Diskussion so reichlich gesprochen worden, daß ich es nicht fũr meine Pflicht halten kann, heute noch einmal näher auf die Gründe beizu⸗ fügen, die die Regierung und nachher die Kommission veranlaßt haben, dem 5§. 105 D seine jetzige Fassung zu geben. Ich habe nur den Bemerkungen des Hrn. Abg. Singer gegenüber einiges anzu⸗ führen. Hr. Singer hat Worte von mir eitirt, die ich einer Depu⸗ tation von Handlungsgehülfen der Stadt Berlin gegenüber in Bezug auf die Auslegung und Anwendung des §. 105 b gethan haben soll. Er hat mich nicht richtig eitirt. Ich habe den betreffenden Herren gegen · über ausgesprochen, daß es meine Ueberzeugung sei, auf Grund dieses Paragraphen werde wenigstens in Großstädten die Nachmittags arbeit an Sonntagen für Handlungsgehülfen aufhören. Ob das in mittleren und kleineren Städten überall der Fall sein würde, habe ich zweifelhaft gelassen, jedenfalls nicht ausgesprochen, ( daß der preußische Ressort Minister dahin gelangen könnte, durch eine allgemeine Anweisung die Behörden zu ver · pflichten, Sonntag Nachmittags nirgends die Handlungs ehülfen beschäftigen zu lassen. Das würde meines Erachtens gegen den In halt des jetzigen Paragraphen verstoßen. Aber das scheue ich mich nicht zu wiederholen, daß meines Erachtens alle die Behörden, die die Aufgabe haben, den §. 105 auszuführen, verpflichtet sind, unter Berücksichtiguag der zwingenden örtlichen Verhältnisse das Möglichste zu thun, um die Arbeit der Handlungsgehülfen an Sonntag Nach⸗
mittagen zu beseitigen. Ich bin meinerseits durchaus geneigt, soweit
es erforderlich sein würde, auch denienigen Behörden, die meinen An⸗ weisungen zu folgen haben, die entsprechende Direktive in dieser Richtung
zu geben. Ob die preußischen Ressort ˖Minister . handelt sich nicht allein um den Handels⸗Minister — auf Grund dieser Anschauung dazu ge⸗ langen werden, allgemeine Anweisungen ergehen zu lassen oder nicht, bin ich heute noch nicht in der Lage zu übersehen. Wenn man, meine Herren, einen Paragraphen in das Gesetz aufnimmt, so legt man sich doch selbst zweifellos die Verpflichtung auf, ihn autzuführen. Der Zweck des Gesetzes ist, den Handlungsgehülfen eine möglichst aue⸗ reichende Sonntagsruhe zu geben, und in Folge seiner Bestimmungen werden nicht nur in Preußen, sondern in allen Bundesstaaten die aus⸗ führenden Behörden sich bemühen, den Paragraphen 105 nach Mög⸗ lichkeit auch zur Wirklichkeit werden zu lassen.
Abg. Bebel: Dem Abg. Dr. Hartmann gegenüber bemerke er, daß die Rücksicht auf das aufen der Landbevölkerung nicht zu der Bestimmung führen könne, an Sonntgg. Nachmittagen die Ge⸗ schäfte offen zu halten. Eine Reihe von kleinen Städten aus allen Gegenden hatten solche Petitionen eingereicht. Der Abg. Dr. Ygt. mann weise auf die ortsstatutarischen Bestimmungen hin, welche Ah⸗ hülfe schaffen follten. Aber das sei ja gerade das Bedenkliche, daß die Gemeindebehörden folche Vollmachten erhalten sollten; denn diese beständen oft aus Leuten, die persönlich an der Sache betheiligt seien, und daraus werde mindestens Mißstimmung entstehen, häufig auch ungerechte Behandlung. Was in England und Amerika möglich sei, könne man auch in Deutschland gesetz lich bestimmen. Dem Abg. Gehlert erwidere er, da der Abg. Schmidt nicht anwesend fei, daß er (Redner) die Verhältnisse der Fabrik, um die es sich handele, nicht genauer kenne, aber die Mittheilungen des Abg. Gehlert selbst bewiesen, daß dort Hungerlöhne gezahlt würden; wenn die Leute trotzdem die Arbeitsstelle nur selten verließen, so liege das daran, daß die meisten kleine Häuschen dort besäßen, also auf das Verbleiben am Ort angewiesen seien. .
Abg. Samhammer: Die Sonntagsarbeit im Handelt gewerbe sei vielfach bloß eine eingewurzelte üble, alte Gewohnheit, zum Theil aufrechterhalten aus Konkurrenzrücksichten; um den Konkurrenten zu zeigen, daß man beschäftigt sei, werde gerade an den kleineren Orten Sonntags mit wahrer Verzweiflung gearbeitet und die Ge⸗ hälfenschaft schmählich angestrengt. Mißbräuche der durch 5 1965 erlaubten Sonntaägtarbeit sollten durch energische Inanspruchnahme der Oeffentlichkeit zur Abstellung gebracht werden. ö
Abg. Freiherr von Stumm: Die Herren thäten hier so, als wenn die BHiehrheit den Handlungsgehülfen weniger Freiheit gewãhren wolle als sie jetzt schon hätten; das sei doch aber durchaus nicht der Fall. Der Abg. Bebel bezeichne eine Einnahme von 34 41S als Hungerlohn. Freilich wenn man 10 „t Arbeitslohn verlange für den Arbeiter, dann sei 3— 4 M noch ein Hungerlohn. Nicht die Land orte hätten petitionirt um die Freigabe des Sonntagsnachmittags, fondern nur elnige Sozialdemokraten an diesen Orten. Jedenfalls habe nicht die Gesammtheit der Gewerbetreibenden der kleinen Staͤdte Petitionirt. Wenn aber die Sozialdemokraten den Bedürf— mssen der Landbevölkerung durch die Rücksichtnahme auf die Hand lungslehrlinge entgegenträten, so könne das der Mehrheit nur an— genehm sein, denn es werde ihrer Agitation auf dem platten Lande keinen Vorschub leisten. .
Abg. Gehlert; Es babe sich bei seiner früheren Bemerkung lediglich um eine thatsächliche Berichtigung falscher Behauptungen gehandelt, an weiteren Schlußfolgerungen daraus habe ihn der Or. Präsidenk gehindert, deffen Bestimmung er sich natürlich auch t füge. Wenn der Abg. Bebel von Hungerlöhnen spreche, so müsse man mindestens erst eine Erklärung dieses Wortes geben.
§. 105 b wird mit einem lediglich redaktionellen Amende⸗ ment Guifleisch, sonst unverändert angenommen.
8. 105 fixirt die Ausnahmen von den Vorschriften des §. 165; danach finden diese Bestimmungen keine Anwendung I) auf Arbeiten, welche zur Beseitigung eines Noth⸗ standes oder zur Abwendung einer Gefahr oder im öffentlichen Interesse unverzüglich vorgenommen werden müssen.
Abg. Dr. Gutfleisch empfiehlt einen Kompromißantrag, wonach an Stelle der gesperrten Worte gesagt werden soll: „in Noth⸗ fällen. Todesfälle, Fälle plötzlicher Erkrankung u. s. w., in denen es nothwendig fei, daß gewisfe vorübergehende Arbeiten stattfänden, seien durch das Wort „Noihstand“ nicht gedeckt Seine Partei wolle nur im Rothfall, wo das Bedürfniß der unverzüglichen Erledigung vorliege, aꝛbeiten lassen. Einem eventuellen Mißbrauch dieser Be⸗ stimmung werde durch die Nachprüfung der Aufsicht bebörde vorgebeugt werden. Von sozialdemoktatischer Seite werde vielleicht eingewendet werden, scine Partei wolle mit diesem Antrag das Gesetz durchlöchern. Dieser Vorwurf sei unbegründet. Es sei eine wohlberechtigte Absicht, zu verhindern, daß die Autorität des Gesetzes abgeschwächt werde durch eine Umgehung des Gesetzes, welche in zahlreichen Fällen er⸗ folgen würde, wenn der Antrag nicht angenommen würde,
Abg. Singer: Wenn nicht der Absicht, so doch der Wirkung nach, bedeute diefer Antrag eine Verschlechterung dieses Gesetzes. Was folle denn unter „Nolbfall! verstanden werden? Man solle nicht durch juristisch feine Distinktienen einen Ausweg schaffen, um die durch das Gesetz grundsätzlich festgestellte Sonntagsruhe zu durchlöchern. Die Arbeiter' seien nicht fo unverständig, daß sie nicht zu unterscheiden wüßten, wo eine augenblickliche Arbeit nothwendig sei. In solchen Fällen werde der Arbeitgeber die Hülfe der Arbeiter nicht vergeblich anrufen. Er könne sich die Einbringung dieses Antrags nur erklären aus der Furcht der Herren, allzudeutlich ihre Willkürlichkeiten bei der Burchlöcherung der Sonntagsruhe zu zeigen. Deshalb greife man zu dem Auskunftsmittel eines schönklingenden Wortes, welches aber der Willkür Thür und Thor öffne. Wer solle denn bestimmen, was ein Kothfall sei? Die Nachprüfung nütze dem der Sonntagsrube beraubten Arbeiter nichts und die Gemeindebebörde habe weder Zeit, noch Urtheil, noch Lust, eine Entscheidung zu treffen, welche dem Unter nehmer unbequem sei.
Abg. Dr. Gutfleisch: In den deutschen Einzelstaaten seien viel
Bestimmungen enthielten. Der Vorredner habe gemeint, die Arbeiter würden schon freiwillig am Sonntag arbeiten, wenn es nothwendig wäre. Dag sei aber nach dem Gesetz gar nicht gestattet. Der Abg. Singer frage, wer entscheiden solle, was ein Noihfall sei. Der Richter, bem der betreffende Fall zur strafrechtlichen Kognition komme. Regierungs· Rath Dr Wilbelmi: Die verbündeten Regierungen machten“ ihre Bedenken gegen die Gestaltung der S8 108 b und 10806 heute nicht wieder geltend, weil sie hofften, daß die Frage der Sonn⸗ tagsruhe der Handlungsgehülfen auf Grund des Amendementzt Gut⸗ fleisch sich befriedigend lösen lassen werde. Wer mit dem praktischen Leben vertraut sei, könne nicht bestreiten, daß im Gewerbe, in den Fabrikbelrieben und auch im Handelsgewerbe Arbeiten vorkämen, bie auch an Sonn, und Festtagen vorgenommen werden müßten, deren Vornahme aber durch die gegenwärtige Fassung des Entwurfs nicht gestattet werde. Wollte der Arbeitgeber sich die freiwillige Hülfe feiner Arbeiter gefallen lassen, so würde er sich zweifellos selbst strafbar machen. a n. sei dieses Gesetz ohne den Antrag Gut⸗ fleisch nicht marschfähig. ⸗
. Abg. Bebel: - Zwischen der Auslegung des vorliegenden An—⸗ trages durch den Antragsteller und der Auffassung des Regierungs⸗ verkreters fei ein wefentlicher Unterschied vorhanden. Man habe eben gebört, daß der Regierungs⸗Rath Dr, Wilhelmi unter Nothfall notwendige Arbeit verstanden wissen wolle, der Abg. Dr. Gutfleisch sei nicht so weit gegangen. Es sei auch zu beachten, daß nicht bloß är die ersten drel großen Feiertage, sondern auch für das ganze Jahr, und nicht bloß die Handlungsgehülfen, sondern auch alle Industrie⸗ arbeiter zur Arbeit gezwungen werden sollten. Stehe dem Arbeit geber ein großer Schaden auf dem Spiel, insofern eine Arbeit nicht rechtzeitig geliefert werden könne, so werde er von diesem Paragraphen Gebrauch machen. Mit , sei das ganze Verbot der Sonntagsarbeit in Frage gestellt. .
Nach einer kurzen Replik des Regierungs⸗Raths r. Wilhelmi wird der 5. 10650 mit dem Amendement Gutfleisch angenommen.
§z 1054 wird ohne Debatte angenommen,. .
Jꝛach 8. 1056 soll Betrieben, welche ausschließlich vor⸗ wiegend mit durch Wind oder unregelmäßige Wasserkraft. be⸗ wegten Triebwerken arbeiten, die Sonntagsarbeit durch Ver⸗ fügung der früheren Verwaltungsbehörde gestattet werden. Abg. Höoltzm ann bittet den Bundesrath, diese Angelegen— heit gleichmäßig für das ganze Reich zu ordnen, damit nicht im Falle verschiedener Entscheidungen die Müller in dem einen Landestheile am Sonntag arbeiteten, in dem anderen nicht. Der §. 105 wird angenommen.
Die 3 10655 — j und 1066 — 112 werden ohne Debatte
angenommen.
Bei §. 113 bemerkt
Abg. Biehl: Der Abg. Grillenberger habe ibn als Arbeitgeber in zweiter Lesung in leidenschaftlicher und unmotivirter Veise an⸗ gegriffen und sich dafür auf Zeitungsartikel berufen. Aus dem Urtheil des Schiedsgerichts in München über den betreffen den Fall gehe hervor, daß er jenen Arbeiter nicht ausgebeutet und Lohn⸗ drückerei sich habe zu Schulden kommen lassen. - J.
Abg. Birk: Der Abg. Biehl habe gegen den Abg. von Vollmar in der zweiten Lesung bemerkt, daß die Bediensteten der Tramway: bahn in München längst ihre Forderungen bewilligt erbalten hãtten, bevor der Strike in Wien ausgebrochen sei. Der Strike in Wien habe am 21. April 1889 stattgefunden und erst am 1. Juli hätten die Tramwaybediensteten in München ihre Begünstigung erbalten. Es sei also nicht richtig, daß es des Strikes nicht bedurft hätte, um die Verbesserung der Lage der Tramwaybediensteten herbeizuführen. . ; . . Abg. Biehl: Er bleibe bei seiner Behauptung über die Tramwav in München und möchte den Präsidenten um die Erlaubniß bitten, ein Schriftstück der Tramwaydirektion, aus dem die Richtigkeit dieser Be⸗ hauptung hervorgehe, zu verlesen. (Präsident von Levetzow: Wenn es nur nicht fehr lang ist! Heiterkeit Redner verliest das Schreiben, nach welchem seit dem Jahre 1870 fast alljährlich zur Aufbesserung der Lage der Conducteure und Kutscher der Trambahn Maßnahmen ge⸗ troffen worden find. Er behaupte deshalb nach wie vor, daß der Wiener Strike mit der Aufbesserung der Tramwaybediensteten nichts u thun habe. ;
zu ige nfgewird angenommen, ebenso ohne Debatte 5. 114. „II5 enthält das Verbot des Trucksystems. Der drittè Absatz lautet nach dem Beschluß zweiter Lesung: Lohn— und Abschlagszahlungen dürfen ohne ,,, der unteren Verwaltungsbehörde nicht in Gast- und Schan wirthschaften oder Verkaufsstellen erfolgen.
Die Abgg. Dr. Gutfleisch und Hitze wollen den Absatz 3 als néuen F. 115 a formuliren und ihm den Zusatz geben, daß Lohn- und Abschlagszahlungen an Dritte nicht erfolgen dürfen auf Grund von Röchtsgeschäften oder Urkunden über Rechts⸗ geschäfte, weiche nach dem Gesetz, betreffend die Beschlagnahme des Arbeitslohns, rechtlich unwirksam sind.
Die sozialdemokratischen Abgg. Auer u. Gen. wollen dem 8. 115 folgenden Zusatz geben; Lohneinbehaltungen und Lohn⸗ abzüge sind verboten, soweit solche nicht durch Gesetz ausdrücklich zugelassen sind. . ;
Abg. Mol kenbuhr: Dem Mißstande der Lohnabzüge müsse ent⸗ gegengetteten werden, und seine Partei glaube mit ihrem Antrage, wel⸗ cher derartige Lohnabzüge überhaupt ausschließen wolle, auf all ge⸗ meine Sympathle rechnen zu können. Die Arbeiter brauchten, den Lohn jederzeit, um sich und ihre Familien zu ernähren. Beim Auszfall eines Lohntheils müßten sie Hunger leiden und nähmen Schaden an ihrer Gefundheit, oder sie verfielen dem Wucher. Nach dem Gefetze von 1859 werde die Beschlagnahme des Arbeits verdienstes durch den Arbeitgeber überhaupt ausgeschlossen, jetzt würde dies auch möglich sein für Forderungen, die der Arbeirgeber in Zukunft an den Ärbeiter erlangen könnte. Die Einbehaltungen machten den AÄrbeiter nicht bloß von dem Arbeitgeber, sondern auch von den Leuten äbbangig, bei denen sie ihre Lebensmittel einkauften. Deshalb. müsse Fürsorge getroffen werden, daß der Arbeiter unter allen Umständen seinen Lohn ganz in Baarem erhalte
Abg. Dr. Gutfleisch; Er könne den Antrag Auer nicht zur Annahme empfehlen. Es widerspreche aller Billigkeit, und es sei auch sn dem Rahmen des Gesetzes nicht möglich, so weit zu gehen. Er⸗ freulich sei der Antrag Auer insofern, als er das Zugestãndniß enthalte, daß die Lohneinbehaltungen schon nach, dem bestehenzen Recht in unbeschränktem Umfange zulässig seien. Dieses Zu⸗ geständniß sei bisher verweigert worden, Auch in den Arbeiterkreisen fange man allmählich an, den Vortheil der in diesem Gesetz vor⸗ geschriebenen Beschränkungen der Lobneinbehaltungen anzuerkennen. Ganz ausdrücklich sei dies in der Nummer des „Vorwärts“ vom 25. April dieses Jahres ausgesprochen. Es gehe daraus hervor, daß die Arbeitgeber sich bisher schon bewußt gewesen seien daß sie Lohneinbebaltungen in unbeschränktem Maße zu machen das Recht hätten, ob sie dazu in der Lage seien, das bänge allerdings von den Konjunkturen auf dem Arbeitsmarkt ab. Weiter ju gehen und jede Lobneinbehaltung zu verbieten, gehe schon deshalb nicht an, weil ber AÄrbeitgeber in den Stand gesetzt sein müsse, sich für fahrlässige oder böswillige Beschädigung des Materials durch die Arbeiter schadlos zu halten. Der von ihm gestellte Antrag wolle dem Miß⸗ stand abbelfen, daß trotz des Gesetzes von 1869 sehr häufig Cessionen von Arbeitslöhnen vorkämen und ein beträchtlicher Theil des Arbeitslohns dadurch in die Hände eines Konsumbereins oder Kaufmanns. wandere. Das be⸗ zügliche Verbot durch das Gesetz von 1869 sei nicht unter Strafe
gestellt gewesen und deshalb umgangen worden. Ein Konsumverein habe sich eine Cefsion z. B. über 20 M ausstellen lafsen und dafür einen Bon auf Waaren in dieser Höbe gegeben. Häufig sei aber
niedrigeren Preise weiter verkauft worden. Nach seinem Antrage solle ien, 36 solche Konzession nicht als Grund zur Lohnauslahlurg angesehen werden. Zahle der Arbeitgeber dennoch, so solle er einer Strafe verfallen, Betreffs deren er (Redner) zu §. 148 einen Antrag ssellen werde. Nicht vermindert solle dadurch, werden die Möglich keit, daß Vollmachten ausgestellt würden, Dies auszuschließen liege auch nicht im Interesse der Arbeiter selbst.
Abz. Mörier: Seine Partei könne dem Antrag Auer und dem Antrag Gutfleisch⸗Hitze nicht zustimmen. Beꝛüglich der Lohneessionen beftäͤnden ja Uebelstaͤnde, aber der Antrag Gutfleisch⸗Hitze würde das Kind mit dem Bade ausschütten, insofern er nicht nur eine Reihe von Geldgeschäften, die für den Arbeiter nöthig seien, unmöglich mache, sondern alle Cessionen unter Strafe stelle, während das Gesetz bisher nur die Nichtigkeit gewisser Cesstonen aus spreche.
Regierungs⸗Rath Dr. Wilhelmi: Die Regierung könne nicht die Konfequenzen auf sich nehmen, welche der Antrag Auer nach sich ziehen würde. Der Arbeiter würde dann auch nicht mehr in, der Lage sein, von dem Arbeitgeber einen Vorschuß zu erhalten. Auch den Antrag Gutfleisch-Hitze könne die Regierung nicht zur Annahme empfehlen. Der Antrag wolle die Klagen über das Verfahren der Konsumvereine beseitigen, welche aber nicht von den Arbeitern, sondern von folchen Gewerbetreibenden gekommen seien, welche an einer Cin-= schränkung des Geschäftsumfangs der Konsumvereine ein wesentliches Interesse hätten. Man müsse an diese Klagen daher mit großer Vor⸗ sicht herantreten. Die betreffenden Cessionen seien schon nach den jetzigen gesetzlichen Bestimmungen nichtig, es frage sich also nur, ob sie darüber hinaus auch unter Strafe zu stellen seien. Der Antrag wäre ein Schlag ins Wasser; was er formell beseitigen wolle, würde durch andere Rechtsgeschäfte, z. B. die Vollmacht, ersetzt werden. Der Antrag würde außerdem auch die Wohlfahrtseinrich⸗ tungen wesentlich erschweren. ; ;
Abg. Molkenbuhrz; Seine Partei meine, daß ein Recht zu Lohneinbehaltungen nicht bestehe, aber in manchen Fällen hätten die Gerichte den Arbeitgebern ein solches Recht zuerkannt, Diesem Uebel / stand wolle der socialdemokratische Antrag entgegenwirken, Ein Vor⸗ schuß werde dem Arbeiter dadurch nicht unmöglich gemacht, denn der Arbeitgeber könne doch den Lohn pränumerando zablen. Daß der Abg. Br. Gutfleisch nicht so weit geben wolle wie die Soꝛʒial demo kraten, begreife er (Redner), weil der Abg. Lr; Gutfleisch fürchte, daß dieser Antrag den 5. 1246 (Buße für Kontraktbruch) in Gefahr bringe. Ohne den Antrag werde nur nech mehr Anreiz zu Lohneinbehal⸗ tungen gegeben. Der Arbeiter könne leicht durch Mißbandlungen zum Kontraktbruch verleitet werden, wofür ihm der Lohn einbehalten werde. Der Arbeitgeber könne dann für alle möglichen Schäden Lohn einbehalten, z. B. wegen der Möglichkeit, daß der Sohn eines Ar beiters einmal eine Fensterscheibe einschlage. Für den Antrag Gut⸗ fleisch Hitze werde seine (des Redners) Partei stimmen; wenn auch in manchen Gewerben die Arbeitgeber unter anderen Formen das Truck⸗ system a serfn könnten, fo müsse man es den Leuten doch so viel wie möglich erschweren. K .
Abg. Hitze: Für seinen Antrag sei die Rücksicht auf die Arbeiter maßgebend. Der Antrag solle auch den Konsumvereinen entgegentreten, infofern sie ihrem urfprünglichen Zwecke, die Arbeiter zur Baar⸗ zahlung zu bringen, entgegen selbst zum Borgsystem übergingen und zie Ärbeiter in' drückende Abhängigkeit brächten. Wenn in zweiter Leung diesen zum Theil von den Arbeitgebern selbst errichteten und unterhaltenen sogenannten Konsumvereinen ein Loblied gesungen worden sei, so könne er darin nicht einstimmen. Der vielfach durch sie ge— übte Zwang müsse auf dem gesetzlichen Wege, den er vorschlage, beseitigt werden. . . . .
Regierungs ⸗ Rath Dr. Wil hel mi bestreitet wiederholt, daß der Antrag eine Verbesserung des Gesetzes sei; übrigens werde er auch durch §. 117 Abs. 2 überflüssig, denn dort werde die Nichtigkeit der betreffenden Verträge ganz ohne Weiteres ausgesprochen
Abg. Möller bestreitet, daß die Konsumvereine unter allen Um⸗ ständen auf Baarzahlung halfen müßten. In vielen Fällen könnten sie nicht wirken, wenn sie nicht auch auf Kredit verkauften.
Abg. Dr. Gutfleisch bemerkt, daß die Vollmacht jeden Moment widerruflich fei und vor Allem nicht mit einem Accept des Arbeit⸗ gebers versehen werden würde, wie es jetzt bei den Cessionen geschehe. Burch die Vollmacht werde also die Wirkung seines Antrags nicht vereitelt. .
Nach Ablehnung des Antrages Auer wird 8§. 115 nach dem Antrage Gutfleisch-Hitze angenommen. Ohne Debatte er⸗ ledigt das Haus die s§. 115a bis 119.
8. 119a stellt fest, daß Lohneinbehaltungen, welche zur Sicherung des Ersatzes eines aus der widerrechtlichen Auf⸗ lösung des AÄrbeitsverhältnisses erwachsenden Schadens aus⸗ bedungen werden, ö den Betrag eines Wochenlohnes nicht Üübersteigen dürfen. .
Jö . Er habe gehofft, daß der Antrag Auer zurückgezogen werden würde, nachdem unter Ablehnung seines zu §. 115 gestellten Antrags dieser Paragraph genehmigt und dadurch das Recht auf Lohneinbehaltung gesetzlich festgestellt worden sei. So sehr er bedauere, daß die Lohneinbehaltung genehmigt sei, namentlich a sie die Grundlage der doch wohl auch zur Annahme kommenden Be— rechtigung auf Entschädigungtanspruch bei Kontraktbruch bildet, so müsse er doch fär §. 11892 sein, da dieser eine Einschränkung des 8. 1I5 hilde. Er müsse aber auch hier sagen, daß die gewohnheitsmãß ige Lohn⸗ einbehaltung von Seiten der Acheitgeber zum Schutz gegen Kontrakt⸗ bruch etwas ungemein Gehãssiges gegen die Arbeiter habe. Die Fälle von Kontraktbruch seien minimale im Verhältniß zur Zahl der Arbeiter. Man möge sich die Lage des Arbeiters vergegenwärtigen, wenn ihm ein Theil des kaäͤrglichen, sauer verdienten Lohnes abgezogen werde; solche Handlungsweise werde sicher zu dem von allen Seiten so sehr gewünschten Frieden zwischen Arbeitern und Arbeitgebern nicht beitragen. In der Praxis jedenfalls mögen die Arbeitgeber bedenken, daß sie nicht übler . n h als wenn sie das Lohn inbehalten
ewobnheitsmäßig durchführten. . . ; hu . Aus den Ausführungen des Abg. Dr. Hirsch würde für den' Berstand des gewöhnlichen Sterblichen folgen, daß er gegen §. 119ga stimmen werde. Seine (des Rennert) Partei sehe im S. 119 nicht ine Art von Arbeiterschutz, darum stimme sie dagegen, und darum ziehe sie auch ihren Antrag nicht zurück S. 11982 wolle ein neues Ausnahmerecht für Arbeiter schaffen. Daß Fälle von Lohneinbehaltung eintreken würden, sei eine Folge der freisinnigen Erfindung, die man dem Abg. Dr. Gutfleisch verdanke. Die Sozialdemokraten hätten keine Reigung, einer Bestimmung zujustimmen, welche die Unternehmer geradezu ausfordere, einen bestimmten Betrag des Lohnets einzubebalten, und darum seien sie gegen § 11982; sie glaubten, daß eine Verschlimmerung für die Arbeiter durch Ablehnung des 5. 1192 nicht eintreten werde, denn die gegenwärtigen Zustände, wo sich Ar— beitzeber fänden, die zur Bildung von Kautionen Lohn einbehielten, würden auf die Dauer nicht möglich sein.
Abg. Joest: Er meine, daß seine Partei ihren Antrag nicht nur nicht zurückziehen, sondern daß die Mehrheit ihn annehmen solle, denn sie follte das im Interesse der Arbeitgeber thun, was seine Partei im Interesse der Arbeiter für nöthig balte.
Abg. Pr. Gutfleisch: Man werde es im Lande nicht begreifen können, daß die Sozialdemokraten die Ablehnung eines Paragraphen beantragten, der eine Erleichterung für die Arbeiter darftelle, aber er konstatire hier und vor dem Lande, daß die Sozialdemokraten wark= lich so verführen, und er bitte, diesem unbegreiflichen Verhalten der Sozialdemokraten nicht stattzugeben, sondern im Interesse der Arbeiter den 5§. 1192 anzunehmen.
5. 1192 wird darauf genehmigt.
120 begründet die obligatorische Verpflichtung der Arbeitgeber, ihre Arbeiter unter achtzehn Jahren die Fort⸗ bildungsschulen besuchen zu lassen. „Am Sonnta darf der Unterricht nur stattfinden, wenn die Unterrichtsstunben so ge⸗ legt werden, daß die Schüler nicht gehindert werden, den
Hauptgottesdienst oder einen für sie eingerichteten besonderen
strengete Sonntagegesetze gescheitert, weil sie undurchführbare
dieser nicht zum Ankaufe von Waaren verwendet, sondern zu einem
Gottesdienst ihrer Konfession zu besuchen.“ elle
Abg. Freiherr von Stumm will hinter den Worten „für sie eingerichteten“ einfügen: „mit Genehmigung der kirch⸗ lichen Behörden,ů“ damit nicht irgend ein nur pro formn ein⸗
erichteter Gottesdienst den Besuch der Fortbildungsschulen aktisch verhindere.
Abg. Dr. Ruge beantragt, den mitgetheilten Passus über den Sonntagẽunterricht zu streichen und an dessen Stelle ju setzen: . soweit eine Verpflichtung zum Besuch der Fortbildungsschule besteht, darf am Sonntage der Unterricht nur stattfinden, wenn die Unterrichts. stunden so gelegt werden, daß die Schüler nicht gehindert sind“ u. s. w. wie im Beschluß der zweiten Lesung. Durch diesen Antrag sei jedem einzelnen Schüler die Möglichkeit gegeben, seinen religiösen Gefühlen Genüge zu thun. Aber daß man die jungen Leute, welche die Absicht hätten, sich weiter zu bilden, und den Gottesdienst, wenn auch nicht Vormittags, sodoch Nachmittags besuchen wollten, zwingen wolle, sich nicht fortzubilden, das gehe doch über die Macht und das Recht des Staats hinaus. Ueberall da, wo der obligatorische Unter—⸗ richt eingeführt werde, werde der Unterricht so gelegt werden können, daß die Schüler den Gottesdienst besuchen könnten. Anders sei es in den größeren Städten, wo ein fakultativer Unterricht bestebe. Dort werde es genügen, wenn die Schüler am Nachmittage oder zu anderen Zeiten den Gottesdienst besuchten. In Berlin hätten die Schüler zwölf Wochen frei, sie könnten also an den hohen Feiertagen zu jeder beliebigen Zeit den Gottes— dienst besuchen. Da der Fortbildungsunterricht individuell ertheilt werde, so könnten sie aber auch auf Wunsch bereits um 95 Uhr den Unterricht verlassen und den Gottesdienst besuchen. Verbiete man den Fortbildungsschulunterricht am Sonntag Vormittag ganz, so werde er überhaupt beseitigt, weil man ihn nicht in die Arbeits⸗ zeit verlegen könne und auch der Abendunterricht als schädlich ver— worfen werde. Außerdem könne man die Sonntag ⸗Vormittagsstunden schon deshalb nicht entbehren, weil für den Zeichenunterricht das Tageslicht erforderlich sei. Im Prinzip sei er gar nicht für die Aus⸗ dehnung des obligatorischen Unterrichts bis zum achtzehnten Jahre. Damit werde dem jungen Manne die Selbstbestimmung genommen. (Der Präsident ruft den Redner zur Sache.) Man mache sich von den Fortbildungsschulen, insbesondere von den Berliner Fortbil⸗ dungsfchulen vielfach ganz falsche Vorstellungen. So habe der Abg. Stöcker in der zweiten Lefung gesagt, die größte Gefahr bestehe darin, daß man es mit einem Wissen zu thun habe, das von jeder sittlich⸗ religiösen Grundlage gelöst sei. In den Berliner Fortbildungs— schulen werde mit ungeheurem Ernst von Seiten der Lehrer und Schüler gearbeitet, es werde bier eine heilige Sache verfochten und betrieben, und es sei beklagenswertb. daß bei verschiedenen Gelegen heiten über einen so achtenswerthen Stand, wie den der Lehrer, in so absprechender Weise geurtheilt werde. Er bitte, diesem Institut die Möglichkeit zu geben, sich in schöner und edler Weise weiter zu entwickeln. Er könne sich nicht denken, daß der Deutsche Reichstag in dem Augenblick, wo er ein Arbeiterschutzgesetz mache, eine Be⸗ stimmung aufnehme, durch welche es dem heranwachsenden streb⸗ samen Jüngling des Vaterlandes unmöglich gemacht werde, sich weiter geistig fortzubilden. (Beifall links.)
Abg. Eberty: Seine Partei habe dasselbe Interesse wie die anderen Parteien, das Bildungs. und das sittlichreligiöse Bedürfniß in Harmonie zu erhalten. Um den Konflikt zwischen beiden zu ver⸗ meiden, habe sie ihren Antrag gestellt. Dies sei absolut keine Partei frage. Es kämen auch andere Städte als Berlin in Betracht.
. Abg. Dr. Orterer: Die Bedeutung und den Werth der Fort— bildungsschulen verkenne er nicht. Der Unterricht allein thue es aber nicht, sondern auch die Erziehung, und in diesem Betracht sei der Ein— fluß der Kirche auch auf diese jungen Leute nicht zu entbehren. Die Fort⸗ bildungsschulen in München zeigten, daß man bei gutem Willen auch ohne den Unterricht am Sonntag Vormittag auskommen könne, Die praktischen Bedürfnisse der Schule ließen sich sebr wohl mit der Verpflichtung vereinbaren, daß die Jugend am Sonntag den Gottesdienst besuche.
Staats-Minister Freiherr von Berlepsch:
Meine Herren! Der Antrag Dr. Ruge bewegt sich in der Richtung, die die verbündeten Regierungen in der Vorlage einge— nommen haben; wir würden deshalb ganz damit einverstanden sein, wenn sein Antrag zur Annahme gelangte. Wenn wir aus eigener Initiative nicht versucht haben, den zweiten Satz des 5. 120 in der Fassung zweiter Lesung wieder zu beseitigen, so beruht das darauf, daß sowohl die Formulirung dieses Satzes wie auch die des letzten Satzes des §. 120 das Resultat eines Kom⸗ promisses sind, an dem wir in langen und eingehenden Erörterungen gearbeitet haben und der schließlich zu dem vorliegenden Resultat ge— führt at.
Wenn der Inhalt dieser Sätze derartig wäre, daß wir mit dem Hrn. Abg. Dr. Ruge annehmen müßten, daß damit die fakul⸗ tativen Fortbildungsschulen, auch die Berlins, völlig vernichtet werden, dann würden die verbündeten Regierungen diesem Kompromiß voraus— sichtlich nicht zugestimmt haben. Meine Herren, diese Folgerung möchte ich aber doch nicht ziehen. Wenn es, wie das zutreffend von dem Hrn. Abg. Orterer erwähnt wurde, an anderen Orten gelungen ist, eine Regelung zu finden, die sowohl den Besuch des Gottesdienstes wie auch eine befriedigende Ausbildung der jungen Leute in der Fort— bildungsschule ermöglicht, so wird das auch in Berlin gelingen. Es ist in dem Gesetz eine Ucbergangsfrist bis zum 1. Oktober 1894 ge— währt; in dieser geräumigen Frist muß es meines Erachtens den Berliner städtischen Behörden gelingen, einen immerhin befriedi⸗ genden Zustand für die Fortbildungsschulen zu gewinnen; sie werden zu erwägen haben, ob es nicht zu ermöglichen ist, daß an einzelnen Tagen der Woche einzelne Stunden des Unterrichts gegeben werden. Sie werden zweitens zu erwägen haben, ob nicht vor und nach dem Gottesdienst am Sonntag die Stunden, die Tageslicht erfordern, gegeben werden können, und endlich ist das Mittel zu Rathe zu ziehen, ob nicht ein besonderer Gottesdienst für die Schüler der Fortbildungsschule eingerichtet werden kann.
Also, meine Herren, der Wege sind nicht ganz wenige, und ich bin überzeugt, wenn man mit gutem Willen an den Versuch geht, so wird sich das Mittel finden, den Bestand und die Erfolge der Fort bildungsschulen zu erhalten. Ich erkenne an, daß das namentlich in Berlin nicht leicht ist, daß das zu manchen Schwierigkeiten und im Anfang auch zu Unzuträglichkeiten führen wird. Ich hege aber die bestimmte Hoffnung, daß auch die vorzüglichen Fortbildungsschulen Berlins über die Schwierigkeiten dieser Bestimmung fortkemmen werden; sonst, wie gesagt, würden die verbündeten Regierungen dem Kompromiß voraussichtlich nicht zugestimmt haben.
Abg. Dr. Meyer ⸗ Berlin: Wenn er als der Dritte seiner Partei das Wort in dieser Sache ergreife, so geschehe es, weil der Paragraph, um den es sich hier handele, der einzige sei, dessen Annahme es seiner Partei bedenklich mache, für dasz gan. Gesetz zu stimmen. Diese edenken sollten um so mehr BerücksichtéJung finden, als es sich hier um einen Gegenstand handele, der mit dem Hauptinhalt des Gesetzes, dem Schutze des Arbeiters, in keiner unmittelbaren Be— rühruüng stehe. Die Bedenken des Abg. Dr. Orterer seien dadurch hinfällig, daß die freisinnige Partei nur von den fakultativen Vor⸗ schulen spreche, für die obligatorischen gebe sie die beschlossene Be⸗ stimmung zu. Es werde also kein einziger Schüler, welcher Kon— fession er auch angehöre, durch den Antrag gejwungen, seine religiösen Verpflichtungen zu vernachlässigen. Die Freisinnigen hätten
dienstes h . sich feindselig oder auch nur gleichgültig zu ver⸗ halten. e stellten in die Freiheit des einzelnen Schülers, welcher Pflicht er zunächst nachkommen wolle. Nun handele es sich aber in erster Linie um den Zeichenunterricht, der in dem ganzen Fortbildungs⸗ schulwesen die wichtigste Disziplin sei. Der Zeichenunterricht lasse sich nicht in die Abendstunden verlegen, auch nicht auf den Sonntag Nachmittag, weil man dann dafür keinen Lehrer gewinnen würde. Seine Partei fuche dafür die einzige Stunzge zu retten, die dafür überhaupt möglich ei. Für eine große Zahl Schüler sei das Zeichnen das einzige Mittel, den Ausdruck selbst. ständiger schöpferischer Fähigkeit zu betbätigen. Das Zeichnen sei ein Mittel des Gedankenausdrucks in demselben Maße, wie es irgend eine Sprache sei, für den größten Theil der technischen Berufe. Der Rückgang des Handwerks hänge mit der geringen Aufmerksamkeit, die man dem Zeichenunterricht schenke, zusammen. Ihn zu schützen, sei allein seiner Partei Absicht. (Beifall links.) Abg. Freiberr von Stumm tritt diesen Argumenten entgegen. Für den Zeichenunterricht sei die Zeit von 8 bis 10 und dann von 11 bis 41 vollständig genügend. Das Beispiel Münchens zeige übrigens, wie die Frage gelöst werden könne. Er wolle auch den Lehrer im Gottesdienste sehen; gerade die Unmöglichkeit des Besuches des Gottesdienstes, welche für den Lehrer bei dem fakultativen Unterricht entstehen würde, sei für ihn ein Grund, gegen den Antrag Ruge zu stimmen. §. 120 wird mit dem Antrag Stumm angenommen,
der Äuntrag Ruge abgelehnt. S§. 1202 bis 1206 werden ohne Debatte genehmigt. . Um Hin Uhr wird die Fortsetzung der Berathung auf Mittwoch 11 Uhr vertagt.
Hans der Abgeordneten. S2. Sitzung vom Dienstag, 5. Mai.
Der Sitzung wohnen der Vize-Präsident des Staats— Ministeriums, Staats-Minister Dr. von Boetticher, der Minister des Innern Herrfurth und der Finanz-Minister Dr. Miguel bei.
Auf der Tagesordnung steht die Berathung des aus dem Herrenhause zurüͤckgekommenen Einkommensteuergesetzes.
Das Herrenhaus hat die Beschlüsse des Abgeordneten— hauses in folgenden Punkten abgelehnt: In 5§. 17 ist der Steuertarif, dessen höchsten Satz das Abgeordnetenhaus auf 4 Proz. bei 100 000 M6 festgesetzt hatte, wieder auf 3 Proz. herabgesetzt worden.
Nach den §§. 57 und 58 soll bei Vermehrung bezw. Ver— minderung des Einkommens die höhere bezw. niedere Steuer gezahlt werden vom Beginn des nächsten Vierteljahres (statt des nächsten n, ab.
In §. 73 ist neben dem Worte „Gemeinden“ das Wort Gutsgemeinden eingestellt worden.
In §. 82 ist neben der Ueberweisung der Grund- und Gebäudesteuer auch die Beseitigung der Grund- und Gebäude— steuer als Staatssteuer in Aussicht genommen.
Zu 8§. 17 liegen zwei Anträge vor: 1) von den Abgg. Dr. Arendt u. Gen., den Beschluß des Abgeordnetenhauses wieder herzustellen und für die Einkommen von 100 000 66 und mehr den Steuersatz von 4 Proz. einzuführen.
2) Von den Abgg. Knörcke u. Gen., die mittleren Steuerstufen bis zu 19000 6 im Steuersatze von 3 auf 21½ Proz. zu ermäßigen.
In der Generaldiskussion ergreift zunächst das Wort
Finanz-Minister Dr. Miquel:
Meine Herren! Ich glaube, es wird Ihnen die Diskussion er— leichtern, wenn ich die Stellung der Staatsregierung zu den Be— schlüssen des Abgeordnetenhauses schon beim Eingang der Debatte näher bezeichne.
Das hohe Haus steht heute vor einer meiner Meinung nach schweren und verantwortungsvollen Entscheidung. In einer sechs— monatigen Arbeit waren wir dahin gelangt, den schweren Felsblock der Steuerreform fast bis auf die Spitze des Berges heraufzuwälzen, und nun kommt anscheinend ein kleines Steinchen uns in die Quere und droht den Felsblock wieder herunter zu werfen, wo er möglicher Weise lange unaufgehoben liegen bleiben wird.
Meine Herren, wir haben erreicht in der gemeinsamen Berathung durch gegenseitige Nachgiebigkeit, daß beide Häuser des Landtages im Wesentlichen fast nur mit der einzigen hier in Frage stehenden Differenz sowohl das Einkommensteuergesetz als das Gewerbe— steuergesetz, und zwar mit ganz überwiegender Majorität, theilweise einstimmig angenommen haben. Wir haben aber nach meiner Meinung mit diesen Berathungen noch weit mehr erreicht. Wir sind allseitig einig ge⸗ wesen über den weiteren Fortgang der Steuerreform und deren Grundlagen, über die Nothwendigkeit einer Ausdehnung der Reform auf das Kommunalsteuerwesen, über die Nothwendigkeit einer endlichen Aus— gleichung der Unzuträglichkeiten und Ungerechtigkeiten, welche in unserem heutigen direkten Steuerspystem in Betreff des Verhältnisses der Personalsteuern zu den Realsteuern liegen. Wir konnten die Hoffnung hegen, daß, wenn der erste Schritt zum Abschluß kommt, nun auch um so weniger Schwierigkeiten in der zweiten Phase der Reform ein— treten würden, als es dann ja wesentlich um Entlastungen sich handelt.
Meine Herren, das Abgeordnetenhaus steht vor der Frage, ob es das Risiko laufen will, an einer einzelnen Frage möglicherweise die Steuerreform jwar nicht ganz von der Tagesordnung abzusetzen — denn das balte ich überhaupt für unmöglich nach allen vorangegangenen Debatten —, sondern ins Ungewisse zu stellen, zu vertagen auf eine Zeit, über die wir alle nicht disponiren können. Es muß doch eine sehr bedeutende Frage sein, an die man so viel hängt, wenn man überhaupt ernstlich die Reform will.
Um welche Frage handelt es sich denn? Handelt es sich um die prinzipielle Frage der progressiven oder der prozentualen gleichen Be⸗ steuerung? Ist hier ein großes Prinzip, wie Hr. Abg. Dr. von Gneist uns darzulegen suchte, in Frage? Meiner Ueberzeugung und der Ueberzeugung der Staatsregierung nach nicht im Allerentferntesten. Denn eine wirkliche Progression setzt ja natürlich gewiß voraus, daß sie erst recht den Betrag von 100 000 H übersteigt, sie kennt keine Grenzen, keinen Halt an einem bestimmten Punkt. Von einer pro— gressiven Steuer kann also hier gar nicht die Rede sein. Ich würde es verstehen, daß diese Fragen, welche vor der Regelung der Kommunalbesteuerung jedenfalls nicht gelöst werden, uns einmal wieder gestellt werden, und ich würde es dann ver— stehen, daß, um eines solchen wichtigen Prinzips willen, ob prozentuale oder progressive Steuer, vielleicht die ganze Steuerreform gefährdet
auch in keiner Weise die AÄbsicht, dem Besuch des Gottes
Meine Herrren, handelt es sich auf der anderen Seite um eine große finanzielle Frage? Ebenso wenig. Ich habe schon im Herren⸗ hause dargelegt, es handelt sich hier um etwa 23 Millionen, soweit man das zu überschlagen im Stande ist; also um eine Sache von großer finanzieller Bedeutung namentlich im Verhältniß zur Weiter⸗ führung der Steuerreform, um Mittel zu gewinnen, den Grund und Boden zu entlasten, handelt es sich in diesem Falle ebenso wenig.
Meine Herren, es handelt sich aber, glaube ich, endlich auch nicht um die Frage, ob diejenigen Steuerpflichtigen, die hier von 30 000 4 Einkommen ab allmählich ansteigen, bis sie schließlich mit höchstena 40, u herangezogen werden sollen, diese Steuerlast zu tragen fähig wären; denn in dieser Beziehung, glaube ich, sind wir Alle einig, daß man gewiß nicht behaupten kann, daß diese Censiten unter dieser Last würden erdrückt werden. Also irgend ein großes Prinzip, eine weittragende Bedeutung für die weitere Fortführung der Reform liegt in der strittigen Frage über haupt nicht.
Meine Herren, nun hat die Staatsregierung von vornherein in dieser Frage eine ganz konsequente Stellung eingenommen. Sie hat den Antrag, der von der Kommission gestellt wurde, in den höheren Stufen 4 06J zu nehmen, niemals prinzipiell bekämpft; sie hat sich wohl gehütet, aus dieser kleinen Frage eine Kardinalfrage zu machen. Wie die Staatsregierung — das Zeugniß, glaube ich, werden Sie ihr nicht versagen können — in sehr vielen Punkten die größte Nachgiebigkeit und das größte Entgegenkommen bewiesen hat, um diese schwierige Aufgabe nicht an kleinen Fragen scheitern zu lassen, so hat sie auch in dieser Beziehung das Hineinwerfen der Fragen einer stärkeren Be— steuerung in den höheren Stufen zwar nicht für rathsam gehalten, sie hat aber nicht die Frage der Annehmbarkeit oder Unannehmbarkeit des Gesetzes hieran geknüpft.
Was waren die Gründe, meine Herren, aus welchen die Staats regierung sich diesem Gesetze gegenüber so verhielt? Zunächst hat die Staatsregierung bei Aufstellung des Gesetzentwurfs sich naturgemäß das Ziel gesetzt, die bisher vorzugsweise im Lande erhobenen Klagen und Beschwerden zu beseitigen und ihnen gerecht zu werden und namentlich auch den Jahre lang hindurch in verschiedenen Formen ge— äußerten Wünschen des Landtages selbst zu entsprechen. Bis dahin war aber in den Berathungen des Landtages, soviel ich wenigstens weiß, die hier vorliegende Frage niemals aufgeworfen; man wollte endlich eine wirksame und gerechte Einkommensteuer; man wollte zu diesem Behufe die nöthigen Mittel gewähren, den Steuerpflichtigen in der Form der Deklaration zur Mitwirkung bei der Eruirung des wirklichen Einkommens heranziehen, in der Organisation der Veranlagung eine solche Konstruktion herstellen, daß man auch selbst dann, wenn die Deklaration allein nicht als maßgebend erachtet werden konnte, doch dem Staat die nöthigen Mittel giebt, um das Einkommen gleich⸗ mäßig zu finden und zu veranlagen. Das Abgeordnetenhaus wollte ferner in der Gewerbesteur — mit dem Scheitern der Einkommensteuervorlage scheitert natürlich auch die sich auf dieselbe beziehende, in Wort und Inhalt von ihr unzertrennliche Reform der Gewerbesteuer — den kleinen Handwerker endlich entlasten und die Gewerbesteuer gleichmäßig nach Maßgabe der Größe und Bedeutung der Betriebe und ihrer Erträge vertheilen.
Alles das hat das Abgeordnetenhaus von der Staatsregierung stets verlangt, und dieser Aufgabe mußte die Staatsregierung ent⸗ sprechen. Als nun während der Berathung der Kommission die von der Staatsregierung vorgeschlagene Degression in den unteren Stufen verstärkt wurde, da ist erst die Ansicht aufgetaucht, daß man den Verlust, den man in den unteren Stufen durch eine verstärkte De⸗ gression sich zugezogen, wieder ausgleichen müsse, und zwar durch eine stärkere Heranziehung der höheren Einkommen. Das war also eine rein finanzielle Frage; einen inneren Zusammenhang hat die Frage der Heranziehung der höheren Einkommen mit 4 0½ zu der Bemessung der Degressionsskala nach meiner Ueberzeugung nicht.
Wodurch unterscheidet sich denn eine Degression von einer Pro⸗ gression materiell? Materiell ist die Degression die Berücksichtigung des Gesichtspunktes, daß bei mäßigen, kleineren und mittleren Ein — kommen die Steuer als solche noch auf die Lebenshaltung der betref— fenden Steuerpflichtigen unmittelbar einwirkt und dieselbe wesentlich beeinflußt, daß es daher berechtigt, ist, hier einen geringen Prozentsatz zu wählen. Nun, meine Herren, diejenigen, die von dieser Wohlthat in diesem Gesetze betroffen werden, werden nicht geschädigt und be⸗ vortheilt dadurch, daß andere Steuerpflichtige in höheren Stufen mehr oder weniger zahlen. Diese Frage ist eine rein finanzielle ge—⸗ wesen; man hat eben den Verlust, den man durch die stärkere vom Abgeordnetenhause beschlossene Degression der Staatskasse zufügte, wieder einholen wollen durch eine stärkere Besteuerung des höheren Einkommens.
Ich habe schon ausgeführt, um welchen verhältnißmäßig geringen Betrag es sich hier handelt. Da hat nun die Staatsregierung von vornherein abgerathen, diesen Weg zu beschreiten, und zwar aus mehreren Gründen, aber nur aus Gründen der Opportunität.
Zuerst ist die Staatsregierung davon durchdrungen, und ich persönlich vor Allem, daß eine wirklich gerechte Steuerskala gegen⸗ wärtig überhaupt nicht aufzustellen ist, weil wir gegenwärtig noch nicht in der Lage sind, der Scheidung zwischen fundirtem und nicht fundirtem Einkommen näher zu treten. Wir haben also nicht nöthig, Fragen aufzuwerfen in Betreff der Skala, die noch zu großen Meinungsverschiedenheiten führen, wie das nun der Beschluß des Herren— hauses gezeigt hat, weil wir die definitive Gestaltung des Tarifs gegenwärtig überhaupt noch nicht vornehmen können, und daher mehr oder weniger der ganze Tarif vorerst ein Provisorium ist, welches aber nothwendig ist, um überhaupt zu einer Veranlagung zu gelangen, die ihrerseits nicht entbehrt werden kann, weil wir nur durch die Veranlagung der Einkommensteuer selbst erst das Material erhalten, um diese Schei⸗ dung zwischen fundirtem und unfundirtem Einkommen vorzunehmen. Wenn die Sache so liegt, so verliert dadurch nach meiner Mei⸗ nung die ganze Streitfrage nach allen Richtungen hin ihre grund legende Bedeutung.
Weiter aber hat die Staatsregierung auch geglaubt, daß es nicht rathsam wäre, bei der ersten Einführung der Deklaration, die auf so viele Widerstände, auf so viel offenen und geheimen Widerwillen stößt (sebr richtig!, den Bogen zu überspannen, um so weniger, als wir gleichzeitig eine das gewerbliche Einkommen sehr stark belastende Gewerbefteuer durchgeführt und daneben zum ersten Male auch die Erwerbsgesellschaften, die Aktiengesellschaften heran⸗ gejogen haben. Wir haben geglaubt, daß es rathsamer wäre und die
werden könnte; in einem solchen Prinzip liegt wirklich eine große Frage. ,
Widerstände gegen die Steuerreform mehr vermindern würde, wenn