1891 / 125 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 30 May 1891 18:00:01 GMT) scan diff

letzung formaler Vorschriften solle man nicht mit der vollen Schärfe des Gesetzes einschreiten, sondern zunächst auf die Befolgung jener Vor⸗ schriften aufmerksam machen, aber man muß einschreiten, wenn Warnung nicht hilft, so muß ich sagen, der Polizei⸗ Präsident von Berlin hat der „National⸗Zeitung“ gegenüber durchaus richtig gehandelt, denn am 11. März dieses Jahres war Letzterer bereits dieses selbe Versehen passirt. Daraufhin hat der Herr Polizei Präsident die Aktiengesellschaft National⸗Zeitung' auf dieses Ver⸗ sehen aufmerksam gemacht, hat sie hingewiesen auf diese Bestimmung; sie hat aber nach kurzer Frist, nach Ablauf von etwa neun Wochen dasselbe Versehen gemacht, und da war der Polizei⸗Präsident meines Erachtens voll berechtigt, nunmehr, da diese Verwarnung erfolglos geblieben war, mit der Beschlagnahme vorzugehen. Hätte sich die National⸗Zeitung! warnen lassen, hätte sie am 11. März die Maßnahmen ergriffen, die sie jetzt nach der Beschlagnahme ge— troffen hat, daß sie einfach den Kopf des Blattes mit der betreffenden Angabe hat stereotypiren lassen, dann würde diese Beschlagnahme nicht eingetreten sein. So aber, nachdem die Zeitung sich nicht hat warnen lassen, war der Polizei -Präsident dadurch allerdings in die Lage gebracht, die Beschlagnahme eintreten zu lassen. Um so mehr, meine Herren, als man meines Erachtens hier auch in dieser formalen Behandlung der Zeitungen volle Gleichheit eintreten lassen muß und nicht den Unterschied machen kann, etwa daß man soꝛial—⸗ demokratische Druckschriften mit Beschlag belegt, die National Zeitung‘ aber oder die Preßorgane anderer Parteien dessenungeachtet frei läßt. (Sehr richtig!)

Meine Herren, ich möchte glauben, daß in diesem Falle der Polizei⸗Präsident aber auch in Betreff der Ausführung der Beschlagnahme durchaus korrekt gehandelt hat. Er hat nämlich einfach dekretirt: diese Nummer der National-⸗-Zeitung' ist zu beschlagnahmen. Für die Ausführung der Beschlagnahme sind ganz bestimmte Bestimmungen getroffen. Die Anordnung der Beschlagnahme wird einfach an das Central⸗Bureau telegraphirt, dann gehen nach allen Seiten die Telegramme ab, dann wird in gleichmäßiger Weise die Beschlagnahme ausgeführt. Genau nach dieser Schablone ist auch hier bei der Beschlagnahme der „National ⸗Zeitung! vom 16. d. M. vorgegangen worden. Ich kann deshalb wiederholt die Anfrage des Hrn. Abg. Friedberg nur dahin beantworten: ich vermag in dem vorliegenden Falle das Ver⸗ fahren des Herrn Polizei⸗Präsidenten nicht zu mißbilligen und habe deshalb auch keinen Grund, anknüpfend an diesen Fall, eine allgemeine Verfügung zu erlassen. (Bravo!)

Abg. Dr. Friedberg: Das zweimalige Vergehen hätte den Polizei Präsidenten noch nicht zum Einschreiten veranlassen sollen, er hätte die „National Zeitung“ nochmals auf das Versehen hin⸗ weisen sollen. Die Absicht des Gesetzes sei nur, daß da eingegriffen werden solle, wo die Sache vermuthen lasse, daß Drucker und Ver⸗ leger sich der strafrechtlichen Verantwortung entzögen. Davon könne hier nicht die Rede sein. In seiner Kritik sei er vielleicht zu weit gegangen, nach der Erklärung des Ministers müsse er sagen: es war ein überlegter Gewaltakt. (Heiterkeit. )

Abg. Rickert: Er stimme dem Minister darin bei, daß ein Unterschied zwischen Zeitungen verschiedener Parteien nicht gemacht werden dürfe. Der Polizei⸗Präsident hätte aber immer noch ein oder zwei Mal die „Nattonal⸗Zeitung“ verwarnen können. Früher, bei den berühmten Preßordonnanzen, sei drei Mal verwarnt worden, ehe man eingeschritten sei. Und hier handele es sich zudem nur um ein absichtsloseß Versehen. Die Rede des Abg. Fried⸗ berg werde immerhin die gute Wirkung haben, daß die Behörde sich überzeugen werde, daß sie in der Volks— vertretung keine Zustimmung finde, Vor ein paar Monaten habe der Polizeie Präsident von Berlin sämmtliche Kriegervereine in einer Verfügung aufgefordert, in ihre Satzungen die Bestimmung auf⸗ zunehmen: „Die Mitglieder, welche sich durch ihr Verhalten mit dem Zweck det Vereins in Widerspruch setzen, insonderheit solche, welche den Anforderungen der Pflege und Bethätigung der Liebe und Treue zu Kaiser und Reich nicht entsprechen, werden aus dem Verein ausgeschlossen. Der Kriegerverein, den er hier im Auge habe, habe bereits in seinen Satzungen folgende Bestimmung: §z I: „Der unter dem Namen „Kamerad“ errichtete Berein ehemaliger 24er hat den Zweck, die Königstreue und Vaterlandsliebe zu stählen. Politik und Religion sind in den Vereinsversammlungen ausge— schlossen; §. 10: „Der Vorstand hat über die pünktliche Befolgung des Statuts zu wachen, und ist deshalb jedes Mitglied ehrenhalber verpflichtet, sich seinen Anforderungen zu fiuͤgen, anderenfalls ist der Vorstand berechtigt, die Kameraden zu ermahnen, event. einen Antrag auf Ausschließung zu stellen.“ Das entspreche vollkommen dem, was der Polizei⸗Präsident beabsichtigt habe. Es habe eine Zeit gegeben, wo jede politische Thätigkeit, welche nicht im Sinne der Regierung gewesen sei, als Feindschaft gegen Kaiser und Reich angesehen worden sei, und seine Freunde seien jahrelang mit dem Makel der Reichsfeindschaft behaftet gewesen. Diese Zeiten hätten sich glücklicher Weise geändert, diese Verfügung des Polizei⸗Präsidenten lasse aber deren Wiederkehr befürchten. Wer schließe die Mitglieder aus? Die Generalversammlung. Wenn sie es aber nicht thue, könne dann der Polizei⸗Präsident die Ausschließung dekretiren? Der Minister solle eine offene Erklärung abgeben, daß in Bezug auf die Thätigkeit der Kriegervereine endlich einmal Klarheit geschaffen werde, damit die unerwünschten Kämpfe im Reichstag dar⸗ über endlich vermieden würden. Einzelne Kriegervereine hätten ihre Mitglieder bei den Wahlen verpflichtet, für diesen oder jenen Kan— didaten zu stimmen. Seine Partei verurtheile das auch da, wo ein freisinniger Kandidat, wie in dem Fall Zangemeister, gegen einen Sozialdemokraten in Frage komme. Der Kriegerverein in Naumburg hahe aber öffentlich erklärt, daß seine Mitglieder verpflichtet seien, diesem Heirn ihre Stimmen zu geben. Nicht nur in den Versammlungen müsse die Politik ausgeschlossen sein, sondern auch außerhalb derselben müsse jeder politische Akt der Kriegervereine ver⸗ mieden werden. Allerdings gehe seine Partei nicht so weit, wie die in Offizierskreisen verbreitete Broschüre: „Die Kriegervereine gegen die Sozialdemokratie“, in welcher allen Parteien die Politik der parteilosen Vaterlandsfreunde gegenübergestellt werde. Wenn das das Ziel der Kriegervereine sei, so wurde es ein schönes Vater land geben. Aber auf dem Boden der Kriegervereine wolle seine Partei die Politik allerdings nicht. Er bitte den Minister, ein entsprechendes Rundschreiben an die Kriegervereine zu erlassen, und frage ihn, ob

dieses Vorgehen des Berliner Polizei ⸗Präsidenten auf einer all— gemeinen Anordnung beruhe und ob er damit einverstanden sei.

Minister des Innern Herrfurth:

Was zunächst die im Cingange der Rede des Hrn. Abg. Rickert nochmals erwähnte Beschlagnahme der „National⸗-Zeitung“ anlangt, so halte ich dieselbe für gerechtfertigt, weil ich wiederhole das eine einmalige Verwarnung vor kurzer Zeit bereits erfolgt ist; die Forderungen der Hrrn. Abgg. Dr. Friedberg und Rickert, welche mit Mephisto verlangen: Du mußt es dreimal sagen“, kann ich nicht für gerechtfertigt halten.

Was das Kriegervereinswesen anlangt, so ist Hr. Rickert meines Erachtens bei der Kritik der Maßnahmen, welche Seitens des hiesigen Polizei ⸗Präsidiums hinsichtlich eines einzelnen Kriegervereins getroffen find, und der Maßnahmen. welche die Königliche Staatsreglerung überhaupt hinsichtlich des Kriegervereinswesens getroffen hat, von

einer nicht ganz zutreffenden Beurtheilung der thatsächlichen Umstände ausgegangen, insbesondere aber hat er meines Erachtens die rechtliche Grundlage, auf welcher unser ganzes Kriegervereins⸗ wesen beruht, nicht hinreichend gewürdigt. Die Kriegervereine in Preußen sind solche Vereine gedienter Soldaten, welche sich auf Grund einer ganz besonderen rechtlichen Bestimmung der Allerhöchsten Ordre vom 22. Februar 1842 gebildet haben, welche besondere Vorrechte genießen, aber welche auch besonderen Beschränkungen unterworfen sind. Diese Ordre von 1842 besteht heute noch voll zu Recht. Ein Erkenntniß des Ober ⸗Verwaltungsgerichts vom Jahre 18738 führt aus, daß dieselbe weder durch die Artikel 29 und 30 der Verfassung noch auch durch das Vereinsgesett vom 11. März 1850 aufgehoben oder verändert worden ist. Meine Herren, es ist ja selbstverständlich, daß gediente Soldaten auch auf Grund des Vereins gesetzes sich zu Vereinen vereinigen können; sie können auch politische Vereine bilden, sie stehen dann aber voll unter den Bestimmungen dieses Vereinsgesetzes und können die besonderen Vorrechte der Kriegervereine dann nicht für sich in Anspruch nehmen.

Diese besonderen Vorrechte der Kriegervereine bestehen zunächst in der Befugniß, in Versammlungen, bei öffentlichen Auf— zügen, namentlich bei der Beerdigung von Kameraden, bewaffnet zu erscheinen; sie dürfen in Uniform erscheinen, haben eine militärische Organisation, unter gewissen Um⸗ ständen kann ihnen die Führung von Fahnen mit dem heraldischen Adler und militärischen Enblemen gestattet werden; unter Umständen werden ihnen auch Fahnen von Allerhöchster Stelle verliehen, kurzum, sie haben insbesondere auch bei Paraden, öffentlichen Auf⸗ zügen eine Relhe Vorrechte, die andere Vereine nicht haben. Aber sie sind auch wiederum besonderen Beschränkungen unter⸗ worfen.

Eine Beschränkung liegt zunächst darin, daß solchen Vereinen als Mitglieder und Ehrenmitglieder nur gediente Soldaten beitreten können. Daß diese gerade aktiv an einem Feldzug theil⸗ genommen haben, ist nicht erforderlich, aber Jeder, der nicht Soldat war, ist von der Aufnahme ausgeschlossen. Außerdem besteht die Bestimmung, daß die Statuten dieser Kriegervereine der obrigkeit⸗ lichen Genehm igung bedürfen, und daß diese versagt, sowie daß eine ertheilte Genehmigung zurückgezogen werden kann, wenn ein Verein durch sein Verhalten nicht den Voraussetzungen entspricht, unter denen die Genehmigung ertheilt ist, wenn er die öffentlichen Interessen, zu deren Wahrung er berufen ist, nicht wahrt, sondern verletzt.

Nun kam vor einigen Jahren es mehrfach vor, daß man die Kriegervereine zu politischen Vereinen zu gestalten versuchte, es wurde von Persönlichkeiten innerhalb und außerhalb dieser Vereine der Versuch gemacht, Politik in diese Vereine hinein zu tragen, und dies mußte Seitens der Staatsregierung als ein Uebelstand erachtet werden. Denn der hauptsächlichste Zweck und die erste Aufgabe dieser Vereine ist die Pflege der militärischen Traditionen, des kameradschaftlichen

Geistes, und darin liegt auch ihre hauptsächlichste, ihre soziale

Bedeutung. Diese soziale Bedeutung aber würde gefährdet und ge⸗ schädigt, sobald man in diese Vereine die Diskussionen politischer oder religiöser Art hineinträgt. Diese Erwägung hat den damaligen Herrn Kriegs⸗Minister und mich veranlaßt, im November 1888 eine Verfügung folgenden In⸗ haltes zu erlassen: es solle bei jeder Genehmigung der Statuten eines neu gebildeten Bereins und sobald ein bestehender Verein irgend welches neue Vorrecht nachsucht, die Forderung aufgestellt werden, daß in seine Statuten ausdrücklich die Bestimmung aufgenommen werde: erstens, daß der Verein sich die Pflege der Liebe und Treue gegen Kaiser und Reich, gegen König und Vaterland ausdrücklich zur Aufgabe stelle, zweitens, daß jede Diskussion über religiöse und politische Fragen aus seinen Versammlungen unbedingt ausgeschlossen bleibt.

Meine Herren, ich meine, durch diese Bestimmungen ist in positiver und negativer Weise richtig die Grenze gezogen, die diese Vereine inne halten sollen, und ihr Charakter genau bezeichnet. Sie sollen im Anschluß an ihre militärischen Traditionen die Liebe und Treue gegen Keiser und Reich, die sie in ihrem Fabneneid gelobt haben, auch im bürgerlichen Leben bewahren und alle diejenigen Elemente von sich fern halten, welche diese Treue zu halten nicht gewillt sind, sie sollen aber andererseits auch vermeiden, irgendwie politische Vereine zu werden, sie sollen jede politische und religiöse Diskussion aus ihren Versammlungen unbedingt fernhalten.

Meine Herren, es hat sich gezeigt, daß diese Verfügung zwar im Allgemeinen von gutem Erfolg gewesen ist, sie hat sich aber nicht voll wirksam erwiesen, namentlich gegenüber den Bestrebungen der Sozial⸗ demokratie, welche vor ungefähr Jahresfrist es direkt als ihre Auf— gabe bezeichnete, daß sie ihre Tendenzen womöglich in das Heer und jedenfalls in die Kriegervereine hineinzutragen bemüht sein müsse. Sie hat nach dieser letzteren Richtung leider hier und da nicht ohne Erfolg gearbeitet. Das hat nun den Herrn Kriegs ⸗Minister und mich veranlaßt, eine Ergänzung der vorgenannten Verfügung eintreten zu laffen, und zwar haben wir im Januar dieses Jahres folgende Verfügung erlassen: Es soll bei jeder Genehmigung eines Statuts eines neu gebildeten Vereins und, wenn ein bestehender Verein be— sondere Vorrechte in Anspruch nimmt, die Forderung aufgestellt wer⸗ den, daß in Ergänzung der vorbezeichneten Bestimmung in das Statut hineingeschrieben werde, daß Jeder, welcher durch sein Verhalten der Aufgabe des Vereins entgegenstrebe, die Treue gegen Kaiser und Reich zu halten nicht gewillt sei, aus dem Verein ausgeschlossen werde. (Sehr guth)

Es ist am Schluß dieser Verfügung dann noch hinzugefügt, es solle in geeigneter Weise darauf hingewirkt werden, daß auch in die Statuten bestehender Vereine eine gleichartige Bestimmung aufge—⸗ nommen werden möge.

Meine Herren, diese letztere Bestimmung das will ich hinzufügen ist hier und da unrichtig ausgeführt worden, ausgehend von dem Mißverständniß, als ob darin eine dispositive Vorschrift liege, und als ob sofort in jedes Statut diese neue Bestimmung aufgenommen werden müsse. Das ist nicht der Fall. Und wo eine solche mißver⸗ ständliche Auffassung stattgefunden hat, ist sie schon berichtigt worden. Es ist vielmehr angeordnet worden: nur da, wo es sich um die Bildung neuer Vereine handelt, oder wo ein bestehender Verein besondere Vorrechte neu für sich in Anspruch nehmen will, ist diese Forderung aufzustellen, ein Zwang aber nach dieser Richtung hin bei bestehenden Vereinen nicht auszuüben.

Was nun die einzelnen Fragen des Hrn. Abg. Rickert anbelangt, so muß ich sagen, in dem Falle, den er angeführt hat, war in dem Statut eigentlich die vorerwähnte Bestimmung bereits enthalten wenigstens sinngemäß. Ich nehme nach den Angaben des Hrn. Abg. Rickert an, daß dieser Verein nicht irgend ein Vorrecht nur für sich hat in Anspruch nehmen wollen, sondern daß ex officio er zur Aenderung seiner Statuten aufgefordert worden ist. Einen Zwang gegen einen solchen Verein auszuüben ist aber nicht beab⸗ sichtigt, und nach dieser Richtung ist Remedur erfolgt. Eine ähnliche mißverständliche Auffassung war bei einer anderen Behörde eingetreten; diese Auffassung ist berichtigt und hiervon auch dem hiesigen Polizei Präsidenten Mittheilung gemacht.

Was nun die Frage anbetrifft, in welcher Weise die Aus—⸗ führung einer derartigen Bestimmung erfolgen soll, so versteht sich ja von selbst, daß ein Ausschluß aus dem Verein nur durch den Verein selbst erfolgen kann, daß weder der Vorstand allein die Mit⸗ glieder ausschließen soll, noch viel weniger die Aufsichtsbehörde dies thun kann. Das ist meines Erachtens ganz selbstverständlich. Nach dieser Richtung hin ist übrigens den Vereinen irgend eine Vorschrift nicht gemacht worden, sondern ihnen überlassen worden, ihrerseits die Art und Weise des Ausschlusses in den Statuten selber zu regeln. Im Uebrigen verfügt auch die Aufsichtsbehörde gegenüber diesen Krieger⸗ vereinen über kein anderes Mittel als die Zurücknahme der Be⸗ stätigung. Irgend ein disziplinarisches Mittel, irgend eine sonstige Aussicht steht ihr nicht zu, und es ist deshalb, wenn es sich um geringere Versehen gehandelt hat, wenn hier und da vielleicht einmal der eine oder andere Verein etwas über die Grenzen, die sie festhalten sollen, hinausgegangen ist, nicht ohne Weiteres immer diese ultima ratio zur Anwendung gebracht worden. Dagegen das muß ich allerdings sagen in einzelnen Gott sei Dank vereinzelten Fällen allerdings ist die Nothwendigkeit eingetreten, Kriegervereine aufzulösen, weil sie sozialdemokratischen Tendenzen dienst⸗ bar gemacht worden waren, und weil dem Verlangen, daß die Mitglieder, welche diese Tendenz in die Vereine hinein gebracht hatten, ausgeschlofsen würden, nicht stattgegeben worden ist. Nun aber, meine Herren, kann ich sagen, dieser Fälle sind mir augen⸗ blicklich nur drei oder vier im Gedächtniß; ihre Zahl ist verschwindend gering gegenüber der Zahl von tausend und abertausend von Krieger⸗ vereinen, welche sich innerhalb dieser Grenzen gehalten und welche innerhalb dieser Grenzen auf das Segenreichste gewirkt haben. Meine Herren, ich glaube, wir können im Großen und Ganzen unseren Kriegervereinen die Anerkennung nicht versagen, daß sie unter Fern⸗ haltung religisser und politischer Sonderbestrebungen bemüht gewesen sind, einen kameradschaftlichen Geist, die militärischen Traditionen, die Liebe und Treue gegen Kaiser und Reich, gegen König und Vaterland zu pflegen, und ich meine deshalb, sie verdienen die volle Sympathie derjenigen, welche in dieser Pflege der Liebe und Treue gegen Kaiser und Reich den Grundstein er— blicken, auf dem unser ganzes öffentliches Leben im Staat und Reich basirt. (Bravo! rechts.)

Abg. Rickert: Mit der letzten Aeußerung sei er einverstanden aber man erreiche dieses Ziel am Besten, wenn man dafür sorge, daß die Kriegervereine nicht uber ihre Grenzen binausgingen. Er freue sich, daß der Minister in dem einen Fall Remedur geschaffen habe. Er hätte nur gewünscht, daß sich der Minister etwas entschiedener gegen den Mißbrauch einzelner Kriegerbereine bei den Wahlen aus— gesprochen hätte. Der Minister habe gemeint, es würde hier nicht immer mit aller Schärfe des Gesetzes eingeschritten; diese Milde sollte er nur auch in dem Fall der „National⸗Zeitung' walten lassen. Er bitte den Minister, seinen Einfluß dahin auszuüben, daß die Kriegervereine in ihren Grenzen blieben.

Abg. Johannsen (Däne): Am 22. Januar d. J. sei im An⸗ schluß an einen Vortrag über einen dänischen Dichter in einem nordschleswigschen Verein das König Christian ⸗Lied gesungen worden. Nach einer Polizeiverordnung von 1865 sei das Singen aufreizender dänischer Lieder verboten. Dem Wort „aufreizend' gäben die Gen—⸗ darmen eine eigenthümliche Auslegung, das Singen dänischer Lieder ziehe die Gendarmen in Nordschleswig eigenthümlich an, wie die Flamme die Fliegen, nur mit dem Unterschied, daß sich die Gendarmen nicht die Flügel verbrennten. Auch das König Christian⸗Lied sei als aufreizend angesehen und die Sänger beim Amtsvorsteher angezeigt worden. Der kommissarische Amts⸗ vorsteher habe die Sänger zu einer Geldstrafe von 10 ½ verurtheilt, diese hätten Widerspruch erhoben, weil seit Erlaß jener Polizeiverord⸗ nung vom Jahre 1865 das betr. Lied von keiner Behörde als aufreizend bezeichnet worden sei, das Schöffengericht aber habe sich der Auffassung des Amtsvorstehers angeschlossen, nur einen Angeklagten freigesprochen, aber drei Angeklagte zu je 3, einen zu 30 1 verurtheilt. Gegen dies Urtheil hätten die Betreffenden leider die Einsprache versäumt: es sei rechtskräftig geworden. Das Komische an der Sache sei, daß der Sänger jenes Liedes freiwillig in der preußischen Armee diene, daß es immer gespielt werde, wenn der König von Dänemark den Deutschen Kaiser oder dieser jenen besuche (Heiterkeit), man werde doch nicht annehmen, daß dann eine gegen die Deutschen aufreizende Melodie gespielt werde. Wenn jener Mann vielleicht bei einem solchen Empfang Posten gestanden und das Lied spielen gehört habe, und nun, weil er es singe, bestraft werde, wie solle der Mann sich das zusammen reimen? Der eine Mann sei darum besonders streng be⸗ straft worden, weil er preußischer Soldat gewesen sei was sollten die Dänen in Nordschleswig denn thun? Dienten sie nicht als Sol⸗ daten, so würden sie ausgewiesen, dienten sie, so müßten sie den Mund halten. (Heiterkeit) Er bitte den Minister, zu veranlassen, daß die falschgedeutete Polizeiverfügung durch eine neue, den Gen darmen und der Bevölkerung verständliche ersetzt werde.

Minister des Innern Herrfurth:

Von dem von dem Hrn. Abg. Johannsen sehr eingehend geschil⸗ derten Vorfall ist mir bisher nichts bekannt gewesen, ich werde aber aus seinem Vortrage auch kaum eine Veranlassung entnehmen, auf diese Angelegenheit weiter einzugehen. Denn aus dem, was er gesagt hat, habe ich, wie ich glaube, mit voller Deutlichkeit entnommen, daß im vorliegenden Fall durchaus gesetzmäßig verfahren worden ist, und daß eine Remedur überhaupt nicht mehr anders möglich ist, als auf dem Wege der Begnadigung der Bestraften.

Der Hr. Abg. Johannsen hat vorgetragen, daß auf Grund einer bestehenden Polizeiverordnung vom Jahre 1865 der Amtsvorsteher Die⸗ jenigen, welche gegen dieselbe verstoßen haben, in Strafe genommen hat, daß gegen diese vorläufige Straffestsetzung Einspruch eingelegt worden ist, und daß demnächst im richterlichen Verfahren die Strafen festgesetzt wor⸗ den sind. Gegen die Festsetzung hat weitere Berufung nicht statt⸗ gefunden. Es handelt sich also hier um eine rechtskräftig abge⸗ machte Angelegenheit, in welche einzugreifen ich keine Ver— anlassung habe.

Soviel mir erinnerlich ist das will ich allerdings sagen: ich weiß es nicht mit voller Bestimmtheit —, ist in der Polizeiverordnung von 1865 vorgeschrieben, daß Alles vermieden werden müsse und eventuell unter Strafe gestellt werde, was zur Aufreizung dient;

in dieser Beziehung eine entgegengesetzte Anordnung zu erlassen und zu sagen: die Aufreizung ist erl au bt, dazu kann ich mich unmög⸗ lich veranlaßt fühlen.

Abg. Knebel; In den 1866 an . angegliederten Landes theilen bestehe noch immer eine schärfere Dieziplinarverordnung, als in den alten Provinzen; es sei dort möglich, eine ganze Reihe von hohen Beamten durch einfache Verfügung zu entlassen, die im übrigen Preußen davor sicher seien. Das sei wohl bei Landestheilen zulässig, die einen Wechsel des Landes Oberhauptes durchmachen, aber jetzt sei das nicht mehr nöthig, was schon daraus folge, daß die ver—⸗ schärfte Disziplinarverordnung seit etwa 20 Jahren überhaupt nicht mehr angewandt worden sei. Er bitte den Minister, bei Gelegenheit des bevorstehenden 25 jährigen Jubiläums der Angliederung dieser 3 die Aufhebung dieser Disziplinarverordnung anregen zu wollen.

Minister des Innern Herrfurth:

Ich erkenne an, daß hier zweifellos ein Uebelstand vorliegt, welchen der Abg. Knebel zur Sprache gebracht hat. Ein innerer Grund zur Verschiedenheit der Behandlung von Beamten in den alten und neuen Landestheilen liegt jetzt augenscheinlich nicht mehr vor, und es hat die Königliche Staatsregierung deshalb auch, wie auch der Abg. Knebel selbst anerkannt hat, seit langer Zeit, ich glaube seit mehr als zwanzig Jahren, von der ihr in den neuen Landestheilen hirsichtlich einzelner Beamtenkategorlen zustehenden Befugniß nie mals irgend welchen Gebrauch gemacht. Ich glaube aber, darin liegt zu gleicher Zeit auch der Beweis dafür, daß ein besonders drins endes Bedürfniß zur Aenderung dieses Gesetzes nicht vorliegt, und ich muß sagen, wir sind mit so vielerlei gesetz⸗ geberischen Aufgaben von großer Wichtigkeit befaßt gewesen, daß wohl kein besonderes Verlangen vorgelegen hat, diesen Punkt noch durch eine Novelle neu zu regeln, und eine solche gesetzliche Regelung ist ja unbedingt erforderlich, wenn jener Unterschied abgeschafft werden soll.

Ich gebe aber zu, daß die Frage erwägenswerth ist namentlich auch nach einer anderen Richtung hin, welche der Abg. Knebel nicht berührt hat, und zwar hinsichtlich der Höhe des Ruhegehals Derjenigen, welche auf Grund dieses Gesetzes in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden. Ich glaube, es ist ein Nachtheil für unsere preußische Verwaltung, daß wir andere Bestimmungen haben, als im Reich in Betreff der Höhe des Ru hegehalts für diejenigen Beamten bestehen, welche in den einst⸗ weiligen Ru hestand versetzt werden. Wenn die von dem Hrn. Abg. Knebel angeregte Frage im Wege der Gesetzgebung in Angriff genommen werden soll, so wird auch die zweite Frage in Erwägung gezogen werden müssen, ob in Betreff der Höhe des Ruhegehalts, welches den einzelnen quiescirten Beamten gewährt werden soll, nicht diejenigen Grundsätze Anwendung finden sollen, welche in dem Reich jetzt bereits, meines Erachtens mit Recht, Anwendung gefunden haben.

Abg. Johannsen: Er habe den Minister nicht gebeten, die Verordnung von 18655 materiell zu ändern, sodaß also das betreffende Lied zu singen erlaubt sei, sondern nur gebeten, daß die Verordnung klar und verständlich gefaßt werde.

Abg. Richter: Ein Hr. Boyen aus Gardingen in Schleswig habe ihm mitgetheilt, daß seine Wahl zum unbesoldeten Beigeordneten vom Regierungs⸗Präsidenten aus politischen Gründen nicht bestätigt sei, während seine Person und seine Beschäftigung als Gastwirth keinen Anlaß zu dieser Maßregel geboten habe, wie der Regierungs— Präsident einer Deputation und dem Betroffenen selbft mitgetheilt babe. Der Mann habe weiter Nichts gethan, als bei der Reichs« tagswahl für seinen Kandidaten Seelig agitirt, was die Pflicht jedes Mannes von bestimmter politischer Ueberzeugung fei. Er werde dem Mann rathen, Beschwerde beim Minister einzulegen, lenke aber hier die besondere Aufmerksamkeit des Ministers auf diefen Fall, da aus anderen Vorfällen die Absicht des Regierungs · Prã⸗ sidenten von Schleswig hervorzugehen scheine, freisinnige Männer zu ächten, was allerdings zu einem früheren System gehört habe.

Abg. Dr. Krause: Er komme noch einmal auf die Beschlag—⸗ nahme der „National-Zeitung“ zurück. (UnWruhe rechts.) Surch die Beschlagnahme seien nur die zahlreichen Leser geschädigt worden, während die Behörde wohl in der Lage gewesen fei, die Zeitungs“ herausgeber durch eine Geldstrafe, die nach §. 19 des Preßgesetzes zu⸗ lässig sei, zu strafen. Dagegen würde Niemand eine Einwendung haben machen können. Die Beschlagnahme sei allerdings wohl zu⸗ lässig, aber hier durchaus unangebracht. Was die Verloosungosliste anlange, so sei, da diese ein abtrennbarer Theil der Zeitung sei, die Beschlagnahme überhaupt nur gerechtfertigt gewesen, wenn auch da der Name des Druckers und Verlegers gefehlt hätte.

Abg. von Rauchhaupt: Die Beschlagnahme durch die Polizei sei durchaus gerechtfertigt gewesen, zumal nachdem eine Verwarnung vorhergegangen sei.

Abg. Dr. Friedberg: Es handele sich darum, welche Strafe zweckmäßiger gewesen sein würde, und da glaube er ganz sicher, daß die Geldstrafe eher als die Beschlagnahme anzuwenden gewesen wäre.

Abg. Dr. Krause: Würde der Abg. von Rauchhaupt auch die Beschlagnahme der Zeitung im März, als der erste Fall vor⸗ gekommen fei, für gerechtfertigt gehalten haben? Dieser letzte Fall sei aber so lange her, daß bei einem Druckfehler und um einen solchen handele es sich doch diese Verwarnung wirklich nicht mehr in Betracht kommen könne.

Abg. Freiherr von Huene: Er meine, daß das Vorgehen des Polizei⸗Präsidenten in weiten Kreifen einen ungünstigen Eindruck machen müsse, und bei dem Interesse der Bevölkerung an der Presse hätte er, da doch kein böser Wille, sondern nur ein Irrthum vor— gelegen, gewünscht, daß man anders verfahren wäre.

Abg. von Eynern: Wenn er gewußt hätte, daß eine Ver— warnung schon stattgefunden habe, so hätte er eine andere Stellung zu dieser Frage eingenommen. Aber er müsse doch den Abg. von Rauchhaupt fragen, wie er es empfunden hahen würde, wenn er, auf seinem Gute sitzend, hätte hören müssen, daß eine Nummer der „Kreuzzeitung⸗ aus einem ähnlichen Grunde beschlagnahmt worden fei.

Abg. von Rauchhaupt: In solchem Falle würde er gesagt haben, der Polizei ⸗Präfident habe Janz korrekt gehandelt. Er glaube, die Herren sähen ein, daß sie Unrecht hätten, und der Abg. Krause wolle wohl nur ein sehr geschicktes Arrisregefecht liefern; er sei aber völlig zurückgeschlagen worden. ;

Abg. Czwalina: Nach unwidersprochenen Zeitungsnachrichten sei in der Gemeinde Unterbruch am Rhein kürzlich der Fall vorge⸗ kommen, daß der Staatganwalt bei Revision der Standesamtsregister gefunden habe, daß sieben vor mehreren Jahren stattgefundene KGheschlleßungen von einem zur Führung des Standegamts nicht drr gin vorgenommen worden, also ungültig seien, und den

4 en Eheleuten die nochmalige Eheschließung empfohlen. Dies Ver⸗ Hirn lasse aber eine grauenvolle Perspektive zu. Die Eheleute f tten gar keine Schuld an der Sache, fie hätten sich nicht dagegen . können, und es fei Sache der vorgefetzten Behörde, diefen ormalen Fehler in der mildesten Forn zu korrigiren. Das sei um h ö geboten, als bei anderen Bestimmungen des bürgerlichen ö echts, wo eßs auch auf genaue Aufrechthaltung der Formen an⸗ . gine Verletzung diefer Formen durch die Behörde das 'chtsgeschäͤft nicht ungüllig mache, sfondern nur zur Bestrafung deg , Beamten ö. so bei Aufnahme von Testamenten durch en nicht zuständigen Richter, bei Aufnahme bon notariellen Akten durch Den nicht zuftändigen Notar. Auch das kanonifche Recht laffe durch . Fehler des Cheschüiehenden die Che nicht ungliltig werden, und die Inter pretationen zum Standesamtegesetz sprächen? sich gegen dat Ver

fahren des Staatsanwalts aus. Hier sei das fiat justitia, pereat mundus durchaus nicht angebracht. Das Standesamts—⸗ gesetz sei freilich Reichsgesetz man könne hier also nur eine Anregung zu seiner Aenderung geben; aber zu einer solchen Anregung sei das Haus um so mehr veranlaßt. als das Kammergericht, die höchste preußische Instanz für diese Sachen, mehrfach im Sinne des erwähnten Staatsanwalts entschieden habe, und als solche Vorfälle fast nur in Preußen vorkämen, die Preußen also die Hauptleidtragenden seien. Diese Vorfälle ereigneten sich fast nur bei Neueintheilungen von Kreisen, man könne dann eben auch den Beamten nur ein verzeih— liches Versehen zur Last legen.

Justiz⸗Minister Dr. von Schelling:

Das Standesamtswesen der Rheinprovinz steht unter Aufsicht der Staatsanwaltschaft; aus diesem Grunde nehme ich für mich den Vorzug in Anspruch, auf die Anfragen und Anregung des Hrn. Abg. Czwalina zu antworten.

Das Sachverhältniß ist einfach dieses. Der Bürgermeister in der Gemeinde Unterbruch hatte die Verwaltung des Standesamtswesens in ge⸗ setzlich zulässiger Weise seinem Beigeordneten übertragen; die Amtsperiode des Beigeordneten lief im Mai 1890 ab. Obgleich nun von Seiten der Ver⸗ waltung Anordnungen getroffen sind und das bemerke ich gegenüber An⸗ deutungen, die der Hr. Abg. Czwalina in dem letzten Theil seiner Rede gemacht hat, als wenn im Wege der Verwaltung nicht das Erforderliche geschehen sei, um Uebelständen, wie sie hier zu beklagen sind, vorzubeugen obwohl von Seiten der Verwaltung die An ordnungen getroffen sind, daß der Staatsanwaltschaft von jeder Er—⸗ löschung des Amtes eines Standesbeamten sofort Mittheilung zu machen sei, so ist doch diese Mittheilung im vor— liegenden Falle unterblieben. Der Beigeordnete selbst befand sich in dem Irrthum, daß seine Amtsperiode nicht schon im Mai 1890, sondern erst im Mai 1891 ablaufe, er blieb daher ruhig in der Verwaltung des Standesamts und hat noch sechs Ehen nicht sieben, wie bemerkt worden ist abgeschlossen. Sobald die Staats anwaltschaft von dem vorgekommenen Versehen Kenntniß erhalten hat, hat sie an sämmtliche Personen, welche diese Ehen ab— geschlossen hatten, die Mahnung gerichtet, dieselben möchten die Eheschließung vor dem zuständigen Standesbeamten wiederholen; dieser Aufforderung ist entsprochen worden. Fünf von den in Frage stehenden Ehen sind bereits mit gesetzlicher Gültigkeit umkleidet worden, indem der Eheschließungsakt von dem zuständigen Standes beamten wiederholt worden ist. Ich muß annehmen, daß dies auch Betreffs der sechsten Che geschehen ist. Denn nach dem zuletzt vor⸗ liegenden Bericht vom 19. Mai dieses Jahres war der Aufenthalt der betreffenden Eheleute ermittelt, und das Standesamt in Aachen, wo sie sich aufhalten, war ersucht worden, den Cheschließungsakt zu vollziehen. Damit glaube ich, daß der vorliegende Fall als erledigt angesehen werden kann.

Nun hat der Hr. Abg. Czwalina noch einen sehr interessanten Ausblick auf die Lage unserer Gesetzgebung und Praxis auf diesem Gebiet geworfen und hat namentlich die Frage sehr eingehend erörtert, ob die herrschende Annahme richtig sei, daß jede Verletzung der Form der Eheschließung die Nichtigkeit derselben nach sich ziehe. Ich will auf diese Frage in dem weiten Umfange, in welchem sie von dem Herrn Abgeordneten erörtert worden ist, nicht eingehen, ich beschränke mich nur auf den hier allein in Frage stehenden Fall, daß die Ehe von einem vermeintlichen Standesbeamten vollzogen worden ist, während es sich nachher ergiebt, daß der Standesbeamte nicht gehörig bestellt worden war. Ja, in diesem Falle läßt sich nicht leugnen, daß nach Lage der Gesetzgebung die Ehe als nicht geschlossen anzusehen ist. Ich gebe dem Herrn Abgeordneten vollständig zu, daß dieser Zustand ein sehr bedenklicher ist, obgleich ich ihn doch nicht für so gefahrdrohend ansehen kann, wie er von ihm geschildert worden ist. Denn obgleich Verstöße in dieser Rich— tung wiederholt vorkamen, so ist mir doch kein Fall bekannt geworden, in welchem eine Ehe wirklich aufgelöst, auch nur angefochten worden wäre aus dem Grunde, weil der Standesbeamte, der sie vollzogen, nicht der gehörig bestellte gewesen sei.

Ich kann dem Herrn Abgeordneten darin nicht Unrecht geben, daß es in der That am Platze sein möchte, die Gesetzgebung zu dem Zwecke in Bewegung zu setzen, um die hier unzweifelhaft vor—⸗ handene Lücke auszufüllen. (Sehr richtig! Die Frage ist auch be reits in meinem Ministerium einer eingehenden Erörterung unter— worfen worden, und ich habe, als ich Gelegenheit hatte, dem Herrn Reichskanzler meine Vorschläge in Bezug auf den Entwurf des bürger—⸗ lichen Gesetzbuchs zu unterbreiten, auch diese Frage in meinen Bemerkungen berührt und habe meinerseits den Vorschlag gemacht, in dem künftigen bürgerlichen Gesetzbuch den Gedanken zum Ausdruck zu bringen, daß, wenn eine Ehe vor einem öffentlich funktionirenden Standesbeamten geschlossen worden ist und die Eheleute in der That den Beamten auch für den gehörig bestellten Standesbeamten gehalten haben, dann die Ehe nicht angefochten werden kann aus dem Grunde, weil sich hinterher ergiebt, daß in der Bestellung des Standesbeamten irgend ein Mangel vorgefallen ist. Ja, ich bin noch weiter gegangen: ich habe dem Herrn Reichskanzler auch vorgeschlagen, in das Einführungs— gesetz eine Bestimmung aufzunehmen, durch welche der Rechtssatz, den ich eben präzisirt habe, mit rückwirkender Kraft versehen würde, sodaß dieser Rechtssatz auch Anwendung findet auf alle Ehen, die geschlossen worden sind vor dem Inkrafttreten des Ge— setzes. (Sehr guth Ich möchte also glauben, daß, wenn auch der Weg der Gesetz gebung, auf welchen der Herr Abgeordnete nicht mit Unrecht hinge⸗ wiesen hat, noch nicht förmlich betreten ist, doch meinerseits schon das Nöthige geschehen ist, um die Angelegenheit in diesen Weg zu le ten. (Bravo!)

Abg. von Eynern wiederholt seine Beschwerde darüber, daß 21 Städten, darunter Berlin, die Polizeikosten durch den Staat er⸗ leichtert worden seien, während die anderen Gemeinden die Kosten selbst tragen müßten. Redner fragt deshalb, wie es mit der Wiedervorlegung des Polizeikostengefetzes stehe.

Minister des Innern Herrfurth:

Meine Herren! Nach dem äußerlichen Verlauf, welchen die Be⸗ rathung des Gesetzentwurfs über die Aufbringung der Kosten der Königlichen Polizeiverwaltungen in Stadtgemeinden im Jahre 1889 genommen hat, kann es allerdings auffallend erscheinen, daß dieser Gesetzentwurf Ihnen nicht in der vorigen Session, oder doch wenig⸗ stens in der jetzigen Session wieder vorgelegt worden ist. Ich glaube allerdings, daß die Schilderung dieses Verlaufs Seitens des Abg. von Eynern, soweit sie die Berathung jenes Gesetzentwurfs im Herren hause betrifft, nicht ganz korrekt ist. Ungefähr aber ist seine Dar⸗

stellung meines Erinnerns wenigstens soweit zutreffend daß

in diesem Hause im Jahre 1889 das Gesetz angenommen, daß die Kommission des Herrenhauses ebenfalls mit dem Gesetz, wie es hier beschlossen worden, einverstanden war, daß demnächst die Berathung im Plenum des Herrenhauses zur Zurückweisung Behufs Erstattung eines schriftlichen Berichts geführt hat, und daß das Gesetz nicht zum Abschluß gekommen ist, weil unmittelbar darauf der Schluß des Landtages erfolgte.

Es kann auffällig erscheinen, daß Ihnen das Gesetz nicht wieder vorgelegt ist, nachdem im Jahre 1885 mit sehr großer Majorität die Vorlegung eines solchen Gesetzes von diesem Hause gefordert war, und nachdem das Prinzip des neuen Gesetzes durch die beiden Häuser insoweit Billigung gefunden hatte, als man die Zahlung eines Kopfbeitrages nach Maß— gabe der Civilbevölkerung der betreffenden Städte als eine genügende und zutreffende Grundlage für die Regelung anerkannt hatte. Andererseits, meine Herren, glaube ich, ist es wohl als communis opinio zu bezeichnen, daß das Gesetz in jener Fassung Niemanden recht befriedigte, weder die Städte, die die Zahlung leisten sollten, noch die Städte, die bisher aus kommunalen Mitteln die Kosten ihrer Polizei⸗ verwaltung bestreiten mußten und von diesen Beiträgen nichts erhalten sollten, noch endlich den Herrn Finanz ⸗Minister, der statt 4 Millionen, wie es der erste Gesetzentwurf im Jahre 1887 beabsichtigte, oder statt der 3 Millionen, welche die Vorlage der Regierung in Aussicht nahm, noch nicht 17 Millionen bekommen haben würde.

Nun war in diesem Hause bei der Berathung des Gesetzentwurfs gleichzeitig eine Resolution gefaßt worden, welche einem Gedanken Ausdruck gab, der bei den Berathungen sehr vielfach schon erörtert worden war, nämlich daß man eine organische Aenderung in der Vertheilung der verschiedenen Funktionen der Polizei innerhalb der Städte mit Königlicher Polizeivertbaltung eintreten lassen solle nach der Richtung, daß die gesammte Sicherheitspolizei der Königlichen Polizei— verwaltung und die Wohlfahrts- oder Verwaltungspolizei wie Sie es nennen wollen in möglichst großem Umfange den Städten übertragen werde. Sodann war der zweite Gedanke, daß man womöglich die Beiträge, welche die 21 Städte mit Königlicher Polizeiverwaltung zu zahlen haben würden, mit— verwenden solle zu Gunsten der Städte, welche ihre Polizeiverwaltung aus eigenen Mitieln bestreiten.

Nach beiden Richtungen hin sind nun inzwischen umfangreiche Verhandlungen eingeleitet. Es ergab sich, was die organische Gliede⸗ rung der Polizeiverwaltung in den bezeichneten 21 Städten anlangt, zunächst, daß ein sehr erheblicher Theil der Sicherheitspolizei, das Nacht⸗ wachtwesen, in allen Städten mit Königlicher Polizeiverwaltung sich nicht in Händen der Letzteren, sondern in den Händen der Kommune befindet, ein Zustand, welcher zu Unzuträglichkeiten führt und prinzip⸗ widrig ist. Denn wenn die Königliche Polizeiverwaltung am Tage für die öffentliche Sicherheit zu sorgen hat, so ist nicht einzusehen, warum sie, wenn die Sonne untergegangen ist, ihre Funktionen ein⸗ stellen und die Bewahrung der öffentlichen Sicherheit während der Nacht dem städtischen Nachtwächter überlassen soll.

Andererseits aber war neben der Sicherheitspolizei auch eine große Anzahl von Zweigen der Verwaltungepolizei der Königlichen Polizeiverwaltung übertragen, während die Resolution dieses hohen Hauses ausdrücklich ausgesprochen batte, es sei wünschenswerth, daß die Bau⸗, Gewerbe⸗, Markt-, Hafen⸗, Feld-, Forst⸗. Jagd⸗ und Schulpolizei in möglichst großem Umfange den Stabten zur eigenen Verwaltung überwiesen werde. Da nun alle diese Zweige nicht meinem Ressort direkt unterstellt sind, so habe ich mich mit den anderen Herren Ministern in Verbindung setzen müssen und habe demnächst mit den betreffenden Städten Unterhandlungen darüber eingeleitet, ob und inwieweit es thunlich sein wird, ihnen derar Je Zweige der Polizei zu übertragen. Diese Verhandlungen sind noch nit zum Abschluß gediehen; ich vermag aber schon jetzt? übersehen, daß eine allgemeine gleichmäßige Regelung nicht möglich sein wird, weil ein großer Theil der Städte sich weigert, weitere Zweige der Polizei zu übernehmen. (Hört! hört!)

Nach der zweiten Richtung hin, was die Berücksichtigung der Städte mit kommunaler Polizeiverwaltung anlangt, so war bisher nur in Aussicht genommen, daß die Beträge, welche die Städte mit Königlicher Polizeiverwaltung zu zahlen haben würden, dem allge⸗ meinen Staatssäckel zufließen sollten. Ich habe mich inzwischen aber mit dem Herrn Finanz⸗Minister darüber in Verbindung gesetzt, ob es nicht möglich sein würde, diese Beiträge zu verwenden einmal zu den Mehrkosten, welche durch die Uebernahme des Nachtwachtwesens in den Städten mit Königlicher Polizeiverwaltung entstehen werden, und sodann zur Verstärkung der Polizei in den andern Städten, die allerdings nur dadurch zu ermöglichen sein wird, daß man die Thätigkeit der Landgendarmerie auf jene Städte, welche daneben ihre eigene Kom⸗ munalpolizei beibehalten müßten, ausdehnt. Auch diese Frage wird sich nicht einfach und gleichmäßig lösen lassen mit Rücksicht auf diejenigen Städte, welche einen eigenen Stadtkreis bilden. In Betreff der zu einem Landkreise gehörigen Städte wird dagegen eine solche Regelung, glaube ich, ohne weitere Unzuträglichkeiten zu bewirken sein; in Betreff der Stadtkreise wird sie dagegen auf große Schwierigkeiten stoßen.

In beiden Richtungen sind die Verhandlungen ohne Unterbrechung weiter geführt, sie werden noch jetzt fortgesetzt, und ich hoffe mit ziem= licher Gewißheit, in Aussicht stellen zu können, daß im nächsten Jahre ein neuer Gesetzentwurf vorgelegt wird, welcher ungefähr auf folgenden Grundlagen beruhen wird: Abschaffung des Unterschiedes zwischen persönlichen und sächlichen Kosten der Polizei in Städten mit Königlicher Polizeiverwaltung, Uebernahme des Nacht⸗ wachtwesens, also der gesammten Sicherheitspolizei in diesen Städten Seitens der Königlichen Polizeiverwaltung, möglichst umfangreiche Ueber⸗ tragung von Zweigen der Verwaltungspolizei an die Gemeinden innerhalb dieser Stadtgemeinden, Zahlung eines Kostenbeitrages Seitens der Ge—⸗ meinden mit Königlicher Polizeiverwaltung und Verwendung dieses dadurch gewonnenen Beitrages zur Deckung der Mehrkosten für die Ueber nahme des städtischen Nachtwachtwesens auf die Königliche Polizei⸗ verwaltung und zu einer Verstärkung der Gendarmerie Behufs Nutzbarmachung derselben für die übrigen Stadtgemeinden.

Das sind Gedanken, die mir für die künftige Regelung vorschweben, die allerdings nach verschiedenen Richtungen hin einer näheren Erörterung mit den betheiligten Ressorts bedürfen. Die Verhandlungen sind im vollsten Gange, und ich hoffe, daß sie bei Beginn der nächsten Session so weit gediehen sein werden, daß ein auf diesen Grundlagen bastrender Gesetzentwurf dem hohen

Hause wird vorgelegt werden können. (Bravo