabl derjenigen Gemeinden, hinsichtlich deren eine Gemengelage als vor— banden angenommen worden ist, und die sich allerdings bis auf 5000 beläuft, mit der Zahl derer verwechselt hat, für welche eine vollständige Vereinigung überhaupt nur möglich erachtet ist, die sich nur auf ca. 500 beläuft. Aehnliche Mißverständnisse sind ihm ja in Betreff der Regierungsvorlage in einer Reihe anderer Punkte untergelaufen, und nicht geringere Mißverständnisse in Bezug auf die Bedeutung der im anderen Hause vorgenommenen Aende—⸗ rungen. Meine Herren, wenn er annimmt, daß die großen Mängel der Vorlage beseitigt worden seien durch die gründlichen Aenderungen im anderen Hause, so ist diese Voraussetzung in zwiefacher Hinsicht unrichtig; einerseits, daß große Mängel in der Regierungevorlage vor— handen gewesen sind, und andererseits, daß dieselben durch jene Be—⸗ schlüsse des anderen Hauses beseitigt worden wären. Meine Herren, es ist richtig, es war allerdings die Absicht von einer großen Anzabl der politischen Freunde des Herrn Vorredners, gründliche undprinzielle Aenderungen an der Regierungsvorlage vorzunehmen, so gründliche und prinzipielle, daß es der Königlichen Regierung allerdings dann unmöglich gewesen wäre, ihre Zustimmung dazu zu geben, aber diese Abänderungsanträge sind sämmtlich abgele hnt worden. Ja, meine Herren, wenn Herr von Kleist⸗Retzow, auf den 5. 2B zurückgehend, be— hauptet, die ursprüngliche Absicht der Staatsregierung sei darauf hin—⸗ gegangen, die Beseitigung des glücklichen Zustandes, der zur Zeit be— stehe, herbeizuführen und, mit wenigen Gutsbezirken anfangend, die Aufhebung aller übrigen demnächst nachfolgen zu lassen, so muß ich ihm sagen, davon ist nirgends in der Regierungsvorlage die Rede gewesen. Es war und ist aber allerdings die Auffassung der Staats regierung, daß die Nothwendigkeit vorliege, eine Reihe von Gutsbezirken zu beseitigen, nämlich diejenigen, welche als Zwerg und Mißbildungen angesehen werden müssen, Guts— bezirke, die leistungsunfähig sind, Gutsbezirke, denen das Kriterium der Einheit des Besitzes gänzlich verloren gegangen ist, und Guts— bezirke, bei denen in Folge ihrer Gemengelage eine Sonderung ihrer kommunalen Interessen nicht mehr nachweisbar erscheint.

Meine Herren, wenn die Möglichkeit zu einer solchen Verbesserung der Staatsregierung gänzlich genommen, wenn diese ganze Orga— nisation ausschließlich in die Hände der Selbstverwaltungs— behörden gelegt werden sollte, wie dies im andern Hause die politischen Freunde des Herrn von Kleist⸗Retzow Anfangs beabsichtigten, dann würde allerdings die Vorlage für die Staatsregierung werthlos ge— worden und wahrscheinlich kaum ror dieses hohe Haus gekommen sein. Aber, meine Herren, der Kompromißvorschlag, der mit meiner vollen Zustimmung und zum Theil aus meiner Formulirung beraus im anderen Hause angenommen worden ist, geht dabin, daß die schließ⸗ liche Entscheidung in Betreff des 5. 2 ausschließlich in die Hände der staatlichen Behörden gelegt werden soll, und es ist nur die Vorbereitung dieser Eatscheidung in etwas anderer, weit- läufigerer Weise konstruirt, als in der Regierungevorlage. Und was den §. 126 anlangt, so ist überall, wo Zweckverbände mit Korpo⸗— rationsrechter errichtet werden sollen, auch nach wie vor die Allerhöchste Entscheidung vorbehalten, und nur für die Zweckverbände, bei denen die Erwirkung von Korporationsrechten nicht für nothwendig erachtet wird, ist es zweckmäßig befunden, daß die Entscheidung den Selbstverwaltungebehörden, jedoch mit der Maßgabe beigelegt werde, daß die Frage, ob nach erfolgter Ergänzung der Zustimmung der Bethei⸗ ligten durch die Selbstverwaltungsbebhörden eine derartige Bildung überbaupt erfolgen solle oder nicht, in die Hände des Ober⸗Präsidenten, also einer staatlichen Bebör de, gelegt werde.

Meine Herren, ferner hat Seine Excellenz Herr von Kleist⸗Retzo w darauf hingewiesen, daß das für zwangsweise Vereinigungen maß- gebende öffentliche Interesse, welches in der Regierungs vorlage gänzlich unbestimmbar geblieben sei, erst nunmehr durch die Beschlüsse des anderen Hauses dahin definirt worden, daß das öffent⸗ liche Interesse nur da vorhanden sei, wo eine Leistungsunfähig⸗ keit eines Gutsbezirks oder einer Gemeinde vorliege. Er übersiebt, wie ich glaube, daß der Absatz 5 des neuen §. 2 drei Fälle in sich faßt, nämlich den Fall der Leistungsunfähigkeit, den Fall der Zer⸗ splitterung und den Fall der Gemenglage, also genau die drei Fälle, welche der von ihm bemängelte §. 143 der Regierungesvorlage aufgeführt hatte.

Es ist ferner unrichtig, daß die Staatsregierung ausschließlich oder hauptsächlich nur große Gemeinden habe bilden wollen. Davon ist nirgends die Rede; sie hat leistungsfähige Gemeinden bilden wollen, und daß eine mittlere, ja schon kleinere Gemeinde, sofern sie nicht eine Zwergbildung ist unter gewissen Verhältnissen sogar im höheren Grade leistungsfähig sein kann, habe ich bei der Einführung dieser Vorlage in dem anderen Hause mit Beispielen so genau belegt, daß ich nicht

weiß, wie dieses Mißverständniß bei Seiner Excellenz hat entstehen können.

Meine Herren, die Vorlage der Königlichen Staatsregierung ist allerdings das will ich Herrn Grafen von Brühl ganz offen zu—⸗ geben auch von der Staatsregierung als die Einlösung eines Versprechens, das früher die Staatsregierung mit Allerböchster Ermächtigung gegeben hat, angesehen worden. Nicht bloß von einem einzelnen Minister im Laufe einer Diskussion, sondern in den Motiven der Kreisocdnung, die mit Allerböchster Ermächtigung vor— gelegt worden sind, ist ausgesprochen, daß auf die Rege⸗ lung der Verfassung der Kreise alsbald auch die Regelung der ländlichen Gemeindeverfassungen folgen werde und folgen müsse. Die Kreigordnungen sind erst im Jahre 1889 mit der Ein— führung der neuen Verwaltungsorganisation, mit der Einführung ins besondere des Kreisausschusses auch in der Previnz Posen zum Ab— schluß gekommen, und ich habe es allerdings für eine moralische Verpflichtung der Staatsregierung angesehen, das Ver sprechen einzulösen, welches vor länger als 20 Jahren gegeben und wiederholt erneuert worden war, selbstredend nach gewissenhafter Prüfung, ob ich in der Lage wäre, ein derartiges Versprechen in einer Weise, welche den Interessen des Landes förderlich sein werde, einzulösen

Meine Herren, ich habe bei dieser Prüfung keinen Zweifel darüber gebabt, daß ein Bedürfniß zum Erlaß einer Land— gemeindeordnung vorliegt, und zwar aach das möchte ich Seiner Excellenz Herrn von Kleist⸗Retzow erwidern zum Erlaß. einer kodifizirten Gemeindeordnung. Ich weiß ja sehr wohl, daß wir in dieser Hinsicht von verschiedenartigen Auffassungen ausgehen; Seine Excellenz Herr von Kleist hat mir seiner Zeit, als ich ibm den ersten Entwurf einer Landgemeindeordnung privatim mittheilte, gleich seine Verwunderung über diese 144 Paragraphen ausgesprochen; er war eigentlich der Auffassung, zwei Paragraphen dieser Landgemeinde ordnung müsse man abändern und 142 streichen. (Heiterkeit.)

Ja, meine Herren, daß jetzt die neue Vorlage, die im andern Hause noch fünf Paragraphen mehr bekommen hat, ihm nicht ganz gefallen mag, das gebe ich zu; im Uebrigen sage ich, das von ihm betonte Rechtsbewußtsein kann nur dann im Volke Platz greifen, wenn dasselbe weiß, was Recht ist; jenes allgemeine Gefühl genügt nicht, der Bauer muß auch wissen, was ist Recht, und dazu gehört auch schließ lich mit die Antwort auf die Frage, welche der Bauer stellt: Wo stebt das geschrieben? Unser Landgemeinde⸗-Verfassungsrecht ist jetzt in einer Menge von Edikten vor und nach dem Allgemeinen Landrecht, in Bestimmungen des zweiten Theils des Allgemeine Landrechts, in einer großen Anzahl von Gesetzen und in der Kreisordnung zersplittert, dann aber durch eine Masse von Ortzsteiuten und Observanzen durchlöchert, überdies aber vielfach so gestaltet, daß es überhaupt nur als subsidiäres Recht Geltung findet, sodaß die allergrößten Kenner des Kommunal— rechts, die Herten vom Ober ⸗Verwaltungsgericht, manchmal kaum wissen, was Recht ist, und daß jedenfalls nicht nur die Verwaltungs behörden und Verwaltungsgerichtsbehörden, sondern die Gemeindea selbst und ihre Mitglieder das dringendste Interesse haben, durch eine Kodifikation zu erfahren, was ist Recht. Aber, meine Herren, die Frage der Kodifikation trifft ja nut die Form. Das Ma⸗ terielle, der Inhalt der Bedürfnißfrage liegt in der Nothwendigkeit, das bestehende Recht, welches so unübersichtlich und unklar ist, zu ergänzen und abzuändern. Zu ergänzen durch die Beifügung der großen Anjahl von Bestimmungen, deren Mangel eine regelrechte Gemeindeverwaltung zur Zeit nicht gestattet, weil die gesetzliche Grundlage dafür fehlt; namentlich gilt das von den Gemeinde abgaben, von der Festsetzung, Bekanntmachung, Beitreibung derselben und all dergleichen.

Sodann aber und das ist die Hauptsache besteht die Noth⸗ wendigkeit einer Abänderung einer Anzahl von wesentlichen Be⸗ stimmungen des bestehenden ländlichen Gemeindeverfassungsrechts.

Hierbei müssen nach gewissen Richtungen hin Aenderungen statt

finden, daran ist eigentlich kein Zweifel möglich, und auch hier habe ich heute, abgesehen von dem ersten der Herren Vorredner, keinen Zweifel aussprechen gehört. Solche Aenderungen sind nothwendig, insbesondere hinsichtlich der Bestimmung, wonach nur mit Zu— stimmung der Betheiligten eine Vereinigung von Landgemeinden und Gutsbezirken mit andern Gutsbezirken und Landgemeinden statt⸗ finden kann. Allseitig ist anerkannt, daß das ein Hinderniß einer zweckmäßigen Regelung ländlicher Gemeindeverhältnisse ist, welches nothwendizer Weise beseitigt werden muß, sobald das öffent⸗ lLiche Interesse oder wenn dieser Ausdrack vielleicht dem geehrten Herrn Vorredner besser paßt das kommunale Interesse eine solche Vereinigung nothwendig macht. Ich will dabei gleich ein— schalten, daß die Fassang des 5. 2 zu Nr. 3 meines Erachtens nicht den geringsten Zweifel darüber lassen kann, daß man eine Gemeinde und einen Gutsbezirk zu einem Gutsbezirk vereinigen kann, wie das übrigens thatsächlich auch schon häufig geschehen ist. Wir haben häufig den Fall, daß eine Gemeinde von dem Gutsbesitzer aus—= gekauft oder beinahe ausgekauft ist, und schließlich von ibr nur soviel übrig blieb, daß die Gemeinde als solche nicht mehr existiren konnte und der Rest dem Gutsbezirk jugeschlagen werden mußte, und ich habe auch im Plenum des anderen Hauses bei der Einführung der Landgemeindeordnung aus- drücklich hervorgeboben, daß die Anforderung der Einheit des Besitzes nicht in dem engsten Wortsinn zu nehmen ist, daß also die Zuweisung einzelner Besitzungen, die nach ibrem Umfang, nach ihrer Leistungsfäbigkeit gegenüber dem großen Besitz des Guts—⸗ besitzers nicht in Bꝛtracht kommen können, sehr wohl möglich ist und in diesem Falle Kommunaleinheit in der Form eines Gutsbezirkes konstruirt werden kann.

Meine Herren, dann kommt die jzweite, dringend nothwendige Aenderung, die darin besteht, den Uneingesessenen auch ein Stimmrecht zu geben. In dieser Beziehung be— finde ich mich, wie ich glaube, in vollkommenem Ein— verständniß mit dem geehrten Herrn Vorredner, der auch gesagt hat, da, wo die betreffenden uneingesessenen Mitglieder mitjahlen und die Gemeindelasten mittragen, darf ihnen das Stimm⸗ recht auch nicht vollständig entzogen werden; es ist nur dafür Sorge zu tragen, daß diese Uneingesessenen nicht die Eingesessenen majorisiren. Nach dieser letzteren Richtung hin ist aber ganz und voll schon in der ursprünglichen Vorlage durch die Bestimmung Abhülfe getroffen, welche ausdrücklich vorschreibt, in allen Fällen müssen die Angesessenen