1891 / 135 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 11 Jun 1891 18:00:01 GMT) scan diff

Gesetz bis jetzt 75 000 Personen in den Besitz von Altersrenten ge⸗ langen lassen, 33 000 Altersrenten - Anträge befiaden sich noch in der Schwebe, und 12 000 Ansprüche, das ist nicht ganz der siebente Theil der überhaupt erledigten nträge, wurden abgelehnt. Jeder Monat wird demnächst etwa 3000 neue Altersrenten⸗Anträge bringen, und an Invalidenrenten werden später monatlich etwa 10 000 zu be⸗ willigen sein. .

Seit einem Vierteljahre sind die Invaliditäts und Alterversiche⸗ rungs. Schiedsgerichte theils auf Anrufen der Rentenanwärter, theils auf Berufung der Staatskommissare thätig, während das Reichs · Versicherungkamt seit etwa zwei Monaten mit Revisionkanträgen (i? aus dem Monat April, 31 aus dem Monat Mai und 26 aus dem ersten Drittel des laufenden Monats) befaßt ist. Es ließ sich ermöglichen, dreizebn von diesen Anträgen durch beschleunigte Herbei⸗ ziehung der Akten und Herbeiführung Les erforderlichen Schrift wechsels unter den Parteien so zeitig spruchreif zu machen, daß mit deren Verhandlung bereits gegenwärtig die Revisions⸗ Rechtsprechung eréffnet werden kann. Damit wäre denn das letzte Glied in die Kette eingefügt, und den mit Tausenden von Kräften arbeitenden Organismus, in welchem Berufs,; und Ehrenämter, staat⸗ liche Verwaltung, Selbstverwaltung und Justiz innig verflochten sind, sehen wir vor uns in voller Thätigkeit.

Wenn aus dem bisher Erreichten auf die weitere Gestaltung der Dinge geschlossen werden mag, so dürfen wir boffnungsfroh in die Zukunft blicken. So schwer auch die Rüstung ist, welche sich das Reich in diefem Gesetze, zum Schutze des sozialen Friedens, angelegt hat, sie wird von vielen Millionen Schultern gemeinsam, mit Spannkraft getragen, und so sehr auch die Meinungen über die besfte Art der Ausführung auseinander gingen, zur Zeit arbeitet die ganze Nation an der ihr gesetzten großen Aufgabe willig mit. Inrsbesondere werden in den Kreisen der Arbeiter ⸗Bevölkerung, wie die dem Reichs. Versicherungsamt vorliegenden Berichte und Eingaben darthun, trotz der auch sie treffenden Last die Vortheile des Gesetzes mehr und mehr erkannt und dessen wohlthätiger Einfluß schon jetzt verspürt.

pie Gewißheit mag den hier tagenden Revisionskammern die Bürde der Verantwortung erleichtern, wenn sie manchen schwierigen Streitfall zu entfcheiden, in manchen zweifelhaften Fragen den Willen des Gesetzgebers erst noch werden zu ergründen und festzustellen haben. Kommen ihnen hierbei schon die auf dem Gebiete der Unfall versicherung ge⸗ sammelten Erfahrungen zu Statten, so müßen sie auf dem dort beschrittenen Wege der Verbindung von Gerechtigkeit und Billigkeit durch die Frklärungen festgehalten werden, welche wiederholt, insbesondere noch ganz kürzlich von Seiten der hohen verbündeten Regierungen und des Reichstages über die Tendenz des Invaliditäts« und Alters⸗ versicherungsgesetzes abgegeben worden sind; und vellends hat unser Allergnädigster Kaiser und Herr keinen Zweifel über die Richtung bestehen laffen, welche Er auf dem Felde der Arbeiterfürsorge inne⸗ gehalten zu seben wünscht. 1

So möge denn die Rechtsprechung des Reichs ⸗Versicherungöamts alle Zeit von dem rechten Geiste beseelt sein, damit es das Ver⸗ trauen rechtfertige, welches ihm durch die Uebertragung der obersten Judikatur in Invaliditäts« und Altersv ersicherungssachen bewiesen worden ist, und damit es an seinem Theil dazu beitrage, die sozial⸗ politische Gesetzgebung des Reichs zu einem immer festeren und segenk⸗ reicheren Bande der Rechts- und Reichseinheit zu gestalten.

Unter dem Vorsitz des Präsidenten Dr. Bödiker trat darauf die Revisionsspruchkammer, welche mit dem von dem Bundesrath aus seiner Mitte gewählten nichtständigen Mit⸗ gliede des Reichz-Versicherungsamts, Königlich sächsischen Ge⸗ heimen Regierungs- Rath Vodel, den ständigen Mitgliedern Dr. Kaufmann und Dr. Gerstel, dem xichterlichen Mit— gliede, Kammergerichts-Rath Geheimen Justiz⸗Rath Bau ck und den als Vertreter der Arbeitgeber und der Versicherten ge⸗

wählten nichtständigen Mitgliedern Maack-Rostock und.

Meßtorff⸗Hamburg besetzt war, in die Verhandlung der zur Entscheidung stehenden Jälle ein. Es standen an zwei Revisionssachen gegen die Versicherungsanstalt Baden, vier Revisionsfachen gegen die Versicherungsanstalt Berlin. An der Verhandlung der letztgedachten Revisionen nahm der Staatskommissar für die Versicherungsanstalt Berlin, Regie— rungs-Rath Br. von Sybel Theil.

Die Revisionssitzungen werden morgen unter dem Vorsitz des Direktors im Reichs-Versicherungsamt Gaebel fortgesetzt werden. Ueber die heute getroffenen, für die Durchführung des Gesetzes wichtigen Entscheidungen werden wir demnächst berichten.

Den Verhandlungen wohnten u. A. auch die von der schweizerischen Regierung zum Studium der deutschen Unfall⸗ und Krankenversicherungs-Einrichtungen nach Deutschland ge— sandten Delegirten bei.

Seine Durchlaucht der Prinz Albert zu Sachsen— Altenburg, Commandeur der 3. Garde⸗Kavallerie⸗Brigade, hat sich für heute und morgen nach Trachenberg begeben.

Der Inspecteur der Feld-⸗Artillerie, General⸗Lieutenant cobi hat sich zur Besichtigung zunächst nach Jüterbog be—

Sachsen. Dres den, 10. Juni. Ihre Königlichen Hoheiten der Prinz Georg, der Prinz Friedrich August und die Prinzessin Mathilde haben sich, nach dem „Dr. J.“, gestern für einige Zeit nach Sigmaringen begeben. Württemberg.

Stuttgart, 10. Juni. Die Besserung im Befinden Seiner Majestät des Königs hält, wie der „St.⸗A. f. W.“ meldet, erfreulicher Weise an. Seine Majestät bringt einen Theil des Tages außer dem Bette zu und hat gestern den zur Zeit auf Besuch bei seinem Sohne, dem Herzog Albrecht von Württemberg, hier verweilenden Herzog Philipp von Württemberg empfangen. Wie das genannte Blatt ferner erfährt, wird der König mit Rücksicht auf sein noch der Schonung bedürftiges Befinden die für dieses Jahr beabsichtigt gewesenen Paraden über die Garnisonen Stuttgart⸗Ludwigs⸗ burg und Ulm-Wiblingen nicht abhalten.

Mecklenburg⸗ Schwerin.

Schwerin, 10. Juni. Seine Königliche Hoheit der Groß⸗ herzog wird sich, wie die „Mecklb. Nachr.“ hören, heute (am 160. d. . in Genua nach Bremerhaven einschiffen und dort wahrscheinlich am 21. d. M. eintreffen. Die Ankunft in Ludwigslust steht zwei bis drei Tage später zu erwarten. Das Befinden Seiner Königlichen Hoheit, welcher in letzter Zeit an einer Mandelentzündung litt, ist, trotz noch bestehender starker Schmerzen, ein besseres.

Desterreich⸗ Ungarn.

Wie das „Fremdenblatt“ von gut unterrichteter Seite erfährt, beabsichtigen Oesterreich⸗Ungarn, Deutschland und Italien in die Handelsvertrags-Verhandlungen auf

Grund einer von jedem einzelnen Theile festzu⸗ stellen den Basis einzutreten. Die Unterhandlungen seien für die zweite Hälfte des Juli in Aussicht genommen, ein bestimmter Tag sei jedoch noch nicht festgesetzt. 2

Der ungarische Finanz⸗-Minister Dr. Wekerle ist in Wien eingetroffen. Seine Anwesenheit gilt dem „Fremden⸗ blatt“ zufolge vornehmlich der Feststellung des gemeinsamen Budgets für die Delegationen.

Beim Minister des Auswärtigen Grafen Kälnoky fand gestern eine vorbereitende Besprechung des gesammten Ministeriums statt, betreffend die Mehrforderungen, welche der Kriegs-Minister bei der nächsten Session der Delegationen einzubringen gedenkt. Die Delegationen werden voraussichtlich im No vember zusammentreten.

Im Spezialausschuß des Abgeordnetenhauses für Rusnahmeverordnungen erklärte, dem, W. T. B.“ zu⸗ folge, Graf Taaffe, die Regierung habe nunmehr die Auf⸗ hebung der Ausnahmeverordnungen für möglich befunden, halte jedoch einen stufenweisen Uebergang für empfehlens⸗ werth. Deshalb habe sie die vorläufige Aufrechterhaltung der Ausweisungen beschlossen, um die beunruhigten Elemente noch einige Zeit fernzuhalten. Der Ausschuß nahm einen Antrag des Referenten Freiherrn von Sommaruga an, wonach das Haus in Folge der bereits stattgehabten theilweisen Auf⸗ hebung der Ausnahmeverordnung die Erwartung ausspricht, daß auch der noch aufrechterhaltene Theil derselben sobald als thunlich aufgehoben werde. . ;

Im ungarischen Unterhause sprach sich vorgestern bei der weiteren Debatte über die Verwaltungsreform der Abg. Beöthy von der gemäßigten Opposition unter dem stürmischen Beifall der äußersten Linken gegen die Vorlage aus. Außer ihm sprachen noch Sovago von der äußersten Linken und Hoitsy von der achtundvierziger Partei gegen die Verwaltungsreform.

Großbritaunien und Irland.

Der Premier Marquis von Salisbury hat an Lord Rothschild ein Schreiben gesandt zur Beantwortung einer an ihn gerichteten Petition, welche die Unterstützung der englischen Regierung erbat, um vom Sultan die Genehmi⸗ gung zur Niederlassung russischer und polnischer Juden in Palästina zu erhalten. In diesem Schreiben sagt Lord Salisbury dem „W. T. B.“ zufolge: er werde den englischen Botschafter in Konstantinopel Sir W A. White konsultiren, ob die Intervention der englischen Regierung wirklich dazu beitragen würde, den Zweck zu erreichen, den die Unterzeichner der Petition zu erlangen wünschen; im Falle einer bejahenden Antwort werde der Botschafter dem Sultan die Sache unterbreiten.

Zu den am Montag Abend im Unterhause von Sir William Hart⸗Dyke, dem Vize-Präsidenten des Comitès des Geheimen Raths für Erziehungswesen Namens der Regierung abgegebenen Erklärungen über die freie Volks⸗ schulvorlage schreibt die „Times“:

ie Regierung hat allen Grund, mit der Aufnahme zufrieden zu sein, welchen ihr Plan zur Abschaff ang des Schulgelds in den Volksfchulen gefunden hat. Die Vorschläge Sir W. Hart ⸗Dyke's sind fo einfach, daß es mit dem Beistand aller Parteien wohl möglich wäre, die Bill, Falls sie auf keinen ernsteren Widerstand als bei der gestrigen Debatte stoßen sollte, noch vor der Vertagung des Parlaments im August zu erledigen. Die Bill ist weder gegen die Prirat: ffrei⸗ willigen) Schulen, noch das Abkommen hinsichtlich des Religions⸗ unterrichts gerichtet, noch will sie die Rormalschulfrage auf ihr Programm erheben. Die Regierung hat es weise abgelehnt, die Schulgeldfrage durch diese und andere Kontroversen zu verwickeln, welche zu dem Gegenstand der Vorlage keine andere Beziehung haben, als daß auch sie bet der Organisation des Volksschulunterrichts zu be⸗ rücksichtigen sind. Der Plan erweitert die bisherige Bewilligung der Regierung um je 10 Schilling ver Kopf, welche das Schulgeld in allen Schulen ersetzen sollen, in denen der Durchschnittsbetrag des- selben am letzten Reujabrstag nicht ein höherer war. Diese Sonder bewilligung soll auf alle Kinder Anwendung finden, welche in dem schulpflichtigen Alter, d. h. jwischen 5 und 14 Jahren, stehen, und die Ausgabe würde für jeden Schüler fich auf wöchentlich nahezu 3 Pence belaufen. In allen Eiementar— sckulen, in denen das Schulgeld im Jahre bisher weniger als 10 Schilling betrug, würde der Unterricht also ein völlig un—⸗ entgeltlicher werden. Schwierigkeiten entsteben erst bei solchen Schulen, in denen ein höheres Schulgeld gezahlt wurde. Die Bill wird es diesen freistellen, die neue Bewilligung anzunehmen und ihren Schülern den Unterschied zwischen dieser und den bisherigen Gebühren in Rechnung zu bringen. Etwa zwei Drittel aller Elementarschulen würden auf diese Weise ganz freien Unterricht gewähren und etwa ein Drittel sich auf den eben erwähnten Modus beschränken.

Wie schon telegraphisch gemeldet, hat das Unterhaus die Bill zur ersten Lesung zugelassen.

Aus Canada wird dem „Hamb. Corr.“ gemeldet, daß Mr. C. Abbott, bisher Minister ohne Portefeuille im Kabinet Macdonald, sich bereit erklärt habe, ein neues Minister ium zu bilden. Das canadische Parlament dürfte sich bis zur Er⸗ ledigung dieser Angelegenheit vertagen.

Frankreich.

Paris, 11. Juni. Der Präsident Carnot überreichte gestern dem Nuntias Rotelli in der Kapelle des Elisce feierlichst das Kardinalsbarett. Der Ceremonie wohnten unter Anderen Frau Carnot und die Minister des Auswärtigen und der Justiz bei. Das „Journal Officiel“ veröffentlicht den Wortlaut der aus diesem Änlasse gewechselten Reden. Danach gab der Kardinal Rotelli seiner Dankbarkeit für den Präsidenten Carnot und das französische Volk Ausdruck, sprach sich lobend über den französischen Episcopat aus und erklärte schließlich, die Geschicke des päpstlichen Stuhles und Frankreichs blieben unauflöslich verbunden. Der Präfident Carnot hob den Takt und die Mäßigung hervor, von denen Rotelli während seiner Nunziatur Beweife gegeben habe, er beglückwünsche sich in dem Gedanken, daß das heilige Kollegium einen Vertreter von aufgeklärter Politik mehr haben werde, einer Politik, welche stets die Rechte des Staats jorgfältig beachtet und in erechter Weise sich um die Interessen der modernen Gesell⸗ h ft gekümmert habe, und die dagegen sicher sei, die der sitt⸗ lichen und friedenbringenden Mission der Kirche schuldigen Rücksichten zu erhalten.

Der Zustand des seit einigen Tagen erkrankten Bischofs Freppel hat sich nach einer Meldung des „W. T. B.“ ver⸗ schlimmert und erregt Besorgniß.

Die Regierung hat von ihrem diplomatischen Agenten in Haiti einen Bericht über die Umstände bei der Ermor⸗ dung Rigaub's verlangt und ihn angewiesen, ohne Ein⸗ n . in die inneren Angelegenheiten der Insel gemeinsam mit dem Admiral Cuverville alle erforderlichen Maßregeln zu ergreifen, um die Sicherheit der französischen Staatsangehö⸗ rigen zu gewährleisten.

Der Senat hatte bei Annahme des Gesetzes, betreffend die Ermäßigung der Eingangszölle für Getreide,

beschlossen, daß dasselbe sofort bei seiner Veröffent⸗

lichung in Kraft treten solle, während die Deputirten⸗ kammer als Datum des Inkrafttretens den 1. August fest⸗ gesetzt hatte. Die Zollkommission der Kammer hat sich nunmehr mit dieser Abänderung einverstanden erklärt.

Gegen Ende dieses Monats finden in Toulon große Flottenmanmöver sowie Flotten mobilisirungsver⸗ suche mit 50 Kriegsschiffen statt.

Italien. Wie der „Don Chisciotte“ meldet, hätte die äußerste Linke beschlossen, in der Kammer die Herabsetzung der Ge⸗ treidezölle von 5 auf 3 Franes zu beantragen.

Portugal.

Auch der Senat hat in seiner gestrigen Sitzung endgültig das englisch-portugiesische Uebereinkommen und zwar mit 83 gegen 6 Stimmen genehmigt. Die Unterzeichnung soll nach einem Telegramm des „W. T. B.“ in Lissabon schon heute erfolgen. Der dortige englische Gesandte Petre hat die Vollmacht dazu erhalten.

Schweiz. Der Ständerath hat gestern mit 22 gegen 19 Stimmen beschlossen, in die Berathung der Vorlage, betreffend die Ein⸗ führung des Banknoten monopols,s einzutreten.

Niederlande.

Gestern haben die allgemeinen. Wahlen zur Zweiten Kammer stattgefunden. Nach den bisher vor⸗ liegenden Resultaten gewannen die Liberalen fünf Sitze, und zwar vier von den Antirevolutionären und einen von den Kon⸗ servativen. Haag, welches bisher durch zwei Antiliberale und einen Liberalen vertreten war, hat drei Liberale gewählt. In Amsterdam siegten alle Kandidaten der Liberalen. Der Sozialistenführer Nieuwenhuis kommt mit einem Radikalen in die Stichwahl. Die Radikalen haben zwei andere Stichwahlen mit den Liberalen. Aus acht Bezirken sind die Resultate noch ausständig.

Türkei.

Der „Agence de Constantinople“ zufolge verlautet in dortigen dipkomatischen Kreisen, der französische Bot⸗ schafter Graf von Montebello habe mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen gedroht, Falls die Angelegenheit wegen des Gebrauchs der Thür der Nativitätskirche zu Bethlehem nicht in seinem Sinne geregelt werde. Der Botschafter habe (wie schon gemeldet), um seine Forderung durchzusetzen, am Dienstag eine Audienz bei dem Sultan gehabt, deren Ergebniß noch unbekannt sei; es scheine aber, daß die Frage nicht als erledigt anzusehen fei. Die Theilnahme von Truppen bei dieser Angelegenheit beschränkte sich nach Angabe von tür⸗ kischer Seite auf die Trennung der Streitenden, um Schlim⸗ meres zu verhüten. ;

Nach dem Bekanntwerden der Freilassung der von den Räubern entführten Personen ließ, wie „W. T. B.“ aus Konstantinopel meldet, der Sultan dem deutschen Botschafter von Radowitz seine Genugthuung ausdrücken, worauf der erste Dragoman der Botschaft Te sta Abends seinen Dank für die Gesinnung des Sultans aussprach.

Einem Telegramm der „Magdb. Ztg.“ zufolge hat Mahmud Pascha, der vom Großvezir zur Untersuchung des Ueberfalls auf den Orientzug nach Adrianopel gesendet wurde, das Standrecht über dle Gegend von Tscherkeßksi verhängt.

Serbien.

Belgrad, 16. Juni. Der liberale Parteitag in Prokupkje nahm, nach einer Meldung des „W. T. B.“ übereinstimmend mit anderen liberalen Parteitagen, eine Resolution an, in welcher das Verhalten der Skupschtina, der Regentschaft und der Regierung in der Angelegen⸗ heit der Königin Natalie als gesetzwidrig und ver⸗ fassungswidrig bezeichnet und die Art der Durchführung des Ausweisungsbeschlusses scharf getadelt wird.

Schweden und Norwegen.

(E) Stockholm, 9. Juni. Die Königin war während der letzten Tage durch einen leichten Luftröhrenkatarrh ge—⸗ nöthigt, das JZimmer zu hüten.

Prinz Gustaf Adolf, der älteste Sohn des Kron⸗ prinzen, ist zum Volontär in der Svea⸗Leib⸗Garde ernannt und von dem König am Sonnabend dem Regiment vorgestellt worden.

Der Kronprinz hatte dem gestern in Stockholm aus⸗ gegebenen Bulletin zufolge in der Nacht vom Dienstag zum Mittwoch einen ruhigen und guten Schlaf; die Temperatur betrug gestern Morgen 372 Grad. . ;

EF Christianig, 8. Juni. Das Storthing setzte heute die Berathung über den Zolltarif fort und ging zu den Zollfätzen für Petroleum und Zucker über. Nach längerer erregter Verhandlung wurde die beantragte Herab⸗ setzung des Zuckerzolls um 20 Oere per Kilogramm mit 67 gegen 45 Stimmen verworfen und dann mit 96 gegen 17 Etimmen eine Herabsetzung um 10 Oere per Kilogramm beschlossen. Ferner wurde die Herab⸗ setzung des Petroleumzolls um 5 Dere per Kilogramm mit 6 gegen 49 Stimmen und die zollfreie Einfuhr von Schmir gel genehmigt, ein Antrag auf Einführung eines Zolles von 10 Oere per Kilogramm auf Eier aber mit 66 gegen 35 Stimmen abgelehnt.

Im Wahlkreise Vegö haben heute mit den Wahlmanns⸗ wahlen die Storthings⸗-Abgeordneten⸗Wahlen für die nächste Legis laturperiode begonnen.

Parlamentarische Nachrichten.

In der heutigen (10) Sitzung des Hauses der Nb , re. welcher der Präsident des Staattz⸗Nintsteriums, eichskanzler von Caprivi, der Vize⸗Prästbent des Staats⸗ Ministeriums, Staats-⸗Minister Dr. von Boetticher, der Minister für Handel und Gewerbe Freiherr von Berhepsch, der Finanz⸗Minister Dr. Miquel unh der Minister sür Landwirthschaft ꝛc. von Hey den beiwohnten, stanb auf ber Tagesordnung die Berathung des Antrags der Abgg— Rickert und Genossen wegen Vorlegung des Materials über die verfügbaren Sele ess de und bie Ernteaussichten.,

Der Antrag lautet: Daz Haus der Abgeordneten wolle beschließen:

Dle Königliche Staatgregierung ju ersuchen, das Material über die zur Zeit verfügbaren Getresdebestände und die diesjährigen Ernteausfichten, welche nach der Erklärung des Herrn Minister Präsidenten in der Sitzung vom 1. Juni 8. J. die Grundlage für die Entschließung der Staatregierung in Betreff der Getreidezölle gebildet hat, dem Abgeordnetenhause mitzutheilen.

Reichskanzler von Caprivi:

Ich habe im Namen der Staatsregierung den Wunsch aus— zusprechen: das hohe Haus wolle den hier vorliegenden Antrag ab— lehnen. Der Antrag geht dahin: die Königliche Staateregierung möge das Material über die zur Zeit verfügbaren Getreidebestände und die diesjährigen Ernteaussichten dem Abgeordnetenhause mit⸗ theilen.

Nach dem Verlauf der vorigen Sitzung war es wahrscheinlich, daß dieser oder ein ähnlicher Antrag kommen würde, und es ist mir weiter zweifellos, daß die Ziele der Herren Antragsteller über den Wortlaut des Antrages hinausgehen: sie wollen nicht bloß das Material kennen lernen, sondern sie wollen an den Antrag eine weitergehende Diskussion knüpfen.

Was nun diese weitergehende Diskussion angeht, so ist die Staatsregierung nicht in der Lage, darauf einzugehen, es sei denn, es handelt sich um die Berichtigung thatsächlicher Anführungen. Was die Staatsregierung zur Sache zu sagen hat, habe ich mir am 1. d. M. auszuführen die Ehre gegeben. Seitdem hat sich in den Anschauungen der Staatsregierung über die Sachlage nichts geändert. (Bravo! rechts) Sie nimmt genau denselben Standpunkt ein, den sie am 1. d. M. einnahm, und diejenigen Nachrichten und Mittheilungen, die ihr in zwischen zugegangen sind, haben die Staatsregierung nur in dem Festhalten an demjenigen Standpunkt bestärkt, den darzulegen ich damals die Ehre gehabt habe. (Lebhaftes Bravo rechts.)

Die Fassung des vorliegenden Antrages, wenn er eben nicht weitergehende Ziele hätte, könnte ja überraschen. Ich habe mir am 1. d. M. am Eingang meiner Rede wörtlich zu äußern erlaubt:

All dieses Material würde einen ziffermäßigen Beweis für die Richtigkeit des Verfahrens der Staatsregierung beizubringen nicht ermöglichen. Diese Zahlen sind zum Theil ihrer Natur nach un— sicher; sie beruhen auf Schätzungen.

Wenn die Staatsregierung schon am 1. auksgesprochen hat, daß sie nicht in der Lage ist, einen ziffermäßigen Beweis beizubringen, so weiß ich nicht, was mit einem Zahlenmaterial, wie es der vor— liegende Antrag fordert, erreicht werden soll. Es liegt ja in der Natur der Sache, daß, wie ich auch das vorige Mal auszusprechen mir die Ehre gegeben habe, all dies Material mehr oder weniger unsicher ist, auf Schätzungen beruht, und daß Jeder, der ein Urtheil sich bilden will, darauf angewiesen ist, aus einer Menge von Schätzungen einen Durchschnitt zu ziehen.

Die Staatsregierung hat, abgesehen von der unausgesetzten Be⸗ obachtung dieser Verhältnisse, die in den verschiedenen Ressorts dauernd ausgeführt wird, schon Ende April die vorliegende Frage, ob ein

Nothstand im Lande da sei und ob es nothwendig sei, zu Ausnahme

maßregeln zu greifen, zum Gegenstand eingehender Erörte rungen gemacht. Die Staatsregierung kam damals zu dem Beschluß, daß sie die Sache noch nicht genug übersehen könnte, daß sie Recherchen anstellen wollte; sie beschloß aber weiter, diese Recherchen auf den Kreis Königlicher Behörden zu beschränken, weil sie die Besorgniß hatte, daß, wenn sie Privat personen, Korporationen des Handels, landwirthschaftliche Vereine ꝛc. gehört hätte, sie schon damals eine Agitation in das Land getragen haben würde, die zu nichts Anderem hätte führen können, als zu einer Haussebewegung (sehr richtig! rechts), die also dasjenige erreicht haben würde, was die Regierung, der Alles daran lag, die Brod preise für den armen Mann billig zu erhalten, nicht wollte.

In jener ersten Staats ⸗Ministerialsitzung beschloß das Ministerium, Berichte einzufordern, und zwar von all denjenigen Behörden, die etwa in der Lage waren, über die Bestände aus dem vorigen Jahre, über die Bestände, die jetzt in unseren Häfen lagerten, Material beizubringen. Es wurden außer den Königlich preußischen Zollbehörden die Proviantbehörden der Armee herangezogen, und es wurden die Reichs⸗ bankstellen im ganzen Reich aufgefordert, sich auf eine möglichst un auffällige Weise bei Kaufleuten zu unterrichten. Es kam nun auf diese Weise ein Material zusammen, was der Regierung die Ueber zeugung gab, daß ein Nothstand nicht da war und daß es nicht erforderlich sei, zu irgendwelchen außerordentlichen Maßregeln zu greifen. Inzwischen aber wuchs eine gewisse Erregung im Lande, und es kam zu Aeuße— rungen, die der Staatsregierung klar machten, daß sie nicht länger ruhig der Sache zusehen könne, daß sie ihre Stellung öffentlich bekunden müsse, wenn nicht der Handel erhebliche Schädigungen erleiden und dadurch wiederum das erzielt werden sollte, was wir nicht wollten: daß das Brod vertheuert wird. Das gab uns den Anlaß, nun aus der Reserve, die wir uns insoweit aufgelegt hatten, als wir nur Königliche Behörden fragten, herauszutreten. Wir wandten uns nun an eine große Menge von Personen im Inlande und regten die Konsulate und Gesandtschaften im Auslande zu erneuter und beschleunigter Berichterstattung an. Wir konnten die Vollendung dieser Bericht⸗ erstattung nicht abwarten: inzwischen war die Beunruhigung im Lande so gestiegen, daß, noch ehe das gesammte Material vorlag, die Staate regierung diejenigen Erklärungen abgeben mußte, die ich am 1. d. M. hier abgegeben habe.

Das Material, das die Regierung erlangt hat, beruht im Wesent lichen auf einer Schätzung, soweit es nicht offizielles Material ist, das von den Behörden über die Ernteverhältnisse im vorigen Jahre, über die Bestände danach, über die Aussickten für die diesjährige Ernte über das, was in den Freihafengebieten etwa lagert, geliefert ist. Soweit es nicht solches Material ist, beruht es auf Schätzung; auch das offizielle Material beruht zum großen Theil auf Schätzung. Was sind denn die Berichte über den Saatenstand anders als eine Reihe von Schätzungen, was ist selbst unser Coursbericht an der Börse anders als der Ausdruck von Schätzungen Einzelner, eine Summe von Anschauungen von Kauf⸗ leuten über den gegenwärtigen Zustand des Handels. Auf Schätzungen also blieben wir immer angewiesen; diese Schätzungen konnten mehr oder weniger werthvolle sein, ie nach den Personen, von denen sie kamen. Wir würden, glaube ich, in der Lage sein, Ihnen zu beweisen, daß wir über sehr werthvolle Schätzungen verfügen; wir sind aber nicht in der Lage, dies zu thun, weil es absolut ausgeschlossen ist, die Personen, von

denen die Schätzungen ausgegangen sind, öffentlich zu nennen. (Sehr richtig! rechts.) Jedermann, jeder Kaufmann, der sein Urtheil in patriotischer Weise der Regierung zur Verfügung stellt, würde Anstand nehmen, das noch einmal zu thun, wenn er hier genannt und hinterher An⸗ griffen aller Art ausgesetzt würde. (Sehr richtig! rechts) Noch vorsichtiger müssen wir in Bezug auf die Nachrichten sein, die wir aus dem Auslande von den Konsulaten bekommen haben. Der Konsul im Auslande ist noch weniger in der Lage, durch eigenen Augenschein sich davon zu überzeugen, wie die Saaten stehen, welche Vorräthe im Hafen liegen, welche auf Eisenbahnen auf— gespeichert sind, als wie die Behörden im Inlande. Der Konsul kann nichts Anderes thun, als sich an Vertrauensleute im Auslande wenden. Nun wäre doch der Fall denkbar, daß eine ausländische Regierung ein Interesse daran hätte, den wahren Zustand nicht veröffentlicht zu sehen. Hätte nun der Konsul Jemand benutzt, der wirklich ihm die besten Nachrichten gegeben hat, Nachrichten aber, die der andern fremden Regierung nicht wünschenswerth wären, so würde uns in diesem Fall nicht allein für die Zukunft die Quelle versiegen, sondern es könnte für Diejenigen, denen wir die Nachrichten ver⸗ danken, zum Theil recht unangenehme Folgen haben. (Sehr richtig! rechts)

Also wir sind außer Stande, dieses Material vorzulegen; damit er⸗ ledigt sich von unserm Standpunkt der Haupttheil dieses Antrags. Wir sind nicht im Stande, Zahlen vorzulegen, die irgend Einen von Ihnen überzeugen würden. Es ist ja überhaupt sehr schwer, Menschen zu überzeugen (Heiterkeit und sehr richtig), und im vorliegenden Falle würden wir nicht einmal in der Lage sein, Diejenigen, die einmal die uns entgegengesetzte Ansicht angenommen und vertreten haben, zu überreden; wir müssen darauf verzichten.

Wir haben den dringenden Wunsch, daß die heutige Debatte nicht zu einer Erregung führe, die das einmal bestehende Uebel noch schlimmer macht. Was an der Regierung liegt, ist geschehen, um da, wo wir die Gelegenheit dazu hatten, in diesem Sinne zu be— ruhigen; denn wir sind der Ueberzeugung, daß jede weitere Erregung das Uebel, unter dem wir leiden, nur schlimmer macht. Die Staats⸗ regierung ist sich der Verantwortung, die sie trägt, bewußt; sie wünscht aber auch, daß Diejenigen, die nun öffentlich über diese Dinge sprechen, deren Urtheil in alle Welt geht, in gleicher Weise sich dessen bewußt sein mögen, wie groß der Schaden sein kann, der durch zu weit gehende Meinungsäußerungen geschehen kann. (Lebhaftes Bravo rechts.)

Abg. Rickert nahm darauf das Wort zur Begründung seines Antrags. Mit dem bloßen Monolog des Reichskanzlers am 1. Juni sei dem Lande nicht gedient. Es sei auch nicht richtig, daß eine Diskussion im Hause die von dem Reichskanzler befürchteten Nachtheile haben würde. Ein Nachtfrost wirke mehr als eine dreitägige Diskussion. Jetzt schelte man auf die wüste Agitation; aber wie habe man früher agitirt und Unsicherheit in das Land getragen, als es sich um die Ein⸗ führung und Erhöhung der Zölle handelte. Die Gegner der Zölle würden sich durch solche Vorhaltungen nicht mund⸗ todt machen und sich nicht abhalten lassen, ihre Pflicht zu thun. Es sei das gute Recht der Antragsteller, Auskunft von der Regierung zu verlangen. Die neulichen Erklärungen seien nicht ausreichend. Die bezüglichen Erhebungen müßten dauernde sein; einstweilen fehle es an allem zur Beurtheilung der Frage erforderlichen Material. Die Angaben des Ministers von Henden über die voraus⸗ sichtlichen Ergebnisse der, diesjährigen Ernte könnten nicht beruhigen. Dem gegenüber sei auf die jüngsten traurigen Berichte aus Ost⸗ und Westpreußen hinzuweisen. Daß der Weltmarktpreis noch höher als der Inlandspreis abzüglich des Zolles sei, zeige, wie die kaufmännische Welt Über die Ernteaussichten in und außerhalb Deutschlands denke. Die Freisinnigen würden nicht nachlassen, bis der Zustand, wie er vor 1879 bestanden, wieder hergestellt sei. Je länger die Regierung sich weigere, bezüglich des Zolles entgegenzukommen, desto schärfer werde der Stoß sein, der doch kommen müsse. Die Hoffnung sei aber noch nicht auf⸗ zugeben, daß bessere Einsicht die Regierung zur Umkehr auf ihrem Wege veranlassen werde.

Abg. Freiherr von Erffa erklärte, in die Diskussion des Antrags eintreten zu wollen, um den Freisinnigen den Vorwand zu entziehen, daß die Konservativen die Diskussion scheuten. Er legte ausführlich die Wirkungen des Zolles dar und rechtfertigte die Aufrechterhaltung desselben. Die wilde und ungehemmte Spekulation prosperire nur bei schwankenden Zollverhältnissen. An ihre Stelle müsse eine gesunde und ruhige Entwickelung treten. Das werde am ehesten der Fall sein, wenn die demagogische Propaganda gegen die Zölle ein Ende nehme. (Schluß des Blattes.)

Die Land gemeindeordnungs⸗ Kommission des Herrenhauses ist heute zusammengetreten und bat die 58. 2 und 48 nach den Beschlüssen des Abgeordnetenbauses angenommen.

Entscheidungen des Reichsgerichts.

Bei Empfehlungen außerhalb eines Vertrages beispiels weise bei kaufmännischer Empfehlung der Kreditwürdigkeit eines Dritten haftet, nach einem Urtheil des Reichsgerichts, J. Civil-⸗ senats vom 26. März 1891, im Gebiete des gemeinen Rechts der Empfehlende nur für Arglist, nicht für Verschulden, auch nicht für schweres; als Arglist ist aber die unrichtige Empfehlung aufzufassen, welche vom Empfehlenden mit dem Bewußtsein der . der von ihm behaupteten Thatsache abgegeben worden ist.

Kunsft und Wissenschaft.

ft Von dem magnetischen Observatorium auf dem Telegraphenberge bei Potsdam erhalten wir die Nachricht, daß die photographisch registrirenden Instrumente daselbst in den frühen Morgenstunden des J. 1. NR. und zwar um 2 Uhr 12 Minuten eine kleine Störung im Gange der Instrumente aufgezeichnet haben, die wahrscheinlich mit den um die gleiche

Zeit in Oberitalien aufgetretenen Erdbeben in zu-

saunnenhange stand. Nach Zeltungsngchrwichten wurden die erster Stöße in Mailand Un 3 Uhr 8 Mamnagten heohachtet, was

unter der Vorgugsetzung, daß roömische Zeit zu Grunde liegt,

dem Augenblick von 2 Uhr 10 Mannen W Sekunden Potg⸗ damer Jeit entsrechen wände; Den strenge Rachweng hin⸗ sichtlich des Zusamimnenhange fawie Schlitsse auf die Font⸗

pflanzungsgeschwindigkeit der Erschütterung müssen natürlich verschoben werden, bls genaue Angaben aus Italien vorliegen.

3. Der zahlreich besuchten Versammlung im Hörsaale des Museums für Völkerkunde, zu welcher der Vorsitzende und der Ausschuß des Orient Comit és, sowie die Vorsitzenden der Archäologifchen, der Anthropologischen und der Gesell= schaft für Erdkunde für gestern Abend eingeladen hatten, wohnte auch Seine Hobeit der Erbprinz von Sachsen Meiningen bei. Als Vorsitzender des Orient Comités begrüßte Professor Dr. von Kaufmann die Versammlung und xichtete darauf warme Worte des Dankes und der Anerkennung an die Führer der II. und JfI. Ausgrabungsexpedition des Orient ⸗Comitss in Nord⸗Syrien, die Hrrn. Dr. von Luschan. und Ingenieur Koldewey, sowie an die weiteren Theilnehmer der Expedition und an alle Diejenigen, welche dem ebenso schwierigen, wie verdienstvollen Unternehmen ihre Unterstützung geliehen. Nachdem er hier in erster Reihe des Interesses, welches die verewigten Kaiser Wilhelm und Friedrich den Bestrebungen des Orient-Comités ent- gegengebracht, sowie der Förderung gedacht, welche Seine Majestãt der regierende Kaiser auch diesen wissenschaftlichen Unternehmungen an gedeihen lasse, gab er in augführlicher Darlegung ein über- sichtliches Bild über die bisher von dem Orient Comits entwickelte Thätigkeit, um schließlich auf die weiteren Auf— gaben der Forschung hinzuweisen, die sich namentlich auf die Löfung der Frage zu erstrecken haben würden, welchem Volke die in Kleinasien und Syrien aufgefundenen Denkmäler einer offenbar vorgriechischen Kultur zuzuschreiben seien. Darauf er griff Ox. von Luschan das Wort zu seinem Vortrage über die in Sindschirli vorgenommenen Ausgrabungen und deren Resultate. Nachdem er zunächst die in früherer Zeit ungerechtfertigter Weise erheblich unterschätzte Bedeutung Syriens betont, welchem Lande wir Kultur, Schrift und Religion zu verdanken hätten, ging der Vortragende zu einer Besprechung einzelner Fundstücke über, welche die verschiedenen Ausgrabungen in Sindschirli zu Tage gefördert und welche zum großen Theil in photo⸗ graphischer Wiedergabe zur Ansicht ausbingen. Das Ausgrabungs—⸗ gebiet stellt sich als ein ovaler, unregelmäßig gebildeter Hügel dar; die Grundfläche der Trümmerstätte von Sindschirli ist ungefähr dreimal so groß, wie die des hiesigen Königlichen Schlosses. Nach einer Schilderung der umfangreichen Mauer⸗, Thurm und Palastbauten, welche die gewaltige Fläche einst bedeckt, glaubt Redner als sicher feststellen zu dürfen, daß der sogenannte Westpalast, dessen Durchforschung noch nicht zu Ende geführt, aus der Zeit zwischen 750 und 730 v. Chr. stamme. Nach der ungefähr um das Jahr 560 v. Chr. erfolgten Zerstörung der Stadt ist Sindschirli zu einem unbedeutenden Neste herabgesunken und die Zeit der griechischen, der römischen und der byzantinischen Herrschaft hat dasselbe nicht zu heben vermocht. Die in Sindschirli gesammelten Kleinfunde, deren Zahl gegen 3000 beträgt, erinnern an trojanische, wie an vorgeschichtliche europäische Funde. Sehr zahlreich sind Gewichtstücke verschiedenster Größe ver⸗ treten, welche die Zugrundelegung des Dezimalsystems erkennen lassen, sowie geschnittene Steine, Thonperlen, Knochengeräthe aller Art. Der Vortragende wies im Verfolg seiner Ausführungen auf den Nutzen hin, welchen die vollständige, wohl in einem Zeitraum von acht bis neun Monaten zu bewältigende Durchforschung des Westpalastes für die Wissenschaft haben würde, in⸗ dem er das Vorhandensein. hamatischer Inschriften auf den Nauerreliefs als wahrscheinlich bezeichnete und gleichzeitig die Möglichkeit betonte, durch neue Ausgrabungen festzustellen, daß die Hethiter als die vorsemitische Urbevölkerung des Landes zu betrachten seien. Er schloß seine mit lebhaftem Beifall aufgenommenen Aus⸗ führungen, indem er der Königlichen Staatzregierung sowie der König lichen Museumsverwaltung für die der Expedition gewährte Unter stützung seinen Dank aussprach. Es folgte eine ausführliche Schilderung des Grundrisses der einzelnen auf dem Ausgrabungsterrain vorgefundenen Bauwerke, sowie eine technische Erörterung des verschiedenen Bau— materiald Seitens des Ingenieurs Koldewey, welcher sein fachmännisches Urtheil dahin zusammenfaßte, daß man es in Sind⸗ schirli mit einer selbständigen, in sich abgeschlossenen Architektur zu thun habe, für deren Ableitung von der griechischen oder der assy rischen Kunst keine ausschlaggebenden Gründe geltend zu machen seien. Nachdem darauf Professor Dr. Schrader die Bedeutung hervor⸗ gehoben, welche die in Sindschirli ausgegrabenen Fundstücke, vor Allem die Säule Assur Haddon's, für die Geschichtsforschung haben müßten, besprach. Professor Dr. Sachau die Bedeutsam⸗ keit der in Sindschirli zu Tage geförderten, allerdings noch nicht voll- ständig entzifferten gramäischen Inschriften. Darauf übermittelte der General ⸗Direktor Schoene das Bedauern des Kultut⸗Ministers, daß denselben dienstliche Inanspruchnahme am Erscheinen in dieser Ver⸗ sammlung verhindert habe, um sodann im Namen der Königlichen Staatsregierung sowie der Königlichen Museums⸗Verwaltung den Theilnehmern an der Expedition nach Nord Syrien für deren auf— opfernde Thätigkeit im Interesse der Wissenschaft zu danken. Nach einem weiteren Dankesworte des Professorß Dr. Virchow, welcher gleichzeitig die fortgesetzte Förderung der Ausgrabungtzarbeiten in Sindschirli befürwortete, schloß der Vorsitzende die Versammlung kurz nach 10 Uhr.

Für den aus Anlaß des 700jährigen Jubiläums Berns dort vom 9. bis 14. August stattfindenden internationalen geo—⸗ graphischen Kongreß sind, wie der N. A. 3. mitgetheilt wird, folgende Festsetzungen getro en worden. 9. August, Abends 8 Uhr: Familienabend auf dem Schänzli. Begrüßung der Mitglieder des Kongresses durch den Stadt ⸗Präsidenten. 19. August, Morgens 9 Uhr: Eröffnung des Kongresses im großen Saale des Museums am Bärenplatz: Erste allgemeine Sitzung mit Vorträgen der Er— forscher; Nachmittags 2 Uhr; Besuch der geographischen Aus—⸗ stellung im neuen Bundesrathhaus; 36 Uhr: Zweite allgemeine Sitzung im Nationalrathssaal; Verhandlung über die Er— stellung einer Erdkarte im Maßstab von 1: 1000000; Abends 8 Uhr: amilienabend. 11. August, Morgens 9 Uhr und Nachmittags 3 Uhr: Sektionssitzungen, event. allgemeine Sitzungen. 12. August, Morgens 8 Uhr: Dritte allgemeine Sitzung im Nationalrathssagl. Verhandlung über die Ausarbeitung systematischer geographischer Repertorien und über meteorologische Beobachtungen auf Reisen und deren Veröffentlichung; Mittags: Abreise nach Thun und Ausflug ins Oberland. 13. August, 86 Uhr Morgens und 3 Uhr Nachmittags: Sektionssitzungen. 14. August, 85 Uhr Vor— mittags: Vierte allgemeine 96 Nachmittags 3 Uhr: Schluß⸗ sitzung im Großen Museumssaale; Abends 8 Uhr: Bankett. Zahlreiche Vorträge sind bereits angemeldet worden. Weitere An— meldungen nimmt der Präsident des Kongresses, Regierungs⸗Rath Gobat in Bern, entgegen.

Land⸗ und Forstwirthschaft.

Ernte ⸗Aussichten.

; Ueber den Saatenstand in Großbritannien zu Anfang dieses Monats Zehen uns folgende Mittheilungen zu: Die außergewöhnlich niedrige Temperatur während des vorigen Monats hat das Wachs hum der Saaten sehr zurückgehalten, und ist in Folge dessen eine Verzögerung der diesjährigen Ernte zu erwarten. Das Ergebniß der selben dürfte indeß, bei längerer Dauer der seit einigen Tagen ein zetretenen warmen Witterung, im Allgemeinen ein gutes werden. In den Distrikten der unteren Moldau haben, neueren Nach⸗ reichten zufolge, die Ende vorigen und Anfang dieses Monats nieder TWgangenen. ausgiebigen Niederschläge den Saatenstand etwas gebessert. Die bevorstehende Ernte dürfte nahezu ein mittleres Ergebniß liefern,

on etwa S0 ο für den Export verfügbar sein werden. Nachrichten aus südlichen Theilen des Großfürstenthums Finn⸗ land zufolge ist der Stand der dortigen Wintersaaten bisher ein

gunftiger.

*) Stockholm, 9. Juni. In Mittelschweden hat wäb⸗ tend der letzten Nächte ein starker Frost geherrscht. Aus