Gemeinden odel ändere Korporationen oder Personen, welche ge ⸗ wissermaßen an die Stelle des Staats getreten sind, leer ausgehen sollten. Das halte ich nicht für richtig, und ich glaube, man thut am Besten, solche Ausdrücke zu wählen, die in dieser Beziehung nicht zu enge Rechtsschranken geben, sondern eine zweckmãßige billige Berücksichtigung der jedes Mal vorliegenden Ver⸗
der Kommission gestatten. Man würde mit dem
Ich komme daher dahin, daß, falls das Has“ nicht den Antrag in allen seinen Theilen annehmen sollte, es da n vorzuziehen wäre, einfach bei den Beschlüssen der Kommisster. bewenden zu lassen.
Art. 2 wird gegen die Stimmen der Nationalliberalen und Konservativen nach dem Antrag e Porsch angenommen.
Die Art. 3 — 5, welche Aus ührungsbestimmungen ent— alten, werden unverändert und ohne Debatte genehmigt.
Damit ist die zweite Vero chung erledigt.
Es folgt die dritte Verathung der Sekundärbahn⸗
vorlage. k
In der Generaldiskussion wünscht
Rög. Lehmann; Daß die im vorigen Jabre beschlossene, aber noch nicht in Angriff genommene Cisenbabn von Hermeskeil nach Kemmetsweiler nicht, wie von der Eisenbahnverwaltung beabsichtigt, durch das Lästerthal, sondern durch das Primstbal geführt werde. Die Führung der Linie durch Tas Lästertbal würde S800 000 M mebr kosten und den Wüuͤnschen der Interessenten nicht entsprechen.
Geheimer Ober⸗Regierungs Ratb Micke bemerkt, daß, nachdem die Diskussion im vorigen Jahre geschlossen gewesen sei, sich noch Zwesfel ergeben hätten, ob diz Führung dieser Linie durch das Västerthal angemessen erscheine. Der Minister habe eine Kommission in Ork und Stelle geschickt, um sich mit den Interefsenten äber die Feste Linie zu unterrichten. Eine endgültige Entscheidung babe noch nicht getroffen werden können. Jedenfalls werde aber eine von dem früheren Beschlufse abweichende Entscheidung nicht ohne Zustim⸗ mung des Hauses gefaßt werden.
Abg. von Pilgrim besürbhortet den Bau einer Linie von Bad Deynhausen am linken Weserufer entlang nach Minden, da⸗ mit Minden auch einen Bahnhof auf dem linken Weserufer erhalte.
Äbg. Lassen lenkt noch einmal die Aufmerksamkeit auf die von ihm in der zweiten Lesung beantragte, aber abgelehnte Bahn von Tinglef nach Sonderburg. ;
Geheimer Ober⸗Regierunge Rath Micke erklärt, daß die An⸗ sichten der Interessenten darüber auszinandergingen, und die Er⸗ wägungen über diese Bahn noch nicht abgeschlossen seien.
Abg. Jürgensen erklärt sich gegen die Ausführungen des Abg. Lassen.
Abg Graf zu Lim butg⸗Stirum: Wenn man einen Rũck⸗ blick auf die Thätigkeit unferer Staats ⸗Eisenbahr verwaltung werfe, so sehe man, daß gegenüber den vielfachen Wünschen und Be⸗ mängelungen, welche gegen dieselbe laut geworden seien, die Vor⸗ theile der Cifenbahnverstaatlichung bedeutend überwögen. Die Mitglieder des Haufes wüßten alle, welche Zahl von Kilometern Eisenbahn unsere Stants-Eisenbahnverwaltung geschaffen habe, wie wenige Sekundãr⸗ bahnen vor der Verstaatlichung existirten und welche geringe Rolle die Üeberschüsst des Eisenbahn Etats für den Staat damals gespielt hätten. Wenn Preußen den Eisenbahn ⸗Etat nicht hätte, würde es an dauernden schwer lastenden Defizits leiden und man überhaupt nicht in der Lage gewesen sein, mit der Steuerreform vorzugehen. Es fei ferner durch die Verstaatlichung eine große Stärkung der Staats⸗ gewalt erreicht worden, der auf dieser Seite des Hauses das größte Ge⸗ wicht beigelegt werde. Wenn man sich erinnere, wie die Privateisenbabn⸗ gesellschaften in Oesterreich, Frankreich und anderen Ländern auf die Staatsbahnen drückten und im eigenen Interesse gegen das Staats intereffe verführen, so werde man sagen, bei uns sei eg besser. Die Gehalts verhãltnisse der Beamten seien verbessert, und auch in dem Tarif seien erhebliche Berbesserungen eingetreten. Wenn er diese Vortheile zuscmmenfasse, so geschehe et, um ju sagen, daß man für diese Arbeit den Dank besonders der Persönlichkeit des Ministers schulde. (Lebhafter Beifall.) Die Herren, welche von Anfang an bei der Verstaat⸗ lichang mitgearbeitet hätten, würden ermessen können, mit welcher Schwierigkeit zu arbeiten gewesen sei. Das Höchste, was man von Beamten verlangen könne, sei geleistet worden, und das werde immer der Fall sein, wenn der Chef. danach sei, wenn er die Leute an— seuere, das Beste, was sie thun könnten, zu thun. Bei dem kolos⸗ salen Umsatz von Milliarden, welchen die Verstaatlichung beansprucht babe, habe man nie vorzeitig aus dem Ministerium die geringste Nachricht bekommen. (Beifall Man könne stolz sein auf diese Beamten. (Beifall.) Gezenüber den theilweise ungerechten Anforde rungen an die Stagts ⸗ Eisenbahnverwaltung müsse man sagen, daß ste das Möglichste geleistet habe. Er wiederhole, es sei eine der höchsten Leistungen auf dem Gebiete der Verwaltung, auf die man zurückblicken könne. Der. Minister könne stol; darauf sein, daß. er neben dem Fürsten Bißmarck einer der Henigen selbständigen Organisatoren Prerßens sei. (Beifall) Des Geheimniß dieser Leistungen seien, neden großer Befãhi⸗ gung, Charaktereigenschaften. Man habe an dem Minister immer mit Freude vornehme Gesinnung erkannt, indem er ins mer das, wat er seiner Stellrng schuldig und was man seiner Stellung schuldig ge⸗ wesen sei, festzchalten und sich nie überhoben habe. Er ei immer ein Staatsmann gewesen, kein kleinlicher Bureaukrat. (Beifall. Darin liege auch das Geheimniß des Vertraueng, mit dem man ihm „t= gegengekommen sei und das Geheimniß seines Erfolgeß; denn nus mit cinem Manne, dem man Vertrauen schenke, dnne man solche Politik machen, wie sie gemacht worden sei, Er gebe deshalb gern Namentz seiner politischen Freunde die Erklärung ab, sie dankten sü weit eg an ihnen liege, dem Minister für das, was er geleistet habe und rechneten es sich zur hohen Ehre an, daß es ihnen vergönnt
gen een sei, mit ibm an diese ãti en, g ü ret r n eser großen Verwaltungèarbeit thätig
2Vinister der öffentlichen Arbeiten von Maybach:
Ich k auche meine Herren, nicht die Versicherung zu geben, daß die Worte, die ich eben gehört habe und Sie mit mir, mich tief er⸗ gef haben . würd em Dank rühren. In meiner mehr als
reizehnjãhrie en Wirksamkeit in dem Amt, welches ich zur Zeit be— kleide, hat m ich unausgesetzt und wachsend das Vertrauen und dag Wohlwollen de * großen Majorität des hohen Hauses begleitet. Wie dankbar ich dafur gewesen bin, habe ich oft zum Ausdruck gebracht und das thue ich auch heute aus vollem Herzen. Nur mit diefen Vertrauen in den uten Willen, in die volle Integrität auch aller der Personen, die mi. mir gearbeilet haben, war etz möglich, 36 Stande zu bringen, n as wir geleistet haben. Dessen bi. ,. allerdings bewußt, daß i. H das Gute immer erstrebt 3 die Kräfte auch nicht imme * ausgereicht haben; daß ich , , gemeine Interesse — das Sta Atinteresse — über das Ei e e. , mochte das Einzelinteresse ver kreten sein, von welch , Habe ich hier und da ein Ginze linteresse verletzt und v fine,, welt. so ist das immer von mir bercauert; denn ich e, mässen,
* ö Yle, soweit
möglich, mit allzn Kreifen der Bexäoskerung in gutem Einvernehmen zu bleiben. Jedenfalls seien Sie überzeugt, daß es nicht böser Wille gewesen. r
(Es wird mir ja nicht leicht werden, aus einem Amt, in wel chem ich so lan ge gewirkt habe, ju scheiden, wenn und wie es demnãchst der Wille unseres N. dergnädigsten Königs und Herrn bestimmt; aber wenn etwas mich
in die Ruhe, die ich eisehne und meiner Gesundheit wegen ersehnen muß, beruhigend, erhebend und tröstend begleitet, so ist es das Be⸗ wußtsein, daß ich im Einverständnisse mit der großen Majorität der Landesvertretung, insbesondere dieses hohen Hauses, gearbeitet babe, daß ich ein gutes Gewissen mitnehmen darf (Bravo, nach keiner Richtung hin getrübt durch das Bewußtsein, irgend Jemand mit Wissen und Willen Unrecht gethan, ein Staatsinteresse verletzt zu haben. Dieses gute Gewissen ist für mich der beste Freund, der mich neben vielen anderen Freunden demnächst in die Ruhe begleiten wird. Und ich kann nur bitten, daß das Vertrauen, mit dem Sie mich bis dahin geehrt haben, — ich führe das als Mit glied des boben Hauses an, da ich vielleicht die Ehte haben werde, noch weiter unter Ihnen zu erscheinen — (lebbafter Beifall), daß dieses Vertrauen in Zukunft Demjenigen, der an meiner Stelle das Amt verwalten wird, zu Theil werden möge.
Ich glaube bei dem mir schweren Scheiden aus dem Amt die Ueberzeugung mitnehmen ju dürfen, daß wir das Richtige gethan und die Zukunft und die Wohlfahrt des Landes auch in meinem Ressort auf einen festen und sicheren Fuß gestellt haben.
Ich bitte zur Erhärtung dessen Ihnen mit Bezug auf die heutige Berathung einige Ziffern vorlegen zu dürfen, welche für Sie von Interesse sein dürften.
Es ist in der ganzen Zeit, wo ich die Ebre batte, das Amt zu verwalten, nach einer mir vorliegenden Uebersicht im Extraordinarium des Etats und durch besondere Kreditgesetze nach Abzug der jenigen Summen, welche aus Aktivfonds von verstaatlichten Bahnen, also aus Fonds, welche durch den Ankauf der Bahnen mit erworben sind, im Ganzen eine Summe bewilligt worden von diesem bohen Hause und dem anderen von rund einer Milliarde und zo Millionen Mark. Ich nenne runde Summen. Dagegen, meine Herren, belaufen sich die zumeist auch zur Abschreibung gelangten Reinüberschüsse der Eisenbabnverwaltung insgesammt auf 834 Millionen Mark. Nehmen Sie dazu noch die Amortisationen der Prioritäts⸗Obligationen und Aktien, so haben Sie eine Summe pon über 965 Millionen Mark, die, abgezogen von der Summe, die ich eben nannte, von einer Milliarde und 30 Millionen, wirklich zu Lasten der Staatskasse nur einen Betrag von etwa 86 Millionen läßt. Für diesen Betrag haben wir geschaffen gegen 7000 kim neuer Eisenbahnen in 194 neuen Linien, 55 große Bahnhöfe zum Umbau gebracht, ferner gegen 2200 km Doppel⸗, dritter und vierter Geleise hergestellt, und ich glaube zum Letzten das nicht zurücklassen zu dürfen: auch im Verkehr eine große Menge von Erleichterungen geschaffen, die dem Lande zu Gute gekommen sind. Die Summen hierfür belaufen sich, irre ich nicht, gewiß erheblich auf über 100 Millionen. Dabei haben wir für die Beamten und Arbeiter sorgen können und viele Wohlfahrts— einrichtungen geschaffen. Ist das vorgeführte Resultat auch nicht noch besser gewesen, hat noch Manches, was ich geplant und auch ich gewünscht habe, unausgeführt bleiben müssen, so liegt das nicht an der Verwaltung, nicht an mir, an meinem guten Willen und nicht an den Herren, die mit mir gearbeitet haben. Seien Sie überzeugt, es kann ja an meine Stelle Jemand treten, der geschickter die Verwaltung führt, aber mit besserem Willen und redlicher sie zu leiten, wird sich Keiner finden. (Lebhaftes Braro.)
Abg. Freiberr von Huene: Seine politischen Freunde hätten gegen die erste Verstaatlichungs vorlage gestimmt. Das könne sie aber nicht abhalten, dein Minister ihre Lolie Anerkennung Kuszusprechen, (Beifall. Rächdem das, Prinzip des Staatsbabnspstems einmal angenommen worden sei, hätten sie auf allen Punkten die Verwaltung des Herrn Ministers unterstützt, und so schließe er sich ganz den warmen Worten des Abg. Grafen Limburg ⸗Stirum bier an. Eigent⸗ lich aber habe er das Wort ergriffen, um im Gegensatz zu seinem Freunde Lehmann der Regierung seine Befriedigung über das Ver = halten auszusprechen, das sie in Bezug auf die Lästerthal⸗ resp. Primthalbahn verfolge; er bitte die Staatzregierung, die be⸗ gonnenen Erhebungen mit möglichster Sorgfalt zu Ende zu führen, und er baff daß als Refullat sich eine Entscheidung für die Primthalbahn ergeben werde.
Abg. Knebel: Er bitte ebenfalls die Regierung, in Betreff der in Rede stehenden Bahn eine möglichst genaue Unter uchung, nament⸗ lich auch mit Berücksichtigung der wirthschaftlichen Seite der Sache, anzustellen, hoffe aber im Gegensgtz zum Vorredner, daß die Ent⸗ scheidung zu Gunsten der Lästerthalbahn fallen werde.
Abg. von Gynern: Seine politischen Freunde hätten vom Jahre 1579 an für die Verstaatlichung der Gisenbahnen gestimmt Ind lätten bis heut immer mit, dem Minister von Möapbach zu. sammen nach dieser Richtung hin gewirkt und ihre Beihülfe dazu gegen daß dieser große Staat danke seiner Vollendung entgegen⸗ gebracht werde. Sie könnten fich den Worten der Vorredner an⸗ schlit hen, daß sie nach ever Richtung hin anerkennen müßten, daß ber Hinister von BWiaybach immer nür dem Staattzzmohl und. dem adgemeinen Besten gehient habe. Menn in der Dauer seiner Thätigkeit sich auch manchmal Wolken zwischen ihn und seine (des Rednerg)
Freunde gedrängt hätten, so sei das ja ganz natürlich, soweit es sich um wichtige und entscheidende Fragen ge⸗ Handelt babe, und wie sie anerkennten, daz der Minister mals Sonderinteressen verfolgt habe, so hätten auch sie niemals solo. e. geltend gemacht und stets auf dag Ganze, auf das Interesse bes Cötäkates hingeblickt. Deghalb schließe er sich Namens seiner, wie er sagern zu dürfen glaube, sämmtlichen politischen Freunde den Ans= führunger des Grafen zu Limburg ⸗Stirum in der Freude darüber an, daß es dem Minister von Maybach vergönnt gewesen sei, während so langer J. ahre fördernd und thätig für das Staatswohl auf diesem Gebiet zu wie len ö Ritter; Auch er habe die Freude, den Gefühlen der Vartei Ausdruck zu geben, die sie an dem Tage be⸗ Minin r. wohl zum letzten Male alt solcher hier weile. habe, einen Einblick in den Betrieb dieser n, der wisse, was für eine große Macht isters gelegt worden sei, und welche 'efen fei, um auf diesem Gebiet fo m Richtigsten zu thun, wenn er sich zu Limburg ⸗Stirum anschließe und deren tiefstgefühlten Dank für seine der Regierung das Vertrauen Abg. von B Indem ö. deer Uckermark nach genauer Ee, daß sie (ch. er fich doch gegen die Prüfung das Rechte treffen werde, me Ce nden, welcher fich in der . ug e chte; Sie h ne g. ö = eö-traßburg ausgesprochen weiten Lesung sur e X 4 a . 18d — z 3 und! Hier! ein Wort für die L. an Fishblmmr Sttahburg einlegen. ; Damit schließt die Generaldiakussion.
In der Spezialdebatte bemerkt zur Linie Sorau -
Christianstadt
Abg. Strutz; Es seien eine große Zahl von Menschen an dieser Bahn interefsirt, mehr als 16060 Personen seien aber von dem projektirlen Bahnhof Cbristianstadt durch eine fiͤökalische Brücke 66 an der ein Zoll erhoben werde. Er bitte den Minister,
ei feinem Kollegen für Abschaffung dieses Zolles wirken zu wollen.
Danach wird die Vorlage im Einzelnen mit der einen Veränderung genehmigt, daß die Linie Fordon⸗-Schönsee auf Antrag des Kbg. von Ezarlinski „unter südlicher Um— gehung des Kulmsees“ ausgeführt werden soll, und schließlich die Vorlage im Ganzen genehmigt.
Es folgt die zweite Berathung des Antrags Korsch, betreffend das Verb ot des Privathandels mit Staats⸗ 86, enn , ⸗
er ohne staatliche Ermächtigung gewerbsmäßig Loose oder Loosabschnitte der Königlich , chen Staatslotterie oder Ur⸗ kunden, durch welche Antbeile an solchen Loosen oder Loosabschnitten zum Eigenthum übertragen werden, fellbletet oder veräußert oder eeitweise an einen Anderen überläßt, wird mit einer Geldstrafe von 100 bis 1509 1 bestraft. Dieselbe Strafe trifft Denjenigen, welcher ein solches Geschäft als Mittelsperson befördert.
Die Kommission beantragt, den — heute wieder von den Abgg. Korsch und Genossen eingebrachten — Antrag abzu— lehnen, dagegen nachstehende Resolut ion anzunehmen:
Die Königliche Staatsregierung aufzufordern:
J. Dle Zabl der Lotterieloose der Königlichen Klassenlotterie nude g noch für das laufende Ctatsjahr dem Bedarf entsprechend zu erböhen.
JJ. Den Vertrieb der Loose der Königlichen Klassenlotterie mit thunlichster Sparfamkeit unter Abänderung des bestehenden Systems der Lotterieeinnebmer zeitgemäß anzuordnen.
III. Ihre Bemühungen für den 69 eines Reichsgesetzes ein⸗ treten laffen zu wollen, durch welches elne einheitliche Regelung des Staats. und Privatiotteriewesens im Reich und innerhalb der Einzelstaaten angebahnt wird.
Referent Abg. Francke: Die Kommission sei nach langen Be⸗ rathungen zu ihrem Refultat gekommen, weil sie für die Begufsich⸗ tigung des Lotterlebandels die jetzige polheiliche Methode für das Beste halte und weil die ganzen Verhältnisse eine Vermehrung der Lotterielcose verlangten.
Abg. Korfch: Er bitte das Haus, seinen ursprünglichen An⸗ trag anzunehmen. Nach dem Verhalten der Regierung in der Kom; miffion müsse man erstaunt sein darüber, . die Kommission überhaupt zu einer Ablehnung desfelben gekommen fei, und sie sei dabei ganz gewiß von einer irtthümlichen Äuffassung der Sachlage ausgegangen, Die Kommifsion meine nämlich, die Staatslotterie sei wesentlich aus finanziellen Rücksichten eingeführt. In der That aber sei die Hauptrückicht bel. der Finflührung der Staatslotterie, die (z. wesen, das im Volke leider immer vorhandene Spielbedürfniß auf möglichst unschädliche Bahnen Ju lenken. Die ganze Art des Lotteriehandels aber wirke dlesem Ziel entgegen, eine außerordentlich entwickelte Reklame reize die Spielwuth geradezu an; Man brauche nur nach der Ecke Linden und Wilhelmsstraße zu gehen, um zu sehen, wie diese Reklame sich breit mache. Looshändler hätten schwere strafrechtliche Bestrafungen erhalten, die sie sich bei Aut bung ihres Berufes zugezogen hätten. Allen diesen Uebelstän en könne das von ihm beantragte Gesetz entgegenwirken, während eine Ver— mehrung der Lotterieloose aüch eine Vermehrung, der Spielwuth bedeute. Er bitte also nochmals, den Kommissionsantrag abzu⸗ lehnen, dagegen seinem Antrag zujustimmen.
Abg. Czwaling: Wie sehr seine Partei die Tragweite dieses Antrages erkannt habe, gehe daraus hervor, daß sie ihn in der Kommiffion abgelehnt habe. Es handele sich hier um eine einfache wirthfchaftliche Frage, nicht um Hoheitsrechte des Staats. Er sei nach wie vor der Ansicht, daß dieser Gesetzentwurf garnicht zur Kompetenz des preußischen Staats, sondern det Reichs gehöre. Dem Staat könne es als Unternehmer gleich sein, ob zehn Leute ein Loos nähmen oder ob Einer ein Loos an zehn Leute vertheile. Aus finan⸗ ziellen Gründen koͤnne also der Staal nicht gegen den Zwischenhandel mit Lotterieloosen fein. Ganz unverständlich fei ihm der Satz der Freunde dieses Antrages, daß die Staatslotterie ethische Zwecke ver⸗ folge. Er babe immer geglaubt, daß die Staatslotterte ursprünglich darauf beruht habe, daß der Staat sich in einer bestimmten Weise habe eine Einnahme sichern wollen, obne die Betreffenden zu drücken. Vie Gibik habe damit nichts zu thun. Daß die Spiellust und · Leidenschaft dadurch in gewissen Grenzen gehalten werde, daß jum Spiel nur in be⸗ stimmten Perioden des Jahres angeregt werde, möge s ein. Aber dieser ethische Zweck werde dadurch nicht alterirt, daß Unterhändler die Loose verkauften. Bann sei gesagt worden, mit wie schrecklicher Reklame Seitens der Zwischenhändler vorgegangen, werde, Diese Reklame sei doch kein Verbrechen. Am Unbegreiflichften aber sei es ihm, wenn der Zwischen⸗ händler bestraft werde, aber sofort tugendhaft werde, falls die staat⸗ liche Ermächtigung dazu vorhanden fei, Dag verstehs er nicht.
Abg. von St rom beg empfiehlt den Antrag Korsch.
Abi. Schmidt (Warburg): Wenn der Staat die Lotterte ver⸗ anstalte, dann könne es keine unmoralische Handlung sein, wenn ein Privater die Loose dazu verkaufe. Im Uebrigen gau auch er, daß biesez (Hesetz zur Kompetenz des Reichs geböre. So, wie dieser Antrag gestellt sei, sei er ein Schlag ins Wasser. Das Gesetz würde doch nur für Preußen gelten, und ein Berliner Lotterie“ händler könnte beispielsweise in Dresden ungestraft sein Geschäft für Preußen fortsetzen. Er sei also gegen dies Gesetz. Um aber eventuell den Händlern den Uebergang zu dem Gesetz zu erleichtern, um ihnen ju ermöglichen, daß sie einen anderen Erwerb ergreifen könnten, habe er beantragt, daß das Gesetz erst 1393 in Kraft treten solle.
Abg. Hr. Arendtz Der Unterantrag des Vörredners gehe etwas zu weit in der Schonung der Looshändler. Der Regierung könne überlaffen werden, die Publikation des Gesetzes so einzurichten, baß sie nicht innerhalb eines Spielplant erfolge. Es würden auch nicht viele Existenzen gefährdet werden, denn der Looshandel werde bauptsachlich als Nebengewerbe betrieben. Besonders würden die Gristenzen getroffen werden, welche den Lootzhändlern die Loose ver⸗ schafften, und dazu gäben sich, wie man in der Kommission gesehen habe, z. B. heruntergekommene Adlige her. Die Partei des Abg. von Skrombeck habe in der Kommission den Antrag Korsch zu Falle gebracht. Er freue sich, daß aus den Worten des Abg. von Strom⸗ heck hervorgehe, daß das Gentrum nicht geschlossen gegen den An⸗ . stimmen werde. Den Handel mit Theaterbillets habe man auch berboten. Man dürfe nicht mit allen Mitteln der Reklame zum Lotterlespiel anreizen lassen. Der Antrag Korsch sei aller⸗ dings nur ein kleines Palligtivmittel, das die Zustände nicht ganz beffere, welche auf dem Gebiete des Lolteriewesens der Würde des Deutschen Reichs und der preußischen Monarchie nicht entsprächen. Die Privatlotterien, mit deren Genehmigung die Regierung allzu freigebig sel, wirkten außerordentlich schädlich. Eine neue Unsittte sei eingerissen durch die sogenannten Gesellschaftelotterien, bei welchen ein Lobghaändler 1000 Loofe einkaufe und antheilig verkaufe, sodaß ein Spieler nicht ein, sondern 1000 Loose spielt. Strafgesetze nützten hier allerdings nicht, wenn die Exekutivbehörden nicht nachdrücklich darauf hielten, dah die Gesetze besolgt würden, Es sei bekannt, in welchem Ümfang in Preußen in fremden Lotterien gespielt werde. . und Loofe von verbotenen Lotterlen lägen öffent⸗
Geheimer Ober⸗Justiz Rath Lu egs erklärt, daß die Ansicht des Justin⸗Ministeriums dejüglich der JZuständigkeit der Landesgesetzgebung der Jluffaffung des Abg. Schmidt (Warburg) entgegenstebe. Dlese Zuständigkeit könne nur auf Grund der al, de r gung oder auf Grund des §. 2 des Einführungägesetzes zum Strafgesetz buch in Frage gezogen werden. Die Reicht Gewerbeordnung stehe aber der Landetgesetzgebung nicht entgegen, weil erstere nach 5 6 derselben auf den Vertrieb von Lotterieloosen nur infoweit Anwendung finde, als sie außdrncksiche Bestimmungen darüber enthalte. Solche Bestimmungen
enthalte sie aber nur in Bereff des Loozvertrlebeß im Umherziehen. Der
stehende Gewerbebetrieb mit solchen Loosen sei also von ihr und damit von ber Reichsgefetzgebung überhaupt unberührt. Soweit letzteres zutreffe, blieben aber auch in den durch Artikel 4 der Reichs verfassung dem Reich zugewiefenen Materien nicht nur die bestehenden Landesgesetze erhalten, sondern es könnten auch neue solche erlassen werden. Der §. 7 des Einführungsgesetzes lum Strafgesetzbuch schließe die Zu⸗ ständigkeit der Landesgesetzgebung gleichfalls nicht aus, weil nur die BVeranstaltung von Lotterien durch das Strafgesetzbuch geregelt sei, und weil es sich im . Fall nach mehrfachen Entscheidungen des Reichsgerichts um solche Veranstaltungen nicht handle, da das Miteigenthum an den Loosen übertragen werde, Es liege daher eine Materie vor, die nicht Gegenstand des Strafgesetzbuchs fei.
Abg. Richter; Daß die Zaständigkelt zweifelhaft sei, habe früher das Finanz Ministerium Jelbst zugegꝛben. Die Gewerbe⸗ ordnung habe ein großes System voa Konzessionen geschaffen, etzt solle durch die Landesgesetzzebung noch ein neues System ge chaffen werden. Im Lande sei die Meinung verbreitet, bei Ertbeilung der Lotteriekollekten spiele der Nepotlsmus eine große Rolle, jetzt sollten der Bebörde in dieser Beziehung noch neue Befugnisse gegeben werden. Der Abg. Arendt habe nur Mißstände von u betl chr ien hervorgehoben. Was die Reklame betreffe, so Uonbe bir Staatslotterie die größte Keilame, mit dem. Königlichen Adler. Warum habe der Abg. Arendt denn übrigens seiner Zeit bei der Schloßfreiheltlotterie geschwiegen7 Der Antrag werde den Handel rnit Privaß-Lotterieloofen noch vermehren., da der Handel, mit staat · sichen Loosen erschwert werde. Der Zwischenhandel mit Theater⸗ billets fei ja auch nicht verboten, und er sei wirthschaftlich gerecht · fertigt, da er die Möglichkeit gebe, sich Theaterbllleis zu verschaffen. Wenn der Zwischenbandel mit Staats Lotterielcosen unter Strafe ge⸗ stellt werde, werde er heimlich betrieben werden. Wolle man helfen, fo müsse man die Lotterie überhaupt abschaffen; der Antrag Korsch
ei nicht nützlich, sondern schädlich. . . . Ober Finanz · Rath Mareinows ki spricht sich gegen
die Resckäatton Cas, deren Weg nicht zum Ziele führen wünde,
Rbg. Cremer (Teltonm) weist darguf hin, daß der Loosebandel ein bemakelter sei, weil die Loofehändler auf legalem Wege sich finncben er rezersckaffen könnten, und meint, daß die Regiernng jedes Bestreben, diesen Handel zu unterdrücken, unterstützen müsse. Er 'bstté. den' Antrag Rorsch anzunehmen, den Antrag Schmidt, Her Biage schützen wolle, die keinen Schutz verdienten, abzulehnen.
Finanz- Minister Dr. Miquel:
Ich bin nicht ermächtigt, eine bestimmte Erklärung über die Stellung der Staatsregierung zu dem Antrage der Hrrn. Korsch, Pr. Arendt und Bödiker hier abzugeben. Ich muß mich daher in der gegenwärtigen Lage darauf beschränken, die Bedenken, die hier von verschiedenen Seiten gegen diesen Antrag vorgebracht sind, zu be— richtigen bejw. zu bekämpfen.
Diese Bedenken gehen wesentlich davon aus: einmal, es sei kein Bedürfniß zu einem solchen Repressivgesetz vorhanden oder nach⸗ gewiesen, sodaß das Gesetz in der vorliegenden Fassung würde den erstrebten Zweck nicht erreichen.
Meine Herren, was das Bedürfniß betrifft, so hat die Lotterie⸗ Verwaltung feit Jahren ihrerfeits den dringenden Wunsch ausgesprochen und begründet an der Hand einer großen Reihe von Thatsachen, den Uebelständen, die aus dem Vertriebe der Loose der Königlichen Lotterie durch Privat ⸗Loosehändler entstehen, auf gesetzlichem Wege entgegenzutreten. Ich meines Theils finde diese Uebelstände wesentlich nach drei Richtungen hin vorliegend. Einmal findet durch die Privat · Loosehändler ein systematisches und heimliches Aufkaufen der Lotterieloofe statt. Man hat vergeblich versucht, es zu verhindern, indem man an solche Personen Seitens der Lotterie · Verwaltung Loose in größerer Zahl nicht abgab. Sie bedienen sich aber einer Relbe ganz unverdächtiger Zwischenpersonen, die sie ge⸗ wissermaßen in ibrem Solde haben, und sie kaufen die Loofe, die für das Gesammtpublikum bestimmt sind, auf, machen dadurch einen künstlichen Mangel an Loosen und treiben in Folge dessen die Preise der Loose künstlich in die Höhe. (Sehr richtig! rechts Daz ist ein sebr wesentlicher Uebelstand.
Meine Herren, wenn der Abg. Richter sich auf die Bestimmungen der deutschen Gewerbeordnung in Bezug auf die Konzessionsgewerbe bezogen hat, so handelt es sich da um freie Gewerbe an sich, die man aus allgemeinen Gründen unter Konzessionepflicht stellt. Da ist auch keine gesetzlich bestimmte Anzahl von Gegenständen, die man nur kaufen und verkaufen kann, da ist die Produktion frei und unbeschränkt. Hier haben wir es mit einer gesetzlich bestimmten Anzahl Loose zu thun, welche für das ganze Publikum bestimmt und nach dessen Bedürfniß bemessen sind. So lange man Lotterien hat, geht man von dem Ge— sichtspunkt aus, daß es wünschenswerth ist, daß diese Loose ihrer Be⸗ stimmung gemäß ohne Preis aufschlag dem Publikum zu Gute kommen. Wenn nun also der Staat findet, daß hier in gewerbsmäßlger Weise diesen Intentionen entgegengetreten wird, so ist der Staat vollstãndig berechtigt, nach gesetzlichen Abhülfemitteln zu suchen.
Sodann hat der Staat auch ein wesentliches Interesse, denjenigen geschäftlichen Beziehungen und Verbindlichkeiten, die durch diesen Handel entstehen zwischen einem meist unerfahre nen und gutgläubigen Publikum und den sehr geschickten Privat ⸗Loosehändlern, in keiner Weise Vorschub zu leisten. Der Herr Vorsitzende der Lotterie Verwaltung hat ja in dieser Beziehung Thatsachen genug an⸗ geführt, welche schweren Bedenken aus diesem ganzen Verkehr und auß der Art des Verkehrs erwachsen. Ein Be dür fniß, welches diese Privat · Loosehändler wirklich befriedigen, ist in gewisser Weise aller⸗ dings vorhanden; somit muß ich dem Herrn Redner von der frel⸗ sinnigen Partei Recht geben, denn es ist zutre ffend, daß bei einer zu geringen Anzahl von Loosen nach Maßgabe der Nachfrage, bei einer zu geringen Anzahl von Lotterie ⸗Colleteuren und bei zu großen Lotterie Kollektionsbezirken sehr wohl das Bedürfniß entstehen kann, ein Loos ge⸗ meinschaftlich durch Mehrere zu spielen, und es ist zu⸗— treffend, daß in gewisser Weise hierfür diese Looshändler die Vermittelung bilden. Aber einmal wird schon heute diesem Be⸗ dürfnisse in erheblicher Weise dadurch abgeholfen, daß die Betheiligten sich selbst ohne eine an sich unnöthige Vermittelung in solche Com- pagniespiele zusammen thun, und anderntheils wird auch in Zukunft dem noch mehr entgegengewirkt werden können, wenn man in Erwägung zieht, ob es nicht möglich ist, die Zahl der kleinen Loose noch zu vermehren und die Lotter iebezirke ju verllehnern, alfo in dieser Be⸗ ziehung die unmittelba re Abnahme der Loose durch die Lotterie⸗ Collecteure an das Privatpublikum zu begünstigen.
Meine Herren, wenn Sie ein solches Gesetz wie das vorliegende annehmen, so würden diese Maßregeln der Verwaltung von selbst indinirt sein; man würde viel klarer das wirkliche Bedürfniß übersehen können, das jetzt durch diesen Zwischenhandel geradezu verdunkelt ist. Ich glaube also, die Be denken, die hier vorgebracht sind, sind nicht entscheidend.
Wie gesagt, ich kann hier nur meine persönliche Meinung aus- sprechen; die Stellung der Staatgregierung zu der Sache kann ich
nicht definitiv bezeichnen. Darüber aber bin ich mir ganz klar, daß die Bedenken vom rechtlichen Standpunkte aus in keiner Weise be⸗ gründet sind. Ich werde das nach all den Ausführungen in der Kommission und nach den Erklärungen des Herrn Vertreters des Justiz ⸗Ministers hier nicht welter entwickeln; ich meine: Diejenigen selbst, welche als Nichtjuristen in dieser Frage zweifelbaft sein möchten, könnten sich doch bei den Entscheidungen des Reichsgerichts, bei der Stellung, die das Reichs-Justizamt eingenommen hat, bei dem Vor⸗ gehen des Königreichs Sachsen, von Bremen und neuerdings von Oldenburg genau in derselben Richtung — in allen diesen Staaten ist dasselbe Bedürfniß empfunden, das hier hervorgetreten ist — be⸗ ruhigen, und braucht man daher jedenfalls an diesen Rechtszweifeln kelnen Anstand ju nehmen, für den Antrag des Abg. Korsch zu stimmen. Ich muß unter diesen Umständen die Entscheidung dem hohen Hause Überlassen, und ebenso muß ich die schließl iche Stellung nahme der Königlichen Staatsregierung zu diesem Entwurf reserviren. Bravo)
Der Antrag Korsch wird darauf von einer aus den Konservativen und dem Centrum besiehenden Mehrheit ange— nommen; der Antrag Schmidt (Warburg) wird abgelehnt. Die von der Kommission vorgeschlagenen Resolutionen werden in der nächsten Sitzung berathen werden.
Schluß 4 Uhr.
Mlr. Jahres versammlung des Nordwestdentschen Vereins für Gejsängnißwesen zu Hamburg am 30. Mai 1891.
II. (Vgl. Nr. 125 des R. u. St. A. vom J. Juni.)
Den zweiten Gegenstand der Tagetordnung bildete der Vortrag des Erften Staatsanwalts Heinemann ⸗ Göttingen über die Frage:
„Ist der Ansturm auf die kurzen Freiheitsstrafen ein berechtigter?
Aus dem Ueberblick, den der Redner über die Entwickelung dieser Bewegung gab, mag Folgendes erwähnt werden. Die Abneigung gegen das geltende Strafensystem wurzele im Auslande und beruhe auf der Verwerthung von Ergebnissen der Kriminalstatistik, aus denen eine fortschreitende Entartung des Menschengeschlecht; gefolgert worden sei. In Deutschland habe die Bewegung ins ˖ besondere in Folge einer Schrift des jetzigen Reichsgerichts Raths. Mittelsiaedt Eingang gefunden und sich schnell zahl⸗ reiche Anhänger gewonnen. Den Grund für die schlechten Wirkungen der dt in fftas⸗ habe man zunächst in der früher fast durchgängig angewendeten Gemeinschaftshaft gefunden. Als aber trotz zahlreich erbauter Zellengefängnisse ein Rückgang in den Ja hresztffern, vor Allem auch der rückfälligen Verbrecher nicht eingetreten sei, da habe man die Zustände in den kleinen Gefängnissen und die damit zu⸗ sammenhängende Unzulänglichkeit der kurzzeitigen Freiheitastrafe für alle übeln Folgen verantwortlich gemacht.
Auf diesem Standpunkt stehe man auch heute. Die . in dem! Kampf gegen die angeblichen Mißstände habe seit einigen Jahren Professor von Liszt übernommen; wesentlich an seinen in die Seffentlichkeit gelangten Anschauungen müsse demgemäß eine erforderlich scheinende Kritik geübt werden. ;
Liszt strebt, wie auß feinen Schriften hervorgeht, nach Ersaß—⸗ mitteln für die kurzzeitige Freiheitsstrafe, welche, ihrer Unwirksamkeit, ja Schädlichkeit ungeachtet, fast ausschließ lich den Strafvollzug be⸗ herrfche. Er folgert dies aus statistischen Berechnungen, nach denen FM oo aller Verurteilten mit Strafen unter drei Monngten, 5 * mit Strafen unter einem Jahr belegt werden. Noch sprechender ist ihm der gleichfalls kriminalstatistisch feststehende Umstan?, daß, während bei einem Mindestmaß der Gefängnißftrafe von einem Tage und einem Höchstbetrage von fünf Jahren der gesetz⸗ liche Burchschnitt 24 Jahre sei, der durchschnittlich im Einzelfall erkannte Betrag der Gefängnißstrafe sich nur auf 8 Tage belaufe. Vieß fei der befte Beweis dafür, daß der vom Strafgesetz in den meisten Fällen dem richterlichen Ermeffen gelassene Spielraum die Rechtsprechung auf Abwege geführt habe.
Nach der Ansicht detãz Referenten beruht der von Liszt betonte krasse Gegensatz zwischen dem gesetzlichen Durchschnitt der Gefängniß⸗ strafe und dem thatsächlich erkannten auf einem Grundirrthum bei Feststellung des ersteren. Seine Methode, dies durch bis ins Detail ausgeführte mathematische Tablegux nachzuweisen, muß als eine ungemein scharffinnige und originelle bezeichnet werden. Es dürfte einer der ersten Fälle sein, daß die Grundsätze der reinen Mathematik benutzt worden sind, um Schlüsse für Gegenstände der Jurisprudenz zu gewinnen. Auf die Wiedergabe seiner Berech⸗ nungen mössen wir an dieser Stelle allerdings verzichten. Denselben liegt der Gedanke zu Grunde, daß der Durchschnitt verschiedener in einer Skala aufsteigenden Größen nur dann nach dem arithmetischen Mittel der niedrigsten und der höchsten von ihnen berechnet werden dürfe, wenn die innerhalb der Skala liegenden Gruppen gleich große bezw. gleichwerthige seien. Der von Liszt konstruirte, sogenannte gesetzliche Durchschnittsbetrag der Gefängniß⸗ strafe würde daher nur dann richtig sein, wenn alle Delikte in all ihren Schattirungen fich an oft begangen würden, und wenn danach steitz die gleiche Anzahl aller innerhalb der verschiedenen Straf⸗ rahmen möglichen Strafen verhängt würde, Liszt übersehe aber, daß es unendlich viele und verschiedene Gruppen, von Vergehen gebe, von denen jedes anders zu bestrafen sei, und er über fehe ferner, daß weit mehr verhältnißmäßig geringfügige Delikte als schwerwiegende Zuwiderhandlungen begangen würden. Bon einem gesetzlichen Durchschnitt der Gefängnißstrafe könne daber keine Rede sein, sondern nur von einem thatsãch⸗ ichen, und das von Liszt in den Vordergrund seiner Erörterungen geschobene und beklagte Mißverhältniß zwischen beiden sei völlig gegenstandslos.
Aber auch die Berechnung dieses realen Durchschnitts habe keine veranschaulichende Bedeutung, da es sehr wohl möglich sei, daß eine in allen Cinzelheiten völlig verschiedene Rechtsprechung zweier Gerichte denselben Jahresdurchschnitt ergebe.
Käszt beruft sich, wie der Referent weiter ausführt, zum Nach- weise für die Vorherrschaft der kurzzeitigen Freiheitsstrafe guch darauf, daß von 222 000 im Jahre 1888 wegen Vergehen verurtheilten Per ⸗ fonen 164 000 Strafen unter 6 Wochen erhalten hätten. Aber bieses numerische Uebergewicht der kurzen Strafen ist nach der Ansicht des Referenten bei der Ueberzahl der kleinen Delikte ein vollkammen natürliches und würde, selbst bei einer in vernünftigen Grenzen erfolgenden Erhöhung des Strafminimums, bestehen bleiben. Ma- ferlell fei aber das Verhältniß zudem ein völlig umgekehrtes; denn wenn man, beispielsweise nach den Berechnungen für das Jahr 15895, die erkannten Strafzeiten zufammenzähle, und die von Liczt als völlig unwesentlich betrachtete Zuchthausstrafe in die Berech⸗ nung einbeziehe, dann ergebe sich, daß in jenem Jahr insgesammt 28 000 Jahre Zuchtzaus, 30 009 ahre längere Gefängniß— strafen und nur 560 Jahre kurze Freiheitsstrafen Junter 6 Wochen) ausgesprochen . uind selbst wenn man die fuͤr Nebertretungen verhängten Freiheitsstrafen hinzurechne, so ständen den 8 000 Jahren langerer Frelheitsstrafen nur 16 000 Jahre kurzzeitiger gegenüber.
Nach allem Gesagten könne von einer fast ausschließlichen Vor⸗ herrschaft · der kurzzeitigen Freiheitsstrafe füglich nicht die Rede sein. GIs erübrige noch, auf die derselben ohne Rücksicht auf ihre Verbreitung gemachten Vorwürfe einzugehen. Staatsanwalt Heinemann wies hier in erster Linie die gegen die angebli trostlosen Ver⸗
ältnisss in den kleinen Gefängnissen wiederholt erhobenen Angriffe zurück. Diesen Angrlffen fehlt seiner Ansicht nach die unerläßliche Grundlage der eigenen Anschauung. Sie beruhen auf Ueberlieferung, 6 zum Theil unrichtigen Citaten
veralteter Werke über Gefängnißkande, welche nicht mehr vorhandene Zustände schildern. Es sei in den letzten Jahren sehr viel für die Besängnisfe gethan worden, und man arbeite eifrigst an der Be⸗ seitigang der verbleibenden Mängel. Wenn immer wieder betont werde, daß bei der Unmöglichkeit, in diesen Anstalten die Einzelhaft durchzuführen, der Verführung erstmaliger Delinquenten durch erfahrene Verbrecker der weiteste Raum gelassen werde, so dürfe demgegenüber darauf hingewiesen werden, daß die kurzen Strafen zum großen Theil wegen solcher Vergehen (Hausfriedensbruch, Körper- verletzung, Beleidigung, Sachbeschädigung u. v. a) verhängt würden, bei denen die Gefahr der Verführung nicht zu besorgen sei.
. Liszt sei nun aber der, Ansicht, daß die kurze Freibeitsstrafe auch in dem besteingerichteten Gefängniß wirkungslos bleiben müsse, weil sie ihrer geringen Dauer wegen keinen Strafjweck, insbesondere auch nicht den der Befferung erfüllen könne: damit werde der noch immer nicht beendete Rampf um die Strafrechtstheorien erneuert. Auf die Aus—= führungen des Referenten siber diesen Punkt glauben wir nicht näher eingeben zu sollen. Es genügt zur Charakterisirung seines Stand⸗ punkt, daß er, auf dem Boden der Vergeltungstheorie stehend, den Besserungszweck für einen nebensächlichen hält. Die erkannte Strafe solle in erster Linie ein Uebel für den Missethäter sein. Dazu lasse sie sich auch bei kurzer Dauer gestalten: da die kurzen Strafen vorwiegend über Personen verhängt würden, die dem Bösen noch nicht ergeben seien, so werde ed leicht sein, auf sie den erforderlichen Eindruck auch in kurzer Frist hervorzubringen. Gegen eine Verschärfung der kurzzeitigen Strafen im Rahmen eines Strafvolljugsgesetzes habe er nichts einzu— wenden. Dieseg Gesetz werde aber erst ergehen können, wenn Ein= müthigkeit über den Strafzweck herrsche.
Er fasse seine Ausführungen dabin zufammen, daß er sich nach allem Gesagten von der Nutzlosigkeit oder Schädlichkeit der kurzen Strafen nicht überzeugt balten könne, un) daß es ein gewagtes Exve⸗ timent sein würde, die von den Gegnern bereit gehaltenen Ersatzmittel ohne zwingenden Grund einzuführen.
Ueber die Dis kussion, welche diesem Vortrage folgte, wird der e , nee, in der nächsten Nummer einen Schlußbericht
ringen.
Statistik und Volkswirthschaft.
Invaliditäts⸗ und Altersversicherung.
Bei der Versicherungsanftalt Pommern“ sind nach der Ost—⸗ see⸗ tg.‘ im Laufe des Monats Mai 299 Rentenanträge ein- gegangen; dazu kommen 535 aus dem Monat April übernommene unerledigt gebliebene Anträge, sodaß im Ganzen 325 Rentenantrãge vorlagen. Hiervon sind 200 anerkannt und zur Zahlung angewiefen, während 353 als unberechtigt zurückgewiesen und 242 Anträge als unerledigt auf den Monat Juni übernommen sind. Es sind demnach bis zum 1. Juni von 5049 eingegangenen Anträgen im Ganzen 3713 Altertrenten festgesetzt und zur 7 angewiesen worden; die Zahl der bisher als unberechtigt zurückgewiesenen Anträge be— trãgt 794.
Bei der Versicherungsanstalt Baden sind im PVconat Mal 174 weitere Altersrentengesuche eingegangen. Bewilligt wurden im Laufe des Monats 232 Gesuche, sonst erledigt wurden 258, und 332 lieben noch unerledigt. Im Ganzen wurden bis 1. Juni 1751 Altersrentengesuche bewilligt, welche eine jäbrliche Summe von 273 395,20 M betragen, von der das Reich 37 3550 A, die Versiche⸗ rungsanstalt 135 846,20 A zu tragen hat.
Ein⸗ und Ausfuhr von Nahrungsmitteln.
Nach dem soeben erschienenen Aprilheft der Statistik des Deusschen Reichs“ sind ia den vier Monaten vom 1. Januar bis 36. April 1891 eingeführt worden 1348 421 Doppel ⸗ Centner Weizen gegen 2056 695 in demselben Zeitraum des vorigen Jahres; an Roggen 1665 301 Doppel ⸗Centaer (gegen 2645 707); an Hafer 243 123 (gegen 623 011); an Hülfenfrüchten 300577 (aegen 236 53); an Gerste 2159 019 (gegen 2 440 499); an Mais und Dari 1933166 (gegen 1758 3650); an Kartoffeln 306 373 (zegen 111427); an Getreide mehl 40383 (gegen 388 350 an Fleisch 61 423 (gegen 101 856); an Kühen 40 340 Stück (gegen 34 952; an Och fen 15115 (gegen 5432); an Fungvieh 22219 (gegen 15 558); an Schweinen 254 320 (gegen 151359
Stück).
. hat in dem bezeichneten Zeitraum diefes Jabres im Ver⸗ gleich zu demselben Zeitraum des Vorjahres eine Mindereinfuhr statigefunden von Weizen um 507 577 Doypel⸗Ctr, von Roggen S681 4065, von Hafer 375 888, von Gerste 281 450, von Mais und Dart 7260 794; von Fleisch 40 433. Dagegen hat eine Mehreinfuhr stattgefunden von Hülsenfrüchten um 54 024; von Kartoffeln 194 901; von Getreivemehl 7533; von Kühen um 5888 Stück; von Ochlen um 9683; von Jungvieh um 6651; von Schweinen um 122 421 Stück.
Bei der Aus fuhr kommen nur Kartoffeln, frisches Fleisch. Serre de mehl und Schafe in Betracht, und zwar ergiebt sich für Kartoffeln (gegen den bezeichneten Zeitraum des Vorjahres) eine Mehrausfuhr pon 235 867 Und von Getreidemehl eine solche von 87 267 Doppel⸗ Etr., wogegen eine Minderausfuhr von 39 671 Doppel⸗Cir. frisches Fleisch und 18 961 Stück Schafe zu verzeichnen ist.
ganz
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im März
l 16 6,
Zur KJ
Ueber die gestern an dieser Stelle kurz gemeldete Ver⸗ sammlung in Völklingen von Mitgliedern des Rechts⸗ schutzvereins, die ihren Austritt aus diesem Verein er⸗ klärten, berichtet die „Saarb. 3“ das Nachstehende:
In Folge der Ablegung des Vertrauensmannes des Rechts chat vereins Doerr fand heute Rachmittag in dem Fabellion' schen Eekale eine Verfammlung von Mitgliedern des Rechtsschutzvereins statt, welche vom Berginann Mang mit einem dreimaligen Hoch aaf Seine Majestät den Kaiser, als obersten Bergherrn, in welches die Versammelten begeistert einstimmten, eröffnet wurde. Der Redner beleuchtete zunächst den Zweck des Rechtsschutzvereins, berührte vorübergehend die durch ihn abgehaltenen Ver— sammlungen, namentlich diejenigen zur Beschickung der Kongresse in Halle und Paris, und erklärte dann, die heutige Versammlung sei be⸗ rufen, um Stellung Seitens der Bergleute zu nehmen gegen die Führer. Diese Letzteren hätten namentlich durch den jüngst versuchten Strike den Bergleuten, besonders den Mitgliedern des Vereins, die Ueberzeugung beigebracht, daß sie ihrer Aufgabe nicht gewachsen seien; sie hätten überall eigenmächtig gehandelt, obne das Inter esse der Mitglieder zu berücksichtigen, und hätten völlig vergessen, dad sie doch zunäͤchst von diesen abhängig seien; sie bebaupteten jezt, Sor Strike abgerathen zu haben, während sie doch das Gegentbeil getdan. „Uns trifft die Schuld, weil wir ihnen vertraut, und Die nächste Folge war, daß unser Kamerad Doerr abgelegt worden ist. Es herrschen Irrthümer im Rechtschutzverein und in Folge dessen hätten Zustände eintreten können, welche unsggbares Elend übzr und bringen und die Ablegung von 1000 Leuten hätten veranlassen können. Wäre der Strike geglückt, so hätten sie sich groß gemacht, und auch